Der Kessel der Götter

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Opfergaben für die Tiefe

Beim Anbruch der La Tène-Zeit gewann die Welt unter der Oberfläche an Wichtigkeit. In der späten Urnenfelder- und frühen Hallstattzeit waren zahlreiche Opfergaben auf luftigen Anhöhen, Felsspitzen und aufragenden Berghängen dargebracht worden. Mit Beginn der La Tène-Zeit verlagert sich die Betonung nach unten. Beginnen wir mit den viereckigen Einfriedungen oder Viereckschanzen, wie ihre technische Bezeichnung lautet. Die Archäologen, die diese spezifischen Arrangements von Umfriedungen und Gruben zuerst entdeckten, hielten sie zunächst für Befestigungen. Heute wissen wir, dass viele Viereckschanzen heilige Bezirke kennzeichneten; sie dienten keinen militärischen Zwecken. Bei einigen aber handelt es sich nur um befestigte Höfe. Es existieren mehrere hundert bekannte Viereckschanzen. Die meisten verfügen über Wälle und eine Grube und sind mehr oder weniger quadratisch. Man findet sie in einem weiten Gürtel von der Bretagne bis Böhmen. In Britannien wurden bisher nur einige wenige Viereckschanzen und Schreine identifiziert. Das ist verständlich, da man nur solche Gebäude als religiös klassifizieren kann, die keinen bestimmten Zweck oder keinen funktionellen Gebrauch aufweisen - oder Votivgaben enthalten, die den Archäologen Hinweise geben können. Das bedeutet, dass die überwiegende Mehrzahl an religiösen Bauten und Orten nicht nachgewiesen werden kann.

Es bleibt zu vermerken, dass von den zwei Dutzend derartigen Fundorten, die in Britannien identifiziert wurden, 70 % rechteckig oder quadratisch waren (Hutton). Die meisten Viereckschanzen wurden in Süddeutschland entdeckt. Oft befanden sich Viereckschanzen in der Nähe einer Quelle, eines Baches oder Stroms, was von religiöser Bedeutung oder vielleicht einfach nur bequem gewesen sein mag. Viereckschanzen befinden sich oft in unspektakulärer Umgebung – nur wenige lagen exponiert oder boten erwähnenswerte Ausblicke auf die Umgebung. Im Allgemeinen wiesen solche Orte ein einzelnes Tor auf. Die Lage dieses Eingangs variiert sehr stark, mit der bemerkenswerten Einschränkung, dass keiner dieser Eingänge nach Norden lag.

Innerhalb mancher Viereckschanzen wurden Spuren kleinerer Gebäude entdeckt. Wir wissen von kleinen, überdachten Schreinen aus der gallo-römischen Periode, also waren diese Gebäude möglicherweise von ähnlicher Art. Zugegebenermaßen informieren uns Pomponius Mela und Lukan, dass die Gallier ihre Götter in abgelegenen Hainen im Wald verehrten, und Tacitus sowie Dio Cassius behaupten das gleiche von den britannischen Kelten. Es mag sich da um eine Verallgemeinerung gehandelt haben. Dennoch haben die Archäologen Beweise für viele kleine Tempelgebäude und Schreine entdeckt.

Es wäre verlockend, Spekulationen über Viereckschanzen und quadratische Hallstattgrabhügel anzustellen und sie mit der andersweltlichen viereckigen Gralsburg der frühen britannischen Poesie in Verbindung zu bringen. Sei es, wie es sei, die Viereckschanzen wiesen gelegentlich Kultschächte auf, tiefe Löcher, denen alle möglichen Arten von Opfergaben anvertraut wurden. Solche Schächte fanden sich in verschiedenen keltischen Kulturen. Manche dieser Schächte befanden sich innerhalb von Viereckschanzen; in anderen Fällen wissen wir nur von dem Schacht, haben aber keine Ahnung, ob er sich innerhalb eines heiligen Bezirks befand oder nicht.

