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II
GALWAY

Die menschenleere Landschaft der Westküste zog an mir vorbei.

Schroffe, weitgehend baumlose Halbklippen, an deren Wurzeln knorrige, windschiefe Baumgruppen trotzig ihr Grün in den Wind reckten, schoben ihre Krönchen in Nebelwolken.

Irland war beinahe überall wunderschön, aber die Westküste hatte eine ganz besondere, majestätische Rauheit zu bieten, der auch Jahrhunderte der Technologisierung nicht hatten zusetzen können. Technik war das unnatürliche Gegenteil von Irland.

Das durchsichtige Cockpit des Gleiters war schallisoliert und schluckte jedes Geräusch. Es fühlte sich klinisch und wie in einem Hochgeschwindigkeits-Skytrain an.

Dieser Spießer Jensen schlägt Jill nieder? Und vor meinen Augen schaltet er die Annäherung ab, damit keiner was mitbekommt? Ich Idiotin! Aber was hat er bitte vor? Warum ist er nicht einfach so weggefahren? Warum war er nicht schon längst in Galway? Amateur!

»Torgan?«

Keine Antwort.

Das war merkwürdig. Die Verbindung müsste problemlos funktionieren, auch wenn der Gleiter mit 250 km/h über den Country Way schoss. Nur wenige andere Fahrzeuge kamen ab und an in entgegengesetzter Richtung an mir vorbei. Es waren nur noch eine Handvoll Minuten bis Galway.

»Torgan? Jill?«

Aus beiden Kanälen kam nicht mal ein statisches Störsignal.

Ein Störsignal! Das ist es. Es muss eins geben. Aber wie macht Jensen das?

Ich funkte Galway an. Dort an der Geschützkuppel müsste doch wenigstens jemand beim Frühstück sitzen, aber es erfolgte wieder keine Rückmeldung.

»Geben Sie´s auf, Woodman!«, erklang dafür die gelangweilte Stimme von Jensen aus den Boxen des Gleiters.

»Dewie Jensen, ich erteile Ihnen den direkten Befehl, sich sofort zu stellen, sonst ist Ihre Zeit in der Squadronica für immer beendet.«

Ich fand, darauf sollte man ihn wenigstens einmal hinweisen.

»Befehle von Menschen nehme ich nicht mehr entgegen.«

Er lachte und schaltete den Kanal ab.

Ich hatte gar nicht gewusst, dass er lachen konnte, aber es klang widerlich nach einsamer Superschurke.

Er nimmt keine Befehle von Menschen mehr entgegen?

Die ersten Gebäude Galways kamen in Sichtweite, Jensens Gleiter nicht.

Unser Geschütz lag südlich der Stadt, also von meiner Position aus betrachtet hinter Galway. Ich konnte mich nicht mehr lange fragen, wann ich Jensen endlich einholen würde.

Kaboom!

All meine Gedanken endeten, als hinter Galway eine mehrere hundert Meter hohe Flammensäule in die Atmosphäre schoss. Der Knall ließ das Cockpit des Gleiters sanft vibrieren. Trotz der Isolierung hatte ich ihn hören können.

Ich wusste gleich, dass mein Geschütz Vergangenheit war.

Was hätte es sonst sein sollen?

Jensen hat mein Geschütz zerstört? Das nehm ich persönlich!

Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass gerade viele Menschen gestorben waren, da das Geschütz eine Seitenabschirmung hatte. Wie alle Geschütze. Bei Zerstörung oder Fehlfunktion entlüfteten sie sich ausschließlich nach oben, daher die immens hohe Feuersäule. Die Druckwellen zur Seite wurden durch die Art der umgebenden Konstruktion eingedämmt und die Energie wurde im Schadensfall umgeleitet.

Aber wenn jemand in der Kuppel gefrühstückt hatte – ich dachte an einen netten Kerl namens Sean – hatte es vielleicht doch Opfer gegeben.

Ich rief die Geschützkuppel erneut. Das war schwachsinnig, da mein Kom offensichtlich gehackt worden war, aber es war ein Reflex.

»Lesen Sie die Nachrichten, Woodman!«, sagte Jensen übers Kom des Gleiters. Er klang zufrieden und doch ein wenig angespannt.

»Wir sehen uns nicht wieder.«

»Das sollten Sie sich auch wünschen!«, schrie ich ins Mikro, dann schaltete er ab. Ich hatte überwältigende Lust, dem Typ in die nutzlosen Eier zu treten. Was für bescheuerte Nachrichten meinte der eigentlich?

