Die Sterne in uns

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VI
PANIKRAUM

Es hatte keinen Sinn, sich Maryjas Leiche oder den Trümmerhaufen daneben anzusehen. Ich hatte manuell die letzten Flammen per Spray gekillt, nun aber wollte ich endlich meine Position ändern.

Ich trat vorsichtig durch die Reste der zerbrochenen Glasscheibe hindurch in den Korridor hinein.

Dann rannte ich, so schnell ich konnte, in Richtung Kontrollraum.

Würde mich unterwegs jemand angreifen, wäre ich schon in Bewegung, in Action. Das Rennen machte mich mutiger und stärker, fühlte sich gesünder an als all das Abwarten zuvor. Es war dunkel, aber Notleuchten von der Größe kleiner Schaltknöpfe leuchteten mal hier, mal dort. Ich registrierte alle Farben und jede Bewegung viel intensiver als je zuvor. Vor jedem Quäntchen Licht hätte sich eine Kontur abzeichnen können, eine verräterische Bewegung.

Aber alles blieb menschenleer.

Bis auf meinen Atem und meine Schritte hörte ich im ganzen Gebäude nichts.

Es roch nach meinem Schweiß und einem Hauch von Rauch.

Ich trat die Tür zu meinem Büro, wie ich den Kontrollraum zu nennen pflegte, auf.

Die Screens der Terminals im Stand-by-Modus warfen grau-blaues Licht auf den Boden. Es genügte, um den Raum sofort zu überblicken, als ich eintrat.

Niemand war drin. Nur das zählte jetzt.

Ich schmiss die Tür wieder zu und verriegelte sie dreifach. Mehr Verriegelungsstufen gab es auch nicht.

Der Raum hatte ein eigenes Lebenserhaltungssystem und einen zweiten Ausgang. Auch den verriegelte ich dreifach.

Ich schaute nicht mal nach, ob im Raum dahinter jemand oder etwas war.

Viel zu gruselig! Ähm, völlig unnötig.

Mir reichten diese paar Quadratmeter momentan völlig aus.

Ein Held sein. A hero to be.

Tolle Songs gibt´s dazu, sicher auch viel Heldenmut – hatte ich schon gesehen und vielleicht ansatzweise auch selbst gezeigt – aber letztlich pissen sich in Kriegen doch alle in die Hose und beten, dass es vorbei geht. Gewalt und Kriege verherrlichen hinterher vor allem jene, die nicht mal an einem realen Konflikt geschnuppert haben.

Ich hätte das Gebäude nun im Dunkeln abgehen können, mit der Waffe in der Hand.

Der übliche Horrorfilm-Plot.

Türen vorsichtig öffnen.

Irgendwann würde ich die Toilettenbereiche prüfen. Ich würde mich hinknien, um unten durch sehen zu können, und dann stünde der Mörder auf der Schüssel. Oder so ähnlich.

Kann mal einer vorspulen? Das ist so langweilig! Ich würde aber wahrscheinlich dabei sterben. Langweilig sterben. Ich kann im Weltraum, im Krieg auf einem Schiff, gerne irgendeine sich schnell ausbreitende Katastrophe verhindern, oder schneller schießen als man zielen kann – mit den Bordwaffen – oder Leute umtreten, Torpedos rasend schnell umprogrammieren und so weiter. So ein Zeug eben. Kriegszeug. Aber das hier? Das ist kein Krieg. Das ist Scheiße.

Ich dachte an das, was draußen war.

Irland und seine verschlafene, wild-romantische Westküste. Ich war doch hier, damit ich meine Ruhe hatte. Das Command war erst mal ein wenig traurig gewesen, dass ich nicht mehr auf einem Schiff dienen wollte, aber danach dachten sie sich, ich würde bestimmt wenigstens gern Tokyo übernehmen.

Tokyo!

Von dort wurde die halbe Erde kontrolliert, wenn es um Verteidigungstechnologien ging. Und wie viele Menschen da rumrannten!

Äh, und ich dann so: Nöööö!

Ich hatte mir vorher schon angesehen, wo Teams und Standorte etabliert werden. Nichts war randständiger als das hier, als County Mayo und Co.

Ich wollte diesen Standort, da hier nichts explodierte, niemand starb und keine politischen Intrigen durch die Tür kamen.

Fuck! Pech muss man haben!

Und jetzt saß ich im dunklen, abgeriegelten Kontrollraum.

