Der Kessel der Götter

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Nemetona, Göttin der Heiligen Haine


0. Einführung:
Willkommen im Nemeton


it folgenden drei Wörtern aus der gallischen Sprache möchte ich Dich bekannt machen: Brixtia, *Nerto und *Nemetos.

Brixtia oder Brictia bedeutet Magie. Eine spätere Version davon finden wir in dem altirischen „bricht”, Zauberformel, Zauberspruch oder Zauber. Brixtia kann sich auf eine große Anzahl verschiedener Aktivitäten beziehen. Viele haben mit Sprache, Klängen und Poesie zu tun. Bei den Kelten finden wir Zauber, Anrufungen, Gebete, beissende Satiren, Flüche und sich bewahrheitende Prophezeiungen. Die Leute liebten Segenssprüche, Schutzformeln, Rätsel und das Erzählen von Geschichten. Crowley definierte Magie als „die Kunst und Wissenschaft, Veränderungen in Übereinstimmung mit dem Willen herbeizuführen”. Zu diesem Zweck muss der Wille konzentriert und auf irgendeine Art und Weise ausgedrückt werden. Wir müssen zu Bildern und Symbolen greifen, wenn wir unseren Willen kommunizieren möchten. Der Magier teilt seinen Willen mit, und diesen kann man auf viele unterschiedliche Arten ausdrücken. Die keltischen Magier und Zauberer verwendeten meistens Worte für Brixtia, aber wenn wir genauer hinschauen, gibt es da einiges zu entdecken. Ein Wort ist ein Stimulans für die Imagination, und Imagination, insbesondere, wenn sie geschult und inspiriert ist, ist die wichtigste Quelle aller Magie. Da gibt es beispielsweise die Sprache der Gestik. Tänzer (gelegentlich unbekleidet) und Ritualteilnehmer tauchen in der vorrömischen, keltischen Kunst auf, und maskierte oder halbmenschliche Gestalten, oft mit tierischen Attributen versehen, sind häufig auf keltischen Münzen abgebildet. Lieder und Musik spielten eine Rolle im Ritual, in Kulten und Zeremonien; stell´ Dir Rasseln vor, scheppernde Metallteile, Panflöten, Bronzetrompeten und einfache Harfen. Sakrale Architektur ist eine weitere Sprache. Die Symbolik von Kultplätzen in freier Natur und, noch stärker, die Bildersprache und Symbolik, die ein nicht weg zu denkender Bestandteil von Tempelanlagen, Hügeln, Gräben, Pfeilern, Opfergruben, Brunnen, Prozessionsstraßen und Viereckschanzen ist. Dann gibt es da noch die Sprache des Opfers und der Opfergaben. Die prähistorischen Kelten gingen sehr systematisch damit um, was sie wie opferten. Das gleiche gilt für Begräbnisriten, die dem Verstorbenen sicheres Geleit in die Anderswelt geben und die Gemeinschaft vor der Wiederkehr der „gefährlichen Toten” schützen sollten. Und es gibt die Sprache der symbolischen Handlungen. Einen Talisman segnen, das Abbild eines Feindes erdolchen, eine Botschaft an die Götter der Unterwelt vergraben, eine Pflanze unter Beachtung besonderer Riten ernten, eine Prozession über die Felder unternehmen… all das sind die Wörter einer Sprache.

