Der Kessel der Götter

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Zuletzt noch zu Bodb bzw. Badb. Von ihr wissen wir leider noch weniger. Babd wird manchmal badb Catha, also Schlachtrabe genannt. Sie scheint ausschließlich eine Kriegsgöttin zu sein, die in Krähen- oder Rabengestalt über die Gefallenen herfällt. Vielleicht ist sie eine unerfreuliche Erscheinung, wenn man unversehrte Tote bevorzugt, die bei der Beerdigung noch einigermaßen gut aussehen. Aber wie war das mit den gefallenen Galliern, die den Aaskrähen überlassen wurden, und jenen Keltiberern, die fest glaubten, dass Geier die Leichen der Tapferen in den Himmel tragen? In so einem Weltbild ist eine Krähen- oder Rabengöttin eine segensbringende Gestalt, die eine gute Reise ins Jenseits ermöglicht. Wie die Iren ursprünglich hierüber dachten, ist leider nicht überliefert. Für Badb gibt es ein älteres gallisches Original. Es handelt sich um die Göttin, deren Name in einer Weihinschrift aus Haute-Savoie überliefert ist. Der erste Buchstabe der Inschrift fehlt, mit ziemlicher Sicherheit war es ein C, denn der Rest liest sich (C)athubodva, also Schlachtrabe. Doch auch Badb ist mythologisch keine einfache Gestalt. Manchmal wird sie mit der Schlachtengöttin Nemain identifiziert, der Gattin des Kriegsgottes Net. Und dieser ist in anderen Mythen mit Badb verheiratet. Nemain, Badb und Macha können auch, ganz unter sich, ein Trio der Schlachtengöttinen ausmachen. Ich vermute, dass es ursprünglich in Irland noch mehr kriegerische Göttinnen (und halbgöttliche Kriegerinnen, wie Cuchulainn’s Lehrerin Scathach) gab. Manche Dichter haben halt versucht, sie zu einer Dreiergruppe zusammenzufassen. Übrigens haben wir auch aus Gallien einen Hinweis auf eine Raben- oder Krähengöttin. Es handelt sich um Nantosuelta, deren Name wahrscheinlich Windender Fluss bedeutet. Sie erscheint als Gattin des Gottes Sucelus, dem Guten Schläger, der wiederum starke Ähnlichkeiten mit dem Dagda aufweist. Doch neben dem Aasvogel hat sie noch ein kleines Häuschen als Emblem. Es sieht aus wie ein Taubenhaus auf einer Stange. Ist es ein Haus für Vögel? Wer würde schon Krähen in einem Vogelhäuschen unterbringen. Oder ist die Stange die kosmische Achse? Vielleicht ist es das Heim der Toten, aber vielleicht auch ein ganz anderes Gebäude. Doch was sollen wir verallgemeinern, wenn wir praktisch nur ein paar schlechte Darstellungen im gallo-römischen Stil haben, und alle Mythen längst vergessen wurden.

Lugus

Dann gibt es da noch den gallischen Gott *Lugus-, dessen Kult in einer Vielzahl von Städtenamen nachgewiesen werden kann, darunter Luguvalium (Carlisle) und Lugudunum (die Wurzel von Lyon, Laon und vielleicht Leyden). Eine kelto-iberische Inschrift, in Fels eingeritzt in Penalba de Villastar, Teruel, Spanien, bietet einen rätselhaften Einblick in den Kult des Lugus. Hier ist die Übersetzung von Wolfgang Meid, 1994, der einige Unklarheiten ausgeräumt hat:

Dem Bergbewohner ebenso wie dem …, dem Lugus der Araianer, wir sind zu einer Prozession im Feld gegangen (oder, „wir sind in den Feldern zusammengekommen”). Für den Bergbewohner und den Pferdegott, für Lugus hat das Oberhaupt der Gemeinschaft einen Schutz bereitgestellt.

Frühe Rekonstruktion des Portals des Tempels von Roquepertuse

15 km entfernt von Aix-en-Provence, Frankreich.

