Die Sterne in uns

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»Flink P. Garrett?«

Ich nickte.

Sie hatte es mit einem beinahe verzweifelten Unterton gefragt.

»Kennen Sie ihn?«, fragte ich.

Sie nickte und wurde blass.

»Ich habe ihn an der Fortress unterrichtet.«

So wie sie das sagte, musste es eine schreckliche Erfahrung gewesen sein. Ich konnte es mir vorstellen, aber er war mitunter auch genial und mutig. Ein lebhafter Spinner, ein bisschen zu emotional, aber das glich mich ganz gut aus. Ich war eher ein bisschen zu kühl für manche Dinge.

Er und Noona hatten nie Interesse aneinander gehabt. Ich wusste nicht genau, wieso das so war. Vielleicht waren sie sich zu ähnlich, wobei ich das gar nicht fand. Aber da würde nicht viel passieren zwischen den beiden. Party vielleicht, aber kein Streit und auch kein Sex. Die Kombination müsste passen und der Sache dienen.

»Ich werde diese beiden schwierigen Personalien für Ihre Anfrage freischaufeln, Woodman. Im Hintergrund. Die offizielle Anfrage dürfen Sie bitte selbst schriftlich formulieren. Eine Zusage der Squadronica ist dann so gut wie sicher, aber wir können die beiden nicht zwingen, mitzumachen. Braucht Garrett auch eine zusätzliche Motivation?«

Sie sah sich erneut ungeduldig um.

»Nein, ich denke nicht. Ich bin sicher, dass er mir helfen möchte.«

Das ist einer der wichtigsten Unterschiede zu Noona. Er ist eben mein Freund, sie aber nicht meine Freundin.

Dangler nickte und schloss ihre Notizen ab.

»Und jetzt kehren Sie zurück zu ihrer Basis!«

»Bringen Sie Bekker heute noch dorthin zurück?«, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

Ich nickte und verabschiedete mich.

An meinem Gleiter angekommen, drehte ich mich noch einmal zu der Stelle des Anschlags um.

Das Meer konnte ich von hier aus nicht sehen, aber ich hörte es. Galway war schließlich eine Hafenstadt. Der Duft von Salz und Austern – oder Algen – wehte herüber, mischte sich aber auf unangenehme Weise mit den Hydraulikölen, die der Recycling-Trupp ausdünstete.

Das kleine Schiff mit den grünen Streifen erhob sich und flog nach Südosten davon. Ich lehnte am Cockpit des Gleiters und massierte mir die Stirn. Ein pochender Kopfschmerz bahnte sich seinen Weg durch abebbendes Adrenalin, wurde aber durch eine andere, lange unterdrückte Empfindung dringlich abgelöst.

Vielleicht zweihundert Meter rechts des Geschützkraters erspähten meine dankbaren Augen ein Café mit Ausschank.

Ich rannte los, als wäre eine feindliche Invasionsarmee hinter mir her.

Die müssen doch eine Toilette haben! Ein Wunder, dass ich mich noch nicht vollgepinkelt habe!

III
ALLEIN

Von Galway fuhr ich erst sehr viel später wieder fort. Ich hatte meinen Magen beruhigt und in dem Café, das zum Glück eine Toilette zu bieten hatte, noch etwas zu Mittag gegessen. Danach hatte ich wieder am Cockpit des Gleiters gelehnt und den Krater angestarrt. Mich rief aber auch dann noch nichts heim, also hatte ich einen Spaziergang am Meer unternommen, um den Kopf frei zu bekommen. Wenigstens ein bisschen. Es hatte gegen die Kopfschmerzen geholfen.

Dangler wollte, dass ich sofort zurückkehrte, ermittelte und reparierte? Schön, dass sie das wollte. Dazu konnte sie mich aber nicht zwingen.

Ich gönnte mir ein paar Stunden, um das Ganze zu verarbeiten. Aktuell wartete eh niemand am Lough Mask auf mich.

Der Tag ging in den Abend über, als ich mit der gemächlichen Rückfahrt begann. Jill war festgenommen worden, Jensen abgehauen, Lennox Torgan … abtransportiert. Ich freute mich nicht auf die Rückkehr, aber ich musste zurück.

