Der Kessel der Götter

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Roquepertuse

Zuletzt lass uns einen Blick auf Roquepertuse werfen. Dieser sakrale Distrikt gilt als Musterbeispiel für keltische Tempel, seit er in den 20´er Jahren ohne allzuviel Sorgfalt freigelegt wurde. Das Museum von Marseille hat die Möchtegern-Rekonstruktion stolz ausgestellt; es handelt sich im Wesentlichen um ein paar Steinpfeiler mit Nischen für Schädel, Teile von Statuen, die unbekannte Götter darstellen und einen sitzenden Vogel, der auf mehr unterschiedliche Arten interpretiert worden ist, als gut für ihn war. Das Ergebnis ist zwar eindrucksvoll (s. Illustration), lässt aber eine Menge Fragen offen. Ausgrabungen in den frühen 90´ern von B. Lescure haben ergeben, dass Roquepertuse sehr viel geheimnisvoller war. Zunächst einmal war die heilige Anlage kein abgeschiedener, isolierter Ort, sondern lag direkt neben einer Siedlung. Sie war auch viel größer als bisher angenommen. Wo die frühere Archäologie nur einen kleinen heiligen Bezirk gesehen hat, geht die moderne Forschung von einem so großen Bereich aus, dass sich die Frage stellt, ob tatsächlich der ganze Komplex sakral war. Die Steinpfeiler, die im Museum mit 70 cm Abstand aufgestellt sind, waren tatsächlich mehr als 2 m auseinander. Es gab eine Menge von ihnen, und auch Kopfstücke, die sie verbanden, und ein Dach über ihnen. Abgesehen von Anzeichen für eine Plattform im zweiten Stock und einer massive Steintreppe, die hinaufführte, dürfen wir uns die Steine in lebhaften Farben bemalt vorstellen. Heute kann man sie nicht mehr mit blossem Auge wahrnehmen, aber wenn man die Fluoreszenzmethode verwendet, sieht man Pferde, eine Schlange, ein Pferd mit einem Fischschwanz und eine große Anzahl geometrischer Symbole.

Diese Bilder werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten; die grüne Farbe beispielsweise war ein Importartikel aus Verona in Norditalien. Das gleiche gilt für die Bilder: Das Pferd mit dem Fischschwanz ist weder Teil der keltischen noch der griechischen Ikonographie, es taucht hauptsächlich bei den Etruskern auf. Das wirft die Frage auf, ob Roquepertuse überhaupt ein typisch keltischer Tempel war. Bemerkenswert wenige rein keltische Gegenstände wurden an dem Ort gefunden. Das Material weist nicht nur auf umfangreiche Importe aus Norditalien hin. Wir müssen uns auch fragen, ob die Leute von Roquepertuse vielleicht einer der Keltenstämme waren, der sich im vierten Jahrhundert vor unserer Zeit in Norditalien niedergelassen hatte und seither unter dem Einfluss seiner etruskischen und ligurischen Nachbarn starke kulturelle Veränderungen erfahren hatte. Ach ja, und was die Schädel in den Nischen angeht, stellt sich jetzt heraus, dass sie ins Innere des Sakralgebäudes gewandt waren. Darüber könnte man einmal nachdenken. Bei Schädeln über der Eingangstür oder an der Aussenseite einer Mauer kann man vernünftigerweise davon ausgehen, dass sie eine apotropäische Funktion hatten und benutzt wurden, um Feinde und böse Geister abzuschrecken. Man könnte auch annehmen, dass die Schädel nicht unbedingt von freundlichen oder verehrten Personen stammten. In Roquepertuse konnte man die Schädel innen im Tempel sehen, sie wurden durch ein Dach geschützt und aller Wahrscheinlichkeit nach geschätzt und respektiert. Ein gutes Beispiel dafür, dass die Verehrung von Schädeln in der keltischen Welt alle möglichen Formen annehmen konnte. Die Siedlung und das Heiligtum von Roquepertuse wurden um 200 vor unserer Zeit herum von unbekannten Personen zerstört – ein guter Hinweis darauf, dass das Leben im keltischen Gallien nicht so friedlich war, wie manche es gern hätten.