Neuere Forschungen zeigen, daß der Abstand zwischen den Pfeilern weiter war, die Schädel nicht nach außen, sondern nach innen in eine Halle zeigten und die Vogelstatue (vollständig rekonstruiert unten auf der Seite) wahrscheinlich nicht oben auf dem Tor platziert war. Mittlere La Tène-Zeit, keltoligurisch.

Das deutet auf zeremonielle Prozessionen hin, einen verbreiteten religiösen Brauch in vielen heidnischen Kulturen, und passt zu Lugus als einem Gott, der mit der Erntezeit und dem Reiten in Verbindung gebracht wird. Der Schutz ist schon etwas rätselhafter – handelte es sich um eine Statue oder ein Idol, das bedeckt oder eingekleidet wurde, oder wurde das Tempeldach erneuert? Die Unklarheiten sind nur zu verständlich, wenn man bedenkt, dass es sich hier um die drittlängste Inschrift in gallo-iberischer Sprache handelt, eine Sprache, die derzeit noch rekonstruiert wird. Lugus war ein populärer Gott bei einer Anzahl von keltischen Völkern, und möglicherweise, so lautet die Hypothese einiger, die Gottheit, die Cäsar als Merkur bezeichnete. Leider wissen wir nichts über Kult, Religion, Riten und Mythologie des Lugus. Um diese peinliche Lücke zu füllen, kam es in Mode, die Mythen des mittelalterlichen Irland und Wales zu bemühen. In Irland finden wir den strahlenden Lug MacEthen, Sohn von Cian und Enkel des Heilgottes Dian Cecht. In der Schlacht zwischen den Tuatha de Danann und den monströsen Fomoriern, die von unter dem Meer stammen, ist es Lug, hell und leuchtend, der wie die strahlende Sonne erscheint und die Horde der Fomorier verzaubert, indem er auf einem Bein um sie herumtanzt, wobei er ein Auge geschlossen hält und schließlich zum Helden des Tages wird, indem er ein magisches Geschoss (einen Ball, der aus Kreide, Gift und den Hirnen erschlagener Feinde besteht) in das einzige Auge des Anführers der Fomorier schiesst (der übrigens zufällig sein anderer Großvater ist). Der irische Lug wird Samildanach (Meister aller Künste) und Lamhfada (mit dem langen Arm) genannt. In irischen Mythen ist er das Urbild des perfekten Regenten. Er ist auch ein geschickter Trickbetrüger, der Erfinder der Reitkunst, der Pferdepeitsche, des Lughnasad-Festes und des heiligen Brettspiels Fidchell, ganz zu schweigen davon, dass er der göttliche Vater von Irlands größtem Helden ist, Cuchulainn. Lugs Gegenstück in den mittelalterlichen britannischen Mythen ist ein weniger eindrucksvoller Charakter. Er tritt auf im 4. Zweig des Mabinogi und in den Liedern Taliesins, unter dem Namen Lleu Llaw Gyffes. Lleu kann man mit „Licht” oder „Löwe” übersetzen, Llaw Gyffes als „geschickte Hand” oder „sicherer Arm”. Trüge er nicht diesen Titel, wären wir uns der Beziehung zwischen ihm und Lug sicher nicht bewusst.

