Examens-Repetitorium Handels- und Gesellschaftsrecht

Tekst
Z serii: Unirep Jura
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

§ 4 Übertragung und Vererbung des kaufmännischen Unternehmens

§ 4 Übertragung und Vererbung des kaufmännischen Unternehmens

Inhaltsverzeichnis

I. Unternehmen und Unternehmensträger

II. Die Übertragung des Unternehmens

III. Haftungsregeln gem. §§ 25–28 HGB

§ 4 Übertragung und Vererbung des kaufmännischen Unternehmens › I. Unternehmen und Unternehmensträger

I. Unternehmen und Unternehmensträger

131

Der Begriff des Unternehmens ist gesetzlich nicht definiert. Obgleich das Gesetz verschiedentlich an den Unternehmensbegriff anknüpft (wie zB in §§ 14 BGB, 15 AktG), lassen sich aus den unterschiedlichen Regelungszusammenhängen keine allgemeingültigen Anhaltspunkte für die Begriffsbestimmung gewinnen.[1] Zumindest für den handelsrechtlichen Zusammenhang ist festzuhalten, dass das Unternehmen des Kaufmanns dort als Handelsgewerbe (§ 1 HGB) oder auch als Handelsgeschäft (§§ 22 ff. HGB) bezeichnet wird.[2] In diesem Sinne bezeichnet das Unternehmen eine organisatorische Einheit sachlicher und personeller Mittel zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zwecks am Markt.[3] Teile des Unternehmens sind ebenso Sachen (Waren, Wertpapiere, Bargeld, Grundstücke), Rechte (Forderungen, Patente, good will) und Verbindlichkeiten (Schulden) wie auch Personen (Unternehmer, Arbeitnehmer, Kapitalgeber). Das „lebende“ Unternehmen (going concern) ist jedoch mehr (wert) als die Summe seiner Teile.

132

Das Unternehmen kann mehrere Niederlassungen (insbesondere Haupt- und Zweigniederlassungen) haben. Eine Niederlassung bezeichnet den Ort, von dem aus das Unternehmen kaufmännisch geleitet und betrieben wird.[4] Der Betrieb hingegen ist ein arbeitsrechtlicher Begriff (vgl. auch § 613a BGB) und beschreibt eine räumlich-technische Einheit, in welcher der Inhaber allein oder mit seinen Mitarbeitern einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck verfolgt.[5]

133

Allerdings:

Das Unternehmen ist kein Rechtssubjekt, sondern nur eine wirtschaftliche Funktionseinheit. Rechtsträger des Unternehmens (Unternehmensträger) ist vielmehr dessen juristischer Eigentümer, sei es eine natürliche Person (der Einzelunternehmer), eine Personengesellschaft (insbesondere BGB-Gesellschaft[6], OHG, KG), eine juristische Person (insbesondere eine Kapitalgesellschaft in Form der GmbH oder der AG, eine eingetragene Genossenschaft, ein eingetragener Verein, eine Stiftung) oder auch die öffentliche Hand (zB ein kommunaler Eigenbetrieb).

134

Das „Unternehmen“ nimmt daher auch nicht am Rechtsverkehr teil; Verträge werden vielmehr stets mit dem Unternehmensträger geschlossen. Aus den „für das Unternehmen“ getätigten Rechtsgeschäften wird grundsätzlich der jeweilige Unternehmensträger berechtigt und verpflichtet, nicht hingegen der für das Unternehmen Handelnde, und zwar auch dann, wenn die Identität des Inhabers des Unternehmens bei Vertragsschluss dem Vertragspartner nicht offenbart wurde. Es gelten die Grundsätze des unternehmensbezogenen Geschäfts (vgl. § 164 I 2 BGB).[7]

135

Fall 16:[8]

Student S bestellt beim lokalen „Pizzaservice P“, der von der P-GmbH betrieben wird, eine Pizza und verletzt sich beim Verzehr an einem Metallsplitter von einer Konservendose. Sofern S nicht ausdrücklich auf einen anderen Vertragspartner hingewiesen wurde, kommt der Kaufvertrag mit dem Träger des „Pizzaservice P“ zustande, also mit der P-GmbH.