Die Dunkelheit kroch über die Hänge der Westküste, wurde aber von sanft grünlich illuminierendem Straßenbelag durchbrochen. Es war angenehm für die Augen und ließ beinahe alle Fahrrisiken des Dunkels verschwinden, aber es war auch unnatürlich und verdrängte die angenehme Ummantelung schwarzer Nacht. Immerhin passte das Grün zu Irland.

Wenn man volltrunken war, konnte man auf Autopilot umstellen. Musste, nicht konnte. Sorry. Er orientierte sich dann unter anderem am pulsierenden Licht der Straße. Meiner Erfahrung nach brachte er einen nicht immer ans gewünschte Ziel, aber er überfuhr zumindest auch niemanden.

Vielleicht hätte ich in Galway einfach was trinken sollen. Da gibt´s guten Whisky. Nein. Ich hab Angst. Wenigstens ein bisschen. Was, wenn der wahre Täter noch dort ist?

Ich war nicht schreckhaft oder ängstlich veranlagt, aber eine verlassene Station, in der am gleichen Tag jemand ermordet worden war, war einfach kein guter Ort.

Ich hätte früher zurückfahren sollen!

Im Hellen!

Mist!

Alles Mögliche ließ sich regeln, ändern, ausdiskutieren, aber ein toter Lennox war ein toter Lennox. Ich wusste nicht, warum Jensen scheinbar überflüssigerweise Jill ausgeknockt hatte. Vielleicht log sie doch an irgendeiner Stelle ihrer Geschichte. Aber dann sollte sie Torgan aufgrund meines Befehls, sie festzunehmen, ermordet haben?

JILL? Niemals! Sie hätte sich grinsend und kopfschüttelnd festnehmen lassen, anstatt so etwas zu tun.

Sie war eine verrückte, lesbische Wissenschaftlerin, die auf Popmusik und Fast Food stand – und die zudem absolut genial war. Ihre Verrücktheit war aber keine Verantwortungslosigkeit anderem Leben gegenüber. Manchmal dem eigenen, aber nicht dem anderer Wesen, egal ob Alien oder Maus. Jill würde, selbst für einen politischen Verrat oder eine Intrige, keinen harmlosen, unschuldigen Menschen ermorden. In was sollte sie sich verwickeln lassen, wofür sie Lennox töten würde?

I don´t fucking believe it! Nicht Jill!

Ich diktierte dem KomSystem des Gleiters meine Nachrichten an Noona Striker und Flink Garrett.

Ohne weiteres Korrekturlesen schickte ich sie direkt ab. Ich wollte es aus den Füßen haben, dieses Kommunikations-Zeug. Sprach- und Textnachrichten nervten mich meistens ziemlich an.

Noona und Flink waren noch irreal, noch weit weg für mich. Der Sinn stand mir nur ganz dringend nach Jill Bekker. Ich empfand manchmal etwas für sie, das ein wenig über Freundschaft hinausging. Jetzt fühlte ich nichts Romantisches, aber ein starkes Bedürfnis, sie in Sicherheit zu wissen und sie bei mir zu haben, damit auch ich mich sicherer fühlen konnte.

Als ich an der Rampe der Basis ankam, war es vollständig dunkel. Die gesamte Anlage war schwarz wie der Himmel darüber.

Von der vierköpfigen Stammbesatzung war nur ich übrig, dazu gab es drei sehr junge Dewies, die ich üblicherweise nur zu Wach- und Aushilfsdienten aus Donegal an der Nordküste kommen ließ. Keiner von ihnen war heute angefordert worden. Laut Plan hätten Jill und Lennox Nachtdienst gehabt, also jeder von ihnen je fünf Stunden. Die Zivilisten, die tagsüber ab und an um uns herumschwirrten, durfte ich nicht in die Kommandozentrale setzen. Sie belieferten uns, führten Reparaturen aus, die Zivilisten besser durchführen konnten als wir, und so weiter. An der Überwachung militärischer Anlagen waren sie aber nicht zu beteiligen, deswegen war auch nachts nie einer von ihnen da. In der unmittelbaren Nähe der Anlage wohnte ohnehin niemand.

Die übliche äußere Sicherheitsprozedur der Anlage funktionierte. Mein Gleiter wurde tendriert - das heißt gescannt - und ich wäre ohne Codes nicht bis zur Rampe gekommen. Einen Menschen hatte ich jedoch nicht gesehen oder gesprochen, während diese Dinge abliefen. Das machte alles das System.

