Die Sterne in uns

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Während ich das sagte, las Noona weiter, nickte ab und an. Ich wusste aber nicht, ob sie mir dem Screen zunickte.

»Der Verräter, dieser Jensen, ist flüchtig?«, fragte sie.

Ich nickte.

»Und kommt nicht als Mörder in Frage?«

»Eigentlich nicht, nein. Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte. Aber er hat meine Kollegin niedergeschlagen.«

»Jill Bekker?«

Ich nickte.

»Sie wurde verhaftet, wird mir aber bald überstellt. Als Gefangene.«

Noona hörte auf zu lesen und wandte sich mir zu.

»Wieso wurde sie verhaftet?«

»Sie behaupten, sie hätte ihren Kameraden zerhackt. Dabei hatte der Verräter sie vorher niedergeschlagen und Lennox Torgan, das Opfer, hat ihr geholfen. Ein Arzt war noch da. Die Sache muss später passiert sein. Also das ist das, was ich gehört habe. Ich war schon nicht mehr hier, als das passiert ist. Also der Mord.«

Noona sah mich kritisch an.

»Du bist ganz schön durcheinander, Woodman. Aber die Sache scheint mir auch seltsam zu sein. Du bekommst Geheimdienst-Infos?«

»Angeblich ja. Bisher aber nicht«, sagte ich achselzuckend. »Ich weiß nicht, ob ich Commodore Dangler vertrauen kann, aber sie hat mich beauftragt, der Sache nachzugehen.«

»Dangler ist in Ordnung«, sagte Striker. Ihr Vater müsste es eigentlich wissen, und was er wusste, wusste auch Noona.

Sie dachte einen Moment nach, das sah man ihr an. Sie vermittelte einen angestrengten, aber klugen Eindruck, und vor allem hatte ich das Gefühl, sie jetzt keinesfalls stören zu dürfen.

Also wartete ich.

Und wartete.

Und wartete weiter.

»Sie ist nicht das Problem«, sagte Noona schließlich. »Dangler. Ich denke, der Auftrag kommt wirklich von ihr und wird - viel wichtiger! - von relativ wichtigen Teilen des Geheimdienstes gedeckt. Ist dein Team das einzige?«

Ich zuckte erneut mit den Achseln.

»Wenn´s mehrere gibt, was wahrscheinlich ist, müssen wir aufpassen. Manche Teams neigen dazu, die Schuld auf andere Teams zu schieben, um sich zu profilieren. Üblicherweise heuert der Geheimdienst mehrere Teams an und spielt sie gegeneinander aus. Zu einem gewissen Zeitpunkt zumindest. Wir sollten das beste Team sein – mit echten Ergebnissen statt Betrug. Dann kriegen wir unsere Belohnungen und uns pisst keiner ans Bein.«

Sie schien sowas schon gemacht zu haben. Ich war froh, sie ausgewählt zu haben, egal wie sie drauf war.

Noona sah mich an und grinste plötzlich hinterhältig.

»Was hast du dir eigentlich als Belohnung ausgesucht?«

»Äh, nichts. Ich mach´s einfach. Ich will hierbleiben, meine Stellung behalten und Bekker entlasten. Das reicht mir.«

»Kein Raumschiff, Woodi?«, fragte sie, noch immer merkwürdig grinsend.

»Nein, absolut kein Bedarf.«

Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause.

»Oder Stan Pendra nackt auf einem Silbertablett?«

Ich weiß gar nicht, wie es passierte, aber meine rechte Hand landete blitzschnell und hammerhart in diesem hübschen, grinsenden Schlangengesicht.

Noona taumelte gegen die nächstbeste Wand, ohne zu Boden zu gehen.

Im ersten Augenblick sah sie mich mit einem Blick an, der mich einen Kampf auf Leben und Tod erwarten ließ. Dann aber rieb sie sich die Wange, nickte und lächelte anerkennend. Anerkennend!

»Du hast Kraft, kleine Woodi. Gute Reaktion auf so einen billigen Anmach-Scheiß wie meinen gerade.«

Ich schüttelte mich.

Ein cooler Spruch wäre vielleicht gut gekommen, aber mir fiel nichts ein.

Noona beugte sich vor, so dass unsere Nasenspitzen sich fast berührten.

Ich musste mich ein wenig konzentrieren, um nicht vorsichtshalber zurückzuweichen.