*Nerto bedeutet Macht und Stärke. Das Wort hängt zusammen mit *narito, magisch gestärkt, und geht zurück auf das indo-europäische *ner, was soviel wie kreative Kraft oder magische Energie bedeutet. Nerto ist die Kraft, Energie oder Macht, die dafür sorgt, dass ein Ritual funktioniert. Diese Kraft macht sich auf vielen Ebenen bemerkbar. Auf der physischen Ebene äussert sie sich als Lebensenergie, Vitalität und Freude. Sie erfüllt und belebt besondere Orte, die entweder natürlich entstanden sind oder von Menschen geschaffen wurden und zu Ritualen einladen, wie beispielsweise die Felsen und Anhöhen, die die Kelten der Hallstattzeit für Opfer unter freiem Himmel bevorzugten, oder die Löcher, Gruben, Brunnen und Opferschächte, die in der La Tène-Zeit bevorzugt wurden. Heilige Orte, Tempelbauten, Bilder, Symbole und so weiter haben den Zweck, Nerto zu verstärken. Das gleiche gilt für Kostüme, Masken, rituelle Werkzeuge und sakrale Objekte. Nerto erfüllt Brixtia mit Leben, Nerto nährt die Götter, Nerto verbindet uns mit allen Lebewesen. Wenn man mit den Göttern kommuniziert, sorgt eine gewisse Menge an Nerto dafür, dass der Kontakt klar bleibt und die Visionen fliessen. In alten Zeiten wurde das durch das Opfern von Tieren, Lebensmitteln, Getränken, Wertsachen und gelegentlich Menschen erreicht. Opfer wecken Emotionen, und Emotionen sind es, die Götter und Geister benötigten, um sich zu manifestieren. Heute haben sich andere Verfahren als zweckmäßiger herausgestellt. In Ritualen kann Nerto durch leidenschaftliches Tanzen, wilde Musik, lange Gebete, Sprechgesang, rhythmisches Atmen, Schütteln und Schwanken, Erschöpfung, intensive Lust und jede beliebige andere Aktivität, die starke Emotionen, ein luzides Bewusstsein, Freude, Entzücken und Ekstase bewirkt, erreicht werden. Diese Kräfte werden durch den Einsatz der Vorstellungskraft kanalisiert und mit dem Glauben fokussiert. Nerto kann auch durch den Einsatz weniger angenehmer Gefühle aufgebracht werden, wie zum Beispiel Furcht, Schrecken und Ekel, oder auch durch Hunger, Verlangen und Entbehrungen. Beachte, dass unterschiedliche Formen der Beschwörung unterschiedliche Arten von Nerto produzieren. Im Ritual und in der Magie ist es wichtig, dass die emotionale Energie dem Wesen des Geistes, der Kraft oder der Gottheit entspricht, die gerufen wird. Wenn man eine Liebesgottheit anruft, ist dazu ein völlig anderer Bewusstseinszustand erforderlich als der zur Anrufung von Kriegsgöttern. Führt man das Ritual allein durch, braucht man dazu Vorstellungskraft, Identifikationsvermögen und Schauspieltalent. In einer Gemeinschaft können Masken, Kostüme und symbolische Handlungen nützlich sein, wenn man Emotionen stimulieren will.

Wenn Nerto und Brixtia kombiniert werden, führt das zu einem starken Ritual, das der Anderswelt eine Botschaft übermittelt. Wer empfängt diese Botschaft? Wer vollzieht den Wandel? Wer antwortet auf den Ruf und sorgt dafür, dass der Zauber sich verwirklicht?

*Nemetos bedeutet heilig und bezieht sich auf jede Erfahrung oder jedes Bewusstsein vom Göttlichen.

Nantosuelta

Bevor wir das Heilige weiter erforschen, möchtest Du vielleicht kurz überlegen, was Dir heilig ist. Woran erkennst Du das Heilige, das Geweihte, das Transzendentale? Wann spürst Du die Eigenschaften des Göttlichen? Wann hast Du zuletzt eine spirituelle Erfahrung gemacht? Hatte es mit einer Gottheit, einem Ort, einer bestimmten Umgebung, einem Zeitpunkt oder einer Jahreszeit zu tun, waren andere Personen oder Lebewesen daran beteiligt? Gibt es Orte, Jahreszeiten, Tage oder Zeitpunkte, die Dir heilig sind? Soweit wir wissen, manifestierte sich für die Kelten die Eigenschaft des Heiligen in heiligen Hainen, oder zumindest überlieferten es die römischen Autoren so. Abgesehen von dem Dichter Lukan, dem wir noch später begegnen werden, machten sie sich nicht die Mühe, festzuhalten, wie ein derartiger Hain aussah und wie man ihn von der restlichen Landschaft unterscheiden kann. Auch die Archäologie hat da nur wenige Einsichten zu bieten, weil Haine kaum Spuren hinterlassen, es sei denn, es befand sich ein kleiner Schrein oder ein Gebäude darin, oder eine Barriere, die den heiligen Raum von der Alltagswelt abgrenzte. Das war gelegentlich der Fall, insbesondere im Gallien der mittleren und späten La Tène-Zeit. Die Anbetungsformen in früheren Zeiten sind schwieriger zu erforschen. Die eigentliche Frage ist aber nicht, wie keltische Haine nun wirklich aussahen. Viel interessanter ist es, herauszufinden, wie sie für Dich aussehen.