Ich umfuhr Galway rasch – bei einer kleinen Stadt mit einem Squad-Gleiter ein Katzensprung - und gelangte kurz darauf zu dem Ort, an dem zuvor das Geschütz gestanden hatte.

Hölle! Das ist kein Loch, sondern ein Krater!

Die Trümmerteile waren nicht sehr zahlreich, also war das meiste pulverisiert worden. Das deutete auf eine Strahlenbombe oder ähnliches hin.

Einige lokale Sicherheitskräfte aus der Stadt waren schon vor Ort und löschten brennende Schrotthaufen, die am Rand der Anlage vor sich hin kokelten.

Ich stoppte den Gleiter nah am Abgrund an und stieg aus.

Mir kam trotz schwacher Knie so einiges in den Sinn, aber bei Motiv, Planung und Durchführung stand ich völlig auf dem Schlauch. Die gehackte Sperre musste Jensen schon eine Weile zuvor programmiert haben, nicht spontan.

Im Grunde war ich an diesem Tag bislang nur aufgestanden und hatte zu heißen Kaffee getrunken. Das war alles, was hätte hängen bleiben sollen bis zu dieser Uhrzeit. Jetzt aber stand ich vor den qualmenden Resten einer saumäßig teuren, großen, bedeutsamen militärischen Anlage innerhalb meines Verantwortungsbereiches.

Ratlosigkeit lähmte mich. Ich war perplex.

Außerdem musste ich dringend pinkeln.

Dämlicher Kaffee! Erst zu heiß und jetzt dieser Scheiß!

Ich blickte nach oben.

Ein InterTrafficer, ein kleines, weltraumfähiges Shuttle, näherte sich. Es hatte grüne Seitenmarkierungen, gehörte also nicht zur Squadronica, zumindest nicht zu der aus dem Weltraum, war nicht an ein Mutterschiff gebunden.

Es landete ganz in meiner Nähe.

Katastrophentourismus. Hohe Offiziere.

Ein Mann und zwei Frauen stiegen aus. Wichtige Funktionsträger, soweit ich das an Abzeichen und Uniformen auf die Entfernung erkennen konnte. Es waren mindestens Stalords, vielleicht auch Commodores. Die Entourage bestand aus dem Piloten, der sitzen blieb, und einer jungen Frau, die so etwas wie die Reiseleiterin zu sein schien. Sie war, der Kleidung nach, Zivilistin.

Ein Mitglied des Grüppchens zeigte auf mich, also ging ich schnell auf sie zu, statt abzuwarten oder wegzulaufen.

»Sind Sie hier verantwortlich?«, fragte einer der Funktionsträger, eine Frau um die Fünfzig.

Dass sie sich nicht mal vorstellte, fand ich unhöflich, obwohl ich auf Etikette nicht viel Wert legte. Jetzt erkannte ich an den Abzeichen am Uniformkragen, dass sie Commodore war, also von höchstem militärischen Rang.

Ich salutierte und machte Meldung.

»Alright, Patronus. Sabotage, vermutlich durch Dewie Dawid Jensen, bislang Angehöriger meines Teams. Flüchtig.«

»Wir haben beinahe alle Orbitalgeschütze verloren, Stalev. Innerhalb von fünf Minuten«, sagte der männliche Stalord neben ihr.

Was?!?!

Ganz kurz dachte ich an einen Cartoon, in dem jemand vor Entsetzen die Kinnlade bis zum Boden aufreißt.

»Es muss viele Verräter wie Ihren Jensen geben.«

Da kam ich nicht mit. Meinem Gesicht sah man es wohl an.

»Sie haben Ihren Job nicht gemacht, Stalev. Wie viele andere Stalevs und Stalev Stadux ebenfalls. Das wird entsprechende Konsequenzen haben. Melden Sie sich bei unserem Trafficer. Sie werden mitkommen«, sagte der weibliche Commodore, dann ging das Grüppchen weiter und ließ mich stehen.

Ich glaube, ich zog eine schiefe Grimasse und sah ihnen konsterniert nach. Das war so eine Situation, in der einem beinahe der Idiotensabber aus dem Mundwinkel tropft.

»Bitte was?«, fragte ich leise und ungläubig.

Weltweit hatte es geknallt? Weltweit waren die Geschütze ausgeschaltet worden?