Bei einer Nachtwache stand auch nie ein Mensch mit Waffe an irgendeinem Tor. Das lief von der Kommandozentrale her, alles technisch.

Dabei mussten die Leute von Commodore Dangler oder vom Geheimdienst heute hier gewesen sein, um Jill zu verhaften. Oder etwa nicht? Diese Info fehlte mir, wie ich feststellte.

Sie haben Lennox´ Leiche doch wohl abtransportiert, oder? Wo war denn der Tatort? Verflucht! Ich hätte fragen sollen!

Jetzt gefiel mir die nächtliche Basis noch weniger.

An seinem üblichen Arbeitsplatz? Spuren? Blut?

Leer, leblos und dunkelgrau wurde ich erwartet.

Die Sonne über dem Ozean vor Galway schien endlos weit entfernt, dabei war sie nur zwei Stunden zuvor über mein nachdenkliches Gesicht gewandert.

Etwas in mir schrie laut, ich solle nicht hineingehen.

Musste ich aber.

Irgendwie.

Außerdem war es albern, sich vor der Dunkelheit zu fürchten, wenn man mehr oder weniger aus dem Weltraum kam.

Wenn ich jemals ein Stern war, dann war ich niedergegangen. Aber ein Stern fürchtet doch die Weite nicht, die Kälte oder die Stille.

Ich würde nun einfach selbst die Nachtschicht übernehmen, als wäre ich ohnehin damit dran. Ich würde mich endlich detailliert darüber informieren, was von allen Geschützen in meinem Zuständigkeitsbereich übriggeblieben war. Dazu waren keine Meldungen in meinen Account im Gleiter angekommen.

Merkwürdig.

Der konnte doch nicht schon wieder gehackt worden sein. In Galway hatte ich ihn neu codiert, außerdem war Jensen sicher weit weg und hatte wohl kaum noch Interesse an der Anlage hier.

Oder daran meinen Zorn zu spüren!

Eigentlich hätten mir allerhand Leute schreiben sollen.

Die Kommunikation muss zwischenzeitlich abgeriegelt worden sein. Durch das Command oder den Geheimdienst. Hoffentlich sind die Nachrichten an Flink und Noona rausgegangen.

Ich passierte die Rampe und ließ mich von meiner Pflicht verschlucken.

 

Den Gleiter in der Halle abzustellen, fühlte sich okay an. Die Lampen an der Decke schalteten sich, Reihe für Reihe mit leichter Verzögerung, klackend ein. Ihr Licht fiel auf Container, Kanister, Räder und Fahrzeuge.

Eigentlich wie immer.

Nicht eigentlich.

Wie immer.

Alles ist wie immer!

Ich ging über den lieblosen Betonboden, der mich bis heute nie gestört hatte. An diesem Abend jedoch sah ich jeden Ölspritzer, jedes Quantum verschmierten Hydraulikgels, jeden Krümel und jeden Fussel.

Es roch nach Öl und Desinfektionsmitteln.

Ich hörte nur meine Schritte, besser gesagt: ein knautschiges Quietschen.

Lederstiefel ohne Absätze sind ziemlich leise.

Es erklang weder ein Piepen noch ein Summen irgendwelcher Relais oder Displays.

Nur die Schritte und ihr Quietschen.

Ich blieb mitten in der Halle stehen und ging nicht weiter. Zu meiner Linken lag der Aufgang zum Korridor. Davor war der Glaskasten im Weg, der Lennox Torgans Büro gewesen war.

Ich drehte mich drei Mal komplett um die eigene Achse, doch jede Ecke blieb still und es war auch alles recht gut ausgeleuchtet.

Wer konnte noch hier herein? Jensens Codes mussten längst gelöscht worden sein, oder? Durch wen?

Die drei Dewies aus Donegal fielen mir wieder ein.

Sie hatten Codes.

Ich ging noch nicht in den Korridor. Mir machten die beiden Etagen mit ihren langen Fluren aktuell ein wenig Sorge.

Ich hatte auf Raumschiffen furchtbare Dinge in schrecklichen Korridoren erlebt, aber hier in diesem verschissenen Gebäude war ich der Chef und verdammt einsam. Mit Fünfundsiebzig wäre ich vielleicht abgezockter gewesen, aber in meinem Alter trotz allem eben noch nicht.

