Kālī Kaula

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Die Soma-Riten verloren schließlich ihre Bedeutung. Wasson vermutete, dass dies geschah, als sich die arischen Stämme von den kalten Bergwäldern des Himalayas entfernten, wo die Fliegenpilze in der Gesellschaft von Birken, Fichten und Kiefern wuchsen. Ich bezweifle das. Die Eroberung Indiens begann nicht im Himalaya, sondern in den warmen und flachen Flussländern des Punjab. Als sie in diesem Land siedelten, machten die Seher Soma und fuhren damit Jahrhunderte lang fort, während sie durch Indien zogen. Möglicherweise experimentierten sie die ganze Zeit mit den verfügbaren Pflanzen und entwickelten eine ganze Reihe verschiedener Somatränke.

Nebenbei bemerkt: das Somaritual mag ja der Höhepunkt der vedischen Opfertraditionen gewesen sein, aber es war nun wirklich nicht das einzige exzessive Ritual. Das Spektrum an Opferriten und die Anzahl der dazu benötigten, gut geschulten Ritualisten sind einfach nur erstaunlich. Und zu den täglichen und gelegentlichen Opfern, sowie den Ahnenkulten, kamen noch solche, die den Machtbereich eines Königs, mit dem Segen der Götter, ausdehnten. Am berühmtesten ist das Pferdeopfer (Aśvamedha). Dieses Ritual wurde nur von Großkönigen vollzogen, welche sich ihrer Sache wirklich sicher waren. Nach einem Jahr ritueller Vorbereitung wurde ein geweihter Hengst im Frühjahr Richtung Nordosten frei laufen gelassen; der König ließ ihn durch Späher, Elitekrieger und Prinzen verfolgen, die auf die Königswürde hoffen, denn dem Hengst durfte das ganze Jahr lang kein Leid geschehen. Der Hengst repräsentierte die Sonne, und manchmal auch Indras Wohlwollen: wohin er lief wurde das Land gesegnet. Dazu kamen noch hundert alte und kastrierte Pferde. Jetzt kam es darauf an, den Hengst mehr oder weniger freiwillig das Reich umrunden zu lassen. Er durfte nicht verletzt oder gefangen werden und auch nicht rückwärts laufen, denn das tut die Sonne auch nicht. Auf keinen Fall durfte er schlechtes Wasser trinken oder eine Stute begatten. Am Ende des Jahres wurde der Hengst behutsam zurück getrieben, mit Pusuṣa, der sich selber opfert, identifiziert, und schließlich nach langen Zeremonien zusammen mit den anderen Rossen erstickt. Dann legte sich die Königin neben ihn, der Penis des Hengstes wurde in ihren Schoß gelegt, beide wurden zugedeckt, und es folgte eine Zeremonie, die bei allerhand frivolen Äußerungen die ganze Lebenskraft der Sonne in den Schoß der Königin brachte. Weitere Riten folgten, und zwar reichlich viele, denn der Abschluss dieses Rituals benötigte ein weiteres Jahr voller Zeremonie und Festlichkeit. Für einen vedischen Großkönig war das Pferdeopfer die grandioseste mögliche Segnung.

Soweit zum rituellen Teil: wir haben es mit einem Ritus zu tun, der unter anderem das Land segnete, Fruchtbarkeit gewährte, die ganze Potenz von Sonne, Land und Hengst in den Schoß der Königin leitete und ein für alle Mal klarstellte, dass der König absoluter, gottgewollter Herrscher ist. Dieser gewann dabei einen nahezu göttlichen Status und ein langes Leben. Wenn man nur in den allgemeinen vedischen Texten liest, könnte man meinen, es handele sich vor allem um eine Bestätigung der Großkönigswürde. Im MBH sieht die Welt ein wenig realistischer aus. Schon bald lief das Pferd, freiwillig oder ein wenig gedrängelt, in fremdes Territorium. Das gab Großkönig Yudhiṣthira und seinem Bruder Arjuna das Recht, dieses Land mit göttlichem Segen anzugreifen und zu einzunehmen. Und da das Ross ‚zufällig‘ immer wieder auf Fremdland lief, wurde bei seinem Segenszug eine ganze Reihe fremder Reiche eingesackt. Interessanterweise haben wir es hier auch mit Ideen zu tun, die im Tantra und in der Magie fortlebten. Zum Beispiel bedeutet eine rituelle Umrundung eines Gebietes, darüber Macht zu gewinnen und daraus Segen zu erhalten. Man ‚jochte‘ sich quasi mit dem Land zusammen. Noch heute umrunden Pilger die heiligen Berge der Götter, um Verdienst, magische Kraft oder Befreiung zu gewinnen. Während der Hochzeit geht das Paar sieben Male ums heilige Feuer, was die Ehe bindend macht. Könige umrundeten ihr Land einmal im Jahr – ein Brauch der auch bei den Inselkelten belegt werden kann, um Macht zu demonstrieren und die kosmische Ordnung zu erhalten. Und wenn ein schlecht gelaunter tantrischer Adept Macht gewinnen wollte, konnte er das Land eines Königs rituell umrunden und dabei die ganze Kraft der Königswürde an sich reißen. Der König blieb, ohne zu wissen wie ihm geschehen war, als wertlose Hülse auf dem Thron, verlassen vom Segen der Götter, während all die Kraft seines Reiches auf den Adepten überging.

