Kālī Kaula

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Bild 7

Induskultur – Figurinen von Mehrgarh.

Oben: Drei ausgearbeitete weibliche Figuren mit charakteristischer Kopfbekleidung, abstrakten Gesichtern, großen Brüsten, ohne Genitalien. 3300 – 3000 v.u.Z., Ton, gefunden in einer Abfallgrube

Oben rechts: Das erste Stadium der menschlichen Figurinen. Kein Gesicht, keine Glieder, überhaupt keine Details. Wenn es nicht die Vorstufe einer späteren weiblichen Figurine wäre, würden wir dieses Stück Ton überhaupt nicht als Figurine erkennen. In diesem Stadium sieht das Stück kaum menschlich aus, ganz zu schweigen von einer Gottheit.

Unten links: Männliche Figurine, 2700 – 2600 v.u.Z.

Unten rechts: Männliche Figurine von kahlköpfigem Typus, 2800 – 2700 v.u.Z. Zu der Zeit machten männliche Figurinen einen Anteil von 30 Prozent aus.

Die vedische Epoche

Irgendwann zwischen 1500 und 1200 v.u.Z. begannen wandernde Stämme indoeuropäisch sprechender Nomaden Indien zu erobern. Diese Daten sind grob geschätzt – die Chronologie ist sehr unzureichend. Die Eroberer nannten sich selbst Ārya (Edle, Fürsten, Erste) und sie redeten in Sprachen, die einen gemeinsamen Ursprung mit den meisten europäischen Sprachen haben. Wann und wo ihre Wanderung begonnen hatte, ist noch immer umstritten, aber man kann einigermaßen sicher sein, dass sie von Westen her nach Indien kamen, über die Pässe der Suleiman-Berge und durch den Hindukusch ins fruchtbare Punjab.

Diese Migration verlief nicht sehr schnell. Die Ārya lebten vor allem von der Rinderzucht, legten aber gelegentlich eine Pause ein, um ein paar Jahre lang Land zu kultivieren. Ihre lange Reise dürfte Generationen gedauert haben. Dieser Wechsel zwischen Ansässigkeit und Migration war tief im Leben der Ārya verwurzelt. Er hielt auch nach der Ankunft in Indien noch lange an und hatte eine starke Wirkung auf Weltsicht und Religion. Reisen verändert und formt die Kultur. Wenn ganze Stämme Jahr um Jahr unterwegs sind, passen sie sich an die Bedingungen an, indem sie eine mobile und „leichtere“ Art von Kultur entwickeln, die weniger materielle Ausstattung braucht als eine stationäre. Die Ārya kamen mit Wagen und Streitwagen daher, die von Pferden und Rindern gezogen wurden, und die Menge dessen, was sie besitzen und bewegen konnten, wurde durch ihre Transportmöglichkeiten beschränkt. Wenn Siedlungen errichtet wurden, waren diese meist klein und nur für kurze Zeitabschnitte in Gebrauch. Infolgedessen finden Archäologen nur sehr wenige Belege ihres Zuges. Eine typische Art von Töpferwaren wurde an mehreren Orten (üblicherweise Hügelkuppensiedlungen) ausgegraben – langweiliges Zeug aus grauem Ton; nicht viel, was uns etwas über die Werte und Glaubensvorstellungen eines ganzen Volkes sagen könnte. Aufgrund der so schwachen Fundsituation haben in den letzten Jahren etliche national eingestellte indische Professoren die Behauptung aufgestellt, die Invasion der Ārya habe niemals stattgefunden: schon die Industalbewohner wären Indoeuropäer gewesen, und die Urheimat aller Indoeuropäer wäre eben Indien. Diese gewagten Hypothesen wurden von nationalistischen Politikern gefördert und fanden sich zuletzt sogar in den Schulbüchern wieder. Allerdings belegt die Sprachwissenschaft, dass Saṁskṛta keineswegs die älteste indoeuropäische Sprache ist. Viel älter sind die indoeuropäischen Sprachen des anatolischen Hochlands (Hethitisch, Luwisch) und das in China verbreitete Tocharisch. Saṁskṛta ist ungefähr so alt (oder neu) wie Griechisch, Italisch, Germanisch, Keltisch, Baltisch, Slawisch, Armenisch und Indo-Iranisch (Hock und Bryant in Bronkhorst & Deshpande, 2012 : 1-18, 59-83).

Glücklicherweise hatten die Ārya eine hochentwickelte Religion (oder mehrere), einen Reichtum an Poesie und die nötige Begeisterung, um sich lange Texte zu merken und sie weiterzugeben. Hier kommen wir zu den Veden, unserer wichtigsten Informationsquelle über das Zeitalter der Eroberung.

