Die Wassernixe

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Ich gebe Ihnen mein Wort dafür, Capitän Ludlow, daß Ihr unzeitiges Erscheinen im Pavillon unbescheiden ist, um es nicht grausam zu nennen,« sagte sie, sobald sie wieder allein waren; »daß ich Ihnen aber auf irgend eine Weise ein Wort gesagt habe, welches Ihre Unklugheit rechtfertigte, muß ich so lange bezweifeln, bis Sie es beweisen.«

»Ich hatte vor, einen ganz andern Gebrauch von diesen Zeilen zu machen,« erwiederte Ludlow, indem er seiner geraden, männlichen Denkweise sichtlich Zwang anthat und einen Brief aus seinem Busen hervorzog; »und sogar jetzt schäme ich mich, sie aufzuweisen, obgleich Sie selbst mir es befehlen.«

»Hier hat irgend ein Zauber Wunderbares gewirkt, wenn mein Gekritzel von solcher Wichtigkeit ist,« bemerkte Alida und ergriff das Billet, welches je geschrieben zu haben, sie jetzt zu bereuen anfing. »Entweder läßt die Sprache der Höflichkeit und des weiblichen Anstandes seltsame Verdrehungen zu, oder nicht alle Leser sind gute Ausleger.«

Die schöne Barbérie verstummte von dem Augenblick an, wo sie den Blick auf das Papier geworfen. Eine immer höher sich spannende Neugierde verdrängte alles Andere aus ihrem Gemüthe, selbst den Unwillen, der sie so heftig bewegt hatte. Wir geben den Inhalt de« Briefes genau in denselben Worten, welche in der lesenden Schönen so viel offenbares Erstaunen, vielleicht auch einige Unruhe erregten. Das Billet war in einer zarten, schönen, weiblichen Hand geschrieben, und lautete also:

»Das Leben eines Seemanns ist voller Gefahr und Mühen. In Frauen erregt es Zutrauen durch die Offenherzigkeit, die es erzeugt, und seine vielen Entbehrungen berechtigen es zur Nachsicht. Diejenige, welche dieses schreibt, ist gegen das Verdienst der Männer dieses Berufes nicht unempfindlich. Bewunderung der See und der darauf Lebenden ist stets ihre Schwäche gewesen, und die Freuden des Seelebens fehlen weder in den Gebilden, die sie sich von der Zukunft macht, noch in ihren Erinnerungen an die Vergangenheit. Die Sitten der verschiedensten Nationen kennen zu lernen, den Ruhm der Waffen zu theilen, die Umgebungen stets zu wechseln, dies, verbunden mit Beständigkeit der Neigung und dem Genusse immerwährenden Ueberflusses – sind Versuchungen, denen die weibliche Einbildungskraft erliegt, und die billig auch auf der Männer Urtheil Einfluß ausüben.«

Alida las, las aber- und abermals, mit angestrengten Blicken, als wollte sie die Worte auswendig lernen. Endlich wagte sie es, das Auge zu erheben, und dem jungen Manne in das erwartungsvolle Antlitz zu schauen. Mit einer Stimme, welche vor Stolz und Schmerz bebte, sagte sie:

»Und diese unzarte, unweibliche Rhapsodie hat Capitän Ludlow für gut befunden, mir zuzuschreiben?«

»Wen sonst konnte ich für die Verfasserin halten? Keine Andere, liebenswürdige Alida, vermag so reizenden Sinn in so passende Sprache zu kleiden!«

Des Mädchens lange Augenwimpern schossen einigemale heftig über die dunkeln Augen auf und nieder, bis sie der seltsam sich widersprechenden Gefühle ihres Innern Herrin geworden war. Dann wandte sie sich gegen ein kleines Schreibzeug aus Ebenholz, das neben ihrer Toilette stand, und sagte ernst:

»Mein Briefwechsel ist weder sehr wichtig, noch sehr ausgedehnt, allein er sey wie er wolle, so bin ich zum Glück für meinen Geschmack, obgleich nicht zum Glück für meine Klugheit, im Stande, die Kleinigkeit zu zeigen, welche ich als Antwort auf Ihren Brief zu schreiben für anständig hielt. Hier ist eine Abschrift,« fügte sie hinzu, öffnete das Brouillon ihres Briefes und las wie folgt:

»Ich danke dem Capitän Ludlow für die Aufmerksamkeit, mir die Geschichte der Unthaten der Boucaniers geliehen zu haben. Auch abgesehen von den allgemeinen menschlichen Gefühlen, ist es schmerzlich, daß es in einem Stande, der im Rufe der Großmuth steht und der Schonung gegen die Schwachen, so herzlose Menschen geben kann. Hoffen wir indessen, daß die sehr Bösen und Feigherzigen unter den Seeleuten nur da sind als Folien, um die Eigenschaften der sehr Tapfern und Männlichgesinnten desto mehr hervorzuheben. Niemand kann diese Wahrheit besser fühlen, als die Freunde des Capitäns Ludlow,« – bei dieser Stelle sank Alidas Stimme ein wenig – »der längst schon seiner Milde wegen bekannt ist. Als Erwiederung schicke ich Ihnen ein Exemplar des Cid von Corneille, der, wie der ehrliche François behauptet, alle anderen Dichter übertrifft, selbst den Homer, den François gewiß damit nicht verleumdet, da er ihn gar nicht gelesen hat. Indem ich Capitän Ludlow nochmals Dank sage für diesen neuen Beweis seiner vielen Aufmerksamkeiten, bitte ich ihn, das Buch so lange zu behalten, bis er von seiner beabsichtigten Seefahrt zurückgekehrt seyn wird.«

»Dieses Billet ist nur eine Abschrift von dem, welches Sie haben, oder haben sollten,« sagte die Nichte des Alderman, den auf das Papier gesenkten Kopf jetzt in die Höhe hebend; »bloß daß in meiner Abschrift der Name Alida de Barbérie nicht unterzeichnet ist.«

Als diese Erklärung vorüber war, saßen Beide stumm und erstaunt einander anschauend. Alida sah jedoch oder glaubte zu sehen, daß der junge Mann, trotz seiner vorherigen Behauptungen, sich über die Auflösung des Irrthums freute. Die Hochschätzung weiblicher Delikatesse und Zurückhaltung ist bei den Männern so allgemein und so natürlich, daß diejenigen darunter, welche in der Zerstörung jener Schranken am siegreichsten sind, selten der Reue über ihren eigenen Triumph entgehen, und wer wahrhaft liebt, kann nie lange frohlocken, wenn er an dem Gegenstande seiner Liebe die geringste Verletzung des streng Schicklichen wahrnimmt, selbst wenn sie aus Liebe zu ihm geschehen ist. Dieses lobenswerthe Gefühl übte jetzt auf Ludlow seinen wohlthätigen Einfluß; zwar hatte die Wendung, welche die Sache nunmehr gewann, manches Demüthigende für ihn, aber dennoch fielen ihm die Zweifel, entstanden durch die ungewöhnliche Sprache in dem vermeintlich von seiner Angebeteten geschriebenen Brief, wie Centnerwucht vom Herzen. Seine Züge, so offen und der Verstellung so unfähig, wie es nur immer die eines Seemanns seyn können, machten es seiner Gefährtin leicht, zu lesen, was in seinem Innern vorging. Wohl freute sie sich heimlich, ihren früheren Platz in seiner Achtung wieder gewonnen zu haben, aber nun fing es erst an, sie recht zu verdrießen und zu verwundern, daß sie diesen Platz je verloren, daß er je gewagt, ihr Zartgefühl in Zweifel zu ziehen. Sie hielt das unbegreifliche Billet noch zwischen den Fingern und starrte die Schrift an, als wollte sie etwas errathen: endlich schien ein Gedanke in ihr aufzublitzen, und das Papier zurückreichend, sagte sie kalt:

»Capitän Ludlow wird ja wohl seine Correspondentin kennen; ich irre sehr, oder dies ist nicht die erste Mittheilung von derselben Hand.«

Der Jüngling ward roth bis an die Stirn, und bedeckte einen Augenblick das Gesicht mit beiden Händen.