Um es noch einmal zusammenzufassen, würde ich vorschlagen, dass es sich bei den Kultorten der La Tène-Zeit-Kelten nicht einfach um Orte gehandelt hat, sondern um Orte des Übergangs, Passagen in andere Reiche und Realitäten. So, wie sich der geschlachtete Stier in einen Schwarm summender, krabbelnder Fliegen und Würmer verwandelte und nur die nackten Knochen zurückließ. Waren Aasfresser wie Krähen, Raben, Wölfe, Hunde, Schweine, Fliegen, Insekten und so weiter den Kelten heilig?

Karte der Ausgrabung von Ribemont

nach Brunaux. Ribemont-sur-Ancre.

Viele von ihnen tauchen in keltischen Mythen auf. Und da wir gerade von Aas sprechen, kannst Du Dir vorstellen, was für ein gesundheitliches Risiko diese heiligen Schanzen darstellten? Jemand kümmerte sich ja um diese Plätze. Jemand stellte die Leichen auf, und säuberte die Grube, nachdem der Stier verwest war. Waren es Druiden oder eine uns unbekannte Priesterschaft? Und wie gingen sie mit Infektionen, Leichengift und einer hohen Sterblichkeitsrate um? War das der Preis, den man für die Fähigkeit zahlte, die Bevölkerung einzuschüchtern, die Adligen zu beherrschen und die Herrscher in Schach zu halten? Denk mal darüber nach. Wenn die Druiden Galliens so große Macht ten, wie sicherten sie sich dann ihre Macht in einer aus streitlustigen Hitzköpfen bestehenden Gesellschaft? War es der Zweck von Ribemont und Gournay, die Bevölkerung zu Tode zu erschrecken?

Und was hat es mit der Viereckform der Anlage auf sich? Ist es nicht verführerisch, sie mit der viereckigen Gralsburg in Verbindung zu bringen, mit der viereckigen, rotierenden Burg der Anderswelt oder mit dem menschlichen Körper mit seinen vier Hauptpunkten (zwei Schultern, zwei Hüftknochen) der mittelalterlichen, bardischen Lehre? Was macht eine quadratische oder leicht rechteckige Form heilig? Und warum gibt es keine einzige exakt quadratische Viereckanlage? Was ist an Trapezformen so Besonderes? Vielleicht möchtest Du eine Weile darüber meditieren. Man sollte meinen, dass ein quadratischer oder rechteckiger Grundriss bereits bekannt war, ebenso wie Wälle, Gräben und Palisaden, und zwar von Verteidigungsanlagen her. Doch das ist nicht der Fall. Die Kelten bauten Verteidigungsanlagen und Ringwälle auf Berg- oder Hügelkuppen. Manchmal halfen sie der Natur ein wenig nach und machten Abhänge etwas steiler oder flachten sie oben etwas ab. Trotzdem passten sie ihre Verteidigungsanlagen dem natürlichen Terrain an. Keltische Festungen haben meist unregelmäßige Formen und abgerundete Ecken. Es waren die Römer, die rechteckige Forts einführen und bewiesen, dass sie allen Erdwallfestungen der Frühzeit überlegen waren.

Den militärischen Hintergrund können wir also vergessen. Was könnte den Kelten noch Modell gestanden haben für ihre Tempel? Denk mal darüber nach, wo man quadratische Formen in der Natur findet. Du wirst schnell feststellen, dass sie selten sind. Was als Grundriss für von Menschen bewohnte Gebäude, Siedlungen und Straßen so außerordentlich nützlich ist, stellt sich in der Natur als verblüffend rar heraus. Wo finden wir also den Prototyp der Viereckanlage? Wurde die Form gewählt, gerade weil sie so „un-natürlich” ist? Oder sollten wir die Antwort suchen, während wir den Himmel betrachten? Um der kreativen Spekulation willen möchte ich Deine Aufmerksamkeit auf die Konstellation Ursa minor am nördlichen Himmel lenken. Ich möchte Anad danken für diese bemerkenswerte Idee. Hier finden wir eine moderate Viereckschanze vor, obgleich ich vielleicht hinzufügen sollte, dass zwei der vier Sterne, die sie zu einem Viereck machen, an unserem modernen verschmutzten Nachthimmel schwer zu erkennen sind. Ursa minor, der kleine Bär, ist wichtig, weil er so nah an der Nordachse liegt, wo frühere Kulturen den Ort vermuteten, an dem der Himmelspfeiler den Himmel stützt. Heutzutage befindet sich Norden fast exakt am Polarstern, der selbst Teil des Schwanzes von Ursa minor ist.