»Du hast mich angefordert, obwohl ich mit dem Mann zusammen bin, den du liebst? Was für ein kranker Scheiß ist das bitte?«

Das klang nicht mal so, als wolle sie mich vorsätzlich ärgern, aber vieles in mir sträubte sich heftig dagegen, das unkommentiert stehen zu lassen. Es stimmte einfach nicht.

Zumindest nicht ganz!

»Ich habe dich angefordert, weil ich dir vertraue. Und weil du gut bist, gerade für so was, das neben der Spur und möglicherweise sehr gefährlich ist. Mit wem du ins Bett gehst, ist nicht relevant.«

Sie nickte, vielleicht sogar dankbar, aber sie wartete offensichtlich auf etwas mehr Seelenstriptease.

Ich seufzte resignierend.

»Und ja, ich mochte Stan mal ein bisschen mehr als nur freundschaftlich, aber es war ja nie was zwischen uns. Das ist lange her. Ich liebe ihn nicht und es stört mich nicht, dass du mit ihm zusammen bist. Reicht das zu dem Thema?«

Sie nickte nochmals und zog den Kopf ein wenig zurück.

Ich fühlte mich jetzt nicht mehr wie eine Springmaus vor der Kobra.

»Und ich bin echt mehr an meinen ermordeten Leuten interessiert als an alten Männergeschichten, Stalev Striker.«

Sie nickte, und diese Geste beinhaltete ein deutlich sichtbares Lächeln.

»Gut, kann sein, dass ich dir teilweise glaube. Also lösen wir den Fall, Sherlock! Über Stan reden wir noch. Ich bevorzuge es allerdings, dass wir beide dann sehr, sehr betrunken sind!«

Ich konnte nicht verhindern, darüber zu lachen. Und das tat wirklich gut!

»Du bist echt unmöglich!«

Sie schlug mir auf die Schulter.

»Und du bist in Ordnung, Woodman, lass dich nicht von mir ärgern! Sollte ich eigentlich besser Vanessa sagen?«

»Nenn mich Woodi«, sagte ich.

»Und du mich Strikey«, sagte sie, lächelte aber nicht.

»Schwachsinn, Noona!«

Jetzt lächelte sie.

»Ja, Schwachsinn. Sei du ruhig die Woodi. Kleine, lustige Kumpel-Frauen nimmt eben kein Mann ernst, aber okay, wenn du Woodi sein willst…«

Diese miese kleine…

»Wer kommt noch außer der gefangenen Jill und mir? Ich kenne Jill übrigens. Süße Irre!«

Die kannten sich? Das hatte ich nicht gewusst. War das nun gut oder schlecht?

»Flink«, sagte ich.

Noona lachte laut und kehlig.

Wie ein Kerl!

»Wirst du also an mir und ihm schnüffeln, um dich an Stan zu erinnern, ja? Hau mich nicht! Alles gut. Garrett verspricht ne Menge Spaß.«

»Loyalität!«, zischte ich durch zusammengebissene Zähne.

»Er verspricht Loyalität. Kann ich mich auf dich verlassen? Auch darauf, dass du mein Kommando hierbei akzeptierst? Sonst hau besser gleich wieder ab!«

»Woodi, ich bin extra für dich hergefahren und wusste vorher, dass du hier das Sagen hast. Zurecht übrigens, wie ich finde. Du hast viel mehr Dienst abgerissen als ich. Klar knie ich nieder, wenn Imperatrix Woodi pfeift. Ich bin loyal! Hell, yeah!«

Ich nickte und nahm das als Versprechen zur Kenntnis.

»Gut, dann fangen wir an zu puzzeln!«, sagte sie und klatschte in die Hände.

Es galt, eine ganze Menge Meldungen, Protokolldaten, Personenprofile, Uhrzeiten und Bewegungsabläufe zusammenzustellen.

»Aber erst zeigst du mir, wo ich mein Zeug hinschmeißen kann. Ich werde ja ein paar Mal hier schlafen. Und dann trinken wir einen Whisky.«

Mein Kopfschmerz meldete sich wieder.

»Um diese Zeit? Ich hab ewig nicht geschlafen und bin nicht sicher, dass der Killer nicht doch noch irgendwo in der Anlage sitzt«, sagte ich und dachte an das Hacken an der Tür. An meine … Halluzinationen?

Sie nickte.

