Examens-Repetitorium Handels- und Gesellschaftsrecht

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4. Fiktivkaufmann

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Die Regelung in § 5 HGB resultiert aus dem öffentlichen Glauben an die Richtigkeit des Handelsregisters (unten Rn. 51). Daher ist gegenüber demjenigen, der sich auf die Firmeneintragung beruft, der Einwand ausgeschlossen, das betriebene Gewerbe sei kein Handelsgewerbe. Da diese Rechtsfolge auch zugunsten eines bösgläubigen Dritten und sogar gegenüber dem Unternehmer selbst gilt,[23] handelt es sich nicht um eine Rechtsscheinvorschrift.[24]

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Problematisch ist seit der Handelsrechtsreform von 1998 die Abgrenzung gegenüber einer Eintragung gem. § 2 HGB. Es stellt sich nämlich die Frage, ob dem § 5 HGB überhaupt noch ein relevanter Anwendungsbereich verbleibt, da mit der (heute zulässigen) Eintragung des kleingewerblichen Unternehmers dieser zum Kaufmann wird (oben Rn. 13) und somit für eine gesetzliche Fiktion – im Gegensatz zur früheren Rechtslage – prima vista kein Bedürfnis mehr existiert. Dieser Befund hat einen sehr heftigen akademischen Streit ausgelöst,[25] der jedoch kaum praktische Bedeutung hat und auch in der Klausurbearbeitung regelmäßig dahinstehen kann.

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Paradigmatisch ist das Herabsinken des Istkaufmanns zum Kleingewerbetreibenden. Stellt man allein auf das objektive Kriterium der Eintragung ab, ist in Anwendung des § 2 S. 1 HGB die Kaufmannseigenschaft trotz Einschränkung des Geschäftsumfangs zu bejahen.[26] Verlangt man mit der Gegenposition eine positive Ausübung des in § 2 S. 2 HGB niedergelegten Optionsrechts, scheidet die Anwendung des § 2 S. 1 HGB aus und § 5 HGB schützt die berechtigten Interessen des Rechts- und Handelsverkehrs.[27]

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Wichtig:

Es muss ein Gewerbe betrieben werden (zum Begriff unten Rn. 25). Allein die Eintragung eines nichtgewerblichen Unternehmens vermag nach herrschender und zutreffender Auffassung[28] den fiktiven Kaufmannsstatus nicht zu begründen.[29] Denn § 5 HGB fingiert nach seinem klaren Wortlaut – wie § 2 S. 1 HGB (oben Rn. 22) – lediglich, dass das betriebene Gewerbe ein Handelsgewerbe ist. Bei Eintragung eines Unternehmens ohne Gewerbebetrieb kommt zugunsten des gutgläubigen Rechtsverkehrs allerdings § 15 III HGB zur Anwendung (unten Rn. 110).[30]

§ 2 Kaufmannseigenschaft › II. Der Grundtatbestand des § 1 HGB

II. Der Grundtatbestand des § 1 HGB

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Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt; Handelsgewerbe ist jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.

1. Betrieb eines Gewerbes

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a) Was ein „Gewerbebetrieb“ ist, definiert das Gesetz nicht. Nach allgemeiner Meinung müssen jedoch folgende Merkmale erfüllt sein:[31]


Es muss sich um eine selbstständige Tätigkeit handeln; Anhaltspunkte für die Abgrenzung gibt § 84 I 2 HGB. Maßgeblich ist demnach, ob die Tätigkeit im Wesentlichen frei gestaltet und die Arbeitszeit selbst bestimmt werden kann.

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b) Als negatives Tatbestandsmerkmal sind aus dem Gewerbebegriff Tätigkeiten künstlerischer, wissenschaftlicher, sportlicher oder freiberuflicher Art auszuscheiden. Hier steht die höchstpersönliche Leistung im Vordergrund, die nicht unter den Gewerbebegriff fällt. Dies ist teilweise gesetzlich angeordnet (s. etwa § 2 II BRAO; § 2 S. 3 BNotO; § 1 II BundesärzteO; § 1 II WiPrO; vgl. weiter § 1 II PartGG)[41] und im Übrigen durch eine gefestigte Rechtstradition im Rang von Gewohnheitsrecht begründet. Auch eine Anwendung des § 5 HGB scheidet nach zutreffender hM aus (Rn. 20, 23); in Betracht kommt aber die Anwendung der Lehre vom Scheinkaufmann (Rn. 37).