Anders als der irische Lug ist Lleu eine sehr menschliche Gestalt, die von ihrer Mutter Arianrhod verfrüht, unter bizarren rituellen Umständen und sehr gegen ihren Willen geboren wird. Er wird in einem Brutkasten (einer Holzkiste) von seinem Onkel Gwydion, dem berühmten Zauberer, aufgezogen. Sein einziger Anspruch auf Göttlichkeit besteht darin, dass er nach seiner Ermordung nicht stirbt, sondern sich in Gestalt eines Adlers in den Himmel erhebt. Dieser Adler flattert verletzt in die Anderswelt, wo er sich auf einer mächtigen Eiche niederlässt und zu verwesen beginnt. Schließlich wird er von seinem Onkel gefunden und erhält seine menschliche Gestalt zurück. In diesem Zustand konfrontiert er seinen Mörder Goronwy und tötet ihn mit einem Speerwurf, der den Felsen durchdringt, hinter dem sich Goronwy zu verstecken versuchte. Für einen Menschen ist das nicht schlecht, aber für einen Gott reicht es kaum. Wir wissen auch, dass Lleu einer der drei roten Schnitter Britanniens war (Triade 20) und dass sein Grab unter den Wellen des Meeres liegt, wo seine Schande ist: Er war ein Mann, der niemandem Recht gab (BBoC 66). Das ist ein guter Hinweis darauf, dass das Mabinogi nur einen kleinen Teil seiner ursprünglichen Mythologie festgehalten hat, die größtenteils verloren gegangen zu sein scheint. Während der irische Lug Hochkönige einsetzt, bleibt der britannische Lleu ein blasses Trugbild, eine künstliche Figur aus einer Geschichte. Im 19. Jahrhundert kam es in Mode, die mittelalterlichen irischen und walisischen Geschichten für entstelltes Beweismaterial für den Kult des früheren Gottes Lugus zu halten. Das Ärgerliche ist nur, dass die walisischen und die irischen Traditionen zahlreiche Unterschiede aufweisen, und dass beide fast tausend Jahre nach der Verehrung des ursprünglichen Gottes aufgezeichnet wurden. Und, was noch schlimmer ist, die indo-europäische Wurzel *leuk bedeutet „leuchten, scheinen” und kann in Worten wie Licht, Lux, Lumen, luzid und so weiter wiedergefunden werden. Licht ist aber kein Name, sondern ein Attribut, das mit vielen Göttern in Verbindung gebracht wird. Man könnte ebensogut versuchen, Lugus zu rekonstruieren, indem man die Mythen des nordischen Gottes Loki untersucht. Loki ist Blutsbruder Odins, und Odin seinerseits hat eine Menge gemein mit dem irischen Lug. Beide werden mit heiligen Speeren, Raben und Reiten in Verbindung gebracht, und von beiden weiß man, dass sie Könige eingesetzt haben. Was für ein Durcheinander!

Dieses Thema könnte eine detaillierte Studie vertragen.

Kelten und Germanen

Es ist traurig, aber wahr, dass die meisten modernen Keltophilen Anhänger der Fabel sind, die sogenannten keltischen und germanischen Völker seien Erzfeinde gewesen. Man findet Bücher über keltische Mythen, in denen die Kelten mit den amerikanischen Prärieindianern verglichen werden – was immer das wert sein mag (Geldmäßig gesehen offenbar eine Menge), aber es finden sich kaum Autoren, die sich die Mühe machen, darauf hinzuweisen, dass die Mischung sogenannter keltischer und germanischer Stämme in Mitteleuropa so kompliziert war, dass ihre römischen Zeitgenossen sie kaum auseinander halten konnten. Bis zum heutigen Tag streiten sich die Wissenschaftler darüber, welcher Stamm eigentlich zu welcher kulturellen oder linguistischen Gruppe gehörte.

Zwischen germanischen und keltischen Stämmen zu unterscheiden ist sehr leicht, vorausgesetzt, man folgt Cäsars Definition und macht sich nicht die Mühe, sich jüngere Forschungsergebnisse anzusehen. Die besten Gegenstücke zum gallischen Taranis sind der germanische Donar, der angelsächsische Thunor und der nordische Gott Thor. Gwydion könnte sehr wohl mit Wodan/Odin verwandt sein; die Wintergöttin Cailleagh könnte eine Widerspiegelung von Hel, Helja, Hella oder Huldra sein; Brig und Frigg haben vielleicht mehr gemein als ähnliche Namen; Njörd, Nodens, Nehallenia und Nyd entstammen der gleichen ozeanischen Quelle, und ob Lugus ein Nachfolger von Lug, Lleu, Loki oder dem schrecklichen Lukiferus ist, kann man raten.

