Examens-Repetitorium Handels- und Gesellschaftsrecht

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b) Tatbestandsvoraussetzungen

66

aa) § 15 I HGB erfasst nur eintragungspflichtige Tatsachen, und zwar sowohl deklaratorische als auch konstitutive Tatsachen (oben Rn. 58).

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bb) Die Fälle 5a–5c betreffen Änderungen der bisherigen Rechtslage (sog. Sekundärtatsachen). § 15 I HGB findet indes auch Anwendung, wenn die Eintragung und Bekanntmachung einer sog. Primärtatsache unterlassen wird:

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Fall 5d:

Die K-GmbH kauft von V eine Maschine. Obgleich er ein Handelsgewerbe betreibt, hat V die Eintragung in das Handelsregister entgegen § 29 HGB unterlassen. Nach einiger Zeit stellen sich Mängel der Maschine heraus, die bei einer Untersuchung im Zeitpunkt der Ablieferung erkennbar gewesen wären. Aufgrund von § 15 I HGB kann V den von K geltend gemachten Gewährleistungsrechten den Einwand der unterlassenen Mängelrüge gem. § 377 HGB[15] jedoch nicht entgegen halten; die für V günstige Tatsache der Kaufmannseigenschaft und damit die Anwendung von § 377 HGB (weil beiderseitiger Handelskauf) kommt gegenüber K nicht zur Anwendung, es sei denn, K war die Kaufmannseigenschaft von V bekannt.[16]

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cc) Zweifelhaft ist, ob § 15 I HGB auch dann eingreift, wenn bereits die Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, die sich nunmehr geändert hat (sog. Fehlen der voreintragungspflichtigen Tatsache oder sekundäre Unrichtigkeit).

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Fall 5e:

Kann sich etwa der Geschäftspartner des Prokuristen im Fall 5a bei unterlassener Eintragung und Bekanntmachung des Widerrufs auch dann auf die Wirkungen der widerrufenen Prokura berufen, wenn bereits die Prokuraerteilung entgegen § 53 I 1 HGB nicht eingetragen und bekanntgemacht worden war?

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Ein Teil des Schrifttums plädiert in diesem Fall für eine teleologische Reduktion des § 15 I HGB[17]. Da das Handelsregister nach Eintritt der zweiten Tatsache wieder der wahren Rechtslage entspreche, werde bei fehlender Voreintragung durch das Unterlassen der zweiten Eintragung kein Rechtsschein erzeugt.[18] Demgegenüber ist die Eintragung der voreintragungspflichtigen Tatsache nach hM grundsätzlich keine Voraussetzung für die Anwendung des § 15 I HGB.[19] Dafür spricht zum einen der Wortlaut der Vorschrift, der insoweit keine Einschränkung enthält, aber zum anderen auch die Überlegung, dass der zu schützende Dritte auch unabhängig von der Registereintragung von der Tatsache Kenntnis erlangt haben kann, etwa weil im Fall 5a P über längere Zeit als Prokurist aufgetreten ist, so dass der Vertrauenstatbestand daher nicht zwangsläufig durch die vorherige Registereintragung begründet sein muss. Überhaupt lässt sich das Erfordernis der Voreintragung nur auf Grundlage einer konkreten Vertrauenslehre rechtfertigen, während § 15 I HGB nach zutreffender Auffassung als abstrakter Vertrauenstatbestand begriffen wird.[20] Zur Vermeidung gänzlich unbilliger Ergebnisse ist mit einem Großteil des neueren Schrifttums § 15 I HGB allerdings dahingehend (und nur insoweit) teleologisch zu reduzieren, dass der Dritte sich dann nicht auf die fehlende Eintragung und Bekanntmachung der Rechtsänderung berufen kann, wenn die voreintragungspflichtige Tatsache nicht nach außen bekannt geworden ist, wofür jedoch den Anmeldepflichtigen die Beweislast trifft.[21]

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Fall 5f:[22]

Geschäftsführer G ist durch Gesellschafterbeschluss zum Geschäftsführer der X-GmbH bestellt worden, was aber nicht zur Eintragung im Handelsregister angemeldet worden war. Später ist G durch Gesellschafterbeschluss wieder abberufen worden. Diese Abberufung wurde zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet. Das Registergericht lehnt die Eintragung mit der Begründung ab, G sei nicht als Geschäftsführer eingetragen gewesen, so dass auch eine Eintragung seines Ausscheidens nicht in Betracht komme. Mit Recht?