Ein Durchschnitts-Idiot sowie jede zweite Amöbe denken sich doch völlig zurecht: Hallo, Vorbedingung für einen großen feindlichen Angriff?! Weltraum absuchen nach feindlicher Flotte!

Und die flogen durch die Gegend, um schludrige Abteilungsleiter festzunehmen?

Meinen Job nicht gemacht? Ok, nicht perfekt, aber das ist unfair! Ist es das? Ich habe echt gar nichts gecheckt.

Ich stand allein da und fühlte mich von Gott und der Welt verlassen. Vor mir ein Haufen glühender Müll, hinter mir mein Gleiter vor der niedrigen und nicht sehr beeindruckenden Skyline von Galway. Und in der Nähe natürlich noch dieses Trafficer, in das ich mich setzen sollte, um unter Schimpf und Schande abtransportiert zu werden. Abhauen war keine Option, auch wenn das Kind in mir rennen wollte. Wäre ich jetzt verschwunden, hätte man mich unehrenhaft aus der Flotte geworfen. Natürlich erst nach Fahndung, Verhaftung und langen Verhören.

Unsexy. Unwürdig. Keine Option.

Wieso ging das alles so schnell? Was bitte hatte ich falsch gemacht, außer dass dieses Piepen am Terminal …?

»Torgan an Woodman!«

Ah, die Blockade war ja nur im Gleiter aktiv, richtig!

»Überrasch mich, Lennox!«

»Jill ist wieder wach. Ihr geht´s gut soweit. Der Doc war auch schon da.«

»Gut.«

»Sag mal, was ist denn da los? Fast alle unsere Geschütze sind scheinbar platt. Muss ja wohl eine Übung sein.«

»Nein, leider nicht. Ich stehe gerade vor dem in Galway. Es ist platt. Plattfisch-platt.«

Einen Konversationspreis würde ich heute auch nicht gewinnen.

»Aber wie …?«

Das war Jills Stimme.

Ich brauchte Jill Bekker. Ich brauchte sie dringend!

Sie war meine beste Freundin, zumindest die beste Freundin der letzten zwei Jahre.

»Jill, bist du okay?«

 

»Alive and kicking.«

Sie klang fit. Ich war erleichtert. Wenigstens darüber.

»Hier ist eine Delegation der ST. Die waren blitzschnell da, haben sich nicht mal vorgestellt. Inklusive Commodore. Die sagen, das sei weltweit. Jensen hat Galway ausgeschaltet, irgendwelche anderen fast alles andere. Weltweit! Die wollen, dass ich mitkomme. Das sei meine Schuld. Und ich muss so pinkeln!«

Nur Gott weiß, warum ich das noch gesagt habe!

»Ruhig, Woodi. Du bist die absolute Veteranin hier. Warum die Panik?«

Jill hatte weitaus weniger Einsatz-Erfahrung als ich, das stimmte, aber sie schätzte mich menschlich gerade falsch ein.

»Ich hab keine Panik, Jill, auch keine Angst. Aber ich versteh es nicht. Und es pisst mich an! Das kann alles nicht hinhauen.«

Mir fiel ein, was Jensen gesagt hatte. Ich solle mir die Nachrichten anhören oder so ähnlich.

»Was geht durchs NewsCom?«, fragte ich und sah mich um.

Die Delegation um den Commodore sprach mit den zivilen Katastrophenkommandos.

Lennox Torgan antwortete: »Globale Anschlagsserie, aber der Orbit sei frei. Keine Feinde im Anflug. Angeblich terrestrischer Konflikt.«

Ich zögerte eine Sekunde.

»Was meinen die mit einem terrestrischen Konflikt? Bürgerkrieg? Jetzt, wo endlich alles ruhig und friedlich war? Wer gegen wen?«

Er musste wohl genickt haben, denn Jill ermahnte ihn, ich könne nicht sehen, was er mache, wenn wir nur übers Kom sprächen. Das war ja fast lustig.

»Also was machst du jetzt?«, fragte Jill.

»Dich fragen, warum Jensen dich geschlagen hat!«

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Es fehlt nichts. Er hätte einfach an meinem Labor vorbeigehen können.«

Das macht keinen Sinn!

»Jill, du belügst mich doch nicht, um mich zu beruhigen, oder?«, fragte ich streng.

Ich hatte schon Erfahrungen dieser Art gemacht und musste nun schnell eine Entscheidung treffen. Ich hatte leider längst gelernt, dass fast jeder ein Verräter sein konnte. Selbst eine Jill Bekker. Es war traurig, das glauben zu können. Die zwei, drei Personen im Universum, denen ich Verrat nicht zutraute, waren gerade nicht verfügbar.

