Der Kessel der Götter

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Talismane

Die Menschen der späten Hallstattzeit und der frühen La Tène-Zeit legten gerne Objekte mit Talisman-Funktion in Gräber. Mit dem Wort Talisman meine ich einfach jede Art von ungewöhnlichem Gegenstand, der weder in der Kleidung noch in der Anderswelt eine Funktion hat. Wir wissen sehr wenig über Talismane, die im Alltagsleben getragen wurden, aber es gibt zahlreiche Talismane in Gräbern. Es mag hilfreich sein, sich klar zu machen, dass die Gegenstände, die in Gräbern gefunden wurden, nicht notwendigerweise Gegenstände sind, die man im täglichen Leben trug oder besaß. Bei einigen von ihnen war das vielleicht der Fall, aber da viele Grabbeigaben keinerlei Abnutzungsspuren aufweisen oder nicht funktionsfähig sind, sollten wir uns keine stolze Kelten vorstellen, die in ihrer Bestattungskleidung herumwandern. Wir laufen ja auch nicht in Totenhemden herum.

Du fragst Dich jetzt vielleicht, wie man sicher sein kann, ob ein bestimmter Gegenstand, sei es nun eine Glasperle, ein Stück Bernstein oder ein ungewöhnlicher Bronzeanhänger, als Talisman fungierte und nicht einfach nur ein beliebtes Schmuckstück war. Hätten wir nur ein oder zwei Begräbnisse als Anhaltspunkte, wäre das in der Tat eine schwierige Frage. Aber es wird sehr viel leichter, wenn man mehrere Begräbnisse untersucht. In vielen Fällen findet man Talismane nicht als Einzelstücke, sondern gleich in Massen oder als Sammlung. Harmlos aussehende Gegenstände entpuppen sich als Talismane, wenn sie in den Gräbern spezieller Bevölkerungsgruppen und in Gesellschaft von Gegenständen zu finden sind, deren magische Natur offensichtlich ist.

Für diesen Abschnitt möchte ich Gebrauch machen von der faszinierenden Studie von Ludwig Pauli, der 1975 alle bekannten (und zuverlässigen) Funde keltischer Talismane katalogisierte. Talismane fallen in unterschiedliche Kategorien; ebenso wie die Leute, die sie bei sich trugen.

Stark vereinfacht könnte man sagen, dass die meisten Objekte mit Talismanfunktion aus den Gräbern von Frauen und Kindern stammen. Männer hatten selten Talismane bei sich (oder zumindest Talismane, die als solche zu erkennen sind) und unter diesen scheint ein großer Anteil zur Gruppe der „gefährlichen Toten” zu gehören. Man kann sich einen Talisman in mehreren Funktionen vorstellen. Es kann sich um ein sakrales Objekt handeln, das seinen Träger schützt, sei es im täglichen Leben oder auf der Reise in die Anderswelt. Man könnte auch vermuten, dass manche der Toten als eine solche Bedrohung angesehen wurden, dass die Gesellschaft ihnen Talismane mitgab, um dafür zu sorgen, dass der Geist der Verstorbenen auch wirklich sicher im Grab blieb. Wenn wir uns mit Talismanen beschäftigen, müssen wir uns natürlich mit den Gegenständen begnügen, die bis in unsere Zeit erhalten geblieben sind. Wir müssen davon ausgehen, dass auch Talismane aus Holz, Leder, Horn, Federn, Pflanzen und organischen Materialien existierten, die es nicht bis in unsere Zeit geschafft haben. Schauen wir doch mal, was wir da finden.

Amulette (nach Pauli)

Oben: Dürrnberg Grab 71 / 2, Kleine Auswahl an Talismanen, obere Reihe Bronze,

untere Reihe Glasperlen & Metallabfälle.

Unten: Dürrnberg Grab 77 / 3, Auswahl an Talismanen, Bronze, Glas, Hirschhorn, Eberzähne, Eisenstücke.