Wie in einem Panic Room!

Einige Gefühle in mir warben dafür, schnell wieder hier herauszukommen, aber ich würde auf keinen Fall rausgehen. Irre Mörder warteten doch nur darauf.

Aber Kommunikation, fand ich, musste schon sein. Ich konnte ja nicht ewig hier bleiben. Das Licht hatte ich selbst ausgemacht, also musste jetzt gezwungenermaßen aufs Tageslicht gewartet werden. Wobei, wie viele Morde passieren bei Tag, wie viele bei Nacht?

Warum habe ich eigentlich Angst? Habe ich denn Angst? Kein Freund oder Kind wartet auf mich in meinem spartanischen Zuhause. Bislang ist das so, und das meiste davon ist selbst gewählt. Ich will nicht klagen, aber wovor habe ich Angst? Was würde ich, was würde das Universum schon verlieren? Keinen Stern.

Ich lag in meinem Kommandosessel und sehnte mich nach Getränken, die mir die Situation erleichtert hätten. Es gab keine. Aber die galoppierende Gedankenlawine war jetzt ohnehin nicht mehr aufzuhalten.

Aber ich hab es mir doch eigentlich ganz hübsch gemacht. Nein, hab ich nicht! Wem will ich das erzählen? Weil Frauen sich immer alles hübsch machen müssen? Wieso eigentlich? Ich schmeiße gern meine verschwitzten Stiefel neben die Tür und lasse sie dort verrecken.

Aber schön, stylish und kuschelig mag ich´s ja auch. Ich weiß nicht, wie viele von uns Frauen zerrissen sind zwischen Gestaltungswillen und Ästhetik auf der einen, aber auch Coolness und Rotzigkeit auf der anderen Seite. Ich glaub, das sind ganz, ganz viele von uns.

Ich bin aber noch mal ein ganzes Stück weniger Durchschnitt. Wahrscheinlich eher halb Mann, halb Frau. Irgendwie. Mit einem leichten Tick zur Frau. Ich muss mich aber eh nicht entscheiden. Nicht dafür.

Alles im Kontrollraum fiel plötzlich aus.

Wirklich alles, das in irgendeiner Weise die noch verbliebene Energie beanspruchte, war nun offline.

Es war stockfinster, und nichts regte sich.

Die Minuten verstrichen.

Ich lauschte auf das Nichts und bewegte mich nicht.

Ich war nicht sicher, ob die weitere Abschaltung eine Folge meiner vorherigen Abschaltungsstufen oder ein externer Eingriff war.

Die Türverriegelung war nicht nur elektronisch, sondern auch mechanisch und magnetisch. Das war Standard bei Kontrollräumen der ST, vom Raumschiff bis zur Kleinstation in Irland.

Meine Position war nicht unsicherer als vorher, aber diese Schwärze war neu.

Der Raum hatte keine Fenster.

Es war eine allumfassende Dunkelheit.

Schwarz wie die Nacht in Afrika. Mann, wird´s da nachts schwarz! Wunderschön!

Überhaupt ist die Farbe schwarz wundervoll. Schwarze Menschen sind so fucking schön! Nur steh ich selbst halt nicht drauf. Dafür kann ich ja nichts.

Ich mag eher japanische Typen. Gut, dass ich nicht nach Tokyo gegangen bin! Manche sind voll knuddelig, aber der Vorteil ist dann irgendwie auch der Nachteil. Ich sehe denen manchmal nicht an, ob sie 16 oder 36 sind. Irgendwie fehlen da Hormone. Mir wahrscheinlich. Und wenn doch mal einer richtig cool und geil und irgendwie in meinem Alter ist, dann stimmt irgendwas anderes nicht. Zu hohe Stimme. Oder spricht nur japanisch. LOGISCH. Aber ich nicht. Oder er ist trotz meiner eigenen Verzwergung nicht größer als ich. Ich mag schon eher größere Typen. SEUFZ. Jaja, Äußerlichkeiten sind egal, ist schon klar. Am Arsch! Sind sie ja dann doch kaum jemandem. Zumindest anfangs. Ist wie Geschmack beim Essen. Lieben soll man jeden Menschen. Find ich zumindest. Aber Sex? Ich esse doch auch nichts, was mir nicht schmeckt. Wenn ich vorher schon weiß, es schmeckt mir nicht, dann schon mal gar nicht. Ok, das weiß man bei Essen selten vorher. Stimmt also auch wieder was nicht bei dieser Überlegung, aber bei Sex? Ich hatte mal fast … nein, falsch. Mich hatte mal fast ein Asiat. Böh, wie das klingt. Rassistisch. Also die letzten, keine Ahnung, dreißig Generationen seiner Familie stammten zumindest dem Äußeren nach aus dem früheren Japan, Korea oder China. Keine Ahnung. Also angeblich war er Japaner. Hat er gesagt. Egal. Der hatte mich soweit. Wir waren irgendwo, und irgendwann plötzlich nackt, und zwar ganz nackt! Dann ging es langsam los… Manche Klischees sind leider wahr. Und ich wollte das dann irgendwie doch gar nicht mehr so sehr. Also geliebt haben wir uns sowieso noch nicht, aber ich finde, man kann als Frau auch mal ehrlich sein, auch wenn niemand danach fragt. Ich geb´s zu, auch wenn das gemein ist. Ja, manche von uns mögen eben keine viel zu kleinen …