Es blieb mir zu lange still in der Leitung.

Es dauerte zwar nur drei Sekunden, bis Jill es abstritt, aber es hatte eine Verzögerung gegeben, die mich skeptisch werden ließ. Skeptisch genug, um allerlei in Frage zu stellen.

Es tat weh, alles in Frage zu stellen!

»Dewie Torgan, vielleicht fehlt ja doch etwas im Labor. Nehmen Sie Dewie Bekker vorsorglich fest!«

Sofort brach die Leitung ab.

Wieso brach die Leitung ab?

Ich versuchte abzuwägen, ob der übergewichtige, gutmütige Lennox … nein! Jill würde ihm eins über die Rübe gegeben haben. Hoffentlich nicht mehr als das.

Aber warum? Warum Jill Bekker? Und warum Jensen, der Regeln und Ordnung so liebte? Jill und Jensen verband vordergründig absolut nichts. Oder war die Leitung wieder gehackt worden?

Die Delegation von Funktionsträgern kam zu meiner Position zurück.

Ich sah auf meine eigene Uniform. Vor etwa einem Jahr waren neue Uniformen eingeführt worden, um den Beginn einer neuen Zeit nach einigen politischen Wirren auf der Erde zu verdeutlichen.

Der Krieg mit dem außerirdischen Vielvölkerbund des Prismoniums war zu Ende gegangen. Auch waren keine neuen Konflikte ausgebrochen, von denen ich wüsste. Die Erde galt seitdem als politisch stabil, friedlich und fortschrittlich.

Keine Putschversuche mehr.

Passend dazu hatte man der Squadronica einen neuen Style verpasst, den ich ziemlich schick fand. Alle Uniformen waren seither schwarz mit silbernen Applikationen, je nach Rang und Abteilung – nicht nur silbergrau eingefärbt, sondern metallisch glänzendes Silber in meist geschwungenen Streifen individualisierte die jeweiligen Teile.

Die meisten Kleidungsstücke waren ziemlich enganliegend.

Das hätte man als Frau sexistisch finden können, aber es war einfach praktisch. Das Zeug lag gut auf der Haut und es gab keine dekorativen Stofffetzen, die in Geräte geraten oder beim Kampf oder der Arbeit im Weg sein konnten. Außerdem hatten die Männer das gleiche Zeug an, was ihre Hintern und Oberkörper-Muskulatur – sofern vorhanden - betonte. Völlige Gleichberechtigung. Dazu gab es coole Lederjacken für Außeneinsätze und schwarze Stiefel statt Halbschuhe. Die Jacken und die Stiefel waren Power Metal pur.

Trotzdem fragte ich mich in diesem Moment, warum wir alle so seltsam aussahen und was hier gerade eigentlich abging.

Lief eine Art politische Säuberung unter einem selbstverursachten Vorwand ab? Musste die neue Squadronica noch ihre alten Leute loswerden?

Ich war zwar nicht alt, aber mit meiner Fronterfahrung und den seltsamen Missionen, bei denen ich dabei gewesen war, sicher Teil eines irgendwie alten Systems, verbunden mit traditionellen Werten. Aber die alten Werte hatten doch gerade erst gegen die neuen Extreme gewonnen. Was war denn jetzt schon wieder los?

Wahrscheinlich denke ich zu viel. Das ist alles gar nicht sowas Kompliziertes, nur kriminell.

Mein, nennen wir ihn mal bester Kumpel, Stan Pendra, wäre vermutlich geflohen und hätte eine rebellisch-aggressive Ermittlung im Untergrund eingeleitet. Und er wäre damit auf die Schnauze gefallen, wie so oft, und trotzdem davongekommen.

Das war bei mir alles anders.

Es würde nichts Gutes mit sich bringen, jetzt in den Untergrund zu gehen. Von dort aus würde ich nichts erfahren. Dazu war ich nicht der Typ Mensch. Ich agierte lieber von innen heraus. Bei allem. Aus mir selbst, aus meiner Einheit, aus meinem System heraus – vielleicht weil ich nicht von außen gegen etwas anrennen wollte.

Keine Küchenpsychologie jetzt.

»Commodore …?«, fragte ich deutlich betont nach dem Namen, der mir noch nicht genannt worden war.

»Dangler«, sagte die Frau knapp.