§ 4 Übertragung und Vererbung des kaufmännischen Unternehmens › II. Die Übertragung des Unternehmens

II. Die Übertragung des Unternehmens

136

Bei der Übertragung eines Unternehmens ist der asset deal vom share deal zu unterscheiden: Als asset deal wird die unmittelbare Übertragung der das Unternehmen konstituierenden Vermögensgegenstände (assets) bezeichnet; das Unternehmen „an sich“ kann nicht übertragen werden, da es nur eine wirtschaftliche Funktionseinheit darstellt. Demgegenüber meint share deal die mittelbare Übertragung des Unternehmens in Form der Anteile (shares) am Unternehmensträger. Diese Unterscheidung gilt auch dann, wenn nicht das ganze Unternehmen oder sämtliche Anteile, sondern nur Teile des Unternehmens oder einzelne Anteile (Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung) übertragen werden.[9]

137

Beispiel:

Die G-GmbH veräußert den von ihr betriebenen Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtheit an K (asset deal). Alleingesellschafter G veräußert sämtliche Geschäftsanteile seiner G-GmbH an K (share deal).

138

Mit „Übertragung“ wird das Verfügungsgeschäft bezeichnet. Das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft ist im Regelfall ein Kaufvertrag über die Aktiva und Passiva des Unternehmens (asset deal) bzw. die Anteile am Unternehmensträger (share deal). Doch kommt zB auch eine Schenkung in Betracht. Im Falle eines Pachtvertrages wird das Unternehmen nur zeitweilig zur Nutzung überlassen (vgl. § 581 BGB). Praxisrelevant ist auch die Einbringung eines Unternehmens in eine schon bestehende oder erst neu errichtete Gesellschaft; hier ist die (Sacheinlage-)Verpflichtung Teil des Gesellschaftsvertrages (dazu näher Rn. 494).

1. Asset deal

a) Verpflichtungsgeschäft

139

aa) Ist das Verpflichtungsgeschäft ein Kaufvertrag, dann sind Gegenstand dieses Vertrages regelmäßig alle Aktiva und Passiva des verkauften Unternehmens bzw. Unternehmensteils, also sämtliche einzelnen Vermögensgegenstände. Auf den Kauf eines solchen Inbegriffs von Sachen, Rechten und sonstigen Vermögensgegenständen, finden nach § 453 I Alt. 2 BGB die Vorschriften über den Sachkauf entsprechende Anwendung.[10]

140

bb) Der Kaufvertrag bedarf grundsätzlich keiner Form. Bezieht sich der Vertrag aber auch auf ein Betriebsgrundstück und bildet die Übertragungspflicht mit den übrigen Pflichten ein einheitliches Geschäft, ist der gesamte Kaufvertrag nach § 311b I 1 BGB notariell zu beurkunden.[11] Soll das Unternehmen schenkweise übertragen werden, so ist das Schenkungsversprechen formbedürftig (§ 518 I BGB). Ggf. ist auch eine Genehmigung des Familiengerichts (vgl. §§ 1643 I, 1822 Nr. 3 BGB)[12] oder die Zustimmung des Ehegatten (vgl. §§ 1365 f., 1423 BGB) erforderlich.

141

Fall 17:

Der Geschäftsführer der X-GmbH verkauft das gesamte Gesellschaftsvermögen privatschriftlich an die A-AG. Hierfür hatten sich die GmbH-Gesellschafter einstimmig ausgesprochen.

142

In Fall 17 stellt sich die Frage, ob die Formvorschrift des § 311b III BGB, der Verpflichtungen zur Übertragung des gesamten gegenwärtigen Vermögens erfasst, auch auf juristische Personen, wie vorliegend die X-GmbH, zur Anwendung gelangt. Das wird von der hM bejaht,[13] die eine Ausnahme nur zulässt, wenn sämtliche Vermögensgegenstände einzeln im Vertrag bezeichnet sind.[14] In diesem Fall sind sich die Beteiligten nämlich darüber bewusst, welche Vermögensgegenstände sie tatsächlich übertragen, so dass der Normzweck des § 311b III BGB nicht einschlägig ist.[15] Anderes gilt wiederum, wenn dem Vermögensverzeichnis eine Auffangklausel beigefügt ist, wonach übersehene oder vergessene Vermögensteile ebenfalls von der Verpflichtung erfasst sein sollen.[16] Demgegenüber plädiert eine Literaturauffassung für eine generelle teleologische Reduktion des § 311b III BGB bei juristischen Personen.[17] Daran ist richtig, dass der Normzweck des § 311b III BGB[18] bei der Übertragung des gesamten Vermögens einer juristischen Person insofern nicht eingreift, als die für Verfügungen von Todes wegen geltenden Formvorschriften nicht umgangen werden. Bedeutung hat der Formzwang gleichwohl noch für die Beratung der Beteiligten, für einen angemessenen Übereilungsschutz sowie für die Beweissicherung.