Etwas knallte an die Tür.

Der Schreck ließ mich nach hinten springen, und alle völlig absurden Gedanken und Erinnerungen waren sofort fort.

Hatte jemand etwas geworfen oder dagegen geschlagen?

Selbst wenn es eine Axt wäre, käme man durch die verschlossene Tür des Kommandoraums mit bloßen Händen oder Handwerkszeug nicht hindurch.

Das war keine Sperrholzplatte.

Keine Angst vor Äxten! Ich hab doch einen Searer!

Es knallte wieder.

Und ich denk an Schwanzgrößen statt mir einen Plan zu überlegen. Echt super. Total vorbildlich.

Der Searer lag schon länger in meiner rechten Hand, aber ich würde auf keinen Fall grundlos die Tür schmelzen.

Es knallte wieder.

Gut möglich, dass da wirklich einer hackte.

Bisschen sehr irre, oder?

Ich entschied mich, es langweilig zu finden, tastete mich zu meinem Kommandostuhl und setzte mich wieder.

Ich legte die Füße auf die Konsolen vor mir und ließ das nur sehr unregelmäßig erklingende Hacken über mich ergehen.

Nach etwas mehr als fünf Minuten verschwand es und ich fragte mich, ob das wirklich ein Mensch gewesen war.

 

Wer bitte hackte so langsam?

Wer braucht so lange, um auszuholen?

Ein Opa von 120 Jahren?

Und wer würde es so oft ausprobieren, wenn jedem normalen Menschen nach drei Schlägen klar sein muss, dass man so nicht durch die Tür kommt? Eine naive, dumme, böse Kinderintelligenz? Als nächstes kam dann wohl der Angriff der Plastiklöffel.

Plastiklöffel? Möchte mal wissen, wie meine Denk-Krankheit eigentlich heißt. Was macht man dagegen? Soviel Erfahrung und Ausbildung, und nützt alles so wenig. Halluzinationen?

Es hämmert. Man sitzt im Dunkeln auf seinem Stuhl und weiß, dass der Idiot nicht reinkommt, egal wie viel er hämmert. Falls es einen Idioten gibt.

Aber er mochte ja auch einen Searer haben. Warum hatte er ihn dann nicht benutzt?

Die Stille danach gefiel mir allerdings auch nicht.

Ich war wirklich nicht mehr leicht zufriedenzustellen.

Ich raffte mich schließlich auf tastete mich zu allen Konsolen in Reichweite.

Sie waren schlichtweg platt, offline, nutzlos.

Da tat sich nichts.

Also runter auf die Knie, Schutzplatten knapp über dem Fußboden abmontieren, und … naja, und dann?

Ich hatte ja nicht mal eine fucking Taschenlampe!

In den Kabelkanaleingeweiden hätte es wenigstens ein bisschen leuchten müssen. Leichte Entladungen, Farbspiele, prismatisches Funkeln. Was Stromstärken dieser Intensität eben manchmal so auslösten. Kontrollkreise und Blink-Lighties hätten gelb und grün flackern müssen.

Taten sie aber nicht.

Die Struktur unter der Struktur war weg? Dann war die Sache nicht abgeschaltet, sondern gekappt worden.

Hardware statt Software.

Und das sollte alles Andrew getan haben?

Some things seem to be very strange in here!

Also nicht in einem schwarzen Escape Room, der bekanntlich keiner war, sondern in dieser verdammten Anlage.