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Abgrenzungsprobleme treten auf, wenn ein Unternehmer sowohl freiberuflich als auch gewerblich tätig wird: Der Arzt betreibt zusätzlich ein Sanatorium, der Architekt ein Bauträgergeschäft, der Künstler produziert in Serie. Hier ist zu differenzieren: Ist die unternehmerische Tätigkeit organisatorisch getrennt, so werden zwei Unternehmen betrieben, ein freiberufliches und ein gewerbliches.[42] Liegt dagegen keine organisatorische Trennung vor („gemischtes Unternehmen“), so ist nach hM entscheidend, welche Komponente den Schwerpunkt der Tätigkeit bildet.[43]

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c) Streitig ist, ob der Gewerbebegriff die Absicht der Gewinnerzielung erfordert. Entgegen der früher ganz hM[44] verzichtet heute die hL darauf.[45] Praktische Relevanz hat die Frage hinsichtlich der Kaufmannseigenschaft von öffentlichen Unternehmen, die nicht bereits kraft Rechtsform Kaufmann sind:[46]

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Fall 2:

Die Stadt X betreibt den Schlachthof S als Eigenbetrieb, der nach seiner Satzung keinen Gewinn erzielen soll. Im Rahmen von Geschäftsbeziehungen zur Großschlachterei des G stellt sich die Frage, ob S Kaufmann ist.

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Entgegen dem OLG Stuttgart[47] kann es für die Anwendung der handelsrechtlichen Vorschriften nicht auf die Gewinnerzielungsabsicht ankommen. Ausreichend ist vielmehr, dass S am Wirtschaftsleben durch das entgeltliche Auftreten am Markt (Rn. 25) teilnimmt. Allein der Verzicht auf Gewinn rechtfertigt keine privilegierte Behandlung.[48] Insbesondere ist es mit dem durch das Handelsrecht intendierten Verkehrsschutz unvereinbar, auf rein innerliche Tatsachen abzustellen. Zutreffend hat daher auch der BGH die Kaufmannseigenschaft der damaligen Deutschen Bundesbahn bejaht[49] (heute ist die Deutsche Bahn AG Kaufmann gem. § 6 HGB iVm § 3 I AktG: oben Rn. 14). Demgegenüber ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts nicht Kaufmann, solange sie ausschließlich öffentliche Aufgaben erfüllt, da eine Tätigkeit, die allein und herkömmlich mit der Zielrichtung einer öffentlichen Aufgabe betrieben wird, grundsätzlich nicht den Gewerbebegriff erfüllt.[50] Gleiches gilt für einen kommunalen Zweckverband, der sich ausschließlich öffentlichrechtlich ausgestalteter Handlungsformen bedient (oben Rn. 25).[51]

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d) Die zivilrechtliche Wirksamkeit der vom Unternehmer getätigten Geschäfte ist für das Vorliegen eines Gewerbes nach heute herrschender und zutreffender Lehre nicht erforderlich.[52] So kann etwa auch der Ehevermittler trotz der Unklagbarkeit seiner Entgeltforderung (§ 656 BGB)[53] oder der Kreditwucherer trotz der Sittenwidrigkeit der Darlehen (§ 138 BGB)[54] Kaufmann sein. Die Voraussetzung des „ehrbaren Kaufmanns“ ist dem HGB fremd – anders als dessen Leitbild in den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex.[55] Warum soll etwa der Waffenhändler (vgl. § 134 BGB) vor den Gefahren der mündlich abgegebenen Bürgschaft (vgl. bereits Rn. 19) geschützt werden?[56] Für die hier vertretene Auffassung spricht auch, dass das Fehlen öffentlichrechtlicher Voraussetzungen von § 7 HGB ausdrücklich für unbeachtlich erklärt wird.[57] Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Drogenhändler als Kaufmann in das Handelsregister einzutragen wäre; eine verbotene Tätigkeit ist vielmehr von den zuständigen Behörden zu unterbinden.[58]