143

Nach zweifelhafter Auffassung des BGH[19] bedarf die Verpflichtung zur Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens bei der GmbH keiner Zustimmung einer qualifizierten Gesellschaftermehrheit analog § 179a I 1 AktG. In Personengesellschaften bedarf die Verpflichtung zur Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens im Anwendungsbereich einer (einfachen) Mehrheitsklausel analog §§ 179a I 1, 179 II AktG der Zustimmung einer Dreiviertelmehrheit,[20] es sei denn, besagter Beschlussgegenstand ist gesellschaftsvertraglich einem abweichenden Mehrheitserfordernis unterworfen.[21]

144

cc) Die früher problematische Abgrenzung zwischen Sach- und Rechtsmängeln[22] spielt seit der Schuldrechtsreform keine Rolle mehr: Die Gewährleistung richtet sich vielmehr nach zutreffender hM generell nach den §§ 434 ff. BGB.[23] Ein Mangel des Kaufgegenstands liegt beim Unternehmenskauf unzweifelhaft vor, wenn das Unternehmen als solches nicht ordnungsgemäß betrieben werden kann.[24] Ist hingegen lediglich ein einzelner zum Unternehmen gehöriger Gegenstand mangelhaft, wie zB eine Hebebühne bei verkaufter Werkstatt, dann liegt in der Regel kein Mangel des Unternehmens vor.[25] Gewährleistungsrechte bestehen jedoch, wenn nicht das Unternehmen selbst den Kaufgegenstand bildet, sondern sich der Kaufvertrag unmittelbar auf die einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens bezieht (Auslegungsfrage). Ein Mangel des Unternehmens liegt allerdings vor,[26] wenn der Mangel am Einzelgegenstand oder mehreren Gegenständen in der Weise „auf das Unternehmen durchschlägt“, dass der normale Betriebsablauf gestört und die weitere Verfolgung der wirtschaftlichen Zielsetzung des Unternehmens beeinträchtigt wird.[27] Umgekehrt ist ein Mangel des Unternehmens zu verneinen, wenn Mängel an Einzelgegenständen schon hinreichend durch die Bildung von Rückstellungen berücksichtigt wurden.[28] In der Praxis wird daher die Gewährleistung häufig individualvertraglich geregelt, etwa durch besondere Beschaffenheitsvereinbarungen und verschuldensunabhängige Garantien für wichtige Kennziffern wie Umsatz, Ertrag, Bilanzrichtigkeit[29] bei gleichzeitig weitgehendem Ausschluss des gesetzlichen Gewährleistungsregimes[30].

 

b) Verfügungsgeschäft

145

Für die Übertragung des Unternehmens gilt das sachenrechtliche Spezialitätsprinzip: Das verkaufte Unternehmen bzw. der verkaufte Unternehmensteil kann nicht einheitlich übereignet werden. Alle Vermögensgegenstände müssen vielmehr nach den jeweils für sie geltenden Vorschriften durch einzelne Verfügungsgeschäfte auf den Erwerber übertragen werden, d.h. Forderungen gem. §§ 398 ff. BGB, bewegliche Sachen gem. §§ 929 ff. BGB, Grundstücke gem. §§ 873, 925 BGB usw.

2. Share deal

146

Der Kauf von Gesellschaftsanteilen, etwa von GmbH-Geschäftsanteilen oder von Aktien, ist ein Rechtskauf iSv § 453 I Hs. 1 BGB und kann formbedürftig sein (vgl. § 15 IV 1 GmbHG). Zudem kommt auch hier eine familiengerichtliche Genehmigung (§§ 1643 I, 1822 Nr. 3 und Nr. 10 BGB[31]) oder ein Zustimmungserfordernis des Ehegatten (Rn. 140) in Betracht.