Der Nordpunkt, der vom Winkel der Erdachse definiert wird, bewegt sich. In der La Tène-Zeit lag er näher an der „Viereck-” oder „Rechteck”-Schanze Ursa minor als und Polarstern. Man könnte die Konstellation spekulativ als viereckige, rotierende, sich um sich selbst drehende Burg bezeichnen und sie mit Taliesins Lied „den Herrscher will ich preisen”, Bo T 30 (s. im Kapitel „der ewig hungrige Kessel”) vergleichen, oder mit Cu Rois Burg in den irischen Mythen und dem Plan heiliger kelto-germanischer Spiele wie Gwyddbwll, Tawlbwrdd, Tablud, Tafl, Fithcheall, Brandubh oder mit den verzauberten viereckigen Burgen, die in der frühen Gralsliteratur so reichlich vorkommen.

Sei es, wie es sei, es ist wahrscheinlich nützlich, sich keltische Kultorte als Plätze des Übergangs, der Transzendenz und der Umwandlung vorzustellen. Was ihnen heilig war, war immer auch ein Tor zu einem anderen Bewusstsein. Heilige Haine, Tempelanlagen, Brunnen, Sümpfe, Seen, Felsspitzen, Höhlen und so weiter ergeben einen Sinn, wenn man sie sich nicht einfach als Plätze vorstellt, sondern als Orte des Übergangs. Heiligkeit beinhaltet die Erfahrung des Numinosen, und was heilig ist, ist nicht notwendigerweise ein Ding oder ein Ort, sondern eine bestimmte Qualität der Erfahrung. Das gilt für von Menschenhand erbaute Gebäude ebenso wie für geweihte Wälder oder heilige Flüsse. Halte nach den Toren Ausschau!

Schatten im Labyrinth

Es ist einfach Pech, dass wir so wenig über die Götter der keltischen Vorzeit wissen. Dass es viele Götter gab und dass Dutzende von Religionen existierten, ist halbwegs sicher, aber worum genau es sich dabei handelte, ist eine Frage, die nur das sprudelnde Wasser, die Flammen des Lagerfeuers, die heulenden Winde und der sternfunkelnde Himmel beantworten können. Wie auch immer die frühkeltische Religion ausgesehen hat, können wir nicht wissen. Diese Situation bessert sich ein bisschen, wenn wir zu den letzten Phasen der La Tène-Zeit kommen, als griechische und römische Autoren begannen, die eine oder andere Kuriosität über den Glauben der Kelten Galliens aufzuzeichnen. Nun ist Gallien nach allem, was wir wissen, nicht repräsentativ für die vielen Kulturen der sogenannten keltischen Welt. Dennoch sind diese kleinen Bruchstücke, so zweifelhaft sie auch sein mögen, das Einzige, was wir in der Hand haben. Wie sahen die keltischen Gottheiten aus?

 

Im Hinblick auf die meisten hat fast nichts überlebt. Sehen wir uns einige wenige von ihnen mal an. Nehmen wir dazu die berühmte Passage von Lukan (Bellum Civile/ Pharsalia). Lukan berichtet seinen Lesern, die drei höheren Götter Galliens seien Teutates, Esus und Taranis gewesen. Die Namen von drei gallischen Göttern zu kennen war schon mal gar nicht schlecht für einen römischen Dichter, der wahrscheinlich nie in Gallien gewesen war! Seine kurze Anmerkung wurde allerdings von Wissenschaftlern und populären Schriftstellern sehr missbraucht, da die meisten von ihnen sie ohne irgendwelches Nachfragen einfach abschrieben. Insbesondere die Gelehrten des 19. Jahrhunderts neigten dazu, „die Kelten” als eine einzige Nation anzusehen, oder, noch schlimmer, so etwas wie ein schlecht organisiertes Imperium. In Übereinstimmung mit den Vorurteilen ihrer eigenen Zeit gingen sie von einer einheitlichen Religion aus, und Lukans Aussage war genau das, was sie in ihren irrigen Annahmen bestätigte. In vielen von den älteren Studien findet man die Fabel von den drei höheren Göttern als plattes Faktum präsentiert – heute sind die Wissenschaftler vorsichtiger, das gilt aber nicht für zahllose Anhänger der neokeltischen Kulte.