»Sie räumen die Wahrheit meines Verdachtes ein,« fuhr die schöne Barbérie fort; »Sie werden es daher auch nur gerecht finden, wenn ich hinzufüge, daß in Zukunft« –

»Hören Sie mich, Alida,« rief der Jüngling halb athemlos vor Eile, einer Entscheidung, die er fürchtete, zuvorzukommen; »schenken Sie mir Gehör, und so wahr der Himmel mein Richter ist, Sie sollen nur Wahrheit hören. Ich gestehe es, dies ist nicht der erste Brief von derselben Hand, noch, ich räume es ein, der erste in demselben Ton; aber bei der Ehre eines treuen Offiziers betheure ich: bis die Umstände meinen Glauben zu rechtfertigen schienen, daß ich so glücklich... so... sehr glücklich...«

»Ich verstehe Sie, Sir; das Werk war anonym, bis Sie für gut fanden, meinen Namen davorzusetzen, als wäre ich die Verfasserin. Ludlow! Ludlow! wie niedrig dachten Sie von dem Weibe, das Sie zu lieben vorgeben!«

»Das wäre unmöglich! Nur wenig komme ich mit Menschen zusammen, welche gesellschaftliche Finesse zu ihrem Studium machen; hingegen liebe ich meinen edeln Stand, und da war's wohl nicht so unnatürlich zu glauben, daß er anderen Augen im gleichen Licht erscheinen könne. Da Sie aber jetzt versichern, der Brief sey nicht der Ihrige – und in der That, Sie brauchen es nicht erst zu versichern – so sehe ich, daß meine Eitelkeit mir sogar eine andere Handschrift vorspiegeln konnte. – Der Irrthum ist vorüber, und ich freue mich, daß es ein Irrthum gewesen.«

Die schöne Barbérie lächelte, ihr Gesicht glänzte wieder auf. Das Bewußtseyn, die Achtung ihres Bewerbers zu verdienen, war für sie, nach der eben erfahrenen Kränkung ein um so höherer Triumph. Es folgte ein minutenlanges Schweigen, das vielleicht verlegen machend gewesen wäre, wenn nicht glücklicherweise gerade jetzt François wieder eingetreten wäre.

»Fräulein Alide, voici de l'eau de la fontaine, aber Monsieur votre oncle schläft, und hat den Schlüssel zum Weinkeller unter sein Kissen gelegt. Ma foi! es ist überhaupt nicht leicht, guten Wein in Amerika zu bekommen, wenn aber der Herr Maire schläft, so ist es durchaus unmöglich, là.«Da es auffallen könnte, daß wir den Diener bald geläufig, bald gebrochen Deutsch sprechen lassen, so bemerken wir zu unserer Rechtfertigung, daß er da geläufig spricht, wo er im Original sich ausschließlich seiner Muttersprache bedient, was er stets thut, wenn er seine Gebieterin anredet; gebrochen da, wo er im Original ein schlechtes, mit französischen Worten reich durchschossenes Englisch zum Vehikel seiner Gedanken wählt Es schadet nichts, mein Lieber, der Kapitän ist im Begriff, zu gehen, und hat jetzt keinen Durst mehr.«

»Eau de vie ist genug da.« fuhr der Diener fort, den Capitän wegen der magern Zeche bemitleidend, »aber Monsieur Ludle haben du goût, und lieben nicht so starken liqueur.«

»Er hat bereits mehr, als für Einmal nöthig war, verschluckt,« sagte Alida mit einem solchen Lächeln, daß ihr Bewunderer nicht wußte, ob er böse darüber seyn oder sich freuen sollte. »Habe Dank, guter François; für diese Nacht hast du weiter nichts mehr zu thun, als dem Herrn bis an die Thür zu leuchten.«

 

Die schöne Barbérie verneigte sich nun auf eine Weise, die jede Gegenvorstellung zurückwies, und entließ ihren Liebhaber und Diener zu gleicher Zeit.

»Du hast ein angenehmes Amt, François,« sagte der Erstere, als dieser ihm bis zur äußeren Thüre des Pavillons das Licht vortrug; »mancher tapfere Herr würde dich darum beneiden.«

»Oui, Sir. Es ist ein grand plaisir, zu dienen Fräulein Alide. Ich trage die Fächer, den Buch, aber was anbelangt die Wein, Monsieur le Capitaine, so ist es allezeit unmöglich, wenn der Alderman schlafen gegangen ist, parole d'honneur.«

»Ja, das Buch: wo ich nicht irre, so hattest du erst heute die Pflicht, der Schönen das Buch nachzutragen?«

»Vraiement, oui! 's war ouvrrage de Monsieur Pierre Corneille. Es heißt, daß Monsieur Shak-a-spair viel schöne Gedanken daraus geborgt hat.«

»Und das Papier zwischen den Blättern? nicht wahr, guter François, du hattest auch das Billet zu tragen?«