147

Das Verfügungsgeschäft vollzieht sich in Abhängigkeit von den übertragenen Mitgliedschaftsrechten. GmbH-Anteile werden nach §§ 398, 413 BGB an den Erwerber abgetreten, was nach § 15 III GmbHG der notariellen Beurkundung bedarf.[32] Namensaktien können formlos nach §§ 398, 413 BGB abgetreten oder durch Indossament nach § 68 I AktG übertragen werden. Inhaberaktien können nach Maßgabe der §§ 929 ff. BGB übereignet oder nach zutreffender hM wiederum nach §§ 398, 413 BGB abgetreten werden.[33]

148

Rechtsmängel an den verkauften Gesellschaftsanteilen sind unproblematisch und werden nach den allgemeinen Grundsätzen des Kaufrechts behandelt. Das bedeutet: Die Anteile müssen gem. § 435 S. 1 BGB frei von Rechten Dritter sein, wie zB Pfandrecht oder Nießbrauch[34]. Andererseits können die Anteile aber auch „Sachmängel“ iSd § 434 BGB aufweisen, etwa wenn sie Einlagenrückstände aufweisen oder mit einer Nachschusspflicht behaftet sind.[35] In beiden Fällen kommen die üblichen Gewährleistungsrechte nach § 437 BGB zur Anwendung. Keinen Mangel idS stellt nach zutreffender Auffassung des BGH die Überschuldung und Insolvenzreife der Gesellschaft dar, da hierbei der rechtliche Bestand der abgetretenen Gesellschaftsanteile nicht gefährdet ist.[36] Die Stimmrechte und Gewinnansprüche bleiben nämlich auch bei Überschuldung und Insolvenzreife bestehen und eine bloße Gefährdung kann für die Annahme eines Mangels nicht ausreichen.[37] In Betracht kommt allerdings ggf. eine Vertragsanpassung nach Maßgabe von § 313 BGB.[38]

149

Aus einem Sachmangel des Unternehmens (oben Rn. 148) können Gewährleistungsansprüche des Anteilskäufers indes nur dann resultieren, wenn der Beteiligungserwerb wirtschaftlich dem Kauf des Unternehmens gleichsteht.[39] Die Gegenauffassung will die §§ 434 ff. BGB hingegen unmittelbar über die Verweisung des § 453 I Alt. 2 BGB anwenden und lässt einen Mangel des Unternehmens auch dann auf den Anteilskauf durchschlagen, wenn sich dieser nicht auf (nahezu) alle Anteile am Unternehmensträger erstreckt.[40] Diese Interpretation steht indes zur Wertung des § 453 III BGB in Widerspruch, wonach bei einem Rechtskauf Mängel der Sache nur dann beachtlich sind, wenn das verkaufte Recht zum Besitz an dieser berechtigt. Der von § 453 III BGB geforderte sachkaufähnliche Charakter[41] ist nur anzunehmen, wenn der Anteilserwerb bei der gebotenen ökonomischen Betrachtung auf den Erwerb des Unternehmens als Ganzes gerichtet ist.[42]

150

Dies ist nur dann der Fall, wenn der Erwerber uneingeschränkt die Verfügungsmacht über das Unternehmen erhält; bei Erwerb aller oder nahezu aller Gesellschaftsanteile wird dies bejaht.[43] Eine Minderheits-[44] oder einfache Mehrheitsbeteiligung[45] reichen hingegen nicht aus.[46] Ebenso wenig genügt es, wenn ein Erwerber, der bereits 50 % der Anteilsrechte innehat, weitere 50 % der Mitgliedschaftsrechte dieser Gesellschaft hinzuerwirbt.[47] Sofern der Beteiligungserwerb wirtschaftlich dem Unternehmenskauf gleichsteht, ist der Veräußerer nicht nur zur Anteilsübertragung, sondern auch zur Übergabe des Unternehmens verpflichtet; erst hierdurch gehen Gefahren und Lasten gem. § 446 BGB über.[48]