Die religiösen Inschriften Galliens erwähnen 375 Götter, von denen 305 nur einmal genannt werden (Hutton, 1991). Das bedeutet nicht, dass die nur einmal genannten weniger wichtig waren, es bedeutet nur, dass es wenig Beweismaterial gibt. Die meisten Inschriften stammen von Altären, Statuen und Sakralgebäuden romanisierter Gallier. Vor der Besatzung wurden die meisten Gottheiten nicht in Gestalt von steinernen Statuen verehrt, und man hielt auch ihre Namen nicht fest. Die Völker des besetzten Gallien, Germanien und Britannien lernten von den Römern, wie man Statuen anfertigt und Altäre beschriftet. Früher existierte die eine oder andere Stein- oder Holzstatue, aber erst durch den Kontakt mit den Römern wurden diese Gegenstände wirklich populär. Wir müssen davon ausgehen, dass die Menschen der späten La Tène-Zeit oft abstrakte Vorstellungen vom Erscheinungsbild ihrer Gottheiten hatten. Nach der Besetzung begannen die Steinmetze, Statuen für die Legionen anzufertigen, und schon bald folgten Statuen der Lokalgottheiten - die meisten von ihnen ähnelten den römischen Vorbildern. Es gibt viele gallische Götterbilder, die fast exakt so aussehen wie die römischen Götter, sie haben lediglich einen gallischen Namen und ein paar andere Attribute.


Das Knochenhaus. Ribemont-Träume.

Teutates, Esus und Taranis

Hier rennen wir geradewegs in die „römische Interpretation” hinein. Die Römer tendierten dazu, die Namen der Götter ihres Landes den Göttern der besetzten Provinzen zuzuordnen. In manchen Fällen war das hilfreich, da es auf die Funktion eines bestimmten (unbekannten) Gottes hinwies. Aber häufiger täuschte es, so zum Beispiel, wenn verschiedene römische Götter einer einzigen keltischen Gottheit zugeordnet wurden, oder wenn die Gottheit so ausgefallen war, dass die Römer keine richtige Entsprechung dafür fanden. Und wenn wir das archäologische Beweismaterial für Lukans drei Götter in Betracht ziehen, wird es richtig obskur. Teutates (oder Toutates) könnte möglicherweise von *Teuto-Tatis stammen, was soviel bedeutet wie „Vater des Stammes”. Das macht ihn sicher zum wichtigsten Stammesgott, aber wir erfahren nicht, wer oder wie dieser Gott ist. „Vater des Stammes” deutet auf Ahnenverehrung hin, vielleicht auch vergöttlichte Ahnen, aber natürlich leitete jeder Stamm seine Abstammung von einem anderen Ahnen her und hatte wenig Respekt vor den Stammesvätern seiner Nachbarn oder Feinde (diese Begriffe waren häufig austauschbar).

Ihm sind einige Inschriften gewidmet, die in Britannien, in der Steiermark und sogar in Rom gefunden wurden. Die ersteren setzen ihn mit dem römischen Kriegsgott Mars gleich, die letzteren mit Merkur, dem Gott der Händler, der Reisenden, der Diebe und der Journalisten. Weder das Eine noch das Andere verrät sonderlich viel über seinen Charakter, geschweige denn die Mythen und Riten seines Kultes. Esus ist noch schwieriger rückzuverfolgen. Sein Name (der etymologisch noch immer ein ungelöstes Rätsel ist) erscheint in einer einzigen Inschrift in Paris. Der Name steht unter dem Bild eines Mannes, der von einem reich beblätterten Baum Äste abschneidet. Mit dem üblichen Enthusiasmus haben Experten den Baum als Weide, als Eiche oder sogar als gigantische Mistel identifiziert. Ein ziemlich ähnliches Bild einer keltischen Gottheit (als Mercurius identifiziert) stammt aus Trier. Vielleicht stellt es Esus dar, vielleicht aber auch nicht. Taranis, ein Wort, das von „Donner” herstammt, erscheint auf überhaupt keinem Altar. Es gibt keine Beweise für einen Gott dieses Namens. Allerdings haben wir Ableitungen. „Donner” heißt auf irisch ’Torann’ und auf walisisch ’Taran’. Doch beides sind keine Götternamen. Wir haben Inschriften für Götter namens Taranucus, Taranucnus und Tanarus, die alle mit Iovis (Jupiter) gleichgesetzt werden, was zu Himmelsgöttern, Schleuderern von Blitz und Donner gut passen würde. All das ist ziemlich wenig konkretes Beweismaterial für die angeblich wichtigsten drei Götter Galliens. Es kam aber noch schlimmer, da Lukans Passage von späteren Schriftstellern noch weiter ausgeschmückt wurde. Unbekannte Schreiber des 4. bis 9. Jahrhunderts fügten hinzu, dass die drei Götter seltsame Menschenopfer zu empfangen pflegten: Die für Teutates wurden in einem Fass ertränkt, die für Esus an Bäumen aufgehängt (bis die Glieder abfielen) und die für Taranis in hölzernen Kisten verbrannt. Dass diese verschiedenen Formen von Menschenopfern von den prähistorischen Kulturen des transalpinen Europa praktiziert wurden, ist ziemlich sicher, aber ob sie tatsächlich auf diese Weise für diese drei speziellen Götter durchgeführt wurden, bleibt eine offene Frage. Wieviel wusste Lukan, der im 1. Jahrhundert unserer Zeit schrieb, über die Gallier, die hundert Jahre vor ihm gelebt hatten? Und wieviel konnten die anonymen Schreiber, die 300 und 800 Jahre später die blutrünstigen Details hinzufügten, über sie wissen? Aber anstatt diese Passage mit ein paar wohlverdienten Fragezeichen versehen zu veröffentlichen, publizierten viele Wissenschaftler und populäre Schriftsteller sie als Lukans Worte und fügten noch diverse Theorien hinzu, betreffend eine Zuordnung zu den Elementen, den sakralen dreifachen Tod und Trinitäten im Allgemeinen.