Rasseln: Tonrasseln, gefüllt mit kleinen Tonperlen, findet man in mehreren Gräbern der Hallstattzeit. Oft sind sie wie Wasservögel geformt. Frühere Archäologen nahmen an, dass es sich dabei um Kinderspielzeug oder Musikinstrumente gehandelt hat. Da sie kaum (oder überhaupt keine) Gebrauchsspuren aufweisen, sind sie wohl direkt für Begräbnisse angefertigt worden. Damen der Hallstattzeit hatten oft Metallrasseln – klimpernde Bronzestücke und dergleichen – in ihren Gräbern. In der frühen La Tène-Zeit wurden diese Gegenstände immer kleiner und kamen nach und nach aus der Mode. Man würde sie nicht als Talismane betrachten, wenn sie nicht zusammen mit einer Anzahl ungewöhnlicher Gegenstände gefunden worden wären. Manchmal wurde sogar nur ein einzelnes Bronzeplättchen vergraben – ein Beweis dafür, dass der Gegenstand nicht als Musikinstrument gedacht war.

Bronzegegenstände: Hier gibt es unterschiedlichste Gegenstände. Anhänger in Form von Rädern, Dreiecken, Quadraten, Äxten, Schuhen, Füssen, Hirschen und nackten Menschen werden oft in Gräbern gefunden, häufig gleich mehrere auf einmal, auf eine Schnur oder Bronzedraht aufgefädelt oder neben die Leiche gelegt. Auch kleine Bronzekeulen als Anhänger hat man gefunden. Sie sind verhältnismäßig ungewöhnlich, da man sie nie in Gemeinschaft mit anderen Amuletten gefunden hat. Da die Orte, an denen man diese Beigaben in Gräbern findet, stark variieren, können wir davon ausgehen, dass sie für gewöhnlich nicht als Bestandteil der normalen Alltagskleidung getragen wurden. Dreiecke findet man übrigens auch in Norddeutschland, also weit ab vom Gebiet der La Tène-Kelten.

Unfertige Gegenstände: Hier handelt es sich um eine Anzahl von Gegenständen, die speziell für das Begräbnis hergestellt wurden. Man findet nicht entgratete Bronzeringe und Armreifen, die so rauh und zackig sind, dass man sie nicht hätte tragen können. Manche von ihnen sind einfach Fehlgüsse, andere sind schlicht Abfall oder wurden absichtlich zerstört. Es gibt unzählige solcher Gegenstände, was zeigt, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um reguläre Bräuche handelte.

Metallstücke: Viele junge Frauen und einige verdächtige Männer hatten seltsame Metallstücke in ihren Gräbern liegen. Es konnte sich um ein gefaltetes Stück Bronzefolie handeln, Bruchstücke von Lanzen oder Schwertern, Stücke von Draht und so weiter. In vielen Fällen waren alte und kaputte Metallgegenstände für die Gräber bestimmt. Stücke von Eisen sind besonders in Kindergräbern verbreitet. Es wäre verführerisch, solche Gaben mit dem wohlbekannten mittelalterlichen Glauben in Verbindung zu bringen, dass Elfen, böse Geister und all ihre Verwandten vor Eisen Angst haben und dass es möglich ist, einen bösen Menschen damit an sein Grab zu binden. Es liegt im Rahmen des Möglichen, dass ähnliche Überzeugungen schon in der Mitte des ersten Jahrtausends vor unserer Zeit gepflegt wurden. Allerdings bestehen in unseren frühkeltischen Gräbern nicht alle diese Gegenstände aus Eisen. Besondere Aufmerksamkeit sollte den winzigen Bronzeringen geschenkt werden, wie man sie erhält, wenn eine Halskette kaputt geht. Sie waren ein populärer Gegenstand in Gräbern, und manchmal findet man solche kleinen Ringe über die ganze Leiche verstreut.

Dicke, hohle Bronzereifen ohne erkennbare Funktion kennt man aus einigen Gräbern junger Frauen und aus wenigen Kindergräbern. Manche von ihnen waren mit ungewöhnlichen Substanzen gefüllt, wie zum Beispiel Baumharz oder Pech; bei einem Kind war ein solcher Ring mit Jett gefüllt, bei zwei anderen Ringen bestand das Innere aus Eisen. In jedem Fall war die Substanz innen nicht von aussen zu sehen und der Gegenstand hatte keinen funktionellen Nutzen.