 

Vielleicht mal eine Bemerkung am Rande: Eines der Probleme der modernen Forschung ist, dass so viele frühere Forscher das Material schlampig behandelt haben. Etwa so, wie die ersten Archäologen ihre Arbeit verrichtet haben, indem sie Gräber mit Hilfe von Sprengstoff freigelegten, hatten die ersten Prähistoriker eine reichlich naive Einstellung und gaben Erklärungen zu allerhand Dingen ab, die sie noch nicht einmal halb verstanden. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert hungerten viele europäische Nationen nach Informationen über die Religion und Kultur ihrer angeblichen Vorfahren, und Wissenschaftler wurden dafür bezahlt, dass sie Resultate vorweisen konnten, ganz egal, wie. Das war die Zeit, wo nationale Identität „in” war, als eine Nachfrage bestand nach Ahnen, auf die man stolz sein konnte. Es war die Zeit einiger großer Fälschungen. Es war auch die Zeit, in der Wissenschaftler, die Fragezeichen stehen liessen, anstatt (falsche) Gewissheiten zu liefern, schnell arbeitslos wurden. Und das Schlimmste von allem war die Politik. Es ist schwer vorzustellen, aber die Leute glaubten damals noch an Politik. Französische Prähistoriker überzeugten ihre Landsleute davon, dass der Ursprung aller keltischen Kultur Gallien sei. Deutsche Historiker postulierten einen uralten Konflikt zwischen stolzen, edelgesonnenen Germanen mit degenerierten Kelten, die zu leicht an berauschenden Wein aus südlichen Landen herankamen. Englische Wissenschaftler gingen noch einen Schritt weiter und vermuteten, dass sich ein tiefer Graben zwischen den keltischen und den angelsächsischen Bewohnern ihres Landes aufgetan habe. Die Angelsachsen, so dachten sie, seien geradlinige, logische Denker gewesen, sehr nüchtern, ein bisschen langweilig, aber wirklich prima Verwaltungsbeamte. Die Kelten dachten in Spiralen, pflegten eine Million abergläubischer Bräuche, waren sehr intuitiv und außerdem gute Dichter. Anhand solcher Theorien war leicht zu erklären, weshalb die Engländer die regierende Schicht waren und die Waliser, Schotten und Iren sich glücklich schätzen konnten, dass solche fähigen Denker über sie herrschten und sie ausbeuteten.

Derartiges wurde von Wissenschaftlern ausgebrütet und eifrig von der Öffentlichkeit aufgesogen. Da so viele politische Spannungen dahinter steckten, wurde von einem fundamentalen Unterschied zwischen Briten und Angelsachsen (Kelten und Germanen) ausgegangen. Solche Theorien dienten auch dazu, um wissenschaftlich zu beweisen, dass die Iren außerstande waren, sich selbst zu regieren. Manche Wissenschaftler gingen auch noch über diesen Punkt hinaus und fanden, die ganze Sache hätte etwas mit arischer Überlegenheit zu tun. Ihrer Meinung nach waren die Iren noch nicht einmal Indo-Europäer. Um das ärgerliche Faktum zu verheimlichen, dass Irisch durchaus eine indo-europäische Sprache ist, erfanden sie eine Anzahl vager neuer Begriffe und eine dunkelhäutige „hibernische” oder „atlantische” Rasse, von denen die Iren angeblich abstammten. Wenn Dir in der Literatur kleine, dunkelhäutige Kelten und große, blonde Germanen begegnen, kannst Du davon ausgehen, dass sie im 19. Jahrhundert erfunden wurden.

Moderne Wissenschaftler haben diese Theorien längst dem Orkus anvertraut – die Öffentlichkeit aber nicht. Bis zum heutigen Tag glaubt man, die Kelten hätten eine romantische Kultur voller Magie gehabt, während die Germanen und die Angelsachsen oft als nüchtern und ernst dargestellt werden. Und das trotz aller Gegenbeweise. Natürlich kennen wir viele keltische Mythen, aber Rituale haben kaum überlebt. Die Zaubersprüche und Rituale der Angelsachsen sind viel besser dokumentiert, von denen der Nordgermanen ganz zu schweigen.