Angst gehört zum Menschsein dazu.

Solange sie nicht bestimmt, was für ein Mensch wir sind, ist das okay.

IV
EINGELOGGT

Ich nutzte erst einmal das Terminal in Lennox´ Glaskasten-Büro. Es gab darin zum Glück keine Spuren von Gewalt.

Aber er hat doch hier gesessen, als ich ihn angerufen habe. Naja, vielleicht nicht mehr bei der Tat. Jill und der Doc könnten wissen, wo … Mensch, der Doc!

Der Arzt, der die wenigen übers Jahr verteilten medizinischen Fälle in der Station betreute, hatte ebenfalls Zugangs-Codes und wohnte in der Nähe. Er war zwar inzwischen Zivilist, aber früher im aktiven Squadronica-Dienst gewesen. Ein ziemlich erfahrener Veteran, inzwischen über Sechzig. Gut, das war kein Alter mehr, aber er hatte rechtzeitig auf eigenen Wunsch den Hut genommen.

Ich rief ihn mit dem stationären Kom an. Ich wollte mein mobiles Kom im Moment lieber nicht mehr benutzen. Dass es unsicher war, war nur eine Empfindung, das war mir klar, und man konnte auch stationäre Koms hacken, aber Empfindungen darf man nachgeben. Manchmal.

Mach das öfter! Nicht immer alles unterdrücken, Woodi!

Ich erreichte den Doc.

Er lehnte dankend ab, noch vorbeizukommen, teilte aber meine Einschätzung, dass Jill Lennox wohl kaum erschlagen hatte. Immerhin war der Doc noch kurz zuvor bei ihnen gewesen, um Jill nach Jensens Niederschlag zu untersuchen.

Sie habe sich mehrfach bei Torgan bedankt, dass er sich um sie gekümmert hatte, sagte der Doc.

Er war allerdings auch gebeten worden, Torgans Leiche rasch zu untersuchen.

»Jill Bekker würde nicht auf diese Weise töten!«, sagte er.

Ich fragte, welche offizielle Info man ihm hinterher hatte zukommen lassen. Er war als Arzt zuständig für diese Einheit. Er musste doch eine Info erhalten haben.

Ich ging von Totschlag oder einem Searerschuss aus.

Die Information, die der Doc dann preisgab, kam unerwartet.

Sie veranlasste mich dazu, erneut rasche, prüfende Blicke in alle Winkel der Halle zu werfen.

Ich sitze in einem Glaskasten! Das Ding ist überhaupt nicht sicher! Eine denkbar schwache Position!

Lennox Torgan war mit einer Axt getötet worden.

Welcher der insgesamt acht Volltreffer zum Tod geführt hatte, konnte der Bericht nicht klären, aber achtmal einen großen, schweren Mann mit einer Axt zu schlagen, passte noch weniger zu meiner Jill mit den wirren blonden Haaren und den meistens zu kurzen Hosenbeinen. Sie war nicht klein oder schwach, aber sie tötete ganz sicher anders, wenn sie töten musste. Doch nicht mit einer Axt! Achtmal!

»Wer immer das war … das ist eine ganz kranke Sau«, sagte der Doc trocken und beendete das Gespräch.

Ich wusste genau, was er meinte.

Allein im Angesicht dieser großen, massiven Halle starrte ich in halbwegs ausgeleuchtete Ecken.

Ich hatte vergessen, den Doc zu fragen, wo der Mord stattgefunden hatte. Das Wie hatte zu sehr dominiert.

Ich rief ihn erneut an, aber er aktivierte die Leitung nicht. Entweder wollte er mir heute keine Fragen mehr zu Todgehackten beantworten oder war schlafen gegangen.

Oder man zensiert oder überwacht ihn, blockiert die Leitung oder … Ich muss damit aufhören, das ständig bei allem und jedem zu denken!

Ich würde es einfach später herausfinden müssen.

Als nächstes checkte ich die drei Dewies aus Donegal.