»Verstehe. Das hättest du explizit erwähnen können. Aber okay. Du solltest schlafen. Du siehst außerordentlich unattraktiv aus. Aber ohne Begrüßungs-Missions-Whisky geht´s nicht. Oder lieber Wodka? Oder Gin Tonic wie Stan?«

»Wodka ist dein Ding, Gin ist Stans Ding. Wenn dann Whisky. Ich bin aus Sheffield, aber wir sind in Irland. Whisky ist hier ein Muss. Aber danach muss ich schlafen, klar?!«

»Wir betrinken uns kurz, dann rollst du dich ein. Und ich bewache dich. Wäre doch schade, wenn der Killer uns sofort kaltmacht. Kurze Spiele sind langweilig.«

Dieser Vorschlag klang fantastisch. Bescheuert klang er auch, aber ebenso großartig.

Also nickte ich.

VIII
FLINK

Als ich erwachte, lachte noch immer die Sonne.

Vermutlich über mich.

Ein Blick auf das nächste Chronometer offenbarte eine späte Mittagsstunde. Mein Nacken war verspannt und Kopfschmerz klebte noch immer hinter meiner Stirn wie ein nasser Lappen, aber er fühlte sich anders an als in der Nacht zuvor: Nach Alkohol, nicht nach tödlicher Müdigkeit. Das war tatsächlich viel besser.

Ich war allein im Raum.

Ich dachte, die will auf mich aufpassen!

Nach leider vier statt dem geplantem einen Whisky war ich eingeschlafen. Noona hatte dabei auf der Bettkante gesessen. Das wusste ich noch.

Ich stolperte zur Tür.

Sie war verschlossen.

Na immerhin!

Ich überbrückte die Sperre mit meiner Autorisation.

Also ich dachte, ich könnte das tun.

Die Tür reagierte nicht.

Anscheinend hatte Noona das Programm überschrieben.

Ich betätigte mein SmartCom und rief sie.

»Bin gleich da«, antwortete sie umgehend. Sie lallte dabei und kicherte am Ende.

Das beruhigte mich nicht gerade.

Anscheinend hatte sie die Flasche allein geleert.

Ich trug nur einen Slip und einen Sport-BH, und rechnete mit einer rotzevollen Noona, als die Tür aufging.

Statt ihr stand da Flink P. Garrett.

Er trug eine Sonnenbrille und musterte mich schamlos grinsend von unten bis oben.

 

Ich tat ihm nicht den Gefallen, wie eine schamhafte Prinzessin zu quietschen, sondern blieb einfach wie angewurzelt stehen.

»Woodi, du bist eine Schönheit, wirklich wahr!«, sagte er. Nein, er sagte es nicht. Auch er lallte!

»Du und Noona, ihr habt euch schön einen angesoffen, ja?«, schrie ich wütend und begann, meine Sachen zusammenzusuchen und mich anzuziehen.

»Hier ist vielleicht noch ein Mörder im Gebäude und …«

»Nein, nein, alles gecheckt«, sagte er. Er klang dabei ein wenig nüchterner.

»Dreh dich gefälligst um!«, schrie ich ihn an. Bevor ich mir eine frische Uniform anzog, wollte ich die Unterwäsche wechseln.

»Oh, bitte. Wir kennen uns so lange, Woodi, und …«

»Flink! Kennen ja, aber nicht nackt! Du wirst mich nie nackt sehen! Dreh dich um und erzähl!«

Er tat es. Dennoch machte es mich nervös, splitternackt hinter ihm zu stehen, auch wenn es nur für einen kurzen Moment war.

»Wir haben erst einen kompletten Rundgang gemacht und mit internen wie externen Tendrae alles abgetackert was ging, Stalev Woodman«, sagte er.

»Kein lebendes Wesen in der ganzen Anlage, mal von den Mäusen und Fledermäusen abgesehen. Aber leider haben wir doch jemanden gefunden.«

Ich zog mir gerade die Uniform-Hose an, als er das sagte. Ich hielt in der Bewegung inne.

»Wen?«

Er drehte sich wieder um.

»Eine Leiche. Dewie Andrew Falls.«

Andrew würde nie wieder auf Nancy, Gracy oder wem auch immer liegen. Und ich hatte ihn verdächtigt! Also deswegen war er nicht ausgeloggt.

»Wo?«

»In den Versorgungstunneln unten. Erschossen. Searer.«

»Drei Tote. Einmal Axt, einmal Sprengsatz, einmal Searer. Passt alles nicht so richtig.«

»Nein«, sagte Flink.

Ich hatte mich endlich fertig angezogen und brachte Ordnung in meine Frisur. Auch kurze Haare machten manchmal Arbeit.

Er sah mich an und ich erwiderte seinen Blick.