Und da wir gerade dabei sind, ist Dir aufgefallen, dass die Art, wie vor hundert Jahren der Unterschied zwischen den sogenannten Kelten und Germanen definiert wurde, ziemlich große Ähnlichkeit mit dem Gewäsch hat, das Leute von sich geben, wenn man sie bittet, die Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Denken zu definieren? Oder mit dem abergläubischen Blödsinn, der in den 70´er Jahren über die Hirnhälften verzapft wurde?

Götter des Landes

Fahren wir fort mit den Gottheiten der späten La Tène-Zeit. Wie Du Dich vielleicht erinnerst, wurden viele Göttinnen mit Wasser assoziiert und in Gestalt von Quellen, Seen und Flüssen verehrt. Andere Göttinnen waren für das Land zuständig. Die Göttin Abnoba wurde mit einer Bergkette gleichen Namens in Verbindung gebracht, sie stimmt mit dem Schwarzwald überein.

Spekulative Kosmologie. Eine Viereckschanze träumen.

Die Göttin Arduinna war für die Ardennen zwischen Maas und Rhein zuständig. Eine ähnliche Beziehung existiert zwischen der Göttin Boand und dem Fluss Boyne, dem Gott Condatis und der Stadt Condate, der Göttin Eriu und Irland und so weiter. Viele Götter sind bekannt, die für die Landschaft vor Ort standen. Diese Gottheiten waren für die Anwohner sehr wichtig – die Stämme dagegen, die ein paar hundert Meilen weiter weg lebten, kannten sie kaum und machten sich auch nichts aus ihnen. Das mag zu Problemen geführt haben, wenn die Stämme wanderten, was bereits in der Hallstattzeit passiert war (es gibt einige Hinweise auf Siedler vom Hallstatt-Typ in Britannien um 600 vor unserer Zeit, mit denen die britische Eisenzeit begann), noch häufiger aber kam das zwischen 350 und 200 vor unserer Zeit vor, als keltische Stämme über ganz Europa und Kleinasien ausschwärmten. Was passierte mit den Lokalgottheiten, wenn ihre Anhänger auswanderten? Was denkst Du?

In vielen (aber nicht allen) Fällen wurde das Land als eine oder mehrere Göttinnen personifiziert. Das führte zu dem irischen Brauch, den König mit der Schutzgottheit des Landes zu verheiraten. Du hast wahrscheinlich schon einmal von dieser Zeremonie gehört. Eine ziemlich wüste Version davon wurde von Gerald of Wales im späten 12. Jahrhundert aufgezeichnet: Der potentielle König von Donegal kopulierte mit einer Stute. Nach dem Verkehr wurde das Pferd getötet und in einem Kessel gekocht. Die Untertanen aßen das Fleisch, während der König in der Brühe badete. Dann wurde er in Weiß gekleidet, musste barfuß in einem Fußabdruck stehen, der in einen Felsen gemeißelt war und erhielt schließlich seinen Amtsstab. Die Stute verkörpert in dieser Geschichte die Schutzgottheit des Landes, was nicht unwahrscheinlich ist. Allerdings sollte ich hinzufügen, dass die Geschichte, abgesehen von ein paar archaischen Elementen, fragwürdig ist. Schriftsteller zitieren die Geschichte im Allgemeinen so, als sei Gerald persönlich dabei gewesen und kommentieren sie mit Bezug auf alte indische Pferdekulte und –opfer, was einigermaßen spaßig ist. Sie erwähnen kaum je, dass Gerald niemals in Donegal war, Donegal zu seiner Zeit seit sechs Jahrhunderten christlich war und dass die Leute, die diese Geschichte überlieferten, dem fraglichen Königshaus nicht sonderlich wohlgesonnen waren.