Die Schanze von Holzhausen in Bayern wies drei solcher Schächte auf. Der Nordschacht hatte eine Tiefe von 6 m und enthielt einen Holzpfahl (2 m lang), der unter Verwendung von Lehm und Steinen sorgfältig befestigt worden war. Der südwestliche Schacht mit seinen 18 m Tiefe enthielt mehrere Schichten verbrannter Opfergaben. Der tiefste der drei ist der Nordwestschacht mit einer Tiefe von 35 m. Der Pfahl, Pfeiler oder Baumstamm im kürzesten Schacht ist interessant. Warum sollte jemand einen einzelnen Pfeiler so tief in der Erde errichten und, wie sorgfältige Analysen ergeben haben, ihn solchermaßen behandeln, dass Spuren von Fleisch und Blut an ihm zurückbleiben? Auf die Verehrung heiliger Bäume bei den keltisch-germanischen Stämmen (und vielen anderen indo-europäischen Kulturen) zu verweisen, reicht nicht. Es erklärt nicht, weshalb der Baum im Untergrund verehrt worden wäre. Was würdest Du vorschlagen? Sieh Dir einmal die Schächte in der Vendée in Frankreich an. Der mit 12 m tiefere von beiden war sorgfältig in vier Abschnitte unterteilt worden. Am Grunde des Schachts befand sich eine kleine Statue, und er war mit Erde aufgefüllt, die von Hirschgeweihen, Zweigen und Muscheln durchsetzt war. Dieser Abschnitt war mit einer Lage Steine abgeschlossen worden. Dann folgte der nächste Abschnitt – hauptsächlich Erde, durchsetzt mit Tierknochen und Töpferwaren. Eine weitere Lage Steine schloss diesen Teil ab. Darüber entdeckten die Archäologen eine Schicht Holzkohle, von noch mehr Steinen bedeckt. Oberhalb dieses Teils war der Schacht gefüllt mit Steinen und Knochen, manche von menschlicher Herkunft. Der obere Teil des Schachtes war gemauert, und der Steinmetz hatte ihn sorgfältig mit einem Deckel verschlossen. Der andere Schacht in der Vendée mit seinen 8 m Tiefe enthielt ebenfalls einen Baum, der grob gestutzt worden war, so dass einige seiner Äste herausstanden. Hier könnte auch vermutet werden, dass der Baum als Leiter diente. In der Nähe lag ein ausgehöhlter Baumstumpf. Rundherum fanden sich Erde, Töpferwaren, Krüge, Menschen- und Tierknochen. Der obere Teil war durch Mauerwerk verschlossen.

Was könnte der religiöse Hintergrund für diesen Schacht gewesen sein? Wir kennen ein britannisches Beispiel, den Schacht von Swanwick in Hampshire, 24 Fuß tief, 14 Fuß im Durchmesser. An seinem Fuß befand sich ein 5 Fuß hoher Pfahl, mit Lehm befestigt. Der Schacht hatte eine Lage Holzkohle. Darüber waren etwa 20 Webgewichte (aus Ton) und Fragmente einer Kornquetsche vergraben. Wie auch in anderen Fällen fanden sich an dem Pfahl Spuren von getrocknetem Fleisch und Blut. Die Webgewichte gehen in etwa auf 1200 bis 1000 vor unserer Zeit zurück, womit die gesamte Konstruktion wesentlich älter ist als die Hallstattzeit.

Kultschächte waren keine Erfindung der La Tène-Kelten, obgleich sie sie zweifellos perfektionierten. Es existiert einer in Vledder in den Niederlanden, der auf die Bronzezeit zurückgeht. Ein weiterer, zwei Meilen entfernt von Stonehenge, ist ein Schacht, der 110 Fuß tief in den Kreidestein gegraben wurde. Er war größtenteils leer, bis auf etwas Abfall, den seine Erbauer aus der Bronzezeit zurückgelassen haben, und einige Fragmente von Töpferwaren. Es ist keineswegs sicher, ob es sich hier um einen Kultschacht, einen Brunnen oder vielleicht eine Mischung aus beidem handelte. Seine Nähe zu Stonehenge macht eine kultische Nutzung wahrscheinlich. Es gab also Erbauer von Schächten in der späten Bronzezeit, aber dennoch tritt dieser Brauch nicht typisch in der Hallstattzeit auf. Richtig populär wurde er erst mit Anbruch der La Tène-Zeit.