Es würde hier zu weit führen, all die erstaunlichen und hochentwickelten Opferriten der vedischen Zeit anzusprechen. Denken wir an die Grundlagen: in diesem Buch geht es um die Wurzeln des Tantra. Die vedischen Riten entwickelten sich und wurden dann, in einem bisher noch weitgehend unerforschten Prozess, allmählich von neuen religiösen Ansichten verändert und verdrängt. In der späten vedischen Epoche wurden die Opferzeremonien kleiner und billiger, und zu Beginn der upaniṣadischen Epoche um 800 oder 700 v.u.Z. hatte die Bedeutung der drogeninduzierten Ekstase stark nachgelassen. Stattdessen können wir eine Entwicklung der Methoden beobachten, die die Transzendenz durch Verinnerlichung zu erreichen suchten. Die Seher der Upaniṣaden kümmerten sich wenig um Opferungen, Drogen und Rituale und begannen, das Göttliche durch Fasten, Tapas (Askese), Atemübungen, Isolation und verschiedene Formen von Meditation zu suchen.

Die vedische Religion

Werfen wir einen kurzen Blick auf die spirituelle Kultur der Veden. Weil das Thema enorm komplex ist, werde ich mich in der Hoffnung, dass sich nicht zu viele Gelehrte genervt fühlen, auf ein paar Verallgemeinerungen beschränken. Es gab grundsätzlich vier Sammlungen von alten Schriften, die Veden genannt wurden. Ein Veda ist ein Vorrat von Wissen. Er ist auch ein Glaube und eine Lebensart. Die Veden wurden nicht wirklich geschrieben oder erdichtet, sondern von den frühen Ṛṣi, den Sehern, ‘gesehen’. Der älteste ist der Ṛg Veda, der zwischen 1200 und 900 v.u.Z. zusammengestellt wurde. Er ist eine Sammlung von 1.028 Hymnen für eine Auswahl bedeutender Götter. Manche dieser Hymnen sind so alt, dass man sich fragen kann, ob sie noch vor der Invasion Indiens entstanden sind. An anderen wurde zweifellos später noch herumeditiert. Er ist eine unermesslich wertvolle Wissensquelle für die frühe Religion und Mythologie und bieten Einblicke in eine Kultur, die gerade dabei war, sich in einem neuen Heimatland zu formieren und eine gemeinsame Philosophie zu entwickeln. Die frühen Ārya waren eine eher einfache Kultur, die von Kriegern, Priestern und Bauern bestimmt war. In dieser Epoche gab es keine Kirchen und keine Tempel, und die Idee der Reinkarnation war noch nicht entwickelt. Der religiöse Schwerpunkt lag auf großen, kostspieligen Opfern, welche meist von Fürsten und Königen, aber auch manchmal von wohlhabenden Frauen finanziert wurden.

Als nächste wurde die Sāmaveda Saṁhitā, der Veda der Lieder und Arten zu singen, zusammengestellt. Er besteht aus Hymnen aus dem ṚV sowie einer kleinen Menge von neuem Material über sakrale Routinen. Im Yajurveda findest Du eine Zusammenstellung von heiligen Hymnen und Ritualen plus Weihungen, Sprüche, Mantras und rituelle Rätseln. Der vierte ist der Atharva Veda (AV), ein jüngeres Werk, das sich primär mit den Interessen der Hauspriesters befasst. Es vermischt ältere Hymnen aus dem ṚV mit neuen Ideen und einigen wirklich archaischen Bestandteilen. Vieles davon befasst sich mit Magie, dem Wirken von Sprüchen, Verzauberung, Kräuterkunde und allen Arten von Ritualen, um die Welt zu steuern. Dazu zählen auch Totenriten und Hochzeitszeremonien. Anders als die ersten drei fand der AV niemals universelle Anerkennung. Er ist von unermesslichem Wert für alle, die an Zaubersprüchen interessiert ist, an Invokation, dramatischem Exorzismus, ritueller Kosmologie, Kräuterkunde und hypnotischer Suggestion. Vieles davon ist brillante Dichtung.

