Ich war HEINTJE

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So gut es ging, versuchten Hendrik und Johanna, nach dem Tod der kleinen Ingrid wieder in ihren normalen Alltag zurückzufinden. Auch, weil sie nicht wollten, dass ihre beiden Jungen unter der traurigen Situation zu Hause zu sehr leiden müssen, aber intuitiv spürten beide Kinder die Trauer der Eltern. Sie blieben oft allein oder gingen auf Besuch zu Onkel Klaas und Tante Beppie, weil dort eine entspanntere Atmosphäre herrschte und die Trauer weniger spürbar war. George, der fünf Jahre älter ist als Heintje, kam in die erste Klasse der Schule des Viertels Sint Jan.

Heintje war noch bei der Mutter zu Hause und sah sie manchmal weinen. Dann wollte er sie trösten, indem er ihr etwas vorsang. Vielleicht wurde er deshalb, so erzählt Johanna später, so ein feinfühliges Kind. Auf der anderen Seite war Heintje ein aufgeweckter Bursche, nicht ängstlich und stets zu Streichen bereit, ein fröhlicher Junge, der mit großer Freude verfolgte, wie der Karnevalsumzug und die Fanfaren durch Heerlen zogen. Henriks Bruder meinte einmal so nebenbei, dass der Junge später vielleicht mal in einem Zirkus auftreten sollte! Auf jeden Fall glaubte er, dass die Bühne sein Zuhause werden könnte. Ins Leben seiner Eltern brachte er mit seiner Fantasie und seinen Kapriolen Fröhlichkeit. Neben seiner künstlerischen Seite steckte in ihm auch ein großer Lausbub. Wenn irgendwo im Viertel etwas los war, war Heintje mit Sicherheit dabei. Klingelte es an der Tür, wussten Vater und Mutter, dass er wieder etwas angestellt hatte. Doch konnte man ihn selten erwischen, meist war er schneller als der Blitz. Das brachte ihm im Viertel den Spitznamen »Sputnik« ein. Er war unruhig wie ein Sack voll Hummeln.

Hendrik in Brunssum

Der Vater war inzwischen von der »Oranje Nassau Mijn« zur »Prins Hendrik Mijn« in Brunssum versetzt worden, dort arbeitete er nur noch in der Tagschicht, was nicht ganz so anstrengend war. Jeden Morgen um halb sieben wurde Hendrik mit seinem von der Mutter gepackten »pungeltje«, in dem sein Mittagessen war, von einem Bus der Bergwerksgesellschaft abgeholt. Eine halbe Stunde später war er unter Tage. Die »Prins Hendrik Mijn« hatte mit 1058 Metern den tiefsten Schacht von ganz Holland und acht übereinanderliegende Fördersohlen. Sie war als sehr gefährlich bekannt und jeder wusste, dass hier oft Unfälle passierten. Eine Gasexplosion, die 13 Menschen das Leben kostete, wurde zum Beispiel 1928 ausgelöst, als sich bei einem Kontrollgang ausgetretenes Grubengas durch eine Benzinlampe entzündete. Weil dieser Unfall an einem Freitag, dem 13. passierte und auch 13 Todesopfer forderte, wurde er von den abergläubischen Einwohnern von Brunssum dem Teufel zugeschrieben. Wieder 13 Todesopfer waren 1947 zu beklagen. Diesmal war ein Feuer in einem Lüftungsschacht ausgebrochen. Das Wissen um die immer gegenwärtige Gefahr schaffte ein starkes Band der Zusammenhörigkeit bei den Frauen und Kindern der Kumpel.

Manchmal, wenn der Vater einen freien Tag hatte, durfte Heintje mitfahren auf dem »Töff«, der Bergwerksbahn, und sie bestiegen zusammen den Förderturm des Bergwerks. So beeindruckend der weite Blick vom Turm auf die Erdoberfläche war, so eng und beängstigend war der Blick in den Schacht, der unter die Erde führte. Davor hatte das Kind Angst. Nie würde er mit dem Vater in den Lift steigen, um nach unten zu fahren. Nach der Fahrt auf den Turm kaufte der Vater Heintje eine »penny wafel« (eine knusprige Waffel mit Schokoladenfüllung).