Der Diener stand still, machte ein Achselzucken, und legte nachdenkend einen seiner langen vergelbten Finger an die ungeheure gebogene Nase an. Sodann schritt er, mit dem Kopfe nickend, wieder vorwärts und murmelte in seinem gewöhnlich gebrochenen Englisch vor sich hin:

»Was anbelangt le papier, so weiß ich davon nichts rien du tout; kann wohl seyn, denn voyez-vous, Herr Monsieur le Capitaine, Fräulein Alide sagten: nimm es in Acht; ich habe es aber nicht gesehen seitdem. Vermutlich waren es schöne compliments auf die Verse von Herrn Pierre Corneille. Was für ein Genie war doch der Mann! n'est-ce pas, Monsieur?«

»Es hat nichts zu bedeuten, guter François,« sagte Ludlow und ließ dem Diener eine Guinee in die Hand gleiten. »Solltest du aber zufällig ausmitteln, was aus jenem Papier geworden ist, so wirst du mich verbinden, wenn du es mich wissen lässest. Gute Nacht; mes devoirs à la belle!«

»Bon soir, Monsieur le Capitaine. Es ist doch ein braver Herr, der Capitän, und von sehr guter Familie! Er hat keine so großen Güter als Monsieur le Patteroon, aber dennoch sagt man, daß er einmal hübsche Häuser und genug Renten bekommen wird. So einem generösen und loyalen Herrn möcht ich wohl dienen, aber unglücklicherweise ist er ein Seemann! Herr de Barbérie konnte die Leute von dieser Profession nicht gut leiden.«

Achtes Kapitel


»Gut, Jessica, geh' nun in's Haus hinein; Vielleicht komm' ich im Augenblicke wieder. Thu, was ich dir gesagt, schließ hinter dir Die Thüren: fest gebunden, fest gebunden! Das denkt ein guter Wirth zu allen Stunden.«
Kaufmann von Venedig.

Demoiselle Barbérie hatte ihren Bewerber so kurz entlassen, nicht bloß weil die Unschicklichkeit seines Besuches zu einer so späten Stunde und auf eine so zweideutige Weise sie verletzte, sondern auch weil sie sich nach Muße sehnte, um über das Seltsame des eben Vorgefallenen nachzudenken. Als das Mädchen nun aber allein war, ging es ihr wie Jedem, der sich durch einen augenblicklichen Impuls hat hinreißen lassen: sie bereute ihre übergroße Hast; fünfzig Fragen, die zur Aufklärung des Geheimnisses hätten beitragen können, fielen ihr jetzt bei, und sie hätte viel darum gegeben, sie ihm gleich vortragen zu können. Es war indeß zu spät, denn eben hörte sie, wie Ludlow vom Bedienten Abschied nahm, und der athemlos Lauschenden entging selbst sein Tritt nicht, als er durch die Staudengewächse ihres kleinen Grünplatzes hindurchging. François kam noch einmal an die Thür, um sein herzliches bon soir zu wiederholen, und nun hoffte sie, nicht weiter diese Nacht gestört zu werden, da die Damen jener Zeit und jenes Landes bei'm gewöhnlichen An- und Auskleiden den Beistand ihrer Dienerinnen nicht bedurften.

Es war noch früh und durch die Unterredung mit Ludlow hatte sie alle Neigung zum Schlaf verloren. Sie stellte die Lichter in den Hintergrund des Zimmers und trat wieder an das Fenster. Unterdessen hatte der Mond eine andere Stellung gewonnen, daher das Wasser eine verschiedene Beleuchtung erhielt. Das hohle Geräusch der Brandung, der schwere Hauch der Seeluft, und die weichen Schatten von Baum und Berg waren noch so ziemlich dieselben. Die Coquette lag noch, wie vorher, dicht am Cap vor Anker, und im Süden blitzte der Lauf des Shrewsbury, bis er sich hinter einen vorragenden, hohen, fast senkrechten Hügel verbarg.

Es war eine tiefe Stille, denn mit Ausnahme des Hauses der Familie Hartshorne, auf dem an die Villa angrenzenden Gute, war innerhalb mehrerer Meilen in der Runde keine menschliche Wohnung. Diese einsame Lage war indessen hier nicht gefahrbringend; nie hörte man von gewaltsamen Thaten ruchloser Menschen, die in der Nähe verübt worden wären; der friedsame Charakter der Ansiedler im Binnenlande war sprüchwörtlich; eben so groß war die Einfachheit ihrer Sitten, und die umspielende See unentweihet von jenen Barbaren, die auf der andern Halbkugel die Naturreize einiger Küstenmeere durch die Schrecken ihrer Unthaten verfinsterten.