Während die Gesellschaft der Ārya stark von den Träumen und Idealen des Kriegeradels bestimmt war, kam der Priesterklasse die Funktion zu, zwischen der Bevölkerung und den Göttern zu vermitteln.

Die Hauptsache an der Religion der frühen vedischen Epoche ist die Rolle des Priesters und der Opfer. Spirituelle Macht kam aus dem Wort, dem Lied und der Klangvibration der Veden, und in einem gewissen Sinne schrieb man den Veden eine größere Macht als den Göttern zu. In diesem Stadium gab es bereits eine große und kaum noch überschaubare Zahl an Gottheiten. Du kannst sie in zahlreichen Büchern über die indische Religion aufgelistet finden, aber wenn Du die originalen Hymnen genießen willst (bitte tu das!), wirst Du entdecken, dass es ganz und gar nicht leicht ist, eine angemessene Zusammenfassung von ihnen zu erstellen. Schon in der frühesten Epoche tauchen Götter in verschiedenen Gestalten auf, und gelegentlich verschmelzen sie miteinander. Eigenschaften, Symbole, Funktionen und Erscheinungsweisen können ausgetauscht werden. Dies zeigt, dass die Veden keineswegs ein homogenes System waren: Betrachte sie als eine Ansammlung von Glaubensvorstellungen der verschiedenen Stämme der Ārya mit zusätzlichem Material von den Einheimischen. Es wurden auch dauernd neue Götter erschaffen. Die Brahmanen liebten es, jede spezielle Kraft, jedes Ereignis oder Qualität als eine Gottheit zu verstehen. Jeder menschliche Charakterzug, jede Naturkraft und alles Ungewöhnliche konnte verehrt und als Gott oder Göttin personifiziert werden. Dies ist gesundes Denken: Wenn es stark ist, muss es göttlich sein. Das Ergebnis war eine Welt voller größerer und kleinerer Götter.

 

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Dreigesichtige Gottheit mit Büffelhörnern, von wilden Tieren umgeben. Wird von manchen als ein Prototyp des späteren Śiva angesehen. Mohenjo Daro, nach einem Gipsabdruck.

Werfen wir einen Blick auf die größeren Gottheiten: Der Ṛg Veda mit seinen 1028 Hymnen enthält ungefähr 250 Hymnen für Indra (und Indra-Varuṇa) und 206 Hymnen für Agni (plus 11 für Agni-Indra). Diese Gottheiten sind die beliebtesten von allen. Auf Platz Drei in den Charts ist Soma mit etwa 120 Hymnen, nahezu alle davon im 9. Buch. Wenn das neunte Buch nicht erhalten geblieben wäre, wüssten wir kaum von seiner Bedeutung. Auf dem vierten Platz sind ungefähr neunzig Hymnen, die sich an mehrere Götter gleichzeitig richten. Platz Fünf halten die reitenden Aśvins (54 Hymnen), Platz Sechs die stürmischen, heulende Maruts (37 Hymnen), Nummer Sieben ist Mitra-Varuṇa (27 Hymnen), Nummer Acht ist Uṣas, die Göttin der Morgendämmerung in ihrem rosigen Glanz (21 Hymnen), Neun ist Bṛhaspati, der Priester und Guru der Götter (14 Hymnen). Damit haben wir die wichtigsten Charaktere aufgezählt. Die restlichen Hymnen feiern eine Reihe schlecht dokumentierter oder kleinerer Gottheiten, von denen manche später vergessen, andere jedoch zu wichtigen Gottheiten des Hinduismus wurden, plus diverse Subjekte wie Kühe, Frösche, Pferde, Waffen, Presssteine, Ritualausstattungen, Himmel und Erde und diverse Schöpfungsgeschichten.