Hin und wieder holte Heintje seinen Vater vor der Schachtbaracke ab, in die die Kumpel nach Ende ihrer Schicht gingen, unerkennbar und schwarz von Kohlenstaub! Man säuberte sich in den Duschräumen des Minengebäudes, wo die Männer einander die Rücken schrubbten. Der Anblick der mit Staub und Ruß beschmierten Männer prägte die oft gehörten Worte des Vaters fest in Heintjes Kopf ein. Nie und nimmer, so versprach er sich selbst, wird er je einen Fuß in ein Bergwerk setzen. Einen Vorsatz, den er 40 Jahre später ein bisschen bereute. Der Vater mochte gedacht haben, das sei Desinteresse von Heintje, aber es war eine große, tiefe Angst.

Nach dem Kindergarten ging Heintje genau wie sein Bruder George in die katholische Grundschule Sint Jan in der Pannesheidestraat in Heerlen. Er war ein mittelmäßiger Schüler, ließ sich leicht ablenken und träumte davon, Fußballer zu werden. Auch Musik hatte er gern. Piet de Munter, ein bekannter Tenor, wohnte im gleichen Viertel und Heintje hörte oft dessen Gesang, wenn er durch die Straße lief. Einmal fragte er Piet de Munter, ob er mit ihm singen dürfe. So sangen beide bald die populären Lieder der Zeit zusammen. Heintje genoss das aus vollem Herzen. Doch war er nicht nur wegen des Singens im Viertel bekannt, sondern vor allem durch seine Streiche. Zu Hause ging es langsam besser und groß war die Freude dann auch, als am 6. Juni 1959 noch einmal ein Mädchen geboren wurde, das die Eltern wieder Ingrid nennen.

Als Heintjes zweites Schuljahr begann, wurde Vater Simons wegen Staublunge entlassen und musste sich mit seiner angeschlagenen Gesundheit eine andere Arbeit suchen, was natürlich finanzielle Konsequenzen hatte. Er hatte 24 Jahre – von seinem 16. bis zu seinem 40. Lebensjahr – unter Tage gearbeitet. Dazu kam noch, dass die Familie aus dem Haus in der Middelburgstraat, das der Bergwerksgesellschaft gehörte, ausziehen musste. Fast ein Vierteljahrhundert hatte Hendrik das schwarze Gold aus der Erde geholt, immer sein Bestes gegeben und seine Gesundheit bei dieser Arbeit ruiniert.

Der erzwungene Umzug war eine bittere Pille für die Familie. Außer der Plackerei, die ein Umzug mit sich bringt, bedeutete das Umziehen sozial gesehen eine enorme Zurücksetzung, gar nicht zu reden von den finanziellen Sorgen, die es mit sich brachte. Einen Tag nach Heintjes erster Kommunion zog die Familie von Heerlen in die etwas weiter gelegene Ortschaft Eygelshoven. Dort war ein Café zu vermieten. Mit dem Geld, das sie damit zu verdienen hofften, wollten Hendrik und Johanna die finanzielle Einbuße ausgleichen.

Eygelshoven 1962

Das Café »De Sport« lag in der Wimmerstraat 7. Hier begann die Familie Simons 1962 ihr Abenteuer im Gastgewerbe.

Der Bruder George und der fünf Jahre jüngere Heintje kamen hier auf die katholische Sint-Jan-Schule in der Anselberglaan, die den gleichen Namen trug wie ihre alte Schule in Heerlen. Der Vater stürzte sich auf das Organisieren der nötigen Bewilligungen, etwas, das er gern machte. Neben dem obligaten Bier, das 50 Cents kostete, hatte das Café eine kleine Karte mit Leckerbissen, die die Mutter in der kleinen Küche selbst zubereitete. Wenn Hendrik mit seinem »Papierkram« beschäftigt war, übernahm Johanna das Geschäft hinter der Bar.

Was Heintje aus dieser Periode in Erinnerung blieb, war der Zahltag: »Jeden Freitag, wenn die Bergleute ihren Lohn bekamen, versammelten sich nachmittags die Frauen vor unserer Tür und warteten auf ihre Männer, die nach der Auszahlung direkt ins Café gingen. Jede nahm ihrem Mann die Lohntüte ab und die meisten gaben dem Mann dann fünf oder zehn Gulden Trinkgeld. So konnten sie sicher sein, dass nicht der komplette Inhalt der Lohntüte in der Kasse des Cafés ›De Sport‹ verschwand. Dadurch war jeder Freitagnachmittag für das Café ein Festtag.«

Zu dieser Zeit blühte auch die Popmusik richtig auf, und im Café gab es eine Wurlitzer Musikbox, die immer mit den neuesten Hits bestückt war.