Kathy Hussaria saß mit Freundinnen Zuhause und diskutierte die Ereignisse auf Basis von Infos aus dem GlobalCom. Sagen wir besser: Sie fiel auf die Halbwahrheiten herein, die von der Regierung verbreitet wurden. Kathy war nett. Ich war froh, dass sie offensichtlich nichts damit zu tun hatte. Alles, was ich von ihr und ihren Freundinnen hörte, deutete auf einen kompletten, gemeinsamen Tag weit weg von hier hin. Ich sah davon ab, sie als Wache anzufordern. Selbst mit Gleiter dauerte es, wenn man nicht wie besessen fuhr, noch eine Stunde von Donegal runter zum Standort unserer Einrichtung am Lough Mask.

Maryja Snoozi erreichte ich ebenfalls sofort, aber sie wusste fast nichts darüber, weil aiw den ganzen Tag allein über Lernstoff für eine Weiterbildung gebrütet hatte. Konnte niemand bezeugen, aber ich glaubte ihr vorerst.

Ich forderte sie an und sagte ihr, sie solle sofort losfahren und ihr Zeug mitbringen. Sie konnte schließlich auch hier lernen.

Und ich wäre nicht mehr allein in diesem Gebäude.

Das wäre großartig.

Allein der Gedanke an Maryjas Eintreffen machte mich beinahe glücklich.

Dann, obwohl ich sonst niemanden mehr brauchte, kontaktierte ich noch Andrew Falls.

Er war nicht zu erreichen.

Das musste er abends ohne Schichtzuteilung auch nicht sein. Vielleicht lag er auf seiner Freundin Nancy.

Oder auf seiner anderen Freundin Gracy.

Oder auf Stacy.

Ich fragte mich, wo ein Kerl so viele Geliebte mit ähnlich klingenden Namen herbekam. Er redete ständig ungefragt über seine Affären, oder was auch immer sie für ihn waren, aber ich fand ihn völlig okay. Für einen muskulösen Typen Anfang zwanzig war der leicht beschränkte Horizont vielleicht ganz normal. Immerhin baggerte er mich nie an, was richtig schlau von ihm war.

Ich hätte es dabei bewenden lassen können, dass Andrew nicht erreichbar war, aber dann hätte ich ja aus meinen heutigen Erfahrungen überhaupt nichts gelernt.

Stichwort: Wartungsroutine. Also sei nicht zufrieden, sondern geh der Sache nach, Woodi! Mal sehen, wann er zuletzt hier war.

Ich gab meinen Autorisierungscode ein und ließ mir die letzten Zugänge zum Gebäude anzeigen.

Es war jetzt 19:48 Uhr.

Da waren einige Zivilisten am Mittag und frühen Nachmittag auf dem Gelände gewesen. Es war normal, ich kannte die Namen und erkannte ihre Signaturen.

Dann fanden sich einige Überbrückungszugänge im Protokoll. Die mussten von externen Sicherheitskräften stammen. Da ging es sicher um die Sache mit Lennox und Jill. Ich war jahrelang selbst so etwas wie eine externe Sicherheitskraft gewesen. Ich hätte es genauso gemacht. Das war ST-Standard-Vorgehen.

Naja, und dann war da noch meine eigene Einfahrt um kurz nach 19 Uhr.

Ich scrollte noch mal den ganzen Tag ab, aber dieses Mal bis ganz nach oben.

Ach du heilige Scheiße! Eine von Andrew um 04:43 Uhr. Nicht ausgeloggt. Hab ich heute Morgen nicht gesehen!

Ich schüttelte den Kopf und legte eine Hand an die Stirn.

Im Grunde hatte ich mir nichts vorzuwerfen. Es war kein Standard-Vorgang, in einer vergleichsweise randständigen Einheit wie unserer, noch dazu in Friedenszeiten, morgens bei Dienstbeginn erstmal die Garagen-Protokolle der letzten Nachtstunden zu checken.

Jetzt allerdings hatte ich den Salat: Einen muskulösen Mann Anfang Zwanzig im Gebäude, der möglicherweise Lennox ermordet hatte. Und es war nicht sehr unwahrscheinlich, dass er noch mehr getan hatte als das.

Ist der wirklich noch hier?

Ich stand von der Konsole auf, nahm einen Searer in die Hand und stellte mich mit dem Rücken an die Wand zum Korridor. Das in meinem Rücken war allerdings auch nur eine Glaswand.

Ich will eine Raumschlacht mit einem Raumschiff! Ich will nicht mit einem Mörder verstecken spielen!