Mineralien ungewöhnlicher Art waren ebenfalls eine populäre Beigabe. Vier Kinder und eine junge Frau (?) in Dürrnberg hatten kleine Quarzkristalle in der Nähe ihres Kiefers liegen; möglicherweise waren sie ihnen vor dem Begräbnis in den Mund gelegt worden. Kiesel, Quarz, Jett, Jaspis, Muscovit und Eisen wurden alle in Amulettsammlungen gefunden, alle unpoliert und offensichtlich nicht zum Schmuck bestimmt. Sogar große Steinbruchstücke wurden vergraben – große Kiesel, Stücke von Sandstein, oder auf natürliche Weise entstandene Lochsteine.

Ein halbes Dutzend Gräber enthielt steinzeitliche Feuersteinwerkzeuge wie beispielsweise Axtköpfe oder Pfeilspitzen, während Gräber, die kleine Bruchstücke von Feuerstein enthielten, zu zahlreich sind, als dass man sie alle aufzählen könnte. Versteinerte Schnecken, Seeigel und Muscheln treten ebenfalls in Erscheinung.

Muschelschalen waren genauso wichtig. Man kennt nur drei Kauri- (Cyprea)-Muscheln aus dieser Zeit, was ungewöhnlich ist, wie Pauli anmerkt, da sie in der Steinzeit, der frühen Bronzezeit und im frühen Mittelalter sehr populäre Importgüter waren. Flussmuscheln tauchen in mehreren Talismansammlungen auf. Der Friedhof von Dreitzsch enthielt viele – mehrere zeigten Spuren von roten Pigmenten.

Schneckenhäuser hatten ebenfalls Talisman-Qualitäten. Mindestens 14 Gräber enthielten welche. In den meisten Fällen war es offensichtlich, dass sie nie Bestandteil der Kleidung gewesen waren. Man findet sie über die Leiche verstreut, sie liegen zwischen den Beinen, in der Nähe der Hände und Füsse, in Haufen über dem Kopf, und drei Gräber sind sogar in einem Kreis von Heliciadae-Schneckenhäusern umgeben. In zwei Fällen bildeten die Schalen (Schneckenhäuser und Flussmuscheln) eine ganze Schicht unter dem tatsächlichen Grab.

Eberhauer waren wahrscheinlich die beliebtesten Amulette, die aus Teilen von Tieren angefertigt wurden; mehr als zwanzig von ihnen wurden ausgegraben. Manche von ihnen wurden in Kriegergräbern gefunden, aber die große Mehrzahl entstammt Frauen- und Kindergräbern. Einige wenige sind in Bronze gefasst und waren offensichtlich dazu bestimmt, getragen zu werden, die meisten aber wurden einfach in das frisch ausgehobene Grab gelegt.

Hirschhorn ist ein weiterer Favorit. Man findet Geweihfragmente in mehreren Gräbern, oft ohne irgendeinen Hinweis auf ihren Zweck, und der ungewöhnliche Frauensarg von Dannstatt war ganz mit Geweihen bedeckt. Es lag auch einer dieser ungewöhnlichen irdenen Ringe innerhalb ihrer Hüften, – wurde der Leib versiegelt, oder haben wir es hier, wie einige naive Enthusiasten vorgeschlagen haben, mit einer Art primitiven Pessar zu tun? Ähnliche Ringe oder Lochsteine wurden im Beckenbereich mehrerer Frauen gefunden. In Bezug auf Tier-Amulette sind Eber und Hirsche die absoluten Favoriten.

 