151

Ist das Unternehmen idS mangelhaft, stehen dem Käufer die in § 437 BGB genannten Rechtsbehelfe zu. Grundsätzlich gilt auch bei Unternehmenskäufen der Vorrang der Nacherfüllung. Eine Nachlieferung scheidet bei Unternehmenskäufen allerdings oftmals wegen Unmöglichkeit gem. § 275 BGB aus und auch eine Nachbesserung wird vielfach nicht im Interesse des Käufers liegen, da er dem Verkäufer hierzu erneut Einfluss auf das Unternehmen gewähren müsste.[49] Liegen die Voraussetzungen für einen Rücktritt vor, kann der Unternehmenskauf gem. §§ 346 ff. BGB rückabgewickelt werden. Eine Rückübertragung des Unternehmens ist dabei nicht schon dann unmöglich, wenn sich das Unternehmen zwischenzeitlich verändert hat, sondern erst, wenn der Unternehmensträger als solcher nicht mehr besteht, beispielsweise infolge einer Verschmelzung.[50] Ferner stehen dem Käufer nach den allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen das Recht zur Minderung und zur Geltendmachung von Schadensersatz zu.

§ 4 Übertragung und Vererbung des kaufmännischen Unternehmens › III. Haftungsregeln gem. §§ 25–28 HGB

III. Haftungsregeln gem. §§ 25–28 HGB
1. Haftung des Erwerbers bei Firmenfortführung (§ 25 I 1 HGB)

a) Überblick

152

§ 25 I 1 HGB ordnet eine Haftung des Erwerbers für die Verbindlichkeiten des Veräußerers eines Handelsgeschäfts an, sofern ein Erwerb unter Lebenden vorliegt (Abgrenzung zu § 27 HGB) und die bisherige Firma fortgeführt wird. Veräußerer und Erwerber haften in diesem Fall als Gesamtschuldner; die Haftung des Veräußerers erlischt nach 5 Jahren (§ 26 HGB). Veräußerer und Erwerber können allerdings eine abweichende Vereinbarung treffen; Dritten gegenüber ist diese jedoch nur wirksam, wenn sie in das Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht oder dem Dritten mitgeteilt worden ist (§ 25 II HGB).

153

Sowohl der Normzweck der Erwerberhaftung als auch deren rechtspolitische Berechtigung sind heftig umstritten.[51] Der BGH sieht den tragenden Grund für die Erstreckung der Haftung für früher im Unternehmen begründete Verbindlichkeiten auf den Erwerber in der nach außen in Erscheinung tretenden Kontinuität des Unternehmens infolge der Fortführung der Firma.[52] Die Unterscheidung zwischen dem Unternehmen als bloß wirtschaftlicher Einheit und seinem Rechtsträger (oben Rn. 133) wird so im Interesse des Verkehrsschutzes relativiert.[53]

b) Tatbestandsvoraussetzungen

154

aa) § 25 HGB erfasst den Erwerb unter Lebenden, während § 27 HGB die Erbenhaftung bei Fortführung eines zum Nachlass gehörenden Unternehmens betrifft (unten Rn. 177 ff.).

155

bb) Erwerbsgegenstand ist ein Handelsgeschäft.[54] Der Begriff wird hier nicht im Sinne von § 343 HGB benutzt,[55] sondern bedeutet ein Unternehmen, das ein Handelsgewerbe zum Gegenstand hat, mithin ein kaufmännisches Unternehmen iSv § 1 HGB. Gleichgestellt sind kaufmännische Unternehmen gem. §§ 2 und 6 HGB sowie das Unternehmen eines Fiktivkaufmanns gem. § 5 HGB[56] (dazu oben Rn. 20 ff.).