Jedes Buch des Ṛg Veda beginnt normalerweise mit dem leuchtenden, flackernden, alles verzehrenden Agni. Agni wird oft als Feuergott betrachtet, aber das ist irreführend, wenn man die beherrschende Rolle des Opferfeuers nicht versteht. Die vedische Religion war keine Angelegenheit von Kirchen, Tempeln oder Kulten. Familien stellten Priester ein, und die Priester führten die Opferungen durch. Das Opfer war die religiöse Hauptpraxis der Epoche. Das Opfer nährte die Götter und bewahrte die göttliche Harmonie, die kosmische Ordnung (Ṛta). Es gibt einen enormen Corpus an Texten, der Dich über mehr Opferungen informiert, als Du je wissen willst. Die Hauptsache an diesen Riten ist, dass sie perfekt durchgeführt werden mussten. Die ethischen Qualitäten des Opfernden waren kaum von Bedeutung im Vergleich zur präzisen Durchführung jedes einzelnen rituellen Aktes. Die meisten Opfer endeten im Ritualfeuer, und es war Agni, der sie an die Götter weiterleitete. Genauer gesagt ‚fuhr‘ Agni das Opfer in die himmlischen Regionen: die Transzendenz der Gabe hatte die Form eines Streitwagenritts. Zu dieser Metapher kommen wir später noch öfters. In diesem Sinne wurde Agni zum göttlichen Repräsentanten des Priesters, einem Vermittler zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen. Da Opferungen oft extrem kostspielig waren, war es normalerweise der Adel, der sie finanzierte und den spirituellen Verdienst gewann. Durch Opfer konnten Segnungen, Status, Erfolg, Reichtum und eventuell ein gutes Dasein nach dem Tod erlangt werden. Im vedischen Agni begegnen wir dem Gott, der den Menschen am nächsten stand, denn er teilte das Haus mit ihnen und gab dem Wohnraum einen Mittelpunkt. Agni wusste auch um jede Familie genau Bescheid, daher sein Name Jātavedas (Kenner der Wesen). Schon sehr früh wurde das Kochfeuer mit dem Verdauungsfeuer identifiziert. Agni ist jedoch nicht nur das Opferfeuer oder Haushaltsfeuer (der Herr, der immer zu Hause ist). Agni repräsentiert auch das Sonnenfeuer, und diese Funktion überschneidet sich mit Sonnengöttern wie Sūrya und Savitar. Sonnengötter waren in der vedischen Periode ausgesprochen wichtig, und viele Krieger hofften auf einen guten Tod, der es ihnen erlauben würde, ihren Streitwagen anzuschirren und mit Hilfe der Zügel (Sonnenstrahlen) in den Himmel hinauf zu fahren, dort die Sonne zu ‚durchbohren‘ und das glückliche Jenseits dahinter zu erreichen. Diese Transzendenz war allerdings nur wenigen Elitekriegern vorbehalten. Sie war möglich, weil die Essenz der Sonne auch in der Seele vorhanden war: das innere Feuer kehrte durch das himmlische Feuer zum Ursprung zurück. Agni lebt auch im Holz (Feuer ist im Holz verborgen), aber die Sache wird noch verwirrender, da Agni häufig mit Wasser assoziiert wurde. Er wird oft das Kind oder der Stier des Wassers genannt, und wenn der König gekrönt wurde, dann wurde er mit Wasser besprengt, um die Agnis des Wassers herbeizurufen. Vielleicht geht Agnis Aufenthalt im Wasser auf das Glitzern der Wasseroberfläche und die Reflexion von Sonne und Mond zurück. Diese mysteriöse Verbindung verschwand schließlich. Doch Agni hatte auch, in Gestalt der Feuersbrunst, ein ausgesprochen schreckliches Gesicht.


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Agni

Indra als eine Blitze schleudernde Gottheit des Regens und Sturms stand auch in Verbindung mit den Aufgaben der Könige und verlieh ihnen königlichen Status. Wie ein König der Götter regierte Indra in Macht und Glanz und lieferte ein leuchtendes Beispiel für seine irdischen Repräsentanten. Indras Netz deckte Himmel und Erde ab und regulierte die Lebensräume. Er war sehr damit beschäftigt, Dinge zu ordnen, Dämonen zu bekämpfen und gelegentlich Übeltäter zu bestrafen. In seiner Epoche gab es noch Götter, die Menschen förderten oder bestraften. Er war nicht nur eine Gottheit des Adels, sondern wurde auch von Bauern verehrt, weil seine Gewitter dem Boden Fruchtbarkeit schenkten. Im vedischen Zeitalter nahm Indra oft eine ausgesprochen kosmische Gestalt an. Daher begegnen wir ihm als Sahasranayana (Tausendäugiger). Ṛg Veda, 6, 30:

Indra ist groß geworden durch die Heldentaten, allein, unendlich, gibt er Schätze. Indra transzendiert beide Welten in seiner Größe, eine Hälfte von ihm ist gleich wie die Erde und wie der Himmel.

Doch Indra ist nicht nur kosmisch und kriegerisch, er hat auch seine freundliche Seite.

ṚV 6, 29 beginnt:

Ihr Männer seid Indra gefolgt, wegen seiner Freundschaft, und habt ihn für seine liebende Gnade gepriesen. Denn er gewährt großen Reichtum, der Donnerschleuderer; verehrt ihn, groß und freundlich, um seinen Gefallen zu finden.