 

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e) Kaufmann ist derjenige, der das Gewerbe im eigenen Namen betreibt. Dies kann zB auch der Pächter des Unternehmensgrundstücks sein. Im Falle der Treuhand ist Kaufmann der Treuhänder (auch der Strohmann), nicht der Treugeber.[59] Im Falle der Stellvertretung ist Kaufmann der Vertretene, nicht der Vertreter; das gilt auch für die Geschäftsführungsorgane einer Handelsgesellschaft (dazu schon oben Rn. 18).[60] Keine Rolle spielt dagegen, auf wessen Rechnung die Geschäfte getätigt werden (zB Kommissionär, § 383 HGB[61]).[62] Auch der beschränkt Geschäftsfähige kann Kaufmann sein, doch ändert dies nichts an der Geltung der §§ 104 ff. BGB.[63]

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f) Beginn und Ende der Kaufmannseigenschaft korrespondieren mit der gewerblichen Tätigkeit. Beim Istkaufmann ist die Registereintragung deklaratorisch, so dass es weder auf die Eintragung des Handelsgeschäfts noch auf deren Löschung ankommt (oben Rn. 12). Während die Planung und Errichtung des Handelsgewerbes für sich noch unzureichend sind,[64] genügen nach zutreffender hM Vorbereitungs- und Anlaufgeschäfte, die auf den Betrieb eines in kaufmännischer Art und Weise eingerichteten Gewerbebetriebs gerichtet sind, wie zB der Abschluss von Miet- und Arbeitsverträgen.[65] Umgekehrt können auch Abwicklungsgeschäfte in maßgeblichem Umfang ein Handelsgewerbe begründen, nicht aber die reine Vermögensverwaltung (oben Rn. 25).[66]

2. Ausnahme: Kleingewerbe

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a) Kleingewerbetreibende sind gem. § 1 II Hs. 2 HGB ex lege keine Kaufleute. Sie können den Kaufmannsstatus nur durch ihre Eintragung in das Handelsregister gem. § 2 HGB erlangen (oben Rn. 13).

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b) Für die Frage, wann ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist, verweist das Gesetz auf „Art oder Umfang“ der unternehmerischen Tätigkeit. Im Ergebnis nimmt die hM eine Gesamtbetrachtung vor, wobei Kriterien insbesondere die Zahl und Art der Geschäfte, Höhe von Kapital und Umsatz, Zahl der Beschäftigten sowie Vielfalt der Erzeugnisse sind. Entscheidend ist, ob die Anwendung der kaufmännischen Regelungen über Buchführung und Bilanzierung, über Firmenbildung und Mitarbeiterorganisation (Lohnbuchhaltung, Prokura usw.) auf das konkrete Unternehmen sachlich geboten ist; demgegenüber ist die tatsächliche Einrichtung des Gewerbebetriebs ohne Belang. Die Kasuistik der Rechtsprechung ist uneinheitlich.[67] Jedenfalls ab einem Umsatz in Höhe von 500 000 € pro Jahr ist die Schwelle zum Handelsgewerbe überschritten.[68] Auch wenn die Voraussetzungen des § 1 II Hs. 2 HGB im Einzelfall zweifelhaft sein können, bereiten unklare Sachverhalte in einer Klausur regelmäßig kein Problem. Denn nach der negativen Formulierung („es sei denn“) ist zu vermuten, dass ein Gewerbebetrieb „groß“ und daher als Handelsgewerbe zu qualifizieren ist.