Er wurde noch bis hinein in die Zeiten der römischen Besatzung gepflegt, ebenso wie manche Viereckschanzen in Gebrauch blieben (auch wenn es nicht immer der Gebrauch war, den man ursprünglich davon gemacht hatte), nachdem die Römer gekommen waren. Bedenke, dass das Versenken von Opfergaben in Löcher und Schächte auch im alten Rom und Griechenland populär war; die Römer hätten also keinen Grund gehabt, etwas dagegen einzuwenden.

Kultschächte enthielten alle möglichen Arten von Gegenständen. Der Schacht (oder Brunnen?) von Biddenham enthielt ein menschliches Skelett, Teile einer Altartafel, eine beschädigte Statue, Scherben von ca. 50 römischen Urnen, Pferde-, Fuchs-, Ochsen- und Hundeknochen sowie Kieselsteine. Der Schacht oder Brunnen von Wolfhamcote enthielt einen großen, quadratischen Steinblock mit einem Loch im Zentrum, sowie 24 Urnen, 12 davon intakt. Am bemerkenswertesten ist der Schacht von Ashill in Norfolk, wo der oberste Abschnitt Teile von bemaltem Wandverputz, Töpferwaren, Knochen (darunter auch Krötenknochen, wie Ann Ross in ihrer hervorragenden Studie vermerkte), Überreste eines Eimers, einen Korb aus Weidenbast und ein eisernes Messer enthielt. In der Lage darunter befanden sich intakte Urnen, in Haselnussblätter und –nüsse gebettet. Zwischen den Urnen fand sich das eine oder andere Knochenfragment, eiserne Utensilien (Talismane?) und Fibeln. Ganz unten, am Grunde des Schachts, fand sich eine Lage Feuerstein.

Die unter- und andersweltlichen Qualitäten des Haselstrauchs sind Gegenstand des Kapitels über Baumwissen. Alles in allem kann man sehen, dass unsere La Tène-Kelten fröhlich alle möglichen Dinge in tiefen Löchern verscharrten – sakrale Güter, profane Güter und gewöhnlichen Müll. Das war allerdings nicht ihre einzige Art, sich mit der Anderswelt auszutauschen. Viele Kultschächte sehen Brunnen ziemlich ähnlich, und in einigen Fällen sind sich die Wissenschaftler alles andere als sicher, womit sie es nun eigentlich zu tun haben. Viele mittel- und nordeuropäische Märchen erzählen, dass ein Brunnen ein Tor zur Tiefe ist. Nun hatten die La Tène-Kelten eine besondere Schwäche dafür, den Göttern der Unterwelt Opfer darzubringen. Zahlreiche Opfergaben wurden den Brunnen überantwortet. In Carrawbrough gibt es einen der Göttin Coventina geweihten Brunnen. Er enthielt Schmucknadeln, mehr als 14.000 Münzen, Glas, Schmuckstücke, Töpferwaren, einen Bronzehund und –pferd und einen menschlichen Schädel. Außerdem enthielt er mehrere große Altäre, einige davon der Göttin des Brunnens selbst geweiht. Man kann Opfergaben darbringen, indem man wertvolle Dinge in einen Brunnen wirft, aber man kann durch dieses Tor auch Nachrichten übermitteln.

Ein heiliger Ort in der Nähe einer heißen Quelle bei Chamalières enthielt außergewöhnliche Gegenstände. Die Überreste Tausender von Holztäfelchen, die einst in den heiligen Brunnen geworfen worden waren, wurden 1971 ausgegraben, zusammen mit einer Bleitafel. Auf letzterer war noch die Inschrift lesbar; eins der seltenen Zeugnisse der gallischen Sprache:

 

Oben links: kleine Bronzegegenstände aus dem Heidetränk-Oppidum, Taunus, Hessen, Deutschland, späte La Tène -Zeit.