Wie würdest Du Dir einen heiligen Hain vorstellen? Träum mal ein bisschen. Setz Dich hin, atme ein paar Mal tief durch, komm zur Ruhe, entspann Dich, schließ die Augen und stell Dir vor, wie Dein Hain aussehen müsste. Befände sich der Ort im Gebirge, in den Hügeln, im Tal oder in der Ebene? Gibt es Wasser in der Nähe – eine Quelle, einen Fluss, See oder Sumpf? Wie sieht es innerhalb des Hains aus? Gibt es Steine, Felsbrocken oder eine Höhle? Uralte Bäume, wucherndes Gebüsch, Dickicht, überdachte Räume, offene Orte? Ist der Hain in irgendeiner Weise kultiviert? Kannst Du Trophäen, Opfergaben, Statuen aus Holz oder Stein sehen? Gibt es Pfade? Was ist mit heiligen Pflanzen oder Tieren?

Wenn Du Dir Dein Nemeton vorstellst, kannst Du allerhand entdecken. Nemeton ist ein gallisches Wort, das von *nemetos, „heilig” herstammt. Für die zahlreichen keltischen Stämme konnte Nemeton eine Reihe verschiedenster Dinge bedeuten. Manche waren heilige Haine, andere Versammlungsorte, komplett mit Sakralbauten und Tempeln und so weiter. Eines im Zentrum der Türkei hiess Drunemeton, was soviel wie „heiliger Eichenhain” bedeuten könnte. Aber nicht alle Nemetons waren Eichenhaine. Es gibt Hinweise darauf, dass viele verschiedene Arten von Bäumen von dem einen oder anderen keltischen Stamm in Ehren gehalten wurden. Lukan überliefert uns einen packenden Bericht über einen heiligen Hain in einiger Entfernung von Massilia (Marseilles), den Cäsar abholzen liess, um das Holz bei einer Belagerung zu verwenden. Der Hain, reimte Lukan, war ein düsterer, schattiger Ort, wo beängstigende Stille herrschte und weder Vögel sangen noch Tiere herumstreiften. Hier standen mit Blut beschmierte Stämme und hoben sich schwarz vom Himmel ab. Im gleißenden Mittagslicht, und in finsterster Mitternacht, den beiden gefährlichen Tageszeiten der Antike, streifte die Gottheit des Hains angeblich dort herum, und weder Gläubige noch Priester wagten sich zu dieser Zeit an den Ort.

 

Keine wilder Windstoß bewegt die tanzenden Blätter,

doch schauderlicher Schrecken erhebt sich in den Zweigen.

Pechschwarze Wasser aus finstren Quellen teilen den Grund,

und strömen, schaumig, und mit dumpfem Klang.

Uralte Statuen von missgestalteter Form stehen hier,

grob gefertigt, von keiner Künstlerhand berührt;

gräulicher Dreck verkrustet jedes hässliche Haupt

und füllt die Seele des Betrachters mit Entsetzen…

Oft, wie die Legende sagt, ist es die Erde selbst,

die aus den hohlen Tiefen schrecklich stöhnt,

die unheilvolle Eibe, noch lang nach ihrem Tod, wurd’ oft gesehen,

wie sie vom Grund erwächst und staubig grüne Triebe spriesen;

Die Bäume lodern, in leuchtenden Flammen, unverbrannt,

gewaltige Schlangen winden sich um ihre Stämme.

Pharsalia, 3, 5 Übersetzung Rowe

Diese düstere Atmosphäre hielt Cäsar nicht davon ab, die Bäume fällen zu lassen. Als er sah, dass viele seiner Soldaten, in Gallien rekrutiert und daher mit heiligen Hainen vertraut, Angst davor hatten, sagte er: „Fällt ihr das Holz, ich nehme alle Schuld auf mich!” und schlug mit einer Axt auf eine starke Eiche ein. Schon bald fällten seine Soldaten Eschen, Stechpalmen, Erlen und Zypressen, sehr zum Missfallen der Einheimischen.