»Commodore Dangler, in unserem irischen Hauptquartier scheint ein Putsch im Gange zu sein. Ich befürchte, es gibt weitere Kollaborateure von Dewie Jensen, die systemtreue Offiziere ausschalten. Sie können mir zu lasche Kontrollen vorwerfen, aber nicht, auf der falschen Seite zu stehen. Sollen wir diese Vorgänge nicht besser aufhalten, anstatt loyale …«

Sie hob eine Hand.

Ich salutierte und schwieg.

Böse oder dumm, im Sinne schlechter Filme, schienen mir die Leute vor mir eigentlich nicht zu sein.

»Sie sind Vanessa Woodman, richtig? Gedient unter Dakker und Woyer auf Psygon und Atlantis, richtig?«

Ich nickte.

Dangler sah die anderen an. Ich konnte nicht sehen, mit welchem Gesichtsausdruck sie das tat.

»Warum sind Sie nicht auf einem Schiff, Stalev Woodman?«

»Zu viel Bewegung, Patronus«, antwortete ich.

Das war sicher eine arg verkürzte Argumentation, aber warum fragten die auch ausgerechnet jetzt danach?

Überlegt ihr, ob ihr mir vertrauen könnt? Worum geht’s? Seid ihr doch nicht die Bösen hier?

Commodore Dangler schickte den für mich noch immer namenlosen Stalord und die Reiseleiterin, oder was auch immer sie war, weg.

Dangler sah den beiden nach und lächelte mich dann erstmals dezent an.

»Schlecht verkleideter Geheimdienst«, sagte sie. »Nicht direkt Teil der Squadronica. Politisches Instrument.«

Ich nickte, fand es aber bedenklich, dass politische Geheimdienste Menschen in Stalord-Uniformen steckten. Ach was bedenklich! Es war zum Kotzen!

»Verstehe. Finde ich nicht gut, wenn jemand Abzeichen trägt, die ihm nicht zustehen.«

Sie nickte.

»Gehen wir ein paar Schritte, und zwar weg von diesem Schrotthaufen, bitte? Schade um die Ressourcen.«

Ich war sehr einverstanden.

Sie hatte diese blonde Haarfarbe älterer Frauen, die mich immer unsicher zurückließ, ob es die Reste von naturblonder oder bereits künstlicher Farbe waren. Sagen wir, die Haarfarbe heißt altblond. Nicht despektierlich gemeint.

»Wir vermuten ein Hacker-Netzwerk von Pazifisten dahinter«, sagte Dangler. »Und wir wollen es von Anfang an entsprechend gründlich wieder entfernt wissen. Deswegen nehmen wir weltweit alle, die direkt oder indirekt beteiligt waren, erst einmal fest. Ebenso bekommen all diejenigen Probleme, die diese Anschlagsserie eventuell gedeckt haben oder aus Sorglosigkeit oder Sympathie nicht verhindern konnten oder wollten.«

Ich verzog vorsorglich keine Miene. So ganz sicher, dass sie mich nicht doch noch einsperren wollte, war ich nicht. Also guckte ich schlau und nickte vor mich hin.

»Sie sind doch loyal und systemtreu, Woodman. Das haben sie selbst angedeutet.«

Ich nickte, auch wenn ich das Wort systemtreu seltsam fand. Es klang, als klammere man sich an etwas, das nicht gut war.

»Solange das System unserer Verfassung entspricht, ja. Wenn das System faschistisch wird, trete ich dagegen ein. Kann ich aktuell aber nicht erkennen«, sagte ich. »Wieso eigentlich Pazifisten? Gerade jetzt.«

Dangler zuckte mit den Achseln. Es sah nach vielfach einstudierter Geste aus.

»Was falsch daran sein soll, die Erde durch die Aufrüstung von Orbitalgeschützsystemen wehrhafter zu machen, erschließt sich uns nach den Ereignissen der vergangenen Jahre nicht. Aber sie kennen ja diese Pazifisten und Kommunisten.«

»Nein«, sagte ich, vielleicht etwas zu forsch. »Also ich kenne schon welche, ich werfe die aber nicht alle in einen Topf. Pazifismus oder Kommunismus sind nur schlecht, wenn man sie rücksichtslos gegen den Willen der Mehrheit umzusetzen gedenkt.«

Das missfiel ihr, wie ich ihren Mundwinkeln ansah, aber das war mir egal. Wenn sie schon offen mit mir sprach, sollte sie dabei nicht billig nach Zustimmung fischen. Ich war politisch nicht klar in irgendeinem Lager, aber ideologische Gruppen pauschal abzuwerten, klang nicht gut, nur nach Schublade. Wobei ich mir bewusst war, dass ich das mit Faschisten ebenso handhabte.