Oben rechts: Pferdekopf mit langem Hals, unbekannter Ort, Taunus.

Unten: La Tène -Grabgüter aus der Wetterau, Hessen, Deutschland. Widderschädel aus Bad Nauheim, Einäscherungsurne aus Rockenberg, stachelbesetzte Becher aus Heldenbergen und Bad Nauheim. Kultobjekte, Punk-Kunst oder ein Scherzartikel?

Mit dieser magischen Tafel ehre ich den göttlichen Maponos Arvernatis, in dem ein Gott wohnt. Gib uns Schnelligkeit (im Angriff) und auch den folgenden Männern dank der Magie der Anderoi (=Brixtia Anderon, vermutlich: die Magie der Unterweltgötter): dem Beschwörer C. Lucios Floros Nigrinos, Aemilios Paterin(os), Claudios Legitumos, Caelios Pelign(os), Claudios Pelign(os), Marcios Victorin(os), Asiati(os), dem Sohn des Addedillos und den Segovii, die den Eid schwören werden. Das Kleine wird groß werden, wenn er es gesät hat. Ich werde das Gebogene gerade machen. Obschon blind, werde ich sehend sein durch die Liedtafel. Er wird jenen (den Feind) niederschlagen. Ich bereite sie für Lugus vor. Luxe (?)

(Übers. Karl Horst Schmidt, 1981)

Was immer auch der okkulte Zweck dieses Ritus gewesen sein mag, einige der Namen sind uns vertraut. Da sind Maponos (von den Arvernern) und Lugus. Wir werden später mehr von ihnen lesen. In der Version von Schmidt hat die Tafel einen entschieden aggressiven Ton, da von schlagen, Angriff und so weiter die Rede ist. Das passt sehr gut zu einem Zaubermittel, das oft für Verfluchungen verwendet wurde. Wie deutest Du diesen magischen Text? Planten die Verfasser eine Revolte, oder wollten sie einen gemeinsamen Feind verfluchen? Eine Interpretation von Wolfgang Meid (1992) besagt, dass wir es hier mit einer Gruppe betagter Männer zu tun haben, die Maponos, den Gott der Jugend, bitten, sie von Leiden wie Impotenz (das Kleine … soll groß werden), Rheuma (Ich mache das Gebogene gerade) und nachlassendem Augenlicht (als jemand, der nicht mehr sehen kann, sehe ich) zu heilen. Als Zauberspruch ergäbe das durchaus einen Sinn, obgleich wir nicht vergessen dürfen, dass die ursprüngliche Bedeutung unsicher war, ist und bleiben wird. Der Text beinhaltet einige interessante Begriffe wie zum Beispiel risu naritu (mit zauberkräftiger Inschrift) vom keltischen *nerto – Kraft, Stärke, was von der indo-europäischen Wurzel *ner, kreative (also magische) Kraft herstammt. Denk mal darüber nach. Etwas weniger klar ist der Ausdruck brixtia anderon (Magie der Unterirdischen, Magie der Götter der Unterwelt), von anderos – unter, infernus. Das ist die üblichste und vielleicht auch wahrscheinlichste Deutung. Wie dem auch sei, während brixtia definitiv Magie bedeutet, könnte anderon auch vom keltischen *andera (junge Frau) stammen, wie P. L. Henry vorschlägt. Es ist vielleicht ein bisschen frivol, davon auszugehen, dass die Verfasser des Zaubers hofften, die Auswirkungen des Alters mit Hilfe des Charmes von jungen Frauen zu beseitigen, aber es liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Und wenn man bedenkt, auf was für unsicherer Grundlage Übersetzungen aus dem Gallischen stehen, lässt es sich nicht komplett von der Hand weisen.