Wenn die Simons-Kinder nachmittags gegen 16 Uhr aus der Schule heimkamen, gingen sie ins Café, um Vater und Mutter zu begrüßen. Um diese Zeit begann sich das Café an der Wimmerstraat zu füllen und man hörte aus dem Lautsprecher regelmäßig »The Mamas & The Papas«, Jim Reeves und Elvis Presley. Unbewusst bekamen die Kinder jeden Tag etwas davon mit. So klang auch das von dem italienischen Wunderkind Robertino Loreti gesungene Lied Mamma regelmäßig aus den Lautsprechern, denn die 1961 herausgekommene Single war auch in der Jukebox der Familie Simons zu finden. Im Süden der Niederlande gab es damals viele italienische Gastarbeiter, die in den belgischen und holländischen Bergwerken arbeiteten. Diese Männer waren oft zu Tränen gerührt, wenn das Lied Mamma durch das Café schallte. Dann wurden sie von den Einheimischen manchmal wegen ihrer Rührseligkeit ein bisschen aufgezogen.

Doch einer konnte nachfühlen, was dieses Lied bei den Männern aufwühlte, ohne dass er auch nur ein Wort davon verstanden hatte. Heintje bat seinen Vater, ihm einen Koffer-Plattenspieler zu kaufen, damit er sich diese Single jederzeit anhören konnte und um seine Aussprache zu perfektionieren. Nach gewisser Zeit konnte er das Lied fehlerlos phonetisch mitsingen. Vater und Mutter wussten nicht genau, wen sie hörten, und waren damit seine ersten Bewunderer. Nun prahlte Vater Hendrik, dass sein Sohn diese Gabe nicht von einem Fremden habe! Von vielen Familienfesten oder Veranstaltungen im Café kannte man die Gesangseinlagen von Hendrik und Johanna Simons. Doch ihr Sohn war ein ungewöhnliches Talent. Auch Gäste, die ins Café kamen, waren sehr angetan von der hellen und reinen Stimme dieses Jungen. Manch einer riet ihm, ein Instrument zu lernen, aber Heintje wusste genau, was er wollte. Er mochte nicht in ein Orchester oder eine Band, er wollte vorn im Rampenlicht stehen! Er hörte alte Aufnahmen von Enrico Caruso und sah den Film The Great Caruso, in dem der Tenor Mario Lanza die Rolle von Caruso spielte.

Die Sterbeszene von Carusos Mutter machte einen tiefen Eindruck auf ihn. Heintje wusste genau, singen und in Filmen mitspielen war das, was er später machen will. Aber von seinem Zimmer in Eygelshoven bis zur Bühne schien der Weg unendlich weit. Manchmal träumte er davon, dass er mit den Worten »Und hier, meine Damen und Herren, ist Heintje!« angekündigt wird. Solche Träume spornten ihn an, er verwirklichte sie in seinen Spielen und schmückte sie aus. Wie er sein Ziel erreichen konnte, wusste er noch nicht, aber sobald sich die Chance ergeben würde, wollte er sie mit beiden Händen ergreifen. Wenn er aus solchen Wachträumen in den Schlaf hinübergleitete, ahnte er nicht, wie nahe er dieser Chance war.

 

»De Hannibar« in Bleyerheide

Angespornt durch den Erfolg des Cafés in Eygelshoven, entschlossen sich Vater und Mutter 1965, den Schritt zu wagen und ein größeres Geschäft zu eröffnen. Im zwei Kilometer entfernten Nachbarort Kerkrade-Bleyerheide war ein Lokal zu vermieten, das früher ein Café gewesen war und in den letzten Jahren als Frisörsalon genutzt wurde. Hendrik und Johanna wollten den Salon wieder in ein Café zurückverwandeln. In Bleyerheide hofften sie auf bessere Geschäfte als in Eygelshoven. Trotzdem half Vater Simons in der ersten Zeit, wenn er im Café nicht gebraucht wurde, ab und zu bei einer Baufirma als Handlanger aus, denn, auch wenn das staatliche Bergwerk fast um die Ecke lag, war er nicht mehr gesund genug, um unter Tage zu arbeiten.

Heintje kam auf die katholische St.-Josef-Schule in der Pannesheidestraat, wo man Jungen und Mädchen noch separat unterrichtete. Hier wurde er in die 4. Klasse versetzt. »Das Schönste an dieser Schule waren die Pausen«, erzählt er später.