Die Nacht würde lang werden, aber jetzt, da ich nicht mal mehr ahnen mochte, ob es Andrew war, wollte ich erst recht nicht mehr rausgehen.

Ich war irgendwann eingenickt und dann kurz panisch, als ich erwachte. Aber ich hing wieder in meinem Kommandosessel, wie ich schnell feststellte, und meine Füße lagen auf der Querkonsole.

Wie lange hatte ich geschlafen? Blablabla! Sinnlos, darüber nachzudenken. Weiß man eben nicht. Irgendwas zwischen einer und vier Stunden, schätzte ich. Der Rest ist Film oder albernes Buch. Als ob man gleich wüsste, was los ist, wenn man verknautscht aufschreckt! Ich wusste immerhin, wo ich war, warum ich dort war und was ich war. Wer das ständig abstreitet, erzählt Fantasy-Scheiß, aber nicht die Wahrheit.

Ich hatte früher mal überlegt, ob ich Bücher schreiben soll, aber die Versuche waren richtig mies gewesen. Das eigene Zeug hatte mir Schamesröte ins Gesicht getrieben, also hatte ich es schnell wieder gelassen.

Meine Verwirrung des Schlafs und der Dunkelheit verflog rasch. Der Kopfschmerz kam leider nicht von Alkohol. Manchmal tat er das, heute nicht.

Ich kratzte mich am rechten Knie und nahm die Füße von der Konsole. Die Kniekehlen waren zu lange durchgedrückt worden. Es tat ein bisschen weh und kribbelte. Das war so eine unheilvolle Mischung aus eingeschlafenen Beinen und Schmerzen im Knie. Unheimlich angenehm.

Ich hätte weder schnell aufspringen noch weglaufen können in dem Zustand. Dabei gab´s in der Ausbildung tatsächlich Instruktionen zum Campieren im Feld. Also so nannten die das. Die meinten Schlaf im Kampf. Für die ST war das meistens eher nicht auf einem Schlachtfeld unter freiem Himmel. Und man sollte sicher nicht im Kommandosessel mit den Beinen auf der Lehne schlafen, eher flach auf dem Boden. Aber wozu? Ich war eingeschlossen. Anscheinend hatte der, die oder das Täter in den letzten Stunden nichts Lautes angestellt, sonst wäre ich ja wach geworden. Ich war noch da, es war nicht bei mir. Soweit so göttlich toll.

Trotzdem ging es mir nach dem Schlaf körperlich nur ein klein wenig besser als vorher, dafür war das allgemeine Wohlbefinden nun vollständig im Eimer.

Ich hätte gern lange geschlafen, in Ruhe und Frieden und in einem Bett, nicht in Uniform, nicht am Arbeitsplatz.

Allein zu schlafen war okay. Mir war nicht jegliche Art von Beischlaf recht. Schon verdammt lange nicht mehr.

Ich dachte an Stan. An Jill. An alle möglichen merkwürdigen Menschen, die nicht bei mir waren.

Hilft nichts. Heul nicht! Alle Systeme ausgefallen. Luft okay, genug Sauerstoff drin. Ist die Lüftung auch aus? Wahrscheinlich. Wie spät ist es?

Ich hatte Durst. Hier drin gab es absolut nichts, und das würde bald ein Problem werden. Meine Ausrüstung: eine Schusswaffe. Nichts zum Tendrieren, also Scannen dabei. Kein Calculator, den man etwas hätte fragen können.

Nur mich.

Nicht mal eine verdammte Uhr!

Es mochte um die frühen Morgenstunden sein, vielleicht fünf oder sechs Uhr.

Ich sah mir die Tür noch einige Minuten länger an, ohne mehr als ihre dunkelgrauen Konturen und die minimalen Spalten schimmernden, nebelhaften Lichts außen herum in Ansätzen zu erkennen.

Dann stand ich auf und strich meine Uniform glatt.

Ich fand es unwürdig, weiter zu warten.

Mit einer raschen Bewegung öffnete ich die Tür.

So sehr der Wunsch nach absoluter Sicherheit gekommen war, so schnell war er nun auch wieder gegangen.

Manche Menschen funktionieren so.

Auch ich funktioniere manchmal so.

Nennt man das sprunghaft oder entscheidungsfreudig?

Ich sah mich um.

Der Korridor war nicht vollgeschleimt, zerkratzt, oder gar mit Blut beschmiert, aber ich hatte das ungute Gefühl, dass irgendjemand oder irgendetwas mehrmals darin herumgeschnüffelt hatte, während ich schlief.