Zur Brixtia der Frauen sieh Dir bitte den Abschnitt über das Bleitäfelchen von Larzac im Kapitel über das klassische Druidentum an. Vielleicht wäre es ganz nützlich, sich einmal in das Wesen der Unterweltgötter hineinzudenken oder zu –träumen. Wer sind eigentlich die Götter der Unterwelt? Wer sind sie heute, und wer waren sie zur Zeit der Kelten? Die irische Mythologie sagt uns, dass die Söhne des Mil die früheren Götter, die Tuatha de Danann, in die hohlen Hügel hineingetrieben haben, in die Tiefe unter der Erdoberfläche. Wie viele Generationen älterer Götter wurden wohl von den Göttern jüngerer und aggressiver Kulte gezwungen, in den Untergrund zu gehen? Wen würdest Du wohl treffen, wenn Du in Trance gehen und diese verborgenen Reiche bereisen würdest? Die Magie der Tiefe zu erforschen ist nicht einfach; die Zaubersprüche und sichtbaren Formen der Götter, die aus dem strahlenden Himmel und dem vielgestaltigen Antlitz der Erde verjagt wurden, änderten sich, als der unbeständige Geist der Menschen sich neuen Idealen zuwandte. Viele keltische Götter, die in ihrer Zeit stark und mächtig waren, ruhen jetzt wie tot, aber dennoch träumend, halb erinnert, halb vergessen, in einem Schattenreich verzerrter Erinnerungen. Sie zu wecken ist kein Spiel, sondern eine gefährliche Einweihung, die Phantasie, Verantwortung, Geduld und Hingabe erfordert. Es hilft auch, wenn Du über Dich selbst lachen kannst und bereit bist, unerwartete Dinge zu lernen. Vergessene Götter kommen als Schock oder Überraschung; man muss einige Anpassungen vornehmen, damit sie mit einer Zeit zurechtkommen, die so ganz anders ist als die Zeiten, in denen sie mit Blut und Knochen verehrt wurden. Wie können sich die keltischen Götter verwandeln, um in unsere Zeit zu passen? Wenn Du das herausfinden möchtest, wie wäre es, wenn Du den Begriff brixtia anderon als Mantra verwenden würdest, wenn Du auf Reisen gehst?

Metall- oder Holztäfelchen wurden gern verwendet, um der Anderswelt Botschaften zu schicken. Tausende von Leuten hinterließen Inschriften am oder in der Nähe des Brunnens von Chamalières, und jede war eine Bitte um Hilfe oder Unterstützung. In einer Zeit, in der nur sehr wenige lesen und schreiben konnten, hatte sogar eine einfache Inschrift wie die zuvor beschriebene einen höchst magischen Charakter. Vergleiche einmal den Akt, eine Botschaft an die Tiefe zu schicken, mit moderner Sigillenmagie. Was fällt Dir auf?