Zugegeben, hier geht es in erster Linie um Profit. Aber gleichzeitig lernen wir, dass schon in der vedischen Periode das Göttliche auch liebevoll und freundschaftlich erlebt wurde.

In Indras Gesellschaft begegnest Du manchmal einer kleineren Gottheit namens Viṣṇu, die später viel von Indras königlicher Funktion übernahm. Heute wird Indra nur noch selten verehrt, aber Viṣṇu, völlig transformiert, ist eine der beliebtesten Gottheiten Indiens.

Soma ist eine rätselhafte Gottheit. Als ein Gott ist Soma gut definiert, aber als Pflanze oder Pflanzengemisch ist über ihn noch vieles unbekannt. Mit Soma begegnen wir den ersten Hinweisen auf ein Unsterblichkeitselixier, dessen Herstellung gelegentlich mit dem Koitus verglichen wurde. Als einige viel spätere tantrische Bewegungen ihr Unsterblichkeitselixier Soma nannten, und es mit dem Mond und dem Liebesakt in Verbindung brachten, benutzten sie Metaphern aus der frühesten vedischen Epoche.

Wenn wir uns Varuṇa anschauen, begegnen wir einer allumfassenden Gottheit, die eng mit dem Prinzip des göttlichen Raums in Verbindung steht. Manchmal ist dieser Gott kosmisch, manchmal wird er als Sonne gepriesen. Einige Autoren nennen ihn einen Himmelsgott, aber das ist nur möglich, wenn wir viele seiner Attribute missachten. Varuṇa ist ein Gott, der das Universum ausmaß, seinen Raum ordnete, die Berge errichtete, die Flüsse regulierte usw. In diesem Sinne ist Varuṇa immer gegenwärtig, aber anders gesehen verschwindet der Gott hinter der schieren Größe der Welt.

Er ist auch ein Gott, der sich mit dem Richtigen und Falschen befasst und die Sünder und Verbrecher bestraft. Im vedischen Denken kam Varuṇa aus der göttlichen Familie der Asuras, so wie Agni, Soma, der Himmelsgott, Uṣas, Rudra, Sarasvatī und die Ādityas. Der moderne Hinduismus machte Devas (die Strahlenden, d.h. himmlische Götter) aus ihnen und verwandelte die Asuras in eine Horde von gefährlichen Dämonen. In diesem Prozess wurde Varuṇa ein Gott der Meeres und der großen Tiefe. Er ist mit dem griechischen Gott Uranus verwandt. Solche Verbindungen zwischen den indoeuropäischen Gottheiten sind in der frühen vedischen Epoche noch immer offensichtlich. Der vedische Wind- und Sturmgott Vāta, der noch eine kleinere Rolle im ṚV spielt, ist eng mit dem germanischen Wodan, Wods, Odin, Gwodan und möglicherweise mit dem britischen Gwydyon verwandt. Der vedische Mitra hat einige Verwandtschaft mit dem persischen Mithra. Letzterer beeinflusste den berühmten solaren Mithras, der dank der römischen Legionen in ganz Mitteleuropa populär wurde. Vielleicht ist Agni mit dem nordischen Feuergott, dem schlauen Loki, verwandt; beide werden jedenfalls mit Ziegen assoziiert und gelten als dauerhungrig und maßlos. Indras Schlachten gegen den welterdrückenden Schlangendämon Vṛta haben ihre Gegenstücke in Thors Kämpfen gegen die Midgardschlange und in den Legenden um den avestischen Drachentöter Thrita.

Der Name Indra ist eng mit Götternamen verwandt, die das typische dr-Element aufweisen, wie es bei Donar, Thor, Thunor, und Taranis der Fall ist. Sie gehören alle zur Familie der Gewittergötter. Vielleicht hat die (ursprünglich) göttliche Familie der Asuras eine Verbindung zu den nordischen Göttern, den Asen. Und könnten die Dānavas, eine weitere verteufelte Götterfamilie, eine Verbindung zu den göttlichen Töchtern und Söhnen des britischen Hauses Don haben, die im Mabinogi stark vermenschlicht vorkommen?