Der Veda, was heiliges Wissen und Lehre bedeutet, ist eine Religion (oder mehrere), die größtenteils von den Ārya nach Indien eingeführt wurde. Wir sind froh, im Ṛg Veda einige Berichte zur Eroberung zu finden. Mehrere Hymnen erwähnen Schlachten gegen dunkelhäutige und flachnasige Einheimische, die Dasyu, die als Verehrer von Liṅgas verspottet werden. Das Wort Dasyu bedeutet ‘Nicht- Ārya’, ‘Fremder’, ‘Feind’, ‘Klassenloser’ und in manchen Fällen sogar ‘Dämon’. Mit dem Wort Liṅga könnte ein Phallus oder eine phallische Abbildung gemeint sein. So wird der Begriff hierzulande meist interpretiert. Das Liṅga kann auch Bild, Wahrzeichen, Merkmal und sogar Banner bedeuten, so dass man nicht genau sagen kann, was jene Einheimischen verehrten. Sicher ist nur, dass die Götter der Einheimischen in irgendeiner Weise dargestellt wurden.

Den Ārya zufolge hatten die Dasyus keine richtige Religion und keine wirklichen Opferungen. Das impliziert, dass sie zwar Opferungen hatten, aber diese waren keineswegs so entwickelt und kompliziert wie die der Ārya. Die Dasyus lebten gelegentlich in befestigten Siedlungen, weshalb der arische Gott Indra, hier Purandara (Zerstörer von Städten und Burgen) genannt, angerufen wurde, um sie zu zerstören. ‘Städte und Burgen’ ist etwas zu hoch gegriffen; zu der Zeit bedeutete eine Befestigung hohe Palisaden. Die ersten größeren Städte und steinerne Befestigungsmauern tauchen in Indien erst wieder um das achte Jahrhundert v.u.Z. wieder auf, und bis dahin war es noch ein langer Weg. In der Schlacht verwendeten die Armeen der Einheimischen vierrädrige Streitwagen, die von Ochsen gezogen wurden. Das half nicht viel gegen die Krieger der Ārya, die zweirädrige, von Pferden gezogene Streitwagen hatten, schwere Rüstung trugen und um bereits 1200 v.u.Z. eiserne Waffen zu fertigen begannen. Die Ārya-Krieger nutzten ihre schnellen und beweglichen Streitwagen, um nah an die Feinde heranzukommen und diese mit Pfeilen zu überschütten. In der frühen Zeit und bei jenen, die sich nicht viel leisten konnten, wurden die Pfeilspitzen aus Hirschhorn gemacht. Wer immer es sich leisten konnte, verwendete Bronze, später Eisen. Oft waren die Pfeile vergiftet (ṚV 6,75). Viel später verboten die Gesetze von Manu vergiftete Geschosse, aber während der Invasion wurden sie großzügig verwendet und in Hymnen gepriesen. Die Ārya-Krieger liebten ihre Streitwagen und Rosse, und wir begegnen beiden in zahlreichen Hymnen, Ritualen und auch als religiöse Metaphern. Bald gab es befestigte Ārya-Siedlungen auf Hügeln und Bergen; in den Schluchten und Tälern war die Erde fruchtbarerer, und hier wurde Ackerbau getrieben. Über die nächsten Jahrhunderte dehnten die Ārya ihren Machtbereich nach Osten aus.

Was ein Rätsel bleibt, ist die Natur der Einheimischen. Man nahm an, dass die Dasyus ein dravidisches Volk waren und daher verwandt mit den modernen Bevölkerungsgruppen Südindiens, aber diese populäre Annahme ist nicht leicht zu beweisen. Auch waren die Dasyus bei weitem nicht die einzigen einheimischen Gegner. In den Veden werden viele Völker erwähnt, und über die meisten ist praktisch gar nichts bekannt. Eine kleine Ausnahme finden wir in dem Wort Mleccha (Fremder, Wilder), welches möglicherweise auf den Namen des Landes Meluhha zurückgeht. Und wie kamen die Ārya mit der Urbevölkerung aus? Auch hier ist die Situation ausgesprochen komplex. An manchen Orten wie im fruchtbaren Punjab, vertrieben sie die Einheimischen fast völlig. Sie konnten sich das leisten, weil sie in der Mehrheit waren und genügend Leute hatten, um das Land zu kontrollieren und zu kultivieren.