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Nach Maßgabe des § 39 I GmbHG ist jede Änderung der Personen der Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Dazu gehört auch die nach § 46 Nr. 5 GmbHG von den Gesellschaftern zu beschließende Abberufung eines Geschäftsführers. Fraglich ist also, ob das Registergericht bei ordnungsgemäßer Anmeldung die Eintragung verweigern darf, weil schon die Bestellung des G nicht eingetragen war (Fehlen der voreintragungspflichtigen Tatsache). Dies ist nach zutreffender Auffassung gerade nicht der Fall. Die Gesellschaft hat im Hinblick auf die Publizitätswirkungen des § 15 I HGB ein erhebliches Interesse daran, das Ausscheiden des G eintragen zu lassen. Ihr droht nämlich auch dann eine Haftung nach § 15 I HGB, wenn die Bestellung des G nicht eingetragen war.[23] Der gutgläubige Dritte wird gem. § 15 I HGB auch vor den Folgen nicht eingetragener Tatsachen geschützt, wenn die gebotene Voreintragung unterblieben ist.[24] Damit muss es auch möglich sein, die Abberufung ohne Rücksicht auf die Voreintragung einzutragen.

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dd) Die Tatsache darf nicht eingetragen und nicht bekanntgemacht sein. Allein die Eintragung im Handelsregister befreit daher noch nicht von den Wirkungen des § 15 I HGB.

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ee) Dem Dritten darf die Tatsache, die zur Änderung der Rechtslage führt, nicht bekannt sein. Aus der Gesetzesformulierung („es sei denn“) folgt (wie etwa auch bei § 932 I 1 BGB), dass die Unkenntnis zugunsten des Dritten vermutet wird (Beweislastregel!); zur Widerlegung ist es daher erforderlich, dass der Anmeldepflichtige die Kenntnis des Dritten beweist.[25] Grob fahrlässige Unkenntnis schadet dem Dritten (insoweit anders als bei § 932 I 1, II BGB) nicht; dieser Grundsatz gilt auch bei anderen Tatbeständen des Registerschutzes, wie zB §§ 892, 1412 BGB; vgl. aber auch § 16 III 3 GmbHG.

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Beispiel:

Deshalb darf auch der Geschäftspartner einer GmbH, der von der Abberufung des im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers und dessen gerichtlichen Vorgehen gegen die Abberufung weiß, solange nach § 15 I HGB auf die Vertretungsberechtigung vertrauen, bis ihm die Wirksamkeit der Abberufung positiv bekannt ist.[26]

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ff) Entsprechend dem Normzweck (Schutz des Rechtsverkehrs) findet § 15 I HGB kraft teleologischer Reduktion keine Anwendung im sog. „Unrechtsverkehr“. Auch wenn es sich bei § 15 I HGB um einen abstrakten Vertrauenstatbestand handelt (Rn. 63), so findet die Vorschrift gleichwohl nur dann Anwendung, wenn der Dritte zumindest potenziell auf die Nichteintragung vertrauen durfte (Lehre von der potenziellen Kausalität).[27] Ist ein Vertrauen hingegen unter allen denkbaren Umständen ausgeschlossen, ist der Dritte a priori nicht schutzwürdig und kommt daher auch nicht in den Genuss des § 15 I HGB.[28]

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Fall 6:[29]

Wird D vom Gesellschafter G der X-OHG überfahren, so haftet für diese Deliktsverbindlichkeit der ausgeschiedene Gesellschafter Y auch dann nicht, wenn sein Ausscheiden nicht eingetragen und bekanntgemacht wurde.[30] In diesem Fall fehlt es bereits an der Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen dem Schadenseintritt und der Unkenntnis des Dritten vom Ausscheiden des Gesellschafters.[31] Niemand lässt sich im Vertrauen auf die Haftung eines potenziellen Schuldners schädigen.