Bäume und Pflanzen konnten heilig sein; so dachten viele Kelten. Das gleiche galt für Tiere. Wieder einmal ist Abstraktion ein Teil des Glaubens. Tier- und Pflanzenarten, wie im Weiteren zu lesen, waren nicht per se heilig. Häufiger konnten sich in einem bestimmten Tier oder einer bestimmten Pflanze die Energien und das Wesen einer Gottheit manifestieren. Wir haben es hier mit Göttern zu tun, die in vielen Gestalten erscheinen. Wer waren die Götter der frühen Kelten? Wir wissen nicht viel über die Religion der Hallstattzeit, aber die späteren La Tène-Kelten hinterliessen uns eine Anzahl von Götterbildern. Das war definitiv eine Weiterentwicklung. Die Kelten der frühen Hallstattzeit waren bemerkenswert schüchtern, wenn es um eine naturgetreue Darstellung von Menschen oder Tieren ging, von Göttern in Menschengestalt ganz zu schweigen. Sie wussten zwar, dass so etwas möglich ist (da sie griechische Töpferwaren und Kunstwerke importierten), versuchten sich aber nur selten selber daran. Diese Tendenz ist angesichts der Tatsache, wie gut die Künstler und Handwerker dieser Zeit waren, so überraschend, dass wir es hier wahrscheinlich mit einem religiösen Tabu zu tun haben. Wenn diese Leute religiöse Riten durchführten, begnügten sie sich oft mit etwas sehr Einfachem, zum Beispiel einer simplen hölzernen Statue oder einem Monolithen mit einem grob eingemeisseltem Gesicht. So grob, dass es primitiv erscheint. Aber was motivierte diese Leute dazu, kunstlose Götterbilder zu erschaffen, wo es ihnen doch leicht möglich war, ein wunderbares Abbild aus Bronze oder kunstvoll behauenen Sandstein zu schaffen? Einige Kelten taten das. Andere, und sie befinden sich in der Mehrzahl, taten es nicht. Erst in der Mitte der La Tène-Zeit bekamen die meisten Götter eine sorgfältig definierte Gestalt. Denn viele Kelten waren gereist, und nachdem sie zunächst über die Einfalt der Griechen, die ihre Götter in Menschengestalt verehrten, gelacht hatten (das geschah, als Delphi geplündert wurde), waren sie früher oder später auf den Geschmack gekommen. Nachdem die Römer Gallien besetzt und die Druiden verboten hatten, ahmten die überlebenden Religionen den mediterranen Brauch nach und begannen, lokale Varianten römischer Prototypen zu produzieren. Das war der Beginn des sogenannten gallo-römischen Stils, und es gab mehr Statuen, Altäre und Inschriften keltischer Götter denn je. All das zeigt, dass sich die Darstellung des Göttlichen wandeln kann. Wenn man an einen Gott denkt, benötigt man ein gewisses Maß an Vorstellungskraft, um eine Verbindung herzustellen. Die Gottheit benötigt eine (oder mehrere) Formen, um zu kommunizieren. Bei einer Religion, die kaum Gebrauch von anthropomorphen Idolen macht oder sie so einfach gestaltet, dass man sie schwerlich für menschliche Wesen halten kann, es sei denn sternhagelvoll in tiefster Nacht, muss man die Götter in anderen Formen darstellen und wahrnehmen. Hier streckt die Natur einladend einen Ast aus und bietet Eintritt ins Wildwald-Bewusstsein. Wenn Du Dich draussen in der freien Natur befindest (geh am Besten allein oder mit verständnisvollen, stillen Freunden), wirst Du feststellen, dass