Der Ort hatte ein reges Vereinsleben, sodass man Veranstaltungen organisieren, Partys ausrichten und zusätzlich auch Tanzunterricht geben konnte. Alles Dinge, die wegen der beschränkten Räumlichkeiten in Eygelshoven nicht möglich waren. Also wurde wieder umgezogen. Das Café wurde nach Johanna »De Hannibar« genannt. Das Haus an der Dr. Ackensplein 27 hatte auf seiner Rückseite eine kleine Küche, aus dem Rest des Erdgeschosses wurde wieder ein Café gemacht. Oben gab es ein großes Wohnzimmer, von dem aus man den ganzen Dorfplatz übersehen konnte, im zweiten Stock befanden sich die Schlafzimmer. Dem Haus schräg gegenüber, auf einem steinigen Hügel des Platzes, stand ein Christusbild. »So kann er uns immer im Auge behalten«, hat Vater Simons oft scherzhaft bemerkt. Vom Platz aus gesehen rechts neben »De Hannibar« gab es in Nachbar Wiel Saldens Salon Fritten und Eis. So eine Nachbarschaft gefiel den Kindern natürlich, denn Eis und Pommes Frites gleich nebenan zu haben, war zweifellos ein »Standortvorteil« des neuen Domizils. Sollten sie je Zweifel am Sinn des Wohnungswechsels gehabt haben, so überzeugte sie die Nähe dieses Geschäfts zu 100 Prozent.

Ein Talent wird entdeckt

De hemmel op aarde bestaat, en heet Heintje.

(Den Himmel auf Erden gibt es, er heißt Heintje.)

Das Jahr 1966 begann unruhig. Am 10. März wurde bei der Hochzeit von Prinzessin Beatrix und Prinzgemahl Claus eine Rauchbombe geworfen. Außerdem gingen die Bauarbeiter auf die Straße – Vorzeichen, dass die Zeiten sich bald ändern werden.

Eine Tafel Schokolade und ein Kaninchen

In »De Hannibar« versuchten Hendrik und Johanna alles, um ihre Gäste so weit wie möglich zufriedenzustellen. Johanna war eine nette, charmante Erscheinung hinter der Theke. Bleyerheide hatte in dieser Zeit etwa 22 Cafés. In »De Hannibar« besaß man, ohne es zu wissen, einen rohen, ungeschliffenen Diamanten. Der Trumpf, der die anderen Cafés ausstach, war der Sohn des Hauses. Die Konkurrenz, das vier Häuser weiter gelegene Café Ackens, das seit 1915 bestand, schickte den Sohn Wiel, um zu fragen, ob Heintje zum jährlichen Klubabend des Kaninchenzüchtervereins singen möchte. Für eine Tafel Schokolade und ein Kaninchen sang der Junge die Sterne vom Himmel. Aber auch zu Hause in »De Hannibar« traute er sich mehr und mehr, zu den populären Songs aus der Jukebox mitzusingen. Das sprach sich in der Umgebung herum und kam auch Jo Austen, dem Besitzer des Cafés »Het Pintje« zu Ohren.

Sein Café war ebenfalls in der Bleyerheidestraat und keine 400 Meter von »De Hannibar« entfernt. Er hörte von seinen Kunden von dem Gesangswunder aus dem Nachbarcafé und beschloss, neugierig geworden, selbst einmal dort hineinzuschauen und Bekanntschaft mit den neuen Eigentümern zu machen. Austen erinnert sich noch Jahre später genau, wie sich das Kennenlernen abgespielt hat. »Wir sprachen über Minister Den Uyl, der angekündigt hatte, die Bergwerke, eines nach dem anderen, zu schließen, und was das für Folgen für das Leben in Limburg haben wird. Hendrik erzählte über sein Leben unter Tage, wo er 24 Jahre lang sein Bestes gegeben hat und dass die Arbeit schließlich seine Gesundheit ruinierte. Er war keiner von denen, die sich immer und überall beklagen, sondern ein realistischer Mann mit einem klaren Blick auf die Welt. Das Café sollte jetzt, da er für die Arbeit unter Tage nicht mehr taugte, seine Rettung sein. Natürlich war ich neugierig auf diesen Jungen, über den man so viel hörte, und war gespannt, ob ich ihn an diesem Mittag noch zu sehen bekam.