Alles Betrunkene, Alberne, Anzügliche darin war mit einem Schlag wie fortgeblasen.

»Woodi, ich bin so froh, dich zu sehen.«

Das klang sehr nüchtern. Und sehr warm.

Ich kam auf ihn zu und umarmte ihn.

Es fühlte sich gut und richtig an.

Beinahe wäre ich in der Umarmung ein bisschen weich geworden. Nicht dass ich ihn hätte küssen wollen, aber ich wollte diese Probleme einfach nicht mehr haben. Ich hatte Lust, mich mit Flink auf eine Couch zu legen, einen Film anzuschauen und Snacks in mich reinzustopfen. Kichernd einzuschlafen, mit einem Spruch auf den Lippen. Ohne Sorgen. Ohne Termine. Kurz flammte diese Vision spürbar warm in mir auf. Ich ließ es zu, aber der Moment war sehr kurz. Das warme Gefühl verschwand endgültig, als Noona in der offenen Tür auftauchte.

»Oh, ganz, ganz süß! Ein Klassentreffen. Das ist Flink, Woodi, nicht Stan. Also leck ihn nicht gleich ab!«

Flink und ich ließen uns los.

Die Umarmung war vielleicht ein wenig zu lang gewesen.

Ihm gefiel der Kommentar zwar sichtlich genau so wenig wie mir, aber ein Streit war auch nicht angebracht. Ich hatte schon vorher gewusst, dass Noona nun mal so war. Ich musste cool bleiben. Einmal hatte sie mir einen Schlag durchgehen lassen, aber das nächste Mal würden wir uns wahrscheinlich die Knochen brechen.

»Kommt mal mit«, sagte ich humorlos, als ich auch den zweiten Stiefel angezogen hatte, und ging vor.

In der Zentrale setzte ich mich in meinen Sessel, ließ die beiden eintreten und die Tür hinter sich schließen.

Ich saß, sie mussten stehen.

Das war schon mal Teil der Botschaft.

»So, mal herhören!«, begann ich betont laut und militärisch. »Ihr habt das mit der Tendrierung und dem Anlagen-Check gut und korrekt durchgeführt. Danke dafür. Ich bin jetzt wieder einsatzbereit, ihr beiden aber nicht. Ich trinke auch gerne, aber das hier ist noch lange nicht lustig, kein Veteranentreffen und keine Party. Ich brauche euch im Dienst, und zwar nüchtern! Wenn wir irgendwann Sicherheit, das heißt eine echte Absicherung haben, können wir uns gemeinsam was reinschütten, aber doch nicht so. Ich habe hier das Kommando und muss dafür geradestehen, egal ob halbwegs geheim oder nicht. Ich kann vor Gericht landen, Leute, und ihr auch. Macht die Sache richtig oder gar nicht. Wir sind ein winziges Team, ohne ein Raumschiff oder eine Besatzung von tausend Crewies dahinter. Wir haben auf der Erde völlige Bewegungsfreiheit, dürften in ziemlich viele Archive und so weiter reinkommen. Mir wurden Autorisationen versprochen. Also sind wir nicht, wie sonst, die Gehetzten mit limitierten Möglichkeiten, sondern wir kommen von oben, um irgendeinen mörderischen, terroristischen Scheiß aufzuspüren und auszuschalten. Und ich will das schnell tun!«

Noona öffnete den Mund. Ich sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass es etwas Sarkastisches werden würde.

Ich kam ihr zuvor.

»Halt die Klappe, Noona! Ihr geht jetzt beide euren Rausch ausschlafen, und ich sehe euch um 20 Uhr ordentlich angezogen, geduscht und nüchtern wieder hier! Oder ihr verzieht euch, verratet mich, die Squadronica und alles, für das wir früher schon unsere Ärsche riskiert haben. Eure Entscheidung!«

Noona schloss den Mund wieder und zog eine wütende Schnute. Aber sie schwieg!

Flink dagegen wirkte richtiggehend schuldbewusst.

Ich hatte jedoch keineswegs die Absicht, ihnen Zeit zum Nachdenken oder für Erwiderungen zu geben.

»Wegtreten! Wir sehen uns später!«

Ich drehte den Sessel von ihnen weg und ließ sie auf meinen Rücken starren.

Ich wünschte wirklich, alle Menschen könnten immerzu nur fröhliche Freunde sein und Spaß haben, aber so läuft es in der Welt nun mal nicht, zumindest nicht durchgehend.