Die Veden preisen auch eine große Anzahl von Göttinnen. Am meisten wissen wir über Uṣas, die Göttin des roten Morgenhimmels, die mit Anfängen aller Art in Verbindung steht und jeden Morgen wiedergeboren wird. Daher gibt es jede Menge Uṣas, und jeden Tag erscheint eine neue. ṚV 1, 92 bietet eine brillante Beschreibung der Göttin. Uṣas ist eine Kriegerin, die sich in strahlendem Glanz erhebt. Sie salbt sich mit Sonnenlicht, breitet ihr Netz aus Helligkeit aus und singt, wenn sie in ihrem rötlichen, von Kühen gezogenen Streitwagen aus der Dunkelheit aufsteigt. Indem sie ihre Brüste entblößt, schenkt sie der Welt Licht. Die Hymne feiert sie als Spenderin von Nahrung, Erfüllerin von Wünschen und Sehnsüchten und als Triebkraft von Segen, Sieg, Reichtum und Ruhm. Hier begegnen wir einer frühen indischen Göttin, die Schönheit, Segen und Kampfesmut in sich vereint. Sie hat damit viele Parallelen zu ähnlichen Göttinnen aus dem Nahen und Mittleren Osten und Griechenland, wie Inanna, Ištar, Irnina, Išhara, Anat, Athena etc., und zu den zahlreichen wilden Göttinnen, die besonders im Tantra beliebt sind. Uṣas hat auch eine tragische Seite, denn sie lässt Menschen altern und sterben. Mit jeder neuen Uṣas wird das Leben kürzer. Sie gibt allen Wesen die Chance, den Tag zu nutzen, aber sie wird auch mit einem Spieler verglichen, der das Leben vergeudet. Auch Uṣas hat eine Verbindung nach Europa. Wir begegnen ihren Verwandten, Göttinnen von Licht, Neuanfängen, Frühling, in der griechischen Eos, der römischen Aurora und wahrscheinlich auch in der extrem schlecht dokumentierten angelsächsischen Ēostra, der Göttin des Osterfestes, über deren Existenz wir nur durch eine Anmerkung des heiligen Bede überhaupt Bescheid wissen. Ihre urgermanische Namensform könnte *Austrō gewesen sein.

Uṣas Schwester, die im ṚV 10, 127 kurz gepriesen wird, ist Ūrmyā, die Göttin Nacht. Sie wird in einer einzelnen Hymne angerufen, um Schutz vor Dieben und Wölfen zu erhalten. Der Atharva Veda enthält weitere Hymnen für sie. Diese dienten sowohl als Preisgesang als auch zum Schutz gegen die Gefahren der Dunkelheit. Hier ein paar Zeilen aus dem AV 19, 47. Bitte lies sie langsam und mit Bedacht und überlege, wie weit diese Göttin zu den Vorläuferinnen der schwarzen Göttin Kālī gezählt werden sollte:

Oh Nacht, der Erdenraum wurde erfüllt von den Befehlen des Vaters; Große, du dehnst dich aus bis zu den Sitzen des Himmels, und strahlende Dunkelheit erscheint.

Sie, deren entfernteste Grenzen nicht zu sehen sind, und auch nicht, was zu trennen vermag: in ihr geht alles, was sich da bewegt, zur Ruhe. Mögen wir, oh weite dunkle Nacht, ohne Verletzung deine äußersten Grenzen erreichen – mögen wir, oh Hervorragende, deine äußersten Grenzen erreichen …

Und im AV 19, 49 lesen wir:

Die lebendige Frau, Nacht, die Tochter des Hauses von Savitar (Sonne), von Bhaga (Beschützer); die nach allen Seiten ausgedehnte, leicht Anzurufende, von gesammeltem Glück, hat Himmel und Erde mit ihrer Größe erfüllt.

 

Die Tiefe hat alle Dinge überzogen, die Allermächtigste ist zum höchsten Himmel aufgestiegen, die begierige Nacht dehnt sich zu mir aus, wie ein Freund mit hervorragendem Svadhā (Süßtrank, Opferspeise).

Oh Begehrenswerte, Willkommene, gut Eingeteilte, Wohlgeborene. Du bist gekommen, Nacht: weile hier mit gutem Willen; schütze für uns die Dinge, die für die Menschen geschaffen sind und die für Rinder, durch Gedeihen.

Die begierige Nacht hat die Schönheit eines Löwen angenommen, vom Hirsch, vom Tiger, vom Leoparden, vom Hintern des Pferdes, vom Schrei des Menschen (Puruṣa); viele Formen erschaffst du für dich und leuchtest hervor.

Heilbringend sei mir Nacht und (die Zeit) nach Sonnenuntergang; Mutter der Kälte, sei leicht für uns zu rufen; beachte, oh du mit schönen Proportionen, dieses lobpreisende Lied, mit dem ich dich in allen vier Richtungen begrüße.

Solche Zeilen nehmen vieles der sehr viel späteren Śākta-Literatur voraus.