Nachdem ich ein paar Biere getrunkenen hatte, kommt ein Lausbub ins Café und fragt, ob er ein Kwartje (25 Cents) für die Jukebox haben kann, und einen Moment später hörte ich aus der Musikbox O Sole Mio von Robertino Loreti gesungen. Wie vom Himmel herunter hörte ich von hinten aus dem Café eine Stimme, die mitsang, so kräftig und sauber. Ich dachte, was ist das? Ist das die Stimme, von der jeder im Viertel erzählt? Ich drehte mich um, da war er und stand vor mir. Der gleiche Lausbub von eben, ein Dreikäsehoch, aber mit einem Volumen in der Stimme, so unvorstellbar groß, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. ›Heiliger Strohsack, ist das dein Sohn, den ich da höre?‹, fragte ich seinen Vater. ›Der Junge übertrifft ja alles. Glaub’ mir‹, sagte ich zu Hendrik Simons. ›Hier gegenüber auf dem Dorfplatz hängt am Kreuz ein Weltwunder, aber weißt du, dass du auch eines im Haus hast? So eine Stimme, so gewaltig, das muss die Welt zu hören bekommen.‹«

In diesem Moment wurde beschlossen, dass Jo dem Jungen etwas unter die Arme greifen und versuchen sollte, hier und da einen Auftritt zu organisieren. Anfangen wollte er damit in seinem eigenen Café »Het Pintje«. Vater gab Jo freie Hand. »Mach, was du willst, meinen Segen hast du«, sagte Hendrik. Also ging Heintje regelmäßig mittwochnachmittags zu Jo Austen zum Üben. Das Repertoire der damaligen Zeit bestand vorwiegend aus Schlagern wie O Sole Mio, Mamma und So ein Tag, so wunderschön wie heute. Als Austen meinte, dass Heintje die gängigen Lieder fehlerfrei vortragen könne, organisierte er einen Auftritt knapp jenseits der Grenze in Deutschland. Ein befreundeter Gastro-Unternehmer, Jo Braun, betrieb dort eine Gaststube, in der sonntagnachmittags viele Nachwuchskünstler ihre Gesangskünste präsentieren durften. Als Heintje seine Stimme dort hören ließ, war das Publikum wie von Sinnen. Für diesen ersten Auftritt bekam er 10 DM. »So hat es angefangen«, erzählt Austen und denkt an diese Zeit zurück. Heintje Simons war damals zehn Jahre alt.

Eine Bühne für Heintje

Ab und zu, wenn Kunden ihn baten, nahm Heintje in »De Hannibar« neben der Jukebox Platz und sang die Tophits der Zeit mit. »Das war lustig und unterhaltsam zugleich«, erinnert sich der frühere Nachbarsjunge Leo Schroeders. Die erste Gage von 10 Mark im Jahr 1966 war ein kleines Kapital für dieses Kind. Jo Austen versprach, ein Sparschwein für ihn zu kaufen, und von da an sollte das Geld, das er mit dem Singen verdiente, im Bauch des Schweins verschwinden. Heintje wollte dafür, so erinnert sich Austen, an Weihnachten ein schönes Geschenk für seine Eltern kaufen. Die Zeit, in der er nur für Schokolade sang, war damit vorbei. Ab jetzt musste bezahlt werden, wenn man Heintje singen hören wollte, das war Jos Einstellung. Er tat, was er konnte für Heintje, wusste aber, dass er mit seinen Möglichkeiten dem Jungen nicht gerecht werden konnte.

Intuitiv spürte er, dass dieses Talent zu groß war, um nur in Bleyerheide und Umgebung aufzutreten. Natürlich wäre es schön, Heintje hin und wieder in einem Billardsaal oder einem Altersheim singen zu hören, aber dieser Junge, das wusste Austen, musste in die Welt hinaus. Lange konnte Jo seinen Schützling nicht unter seiner Obhut halten, dazu hatte Heintje zu viel Talent. In Bleyerheide wurde er immer populärer, aber er blieb immer noch ein richtiger »Baslap«, das limburgische Wort für Lausbub. Auch war er ein sensibles Kind, das seinem Vater versprach: »Wenn ich jemals mit Singen genug Geld verdiene, musst du nicht mehr arbeiten!« Der Vater schmunzelte über so viel Mitgefühl, während Königin Juliana im Fernsehen die Hochzeit ihrer Tochter Margrit mit Pieter van Vollenhoven am 19. Januar nächsten Jahres ankündigte

Talentshow in »Het Streeperkruis«

Wir schrieben das Jahr 1967, das Sportprogramm, Langs de lijn (Entlang der Linie), war zum ersten Mal im holländischen Radio zu hören, auch in den beiden holländischen Fernsehsendern wurde dafür Werbung gemacht. In »De Hannibar« lag am 25. März 1967 Limburgs Dagblat auf dem Tisch. Die Mutter las darin, dass im Tanzlokal »Het Stree- perkruis« in Schaesberg am 29. April eine Talentshow stattfinden sollte, bei der Vertreter von Radio Luxenburg und der Plattenfirma Phonogram anwesend sein würden. Der 1. Preis des Wettbewerbs war ein Vorsingen bei der Plattenfirma. Der Abend sollte mit einem Auftritt der in Holland beliebten Künstler »Willy & Willeke Alberti« enden. Ganz nebenbei bemerkte Mutter Simons, dass das etwas für Heintje wäre. Das stieß nicht auf taube Ohren. Wochen vergingen und Heintje kam mehrmals auf die Bemerkung der Mutter zurück.