Als die Eroberung fortschritt, waren immer weniger Ārya verfügbar, um das eroberte Territorium zu bebauen. In diesen Gebieten waren die Einheimischen wertvolle Arbeitskräfte. Die Ārya-Gesellschaft, also die regierende Oberschicht, war damals noch immer halbnomadisch. Es gab kleine Könige, die große Rinderherden besaßen. Reichtum wurde in Rindern beziffert, und der Raub von Vieh war eine der Prioritäten bei der Kriegführung. Die adelige Kriegerkaste war stolz auf ihre Fähigkeit, Beute zu nehmen, und neben Rinder- und Schafdiebstahl waren Raubzüge eine bedeutende Einnahmequelle. Für Krieger war es auch ehrenwert, sich eine Gattin zu rauben.

Die Gesellschaft war ganz einfach in zwei Klassen eingeteilt, die Kṣatra oder den Kriegeradel, und die Viś, die freien Mitglieder jedes Stammes. Alle anderen Menschen, also vor allem die Einheimischen, lebten außerhalb der Ordnung. Einige Jahrhunderte später, als die Ārya die Gangesebene und den Dekkan eroberten, waren sie schon lange nicht mehr zahlreich genug für eine völlige Kontrolle. Die Einheimischen blieben, wo sie waren, und wurden von einer kleinen Oberschicht von Ārya regiert. Um die gesellschaftliche Trennung zu erhalten, entwickelte der Ārya-Adel allmählich ein Klassensystem.

Die Könige und Fürsten führten auch viele Kriege und Viehraubzüge untereinander. Ṛg Veda 7, 33 erwähnt eine Schlacht zwischen zehn Ārya-Königen, was ein guter Beleg dafür ist, dass die Invasoren ihren eigenen Verwandten gegenüber nicht besonders freundlich gesonnen waren. Es könnte sich um genau diese Schlacht handeln, die viel später im Mahābhārata gefeiert wurde. Zeitlich würde das gut hinkommen: die Kerngeschichte des Epos spielt in einer Periode, vielleicht um 1000 v.u.Z., in der die handelnden Familien bereits das Punjab hinter sich gelassen hatten, aber noch nicht bis zum Ganges im Osten vorgedrungen waren. Aber wie vollzog sich die Eroberung nun genau? Frühere Historiker stellten sich eine einzige Welle von kriegsbesessenen Ārya vor, die über Indien herfielen. Diese Gelehrten waren gewohnt, in Begriffen von Nationen und Imperien zu denken, sie stellten sich große Populationen auf der Wanderung vor, und dies implizierte große Kriege und Verwüstungen. Außerdem gingen viele Forscher davon aus, dass die Ārya sich streng an eine Kulturtrennung gehalten haben, und das es daher wenig soziale Kontakte oder gar eine ‘Rassenvermischung’ gegeben hätte. Solche Annahmen sind heutzutage zum Glück aus der Mode gekommen.

 

Da die Archäologie keine Beweise für eine Welle der Zerstörung hergab, wurde die Theorie allmählich abgeschwächt. Die nächste Theorie ging davon aus, dass die erobernden Ārya keine einzelne Horde waren, sondern mehrere unabhängige Völker, die über einen Zeitraum von etlichen Jahrhunderten nach Indien hereinströmten. Richtiger, aber noch nicht richtig genug. Auch eine allmähliche Eroberung hinterlässt Spuren von gewaltsamer Zerstörung, und bisher gibt es dafür noch keine besonders schlüssigen Beweise. Es scheint, als wäre ein guter Teil der Eroberung eher friedlich geschehen. Möglicherweise siedelten sich manche dieser Einwanderer in unkultivierten Gegenden an oder koexistierten mit ihren einheimischen Nachbarn in relativem Frieden.

Eine vernünftige Deutung steht noch aus. Vielleicht müssen wir noch ein oder zwei Jahrhunderte warten, bis die Archäologie wirklich Fortschritte gemacht hat. Bis dahin bleiben die Veden die wichtigsten Belege. Nun enthalten die Veden eine ganze Menge Hymnen, die den Krieg und die Eroberung preisen und für den Ackerbau nur wenig gute Worte übrig haben. Wenn wir annehmen, dass alle Ārya getreue Anhänger der Veden waren, ist eine gewaltsame, aber langsame Invasion die wahrscheinlichste Alternative. Aber waren die Veden bei allen Gruppen der Ārya populär? Sind sie überhaupt als Aussage über die gesamte Gesellschaft verbindlich? Es ist möglich, dass ein großer Teil der vedischen Lehren ursprünglich nur für eine Minderheit der verschiedenen Ārya galt, während Eingeborene und andere Ārya andere Arten der Verehrung betrieben.