Hier ein paar Spekulationen. Etliche Wissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass Schweine und Eber von mehreren keltischen Kulturen als Kreaturen der Anderswelt betrachtet wurden. Die spiegelte sich in frühen Begräbnissen wider, aber auch in der mittelalterlichen inselkeltischen Literatur, wie im Mabinogi, wo ausdrücklich festgestellt wird, dass Schweine eine Gabe von Arawn, dem Herren der Anderswelt, waren. Es existiert auch eine Szene, in der der göttliche Zauberer Gwydion mit Hilfe einer schwarzen Sau die Seele seines ermordeten Ziehsohns Llew sucht. Archäologische Funde zeigen, dass, wenn es um Grabbeigaben geht, Hirschgeweihe und –zähne fast ebenso beliebt waren wie Eberhauer. Der Hirsch als Andersweltgeschöpf wurde allerdings von den Forschen übersehen, obwohl das Mabinogi damit beginnt, dass König Pwyll einen verzauberten Hirsch jagt, der von besagtem Arawn als Köder gesandt worden ist. Indem Pwyll dem Hirsch in die Tiefen eines schattigen Tals folgt, betritt er die Anderswelt. Ähnliche Hirsche findet man überall in der europäischen und orientalischen Folklore; es scheint sogar, dass immer dann, wenn die Bewohner der Anderswelt einen Fürsten oder König fangen möchten, sie ihre Beute mit einem Hirsch ködern. Dies bringt uns zu einer mysteriösen Zeile, die von einem der Taliesins stammt: Ihr Ende ist nicht bekannt. Was der Schweine, was der Wanderung der Hirsche?. (Bo T 7). Könnte es sich dabei um die Wanderungen der Schweine und Hirsche in die Anderswelt handeln? Wie auch immer die Wahrheit aussehen mag, wir können sicher sein, dass die Menschen der frühen La Tène-Zeit sich ein gewisses Maß an Schutz von den Geistern dieser Tiere versprachen.

Teile von Tieren: Bärenzähne als Talismane wurden in mindestens elf Gräbern gefunden. Weniger verbreitet sind andere Tiere, wie zum Beispiel Pferdezähne oder –knochen (9), Rinder- und Kuhzähne (4), Wolfszähne (2), Hundezähne (2), Nagetierzähne (2), Knochenfragmente vom Aurochsen (3), Kieferknochen von Katzen (2) und eine große Anzahl an Sprunggelenken verschiedener Spezies.

Menschenzähne als Talismane sind aus vier Gräbern bekannt.

Bernstein stellt uns vor das Problem, dass er als Schmuck gedient haben könnte. Allerdings findet man ihn häufig in Gräbern, die reich an Talismanen sind. Das gleiche gilt für

Glasperlen. Hier ist die Lage einfach. Die meisten Bernstein- und Glasperlen stammen aus den Gräbern junger Frauen und Kinder. Der Dürrnberg beispielsweise wies 359 Glasperlen in 331 Gräbern auf. Von diesen gehörten 314 Gräber jungen Frauen unter 25 und Kindern. Ähnliche Statistiken könnte man für andere mitteleuropäische Friedhöfe aufstellen. Was immer auch der Grund sein mag, Frauen über 20 hatten nur selten Glas in ihren Gräbern. Das sieht nicht nach einem Modetrend aus. Plinius der Ältere wies auf die Talisman-Qualitäten von Bernstein in der Welt der Antike hin. Denke daran, dass junge Frauen und Kinder verhältnismässig selten begraben wurden. Wir können nicht wissen, welche Kinder so bevorzugt wurden, insbesondere auch deshalb, weil es Fälle gibt, in denen Kindern überhaupt keine Talismane mitgegeben wurden. Das Kind mit den meisten Amuletten in der frühkeltischen Welt (Dürrnberg 71 / 2) war vom Wachstum her zurückgeblieben, und möglicherweise glaubten seine Eltern, es benötige mehr Schutz. Bis zum heutigen Tag glauben viele Kulturen, dass Kinder von bösen Geistern oder Einflüssen bedroht werden, und geben ihnen praktische Talismane dagegen mit. Dass das in der frühen La Tène-Zeit auch der Fall war, ist wahrscheinlich, wenn es auch nicht alles erklärt (ein Begräbnis mit Talismanen war das eines Fötus, ein guter Hinweis darauf, dass tatsächlich nicht alle Amulette im täglichen Leben getragen wurden). Im türkischen Kurdistan sah ich viele Kinder, die einen einzelnen polierten Stein an einer Schnur um den Hals trugen; das sollte gegen den bösen Blick schützen. Es war natürlich kein gewöhnlicher Stein. Um seine beschützenden Kräfte zu entfalten, musste er erst nach Mekka gebracht werden. Solche Steine, die den vielen Perlen aus den keltischen Gräbern nicht unähnlich sehen, wurden im allgemeinen vergeben, um Kinder und Jugendliche durch die schwierige Zeit zu bringen, die vor dem Erwachsen werden liegt. Das bringt uns zur Frage nach den jungen Frauen. Es ist gut möglich, dass bei den frühen Kelten Frauen als Kinder betrachtet wurden, bis sie verheiratet waren. In diesem Fall hätten sie dann wohl auch einen Talisman getragen, wenn sie zufällig vorher gestorben wären. Wir brauchen hier nicht nur an Kurdistan zu denken, in der gesamten Welt der Antike waren solche Bräuche an der Tagesordnung. Selbst römische Kinder trugen Talismane, bis man sie zu den Erwachsenen rechnete. In diesem Fall müssen wir uns Talismane als Schutz für die Verstorbenen vorstellen. Von der Art her, wie viele junge Frauen begraben wurden, müssen wir aber auch folgern, dass man sie oft für eine Bedrohung für die Gesellschaft hielt. Vielleicht galt aber auch der Kindbetttod als unheilvoll. Und wie sieht es mit dem Freitod aus?