ständig lauter interessante Dinge passieren. Hektik und Geschwätz unterdrücken sie, aber wenn Du Dir Zeit lässt und Dich ihnen öffnest, bekommst Du alles mit. Die Natur kann Dir vieles beibringen und Dich in ihre Geheimnisse einweihen. Das ist der Grund, weshalb die Druiden ihren Unterricht an verborgenen Orten tief im Wald abhielten, und deshalb gingen Barden und Poeten in der Wildnis spazieren. Wenn man die frühkeltischen Götter verstehen will, muss man sie überall suchen. Daraus ergibt sich eine Vorstellung von Göttern, die teilweise abstrakt ist und auf Nichtdefinition aufbaut. In einem anderen Sinn ist Manifestation auf vielfältige Weise möglich. Wenn die Welt eine Sprache wäre, würden sich die Götter als einige Substantive, einige Adjektive und eine Menge Verben ausdrücken. Keltische Götter werden oft von Tieren begleitet. Einige von ihnen haben tierische Wesenszüge, andere sind Tiere. Arduinna, die Göttin der Ardennen, reitet einen Eber. Artio und Andarta sind Bärengöttinnen, Matunus und Artaios Bärengötter. Cernunnos hat die Hörner eines Hirschs und trägt eine gehörnte Schlange in der Hand. Raben und Krähen werden im Allgemeinen mit Göttern des Kriegs und des Todes in Verbindung gebracht. Nantosuelta wird oft von Krähen begleitet, vielleicht ein Hinweis darauf, dass ihr Name, „schlängelnder Fluss” sich auf den Pfad der Toten bezieht, die Milchstraße. Ihr Gemahl Sucelus, „der gut zuschlägt”, trägt einen Hammer oder Knüppel und ein Gefäss. Er wird von einem Wolf oder Hund begleitet. Verbeia trägt Schlangen, Epona reitet Pferde und Esel, Tarvos Trigaranus ist der Stier mit den drei Kranichen. Cocidius wird von Hirsch und Hund begleitet; ein weiterer Hundegott ist Cunomaglus, der Herr der Hunde. Damona ist eine Rindergöttin, Sirona von den Sternen trägt eine Schlange und drei Eier. Denk an die vielen Tierstatuetten, Fibeln und Ornamente, die in keltischen Gräbern zum Vorschein kamen! Wenn man einen großen, bronzenen Eber in einem Grab findet, kann man sicher sein, dass das Tier wahrscheinlich nicht in seiner Eigenschaft als Eber verehrt wurde, sondern als Symbol göttlicher Wesenskräfte und Energien. Wenn ein Gott wie ein Tier aussehen kann, dann kann ein Tier, wenn man ihm in der Wildnis begegnet, eine Erscheinungsform eines göttlichen Wesens sein. Glaubten die Kelten an heilige Tiere? Wir haben das Glück, ein bisschen über die Ernährungsgewohnheiten der Kelten zu wissen, dank archäologischer Analysen von Knochen und Nahrungsresten. Nach allem, was wir wissen, machten sie Jagd auf alles. Keine Spezies als solche wurde verschont (wohl aber einzelne Individuen, wie spätere irische Mythen andeuten), und so müssen wir überlegen, ob irgendein Tier als heilig gelten konnte oder ob es nur bestimmte Tiere waren, die unter besonderen Umständen göttliche Qualitäten annahmen. Also solche, die man in Trancen, Visionen oder Träumen sah, denen man unter rituellen Umständen begegnete, und so weiter. Das gleiche mag auf Pflanzen und Bäume zutreffen. Die Eiche war zwar sicherlich ein heiliger Baum für manche Kelten, aber das hielt sie nicht davon ab, große Mengen davon zu fällen, um ihre Ringwälle zu befestigen.