Die Talentshow fand am Samstag vor Ostern statt, eigentlich war das ein schlechtes Datum, fand Vater Simons, denn das Osterwochenende brachte im Café immer viel Arbeit. Jemand sollte Heintje begleiten, aber die Mutter musste eigentlich im Café helfen. Überhaupt meinte der Vater, dass der Junge gar keine Chance hätte mit seinem seriösen Repertoire, für ihn war es Verschwendung von Zeit und Energie, was Heintje singe, entspreche nicht dem Zeitgeschmack, sagte er dem Jungen. Jetzt waren die »Rolling Stones« und die »Beatles« angesagt. Damit wollte er HeintHeintje nach Schaesje eine Enttäuschung ersparen. Aber der war fest entschlossen und ließ sich durch nichts davon abbringen, er wollte an der Talentshow teilnehmen. Die Mutter gab endlich nach, wenn ihr Sohn unbedingt mitmachen möchte, würde sie ihn anmelden.

Am Samstag, dem 29. April, war es dann so weit. Die Mutter und Tante Beppie reisten mit Heintje nach Schaesberg, wo die Talentshow stattfand. In der Jury saßen Jean van Libergen, ehemals Chef der Abteilung Künstler und Musiker des Arbeitsbüros in Heerlen, seine Frau sowie Fräulein Begas, die Sekretärin van Libergens, ebenso Abel Postma von der Plattenfirma Phonogram, der auch das bekannte Duo »Willy & Willeke Alberti« begleitete; Frans ter Heggen war der Vertreter von Radio Luxemburg.

Die Noten der Wettbewerbsbeiträge mussten vor dem 15. April eingeschickt werden. Heintje brachte keine Noten und auch keinen Pianisten oder Gitarristen als Begleitung mit. Er meinte, er könne doch eine Platte von Robertino auf seinem Koffer-Plattenspieler abspielen und dazu singen.

So sah man an diesem Abend einen hübschen Jungen mit seiner Mutter und seiner Tante in den Saal kommen. Der Moderator fragte, wer ihn begleiten solle, da kam die Wahrheit an den Tag. Er möchte zu seinem mitgebrachten Koffer-Plattenspieler singen, zur Stimme, die dort auf der Platte ist. Das stieß erst einmal auf Widerstand, besonders bei den anderen Kandidaten. Man argumentierte, dass es unter diesen Voraussetzungen nicht fair sei, an der Talentshow teilzunehmen, weil man die Originalstimme auf der Platte ja mithört. Aber eigentlich nahm niemand Heintje richtig ernst, er war ja nur ein kleiner Junge von zehn Jahren. Er hatte ein unschuldiges, einnehmendes Aussehen, und wegen seiner offensichtlichen Unbefangenheit und seines amateurhaften Auftretens entschieden die Organisatoren, ihn machen zu lassen. Einfach weil niemand erwartete, dass dieses Kind auch nur die Spur eine Chance haben würde. Die Vorbereitungen wurden mitleidig belächelt, ein Plattenspieler aufgestellt, ein netter Junge daneben, der nicht so aussah, als ob er die Musikwelt aus den Angeln heben könnte.

Kaum hatte sich die Nadel auf die Vinylplatte gesenkt und die ersten Takte des Intros waren verklungen, setzte Heintje ein. Die Stimme von Robertino wurde in vollem Umfang durch diese klare junge Tenorstimme übertönt. Hier auf der Bühne stand ein Junge, der mit einer Inbrunst und Überzeugung sang, als ob sein Leben davon abhänge. Die Menschen applaudierten, jubelten Heintje zu, kletterten auf die Stühle und waren total aus dem Häuschen.

Willy Alberti und seine Tochter Willeke waren an diesem Abend Zeugen der Entdeckung eines großen Talents, das auf der Bühne von »Het Strepperkruis« vor aller Augen zeigte, was in ihm steckte. Willy war außer sich vor Freude und prophezeite Heintje eine große Zukunft, er versprach, bei seiner Plattenfirma Phonogram, bei Abel Postma, vorzusprechen, um Heintje zu fördern. Um das zu bekräftigen, drückte er dem Jungen 25 Gulden in die Hand, für ein Kind in dieser Zeit ein kleines Vermögen.