Ein kurzer Blick in die Hymnen genügt, um zu zeigen, dass neben den sogenannten Hochgöttern eine Vielzahl von obskuren Göttern existierten, welche schon in den nächsten Jahrhunderten verdrängt oder in andere Gottheiten integriert wurden. Allein die Zahl unterschiedlicher männlicher und weiblicher Sonnengötter ist verblüffend. Die heutige Forschung deutet darauf hin, dass die Veden nicht, wie so oft behauptet, eine ausschließliche Schöpfung der Ārya sind. Es gibt auch einheimische indische Elemente darin. Die Veden sind ein Konglomerat aus Hymnen, Glaubensvorstellungen, Mythen, Ritualen und Sprüchen, das bei weitem nicht homogen ist. Schon die frühesten Texte widersprechen sich, und wenn es einen Konsens gibt, dann stammt er von den Editoren und Kopisten, die diese Werke mehr als tausend Jahre lang in Umlauf hielten. Wir haben es bei jedem Veda mit einer mündlichen Überlieferung zu tun. Es gab in der vedischen Epoche keine Schrift; die Schriftkultur in Indien begann im dritten Jahrhundert v.u.Z. unter Kaiser Aśoka, der die Brāhmī-Schrift populär machte (die moderne Devanāgarī-Schrift hat sich aus der Brāhmī-Schrift entwickelt). Bis zu diesem Punkt wurden die Veden, die Upaniṣaden und alle anderen Texte auswendig gelernt, und wir können das Alter eines bestimmten Textes oder eines seiner Bestandteile nur vermuten, indem wir abschätzen, wie archaisch die Sprache ist. Deshalb ist das, was wir den Veda nennen, keineswegs das ursprüngliche Material. Die Genauigkeit der mündlichen Überlieferung wird aus gutem Grund immer wieder bestritten. Und auch als das Material endlich schriftliche Form annahm, wurde noch fleißig daran gearbeitet.

An dieser Stelle will ich eine weitere verbreitete Fabel erwähnen. Viele Autoren geben vor, dass wir es hier mit einem Konflikt zwischen kleinen, dunklen indischen Eingeborenen und großen, hellhäutigen, aggressiven europäischen Ārya zu tun hätten. Dieses Bild wurde von Gelehrten gefördert, die fest an ‚arische Überlegenheit‘ glaubten und von entsprechend denkenden Regierungen dafür bezahlt wurden. Besonders Studien aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert sind ausgesprochen einseitig. Waren alle Einheimischen dunkel und plattnasig, oder waren es nur die wenigen, von denen wir wissen? Wie genau sollen wir das Wort ‘dunkel’ verstehen? Beschreibt es eine Hautfarbe oder einen ethischen Wert? Das ganze Konzept der Dunkelheit ist in der vedischen Literatur häufig mit Schrecken, Gefahren und üblen Geistern verknüpft. Haben wir es mit Ureinwohnern zu tun? Gibt es auf diesem Planeten überhaupt Ureinwohner? Zurzeit kommen die Anthropologie und genetische Analysen zum selben Schluss wie die Analyse der präarischen Sprachen: Die ‘Eingeborenen’ Indiens waren vermutlich europäischer Abstammung (Wilhelm in Franz 1991 : 36). Die frühesten Siedler, von denen wir wissen, waren die Weddiden, die nordindischen Gondiden und die Maliden, die die mittelindischen Berge bewohnten. Alle waren europäischen Ursprungs. Als Nächste folgten die Draviden, eine weitere Kultur europäischen Ursprungs. Beim gegenwärtigen Wissensstand scheint es, dass wir es mit einem Konflikt zwischen verschiedenen Parteien zu tun haben, die alle europäischer Abstammung waren. Der Hauptunterschied zwischen ihnen ist der Zeitpunkt ihrer Ankunft im sonnigen Indien. Aber können wir dessen sicher sein? Die Vor- und Frühgeschichte ist reich an großen Migrationen. Wie viele unbekannte Völker lebten im Laufe der Jahrtausende in Indien oder in den angrenzenden Regionen?