Was ist Dir heilig? Ist es eine bestimmte Tierart, oder sind es vom Göttlichen erfüllte Tiere, die in diese Kategorie fallen? Wenn einige Bäume heilig sind – gilt das für alle Exemplare der Spezies, oder ist es eine besondere Qualität eines besonderen Exemplars?

Was, wenn wir die Vorstellung von heiligen DINGEN hinter uns lassen und uns mit dem Heiligen als solchem befassen, dass sich dem offenen Geist erschliesst? Nemetos. Ein Bewusstsein für das Heilige - eine erwachte Seele, die sich an den Wundern der Welt erfreut. Etwas, was Du im Geist tust, um zu erfahren, dass die Welt voller Wunder ist - in Dir und überall um Dich herum. Eine Handlung, die Deinen Geist so stark beeinflusst, dass es ihn erschüttert und er sich ausdehnt, erhebt und sich neu erschafft. Das Heilige ist oft sehr neu, genau wie jedes Ritual nicht die Wiederholung eines früheren Ereignisses, sondern das ursprüngliche Ereignis selber ist. Nemetos bedeutet, dass Du das spürst, in jedem Ritual, in jeder Erfahrung, bei jeder Gelegenheit, die sich Dir bietet, wahrzunehmen, aufzuwachen und zu Dir selbst zu kommen. Was bringt Dich über Dich selbst hinaus? Wieviel brauchst Du, um zu erkennen? Diese Qualität des Bewusstseins ist eins der verborgenen Elemente der keltischen Religion. Woran erkennst Du, dass ein bestimmter Baum heilig ist? Woher weißt Du, ob ein Ereignis ein Omen oder einfach ein Zufall ist? Wann ist der Flug der Vögel, die Form einer Wolke oder die Art, wie eine Spinne ihr Netz webt, von Bedeutung? Die Antwort liegt natürlich bei Dir. Du erschaffst den Traum Deines Lebens nicht nur in Deinem Geist und gehst dann Deinen Weg, sondern Du stattest ihn auch mit Toren und Passagen aus, die darüber hinaus führen. Wie kannst Du die Freude am Heiligen, die Ganzheit in Deinem Leben kultivieren? So wie die Kelten bestimmte Orte zum Nemeton erklärten, so nannten sie auch eine Göttin Nemetona. Kaum etwas ist über sie bekannt, abgesehen von ein paar Inschriften aus dem besetzten Gallien, Germanien und Britannien. Sie zeigen, dass sie wichtig und weithin bekannt war, genau wie die Nemetons, aber in Bezug auf ihre Ikonographie, Mythologie und ihre Rituale hat nichts überlebt. Wurde die Göttin in einer menschlichen Gestalt verehrt? Oder erschien sie lachend im Krächzen der Krähen, dem Flattern dunkler Schwingen, in der sanften Berührung dunkler Nadelbäume, dem Gurgeln des Baches und den Stössen des Geisterwindes in bebenden, schwankenden Bäumen? Stell Dir Augen vor, die in der klaren Bernsteinfarbe der Vogelbeeren leuchten, die Pupillen winzig, fokussiert, die sich dann öffnen, dunkel und glänzend mit der tödlichen Süße des Nachtschattens; das blicklose Starren eines toten Fischs, der sich langsam in einem Teich dreht, der unbewegte Blick der Viper im morgenfeuchten Heidekraut, dann erleuchtet in funkelndem Sternenlicht, ein Lied, das zu seiner Quelle zurückkehrt. Stell Dir Wurzeln und Borke vor, Ranken und Flechten, Fell und Schuppen, Federn und rohe Erde. Stell Dir Zähne vor, glänzend wie Quarz, wie geschärfter Feuerstein, grausam gebogen wie Brombeerdornen, die packen, halten, zerreissen… Gesichter, mit durchbohrendem Blick, wild, verwegen, lustberauscht, die erscheinen und vergehen, sich aus dem heraus materialisieren, was in der Landschaft gerade zur Hand ist. Und versuch, Dir den Bewusstseinszustand vorzustellen, der dies alles möglich macht. Freude und Leidenschaft dieser Erfahrungen ist in die Zeichnungen in diesem Buch eingeflossen. Viele der fantastischeren Bilder wurden von Evokations- und Besessenheitstrancen mit Nemetona inspiriert, die sich als eine schwer fassbare, aber bezaubernde alte Göttin entpuppte. Vielleicht ist aber auch die Bezeichung „Göttin” irreführend. Nemetona verkörpert das Heilige als solches, die Matrix des Bewusstseins, die es Göttern und Geistern erlaubt, sich zu manifestieren. Es ist nicht leicht, damit umzugehen. Das Heilige kann manchmal erschreckend oder schockierend sein oder sogar an Wahnsinn grenzen – aber wenn Du Dich wirklich in die Welt der keltischen Magie hineinträumen und etwas Neues, Wertvolles aus dem schäumenden Kessel zurückbringen willst, ist es eine Erfahrung, die es wert ist, gemacht zu werden. Nemetona machte den Weg frei für andere Gottheiten. Artio der Berge des Anfangs erschien und öffnete die Tore zum Reich der Tiefe. Cernunnos tanzt im mondhellen, nachtdunklen Wald. Nantosuelta führt die Seelen den langen, strömenden Fluss der Sterne entlang zur Viereckfestung im Zentrum des Himmels. Sucelus braut die Zutaten für den Zauber in seinem Kessel zusammen und schlägt die Erde, damit die Jahreszeiten wechseln. Die Kelten hatten viele Götter, da ihr Konzept des Göttlichen viele Gesichter hatte.