Die Heiligkeit des Wassers

Wasserverehrung fand in mehreren Formen statt. In den meisten keltischen Ländern wurden heilige Brunnen verehrt. Die Anwohner glaubten an die heilenden Kräfte des Wassers, und sie glaubten auch an die Gottheiten des Ortes. Oft waren es Göttinnen, die mit bestimmten Quellen und Brunnen in Verbindung gebracht wurden. Die La Tène-Leute auf dem Kontinent, in Britannien und Irland identifizierten ihre Flüsse und Ströme oft mit ganz bestimmten Göttinnen. Es gibt zahlreiche Beispiele für diesen Brauch – man denke nur einmal an die Flüsse Wharfe (Verbeia), Boyne (Boand), Shannon (Sinann), die Seine (Sequaner), Yonne (Icauna), Saônne (Souconna), Marne (Matronen), Reuss (Rigusia), Main (Mogons) und so weiter. Das bedeutet, dass der Fluss selbst die Gottheit war, in all ihren Freude spendenden und schrecklichen Aspekten. Die Flussgöttin konnte ein freundliches Gesicht zeigen, aber sie konnte auch verheerende Überflutungen verursachen, Boote versenken und Fischer ertränken. Es ist kein Zufall, dass viele der keltischen Völker glaubten, ihr Fluss verlange einmal im Jahr ein Opfer, damit die Flussgöttin zufrieden sei. Wurde das Opfern vergessen, nahm sich der Fluss selbst welche. Es gibt da ein seltsames Märchen. Fischer am Ufer eines Flusses hörten eine seltsame Stimme, die verkündete: „Die Zeit ist hier, der Mann noch nicht.” Dann erblickten sie einen armen Narren, der wie betäubt vor sich hin wanderte. In einigen Versionen stürzt das Opfer in den Fluss und ertrinkt sofort, in einigen versuchen die Fischer, es aufzuhalten und zu retten – allerdings vergeblich, da es sich bei der ersten bietenden Gelegenheit in den Fluss stürzt. Ich habe Variationen dieser Geschichte in der schottischen Folklore gefunden, in Legenden aus Vorarlberg (Österreich) und an der Kinzig in Hessen. Was unsere Forschungen angeht, sollten wir im Gedächtnis behalten, dass für die Kelten, von denen wir wissen, Flüsse oft, aber nicht immer Göttinnen waren. Spuren heidnischer keltischer Schreine wurden nahe dem Ursprung mehrerer solcher Flüsse gefunden, die zeigen, dass es als klug galt, sich der Göttin da zu nähern, wo sie gute Laune hat und noch jung, frisch und verspielt ist.

Andere wichtige Wasserorte waren die Stellen, wo Flüsse ineinander mündeten; sie spielen später in volkstümlichen Bräuchen eine Rolle. Es ist wahrscheinlich, dass man das Wasser als solches für eine heilige Substanz hielt. Denke nur an Tau, das geheimnisvolle Wasser, das aus dem Nichts heraus erscheint und das von den mittel- und nordeuropäischen Heiden verehrt wurde. Bis zum heutigen Tag besiegeln Bewohner des ländlichen Schottland einen Vertrag, indem sie sich die Hände über einem fließenden Gewässer schütteln; das soll bindender sein als ein schriftlicher Vertrag. In die Hand spucken, ehe man sich die Hände schüttelt, scheint einer ähnlichen Tradition zu entstammen. Und was ist mit den Heilkräften des Osterwassers, das zu Sonnenaufgang am Ostermorgen in vollkommener Stille geschöpft werden muss, eine Tradition, die man in germanisch-keltischen Ländern auf dem Kontinent findet? Viele Kelten legten bemerkenswerte Strecken zurück, um heilige Brunnen und Quellen zu besuchen und dort das Wasser einzunehmen. Auch während der römischen Besatzung ging dieser Brauch weiter. In Bezug auf die Quellenverehrung hatten die Römer mit den Kelten und den Germanen eine gemeinsame Grundlage, so dass sich ihre Kulte problemlos vermischten. Beschäftigt man sich mit den heiligen Brunnen im Rheinland, stellt man fest, dass die Ankunft der Römer die Popularität dieser Orte noch erhöht hat. Während man sich in früherer Zeit mit ein oder zwei kleinen Schreinen begnügte, findet man unter römischer Herrschaft ganze Gebäudekomplexe, viele von ihnen Herbergen, die in der Nähe der segensreichen Quelle entstanden. Die wenigsten heiligen Brunnen Britanniens geben Aufschluss über heidnische keltische Aktivitäten. Nicht etwa, weil sie nicht beliebt gewesen wären, sondern weil die folgenden Generationen, die Römer und die Menschen des Mittelalters, diese Orte so gründlich umbauten und renovierten. Unter römischer Herrschaft finden wir zahlreiche Weiheinschriften für die „Nymphen” eines Ortes. Es handelte sich dabei ursprünglich um die Göttinnen von Brunnen und Quellen; die Römer machten sich nicht die Mühe, sie beim Namen zu nennen.