Göttin der Pferde

Tja, Lukans drei Kumpel sind nicht die einzigen Götter, die von modernen Forschern für pankeltische Gottheiten gehalten wurden. Da ist zum Beispiel noch Epona. Anders als bei den zuvor genannten Göttern ist der Kult der Pferdegöttin Epona (oder Equona) gut dokumentiert. Ihr Name stammt von dem gallischen Wort *epos oder *equos, Pferd, und demonstriert damit ihre Funktion als Göttin der Pferde, der Reiter, der berittenen Kämpfer und der Reisenden. Es existieren über 60 Inschriften mit ihrem Namen und etwa 250 Bilder von ihr. Diese stammen aus verschiedenen Teilen Europas: Eponas wurden von Spanien bis Schottland, vom Balkan bis nach Gallien gefunden, einige sogar in Italien und Rom selbst. Üblicherweise zeigen ihre Kultbilder eine Frau, die ein Pferd oder einen Maulesel reitet oder einen Streitwagen lenkt. Das umfangreiche Material hat einige frühe Forscher zu der Behauptung verleitet, Epona sei eine gemeinkeltische Göttin, bei allen keltischen Völkern Europas bekannt und von ihnen verehrt. Leider liegen die Dinge nicht so einfach, wie sie scheinen. Der Kult Eponas mag im Rheinland entstanden sein (das ist umstritten), er wurde aber von gallischen Söldnern, die Rom dienten, populär gemacht. Denk daran, dass es sich bei den Legionen nicht einfach um bewaffnete Italiener handelte, sondern um eine multinationale Streitmacht, die sich aus Angehörigen aller Teile des Imperiums rekrutierte. Cäsar legte großen Wert auf seine „germanische” Reiterei, als er Gallien eroberte. Gallische Legionäre und Kelten aus dem Rheinland wurden angestellt, um die Kelten Britanniens zu bekämpfen. Legionäre aus Gallien hinterliessen in Miltenberg Widmungen und Altäre für ihren Gott Mercurius Avernicus. Britannische Kelten scheinen mit beim Bau des Limes beschäftigt gewesen zu sein, des römischen Grenzwalls, der sich etwa 600 km durch Deutschland erstreckte. Die Leute, die sich den Legionen anschlossen, kamen in den 25 Jahren ihrer Dienstzeit gut herum. Wo immer sie hingingen, nahmen sie die Götter ihrer Heimat mit. In Zeiten der Gefahr gelobten sie, ihren Göttern einen neuen Altar zu weihen, und wenn die Götter ihnen halfen, wurde ein solcher Altar beim örtlichen Steinmetz in Auftrag gegeben.

Epona wurde zur speziellen Beschützerin der Kavallerie, und wo immer die Kavallerie eingesetzt wurde, findet man zahlreiche ihr geweihte Inschriften. So seltsam es klingt: Epona war eine keltische Göttin, die dank der römischen Armee Karriere machte. Sie hatte in den Legionen mehr Anhänger als in ihrem ursprünglichen Heimatland – wo auch immer das gewesen war.