Kamen all die Ārya von einem einzigen Ursprungsland her? Hatten sie eine einheitliche Religion oder viele? Die Veden zeigen uns nur den Teil der Religionen, der über Jahrhunderte bewahrt und weitergegeben wurde. Wahrscheinlich handelt es sich nur um einen kleinen Ausschnitt. Wir haben also eine gute Vorstellung davon, woran manche Ārya glaubten, aber was war die Religion der Einheimischen? Damit kommen wir zum schrägsten Teil der Spekulation, nämlich um einige beliebte Märchen der New-Age-Bewegung. Hierbei ist die Grundannahme, wie üblich, dass praktisch alles, was aus Asien kommt, Jahrtausende alt ist. Diese Idee ist weit verbreitet und verkauft sich ausgesprochen gut. Hier wird den asiatischen Hochkulturen unterstellt, dass sie praktisch alles in einer unglaublich kreativen Frühzeit entwickelt haben und es danach nur noch getreulich weitergaben. Alles Gute ist uralt, und niemand hat jemals was dazu gelernt. Glaubt man einigen populären Autoren, ist jeder Bestandteil der indischen Religion, der nicht in den Veden zu finden ist, automatisch ein Produkt der einheimischen Urbevölkerung. Immer wieder wird behauptet, dass Tantra kein Phänomen der Mitte des ersten Jahrtausends ist, sondern in die früheste Vorgeschichte zurückreicht und dravidischen Ursprungs wäre. In einem Buch wurde sogar behauptet, Tantra wäre um 5.000 v.u.Z. erfunden worden. Das ist eine lustige Idee, vor allem weil fast nichts über die einheimischen Religionen Indiens bekannt ist. Viele New-Age-Bücher verkünden, dass die ‚große Göttin‘ (ein modernes Konzept) präarisch sei. Dasselbe gilt für die Cakrasysteme, den ‚klassischen‘ Yoga; ja selbst die Kuṇḍalinī datiert man vor die vedische Epoche. Und der Beweis dafür? Diese Konzepte tauchen in der vedischen Literatur nicht auf. Also müssen sie schon vorher dagewesen sein. Auch wenn sie dummerweise erst sehr viel später auftauchen.

Seher auf Soma

Die vedische Religion wurde von Drogen geformt. Die frühen Seher feierten eine Gottheit namens Soma, die mit dem Mond und einem mächtigen berauschenden Getränk gleichgesetzt wurde. Soma, sangen sie, ist der lohfarbene Bulle des Himmels, der Stier, der Adler am Himmel. Es fließt der potente Saft, Stütze der Himmel, die Stärke der Götter, dem die Menschen mit Freudenschreien huldigen müssen (ṚV 9, 76, 1). Soma gab Segen und Überfluss, Fruchtbarkeit den Rindern, Erfolg im Krieg, dem Adel Reichtümer und den Sehern Freude. Die Götter selbst nährten sich vom Soma, der ihre Quelle, Speise und Freude war: Soma, donnernd, hat die Götter erzeugt (ṚV 9, 42, 4). Die Einnahme von Soma bildete einen wesentlichen Teil der größeren Opferzeremonien und beeinflusste den Geist derjenigen, die die richtigen Rituale ‘sahen’ und die wahren Hymnen und Klänge ‘hörten’. Tatsächlich machte Soma die Seher. Der Gott wurde Pavamāna (Läuterndes Soma) genannt und sein süßer ambrosischer Saft Amṝta, ‘todeslos’ (unsterblich), das Elixier des Lebens.

Eine ganze Menge der frühen Riten wurde von Sehern empfangen (oder erfunden), die, wie wir uns vorstellen können, völlig weggedröhnt waren. Wenn wir dieses Sakrament verstehen wollen, stoßen wir auf Schwierigkeiten. Die Seher komponierten eine große Zahl von Hymnen, um den Soma zu feiern; der Ṛg Veda enthält ungefähr 120 davon, die meisten von ihnen im 9. Buch, das fast ausschließlich dieser Gottheit gewidmet ist. Nur Indra und Agni haben mehr Hymnen. Im Vergleich dazu: die Mehrheit der vedischen Gottheiten muss mit einem halben Dutzend oder weniger Hymnen auskommen. Soma taucht beständig auf, wenn Indra, der Donnerer, gepriesen wird, offenbar wurden die Riten mit seinem Segen gefeiert. Die Soma-Riten waren die wichtigsten Opferzeremonien der gesamten vedischen Epoche. Im Soma begegnen wir dem ersten Allheilmittel, dem ersten Unsterblichkeitselixier der indischen Lehre. Die Idee dieses Elixiers blieb noch lange erhalten, nachdem das Geheimnis des ursprünglichen Soma vergessen war. Nun waren sich die Seher durchaus darüber im Klaren, dass ihre Körper, egal wie viel Soma sie einnahmen, schließlich alterten und starben. In der vedischen Lehre wie in den späteren Traditionen, ist ‘Unsterblichkeit’ eine allgemeine Idee, die ‘hohes Alter’ bedeutet; das bevorzugte Optimum sind hundert Jahre. Die einzige wirkliche Unsterblichkeit, die Soma gewähren konnte, war eine Unsterblichkeit des Bewusstseins, das den Körper im Tod verließ und für eine Ewigkeit in Freude und Lustbarkeit zu Indras Himmel aufstieg.