Die keltische Kunst ist einer der Schlüssel zu diesem Buch. Zwar hinterliessen Priester, Druiden und Zauberinnen keine heiligen Texte für spätere Generationen, aber sie produzierten Kunstwerke, die als Traumschlüssel zu ihrem Geheimwissen dienen können. Um zu verstehen, was diese Gegenstände erzählen können, verwende sie als Fokus in einer Trance. Betrachte das Bild, leere Deinen Geist, werde ruhig, erlaube der Stille, Dich zu umgeben, lausche der Leere, während Du schaust und fühlst… wenn Du leer, still und abwesend bist, kommst Du dem geheimen Selbst allen Bewusstseins sehr nahe… und es wird nicht lange dauern, bis Du feststellst, dass die Linien sich bewegen, Farben erscheinen, Dinge sich verschieben, vereinfachen, transformieren… und während Du das spürst, kannst Du Dich an dem Bewusstsein erfreuen, dass die Bilder mit den Tiefen Deines Geistes sprechen, und dass früher oder später – in einem Augenblick, in einem Tag, in einem Monat – diese Begegnung Deinen Geist, Dein Wesen, Deine Realität verwandelt, wie der Mond, der aus den Wolken hervorbricht, wie die Sonne nach einem Gewitter erscheint, wie das donnernde Tosen der neunten Welle. Es handelt sich um eine sanfte, subtile Form der Magie, wie das Weihen eines Sigills. Es funktioniert am Besten, wenn Du es geniesst, Dich entspannst und es fliessen lässt.

 

Das Abstrakte – erinnerst Du Dich, wie wir mit Abstraktion angefangen haben? – ist mehr als offensichtlich in der keltischen Kunst. Die keltische Kunst ist in der Hauptsache religiös, und sie befasst sich tiefgreifend mit der Wahrnehmung und den Mysterien des Bewusstseins. Viele Kunstwerke können auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden; das mag durchaus in der Absicht des Künstlers gelegen haben.

Kultwagen von Strettweg

Steiermark, Österreich. Ha C, 7. Jh. vor unserer Zeit, Bronze.

Höhe der Göttin im Zentrum 22,6 cm. Der Gegenstand scheint eine zeremonielle Prozession nackter männlicher und weiblicher Figuren darzustellen, einige davon bewaffnet, dazu Reiter und Hirsche. Die zentrale Figur ist vermutlich eine Göttin, die eine Schale hochhält, in die ein verzierter Kessel (nicht im Bild) gesetzt wurde. Von oben gesehen ist der Wagen rechteckig, aber die Göttin im Zentrum steht auf einem Rad. Die Kombination von Kessel und Streitwagen entstand in der Bronzezeit und blieb bis weit in die Hallstattzeit hinein ein populäres religiöses Bild.

Sucelus

Man nimmt ein Gesicht wahr, dann eine ganze Figur, dann eine Szenerie, wo vorher nur ein sinnloses Durcheinander von Blasen, Blättern, Blüten und Röhren zu sehen war. Dies ist eine weitere verborgene Eigenschaft keltischer Kunst und Magie: Es gibt mehrere Blickwinkel. Der Gott, der sich in ein Tier verwandelt, erforscht die Welt in verschiedenen Gestalten. Dem Gläubigen, dem klar wird, dass er/sie mit dem Gott identisch ist, verlassen die Beschränkungen der Einzelpersönlichkeit. Der Priester, Schamane oder Zauberer, der von einem Gott oder Tier besessen ist, übernimmt beider Eigenschaften und manifestiert sie zu einem bestimmten Zweck, wie zum Beispiel für ein Heilritual, ein Jahreszeitenritual oder um einen bösen Einfluss zu verbannen. Götter können menschlich sein, und Menschen können Götter sein. Wenn der Gott auch ein Tier ist, hat unser Gestaltwandler Zugriff auf beide Arten von Bewusstsein. Wenn Du Visuelle Magie gelesen (und die Übungen gemacht) hast, ist Dir bewusst, dass von einem Tiergeist besessen zu sein Dein Bewusstsein und Deine Fähigkeiten verändern kann. Das Verändern der Gestalt spielt in keltischen Mythen und keltischer Zauberei eine so wichtige Rolle, dass wir von schamanischen Trancetechniken sprechen können (allerdings nicht notwendigerweise von schamanischen Heilritualen).