Fibeln: Nur teure Broschen oder Talismane?

Oben: Eberfibel, Hallein-Dürrnberg, Österreich, 4.–3. Jh. vor unserer Zeit.

Mitte: Fibel in Gestalt eines schwarzen Hahns mit Ornamenten in roter Koralle, Grab der „Fürstin von Reinheim“, Deutschland, 370–320 vor unserer Zeit.

Unten: Fibel, die das Abbild eines Schuhs (eine populäre Talismanform) mit einem Raubvogel kombiniert. Dürrnberg, Österreich, 380–350 vor unserer Zeit

Gefährliche Tote & ungewöhnliche Begräbnisse

Die meisten Kulturen auf diesem Planeten kennen Leute, die gefürchtet und gemieden werden, sei es lebend oder tot. Gefährliche Irre zählen zu dieser Kategorie, ebenso Unfallopfer, Selbstmörder, Schamanen, Hexen, Menschen, die zur Unzeit gestorben sind und vor allem Frauen, die im Kindbett gestorben sind. Man erkennt die gefährlichen Toten an der seltsamen Art, wie sie begraben wurden. An Orten, wo die Mehrzahl der Leichen auf dem Rücken liegend bestattet wurde, findet man die Gefährlichen auf der Seite liegend, möglicherweise gefesselt, kauernd, auf dem Bauch liegend, mit überkreuzten Beinen oder ausgestreckten Armen und, in besonders ernsten Fällen, mit abgetrennten Gliedern. All das und mehr findet man in der frühen La Tène-Zeit. Viele Talismane entstammen solchen Begräbnissen. Fehlende Glieder treten in mehreren Gräbern auf, vor allem auf dem Friedhof von Manre (Monte-Trote), wo 32 von 89 Skeletten kopflos waren. Einige Archäologen hielten das für einen Beweis für Menschenopfer. Die Anordnung der Knochen zeigt allerdings, dass die Toten auf einer Art Plattform gelegen haben müssen, wo sie verwesten, bis sie stückchenweise zu Boden fielen.

Es handelt sich hier um ein Zwei-Phasen-Begräbnis. Auf Zwei-Phasen-Begräbnisse kann man auch von einer Leiche mit abgetrennten Gliedern schließen. Die männliche Leiche von Ilvesheim wurde so lange der Verwesung überlassen, bis man ihre Glieder ganz einfach rearrangieren konnte. Die Unterschenkelknochen wurden dann zwischen die Oberschenkel gelegt; die Füsse blieben, wo sie waren. Die Hände blieben ebenfalls am Platz, aber die Arme wurden vom Rumpf getrennt und in sicherer Entfernung zur Seite abgelegt. Zahlreiche Eisengegenstände sollten dafür sorgen, dass der Tote sich niemals erheben und unter den Lebenden herumspuken würde. Derartige Manipulationen sind leichter, wenn die Leiche bereits gründlich verwest ist. Das geschah häufig und ist leicht nachzuweisen. Fünf Begräbnisse sind bekannt, bei denen die Leiche komplett auseinander genommen wurde.