Die Angelegenheit war dank Commodore Dangler und der Begleitumstände zu allem Überfluss auch noch geheim. Ich konnte nicht einfach Verstärkung aus anderen Einheiten rufen. Was hätte das wieder für ein Durcheinander gegeben! Wären Flink und Noona schon hier gewesen – fein! Das würde aber vielleicht noch ein paar Tage dauern. Selbst eine eingesperrte Jill hätte mich beruhigt, aber die würde frühestens morgen kommen.

Mir fiel ein, dass ich Maryja angefordert hatte. Ich funkte sie an. Falls Andrew wirklich noch hier und ein potentieller Mörder war, musste ich sie warnen.

Mein InterKom funktionierte nicht.

Die Leitung war blockiert.

Das wächst sich zu einem echt ätzenden Running Gag aus!

Hatte Andrew für Jensen, mit Jensen oder irgendwie sogar gegen Jensen gearbeitet? Das war alles gar nicht gut. Wer stand hier auf der Leitung?

Shit!

Mein Magen schmerzte.

Ich hatte seit Stunden nichts getrunken, aber davon kam das sicher nicht.

V
FILMENDE

Es gibt ganz, ganz miese, ganz, ganz fiese Filme.

Ich mag Horrorfilme ja, aber Science-Fiction-Horror ist manchmal echt schwierig. Zwar habe ich inzwischen manche Sachen krasser erlebt, als die Filmemacher von früher sich das ausgedacht haben, aber manche Streifen mit so echt alptraumhaften Aliens, die durch enge, dunkle Röhren und Verbindungstunnel schleichen, und die dann in grünen und gelben Blinklichtern plötzlich aus dem Lüftungsdampf von Maschinen schnellen, um Menschen Löcher in den Kopf zu beißen … brrrr!

Manche Szenen sind echt genial gemacht, und ich zog mir sowas ja auch freiwillig rein. Wenn einen ein Film zum Schreien bringt, hat er wenigstens emotional einen Effekt ausgelöst. Jill stand total auf sowas, aber sie lachte immer bei den besonders grausamen Szenen, anstatt zusammenzuzucken. Sie war eben ein bisschen sonderbar.

Also mit Aliens rechnete ich nicht in dieser Halle meiner verdammt noch mal eigenen Einrichtung, aber es gab eben doch ein möglicherweise akutes Problem.

Andrew Falls war vielleicht noch immer in diesem Gebäude, und falls dem so war, musste er durchgeknallt sein.

Ich setzte alle Codes auf Null. Das funktionierte zum Glück noch. Auch mir selbst verpasste ich einen neuen.

Nach kurzer Überlegung entschied ich, Maryja ihren bisherigen Code doch wieder zuzuteilen. Sie käme sonst nicht hinein und würde wieder wegfahren.

Oder wäre es besser für sie, wenn sie nicht reinkommt? Aber verflucht noch mal, ich habe keine Beweise für eine Gefahrenlage. Du parkst doch wohl hier drin, Maryja, oder? Du kommst doch sicher durch die Schranke, benutzt deine Codes und kommst in diese Halle gefahren, oder? Das hast du doch immer so gemacht. Du würdest Lennox begrüßen, dann zu Jill gehen … Dann sehen wir uns also direkt hier vorne. Dir kann vorher gar nichts passieren, und mir …

Ich sah auf die Uhr.

Das hatte ich schon oft getan.

Wenn Maryja gleich nach meiner Anforderung losgefahren war, müsste sie bald da sein. Es war inzwischen 20:36 Uhr.

Ich verließ das blöde Glasbüro nicht und legte den Searer nicht mehr aus der Hand. Es war aber eigentlich keine sichere Position. Die Halle überblickte ich, aber den Korridor hinter mir nur ein paar Meter in jede Richtung. Und dieses Glas war nicht schussfest.

 

Ob es eine Axt aushält? Echt mal, eine Axt? Andrew?