Dangler sah mich eine Zeit lang forschend an. Das sollte dieser Blick sein, der einen innerlich aufhorchen lässt und gedanklich mitnimmt. Ich blieb skeptisch, kannte beeindruckendere Anführer und Blicke als diese. Mein Gesicht hingegen sah, so hoffte ich, nur nicht so dumm abwartend aus wie das vieler Männer. Sorry, Jungs! Meine Skepsis ließ ich darin zumindest nicht aufleuchten.

»Woodman, egal wie viele Leute wir einsperren und wie sehr sich der Geheimdienst da reinhängt, ich befürchte, wir werden nicht herausfinden, was wirklich dahintersteckt, wenn wir es nicht von innen angehen. Also wirklich von innen. Ohne künstliche Einschleusung und ohne Geheimdienst.«

Ich vermutete, dass sich da gerade eine Chance für mich ergeben könnte, daher schwieg ich nicht länger.

»Gut, gern, ich werde sehen, was ich rausfinden kann, aber ich möchte zuerst meine Basis wieder übernehmen. Irgendetwas stimmt dort nicht und aktuell dürfte Jill Bekker …«

Dangler hob die Hand, was mich schweigen ließ. Sie drehte sich um und tippte etwas in ihr CommandCom. Vermutlich den Namen Jill Bekker.

Dann drehte sie sich mit undeutbarer Miene wieder zu mir um.

»Jill Bekker befindet sich bereits in unserem Gewahrsam. Sie hat einen gewissen Torgan ermordet.«

Mir wurde heiß und kalt. Mit Verrat und Lügen rechnete ich ja schon, aber damit?

Ich glaube es nicht. Also im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht mal aus Versehen. Ich glaube es nicht. Ich kenne Jill zumindest gut genug, um ihr einen Mord nicht zuzutrauen.

Commodore Dangler wartete auf meine Zustimmung, auf meine Bereitschaft, in ihrem Plan ein Rädchen zu sein. Es war meine Chance, frei zu bleiben und dem auf den Grund zu gehen, was in meiner Basis vorgefallen war. So irrsinnig heikel das auch alles war.

»Gut!«, hörte ich mich sagen.

Weder Lennox´ Tod noch Jills Gefangennahme waren in irgendeiner Weise gut. Jensens Verrat auch nicht.

»Haben Sie Jensen?«

»Nein«, sagte sie, und zwar ohne den Namen eingeben zu müssen. Er war vermutlich gleich mit überprüft worden.

»Sie sollten ihn aber kriegen. Er hat mich kurz vor der Explosion noch kontaktiert. Im Gleiter. Über abgeriegelten Kanal. Den finden Sie schon noch.«

Sie nickte es, beinahe gelangweilt, weg.

»Wir haben bislang vermutlich kaum bedeutsame Täter erwischt. Gehen Sie in ihre Basis zurück, Woodman. Die ersten schnellen Aktionen des Geheimdienstes und des Squadronica Commands werden in etwa vierundzwanzig Stunden abgeschlossen sein und relativ geringe, spürbare Nachwirkungen verursachen. Die meisten Geschütze sind übrigens nicht explodiert, sondern nur offline. Die Nachrichten übertreiben. Komponenten wurden beschädigt, Leitungen sind geschmolzen, Software wurde zerstört. Die Aufräumarbeiten beginnen unverzüglich. Auch ihre Geschütze sind nicht alle ein glühendes Loch im Boden. Galway und Belfast hat es am heftigsten getroffen, aber Cork und Dublin, ebenso wie Cardiff sind noch ganz okay. England und Island müssen Sie sich im Detail ansehen, da bin ich nicht auf dem neuesten Stand.«

 

Ich nahm alles hin und nickte, nickte und nickte. Das war viel Information auf einmal. Einige dieser Geschütze waren erst in den letzten Monaten fertiggestellt geworden, und jetzt waren sie schon wieder im Eimer. Das versprach sehr viel frustrierende Arbeit.