Rhiannon und die Morrigain

Wer den ersten Zweig vom Mabinogi gelesen hat, kennt sicherlich die erstaunliche Anderswelt-Herrin Rhiannon. Nur um es zusammenzufassen: Nachdem Pwyll ein guter Freund des Herrn der Anderswelt wurde, setzte er sich eines Tages auf einen heiligen Hügel, um dort ein Wunder zu sehen. Schon bald erblickte er eine wunderschöne Frau, die in aller Ruhe unterhalb des Hügels entlang ritt. Pwyll schickte einen Reiter, die Dame anzuhalten, aber so sehr dieser sich mühte, er konnte die lässig trabende Lady nicht einholen. Am nächsten Tag wiederholte sich das Geschehen, obwohl Pwyll sein schnellstes Ross zur Verfügung stellte. Und am dritten Abend ritt Pwyll selbst, doch auch er konnte die Dame nicht einholen. In seiner Verzweiflung rief er: ‘Herrin, für das Wohl des Mannes, den Ihr am meisten liebt, haltet ein‘ ‘Gerne‘, sprach sie, ‘und es wäre besser für Euer Pferd gewesen, hättet Ihr früher darum gebeten‘. So kamen die beiden ins Gespräch, verliebten sich und später, nach diversen Schwierigkeiten, wurden sie ein Paar. Und was ist eine gute Geschichte ohne Schwierigkeiten? Die edle Dame aus der Anderswelt hieß Rhiannon, und wie Du eben sicher bemerkt hast, ist sie, bei aller Ruhe und Gelassenheit, die schnellste Reiterin der Welt. Und dass sie so sehr auf das Wohl von Pwylls Pferd bedacht war, zeigt deutlich, dass ihr Pferde am Herzen liegen. Später in der Geschichte bringt sie ein Kind zur Welt, welches mit einem zur selben Zeit geborenen Fohlen in magischer Verbindung steht. Und noch später wird sie, obwohl unschuldig, für ein Verbrechen bestraft. Wobei ihr als Strafe auferlegt wird, mit einem Sattel auf dem Rücken Gäste vom Hoftor zum Halleneingang zu tragen. Wobei sie ja selber als Pferd fungiert. Bitte lies die Geschichte in Ruhe nach. Als im neunzehnten Jahrhundert die Geschichtsforscher die Hintergründe des mittelalterlichen Mabinogi untersuchten, waren sie vor allem auf der Suche nach keltischen Gottheiten. Nun ist das Mabinogi ein Werk aus einer Zeit, in der das alte Heidentum bestenfalls eine vage Erinnerung war. Keltische Gottheiten, Druiden und dergleichen gab es nur noch, stark vermenschlicht, in Geschichten. Doch die Barden und Bardinnen erzählten weiterhin Geschichten, in denen Zerrbilder alter Wesenheiten erschienen. Diese verfügten oft über andersweltliche Eigenschaften und übernatürliche Kräfte, so dass die Idee nahelag, ihre Urform wäre einst als Gottheit verehrt worden. So lag die Idee nahe, Rhiannon könnte eine Version der guten alten und wohlbekannten Göttin Epona (oder Equona, je nachdem, ob wir sie britisch oder gälisch aussprechen) sein. Doch der Name Epona ist dem von Rhiannon nicht besonders ähnlich, und da keinerlei Mythen von Epona überliefert sind, ist die Verbindung zwischen den beiden schlicht und einfach die Nähe zu Pferden. Der Name Rhiannon hat allerdings, im Gegensatz zum Namen Epona, nichts mit Pferden zu tun. Dafür aber mit zwei anderen Göttinnen. Rhiannon kommt wahrscheinlich vom gallischen Rigani, was Königin bedeutet. Bei Ausgrabungen in Lezoux, Dép. Puy-de-Dome in Frankreich wurde eine Weihinschrift aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeit für Rigani und Rosmerta, beides gallische Göttinnen, aufgefunden. Oder, genauso gut möglich, Rigani, also Königin, ist hier als Titel von Rosmerta zu verstehen. Rosmerta ist zumindest ein wenig besser bekannt als Rigani. Sie wurde oft mit Füllhorn und Opferschale dargestellt und war die Gattin eines Gottes, der mit Mercurius gleichgesetzt wurde. Merkur trägt in der antiken Ikonographie oft einen Heroldsstab, und diesen finden wir auch gelegentlich bei Rosmerta. Was nun wirklich nicht viel Information ist. Und dennoch mehr als von Rigani. Vielleicht gab es eine gallische Göttin namens ’Königin‘. Vielleicht war Königin auch einfach nur ein Titel, der beliebigen Göttinnen verliehen werden konnte. Jean-Jacques Hatt war zwar bemüht, Rigani in allerhand keltischen Kunstwerken nachzuweisen, und aus ihr eine Art große, all-keltische Muttergöttin zu machen, aber seine wilden Spekulationen sind nicht sonderlich ernst genommen worden. Denn nachweisbar ist hier praktisch gar nichts. Wir haben also in Rhiannon eine Gestalt, die möglicherweise Königin hieß. Und sie hat mit Pferden zu tun. Nun gibt es in der mittelalterlichen inselkeltischen Mythologie noch eine Göttin, die einen verwandten Namen trägt. Es handelt sich um die Morrigain, auch als Morrigu bekannt. Ihr Name leitet sich von Mo (groß, mächtig) und Rigain (Königin) ab. Oder vielleicht von Mor (Nachtmahr, Alptraum) und Rigain, dann hätten wir es mit der Königin der Alpträume zu tun. Passt beides. Vielleicht hat ’Mor‘ auch mit zermahlen, zermalmen, bzw. Wörtern wie Mörser zu tun. Und wieder stellt sich die Frage, ob es sich um einen Namen oder Titel handelt. Die Morrigain ist auch keine Pferdegöttin. Ihre tierischen Verwandlungen umfassen vor allem Raben, Krähen, Wolf und einen schlangenartigen Riesenaal. Allesamt Tiere, die mit dem Tod und der Anderswelt in Verbindung stehen. In den irischen Mythen erscheint sie nicht als Übermensch, sondern als Schlachtengöttin.