Eine weitere bedeutende schwarze Göttin war Nirṛti, die als Herrin der Zerstörung, des Unheils und des bösen Schicksals weithin bekannt und gefürchtet war. Im Gegensatz zu Ūrmyā gibt es keine Hymnen für sie, sondern nur sehr kurze Hinweise. Denn obwohl Göttin Nacht unheimlich und gefährlich war, hatte sie auch gute Seiten: sie schützte Menschen und Vieh, gewährte die dringend ersehnte Abendkühle, tötete Diebe und Giftschlangen und verdammte Feinde. Von Nirṛti wurde nur wenig Beistand erwartet. Ihr Name impliziert die Negation von Ṛta, der kosmischen Ordnung. Die Priester feierten sie nicht, sondern beschwichtigten sie und baten sie, fern zu bleiben. Dafür bekam sie Anerkennung und Opfergaben. Auch sie kann zu den Vorläuferinnen von Kālī gezählt werden. Mehr darüber im Kapitel über Kālī.

Der ṚV kennt bereits ein paar Mütter, wie eine Mutter des Himmels, eine Mutter der Rinder und eine Waldgöttin, Aranyānī, die die Mutter des Wildes genannt wird. Keine davon ist detailliert beschrieben. Wie so viele Gottheiten werden die meisten Göttinnen nur kurz und nebenbei gepriesen. Es wäre falsch, daraus zu schließen, dass sich die Ārya nicht viel aus Göttinnen machten. Wir wissen einfach nur, dass die Editoren der Veden ihnen nicht viel Zeit gewidmet haben. Der ṚV ist so darauf fixiert, Indra, Agni und Soma zu preisen, dass für andere Götter kaum noch Platz bleibt.

Eine weitere obskure Göttin ist Pṛthivī (Erde), deren Gatte Dyaus ist, der personifizierte Himmel. Die Vereinigung der beiden erscheint in einem frühen Schöpfungsmythos. In ṚV 1, 160 sind Himmel und Erde zwei Schwestern, aber da sie auch männlich und weiblich sind, werden sie die Eltern der Sonne. Die Hymne feiert sie, um dem Opfernden, wahrscheinlich einem König, die Herrschaft über das Volk zu gewähren. Dyaus ist übrigens ein Verwandter von europäischen Göttern wie Dianus und Janus, sowie den Himmelsgöttern Io pater (Jupiter), Zeus, Tiu, Zis, Tyr usw.. Sie alle kommen von einem gemeinsamen Ursprung, dem leuchtenden, strahlenden Himmel, und haben sich in erstaunlich viele Formen entwickelt.

Eine berühmte Göttin ist Aditi, die in Verbindung mit Schöpfung und Ernährung steht; gelegentlich erscheint sie als eine kosmische Urkuh.

Aditi ist der Himmel, Aditi ist das Reich der Lüfte, Aditi ist die Mutter und der Herr und der Sohn. Aditi ist alle Götter, Aditi ist die fünf Klassen der Menschen, Aditi ist alles, was geboren wurde und geboren wird. (ṚV 1,91) Sie könnte mit der nordischen Audhumla verwandt sein, einer Göttin in Kuhgestalt, die direkt am Anfang der Schöpfung auftritt, bevor die Götter und Menschen entstanden.

Dann gibt es lunare Göttinnen wie Rākā, die über den Vollmond herrscht, Sinīvalī, die die Kindsgeburt erleichtert, und Kuhū, die Göttin des Neumonds. Auch diese sind im Atharva Veda besser dokumentiert als im Ṛg Veda.

Der ṚV liefert auch den ersten Beleg für die Göttin Sarasvatī, ursprünglich die Flussgöttin des heiligsten Stroms der frühen vedischen Zeit. In den Tagen der Invasion könnte dieser Fluss der Indus gewesen sein. Als die Ārya weiter ostwärts zu ziehen begannen, identifizierten sie Sarasvatī mit einem anderen Fluss.

Spenderin aller angenehmen Lieder, Anregerin aller gütigen Gedanken, Sarasvatī, nimm unseren Ritus an! Sarasvatī, die mächtige Flut, sie, die mit ihrem Licht erleuchtet: Sie hellt jeden unaufrichtigen Gedanken auf. (ṚV 1, 3)

Der Fluss Sarasvatī ist seitdem schon lange ausgetrocknet, doch die Legenden sagen, dass er unterirdisch fließt. Sarasvatī ist eine Spenderin von Sieg und Segen, eine Heilerin und Schutzherrin der Poesie und der Hymnen.