»Sie werden also ein wenig Ihren Job machen, Woodman, aber Sie werden vor allem mir und anderen aus dem Command berichten, was sie darüber hinaus herausfinden können. Nur uns und nur Commodores! Sie werden keinem Stalord oder Geheimdienstler etwas sagen. Um Geheimdienstler zu entlarven, müssen Sie nur …«

Ich winkte so höflich wie möglich ab. Ich war kein Crewie-Beginner auf der Training Fortress mehr. Ich hatte Stalev-Autorisation und konnte die Rechtmäßigkeit von Rängen abfragen, bevor ich Befehle befolgte. Ein Stalord, der sich als Stalord bezeichnete, musste auch vor dem System Bestand haben, bevor ich wirklich wichtige Dinge für ihn ausführte, mich nackt auszog oder was auch immer. Wobei das mit dem Ausziehen kein üblicher Befehl war. Den hätte ich bis vors Kriegsgericht verweigert.

Ich nickte wieder.

»Gut, Commodore Dangler. Ich werde aber nicht nur bei mir ermitteln, damit das klar ist. In meinem engen Bereich werde ich vermutlich nicht die Keimzelle finden. Ich werde auch in andere Bereiche oder Teams hinein ermitteln müssen. Und falls die Geheimdienste doch etwas Hilfreiches herausfinden, würde ich die Infos gern gesteckt bekommen.«

Sie nickte.

»Bekommen Sie. Leite ich Ihnen weiter. Ich sitze im Kontrollgremium der Geheimdienste. Und eine Reiseerlaubnis brauchen Sie ja nicht, höchstens Freistellung, damit Sie ihren Posten verlassen können. Ich stelle Ihnen ein Universal-Traineeship-Zertifikat aus. Damit können Sie ständig und überall hineinschnüffeln. Also außer in Kommandounternehmen und Geheimprojekte natürlich.«

»Schön und gut«, sagte ich. »Einarbeiten und integrieren kann ich mich eigentlich überall ganz gut. Ich bin kein Newbie mehr. Aber ich brauche neue Leute, Commodore! Jensen, Torgan und Bekker sind … weg. Ich brauche mindestens zwei neue Leute.«

»Wünsche?«, fragte sie nickend und nahm ihren Noticer, um sich Namen aufzuschreiben.

»Erst mal Bekker«, sagte ich.

Ich habe ihr Verrat zugetraut. Schlimm genug. Aber der Mordvorwurf ändert alles. Sie hat nichts damit zu tun. Ich will es glauben! Ich glaube es.

Dangler schüttelte entrüstet den Kopf.

»Eine Mordangeklagte! Was Besseres fällt ihnen nicht ein?«

»Sie war´s nicht, Commodore! Sie ist Teil des Rätsels. Wir sind Freunde, und sie ist ein ausgezeichneter Offizier. Wenn Sie mir Jill Bekker entziehen, kann ich keine großen Sprünge garantieren.«

Dangler überlegte einen Moment. Dann nickte sie zaghaft.

»Sie bekommen Jill Bekker, aber nur als Gefangene.«

Das würde merkwürdig werden, aber ich stimmte zu.

»Wen noch? Jetzt aber wirklich Leute, die arbeiten dürfen, Woodman.«

Alle Freunde und Freundinnen, die mir in den Sinn kamen, waren sehr weit weg, tot, schwer geisteskrank oder anderweitig verhindert.

Naja, bis auf … nein, besser nicht!

»Ich vermute, das ist zu viel verlangt, aber könnten sie Noona Striker reaktivieren?«

Dangler schaute mich überrascht an.

»Die Tochter des Ex-Commodores, der in die Politik gegangen ist?«

Ich nickte.

»Naja, sie ist aber nicht nur Tochter, sondern auch Stalev.«

»Außer Dienst!«, sagte Dangler mit abfälliger Betonung. »Außerdem ist sie selbst so eine Art Politikerin. Ganz davon abgesehen finde ich ihre öffentlichen Auftritte geradezu obszön.«

Oh ja, das sind sie. Ich habe mich nie großartig mit ihr verstanden, aber sie ist unterhaltsam, und für Intrigen und Ermittlungen ist sie geradezu optimal. Ich brauche diese verfluchte Hexe! Vielleicht finde ich nebenbei Dinge über sie heraus, die mir helfen bei … anderen Angelegenheiten.

»Trotzdem!«, sagte ich. »Ich habe eine Zeit lang mit ihr gedient und denke, sie hat für diese Sache genau die richtigen Fähigkeiten.«

»Denken Sie denn, sie würde überhaupt Interesse haben?«, fragte Dangler skeptisch.

Hinter ihr sah ich Müllkolonnen anrücken, mein schönes Geschütz zu recyceln.