Es lag eindeutig etwas in der Luft, und an den Wänden waren Abfallbehälter und Bilder verschoben worden. Das meiste hing ein wenig schief. Wieso? War hier ein Elefant durchgelaufen? Wieso war nichts kaputt?

Irgendein Irrer muss sich alles genau angesehen, alles angefasst und ein wenig verdreht haben.

Die Vorstellung von einem völlig gestörten Psychokiller half mir nicht weiter.

Vielleicht war er, sie oder es aber auch nur betrunken.

Meine Gedanken tun alles, um mich zu beruhigen. Ich sollte ihnen mal ein Bier ausgeben.

Oder es war gar kein Mensch und ich verstehe einfach grundsätzlich nicht, was es ist und was es will.

Okay, Gedanken, doch kein Bier für euch!

Doch kein Morpher, oder? Doch nicht schon wieder ein Morpher! Der Krieg ist vorbei. Klar bleibt Terror möglich, aber Morpher sind eigentlich nicht so langsam.

Sie waren eines der Völker des Vielvölkerreiches, des Prismoniums, gegen das wir Krieg geführt hatten. Sie konnten die Gestalt anderer Wesen annehmen. Geschichten von Morphern endeten oft damit, dass der vermeintliche Partner oder beste Freund jemanden mit einem schleimigen Tentakel erwürgt hatte. Auch ich hatte persönliche Morpher-Geschichten zu erzählen.

Ich wünschte, ich hätte keine zu erzählen gehabt.

Das Gefühl, Morpher zu hassen, verbot ich mir. Hass war schlecht und führte nirgendwo hin. Meiner Erfahrung nach. Aber das hieß nicht, dass man ihn nicht ab und zu empfand. War eben so. Man sollte ihm nur nicht weiter nachgeben.

Nicht zu oft.

Ich sah mir die Tür des Kontrollraums von außen an.

Es überraschte mich eigentlich nicht, dass sie keinen Kratzer aufzuweisen hatte.

Halluzinationen? Wirklich? Oder Nervengift aus den Luftschächten? Abhaken! Abhaken, ganz dringend! Dann war es eben keine Axt.

Ich verdrängte alle Sorgen so gut es ging und suchte langsam Gänge und Räume der Einrichtung ab, immer mit dem Searer im Anschlag.

Ich fand im ganzen Gebäude nichts Lebendiges.

Ich kann nicht sagen, dass mich das sehr zufriedengestellt hätte. Für eine ordentliche Spurensuche war ich weder ausgerüstet noch in der optimalen Verfassung, und ich allein war kein ausreichend großes Team. Ich musste auf meine Sicherheit achten und hatte keine Ruhe für Analysen. Der Angreifer konnte immer noch irgendwo in der Nähe sein, und wenn er vorhatte, mir etwas anzutun, dann würde er es sicher wieder versuchen. Andererseits hatte er womöglich aufgegeben, als er nicht in meinen Panic Room hatte eindringen können.

Falls er das ernsthaft versucht hatte.

Dann war er schon seit Stunden fort? Dann war keine Rache mehr möglich. Keine Rache? Auch nicht so richtig befriedigend.

Ich muss wirklich versuchen, nicht verrückt zu werden. So schlimm ist das alles nicht. Atme, Woodi! Alles wird gut.

Irgendwann gönnte ich mir den erlösenden Moment, die Anspannung fallen zu lassen.

Nicht die Waffe, nur die Anspannung.

Ich setzte mich, an eine Wand gelehnt, auf den Boden, strich mir durchs knapp schulterlange Haar und schloss die Augen.

Mich machte die Sache richtig traurig, nicht nur der Toten wegen. Ich war keine Action-Figur aus dem Kinderzimmer. Ich hatte keinen Bock mehr auf den Scheiß. Dafür war ich nicht auf die Erde gekommen.

Ich will keine Feinde. Warum hab ich das merkwürdige Angebot des Commodores angenommen, der Sache auf den Grund zu gehen? Das wird mich von hier wegführen, oder? War das überhaupt ein Angebot oder eher Zwang? Verflucht noch mal, früher war ich von Irren umgeben, aber wenigstens nicht allein. Heute bin ich selbst die einsame Irre.

Gegen 4:30 Uhr konnte ich endlich ein Mini-Einsatzkommando anfordern, welches um 5:00 Uhr vor Ort war.