Ob die gallischen Kelten an Schutzgöttinnen glaubten, mit denen der König verheiratet werden sollte, steht zur Debatte; als Cäsar nach Gallien kam, war die Einrichtung des Königtums schon lange durch einen permanent zankenden Adel ersetzt worden. Die britannischen Kelten scheinen sich von den Iren darin unterschieden zu haben, dass sie eine Anzahl von Königinnen hatten. Das wirft ein zweifelhaftes Licht auf die Frage, ob der Regent mit der Göttin des Landes verheiratet wurde. Heirateten diese Königinnen dann eine männliche Gottheit, oder war diese Symbolik von untergeordneter Bedeutung oder unbekannt? Für andere keltische Länder gibt es überhaupt kein Beweismaterial. Wir könnten unsere Spekulation noch eine Weile fortsetzen, ohne hinterher irgendwie schlauer zu sein.

Cernunnos

Kommen wir zu dem zur Zeit beliebtesten keltischen Gott. Es handelt sich um eine häufig dargestellte Gottheit mit Hörnern. Diese wird gerne als Cernunnos bezeichnet, was aber recht spekulativ ist. Eigentlich ist der Name nämlich gar nicht überliefert. Es gibt nur eine einzige Abbildung eines gehörnten Gottes (auf einem Altar aus Paris), die eine Namensinschrift hat. Der erste Buchstabe fehlt, der Rest liest sich ’ernunnos‘. Jetzt wird gerne behauptet, der fehlende Buchstabe wäre ein C, was uns einen Gott namens Cernunnos einbringt. Und Cernunnos bedeutet angeblich ’der Gehörnte‘. Dummerweise sind die Sprachforscher anderer Meinung. Alles was mit Hörnern zu tun haben soll, müßte ’Carnunnos‘ geschrieben werden. Als ’Cernunnos‘ ist der Name schlicht nicht übersetzbar. Oder handelt es sich um einen Schreibfehler? Wie dem auch sei, wir haben also einen Gott namens ’?ernunnos‘ der sich durch Hörner auszeichnet. Es können Hirsch-, Stier- oder Widderhörner sein. Oft ist der Gott im gallo-römischen Stil dargestellt, und hat einige Ähnlichkeit mit Pan. Wobei wir zur nächsten Frage kommen. Handelt es sich um einen Gott oder um mehrere? Ist der mit dem Geweih identisch mit den Hörner tragenden? Und wieder gibt es keine Antwort. Wir können nur raten. Noch spaßiger wird es, wenn wir die Bedeutung der Gottheit verstehen wollen. Einige gallo-römische Darstellungen zeigen ihn mit einem gefüllten Beutel, manche auch mit einer Maus. Beides sind Attribute von Mercurius, dem Gott der Händler (und Diebe). Im modernen Wicca sieht das anders aus. Dank Gerald Gardener und seinen Nachfolgern ist Cernunnos nämlich ein Gott der Wildnis, ein Herr der Jagd, ein Gott der wilden Tiere und, in einigen besonders extremen Fällen, ’der älteste Typus der männlichen Göttlichkeit‘. Und dieser Gott ist nach der üblichen Wicca Lehre der Partner einer Göttin die mit dem Mond verbunden wird und, dank Robert Graves Pilzvisionen, eine dreifache Göttin vom Jungfrau-Mutter-Greisin Typ darstellt. Schauen wir uns das mal in Ruhe an. Die Idee mit den wilden Tieren scheint auf einige gehörnte Götter zuzutreffen, und das Abbild auf der Innenseite des Gundestrup Kessels ist hier ein deutlicher Beleg. Die Sache mit der Jagd ist schon spekulativer. Sie geht auf eine mythische Gestalt zurück, einen Geist, Herne der Jäger, welche von Shakespeare erwähnt wird. Angeblich zieht er im Park von Windsor umher. Ob Herne allerdings Hörner hat oder irgend etwas mit den Kelten zu tun hat, bleibt unbekannt. Nun, Herne klingt dem (hypothetischen) Namen Cernunnos nicht unähnlich, und vielleicht ist ja ein Gott der Tiere auch für Jagd zuständig. Oder vielleicht auch nicht. Und dann gib es noch einen gallischen Gott namens Cernenus, der allerdings keine Hörner hat und mit Jupiter identifiziert wird. Was das Leben nicht einfacher macht. Und wie ist das mit der ältesten männlichen Gottheit? Zuerst zum ’ältesten‘. Hier bezogen sich die Begründer