Oder ich müsste mich aus alledem endgültig verabschieden, aber ich wollte schon noch was beitragen. Ich war jung, verdammt noch mal, keine Seniorin. Und vor diesem dämlichen Tag der Anschläge war doch alles sehr akzeptabel gewesen. Ich wollte meine ruhige irische Westküste mit einem kleinen, unaufgeregten Team zurück. Natürlich ohne solche Jensens, aber mit Jill.

Ich hörte Noona und Flink brav wegtreten.

Brav und vor allem wortlos.

Danke! Ich danke euch!

Wir würden das durchziehen, Ergebnisse abliefern, und in ein paar Wochen würde ich wieder hier sitzen, meinen Kaffee schlürfen, ein bisschen arbeiten, abends ein gutes Buch lesen und die Welt genießen in all ihrer Ruhe und Genügsamkeit, wenn der Mensch nicht reinballerte.

Als sich die Tür hinter den beiden schloss und ich wieder allein war, drehte ich den Sessel herum.

Ich checkte Displays und Protokolle, aktivierte Sperren, Blockaden und Sicherheitslogarithmen.

Andrews Leiche hatte der Doc abgeholt, während ich geschlafen hatte. Ich entnahm das einem Memo. Ich fand es schade, da ich ihn gern endlich persönlich gesprochen hätte.

Aber gut, fein, wir haben die Leiche aus dem Haus. Abhaken! Konzentrieren wir uns fortan besser auf die Lebenden.

Die Arbeit am Puzzle, das ich mit Noona hatte lösen wollen, hatten Flink und sie noch nicht wirklich wieder aufgenommen.

Eher ein Whisky-Puzzle. Der Schluck muss hierhin, der dorthin. Na toll!

Ich ging Akten, Aufzeichnungen und alles, was mir einfiel, durch. Es dauerte Stunde um Stunde. Ich trank literweise Kaffee, aber ich genoss es auf eine gewisse Weise. Nichts Schlimmes passierte und mir ging es wieder recht gut soweit. Ich konnte lesen und arbeiten.

In der Zentrale liefen alle Sicherheitssysteme rund. Ich hatte alles im Blick, nichts ereignete sich draußen oder drinnen. In den Quartieren von Flink und Noona gab es natürlich keine Kameras, aber da nirgendwo eine Bewegung registriert wurde, ging ich davon aus, dass sie tatsächlich brav und ungestört schliefen.

Ja, ich hatte auch kurz den Gedanken, dass sie vielleicht miteinander schliefen, und dass ich hingehen, es entdecken, dokumentieren und Stan davon berichten könnte, aber das wäre ja sowas von kindisch gewesen!

Aber für seine eigenen blöden Gedanken kann man doch nichts! Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass die beiden sich nicht anfassen würden. Zwischen ihnen war nie was gewesen. Ende der Geschichte.

Am späten Nachmittag wurde die Station gerufen.

Ein Transporter der Squadronica kündigte die Rückführung von Jill Bekker an.

Wir hatten eine Art Zelle in der Anlage, aber im Grunde plante ich, Jill eine Minute nach Abflug ihrer Lieferanten wieder freizulassen. Sie konnte nicht schuldig sein!

Der Transporter traf ein, als Noona und Flink noch schliefen. Ich trug einen Searer an der Hüfte, als ich hinausging.

Das anfliegende Ding war ein fetter Gleiter. Er flog etwa zehn Meter über dem Erdboden, war aber nicht weltraumtauglich. Eher ein Frachter für die Erde.

Ich musste einige Dokumente unterzeichnen, aber niemand an Bord dieses Dings war von bedeutsamem Rang oder mir sonst irgendwie bekannt. Sie führten lediglich aus, was Commodore Dangler mir zugesagt hatte, wussten aber nicht, was sie da gerade taten. Zumindest schien es so, und es war mir auch ganz recht.

Nach einigen Minuten voller Formalitäten wurde Jill Bekker eine Rampe hinabgeführt.

Sie trug Spanglers. Das waren blau leuchtende Handschellen, die Metall und Energiefeld kombinierten und ohne High Tech nicht zu durchbrechen waren. Man hatte Jill die Uniform genommen und sie in etwas Bequemes gesteckt. Zum Glück war es keine Sträflingskleidung, sondern eine luftige Hose und ein einfarbiger, dünner Pulli. So legte man sich eigentlich nach Dienstschluss auf einen Sonnenstuhl.