Es mag aber ein Fehler sein, zu glauben, nur unbeliebte Verstorbene hätten ein Zwei-Phasen-Begräbnis bekommen. Die Funde aus dem Manching-Oppidum könnten auch darauf hinweisen, dass die übliche Form des Begräbnisses es einschloss, die Leiche erst eine Weile lang verwesen zu lassen. Ein Hallstattgrab aus Kappel enthielt einen Gürtel, in dem sich Eier von Aasfliegen fanden (ein Hinweis darauf, dass die Leiche vor dem Begräbnis einige Zeit der Verwesung ausgesetzt war), und in der Tat werfen Doppelbegräbnisse aus den Hügeln der Hallstattzeit die Frage auf, ob vielleicht gelegentlich eine Leiche aufbewahrt wurde, bis man sie gemeinsam mit einer anderen begraben konnte, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht hat es keltische Gräberfelder voll von verwesenden Leichen gegeben, die auf ein anständiges Begräbnis warteten.

Die einfachste Möglichkeit, die Toten am Zurückkehren zu hindern, war natürlich, die Beine oder Füsse umzudrehen, abzuhacken oder festzubinden, und es gibt Hinweise auf jede dieser Methoden. Die Entfernung des Kopfes war eine weitere Lösung. Bei einem Krieger aus Chouilly lag der Boden eines Köchers anstelle des Kopfes. In Marson fand sich eine Frau, bei der anstelle des Kopfes eine dunkle Schüssel lag (das erinnert vielleicht an den viel späteren irischen Glauben, dass der Kopf der Kessel der Inspiration und des Wissens ist). Die Patina im Grab eines Mädchens aus Villeneuve-Renneville enthüllt, dass ihr Kopf und ihr Halsring einige Zeit, nachdem sie gestorben war, entfernt wurde. Der Dürrnberg erbrachte ein Skelett, dessen Kopf 50 cm rechts von der Leiche lag, in Kamenin fand sich ein Schädel, der im Beckenbereich lag, und am seltsamsten der Fund von Wohlen: Die Leiche eines alten Mannes, dessen deformierter Kopf 50 cm zur Seite verschoben war. An dessen Stelle befand sich eine Schüssel, die die Schädel mehrerer Spitzmäuse enthielt. Was für eine Erklärung mag es dafür geben? Es könnte unterhaltsam sein, darüber nachzudenken. Aber weiter im Text: Es gab ein Dürrnberggrab, das eine Person enthielt, die verbrannt worden war, bis auf ihren Unterkiefer. Und in Vevey einen jungen Mann, der sich bestimmt nicht wieder aus dem Grab erheben würde, weil seine Füsse an der Stelle, wo er lag, verbrannt worden waren. Es gibt Berichte über wenigstens ein Dutzend Fälle von teilweisen Verbrennungen. Und während man viele Skelette ohne Kopf gefunden hat, gibt es auch mehrere Begräbnisse von Schädeln ohne Körper, ganz zu schweigen von den Fällen, wo eine einzige Leiche gemeinsam mit mehreren Schädeln ins Grab wanderte.

Dass manche Geisteskranken auf diese Art und Weise bestattet wurden, wird aus Gräbern ersichtlich, die schwer deformierte Schädel enthielten, oder Krieger, die einmal zu oft am Kopf getroffen worden waren, oder aus einigen Fällen, in denen jemand durch Trepanation (chirurgische Schädelöffnung) nicht glücklicher geworden war. Wir können auch davon ausgehen, dass magiekundige Personen, also Hexen und Zauberer, von ihren Gemeinschaften gefürchtet wurden. Ich denke mir, dass die Frau von Dannstatt, in ihrem mit Geweihen bedeckten Sarg, so ein Fall gewesen sein mag. Dann gibt es da die Selbstmorde. Nun ja, jeder Freitod kann als ein unerfreuliches Statement über den Wert des Lebens in einer bestimmten Gemeinschaft gewertet werden. Aber was ist so gefährlich an Frauen, die im Kindbett verstorben sind? Ich persönlich kann das überhaupt nicht verstehen. Vielleicht galten sie als von einem bösen Geist befallen, oder sie waren eine Bedrohung für ihre Männer und verbliebenen Kinder. Dennoch gibt es viele Kulturen, die genau diesem Glauben anhängen. In der katholischen Kirche gibt es einen speziellen Ritus, der Frauen bei ihrem ersten Besuch in der Kirche gilt, nachdem sie geboren haben (und der impliziert, dass sie unrein sind) und Heinrich Heine hielt einen österreichischen Aberglauben fest, demzufolge Frauen, die vor der Heirat sterben, zu Luftgeistern werden, die junge Männer verfolgen und mit ihnen tanzen, bis sie tot umfallen.