 

Es war so: Eines Tages ging der Dagda (gute Gott) der Tuatha de Danann in das Tal von Etin. Dort brauste der Fluss Unius. Es war Samhain, der gefährlichste Tag im irischen Kalender, wenn die Tore zwischen den Welten weit offen sind, die Gräber und Hügel sich öffnen, die Geister hervorkommen und so mancher König für seine Vergehen einen frühen Tod fand. Am Fluß traf der Dagda auf eine Frau, die sich wusch. Ihr einer Fuß war in Allod Echae südlich des Wassers, der andere in Loscuinn nördlich des Stroms. Neun aufgelöste Zöpfe hingen von ihrem Haupt. Der Dagda sprach mit ihr, und die beiden vereinigten sich. Danach prophezeite sie für den Dagda, dass die Fomorier schon bald zum Kampfe kämen. Sie trug ihm auf, alle kunstfertigen Menschen zu ihr zur Furt von Unius zu senden. Und sie versprach, nach Scetne zu gehen, um dort Indech, Sohn von Dea Domnann, den König der Formorier zu vernichten. Die Morrigu hielt Wort. Sie zog ihm den Mut aus den Nieren und das Blut aus dem Herz. Als sie zur Furt von Unius zurückkehrte, erwartete sie ein Heer von Kriegern. Sie verspritzte zwei Handvoll des Blutes über den versammelten Truppen, worauf der Ort den Namen Furt der Zerstörung erhielt. Viel später, als die Truppen der de Dananns bereit für die Schlacht waren, versetzte die Morrigain sie in wahnsinnige Kampfesraserei. Und als die Schlacht gewonnen war, zog sie durchs Land und verkündete den Sieg auf den königlichen Berghöhen, bei den Feenhügeln, den wichtigsten Strömen und den Flussmündungen. Erst sang sie ein Lied vom Sieg und dann ein weiteres, in dem sie das Ende der Welt verkündete.