Jill strahlte, als sie mich sah. Im strohblonden, lockigen Haar über der Stirn trug sie ihre merkwürdige Brille, diese Mischung aus Piloten- und Schweißerbrille, die sie bei Experimenten aufzusetzen pflegte und auch sonst selten ablegte.

Ich begrüßte sie sachlich und wartete, bis der fette Gleiter außer Sichtweite war. Dann gab ich den übermittelten Code ein, um die Spanglers zu öffnen.

IX
JILL

Endlich umarmten wir uns.

Mir war, als wäre mein Zuhause nach Hause gekommen.

»Hattest du Sorgen, kleine Woodi?«, fragte Jill und strich mir ein Strähnchen aus der Stirn.

Sie grinste herrlich irre vor Glück. Das stand in strengem Kontrast zur sanften Stimme und dieser zärtlichen Geste.

»Wir haben hier ein paar Morde, Terrorismus, eine Verschwörung oder sowas, aber das läuft schon«, sagte ich und zwinkerte.

Natürlich war auch das verrückt und völlig pietätlos, aber Jill war ein schwieriges, großartiges Genie. Normales Verhalten musste in ihrer Gegenwart nicht sein.

Ich musterte sie einen Moment lang.

Ihr war offensichtlich während der kurzen Gefangenschaft nichts zugestoßen. Allerdings wäre es auch sehr ungewöhnlich gewesen, hätte es in der Justiz zu dieser Zeit weit verbreitete Missstände gegeben. Es war längst nicht alles perfekt in unserer Gesellschaft, aber seit dem knapp gescheiterten Putsch der Faschisten übte sich das staatliche Gewaltmonopol doch sehr in Zurückhaltung.

»Ich bin ein freier Vogel?«, fragte sie vergnügt. »Darfst du mich fliegen lassen?«

»Nein, aber ich tue es trotzdem«, sagte ich.

Ich wollte gar nicht erst hineingehen, abwarten, einen Kaffee anbieten oder ähnliches.

Ich wollte gleich an Ort und Stelle Antworten haben.

»Was war, nachdem Jensen dich niedergeschlagen hat?«

Ihr Lächeln verschwand, aber sie blieb ein seltsamer Anblick für jemanden, der sie nicht kannte. Sie sah auf ihre Finger, während sie sprach - und sie sprach sehr schnell.

»Naja, das war ein harter Knockout. Richtig hart. Unnötig gemein. Sah ich nicht kommen. Ich hatte Kopfhörer auf in dem Moment. Gute Musik, da knallt es extrem überraschend. Als ich aufgewacht bin, war Lennox da. Ich hatte ein bisschen Blut am Kopf. Er auch an den Fingern. Naja, er hat nachgesehen. Alles gut. Er sah richtig erschrocken aus. Mir war noch schwindelig. Wie von falschen Pilzen in der Suppe. Unser Annäherungsalarm ging los. Das war komisch, weil Jensen ja schon abgehauen war. Also falls jemand sagt, Jensen hat Lennox ermordet: No way! Der war weg. Lennox hatte ihn abdüsen sehen. Du ja auch. Er dich ja auch. Ach, was erzähl ich dir? Also Lennox rennt los. Wegen des Annäherungsalarms. Dem hier bei uns. Ich rappel mich hoch, steck mir erst mal ne Ziggi an und reib mir den Steiß, weißt du? Wie ich halt so bin. Dann geht der Alarm plötzlich aus, mitten im Heulton. Abgewürgt. Das klingt eigentlich nicht so, wenn man ihn deaktiviert. Dann heult er seine Melodie noch kurz zu Ende. Weißt du ja von den Alarmübungen. Bis die Kaskade kollabiert. Oder so ähnlich. Hast du was zu rauchen?«

 

Ich schüttelte den Kopf. Drinnen gab es etwas, aber hier draußen nicht. Ich rauchte nur sehr, sehr selten.

»Weiter, Jill. Ich muss alles wissen, bevor die anderen dich in die Finger kriegen!«

Sie nickte.

»Ich also raus in den Korridor. Ich rufe nach Lennox, aber es kommt keine Antwort. Dann Geräusche. Poltern. Ich dachte auch Glas splittern zu hören, aber ich habe keine kaputte Scheibe gefunden. Naja, ich war aber noch nicht weit gekommen, da kamen Sicherheitskräfte der Unyon den Gang rauf und auf mich zu. Fünf oder sechs Typen. Keine Frau. Das hat mich schon mal gestört. Helme mit abgedunkelten Visieren, alle mit diesen Searer-Streitkolben im Arm. Diese Kuschel-Kalaschnikows.«

Sie meinte Searer-Gewehre. Ich gestikulierte, sie solle fortfahren und sich nicht an diesem Detail aufhalten.