Nicht nur bei heiligen Brunnen stehen die Tore zwischen den Welten offen, damit man auf die andere Seite hinüber wechseln kann. Auf ähnliche Denkweisen stößt man, wenn man die zahllosen Gegenstände erforscht, die in Flüsse, Seen und Sümpfe geworfen wurden. Von der Schweiz bis nach Schottland weihten Menschen wertvolle Gegenstände, teils alt, teils neu, und warfen sie in die Tiefen. Manche wurden absichtlich zerstört oder beschädigt, wie um ihren Wert in dieser Welt zu verringern, oder um klar zu machen, dass sie nicht mehr von Menschenhand benutzt werden sollten. Ringe, Armreifen, Torques, Schwerter, Schilde, Rüstungen, Helme, Kessel, Trompeten, Münzen… alles wurde dem hungrigen Wasser anvertraut. Man kennt das von vielen keltischen Völkern, aber der Brauch selbst scheint um einiges älter zu sein, wenn man bedenkt, dass in manchen Gegenden neusteinzeitliche Bauern Feuersteinwerkzeuge in Flüsse warfen und die Leute der Bronzezeit eifrig Waffen und ähnliche Güter opferten.


Bronzeamulette aus verschiedenen Gräbern (nach Pauli)

Oberste Reihe: Esslingen, Sirnau. Alle übrigen: Stuttgart, Uhlbach

In Britannien fließen die meisten Flüsse, die solche Opfergaben enthalten, ostwärts. Ronald Hutton schreibt von einem seltsamen Muster, das im Hinblick auf britannische Opfergaben zwischen 1200 und 400 vor unserer Zeit sichtbar wird. In dieser Periode wurden Schilde und Gefässe fast immer in Sümpfen und Teichen versenkt, während Schwerter in Flüsse geworfen wurden. Halsbänder wurden in beiden Orten nicht gefunden. In der mittleren Eisenzeit wurden die Wasserhorte Britanniens weniger populär, während in der späten Eisenzeit (die etwa 100 vor unserer Zeit in Britannien begann) Schwerter durch Kessel als populärste Opfergabe ersetzt wurden und die Zerstörung der Gegenstände vor dem Versenken zum allgemeinen Brauch wurde. Die Opfergabe war etwas, was man teilte; eine Geste des Dankes für den Reichtum oder Sieg, den die Götter geschenkt hatten.

Natürlich bleibt die Frage, wer genau die Opfergaben darbrachte und in welcher Absicht. Warum finden wir verblüffend wertvolle Waffen in Flüssen, wenn im Vergleich dazu so mancher Kriegerhäuptling mit minderwertigen Waffen begraben wurde? Wie sollen wir die Aussagen von Strabo und Diodorus Siculus deuten, die anmerken, dass die gallischen Völker Schätze und Beute, die sie im Krieg gemacht hatten, in Teiche zu werfen pflegen, als Opfergaben für die Götter? Was ist mit den Holzstatuen mit den goldenen Torques, die in den Schweizer Seen (Genf, Villeneuve) gefunden wurden? Oder, um mal eine der ekligeren Opfergaben zu betrachten, welche Bedeutung hatten die Masken, die aus der behaarten Haut von Männerbeinen angefertigt worden waren und die man mit einiger Regelmässigkeit in norddeutschen Sümpfen gefunden hat, aber auch im südlichen (keltischen) Deutschland und in der Schweiz (Rosenheim, Singen und am Chiemsee)? Und, als letzte, aber ganz und gar fiktive Idee, was ist mit König Arthur, der sterbend anordnete, dass sein heiliges Schwert in den See geworfen werden sollte? Es wäre einfach, Opfergaben für Flüsse und Seen zu verallgemeinern, es könnte aber auch in die Irre führen. Obwohl der Brauch weit verbreitet gewesen zu sein scheint, kann er in verschiedenen Ländern durchaus auf verschiedene Weise interpretiert worden sein. In manchen Fällen sind die Gegenstände, die in Flüsse und Teiche geworfen wurden, den in Gräbern gefundenen sehr ähnlich. Könnte der Fluss als eine Art Grab fungiert haben? In dem Fall wäre dann die Asche der Toten schon lange fortgespült worden, während die Grabbeigaben erhalten sind.