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c) Das bedeutet für die Klausurbearbeitung: Finden sich im Sachverhalt keine Anhaltspunkte, die gegen das Bedürfnis nach einem in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb streiten, ist nach § 1 II HGB das Vorliegen eines Handelsgewerbes und damit die Kaufmannseigenschaft zu unterstellen.[69]

§ 2 Kaufmannseigenschaft › III. Scheinkaufmann

III. Scheinkaufmann

1. Grundlagen und Dogmatik

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Tritt eine Person, die nicht im Handelsregister eingetragen ist – so dass weder § 2 HGB und § 5 HGB (oben Rn. 13, 20) noch § 15 HGB (unten Rn. 59 ff.) zur Anwendung kommen –, im Rechtsverkehr wie ein Kaufmann auf, obwohl sie kein Handelsgewerbe betreibt, so muss sie sich gegenüber einem Dritten, der auf diesen Rechtsschein vertraut hat, so behandeln lassen, als sei sie Kaufmann.[70] Diese Lehre vom Scheinkaufmann ist ein wichtiger Unterfall der allgemeinen Rechtsscheinhaftung (siehe auch unten Rn. 816).[71] Mit den Bedürfnissen einer zügigen und rechtssicheren Abwicklung von Handelsgeschäften ist es nicht vereinbar, wenn der redliche Vertragspartner jeweils die Kaufmannseigenschaft nachprüfen müsste. Daher müssen sich Personen, die wie Kaufleute am Markt auftreten, im überindividuellen Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechts- und Handelsverkehrs, gegenüber gutgläubigen Dritten auch als solche behandeln lassen. In der Klausur ist an die Fallgruppe des Scheinkaufmanns immer dann zu denken, wenn die Kaufmannseigenschaft bisher nicht auf anderem Wege bejaht werden konnte. Die Rechtsfigur ist subsidiär zu §§ 1, 2, 3, 5, 15 HGB und insbesondere für Freiberufler sowie nichteingetragene Kleingewerbetreibende relevant.[72]

2. Tatbestandsvoraussetzungen

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In der Sache gelten die allgemeinen Rechtsscheingrundsätze[73]:

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a) Zunächst muss der Nichtkaufmann den Rechtsscheintatbestand in zurechenbarer Weise gesetzt haben, wie zB durch Verwendung von „e.K.“ auf dem Briefbogen oder durch Erteilung einer Prokura, wozu nach § 48 I HGB nur ein Kaufmann berechtigt ist.[74] Demgegenüber ist ein rein tatsächliches, kaufmannstypisches Verhalten, wie zB im Rahmen von Vertragsverhandlungen, in Ermangelung rechtlicher Qualität nicht ausreichend.[75] Der Rechtsscheintatbestand ist dem Nichtkaufmann zurechenbar, wenn er ihn selbst veranlasst hat oder er zumindest für die Veranlassung durch einen Dritten verantwortlich ist. Das setzt kein Verschulden aufseiten des Nichtkaufmanns voraus.[76] Eine Zurechnung kommt auch durch Unterlassen in Betracht, und zwar wenn der Betroffene nachträglich vom nicht veranlassten Rechtsschein Kenntnis erlangt oder zumindest hätte erlangen müssen, aber gleichwohl nicht für die Beseitigung sorgt.[77] Umgekehrt scheidet eine Zurechnung des Rechtsscheins bei Geschäftsunfähigen und beschränkt Geschäftsfähigen nach den allgemeinen Grundätzen der Vertrauenshaftung und des Minderjährigenschutzes aus.[78] Anders als etwa bei § 15 I HGB (unten Rn. 59 ff.) geht hier Minderjährigenschutz stets vor Verkehrsschutz.

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b) Der zurechenbar gesetzte Rechtsschein muss weiterhin für den Abschluss des Rechtsgeschäfts kausal gewesen sein.[79] Nach allgemeinen Grundsätzen wird die Kausalität vermutet; der Nichtkaufmann muss also darlegen und notfalls beweisen, dass der Dritte im Zeitpunkt seiner Vertrauensdisposition – regelmäßig beim Vertragsschluss – nicht auf den Rechtsschein vertraut hat.[80]

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c) Schließlich muss der Dritte in Bezug auf die vermeintliche Kaufmannseigenschaft auch gutgläubig gewesen sein. In Anlehnung an § 932 II BGB schadet in diesem Zusammenhang positive Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis.[81] Zwar sprechen die Wertungen der §§ 173, 405 BGB außerdem für die Einbeziehung bereits einfacher Fahrlässigkeit. Allerdings würde das Schutzanliegen der Rechtsscheinhaftung weitgehend sinnentleert, wäre der andere Teil stets verpflichtet, die Richtigkeit der von einem Vertragspartner getroffenen Angaben zu überprüfen. Schadete also bereits leichte Fahrlässigkeit, mangelte es der Rechtsscheinhaftung an der notwendigen Effektivität, als wirksames Schutzinstrument der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs zu dienen.[82] Der Dritte braucht daher normalerweise keine Nachforschungen über die Kaufmannseigenschaft seines Gegenübers anzustellen. Eine entsprechende Nachforschungsobliegenheit trifft den Dritten nur bei Vorliegen besonderer Verdachtsmomente.[83]