»Und dann die Standard-Ansprache. Für mich, Woodi!«

Ich verdrehte die Augen und steckte mir einen Finger in den Mund. Juristisches Gesülze fand ich zum Kotzen.

»Dass Dewie Jill Bekker jetzt verhaftet sei wegen Mordes an Dewie Lennox Torgan und ich das Recht hätte, die Klappe zu halten. Ich war total angepisst - und vor allem geschockt! Lennox war weniger als fünf Minuten weg von mir und schon tot? Ich weiß nicht, wer noch hier drin war, Woodi, ich schwöre es! Da kann entweder einer gekommen sein in den wenigen Minuten nachdem du und Jensen weg waren oder …«

»Oder da war schon längst einer hier, mitten unter uns«, sagte ich eisig.

»Wann auch immer er die Bombe in der Nähe der Rampe platziert und wann auch immer er Andrew ermordet hat. Wir haben irgendeinen fiesen Gegner hier drin gehabt.«

Jill nickte und sah nicht mehr auf ihre Finger oder den vorbeifliegenden Vögeln nach. Jetzt war sie ganz wach, voll da und sah mich direkt an.

»Woodi, ich hab lange gedacht, die Typen von der Unyon hätten Lennox ermordet. Die waren so kurz nach seinem Tod schon bei mir. Aber ich habe vor dem Abflug hierher erzählt bekommen, dass es noch mehr Tote gegeben hat. Andrew. Maryja. Sie sagten mir, dass ich damit vor Gericht gute Karten hätte, weil die anderen ja ermordet wurden, als ich schon verhaftet war.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nicht, wie die darauf kommen. Waren das Anwälte?«

»Ne, die Piloten vom Gleiter. Normales Personal.«

»Na dann haben sie vergessen, dass der Todeszeitpunkt von Andrew nicht hundertprozentig klar ist und dass so eine Bombe wie die von Maryja auch im Vorfeld deponiert und programmiert werden kann. Steuerung ist schwierig von weit weg, klar, aber würde ich dich verdächtigen, wärst du noch nicht fein raus. Interessanter wäre die Feststellung, dass die Unyon wirklich raus ist.«

»Hast du wieder einen internen Putsch oder sowas im Verdacht? Das verfolgt dich ein bisschen, hm?«

Ich schüttelte den Kopf.

Politische Unruhen und Putschhandlungen hatte es in den letzten Jahren wirklich einige gegeben, aber das war in Kriegszeiten sicher nicht unnormal. Immerhin hatte die Unyon beinahe einen langjährigen Krieg gegen das Prismonium verloren und in letzter Sekunde eine Invasion durch das Delta Empire abgewendet – durch fremde Hilfe allerdings. Diese beiden externen Gefahren waren für den Moment gebannt und weit weg, und ich fand wirklich, dass sich Gesellschaft, Unyon und Squadronica, beruhigt hatten.

»Ich hatte gar nichts im Verdacht bislang, Jill, zumindest nicht so richtig, aber ich habe schon Sorge, dass mein Auftraggeber mich beauftragt hat, um von sich selbst als Täter abzulenken. Ist zwar weiterhin auch noch möglich, aber alles deutet auf eine fiese Person hin, die mit Jensen gearbeitet hat. Da gibt es wohl so eine Gruppe von Irren, die gern tötet und zerstört.«

»Ich hasse solche Typen«, sagte Jill ernst. »Das ist keine gute Art, seine Meinung zu verkünden. So Leute sagen immer, sie seien die Unterdrückten, sie seien die Revolution, aber die besten Revolutionen gab´s am Ende doch immer eher friedlich. Alles andere wandelt schlechte Gewalt in schlechte Gegengewalt um, nichts weiter.«

Ich nickte, war aber nicht daran interessiert, die Geschichtsstunde zu vertiefen.

Die wichtigsten Puzzlestücke kennen wir noch nicht, da bin ich sicher. Es ist viel zu früh, über das große Ganze nachzudenken.

Ich bemerkte, dass Jill auf eine Erwiderung wartete.

»Wir reden beide von der Unyon als möglichem Bösewicht, als wären wir nicht selbst die Unyon. Wir sollten das nicht vergessen. Wir sind Offiziere der Squadronica Terrensis, ihrer wichtigsten Exekutive. Wenn andere Einheiten aufkreuzen, können wir nicht wie von einer fremden Macht sprechen. Die haben auch nur ihren Job gemacht.«

Jill nickte, sagte aber nichts.