»Was bietet ihr die Squadronica?«, fragte ich zurück.

Für mich selbst bat ich um nichts.

»Kein Kommando!«, sagte Dangler bestimmt.

Volltreffer! Genau das hätte Noona interessiert.

Anscheinend grinste ich, ohne es zu bemerken. Dangler fragte zumindest, warum ich grinse. Ich grinste weiter, weil ich mich schämte, gegrinst zu haben, ohne es zu wissen. Also falls es denn stimmte.

Ach, verflucht noch mal!

»Äh, also können Sie ihr wirklich kein Kommando anbieten? Ich weiß, sie ist Stalev, noch ganze drei Ränge vom Stalord entfernt und darf kein Schiff haben, aber geben Sie ihr doch irgendwas anderes. Eine Abteilung an der Fortress oder sowas.«

»Das kann ihr Vater ihr selbst geben! Titel und politische Ämter sind nicht unser Geschäft. Eine militärische Position vergibt allein die Squadronica – und Lady Striker hat sich kein Kommando verdient.«

Dangler beeindruckte mich erstmals ein wenig. Sie schien nicht ohne Weiteres korrumpierbar zu sein.

»Dann mache ich auch nicht mit. Sie finden bestimmt viele andere wie mich. Es war ohnehin nur ein dummer Zufall, dass Sie ausgerechnet auf mich gekommen sind«, sagte ich kurzentschlossen, drehte mich um und ging.

Oder? Muss ich bei Ablehnung dieser Anfrage eigentlich in Untersuchungshaft?

Ganz davon abgesehen ließ man als Stalev keinen Commodore einfach so stehen, fiel mir glühend ein.

»Warten Sie gefälligst, Woodman!«

Dangler seufzte.

»Frauen sind wirklich schlimmer als Männer. Ich muss es ja wissen«, sagte sie bittersüß.

Ich grinste.

»Schlimmer nicht, nur klüger.«

»Striker kann eine Forschungsabteilung oder ein Waffenlager haben«, bot sie zähneknirschend an.

»Sie wird eine Waffenfabrik haben wollen, also Forschungsabteilung plus Produktion plus Tests plus Lager«, sagte ich.

»Ich kann einem so jungen Stalev keine Waffenfabrik geben!«

»Gut, dann gehe ich«, sagte ich wieder.

Ok, das war vielleicht wirklich ein bisschen zu bockig. Dangler pfiff mich zurück und appellierte an meine Vernunft.

Ich sicherte zu, alles zu versuchen, Noona auch ohne Groß-Kommando zu bekommen. Ich hielt es aber wirklich für schwierig. Noona hielt nicht so wahnsinnig viel von mir.

»Bieten Sie ihr doch einfach den ganzen Strauß von Stalev Stadux-Privilegien an, ohne dass sie Stalev Stadux ist, Comodore! Das brächte diese Position doch weitestgehend mit sich. Das reicht vielleicht.«

Ich sah Dangler mit großen, fragenden Augen an und schwieg. Manchmal funktionierte der Einsatz dieses Kampfmittels sogar bei Frauen.

Sie seufzte.

»Eine Forschungsabteilung in einer Waffenfabrik ist möglich. Auch Test- und Produktionskapazitäten, nur nicht die ganze Fabrik … Sie wissen schon.«

Ich nickte. Ich würde es kurz und knapp schriftlich an Noona weiterleiten, gleich während der Rückfahrt.

Ein Gespräch mit ihr würde zu weit führen, möglicherweise eher kontraproduktiv sein.

»Wen wollen Sie noch? Sie sagten, sie brauchen zwei Crewies. Bekker zählt als Gefangene nicht dazu.«

Dangler machte den Eindruck, als müsse sie los. Sie sah sich immer wieder nach den anderen um, mit denen sie gekommen war. Die begaben sich auf den Rückweg zu ihrem InterTrafficer.

Ich nickte.

»Ja. Bekker plus zwei.«

»Aber nicht Pendra!«, sagte sie sehr bestimmt.

Ich lachte.

Schön wär´s, aber nein. Stan wäre zum jetzigen Zeitpunkt eine Katastrophe, vor allem in Kombination mit Noona. Vor allem für mich! Ich wusste nicht mal sicher, ob die beiden noch zusammen waren, aber gepasst hatte mir diese Beziehung nie.

»Das nicht, aber ich hätte gern Garrett.«

Auch wenn er dann vielleicht wieder denkt, ich verliebe mich doch noch in ihn, was ich nicht tun werde.