 

Jean van Libergens Spürnase

Aber noch einer der Anwesenden hatte eine Nase für Talente. Jean van Libergen, Organisator des Wettbewerbs und Vorsitzender der Jury. Jean war einmal in der Arbeitsvermittlung von Heerlen beschäftigt, und hatte dort die Abteilung »Musiker und andere Künstler« geleitet. Er war selbst ein professioneller Pianist und kannte das Metier von innen und außen, hatte in einem Plattengeschäft bei van Hoepen am Vrijthof in Maastricht gearbeitet und war mit den Vertretern verschiedener Plattenfirmen bekannt. Wenn die Vertreter ihre Runde im Süden der Niederlande machten, trafen sie sich mit Jean immer donnerstags in seinem Büro. Auf diesen Treffen hat er schon mehrmals neue Talente vorgestellt. So war auch Irene Lardy, die an dem Abend im »Het Streeperkruis« als Stargast aufgetreten war, zu ihrem Vertrag bei CNR gekommen.

Ein solches Treffen gab es ebenfalls am Donnerstag, dem 11. Mai, ganze anderthalb Wochen nach der Talentshow in Schaesberg. An diesem Tag erzählte Jean den Vertretern, was für ein großes Talent er letzten Samstag hatte gewinnen sehen. Die meisten waren misstrauisch. Arbeit mit Kindern brachte immer Probleme mit sich. Sie wussten, wie lästig Eltern sein können, auch der Schule musste Rechnung getragen werden und dann war da noch das Kinderamt mit der Arbeitsinspektion. Es gab ein Gesetz »van Houten« von 1874, das verbot, dass Kinder unter 16 Jahren arbeiten. Das alles wussten die Vertreter und machten keinen Hehl daraus, dass sie sich mit einem Kind von zehn Jahren, so alt war Heintje gerade, nicht belasten wollten.

Einer der Vertreter war allerdings interessiert, es war Fritz Burdorf von CNR (Cornelis Nicolaas Rood). Burdorf ließ wissen, dass seine Plattenfirma eventuell Interesse habe, aber er wollte erst mit eigenen Ohren hören, worüber van Libergen so begeistert erzählte, bevor er sich bei seinem Vorgesetzten, Hans van Zeeland, für den Jungen stark machen würde. Zusammen entschieden sie, am nächsten Morgen, dem 12. Mai, nach Bleyerheide zu fahren.

Jean van Libergen: »Nachdem wir uns in ›De Hannibar‹ vorgestellt und gesagt hatten, weshalb wir gekommen sind, war Vater Simons erst einmal argwöhnisch, weil immer noch eine Option mit Philips/Phonogram im Raum stand. Wir haben Simons Senior überzeugen können, dass er jetzt keine Bindung eingehen muss und wir nur gekommen seien, weil Fritz Burdorf Heintje gern einmal singen hören möchte. Der Junge war noch in der Schule und wir mussten warten, bis er nach Hause kommt. Es wird geplaudert über alles oder nichts, eigentlich sehr gemütlich. Weil es in ›De Hannibar‹ keine Begleitinstrumente gibt, schlägt Heintjes Mutter vor, zu jemandem im Viertel zu gehen, der ein Klavier im Haus hat. Das wäre kein Problem, ich war früher einmal Pianist, sage ich. Noch jetzt, nach 50 Jahren, weiß ich genau, welche Lieder ich gespielt habe. Wir fingen an mit Mamma, dann kam O Sole mio, und nachher noch ein österreichisches Weihnachtslied Heidschi Bumbeidschi. Schon komisch, dass genau diese Lieder später so große Hits geworden sind.«

Burdorf war überwältigt. Sein Geschäftssinn sagte ihm, dass er hier auf eine Goldader gestoßen sei, und er telefonierte noch am selben Abend mit seinem Büro. »Ich war länger geblieben und war noch da«, erinnert sich van Zeeland. Am Telefon erzählt Fritz Burdorf enthusiastisch, was er diesen Morgen gehört hatte, und fügt noch hinzu, dass, wenn sie, CNR, etwas mit dem Jungen anfangen wollten, schnell reagiert werden müsse, weil Philipps/Phonogram auch hinter ihm her sei. »Gleich darauf habe ich unseren Produzenten Addy Kleijngeld angerufen«, berichtet van Zeeland, »und ihn gefragt, ob er sich das eine oder andere Lied anhören wolle, aber es muss schnell gehen.« Kleijngeld versprach, sich darum zu kümmern, und nahm Kontakt mit Jean van Libergen in Maastricht auf.