Was unsere La Tène-Kelten glaubten, darüber kann spekuliert werden, aber die Tatsache, dass so viele junge Frauen wie gefährliche Dämonen behandelt wurden, bleibt krass offensichtlich. Ein Doppelbegräbnis zweier solcher Frauen im Alter von zwanzig, in Grafenbühl, ist ein ausgezeichnetes Beispiel. Abgesehen von der Beigabe einer ganzen Reihe von Amuletten (einschliesslich eines Dreiecks, Bronzefolie, Bernstein, Glas, Knochenperlen, Eberhauern, einer kleinen Feuersteinaxt und einem kleinen Anhänger, der aus einem Pferdehuf gefertigt wurde) wurden die beiden sicher am Boden gehalten durch eine große Steinplatte, die quer über ihre Brüste gelegt worden war. Dass manche schottischen Barden mit einem großen Stein auf der Brust meditierten, mag damit zusammenhängen oder auch nicht. Sei es, wie es sei, nicht jede junge Frau erhielt ein solches Begräbnis oder wurde zusammen mit Amuletten begraben. Ältere Frauen hatten nur äusserst selten Amulette bei sich (obgleich der hallstattzeitliche Friedhof von Tauberbischofsheim-Impfingen zeigt, dass in dieser Gemeinschaft alle reiferen Frauen einen besonderen Gürtel trugen), was vielleicht bedeutet, dass ihre Position im Leben sicherer war. Und was ist mit junge Männern? Sie wurden überhaupt nur sehr selten begraben. Ältere Männer hatten oft Waffen in ihren Gräbern, und vielleicht galten auch diese als Schutz vor den Gefahren, die einen Reisenden in der Anderswelt erwarten mochten. Es ist möglich, dass manche Fibeln (schmuckvolle Verschlussspangen) eine Talisman-Funktion hatten.

 

Und wo wir uns gerade mit ungewöhnlichen Begräbnissen befassen, könnte es interessant sein, die Dietersberg-Höhle in der Nähe von Egloffstein in Süddeutschland zu erwähnen. Dort, in der Höhle, gibt es eine tiefe Grube. Archäologen haben festgestellt, dass sie die Überreste von 35 Individuen enthält – beide Geschlechter und jedes Alter sind vertreten, sogar kleine Kinder und Säuglinge. Zu Beginn, in Ha C, reinigten religiöse Leute den Schacht mit einem Feuer, das in einer Schüssel brannte, und begannen dann, Leichen hineinzuwerfen. Das setzten sie bis in La Tène A fort. Gemeinsam mit den Toten wurde eine Reihe ungewöhnlicher Amulette ausgegraben, und zudem die Überreste zahlreicher Tiere. In Linz, Österreich, legten die Archäologen die Überreste von neun Menschen frei, hauptsächlich Frauen und Kindern, die mit einem brennenden Pfahl durchstoßen worden waren und in einen drei Meter tiefen Schacht geworfen worden waren. Ob wir diese Schächte nun für einen Beweis für Menschenopfer halten oder für bequeme Orte, um die gefährlichen Toten loszuwerden, darüber kann nur spekuliert werden. Und zu guter Letzt hier ein Fall, der wirklich jeder Interpretation trotzt. In Beilngries entdeckten die Archäologen ein künstliches Skelett. Es bestand aus Menschen- und Tierknochen (Pferd oder Rind), die sorgfältig in einem Grab ausgelegt worden waren, so dass sie ein künstliches Skelett bildeten, in der typischen Nord-Süd-Orientierung der Gegend. Es ist eins der Rätsel, die uns nur allzu klar zeigen, wie wenig wir wirklich über den Glauben und die Bräuche der La Tène-Kelten wissen.


Die Kultschächte von Holzhausen

(nach K. Schwarz)

Viereckschanze von Holzhausen:

Links: Nordschacht mit Holzpfahl, der zwischen Felsen gesetzt wurde.

Mitte: Südwestschacht.

Rechts: Nordostschacht. Ton vermischt mit verbrannten Opfergaben.