Die Reinkarnation war damals noch nicht entdeckt (oder erfunden). Und auch hier ist das Bild nicht einheitlich: soweit überhaupt bekannt, hatten die Ārya mehrere, von einander abweichende Ideen, was die Seele nach dem Tod erwartet. Wenn man Glück hatte, sehr freigiebig war, ein tugendhaftes, kriegerisches Leben geführt, viele Opfer finanziert, teure Weihen absolviert und schmerzhafte Kasteiungen überstanden hatte und zuletzt streng diszipliniert einen stolzen Kriegertod starb, erwartete einen unter Umständen auch die absolute Transzendenz jenseits der Sonne oder jenseits von Sonne und Mond oder auch jenseits davon. Andere Leute lösten sich nach dem Tod in ihre Grundbestandteile auf oder stiegen hinauf zur Sonne, um darin zu verbrennen. Deren Essenzen konnten eventuell mit dem Regen zur Erde zurückkehren. Und für völlige Verlierer gab es auch schon ein paar simple Höllen.

Kompliziert wird es, wenn wir herauszuarbeiten versuchen, was für eine Art von Pflanze Soma war und wie sie zubereitet wurde. Die Soma-Riten umfassten einen großen Bereich von rituellen Aktivitäten. Sie wurden nicht oft durchgeführt, und der Verzehr der Droge war den Sehern vorbehalten, die die Zeremonien vollzogen. Hier müssen wir uns eine strenge Aufteilung vorstellen: die Könige und Adeligen, allesamt dem Kriegertum verpflichtet, waren die Auftraggeber der großen Opfer und gewannen dabei beträchtliches Ansehen, spirituellen Verdienst („Bonuspunkte“ könnte man sagen), die Gunst der Götter und eventuell Anspruch auf Transzendenz nach dem Versterben. Die Seher, Sänger und Priester führten die Riten und Opfer aus und kontrollierten dabei die Götter (und Adeligen). Noch nicht einmal den Königen und Adligen, den Einzigen, die sich angemessene Opfer leisten konnten, war es erlaubt, Soma zu kosten. Stattdessen bekamen sie einen Ersatz angeboten. Sie nahmen allerdings unter strenger Aufsicht aktiv am Ritual teil. Jedes Soma-Ritual begann mit der Zubereitung der Droge. Dies war eine immens komplizierte Angelegenheit, die Tage, manchmal Wochen der Vorbereitung erforderte. Allein das Pressen des Soma-Saftes nahm zwei bis zwölf Tage durchgängiger Zeremonie in Anspruch, gefolgt von weiteren zwölf Tagen der Opferungen. Fast ständig wurden Tiere geschlachtet und jedes Stadium des Ritus wurde von Gesängen und Rezitation von Hymnen begleitet. Die Soma-Riten waren umfassende Zeremonien, die eine große Auswahl an Ritualen beinhalteten. Sie erhoben den Opfernden (den Adligen, der das Ereignis bezahlte, und dessen Gattin) in einen fast göttlichen Status und brachten Segnungen für die ganze Gemeinschaft.