des Wicca auf ein berühmtes Felsbild aus der Höhle Trois-Frères, welches ein tier-menschliches Mischwesen zeigt. Dieses tanzt zweibeinig wie ein Mensch, hat aber die Hörner eines Hirsches, die Augen einer Eule und eine Reihe weiterer tierischer Attribute. Die allerdings nicht sonderlich deutlich zu sehen sind. Und die meist veröffentlichte Darstellung dieser Gestalt ist kein Foto, sondern eine Skizze, die wesentlich mehr Detail zeigt, als im Original ersichtlich ist. Ob Breuil das Bild in einem besseren Erhaltungszustand darstellt, oder ob er es kreativ verbesserte, bleibt offen. Wir haben es hier vielleicht mit einer Hirsch-Eule-Mensch Gottheit zu tun. Oder mit einem vermummten, tanzenden Schamanen. Oder einem Schamanen, der eine Gottheit darstellt oder in Besessenheit verkörpert. In diesem Fall ist der Schamane (oder die Gottheit?) männlich. Es gibt noch weitere gehörnte Tänzer in der Höhlenkunst, doch bei denen ist das Geschlecht nicht ersichtlich. Im Wicca wird oft davon ausgegangen, die gehörnten Gott-Schamanen der Höhlenkunst würden die selbe Gottheit darstellen wie die eisenzeitlichen Kelten. Wobei die dazwischen liegenden zehn oder fünfzehntausend Jahre nun wirklich nicht ins Gewicht fallen. Das Problem dieser Interpretation liegt in ihrer extremen Vereinfachung. Zum einen hatten die Steinzeitmenschen ein ganz anderes Verhältnis zur Jagd und den wilden Tieren als die Kelten. Sie waren Jäger und Sammler, wohingegen die Kelten von Rindern, Schafen, Schweinen und dem Ackerbau lebten. Bei ihnen war Jagd eine schöne Sache für die gehobenen Stände, aber keinesfalls für das Überleben notwendig. Und was bedeuten die gehörnten Götter überhaupt? Im vorgeschichtlichen Europa und überhaupt in Eurasien gab es eine ganze Reihe gehörnter Gottheiten. Über die meisten wissen wir gar nichts. Manche waren Götter der Viehzucht oder Gottheiten der Hirten wie ursprünglich Pan. Doch die sind nicht alle männlich. Eine erstaunlich große Anzahl von ihnen ist geschlechtslos. Manche, wie die Darstellungen aus Willowburn bei Gilsland in Cumberland, sind nackt und haben dennoch keine Geschlechtsteile. Waren die Künstler hier schüchtern? Oder war das Geschlecht ohne Bedeutung? Mehr noch, es gibt mehrere britische Darstellungen von gehörnten Göttinnen. Manche haben wunderschöne Hirschgeweihe. Was verblüffend ist, denn Hirschkühe haben keine. Was nun wirklich nicht zum Glaubensbild des modernen Wicca passt. Wir haben also bei den Kelten gehörnte Götter, die aber nicht unbedingt männlich sein müssen. Und wie sieht es mit der Gattin des gehörnten Gottes aus? Als Gerald Gardener in den späten Vierzigern des zwanzigsten Jahrhunderts Wicca entwickelte, verkuppelte er den gehörnten Gott mit einer Mondgöttin. Wie Ronald Hutton so detailliert nachweist (siehe The Triumph of the Moon, a history of modern pagan witchcraft, 1999), war sein Vorbild hier keineswegs eine alte Hexentradition. Es war vielmehr die englische Vorliebe für Pan und Diana. Seit der Renaissance waren dies die in England beliebtesten Gottheiten des Altertums. In zahllosen Gärten, Parks und Anwesen standen Statuen der beiden. Und beide wurden als Paar empfunden, obwohl sie dies in der griechisch-römischen Mythologie nicht sind. Denn Artemis/Diana ist keusch und jungfräulich, während Pan ständig hinter den Nymphen her ist. Aber wie sieht es hier bei den Kelten aus? Im Gegensatz zu vielen anderen keltischen Gottheiten erscheinen die gehörnten Götter fast immer allein. Sollten der Gehörnte eine Geliebte gehabt haben, bleibt dies verborgen. In ihrer aufwendigen Studie zu den gehörnten Göttern (1967 : 172-220) konnte Ann Ross nur auf eine einzige Darstellung hinweisen, in der ein gehörnter Gott eine Partnerin hat.