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Diese Einschränkung bedeutet allerdings nicht, dass § 15 I HGB nur auf Rechtsgeschäfte Anwendung findet. Ausreichend ist es, wenn der geltend gemachte Anspruch mit einem Rechtsgeschäft im Zusammenhang steht, wie zB im Falle der culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II, III, 241 II BGB), Leistungskondiktion, Geschäftsführung ohne Auftrag, aber auch bei Delikten, die im Rechtsverkehr begangen werden (etwa Betrug bei Vertragsschluss).[32] Die Vorschrift gilt schließlich auch im Prozessverkehr.[33] Keine Anwendung findet § 15 I HGB hingegen auf (gesetzliche) Steuerschulden des ausgeschiedenen Komplementärs.[34]

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Der BGH verneint den Schutz des § 15 I HGB schließlich, wenn der Dritte sein Handeln nicht auf die (unzutreffende) Registereintragung einrichten konnte:[35]

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Fall 7:

B beauftragte W mit Maurerarbeiten, bezahlte aber den Werklohn nicht. W trat die Werklohnforderung an G, die geschäftsführende Gesellschafterin der G-GmbH ab. Diese war von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit und trat die Forderung weiter an die G-GmbH ab, die gegen B Klage erhob. B beruft sich auf Verjährung (§ 214 BGB) und ist der Auffassung, die Verjährung sei durch die (noch rechtzeitige) Klageerhebung nicht gehemmt worden (vgl. § 204 I Nr. 1 BGB), weil nicht der Anspruchsinhaber die Klage erhoben habe. Denn die Abtretung an die G-GmbH sei ihm gegenüber gem. § 15 I HGB unwirksam, weil die Befreiung von § 181 BGB – entgegen der hM[36] – nicht in das Handelsregister eingetragen wurde.

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Dieser Argumentation ist der BGH indes nicht gefolgt, weil nicht ersichtlich sei, dass sich die unrichtige Registereintragung auf das rechtsgeschäftliche Verhalten von B auswirken konnte. Allein das Vertrauen in eine mögliche Verjährung der Forderung werde durch § 15 I HGB nicht geschützt. Dem ist im Ergebnis zu folgen, und zwar mit Blick auf die Lehre von der potenziellen Kausalität (Rn. 77). Hier fehlt es wiederum an der Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen dem Vertrauen auf den Verjährungseintritt und der Unkenntnis des B von der Nichtgeltung des § 181 BGB im Verhältnis zwischen G und der G-GmbH.

 

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gg) In Abweichung zur allgemeinen Rechtsscheinhaftung (dazu unten Rn. 816) verzichtet die zutreffende hM bei § 15 I HGB auf eine konkrete Kausalität zwischen dem Vertrauenstatbestand (unrichtige Registerlage) und dem Handeln des Dritten; § 15 I HGB gewährleistet vielmehr „abstrakten Vertrauensschutz“ (dazu bereits Rn. 71).[37] Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass der Dritte tatsächlich Einblick in das Handelsregister genommen oder die Bekanntmachung gelesen hat,[38] was bereits deshalb richtig ist, weil die Kenntnis der bisherigen Rechtslage auch durch Umstände außerhalb des Handelsregisters begründet sein kann.[39] Im Hinblick auf den Normzweck des § 15 I HGB ist dem Anmeldepflichtigen – entgegen einer Literaturauffassung[40] – auch der Gegenbeweis hinsichtlich der Unkenntnis der vertrauensbegründenden Tatsachen zu versagen.[41] Andernfalls würden die mit § 15 I HGB intendierten Erleichterungen des Handelsverkehrs verwässert und der Dritte letztlich dennoch gezwungen, im Handelsregister Einsicht zu nehmen.[42]