Ungeachtet dieser gewöhnlich herrschenden Stille, ungeachtet der späten Abendstunde, war Alida kaum einige Minuten in ihren Balkon getreten, als sie den Ton von Rudern hörte. Der Schlag war gemessen und das Geräusch dumpf und entfernt, obgleich deutlich genug für ihr geübtes Ohr. Befremdet über die schnelle Abfahrt Ludlows, der eben nicht allzueilig zu seyn pflegte, wenn er ihre Gesellschaft verließ, lehnte sie sich über das Gitter, um sein dahinsegelndes Boot, wenn auch nur auf einen Moment, zu erspähen. Sie harrte und harrte, in der Meinung, jetzt müsse die kleine Barke aus dem Schatten, den das Laub warf, hervorkommen, und auf der hellglänzenden, fast bis an das Kreuzerschiff reichenden Wasserfläche erscheinen. Sie hatte vergebens geharrt: keine Barke zeigte sich, obgleich das Rudergeplätscher nicht mehr zu hören war. Die Laterne an der Gaffelspitze der Coquette, das Zeichen, daß der Commandeur sich nicht im Schiffe befinde, hing noch immer aus.

Ein schönes Schiff im Mondglanz, mit seinen symmetrisch ausgestreckten Spieren und dem zarten Gewebe seines Tauwerks, dazu das schwere und großartige Heben und Sinken des Rumpfs auf den trägen Wogen einer ruhigen See, gewährt einen eben so gefälligen, als imposanten Anblick. Alida wußte, daß innerhalb der schwarzen ruhenden Masse mehr als hundert menschliche Wesen jetzt in den Armen des Schlafes lagen; dies lenkte fast unwillkührlich ihre Gedanken auf die Lebensbeschäftigung dieser Menschen, auf ihr, trotz des beschränkten Aufenthaltortes, herumirrendes Daseyn, auf ihr offenes männliches Benehmen, auf ihre Aufopferung für Andere, die ihre Wohnsitze nie verlassen, auf ihren unterbrochenen Zusammenhang mit der übrigen Menschenfamilie, endlich auf jene lose häusliche Bande und jenen Ruf der Unbeständigkeit, die natürlichen Folgen eines solchen Lebens. Sie seufzte, und wendete den Blick von dem Schiff hinweg auf das Element, auf dem es schwamm; ihr Auge überschweifte die weite unwohnbare Wasseröde in ihrer ganzen Ausdehnung, von dem fernen, niedern und fast unbemerkbaren Gestade der Insel Nassau bis zur Küste Neu-Jersey's. Selbst der Seevogel ruhte seinen müden Fittig ans, und trieb sicher schlafend auf den Wogen. Die ungeheure Fläche sah aus wie eine große, nie betretene Wüste, oder vielmehr wie ein zweites Firmament, nur dichter, materieller als das, von welchem es überwölbt war.

Eichen- und Fichtengehölz von verkrüppeltem Wuchse bedeckte, wie bereits erwähnt worden, einen großen Theil der sandigen Firste, woraus das Vorgebirge bestand. Von diesem Bäumen war auch das Wasser der Runden Bucht ringsherum umschattet. Es kam dem Mädchen vor, als erblickte sie über den Umrissen des Gehölzes am Seerande einen bewegten Gegenstand. Anfangs glaubte sie, irgend ein Baum mit kahlen Zweigen, wie es an der Küste viele gab, werfe seine nackte Linien auf das Wasser im Hintergrunde und täusche ihren Blick mit der Gestalt und dem Taugewebe eines leicht aufgetakelten Schiffes. Doch als die dunkeln, symmetrischen Raaen bei Gegenständen vorbeiglitten, von denen sie wußte, daß sie unbeweglich waren, konnte sie über das, was sie sah, nicht länger in Zweifel bleiben. Alida verwunderte sich, und ihre Verwunderung war nicht ganz ohne Mischung von Besorgniß. Es sah aus, als wenn der Fremde – denn ein anderes Schiff konnte es nicht seyn – sich in die Brandung, die selbst in ihrem ruhigsten Zustande einem so leichten Kiel gefährlich war, muthwillig hineinwagte und blindlings, keines Bösen gewärtig, auf's Land lossteuerte. Auch die Bewegung an sich hatte etwas Ungewöhnliches, Geheimnißvolles. Das Fahrzeug zeigte gar keine Segeltücher, und dennoch verschwanden die luftigen hohen Spieren bald hinter einem Dickicht, das einen Erdknollen am Meeresrande übelkräuselte.