Sie bargen Maryjas Leiche und räumten den Schrott des explodierten Gleiters weg.

Der Doc würde Maryja in einer Einrichtung in Dublin obduzieren, wenn ich es recht verstand – er war nicht Teil des Kommandos - der Schrotthaufen sollte nach Birmingham ausgeflogen werden. Dort befand sich eine Einheit der Ermittlungsbehörden.

Ich war froh, dass mir diese Last abgenommen wurde, doch weder davor noch danach fand ich Schlaf.

VII
NOONA

Ein weißer Gleiter fuhr vor.

Der Morgen war gekommen.

Die Sonne strahlte von einem blauen Himmel voller weißer Wolkenberge, die aber irgendwie nie direkt vor der Sonne lagen, sondern sie stets nur ehrfürchtig flankierten.

Der eingetroffene Gleiter war sauber. Nein, sauber trifft es nicht. Er war wie geleckt. Wie aus dem Ei gepellt. Das mit dem Ei wurde durch die weiße Farbe überdeutlich. Rund war das Ding allerdings kaum, sondern flach. Verdammt flach.

Ein extrem sportliches und kostspieliges Modell.

Natürlich musste man in unserer geldlosen Gesellschaft keinen Gleiter teuer erwerben, aber für ein solches Luxusteil musste man Privilegien eintauschen, und zwar sehr, sehr viele davon. Exklusivität gab es immer noch – Menschen unterschieden sich gern voneinander. In allen Zeiten waren sie grundsätzlich eins und doch auch immer unterschiedlich. Alle Ideologien, die Menschen gleichschalten wollten, waren mir zuwider. Ich empfand nichts Negatives, wenn ich so ein Protzteil sah, aber es sagte eben etwas über den Besitzer aus. Im Gegensatz zu früheren Zeiten musste das nicht einmal etwas Schlechtes sein. Neid war aufgrund von Gegenständen schlichtweg äußerst selten geworden. Ich hätte auch so einen Gleiter haben können. Ich brauchte nur keinen.

Kaum hatte das Ding gestoppt, fuhren die beiden Seitentüren wie Flügel nach oben. Das sah schon ziemlich cool aus, auch wenn mich Gleiter sonst nicht besonders interessierten. Das aber hatte was von einem Schmetterling.

Ich mochte Schmetterlinge.

Die Fahrerin stieg aus.

Sie trug eine silbergrau glänzende, hautenge Uniformjacke und dazu eine schwarze Stoffhose.

Auch ich trug diese Klamotten, aber an ihr sah es gänzlich anders aus. Es passte besser, der Schnitt schmeichelte der Figur, es glänzte scheinbar mehr. Klar lag das nur an der Sonne, aber der Kontrast zu mir und meinen verschwitzten, dreckigen Klamotten war groß. Außerdem war ich kleiner als sie, auch ein bisschen breiter, und meine Brüste waren – machen wir uns nichts vor - einen Tick zu groß für meine Figur. Vielleicht auch zwei Ticks.

Ich sah vielleicht nicht aus wie ein kleiner, stämmiger Junge mit dicken Titten, aber …

 

Warum machen wir Frauen uns immer so viele Gedanken darüber, wie wir aussehen? Gerade mir ist das ja eigentlich völlig egal, aber wenn man verknallt ist oder so eine andere Frau als Vergleich geradezu vor den Kopf geschlagen bekommt, kehren alte, böse Gedanken und Geister aus der Pubertät zurück. Diese bösen, bösen Geister! Jemand sollte sie einsaugen und wegsperren!

Die Frau aus dem Gleiter war wie eine Femme Fatale aus einem schlechten Film. Oder aus einem guten Film. Es gab auch verdammt gute Filme mit Femme Fatales.

Sie trug eine spiegelnde, übergroße Sonnenbrille. Silberfarben. So eine Art Flieger- oder Pilotenbrille.

Und sie kaute etwas. Vermutlich Chewing Gum. Kaugummi. War auch mal mein Ding gewesen, aber als Teenager.

Am Gürtel, und ein Gürtel gehörte gar nicht zur Standardausrüstung der ST, trug sie zwei Holster mit einem Searer an der rechten und einem Analyzer an der linken Seite.

Ich trug übrigens auch einen Gürtel, aber das hatte andere Gründe als Waffen und Ausrüstung mitzuführen.