 

Das Einzige, dessen wir uns sicher sein können, ist, dass die Orte, an denen die Unterwelt nah war, bei einer Anzahl von Ritualen genutzt wurde, bei denen Opfergaben irgendeiner Art dargebracht wurden. An jedem dieser Orte ist der Schleier zwischen den Welten sehr dünn. Das trifft sozusagen auch physisch zu – man braucht kein Loch zu graben, man kann einfach etwas hineinwerfen, und plopp – ist es verschwunden. Das gilt übrigens auch für Geisteszustände.

Nur wenige natürliche Phänomene haben eine so hypnotische Qualität wie das Beobachten kleiner, auf der Oberfläche zitternder Wellen an einem abgeschiedenen See. Betrachte die Wellen, wie sie am Ufer anlaufen. Erlaube Deinen Augen, sich zu defokussieren, und beruhige Deinen Geist. Wenn Du möchtest, kannst Du Deinem Körper oder Kopf erlauben, sich leicht zu wiegen; das ist nützlich, um die Trance auszubauen. Versuche es mit verschiedenen Geschwindigkeiten; langsames Wiegen lässt das Bewusstsein tief und ruhig werden, während schnelles Wiegen leicht zu Schütteln, Zittern und wilden, erregten Trancestadien führen kann. Bei Wasser und dem besänftigenden Glitzern des Lichts auf der Oberfläche kann eine langsame Trance passender sein. Lasse Deine inneren Stimmen langsamer werden und allmählich verstummen. Schon bald wird der sanfte Rhythmus des Wassers einen traumähnlichen Trancezustand herbeiführen. Betrachte die sich spiegelnden Zweige und Bäume im Wasser, blicke nach unten und sieh die Wolken vorbeiziehen. Oder betrachte die Wasseroberfläche, wenn ein sanfter Regenschauer sie in eine Mandala sich ewig erneuernder Kreise verwandelt. Was ist mit dem Glitzern von Sonnenlicht? Leere Deinen Geist, umarme die Stille und sieh.

Trancen müssen nicht immer eigens herbeigeführt werden; unter bestimmten Bedingungen ergeben sie sich natürlich. Die Seher der Antike wussten ebensoviel über die Mechanismen des Bewußtseins wie moderne Forscher, sie wussten, dass bestimmte natürliche Phänomene Trancen induzieren können, wenn man sich ihnen geduldig und mit offenem Geist nähert. Wie Du später noch lesen wirst, sagten manche Seher wahr, indem sie die Wasserwirbel in Flüssen betrachteten. Irische Poeten pflegten das Reich zu besuchen, wo Erde und Wasser sich treffen, um wahrzusagen und zu prophezeien.

Wer immer sich einem heiligen Brunnen, einer Quelle, einem See oder Fluss näherte, hatte gute Chancen, einen massiven Bewusstseinswandel zu erleben, vorausgesetzt, er näherte sich mit ruhigem, aufnahmebereitem Geist. Du kannst das auch.

Welche Götter ruhen in den Flüssen in Deiner Nachbarschaft? Wie sahen diese Flüsse in früheren Zeiten aus? Wer wird Deine Träume empfangen? Welche Gaben würdest Du ihnen darbringen, und welche Botschaft möchtest Du für die aufschreiben, die unter der Oberfläche leben? Worauf willst Du sie schreiben? Blei ist keine besonders elegante Lösung, und die meisten Holzarten schwimmen. Du könntest etwas Lehm nehmen, ihn glatt streichen, Deine Botschaften oder Sigillen einritzen, ihn eine Weile trocknen lassen und dann der bodenlosen Tiefe anvertrauen. Was verbirgt sich am Grunde des Brunnens, des Schachtes, der Höhle oder der glitzernden Wasser des Flusses? Was verbirgt sich unter der Oberfläche des Bewußtseins?