Man will so etwas von niemandem glauben, aber irgendwie traute ich es Andrew zu, auch wenn er nie ein böses Wort von sich gegeben hatte. Es war einfach so ein Gefühl, dass dieser Mann seine Stärke auch in Wut ummünzen konnte. Das konnten die meisten Typen, aber viele eher auf eine hilflose Art. Also als so ein zickiges Männer-Wüten ohne was dahinter, ohne wirklich gefährlich zu sein, und wenn brutal, dann ungeschickt. Ich hatte Andrew jedoch im Zweikampftraining gesehen. Wir hatten alle eine harte Nahkampfausbildung hinter uns, aber manche wurschtelten sich eben so durch. Bei Medizinern, Ingenieuren oder Biologen war es letztlich nicht prioritär.

Andrew hatte sich nicht durchgewurschtelt.

Den Kerl würde ich kaum besiegen können. Da half auch meine Kampferfahrung nichts.

Er war zwar genauso gut ausgebildet wie ich, dafür aber deutlich größer und um einiges stärker. Das war nicht nur ein Mann-Frau-Ding, aber eben auch. Acht von zehn Typen würde ich im Zweikampf weghauen, egal wie alt oder schwer sie waren. Mit Technik statt Kraft eben. Aber wenn das Gegenüber auch gut ausgebildet und deutlich massiger war, gab´s einfach Grenzen für einen kleinen, weichen Stöpsel wie mich.

Vielleicht lag ich aber auch völlig falsch.

Vielleicht faulte Andrews Leiche irgendwo im Gebäude herum, und nur deswegen war er nicht ausgeloggt.

Und der wahre Täter war dann was?

Ein schreckliches Alien mit Axthänden? Woodi! Reiß dich mal zusammen, eyh! Keine Horrorfilme mehr für dich!

Ich musste eine Toilette aufsuchen. Vernunft ist immer schön und gut, aber ich musste das tun, wenn ich mich im Büro nicht vollpinkeln wollte.

Sowas fehlt in epischen Actionfilmen immer.

Menschen haben Bedürfnisse.

Ich trat in den Korridor hinter dem Glaskasten. Er war hell erleuchtet. Nichts regte sich darin.

Natürlich nicht. Was auch?

Ich rannte trotzdem so schnell wie möglich. Der Korridor kam mir einfach nicht sicher vor. Mir war, als wäre vor kurzem noch jemand hindurchgegangen, obwohl das Gebäude ja eigentlich leer sein sollte.

Komm mal mit Vernunft gegen solche Phantasien an! Ich werde das nicht los, wenn ich Andrew nicht lokalisieren kann. Wahrscheinlich liegt er zufrieden auf Stancy, Grancy, Fancy. Tut mir leid, Mädels, ich weiß nicht mal mehr, wie viele ihr seid und wie genau ihr heißt.

Mit gezogener Strahlenwaffe und offener Toilettentür hockte ich auf der Schüssel und lauerte.

Als nach einer Weile das automatisierte, an Bewegungen gebundene Licht erlosch, hätte ich fast geschrien.

Dämliche Situation! Mörder im Haus, ich sitze auf dem Klo und das Licht ist aus! Echt heroisch!

Nichts geschah.

Natürlich geschah nichts.

Der Calculator schaltete das Licht wieder an, als ich mich bewegte. Ich zog die Hose hoch und alles war wieder ein bisschen besser.

Aber nur ein bisschen.

Mit einem weiterhin miesen Gefühl huschte ich zurück in mein Aquarium.

Schön ausgeleuchtet auf dem Präsentierteller im Glaseimer.

Und wo, zur Hölle, blieb Maryja?

Ich hatte mich zehn Minuten lang nicht bewegt, bis endlich etwas geschah, das auf Maryjas Kommen hindeutete.

Auf einem Screen sah ich ihren Gleiter vor der Schranke stoppen. Ich beobachtete sie beim Eingeben des Codes. Dann fuhr der Gleiter leicht abschüssig hinab. Das automatische Tor der Rampe zur Halle öffnete sich. Genauso war es gewesen, als ich selbst mit meinem Gleiter hineingefahren war.

Ihre Lichter kreuzten in der Halle auf.

Sicher sah sie mich im erleuchteten Glasbüro stehen.

Der Gleiter kam ziemlich nah heran. Er hatte getönte Scheiben.

Bitte fall nicht tot raus! Bitte sei nicht Andrew oder ein Alien! Sei einfach Maryja! … Was für dämliche Ideen! Was bin ich heute nur für eine Heulsuse?

Maryja stieg aus.