So richtig schmal war ihre Hüfte gar nicht, schon sehr weiblich, aber der Rest des Körpers war wahnsinnig schlank. Ein Mensch wie eine Schlange, drahtig und muskulös. Sie war gefährlich, ich wusste das. Sie hatte schon Gegner mit bloßen Händen getötet. Dutzende, wenn ich mich recht erinnerte. Ich hatte es nicht gesehen, aber sie war schon auf einigen Schiffen im Dienst gewesen. Solche Dinge sprachen sich herum. Akteneinsicht in ihre Vergangenheit hatte ich nie gehabt. Da sie mir nun formal unterstellt wurde, sollte ich aber eigentlich bald eine Akte bekommen. Das würde eine äußerst interessante Lektüre werden.

Noona Striker spuckte das Kaugummi auf den Boden, bückte sich in den Gleiter und steckte sich dann eine Zigarette in den Mund, die sie mit einem Mini-Lighter entzündete.

Ich hatte auch amateurhafte Erfahrungen mit diesem archaischen Ritual des Rauchens, aber wie sie nun den Qualm tief inhalierte, und durch die Nase ausströmen ließ, sah einfach abgezockt aus. Irgendwie verlieh ihr das einen entschieden männlichen Touch. Nicht so einen jungenhaften Kumpel-Touch wie bei mir, sondern eine Mischung aus Nymphomanin und männlichem Action Hero.

Ich zweifelte nicht an meiner Entscheidung, sie angeworben zu haben. Falls der Täter ihre Ankunft ebenso beobachtete wie ich, würde er sich entweder vor Angst oder vor Erregung in die Hose machen.

Ich betätigte sämtliche Entsperrungs-Funktionen und meine Station öffnete sich wie eine erblühende Knospe.

Alle Systeme fuhren hoch, alle Türen, Fenster, Sonnenblenden, Luftschächte, Luken und Tore wurden geöffnet.

Und alles funktionierte!

Ich hatte in den frühen Morgenstunden Routine um Routine durchlaufen lassen, um ein Gefühl für den Zustand der Anlage zu bekommen. Systemreparaturen, Systemwiederherstellungen, Schwachstellensuchen. Viele kleine zertretene Sprösslinge der IT-Struktur hatten sich wieder aufgerichtet. Ob damit alle Sabotage oder Schadsoftware aus dem System verbannt war, blieb Spekulation, aber die Station gehorchte meinen Kommandos.

Das tat verdammt gut!

Wie das unablässige Weitermachen und Ausprobieren am Ende oft doch noch zu Verbesserungen führt! Aufgeben und verzweifeln ist einfach kacke. Nicht vergessen, dass es immer wieder aufwärts geht, Woodi, egal in welchem Loch du steckst!

Ich dachte an den oder die Verursacher dieser ganzen Schieflage. Doch Andrew? Wenn dieser Penner noch hier drin war – fein! Sein Problem. Und wenn nicht, was irgendwie wahrscheinlich war, musste die Angst einfach weg, die mir wie Feuchtigkeit in der Seele hing.

Ich hatte eine Schusswaffe.

Noona Striker hatte eine Schusswaffe.

Gemeinsam würden wir auch einen Killer-Androiden platt machen.

Ich fand, Striker vermittelte immer den Eindruck, unsterblich zu sein. Dabei war sie mindestens zwei Mal so gut wie tot gewesen, und das waren nur die Stories, die ich kannte.

Diese Frau würde erst sterben, wenn sie damit einverstanden war.

Das getönte Fenster vor meiner Nase fuhr hoch in seine Rahmenhülse.

BAMM!

Die Sonne traf mein müdes Hirn mit all ihrer monströsen Pracht.

Aua, stechender Kopfschmerz des Grauens, verpiss dich!

Der Schmerz pochte kurz wie Migräne, inklusive Schwindel und einsetzender Übelkeit. Ich kniff die Augen zusammen, dann blinzelte ich mühsam und gewöhnte mich langsam an die grelle Herrlichkeit unseres Sterns Sol. So hieß unsere Sonne in der Unterscheidung zu den Milliarden anderen Sonnen da draußen. Ich hatte bestimmt hundert andere mit eigenen Augen gesehen, trotz meiner wenigen Jahre im All. Bei einer durchgehenden Karriere von sechzig Dienstjahren sah man sicher eintausend Sonnen oder mehr.

Das relativierte einiges.

Anfangs.

Aber bald schon war mir klar geworden, dass es in meinem Herzen nur eine Sonne gab.