Die größeren Riten umfassten zahlreiche Akte der Hingabe, Reinigung, umfangreiche Bäder, Orakel, Vorbereitungen von Ritualplätzen, Tänze, einen symbolischen Kampf zwischen einem Ārya und einem dunkelhäutugen Śudra, einem ritualisierten Streitgespräch zwischen einem Gelehrten und einer Prostituierten, den öffentlichen Geschlechtsakt eines eingeborenen Paares, das Abschießen von Pfeilen zur Abwehr böser Einflüsse, Lieder, Musik und jede Menge Feiern. Die Priester hatten eine strikte Hierarchie, und es gab einen ausgefeilten Ritualplan, der perfekt zu befolgen war. Jede Hymne hatte eine spezielle Vortragsform und war in Segmente unterteilt, die spezielle metrische Formen erforderten, Intonation und Sänger von bestimmtem Rang. Hier begegnen wir auch den ersten Bījas (Keimsilben) und ‘heiligen Worten’ wie Oṁ und Huṁ, die für allgemeine Zwecke nützlich sind, und speziellen Worten wie Hīs, um Regen zu beschwören, und Ūrj für Bitten um Nahrung oder Macht. Natürlich bestand ein Teil der priesterlichen Macht darin, derartig umfassende Kenntnisse zu haben und diese dramatisch einzusetzen, um das eigene Bewusstsein und das der Anwesenden zu verändern. Ein Soma-Ritual verhieß Segen für die ganze Bevölkerung, gutes Wetter und erfolgreiche Raubzüge und Kriege. Und auch die Auftraggeber machten so einiges mit. Der reiche Sponsor und seine Gattin unterwarfen sich einem extrem anstrengenden Reinigungsritual, welches Dīkṣa bzw. Dīkṣā (‚Verlangen der Gottheit zu dienen‘ (?), Weihe, Initiation, Name einer Göttin) hieß. Noch heute wird der Begriff gerne für kleine Weihen und Vorinitiationen verwendet, obwohl sich die dazu gehörigen Rituale gründlich verändert haben. Heutige Dīkṣas sind oft nur Formalitäten mit ein wenig Hokuspokus. Die vedische Dīkṣa führte die Kandidaten an den Rand des Todes. Die Kandidaten wurden von Kopf bis Fuß in die Felle schwarzer Antilopen verschnürt und in einer engen Opferhütte direkt neben einem Zeremonialfeuer platziert. Dort trockneten und dürsteten sie den ganzen langen, heißen Tag vor sich hin. Zum Sonnenuntergang gab es einen kleinen Schluck Milch, und dann folgte die lange, heiße Nacht um den Kandidaten den Rest zu geben.

 

Die Periode der Dīkṣa konnte noch ausgedehnt werden, denn im vedischen Glauben war Kasteiung ein sicherer Weg zum Glück. Dazu gehörten etliche ungewöhnliche Bräuche. Die Kandidaten durften sich nur mit einem Antilopenhorn kratzen und waren verpflichtet zu schweigen; etwaige notwendige Äußerungen mussten als Gestammel hervorgebracht werden. Bestimmte Handgesten waren auch erlaubt. Wenn alles überstanden war, hatten der Sponsor und seine Gattin eine derartig intensive Vereinigung mit Agni, dem Gott des Feuers, vollzogen, dass all ihre vorherigen Sünden wie weg geblasen waren. Die Dīkṣa hatte sie zu Agni und Agni zu ihnen gemacht. Damit waren sie, nach der Ansicht der Priesterschaft, viel zu mächtig geworden. Um dann am tatsächlichen Soma-Opfer teilzunehmen, mussten sie wieder in den menschlichen Bereich zurück gebracht und ihrer göttlichen Macht entledigt werden. Dazu diente ein zeremonielles Bad im Fluss. Ähnliche Dīkṣa-Riten wurden übrigens auch vollzogen, um Menschen von Flüchen und Verhexungen zu befreien.

Da die Soma-Riten erstaunlich komplex sind, kann ich nicht einmal einen groben Umriss von ihnen liefern. Es wären mehrere hundert Seiten nötig, um alle Referenzen zu nennen und die ganze Prozedur zusammenzufassen. Für einen lesbaren Kurzbericht siehe Gonda (1960 : 149-162). Die Soma-Hymnen sind voller Rätsel. Wir lesen, dass der Soma von zehn in Gold gekleideten jungfräulichen Schwestern gepresst wurde. In der Realität waren die zehn Schwestern die zehn Finger eines Priesters, von denen jeder einen goldenen Ring trug. Solche Metaphern sind nur allzu verbreitet. Die Seher entwickelten so etwas wie eine mystische Geheimsprache, und die Dichter machten alles noch schöner (und komplizierter). Daher sind die Soma-Hymnen ohne Kommentare praktisch unverständlich. ‚Koitus‘ ist das Zusammenklatschen von Presssteinen und Brettern, ‚Regen‘ das Tropfen des Saftes durch die ‚Wolken‘ (filternde Stoffe). Soma sammelt sich im ‚Wald‘ (einem hölzernen Bottich), und er setzt die Rinder und Pferde frei (öffnet das Bewusstsein der Seher). Und das ist nur eine kleine Auswahl an Redewendungen, die in den Hymnen vorkommen. Die Indologen haben es nicht leicht. Im Laufe des letzten Jahrhunderts stritten viele Gelehrte darüber, was für eine Pflanze Soma gewesen sein mag. Soma wurde auf Bergen und Hügeln geboren. Er wurde gesammelt, rituell ‘gekauft’ – der Verkäufer wurde im Laufe dieses Prozesses rituell zusammengeschlagen – und in einem Streitwagen zum Ritualplatz gefahren, gefeiert wie ein König. Die Stängel wurden zwischen Brettern oder in einem Mörser zermalmt, zwischen heiligen Steinen gepresst, der Saft durch ein Sieb gefiltert, in Wasser gegeben und durch ein wollenes Tuch geseiht. Er wurde mit Milch und Quark von verschiedenen Arten von Kühen vermischt und nach ausgefeilten Regeln präpariert, gereift, geschöpft und eingenommen. Die meisten Hymnen beharren darauf, dass der reine Saft, so wie er durch das Sieb kommt, braun ist und deshalb (symbolisch) mit einer braunen Kuh bezahlt werden muss. Andere Hymnen nennen ihn fahl, gelb, golden, gelegentlich rot und manchmal grün. Soma war glänzend, klar, strahlend, schäumend und schmeckte süß. Was ziemlich widersprüchlich klingt.