156

Keine (auch keine analoge) Anwendung findet § 25 HGB hingegen auf nichtkaufmännische Unternehmen: Zum einen führen diese gem. § 17 HGB keine Firma (dazu sogleich noch Rn. 167). Zum anderen besteht für diese Unternehmen keine Möglichkeit, die Haftung durch Registereintragung und -bekanntmachung auszuschließen (vgl. § 25 II HGB).[57] In Betracht kommt in diesem Fall aber eine Haftung nach allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen.[58] Wer im Rechtsverkehr den Rechtsschein eines Handelsgewerbes iSd § 1 HGB setzt, namentlich aufgrund der verwendeten Firmierung („e.K.“), muss sich an dem Rechtsschein festhalten lassen. Die Vertrauenshaftung setzt allerdings voraus, dass der Betreffende den Rechtsschein zurechenbar gesetzt hat, der Geschäftspartner in Bezug auf die Kaufmannseigenschaft gutgläubig war und der gesetzte Rechtsschein für die Vertrauensdisposition des anderen Teils auch kausal gewesen ist (dazu ausf. Rn. 37 ff.). An der kausalen Verknüpfung fehlt es etwa, wenn das fragliche Rechtsgeschäft noch vor der Setzung des relevanten Rechtsscheins abgeschlossen worden ist.[59]

157

cc) Erwerb bedeutet im Kontext des § 25 I HGB Einrücken in die bisherige Stellung des Inhabers des Handelsgeschäfts. Der Begriff wird in diesem Sinne untechnisch – und nicht im Sinne einer dinglichen Übertragung – verstanden, weil das Unternehmen „an sich“ nicht übertragen werden kann (oben Rn. 136). Ein Eigentumswechsel ist dementsprechend nicht erforderlich. Daher erfasst § 25 HGB auch Pachtverträge, und zwar nicht nur im Hinblick auf Verbindlichkeiten des bisherigen Inhabers des Handelsgeschäfts und nunmehrigen Verpächters,[60] sondern nach hM auch im Hinblick auf Verbindlichkeiten des bisherigen Pächters, sofern das Unternehmen ohne zwischenzeitliche Fortführung durch den Verpächter unmittelbar weiterverpachtet wird:

158

Beispiel:

P1 war Inhaber der von V gepachteten „Druckerei H“. Aus Lieferungen schuldet er dem Gläubiger G 3700 Euro. Da P1 mit der Pachtzahlung in Verzug geriet, kündigte V den Pachtvertrag und verpachtete das Unternehmen an P2, der die „Druckerei H“ fortführte. G kann die ausstehende Zahlung nun gegen P2 geltend machen.[61]

159

Auch der Rechtsgrund spielt für den Erwerb keine Rolle. Neben einem Unternehmenskauf (Rn. 138) kommen daher auch Schenkung, Treuhand, gesellschaftsvertragliche Einbringungen oder Erbauseinandersetzungen in Betracht.[62]

160

dd) Nach dem Normzweck der Erwerberhaftung (oben Rn. 153) ist es nicht erforderlich, dass das gesamte Unternehmen erworben wird. Vielmehr kann auch schon die Übertragung der Teile, die den wesentlichen Kern des Unternehmens ausmachen (Organisation, Räumlichkeiten, Kunden- und Lieferantenbeziehungen, Personal), die Erwerberhaftung begründen.[63] Ausreichend ist auch eine sukzessive Übertragung des Handelsgeschäfts.[64] Wird eine Zweigniederlassung erworben (zum Begriff: oben Rn. 132), so erstreckt sich die Erwerberhaftung nur auf die in der Zweigniederlassung begründeten Verbindlichkeiten.[65]

 

161

Fall 18:[66]

A firmiert im Rechtsverkehr unter „A Kfz-Import/Export“. Die später im Handelsregister eingetragene „A Kfz-Import/Export GmbH“ entspricht in ihrer Tätigkeit, Geschäftssitz, verwendetem Logo, Telefon- und Faxadresse sowie der Selbstdarstellung des Unternehmens ganz überwiegend dem Einzelunternehmen „A Kfz-Import/Export“. Kann ein Gläubiger von A auf die A-GmbH zugreifen?

162

Der Sachverhalt lässt offen, ob es tatsächlich zu einer Übertragung des wesentlichen Kerns des Unternehmens gekommen ist. Fehlt es daran, findet § 25 I 1 HGB keine Anwendung. Allerdings kommt in diesem Fall eine Haftung der A-GmbH nach den allgemeinen Grundsätzen der gewohnheitsrechtlichen Vertrauenshaftung in Betracht (Rn. 112 ff.).[67] Wenn zwei rechtlich unabhängige Unternehmen durch ihr Auftreten am Markt den Anschein erwecken, eine Einheit zu bilden oder im Verhältnis der Nachfolge zueinander zu stehen, müssen sie sich an diesem zurechenbar erzeugten Rechtsschein festhalten lassen. Der Verweis auf ihre rechtliche Autonomie und Unabhängigkeit verstößt gegen Treu und Glauben.[68]