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hh) Nach dem Wortlaut des § 15 I HGB kommt es für dessen Anwendung nicht darauf an, warum die Eintragung bzw. Bekanntmachung unterblieben ist; anders als bei § 15 III HGB (unten Rn. 110 ff.) entspricht dies auch unstreitig der gesetzgeberischen Wertung.[43] In diesem Sinne ist es auch nicht erforderlich, dass dem Anmeldepflichtigen die Unterlassung zugerechnet werden kann.[44] Auch Verzögerungen oder Fehler des Registergerichts[45] gehen zu seinen Lasten; ggf. bestehen Regressansprüche aus Amtspflichtverletzung gem. Art. 34 GG, § 839 BGB.[46] Da es auf die Zurechenbarkeit nicht ankommt, gilt § 15 I HGB schließlich auch zu Lasten von beschränkt Geschäftsfähigen und Geschäftsunfähigen.[47]

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Fall 8:[48]

Veräußert ein Minderjähriger ein ererbtes Handelsgeschäft einschließlich der Firma mit Zustimmung des Familiengerichts (vgl. § 1822 Nr. 3 BGB) und unterbleibt die Eintragung im Handelsregister (vgl. § 31 I HGB), dann resultiert daraus eine Haftung des Minderjährigen nach § 15 I iVm § 27 HGB für die Verbindlichkeiten des späteren Erwerbers.

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Hiermit wird keineswegs der bürgerlichrechtliche Minderjährigenschutz überspielt. Denn die Unwirksamkeitsfolge der §§ 106 ff. BGB beschränkt sich auf Willenserklärungen des Minderjährigen. Dabei muss es auch im Grundsatz bleiben. Allerdings steht hier die Wirksamkeit der vom Minderjährigen abgegebenen Willenserklärung nicht in Frage. Die Veräußerung war letztlich durch die familiengerichtliche Zustimmung legitimiert. Dementsprechend erscheint auch die Haftung des Minderjährigen als konsequente Folge der familiengerichtlichen Zustimmung.

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Nur für den Fall einer Fälschung des Handelsregisters durch eine unbefugte Privatperson oder bei einer von außen kommenden Beeinträchtigung der Verfahrensintegrität durch Täuschung, Drohung oder vis absoluta findet § 15 I HGB keine Anwendung. Denn nach der Lehre vom unwirksamen Rechtsscheinträger[49] entfällt die Legitimationswirkung des Handelsregisters in diesen Fällen ebenso wie die Rechtsscheinwirkungen von Grundbuch[50] und Erbschein[51].

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ii) § 15 I HGB schützt nur Dritte, die geeignet sind, den redlichen Rechtsverkehr zu repräsentieren, also etwa nicht die Gesellschafter einer OHG, auch nicht im Rahmen von Drittgeschäften.[52] Bei Gesellschaftern von Kapitalgesellschaften kann dies aufgrund des Trennungsprinzips anders sein.[53]

c) Rechtsfolgen

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aa) Die eintragungspflichtige Tatsache kann „von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war“, dem gutgläubigen Dritten „nicht entgegengesetzt werden“. Dies bedeutet: Der Anmeldepflichtige (Unternehmen, Einzelkaufmann, Gesellschafter) – einschließlich seiner Rechtsnachfolger – kann sich gegenüber dem redlichen Dritten nicht auf die Wirkung der eintragungspflichtigen Tatsache berufen, d.h. die Änderung der Rechtslage nicht geltend machen.