Das erleichterte mich mehr als der Toilettenbesuch zuvor.

Sie trug ihre Uniform und winkte mir lächelnd zu. Wie üblich holte sie noch eine riesige Handtasche vom Beifahrersitz.

Ich winkte gelöst zurück. Es tat mir fast leid, dass ich ihr gleich alles erzählen und die gute Laune zerstören müsste. Ich brachte sie in Gefahr, aber das war ihr Job.

Meiner sowieso. Das vergaß man an der irischen Küste im friedlichen Alltag manchmal, aber ich vergaß nie, was ich dank dieses Jobs schon alles an Gewalt und Tod gesehen hatte. Aber wenn ich nicht weiter diente, wer würde mich ersetzen? Welche Motivationen würde dieser Jemand haben? Es war besser, dass ich weitermachte.

Noch.

Ich hätte Kathy auch anfordern sollen. Dann wären wir einer mehr. Wir müssen die Blockade des Kom-Systems abschalten. Ich glaub, Maryja könnte sowas können. Sie ist ziemlich …

Feuer und unerträgliche Helligkeit.

Eine Druckwelle ließ die Scheiben meines Glasbüros zerspringen.

Ich wurde nach hinten gegen die berstende Glaswand zum Korridor geschleudert, prallte ab und landete auf Bauch und Händen. Splitter regneten auf meinen Rücken. Ich spürte keine Verletzung, keinen Schmerz.

Meine Augen waren noch irritiert von dem hellen Blitz zuvor, die Ohren dröhnten von der Detonation, aber ich checkte mich wie ein Humanbot und kam zu dem Schluss: Ich war intakt.

Ich zog mich wieder auf die Beine und blickte in die Halle. Maryjas Gleiter war explodiert.

Ihr Körper lag zerfetzt neben dem brennenden Wrack.

Zumindest die meisten Teile von ihr.

Die übergroße Handtasche lag, in Streifen gerissen, mindestens zwanzig Meter neben ihr.

Sie war sofort tot gewesen und würde es auch bleiben.

Ich war kein Arzt, aber diese Körperteile hätte man nicht mehr nähen können.

Ich konnte den Anblick von Leichen ertragen, hatte schon schlimmer zugerichtete gesehen, aber der Schock über die Explosion saß tief.

Außerdem sah die nette, blutjunge und gerade noch fröhlich lächelnde Maryja nun wirklich nicht mehr wie ein menschliches Wesen aus. Ich schluckte krampfhaft in den Hals aufsteigende Magensäure hinunter.

Newbies kotzen. Ich doch nicht!

Wie hatte der Täter das angestellt? Und wozu überhaupt musste solch eine arme Maryja sterben, während ich unbehelligt einfahren konnte?

Wut brodelte in mir hoch.

Bis zum Anschlag!

Ich öffnete das interne Kom. Das lief nun über alle Lautsprecher der gesamten Anlage, drinnen wie draußen.

Lange genug ängstlich versteckt.

»Hör mal, Andrew, oder welcher feige, verschissene Penner diese Scheiße auch immer abzieht – ich werde dich nicht töten, sondern den Behörden übergeben, aber es ist gut möglich, dass es vorher auch schrecklich weh tut. Wenn du ein Problem mit der Squadronica, den Geschützen, der Menschheit oder mir hast, dann lass uns das klären – aber hör auf, harmlose Leute umzubringen! Das macht mich sehr … zornig. Sehr, sehr zornig!«

Ich aktivierte einige Schaltflächen. Schließlich war nach aktuellem Kenntnisstand nur die externe Kom teilweise gehackt. Alles andere war doch sehr viel komplizierter und sensibler.

Mit meinem Kommandanten-Password schaltete ich alles aus: Automatische Türen und Tore, alle Terminals und jegliches Licht.

Das war zwar auch für mich nicht angenehm, aber welche Vorteile der Täter, warum auch immer, haben mochte – ich musste sie ihm nehmen.

Ganz nebenbei fragte ich mich, warum ich nach all dem Shit, den ich im Weltraum schon überstanden hatte, jetzt in einer Tiefgarage oder einem Flur in Irland sterben müsste. Das Ende ist dann immer unspektakulärer als man gedacht hat.

Das Leben ist kein Film, aber eins haben beide gemeinsam: Ein Ende.