 

Und die (möglicherweise männlichen) gehörnten Götter der Kelten sind auch nicht immer mit dem wilden Wald und den Tieren verbunden. Bei den Briten gab es auch gehörnte Götter, die mit Speer und Schild bewaffnet eher zum Kriegswesen gehören. Wie wild ist eigentlich der ’Herr der Tiere‘? Der Gehörnte vom Gundestrup Kessel ist sauber rasiert und trägt eine Art Trainingsanzug, ist also recht präsentabel für einen Waldbewohner. Andererseits finden wir im Mabinogi (Die Herrin der Quelle) eine übermenschliche Gestalt, die als Herr der Tiere bezeichnet wird. Es handelt sich um einen wüsten schwarzen Riesen, der nur ein Auge und ein Bein hat und auf einem Hirsch trommelt, um alle Tiere herbeizurufen. Wobei der Hirsch hier eine Ritualstrommel sein dürfte. Doch dieser Herr der Tiere hat keine Hörner. Und dann gibt es noch etliche zwei und dreihörnige Helden in der irischen Mythologie. Doch die haben wenig mit Waldgottheiten zu tun. Der berühmteste ist Conall Cernach, wobei Cernach ’mit Kanten bzw. Ecken‘ bedeutet. Nach dem Táin Bó Fraích kämpft Conall unter anderem gegen eine riesige Schlange, die aber dann ganz nett wird und dem Helden unter den Gürtel kriecht, worauf die beiden zusammen eine Festung zerstören. Der gehörnte Gott des Gundestrup Kessels hält auch eine Schlange, und dieselbe gehörnte Schlange erscheint auf demselben Kessel bei einer Kriegerprozession. Bei gallo-römischen Götterfiguren hat Mars gelegentlich eine gehörnte Schlange dabei. Doch Conall ist weit entfernt von einem Herrn des Waldes oder der wilden Tiere. Statt dessen ist er der halbgöttliche Ahn des Königshauses von Dál nAraide, ein Kriegsherr, ein Zerstörer von Festungen, ein Grenzkämpfer, und der berühmteste Kopfjäger Irlands. Falls er wirklich mit den gehörnten Göttern verwandt ist, würden diese also hier eher zu einem Krieger und Ahnenkult gehören. Und gerade gallische Götter mit Widderköpfen werden des öfteren mit Mars, dem Kriegsgott identifiziert. Gar nicht zu reden von den gehörnten Kriegerhelmen von Orange, Vaucluse, und ihrer Reliefdarstellung aus La Brague, Alpes-Maritimes in Frankreich, oder den schwer gehörnten Zeremonialhelmen der britischen Kelten. Wobei es sich wahrscheinlich um Ritualsobjekte handelt, denn Hörner machen einen Helm für den Kampf unpraktisch. Ein guter Helm leitet den Schlag nämlich ab. Alles in allem haben wir also einen Haufen unterschiedlicher gehörnter Gottheiten. Eindeutig ist, dass gehörnte Götter bei vielen eisenzeitlichen Kulturen beliebt waren, aber dass es sich dabei um einen einheitlichen Gott gehandelt hat, ist mehr als unwahrscheinlich. Also vergessen wir am besten die Frage, wer Cernunnos wirklich war. Fragen wir lieber, welche Variation der gehörnten Gottheiten Dir am Herzen liegt.