Genug geschauspielert. Jetzt ist der Moment, dir die Sache um die Ohren zu hauen.

»Jill, ich weiß, dass der Doc dich untersucht hat nach dem Niederschlag durch Jensen. Da lebte Lennox noch. Wieso fehlt das in deiner Geschichte? Bei dir rennt Lennox, direkt nachdem er dir geholfen hat, wegen des angebliches Alarmes weg, wird ermordet, und dann kommen schon die Sicherheitskräfte der ST. Erklär mir das mal, am besten sofort und bitte überzeugend!«

Jill verzog den Mund und riss die Augen auf. Es sah weniger verrückt aus als sonst, sondern ehrlich schockiert.

»Du glaubst, ich war das?«, fragte sie mit sehr leiser, brüchiger Stimme. »Du traust mir das zu? Das alles?«

Mädchen, du bist meine beste Freundin seit zwei Jahren, aber ich hab leider gelernt, dass alles möglich ist.

Ihre Augen verengten sich, ihr Mund begradigte sich. Sie sah nun sehr seriös und ernst aus, kein bisschen verrückt.

»Ich vermute, dich haben viele Leute ganz schlimm durcheinandergebracht, Vanessa Woodman. Ich ermorde keine Kameraden. Ich ermorde überhaupt niemanden. Der Doc erzählt Blödsinn. Ich hoffe, er ist nur dement! Es war genau, wie ich es dir sagte. Lennox fand mich. Ich brauchte keinen Arzt. Und selbst wenn ich einen gebraucht hätte, war es fünf Minuten später schon egal.«

Der Doc sollte wissen, ob er eine Person wegen einer Kopfverletzung untersucht hat oder nicht. Eigentlich. Wieso sollte er lügen? Seine Fehlinformation, wenn es eine war, sorgte ja nicht mal für Jills Verhaftung. Sie ist bedeutungslos, außer dass sie mich verwirrt. Oder ich bin blind. Aber klar, ich könnte etwas missverstanden haben.

Jill wartete auf meine Erwiderung.

Letztlich fiel sie mir leicht.

Warum einem alten Mann mehr glauben als einer jungen Frau, die man viel besser kannte? Jeder Mensch konnte lügen. Ich entschied mich dafür, einer Frau zu glauben. Nicht weil Frauen bessere Menschen sind – sind sie meiner Erfahrung nach nämlich nicht, schon gar nicht pauschal – sondern weil Jill meine Freundin war, der Doc nur ein Bekannter mit Status. Veteran und Arzt. Der Status Mann war kein Status mehr. Egal, was dahintersteckte, ich glaubte Jills Version.

Und vielleicht habe ich mich nur verhört. Ich mache nicht selten Fehler.

»Mir genügt das. Ich beantrage deine Wiedereinsetzung in den Dienst unter Vorbehalt. Ich denke, dass die das Verfahren bald einstellen. Spätestens, wenn wir Spuren oder Beweise finden, wer der eigentliche Täter ist. Und das ist sowieso unser wichtigster Job. Komm mit!«

Ich nickte in Richtung Gebäude und ging los.

Jill schwieg ungewöhnlich lange.

Ich vermute, sie wägte ab, ob sie sich dafür bedanken sollte, dass ich ihr glaubte. Aber wenn sie die Wahrheit gesagt hatte, wäre ein Dank ja nicht nötig gewesen. Ich legte mir das als weitere Bestätigung aus.

Schließlich fragte sie nach den anderen Teammitgliedern.

Wir waren in der Halle vor Torgans Büro.

Als ich Flinks und Noonas Namen nannte, blieb sie überrascht stehen.

»Stalev Flink Garrett und Stalev Noona Striker? Das sind doch die aus deinen Abenteuergeschichten! Noona kenne ich selbst ein bisschen, Garrett habe ich in Berichten gesehen. Du bringst mich in eine richtig beschissene Lage, weißt du das?«

Ich kratze mich an der Nase.

»Wieso? Weil alle Stalev sind und du Dewie?«

»Quatsch, das interessiert mich nicht!«

Sie winkte grinsend ab und flüsterte mir ins Ohr: »Das Problem ist: Ich finde die beiden extrem heiß und weiß nicht, mit wem ich …«

»Jill!«

Ich schubste sie, und sie begann zu gackern.