Und ganz ähnlich ist ihr Auftreten in anderen Legenden. Im Rinderraub von Cuailnge (Tain bo Cuailnge) versucht sie, den halbgöttlichen Cuchullainn zu töten (er hatte sich ihren Zorn zugezogen, weil er nicht mit ihr schlafen wollte). Während er gerade in einem Fluß gegen einen Gegner kämpft, erscheint sie in verschiedenen Tiergestalten, um ihn abzulenken, zu verletzen oder unter Wasser zu ziehen. Vor Schlachten wurde sie angerufen, als panische Angst über die Feinde zu kommen, und wenn nach dem Gemetzel die Toten verstreut am Boden lagen, erschien sie als Erste, mit schwarzen Schwingen und rauhem Gekrächz, vom Himmel herab, um sich an Augen und Fleisch zu sättigen. Und im Rinderraub von Regamna fährt sie in einer Kutsche. Ihr Pferd hat nur ein Bein und die Deichsel geht ihm durch den Körper, mit der Halterung an seiner Stirn festgepflockt. Auf dem Wagen sitzt die Göttin, mit roten Augenbrauen und in einem flammend roten Mantel, der zwischen den Rädern zu Boden fällt. Begleitet wird sie hier von einem riesigen Mann in einem roten Umhang, der einen gegabelten Haselstab hält und eine Kuh vor sich hertreibt. So erscheinen die beiden Cuchulainn, wobei der Mann stets schweigt, während die Göttin den Helden verspottet. So behauptet sie, eine Satirikerin (also eine Dichterin) zu sein, die Kuh wäre der Lohn für ein gutes Gedicht, und sie nutzt die schöne Gelegenheit, eine bittere Prophezeiung zu verkünden. Cu, schwer verärgert, versucht sie anzugreifen, doch die Göttin verändert ihre Gestalt, wird zu einem schwarzen Vogel und lässt sich auf einem Ast außer Reichweite nieder. ’Was auch immer du getan hast, wird dir Unglück bringen‘, lacht sie. ’Ich beschütze dein Totenbett, von jetzt an werde ich es bereiten. Diese Kuh habe ich aus dem Feenhügel von Cruachan geholt, damit sie sich mit dem Bullen von Daire mac Fiachna paart, und wenn ihr Kalb noch ein Jährling ist, wird dein Leben sein Ende finden!‘

So. Da haben wir ein Pferd in Begleitung der Morrigain, aber besonders glücklich ist es nicht. Möglicherweise ist es nicht einmal gälisch. Eine derartige Anordnung von Pferd und Wagen wurde von Herodot betreffs des Begräbnisses eines skythischen Fürsten berichtet. Und möglicherweise hat der Autor dieser Story die Idee von Herodot übernommen. Zumal die mittelalterlichen Iren ja überzeugt waren, von den Skythen abzustammen.

Für eine Pferdegöttin reicht so ein Outfit allerdings nicht aus. Die Göttin der Schlachten ist da in eine ganz andere Richtung unterwegs.

Die Morrigain ist aber noch auf andere Weise interessant. Hier haben wir nämlich eine weitere der wenigen keltischen Göttinnen, die von den Dichtern gerne als Dreiergruppe dargestellt wurden. Allerdings nicht in der Jungfrau-Mutter-Greisin Konstellation, die im Wicca so beliebt ist. Statt dessen hat sie zwei (oder drei) Schwestern, Bodb und Macha (und manchmal Nemain), mit denen sie zusammen herumzieht. Manchmal wird der Name Morrigu als Plural für das Trio verwendet. Wobei Macha einen sehr unklaren Hintergrund hat. Sie ist manchmal eine Königstochter, in einer anderen Erzählung, Die Schwäche der Ulstermänner, aber die Frau eines wohlhabenden Bauern. Sie segnet ihn mit Reichtum und hat dann das Pech, gegen die schnellsten Pferde des Königs zum Wettlauf antreten zu müssen. Macha stammt aus einem Feenhügel und ist die schnellste Läuferin der Welt, doch ihr hochschwangerer Bauch behindert sie, so dass sie am Ende des Rennens (siegreich) zusammenbricht und Zwillingen das Leben schenkt. Doch die Anstrengung hat sie ihre Kraft gekostet. Sterbend verflucht sie die Ulstermänner, die sie zu diesem Rennen zwangen. Wann immer Not und Gefahr die Provinz Ulster bedrohen, sind alle Bewohner fünf Tage und Nächte so schwach wie eine Frau im Kindbett. Dass Macha gelegentlich mit der Morrigu in Verbindung steht, scheint eine ganz andere Geschichtstradition zu sein. Und obwohl Macha nun wirklich nicht Königin genannt wird, ist sie doch in dieser Legende mit Pferden verbunden. Was etwas Verwirrung bringt, ist die Tatsache, dass wir eigentlich drei verschiedene Machas in der mittelalterlichen irischen Mythologie haben: Sie sind die Gattinnen von Nemed, Crunnchu und Macha die Rote. Wurden hier drei verschiedenen Legenden vermischt? Hat Macha vom Wettlauf überhaupt etwas mit Macha der Kriegsherrin zu tun? Wie verwirrt waren die mittelalterlichen Dichter über die Gestalten ihrer älteren Mythologie?