Sei es, wie es sei, was anfänglich verwirrend erscheint, wird nach und nach seine Bedeutung enthüllen. Wir folgen einem verschlungenen Pfad durch den Schattenwald, wenn wir nach Visionen des ewig Alten, ewig Jungen, ewig Seienden und niemals Gewesenen suchen. Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber dieses Buch ist randvoll mit höchst verwirrendem Material. Unsere fröhlichen keltischen Künstler und Dichter hatten Spaß daran, Dinge halb enthüllt, halb verborgen zu präsentieren. Eine Konsequenz davon ist, dass man sich das Ganze nicht mal so eben nebenbei aneignen kann. Es gibt aber immer Mittel und Wege, um es leichter zu machen. Um in das keltische Gedankengut einzutauchen, könntest Du Folgendes tun. Fühlst Du Dich gut? Versuchen wir mal etwas Neues. Schließ das Buch. Komm zur Ruhe und entspann Dich. Wenn Du an nichts Bestimmtes denkst, beginnt Dein Hirn, Alphawellen zu produzieren. Es fühlt sich wie Dösen an. Das Gute an Alphawellen ist, dass sie ganz von selber einsetzen, wenn Du die Augen schliesst, an nichts Bestimmtes denkst und das Nichtstun kultivierst. Während Du den Halbschlaf geniesst, kannst Du das Buch gegen Deine Stirn pressen und Deinem Tiefenselbst mit langsamer, klarer Stimme mitteilen, dass Du dieses Buch lesen und alle Informationen auswählen und behalten willst, die wirklich wichtig für Dich sind, damit Du Dich daran erinnern kannst, wann immer Du willst. Verwende einfache Sätze, positive Ausdrücke und wiederhole sie ein paar Mal. Allerdings nicht zu oft, denn wenn Du ein intelligentes Unterbewusstsein hast, verabscheut es vielleicht drängelnde Befehle. Sei nett und freundlich, und Dein Tiefenselbst wird kooperieren. Dann öffne das Buch und blättere es einmal durch. Halte die Augen weit geöffnet, so dass Du beide Seiten mit einem Blick erfassen kannst. Betrachte jede Seite ein oder zwei Sekunden lang, ohne sie zu lesen. Das kann eine Versuchung sein, es kann aber auch Spaß machen. Wie oft veranstaltest Du seltsame Rituale mit neuen Büchern? Blättere das ganze Buch durch. Dann schliess es, und Deine Augen ebenfalls. Drück es nochmals gegen die Stirn, bitte Dein Tiefenselbst erneut, auszuwählen, was nützlich ist, und es für später aufzubewahren, damit Du Dich leicht erinnern kannst. Sag Danke! Und dann tu etwas ganz anderes. Nach einer Pause setzt Du Dich nochmal hin. Blätter das Buch noch einmal durch. Diesmal siehst Du Dir alle Bilder an und liest die Bildunterschriften. Dann bittest Du Dein Tiefenselbst ein weiteres Mal, auszuwählen, was nützlich ist, und es für später aufzubewahren. Mach noch eine Pause. Der dritte Durchlauf ist ganz ähnlich. Sag Deinem Tiefenselbst, was Du vorhast. Dann blätterst Du das Buch durch und liest alle Gedichte. Das ist wahrscheinlich noch viel verwirrender als alles andere vorher, da die besten Poeten und Barden der britannischen Inseln grundsätzlich außer sich, neben sich, um die Ecke, jenseits von diesseits, über die Hügel und weit, weit weg waren, wenn sie komponierten, sangen und prophezeiten. Ihre Lieder stecken nicht nur voller Anspielungen und Abstraktionen, sondern zeigten auch alle Anzeichen wirren, zusammenhanglosen Geplappers, wie es in solchen Trancen häufig vorkommt. Es dauert eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat, daher kannst Du auch gleich damit anfangen. Nachdem Du das Buch in dieser Weise ein paar Mal durchgeblättert hast, legst Du es für ein oder zwei Tage beiseite. Dann nimmst Du es zur Hand und liest es systematisch durch. Du wirst feststellen, dass das frühere unterbewusste Lesen eine Struktur geschaffen hat, ein Netz, das Informationen sortiert und ordnet. EDV-Spezialisten kennen den Effekt: Systemüberlastung ist gleich Mustererkennung. Programmierer finden das gefährlich; für Magier, Visionäre, Barden und Poeten ist es eine wunderbare Quelle der Inspiration. Wer verwebt eigentlich den chaotischen Stoff sinnlicher Wahrnehmung zu einem Muster? Was die keltischen Visionäre damals anregend fanden, wissen wir nicht, aber wenn wir ihre Techniken nutzen, können wir ein neues Bewusstsein schaffen, ein Gefühl für das Heilige entwickeln und es jetzt, in unserer Welt zu lebendiger Wahrheit machen.


Bronze-Eber

Höhe 39 cm, ursprünglich auf einer Standarte platziert, Soulac-sur-Mer, Département Gironde, 1 Jh. vor unserer Zeit