163

ee) Da nach hM der tatsächliche Erwerb des Handelsgeschäfts maßgeblich ist (oben Rn. 157), spielt die Wirksamkeit der dem Erwerb zugrunde liegenden Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte für die Erwerberhaftung gem. § 25 I HGB keine Rolle.[69] Daher kann etwa auch der arglistig getäuschte Käufer, der das Unternehmen fortgeführt hat, trotz fristgerechter Anfechtung für die Verbindlichkeiten des Verkäufers haften.[70] Die Erwerberhaftung knüpft vielmehr allein „an Tatsachen an, die im Rechtsverkehr nach außen in Erscheinung treten“.[71] Zudem spricht der Rechtsgedanke des § 417 II BGB sowie das überindividuelle Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Handelsverkehrs für einen Verzicht auf eine im Innenverhältnis wirksame Übertragung des Handelsgeschäfts. Daher ist es auch im Fall der Weiterverpachtung (Rn. 158) nach hM unschädlich, dass zwischen P1 und P2 keinerlei rechtsgeschäftliche Beziehungen bestanden.[72] Gleiches gilt für die Fortführung des Unternehmens durch eine Schwestergesellschaft.[73] Aber auch die Gegenauffassung, die einen wirksamen Übertragungsakt fordert, gelangt regelmäßig unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 15 III HGB gegenüber einem redlichen Geschäftsgläubiger zum gleichen Ergebnis.[74]

164

ff) Nicht anwendbar ist § 25 HGB beim Erwerb aus der Insolvenzmasse.[75] Der BGH begründet diese Ausnahme damit, dass andernfalls die Veräußerung eines insolventen Unternehmens durch den Insolvenzverwalter als wirtschaftliche Einheit nicht mehr möglich wäre.[76] Diese Begründung ist allerdings angesichts der Möglichkeit des § 25 II HGB wenig überzeugend. Schwerer wiegt hingegen das Argument, dass bereits der Erlös aus der Unternehmensveräußerung den Insolvenzgläubigern zugutekommt, deren Forderungen im Übrigen wertlos sind.[77] Zudem würde eine Erwerberhaftung die Verwertung des Schuldnerunternehmens deutlich erschweren, während zugleich die gleichmäßige Befriedigung aller Insolvenzgläubiger beeinträchtigt würde, wenn einzelne Insolvenzgläubiger durch die Haftung nach § 25 HGB begünstigt würden. Diese Überlegungen gelten im Grundsatz auch für die Veräußerung des Handelsgeschäfts durch den Schuldner in der Eigenverwaltung, auf die § 25 HGB ebenso wenig zur Anwendung gelangt.[78] Eine Ausdehnung dieser Einschränkung des § 25 HGB auf jeden Fall des Erwerbs eines insolventen Unternehmens[79], über dessen Vermögen aber kein Insolvenzverfahren eröffnet ist, wird hingegen von der hM abgelehnt.[80] Gleiches gilt für den Fall, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt oder sonst ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters lediglich tatsächlich fortgeführt worden ist.[81]