3. Rechtswirkungen

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a) Umstritten ist auf Rechtsfolgenseite, ob alle handelsrechtlichen Regelungen, die zwingende BGB-Schutzvorschriften abbedingen, auf den Scheinkaufmann Anwendung finden:

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Fall 3:

Der nicht im Handelsregister eingetragene Kleinhandwerker H ist gegenüber seinem Vertragspartner V als Kaufmann H aufgetreten und hat für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung eine hohe Vertragsstrafe versprochen. Da H in Verzug gerät, macht V die Vertragsstrafe geltend. H verlangt Herabsetzung gem. § 343 BGB.

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Das Herabsetzungsverlangen ist gem. § 348 HGB ausgeschlossen, wenn H Kaufmann ist. Zwar ist H laut Sachverhalt „klein“ und nicht eingetragen, daher weder Istkaufmann (vgl. § 1 II Hs. 2 HGB) noch Kannkaufmann gem. §§ 1 I, II, 2 S. 1 HGB. Allerdings könnte § 348 HGB auf H anwendbar sein, weil er sich aufgrund des zurechenbar gesetzten Rechtsscheins gegenüber dem gutgläubigen V als Kaufmann behandeln lassen muss.[84] Jedenfalls für Kleingewerbetreibende wie H (oben Rn. 13) ist dies anzunehmen,[85] weil es diese Personengruppe selbst in der Hand hat, für das Kaufmannsrecht zu optieren (§ 2 S. 1 HGB) und sich so der zwingenden BGB-Schutzvorschriften zu begeben. Ein Teil des Schrifttums geht sogar noch weiter und lässt – nicht nur bei arglistigem Handeln – die Durchbrechung zwingender BGB-Schutzvorschriften auch bei nichtgewerbetreibenden Scheinkaufleuten zu.[86]

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b) Der Rechtsschein wirkt stets nur zugunsten des Dritten, nie zugunsten des Scheinkaufmanns[87] (beachte hingegen: die Rechtswirkungen des § 5 HGB gelten auch zugunsten des Fiktivkaufmanns, vgl. oben Rn. 20). Umstritten ist allerdings, ob die Rechtswirkungen des § 366 HGB im Falle des Handelns eines Scheinkaufmanns zulasten des Eigentümers eintreten können:

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Fall 4:[88]

Der eingetragene Kannkaufmann K beschließt, das Sortiment seines Modegeschäfts auf einen anderen Lieferanten umzustellen. Er verschickt deshalb zum Abverkauf auf Geschäftsbriefpapier gedruckte Einladungen an seine besten Kunden. Aufgrund einiger Misserfolge in den Tagen danach beschließt K, sein Geschäft vollständig aufzugeben. Die Löschung der Firma wird wenig später vorgenommen und bekanntgemacht. Als K die Geschäftsabwicklung schon weitgehend abgeschlossen hat, betritt der befreundete G – durch die Einladung angelockt – den Laden, der von der Geschäftsaufgabe jedoch nichts weiß. Aus einem früheren Gespräch weiß G aber, dass K alle Kleidungsstücke vom Lieferanten L unter Eigentumsvorbehalt bezieht, nicht aber, dass wegen großer Außenstände L dem K bereits vor Monaten den Weiterverkauf bis zur vollständigen Zahlung untersagt hat. Gleichwohl verkauft K dem G einen Mantel, für den noch einige Raten ausstehen. Nachdem L davon erfährt, verlangt er von G Herausgabe.