Addy Kleijngeld bekommt einen neuen Schüler

Am Freitag, dem 19. Mai, hatte sich Kleijngeld vorgenommen, van Libergen zu besuchen, um das Weitere zu besprechen. Aber er bekam erneut einen Anruf von CNR, Hans van Zeeland war am Telefon: Ob er unterdessen den Jungen schon singen gehört hatte? Van Zeeland legte Kleijngeld ans Herz, besser so schnell wie möglich nach Bleyerheide zu reisen, weil er gehört hatte, dass auch Willy Alberti für Phonogram Kontakt aufnehmen wollte.

Am Samstag, dem 20. Mai, drei Wochen nach der Talentshow, betrat Addy Kleijngeld, ausgerüstet mit seinem Akkordeon, mittags »De Hannibar« am Dr. Ackensplein. Mutter Hanni stand hinter der Theke, als Kleijngeld hereinkam und sah auf den ersten Blick einen netten bescheidenen Mann, der sich neugierig umschaute und sich dann nach Heintje erkundigte. »Eigentlich hatte ich gleich Vertrauen zu ihm«, erzählt sie später. »Gestern Mittag«, sagte Kleijngeld, »habe ich mit Ihrem Mann telefoniert, dass Ihr Sohn jetzt zu Hause sein müsste.« »Das stimmt«, meinte die Mutter, »er ist beim Fußballspielen auf dem kleinen Platz hinter dem Haus.« Sie sollte ihn hereinrufen, weil ein Herr von der Plattenfirma da wäre, der ihn gern singen hören möchte, bat Kleijngeld. Vom Akkordeon begleitet, sang Heintje dann Mamma und O Sole mio. Nach diesen zwei Stücken sagte Addy Kleijngeld, dass Heintje wieder weiter Fußball spielen gehen könne. Er hatte genug gehört.

Dann schlug Kleijngeld Vater und Mutter Simons vor, mit ihm einen kleinen vorläufigen Vertrag aufzusetzen. Auch diesmal wiesen die Eltern Kleijngeld darauf hin, dass Phonogram/Philips die Option auf einen Vertrag besäßen. Die war an den ersten Preis gekoppelt und jeder Teilnehmer des Wettbewerbs hatte das unterschrieben.

Kleijngeld berichtete, dass er schon für Johnny Hoes gearbeitet hatte und auch mit den Selvera’s und Gert Timmerman Erfolg hatte. Das machte natürlich Eindruck. Weiter erzählte er, dass er viel für Philips gearbeitet hatte und den Direktor sehr gut kenne. Er wollte, wenn die Familie zustimmte, Kontakt mit ihm aufnehmen, um zu schauen, ob man die Option rückgängig machen könne. »Phonogram hat schließlich schon drei Wochen nichts von sich hören lassen«, bemerkte Kleijngeld beim Ende dieses Besuches so nebenbei. Zu Hause angekommen, telefonierte Addy sofort mit Hans van Zeeland: »Es könnte klappen«, gibt er ihm zu verstehen, »ich glaube, ich habe Eindruck auf diese Leute gemacht!«

Gleich am Montag sprach Addy mit Phonogram. Der damalige Direktor Jack Haslinghuis und Addy Kleijngeld kannten einander. Addy hatte schließlich für Phonogram schon bei verschiedenen Hits mitgespielt und dabei einige Male geholfen, Künstler von Philips aus einem Tief wieder zum Erfolg zu bringen. Wenn er also gern mit dem Jungen arbeiten wollte, war Phonogram bereit, auf ihre Option zu verzichten, denn mit Kindern zu arbeiten, sei ja immer lästig, sagte der Chef-Produzent Abel Postma, der bei der Talentshow in Schaesberg mit in der Jury saß, und im Grunde glaube er nicht, dass Heintje Simons die Sensation der Sechzigerjahre wird, sagte er zu Haslinghuis.

Noch am selben Tag, Montag, dem 22. Mai, besuchte Fritz Burdorf noch einmal das Café in Bleyerheide, diesmal mit einem Vertrag in der Hand. Van Zeelands Auftrag an Burdorf: Er sollte mit einem unterschriebenen Vertrag zurückkommen. Vater Simons war mit den Konditionen zuerst nicht einverstanden und wahrscheinlich musste Fritz Burdorf mehrmals mit seinem Büro telefonieren. Aber er war ein guter Vertreter, konnte reden wie ein Buch und schließlich unterschrieb Vater Simons den Vertrag. Die erste Schlacht war gewonnen! Heintje Simons war von diesem Moment an der jüngste Künstler, der bei CNR unter Vertrag stand.

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