Sie vermischte sich mit einer anderen Gottheit, Vāc, Vāk, die die Personifizierung der Stimme und der Sprache ist. Ihre Einheit schuf die höchst populäre moderne Sarasvatī, die Schutzherrin des Lernens, des Liedes, der Poesie, und die Muse vieler Schriftsteller und Musiker. So wurde Sarasvatī im Hinduismus auch zur Gattin von Brahmā, dem Schöpfer. Genauer gesagt schafft Brahmā Neues, indem er spricht (vāc), und seine Sprache, bzw. seine Gattin, und Śakti lassen entstehen, was gesagt wird. Doch diese Entwicklung beginnt erst in der vedischen Spätzeit; die frühen vedischen Texten sind erstaunlich wenig an Schöpfung und der Natur der Welt interessiert. Vāc ist auch die erste Göttin in der indischen Literatur, welche als eine Vorläuferin von einer allumfassenden, absoluten Śakti angesehen werden kann: ihr Wort erschafft und erhält die Welt, sie nährt die Wesen; sie gibt allem Lebenden den Atem. Da ihre Hymne, am Ende des Ṛg Veda in einem Sammelsurium unterschiedlichsten Krams versteckt, viel tantrisches und śāktisches Gedankengut vorwegnimmt, wird sie hier in voller Länge mitgeteilt (10, 125):

Ich reise mit den Rudras und den Vasus; mit den Ādityas und den Allgöttern wandele ich.

Ich halte beide, Varuṇa und Mitra, in die Höhe, Indra und Agni und das Aśvinpaar.

Ich hege und erhalte den hoch schwellenden Soma, ich stütze Tvaṣṭr, Pūṣan und Bhaga.

Ich belade den eifrigen Opferer mit Reichtum, der Saft vergießt und Opfergaben spendet.

Ich bin die Königin, die Sammlerin von Schätzen, voller Gedanken, die Erste derer, denen Verehrung gebührt. So haben die Götter mich in vielen Orten etabliert, mit vielen Heimen, um dort einzugehen und zu verweilen.

Durch mich allein verzehren alle die Speise, die sie nährt; jeder, Mann der sieht, atmet und ein gesprochenes Wort vernimmt. Sie kennen mich nicht, doch leben sie in meiner Nähe.

Hört, einer und alle, die Wahrheit, welche ich verkünde. Wahrhaftig, ich selbst verkünde und spreche das Wort, welches die Götter und die Menschen willkommen heißen.

Den Mann, den ich liebe, mache ich überragend mächtig, mache aus ihm einen Weisen, einen Seher, einen Brahmanen. Ich beuge den Bogen von Rudra, so dass sein Pfeil den Verächter der Verehrung tötet.

Ich erwecke und befehle den Menschen die Schlacht, und ich habe Erde und Himmel durchdrungen.

In der Höhe des Himmels gebäre ich den Vater; mein Heim ist in den Wassern und im Ozean. Von dort dehne ich mich aus, zu allen existierenden Wesen und berühre den Himmel dort mit meiner Stirn.

Ich atme einen starken Hauch wie Wind und Sturm und halte dabei alle Existenz zusammen. Jenseits der weiten Erde und des Himmels bin ich durch meine Größe an die Macht gelangt.

Eine andere prominente Göttin wird Śrī genannt – ein Begriff, der Wohlsein, Glück, Reichtum, Schönheit, Glanz, Leuchten, Segen, Fülle und Überfluss bedeutet. Śrī ist nicht nur eine Göttin, sondern eine allumfassende, segnende Qualität. Daher erscheint sie schon früh als die Gattin der höchsten Götter. Indra, zum Beispiel, hätte ohne Śrī ziemlich alt ausgesehen. Was nützt es denn, ein Kriegergott zu sein, wenn einem Segen, Glück und Wohlstand fehlen? Dasselbe gilt für eine ganze Reihe weiterer Götter. Śrī hatte jede Menge Gatten, darunter auch Kubera, den Herrn der Yakṣas, der ohne sie über keine Bodenschätze mehr verfügt hätte, und natürlich, wesentlich später, den heute allseits beliebten Viṣṇu. Im Mahābhārata begegnen wir ihr in menschlicher Form: als Draupadī ist sie mit den fünf Pāṇḍava-Brüdern (die übrigens allesamt inkarnierte Gottheiten sind) gleichzeitig verheiratet. Denn ohne Śrī wäre es mit ihren Heldentaten nicht weit her gewesen. Draupadī, obwohl sie im Epos vor allem in menschlicher Form erscheint, hat in Indien einen gut entwickelten Kult, bei dem sie als Göttin verehrt wird. Wer das Mahābhārata kennt, versteht warum. Śrī verschmolz in der spätvedischen Periode mit der Göttin Lakṣmī, die Du im Kapitel über die Mahā Vidyās besser kennen lernst. Als Śrī Lakṣmī ist sie die beliebteste Göttin des modernen Indien.