165

gg) Weitere Voraussetzung[82] ist die Fortführung der Firma. Kraft ausdrücklicher Anordnung in § 25 I 1 HGB ist allerdings die Verwendung eines Nachfolgezusatzes (Beispiel: Eisenwaren Müller, Nachfolger Schulze) unschädlich. Da der Rechtsformzusatz gem. § 19 HGB zwingend zu führen ist und eine Änderung der Rechtsform auch nicht zwingend einen Inhaberwechsel nahelegt, schadet auch insofern eine Änderung der Firma nicht (Beispiel: ABC GmbH statt ABC e.K.).[83] Darüber hinaus lässt es die hM für die Annahme einer Firmenfortführung genügen, wenn die Firma in ihrem Kern (prägender Teil der Firma) fortgeführt wird, wobei für diese Beurteilung auf die Verkehrsauffassung abzustellen ist.[84] Für die Firma eines Einzelkaufmanns, die neben seinem Familiennamen auch seinen Vornamen enthält, sind beide Bestandteile prägend, sodass der Austausch des Vornamens (im Fall „Ralf B.“ in „Annika B.“) eine derart gravierende Änderung der Firma darstellt, dass der Geschäftsverkehr von einem völlig anderen Unternehmensträger ausgehen muss.[85] Ob die Firma im Handelsregister eingetragen ist, ist hingegen ebenso unerheblich wie ihre firmenrechtliche Zulässigkeit[86] oder die Zulässigkeit der Fortführung.[87] Die Rechtsprechung ist insgesamt recht großzügig mit der Annahme einer Firmenfortführung.[88] Auch eine kurzzeitige abweichende Firmierung lässt die Haftung aus § 25 I HGB nicht entfallen.[89] Angesichts der Möglichkeit, die Erwerberhaftung nach § 25 II HGB für den Rechtsverkehr ohne Zweifel auszuschließen, besteht auch keine Notwendigkeit, Strategien für eine Vermeidung der Erwerberhaftung auf anderem Wege zuzulassen.

166

Fall 19a:[90]

A betreibt das Restaurant „Dr. Wok – Ausländisches Restaurant, Inh. A“. Gegenüber Lieferanten, Kunden und Behörden trat A unter ihrem Namen auf. B betreibt die „B Speise GmbH“ und erwirbt im Rahmen eines asset deal von A das Inventar, Vorräte etc. B betreibt nun das Restaurant „Dr. Wok – Ausländisches Restaurant“. Im Rechtsverkehr tritt er als „B Speise GmbH“ auf.

167

Hier fehlt es an einer Firmenfortführung: Bei „Dr. Wok – Ausländisches Restaurant“ handelt es sich nicht um eine Firma iSd § 17 HGB, sondern um eine reine Geschäfts- oder Etablissementbezeichnung, die nur das Geschäftslokal oder den Betrieb allgemein, nicht aber den Geschäftsinhaber bezeichnet. Die Fortführung der Geschäftsbezeichnung vermag eine Haftung nach § 25 I 1 HGB indes grundsätzlich nicht auszulösen, es sei denn, dass die Bezeichnung im maßgeblichen Rechtsverkehr „firmenmäßig“ verwendet wird.[91] Da Speisen und Getränke idR vorgeleistet werden, ist insofern nicht auf die Restaurantbesucher, sondern auf den Auftritt gegenüber Lieferanten und Behörden abzustellen. Hier ist A unter ihrem Namen aufgetreten und B als „B Speise GmbH“. Eine Erwerberhaftung scheidet daher aus.[92]

168

Fall 19b:[93]

Die E.S-GmbH erwarb umfangreiche Vermögenswerte von der P.E-GmbH. Neben der Vermögensübernahme vereinbarten die Parteien, dass die E.S-GmbH berechtigt sei, den Namen der P.E-GmbH im Rechtsverkehr, insbesondere bei der Verwendung der Produktionsmittel der P.E-GmbH und der Belieferung der Kunden der P.E-GmbH zu führen. Eine Firmenänderung fand nicht statt.

169

Auch in diesem Fall ist eine Firmenfortführung gem. § 25 I HGB zu verneinen. Die Rechtsfolge der Haftung aus § 25 I HGB knüpft an die Fortführung der Firma an. Es ist deshalb notwendig, dass die Bezeichnung vom Erwerber so geführt wird, dass der Rechtsverkehr davon ausgehen muss, es handele sich um die vom Unternehmer gewählte Firma.[94] Die Vereinbarung, im Rechtsverkehr den Namen der P.E-GmbH zu verwenden, zielt aber in Fall 19b nur darauf ab, einen Namen ähnlich einer Marke oder einer Geschäftsbezeichnung zu verwenden, ohne dass die Übernahme der Firma durch die E.S-GmbH beabsichtigt war.[95] Eine Handelsgesellschaft kann nämlich, selbst wenn sie klar getrennt mehrere Handelsgeschäfte betreibt, stets nur eine einzige Firma führen.[96] Möchte ein Unternehmen also eine fremde Firma iSd § 25 HGB weiterführen, so muss sie dabei zunächst auf ihre eigene, bisherige Firma verzichten.[97]