Ein Kandidat, der Soma gewesen sein könnte, ist der Fliegenpilz (Amanita muscaria), wie der Pilzpionier R. Gordon Wasson im Jahre 1962 vorschlug. Fliegenpilze sind, richtig zubereitet, höchst halluzinogen. Der Pilz muss vor der Einnahme erhitzt werden, sei es durch Trocknung in starkem Sonnenschein, über einem Feuer oder durch Kochen, um die Ibotensäure, eine leicht psychoaktive, aber sehr unangenehme Substanz, in das fünfmal stärker psychoaktive Muscimol umzuwandeln. Roher Fliegenpilz ist bekannt dafür, Magenkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und andere unangenehme Erfahrungen zu verursachen und kann sogar tödlich sein (Stafford 1977, R. Schultes und A. Hofmann 1979, Alberts und Mullen 2000). In Sibirien pflegten Leute nach dem Fliegenpilzverzehr ihren Urin zu sammeln, da er noch fast die gesamten psychoaktiven Substanzen erhielt, die zuvor eingenommen wurden, und angeblich auch verträglicher war. Manche Fliegenpilze wurden so bis zu sechsmal recycelt, wobei nur wenig von ihrer Potenz verloren ging. Es gibt auch einen Verweis auf das Trinken von Urin im Ṛg Veda. Das Erhitzen kommt im Ṛg Veda seltsamerweise fast nicht vor. Es gibt nur eine Hymne, 9, 46, 4, die folgende Anweisung enthält: Menschen mit geschickten Händen, kommt hierher, nehmt die strahlenden Säfte, mit Mehl vermischt, und kocht mit Milch den beglückenden Trank. Was gegen die Identifizierung vom Soma mit dem Fliegenpilz spricht, sind die verschiedenen Farben des Saftes, welche nahelegen, dass wir es nicht mit nur einer einzigen Pflanze oder einem einzigen Pilz zu tun haben, und die häufige Feststellung, dass Soma süß schmeckt. Mehr als ein Jahrhundert lang haben Gelehrte nach ‘der’ Somapflanze gesucht. Mehr als hundert psychoaktive Pflanzen wurden vorgeschlagen.

Ein Kandidat, wilde Raute (Peganum harmala), könnte die altpersische Wunderdroge Haoma gewesen sein, deren Name mit dem Begriff Soma verwandt ist. Wilde Raute ist mild halluzinogen und steigert die Wirkungen anderer Drogen, erzeugt aber unangenehme Nebeneffekte wie Erbrechen, Übelkeit und, in Überdosen, Lähmung des Zentralnervensystems. Die Pflanze wird üblicherweise bei Räucherungen verbrannt und nicht eingenommen, und dies bei dem parsischen Hunza-Volk bis zum heutigen Tag. Andere Drogen, die Soma gewesen sein könnten, werden von Christian Rätsch genannt (1988), der vorschlägt, dass Soma ein allgemeiner Begriff für eine Gruppe von psychoaktiven Pflanzen gewesen sein könnte, was die Widersprüche in den Hymnen erklären würde. Dass die Kräuterkunde hoch entwickelt war, können wir im Atharva Veda sehen, einem Werk, das einer großen Auswahl von Pflanzen die erstaunlichsten Heil- und Zauberkräfte zuschreibt. Manche davon wurden wie Gottheiten verehrt. Die Einnahme kam oft vor, aber mindestens so häufig wurden Pflanzenteile als Talismane getragen.