Alida erwartete jeden Augenblick das Nothgeschrei von Seeleuten zu hören; als nun aber Minute nach Minute dahinfloß, ohne daß die Stille der Nacht von jenen Schreckenstönen unterbrochen wurde, so fielen ihr jene seeräuberischen Schiffe ein, von welchen es in den Gewässern der kleinen Antillen wimmelte, und die, wie es hieß, zuweilen sogar die kleineren und abgelegeneren Seecanäle des amerikanischen Continents befuhren und sich dort ausbesserten. Die Erzählungen von den Thaten, dem Charakter und dem Ende des berüchtigten Kidd waren damals noch ganz neu, und obgleich sie das Schicksal aller Volkserzählungen theilten, übertrieben und entstellt zu werden, so glaubten doch auch die Gebildeteren genug davon, um seinem Leben und Tode den Stempel des Seltsamen und Geheimnißvollen aufzudrücken. Bald wünschte sie den jungen Commandanten der Coquette wieder zurückrufen zu können, damit sie ihn von der Nähe des Feindes unterrichtete; bald schämte sie sich ihrer Furcht, überredete sich, daß solche mehr aus weiblicher Schwäche hervorgehe, als sich auf Wahrheit gründe, und daß das Ganze weiter nichts sey, als die gewöhnliche Fahrt eines Küstenschiffes, das, mit den Umgebungen vollkommen vertraut, eben so wenig selbst in Gefahr seyn, als sie Anderen bringen könne. Ihre Gedanken waren gerade mit diesem natürlichen und beruhigenden Schluß beschäftigt, als sie deutlich Jemand in den Pavillon eintreten hörte, nicht weit von der Thüre ihres Zimmers. Athemlos, mehr aus aufgeregter Einbildungskraft, als aus irgend einer bestimmten Furcht, welche die neue Störung in ihr hervorgerufen hätte, eilte sie vom Balkon hinweg und lauschte, ohne sich zu regen. Die Thür wurde wirklich, und zwar mit äußerster Behutsamkeit geöffnet, und Alida's erschrockenem Blick bot sich Anfangs nichts dar, als ein sich im Kreise drehender Raum mit der Gestalt eines drohenden, raubgierigen Freibeuters in dessen Mittelpunkt.

»Potz Nordlichter und Mondschein!« polterte Alderman Van Beverout – denn es war kein Anderer als der Onkel der reichen Erbin, dessen unerwarteter Besuch ihr so viel Schrecken verursachte – »Diese Sternguckerei und Verwandlung der Nacht in Tag wird noch Deine Schönheit zerstören, Nichte, und dann werden wir sehen, wie viele Patroons sich zu Männern melden! Ein glänzendes Auge und eine blühende Wange, darin besteht Dein Waarenmagazin, Mädchen, und die verschläudert Beides, welche noch nicht zu Bett ist, wenn die Glocke Zehn geschlagen hat.«

»Ihre Disciplin würde gar manche Schöne der Mittel berauben, ihre Macht zu gebrauchen,« erwiederte das Mädchen, und lachte vergnügt, theils darüber, daß ihre Furcht sich als ungegründet erwies, theils über die väterliche Besorgtheit des Tadlers. »Ich habe mir sagen lassen, zehn Uhr sey für die Zauberkraft der europäischen Damen die rechte Hexenstunde.«

»Hat sich was zu hexen! Das Wort erinnert Einen an die verschmitzten Yankihs, eine Race, die den Lucifer selbst überlisten würde, wenn man sie gewähren ließe. Da will der Patroon schon wieder eine ganze Familie von diesen Spitzbuben dem ehrlichen Holländer auf seinem Gute zugesellen. Eben haben wir uns darüber herumgestritten, und endlich den Streit durch ein erlaubtes Entscheidungsmittel ausgeglichen.«