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Durch die aufschiebend bedingte Übereignung (§§ 929 S. 1, 158 I BGB) scheidet ein Eigentumsverlust des L an K aus, da infolge noch ausstehender Raten die Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung für den Mantel nicht eingetreten ist. Auch ein gutgläubiger Erwerb des G von K nach §§ 929 S. 1, 932 BGB scheitert, weil G bekannt war, dass K nicht Eigentümer der Ware ist. In Betracht kommt ein redlicher Erwerb nur nach § 366 I HGB, weil G zumindest an die Verfügungsbefugnis des K glaubte (dazu ausf. unten Rn. 303 ff.). Allerdings hatte K seinen Gewerbebetrieb gerade aufgegeben und die Firma war auch im Handelsregister gelöscht, so dass weder § 2 noch § 5 HGB eingreifen. Zwar können auch Abwicklungsgeschäfte eine Kaufmannseigenschaft nach § 1 HGB begründen.[89] Abgesehen davon, dass K die Abwicklung schon weitgehend beendet hatte, erforderte sein Modegeschäft auch keine kaufmännische Einrichtung iSd § 1 II HGB. Umstritten ist nun, ob ein gutgläubiger Erwerb nach § 366 I HGB auch vom Scheinkaufmann in Betracht kommt. Während dies die hM[90] unter Hinweis darauf verneint, dass die nachteiligen Wirkungen des § 366 I HGB hier nicht den Scheinkaufmann treffen, sondern den Eigentümer, der sich das Handeln des Scheinkaufmanns hingegen nicht zurechnen lassen muss, meint die Gegenauffassung[91], dass es für den redlichen Erwerber keinen Unterschied mache, ob der Verfügende tatsächlich Kaufmann sei oder dies nur vorspiegele.

 

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Wenn die Gegenauffassung nun auf die subjektive Sichtweise des Erwerbers abstellen will, dann übersieht sie, dass – nach der Lehre vom unwirksamen Rechtsscheinträger[92] – der bloße Anschein für das Vorliegen eines Vertrauenstatbestands als taugliche Legitimationsgrundlage für einen redlichen Erwerb nicht ausreicht. Legitimationsgrundlage für das Eingreifen des § 366 I HGB ist die Eigenschaft des Veräußerers als Kaufmann im Rechtsverkehr. Hier vertraute G auf das bloße Gerede des K, nicht aber auf einen tatsächlich vorliegenden Rechtsscheinträger. Daher muss die von § 366 I HGB intendierte Lösung des Interessenkonflikts – mangels Zurechnung gegenüber dem wahren Eigentümer – zulasten des redlichen G ausfallen.[93]

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Abwandlung zu Fall 4:

Wie ändert sich die Rechtslage, wenn durch den Antrag des K beim Registergericht nicht seine Firma, sondern versehentlich die des Konkurrenten H gelöscht wird?

50

Hier war K noch fälschlich im Handelsregister als Kaufmann eingetragen. § 5 HGB kommt nicht zur Anwendung, da K im Zeitpunkt der Veräußerung sein früheres Gewerbe nicht mehr ausübte. Das Betreiben des Gewerbebetriebs ist aber Voraussetzung für § 5 HGB: oben Rn. 20. Nach verbreiteter Auffassung muss jedoch der Eigentümer L als Dritter gem. § 15 I HGB die Wirkungen der fehlenden Handelsregistereintragung gegen sich gelten lassen (negative Publizität des Handelsregisters: unten Rn. 59 ff.), obgleich nicht er, sondern der zur Eintragung verpflichtete K Adressat des § 15 I HGB ist.[94] Dieses Ergebnis mag zwar angesichts der Registerpublizität naheliegen. Der Wortlaut des § 15 I HGB ist insofern jedoch klar: Die einzutragende Tatsache kann einem Dritten nur „von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war“, nicht entgegengesetzt werden. Zudem ist auch der Eigentümer Dritter iSd § 15 HGB und dementsprechend stets berechtigt, sich auf die wahre Rechtslage zu berufen. Mithin kann § 366 I HGB auch in dieser Situation nicht zulasten des wahren Eigentümers wirken.[95] Daher gilt § 366 HGB weder für den Scheinkaufmann noch für den im Handelsregister eingetragenen Nichtkaufmann (§ 15 I HGB).