Unsere.

Alle anderen nannte ich bei ihrem kartographischen Namen. Manche waren kleiner, andere größer. Viele hatten gänzlich andere Farben. Aber unsere Sonne war eben meine Sonne.

Und ich sah sie am liebsten vom Boden aus, nicht durch den Screen eines Raumschiffs.

Trotzdem wünschte ich in diesem Moment, eine Wolkenwand hätte sie verschluckt.

Ihr Licht war entlarvend rein und tat mir weh.

»Hi Noona!«, rief ich und winkte.

Eine Begrüßung mit mehr Esprit war mir nicht eingefallen.

Esprit war nicht so meine Stärke.

Striker sah zu mir hoch und stemmte die Hände in die Hüften.

»Was für ein beschissener, gottverlassener, abgrundtief langweiliger Ort«, rief sie. »Passt zu dir, Woodman!«

Sie lächelte nicht und ging zu ihrem Gleiter.

Ich wusste, wie sie war, aber ich war dennoch angepisst. Sorry für die Wortwahl.

Was für eine elende Bitch!

Sorry für meine … ach, scheiß drauf!

Nicht provozieren lassen!

Sie fuhr ihren Gleiter hinein, ich ging hinunter.

Im gläsernen Büro meines zerhackten Crewies Lennox Torgan standen wir uns dann gegenüber.

Striker nahm die Sonnenbrille ab.

Ich fand ihre grünen Augen noch verspiegelter als die dunklen Gläser der Brille. Ihr Blick war wie ein scharfkantiger Smaragd, der einem die Luftröhre zerschnitt.

»Wie sagte Stan immer? Rehaugen-Dewie Woodi?«, fragte sie in erstaunlich neutralem Tonfall. Spott fehlte darin, und das verunsicherte mich.

Stan sagte das? Wieso sagte? Ist ihm was passiert? Sind sie nicht mehr zusammen? Oder einfach nur wegen früher?

»Heute Stalev Woodman natürlich«, korrigierte sie sich hastig. Nach Respekt klang es jedoch nicht gerade, allerdings auch nicht bösartig.

»Man hat mir interessante Dinge versprochen, wenn ich kurz unter deiner Fuchtel diene, Woodman. Wie kommt denn das?«

Ich kratzte mich an der Nase und dachte einen Moment darüber nach, wie ich es ihr am besten erklären sollte.

»Naja, ich bin da vielleicht in eine krasse Sache geraten, und du bist ziemlich unerschrocken.«

Sie lächelte erstmals.

»Unerschrocken? Meinst du nicht eher verrückt oder abgefuckt?«

Ich schaffte es, nicht zu nicken.

»Verrückt sicher nicht. Ich halte dich für sehr gut, in dem was du tust.«

Ihr Lächeln verschwand. Sie ging an mir vorbei und stieß, sicher nicht unabsichtlich, ihre Schulter gegen meine.

»Wo ist die Kommandozentrale, falls dieses Schulgebäude oder was dieser hässliche Schandfleck in der Landschaft sein soll, sowas hat?«

Ich eilte hinter ihr her wie eine Untergebene und erklärte den Weg. Sie ging so schnell, dass ich fast rennen musste, um zu folgen.

»Was weißt du?«, fragte ich, hinter ihr her hechelnd.

Das war sowas von unhöflich von ihr!

»Dass es Anschläge auf Geschütze gab und bei dir hier einen Mord. Muss ich viel mehr wissen?«, gab sie gelangweilt zurück.

Sie erreichte mein Büro, also die Zentrale, und fing gleich an, sich an den Konsolen und Displays Aufzeichnungen und Daten anzusehen.

Das Zeug flimmerte beeindruckend schnell an ihr vorbei, aber sie schien es problemlos verarbeiten zu können.

Nach einigen Momenten entschied ich, sie trotzdem über ein paar Dinge aufzuklären. Die Berichte, die sie da las, hatten sicher nur eine seltsame Version der Realität abgebildet.

»Einen Verräter, eine Verletzte, einen Toten. Nein, zwei Tote inzwischen! Letzte Nacht wurde einer meiner Assistance-Dewies in die Luft gesprengt. Ein nettes Mädchen. Der erste Tote wurde mit einer Axt zerhackt. Und einer der anderen Assistance-Dewies hatte zuletzt Zugang zur Anlage. Laut Protokoll wurde er nie ausgeloggt.«