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bb) Der Dritte kann, muss aber nicht die Rechtsfolge des § 15 I HGB für sich nutzen. Er hat vielmehr ein Wahlrecht und kann sich daher auch unter Verzicht auf die Rechtsscheinwirkung für die der Wirklichkeit entsprechende geänderte Rechtslage entscheiden, wenn er dies für günstiger erachtet.[54]

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cc) Im Schrifttum teilweise auf heftige Kritik gestoßen ist indes die Auffassung des BGH, wonach im Falle, dass die nicht eingetragene Tatsache dem Dritten teils zum Vorteil und teils zum Nachteil gereicht, der Dritte sein Wahlrecht im Sinne einer Meistbegünstigung ausüben dürfe (sog. „Rosinentheorie“).

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Fall 9[55]

soll die Problematik verdeutlichen:[56] In der A+B-KG ist für die beiden Komplementäre A und B Gesamtvertretung vereinbart, was auch ordnungsgemäß eingetragen und bekanntgemacht wird. Nachdem A, ohne dass dies zum Handelsregister angemeldet wurde, aus der KG ausgeschieden ist, schließt B mit X einen Kaufvertrag. Kann X hierfür den A in Anspruch nehmen?

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Nimmt man an, dass X sich zwischen der Registerlage und der wahren Rechtslage entscheiden muss, dann wäre in beiden Alternativen ein Anspruch gegen A nicht begründet: Nach der Registerlage hätte B allein die KG nicht verpflichten können, so dass auch keine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet worden wäre. Stützt sich X hingegen auf die wirkliche Rechtslage, dann ist zwar ein Anspruch gegen die KG entstanden, doch würde A als ausgeschiedener Gesellschafter für die nach seinem Ausscheiden neu begründete Verbindlichkeit nicht mehr haften.[57]

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Der BGH und ein Teil der Lehre gehen die Problematik indes anders an:[58] Zunächst wird – wie in der gutachterlichen Klausurlösung – untersucht, ob eine Verbindlichkeit der KG vorliegt; dies ist (nach der wirklichen Rechtslage) unzweifelhaft der Fall, weil nach dem Ausscheiden von A nunmehr der einzige Komplementär B allein zur Vertretung der KG berechtigt ist. Die (noch im Handelsregister eingetragene) Regelung zur Gesamtvertretung ist obsolet geworden und hindert B nicht daran, die KG allein zu vertreten. Da § 15 I HGB nur den Dritten, nicht aber den Anmeldepflichtigen schützen soll, kann sich A auf die fehlerhafte Registereintragung nicht berufen. Für diese KG-Verbindlichkeit haften sowohl A als auch B gem. §§ 128, 161 II HGB persönlich. A kann sich gem. § 15 I HGB gegenüber X nicht darauf berufen, dass er – nach seinem Ausscheiden – kein Gesellschafter mehr ist. Der Anspruch von X gegen A ist daher begründet.[59]

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Von der Gegenauffassung wird diese Lösung indes als „vordergründig und positivistisch“ zurückgewiesen und als „Rosinentheorie“ diskreditiert. § 15 I HGB wolle den Dritten nur vor Nachteilen aus der unterlassenen Eintragung und Bekanntmachung schützen, ihn aber nicht besser stellen, als er nach der Registerlage stehen würde.[60] Dieser Einwand ist jedoch verfehlt, weil er auf einer Missdeutung des § 15 I HGB beruht. Es ist dogmatisch unzutreffend, den Sachverhalt entweder unter Zugrundelegung der Registerlage oder unter Zugrundelegung der wahren Rechtslage komplett durchzuprüfen. § 15 I HGB darf vielmehr nur bei der tatbestandlichen Voraussetzung ins Spiel gebracht werden, wo das Unterlassen der Eintragung und Bekanntmachung einer eintragungspflichtigen Tatsache zuungunsten des Dritten von der wirklichen Rechtslage abweicht. Dies ist im Beispiel nur im Hinblick auf das Ausscheiden des A der Fall. Die übrige Falllösung richtet sich hingegen allein nach der wirklichen Rechtslage.[61]

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dd) Bestätigt wird dieses Ergebnis durch ein weiteres „Lehrstück zu § 15 I HGB“[62], das die Problematik der Geschäftsunfähigkeit eines Stellvertreters zum Gegenstand hat.

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Fall 10:

G ist als Geschäftsführer der D-GmbH in das Handelsregister eingetragen; die Eintragung wurde ordnungsgemäß bekanntgemacht. K ist Inhaber eines von G für die GmbH akzeptierten Wechsels, der nicht bezahlt wurde. Der bei seiner Bestellung gesunde G war später im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Wechsels unerkannt geisteskrank.

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In Betracht kommt ein Anspruch aus Art. 28 I WG. Danach muss der Bezogene – hier: die D-GmbH – den Wechsel bei Ausfall bezahlen, wenn sie ihn wirksam angenommen hat. Dies setzt voraus, dass G im fraglichen Zeitpunkt tatsächlich Geschäftsführer der G war. Indes ist das Geschäftsführeramt des G mit dem Eintritt der (unerkannten) Geisteskrankheit erloschen. Denn zum GmbH-Geschäftsführer kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person bestellt werden (§ 6 II 1 GmbHG).[63] Verliert ein Geschäftsführer nachträglich die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit, so enden automatisch sein Geschäftsführeramt und seine (organschaftliche) Vertretungsbefugnis.[64] Diesen Mangel kann die D-GmbH dem gutgläubigen K jedoch gem. § 15 I HGB nicht entgegenhalten, da die Beendigung des Geschäftsführeramtes und damit die fehlende Vertretungsbefugnis gem. § 39 I GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden gewesen wäre.[65] Dass die Beendigung des Geschäftsführeramtes seinen Grund in der fehlenden Geschäftsfähigkeit des G hatte, erklärt der BGH für unerheblich. Zu Recht: Für den Schutz des Dritten im Rahmen des § 15 I HGB ist es ohne Bedeutung, warum die (eintragungspflichtige) Tatsache nicht eingetragen oder bekanntgemacht wurde (Rn. 84).

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Mit Hilfe von § 15 I HGB wurde indes allein die Tatsache der unrichtigen Geschäftsführerbestellung und damit der Mangel der Vertretungsbefugnis beseitigt, nicht jedoch die Geschäftsunfähigkeit des G als solche. Daher führt die Anwendung des § 15 I HGB auch nicht zu dem Ergebnis, dass die Erklärungen des vermeintlichen Geschäftsführers – entgegen der §§ 105 ff. BGB – als wirksam anzusehen sind. G hat somit zwar mit (unterstellter) Vertretungsbefugnis gehandelt; seine als Vertreter abgegebene Erklärung war jedoch gem. § 105 I BGB nichtig (arg e § 165 BGB).[66] Allerdings kommt eine Haftung der (übrigen) Gesellschafter nach allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen[67] in Betracht, wenn sie die Geschäftsunfähigkeit schuldhaft nicht erkannt und deshalb keine Konsequenzen gezogen haben.[68]

100

Merke:

Der Mangel der Geschäftsunfähigkeit kann generell nicht mit Hilfe des § 15 I HGB überwunden werden, da das Erlöschen der Geschäftsfähigkeit keine Tatsache darstellt, die in das Handelsregister einzutragen ist.[69]

101

Daher nochmals:[70] § 15 I HGB führt nicht dazu, dass ein bestimmter Fiktivsachverhalt zugunsten des gutgläubigen Dritten als wahr unterstellt wird – hier: die den Fortbestand der Vertretungsbefugnis gewährleistende Geschäftsfähigkeit des G. Der Schutz der Vorschrift beschränkt sich vielmehr darauf, dass die eintragungspflichtige Tatsache der Beendigung des Geschäftsführeramtes (§§ 6 II 1, 39 I GmbHG) nicht als Einwand geltend gemacht werden kann. Im Übrigen wird der weiteren Falllösung jedoch die wirkliche Rechtslage zugrunde gelegt – hier: die Abgabe einer Willenserklärung vom vermeintlich vertretungsbefugten Geschäftsführer, die jedoch gem. § 105 I BGB nichtig ist.