»Hoffentlich, theuerster Onkel, nicht durch die Entscheidung des Schwertes.« »Potz Friede und Oelzweige, nein! Der Patroon von Kinderhook ist der letzte Mann in ganz Amerika, der von den Schwertstreichen Myndert Van Beverout's etwas zu befürchten hätte. Ich forderte den Jungen blos auf, einen schönen Aal, welchen die Schwarzen zu unserm Frühstück im Fluß gefangen hatten, festzuhalten, als Probe, ob er der Mann sey, der mit den schlüpfrigen Gesellen fertig werden könne. Beim Verdienst des friedliebenden Sankt Nicolas! die Aufgabe machte dem Sohn des alten Hendrick Van Staats nicht wenig zu schaffen! Der Bursch faßte Dir den Fisch fest, wie Dein Onkel einst einen holländischen Gilder; sein Vater nämlich, so erzählt die Sage, soll ihm als Kind einst ein solches Geldstück in die Hand gegeben haben, um an der Art, wie er es halten würde, zu sehen, ob die rechte Himmelsgabe der Sparsamkeit sich wohl noch auf die nächste Generation der Familie forterben würde, was that Dein Onkel! er hielt den Gilder mit dem Gebisse fest! Doch um wieder auf den Aal zu kommen; mir ward bange, denn der junge Oloff hat 'ne Faust wie eine Schraube, und ich dachte schon, wie nun die Rentrolle des Guts besteckt werden und neben den stattlichen Namen der Harmans und der Rips, der Corneliusse und der Dircks, einst die schmutzige Gesellschaft eines Peleg, eines »Fruchtbarkeit«Leider nöthigen uns die Sitten der Puritaner schon wieder zu Sprachhärten. Die Leserinnen des Conanchet haben vielleicht den Herrn Capitän »Zufriedenheit«, und die Leser das eigensinnige Mädchen, Jungfer »Glaube«, noch in gutem Andenken. In der vorliegenden Stelle nun spricht der alte Holländer von denselben Sekürern mit ihren alttestamentlichen Namen. D.U. und ihres Gleichen stehen sollte: aber just, als der Patroon glaubte; die Wasserbestie beim Hals fest genug zu halten, gab sie einen schnellen Druck, und husch! war sie ihm durch die Finger. Potz Flecke und Schlupflöcher! in der Probe steckt eben so viel Weisheit als Witz!«

 

»Mir wenigstens scheint es weiser, da die Vorsehung einmal alle Kolonien unter eine und dieselbe Regierung gebracht hat. Solche Vorurtheile aufzugeben. Wir sind ein Volk, das von verschiedenen Nationen abstammt, daher sollten wir uns bestreben, die schöne Gesinnung und die Kenntnisse einer jeden zu bewahren, aber die Schwächen aller in Vergessenheit zu begraben.«

»Wacker gesprochen, wie das ächte Kind eines Hugenotten! Aber den Mann will ich sehen, der mir vorwerfen kann, daß ich Vorurtheile hätte. Ich lobe mir einen muntern Handel und eine fertige Rechnengabe. Wenn es gilt, schnell herauszukriegen, wie die Billanz stehe, so zeige mir in ganz Neu-England denjenigen, der's mit einem Gewissen – ich mag ihn nur nicht nennen – aufnimmt, und ich suche meine Mappe hervor, und gehe wieder in die Schule. Ich hab's gern, wenn Einer auf das Seinige bedacht ist, so bin ich nun einmal; aber schon gewöhnliche Ehrlichkeit lehrt uns, daß die Menschen übereinkommen sollten, eine gewisse Grenze anzunehmen, über welche hinaus Keiner gehen dürfte, dem an seinem Ruf und Charakter was gelegen wäre.«

»Unter welcher Grenze denn Jeder verstehen würde, daß er so weit gehen dürfe, als seine Mittel reichen; ein vortreffliches Mittel, es dem Stumpfsinnigen möglich zu machen, mit dem Spekulativen zu wetteifern. Ich fürchte, ich fürchte, Onkel, man sollte an jeder Küste, die von Kauffartheischiffen besucht wird, einen Aal halten.«

»La, la, la, Du bist schläfrig, Kind, und da ist Dir nichts recht; es ist Zeit, daß Du zu Bett gehest; morgen wollen wir sehen, ob der junge Gutsbesitzer Oloff mehr Glück bei Dir macht, als bei dem Prototyp der Jonathans. Oho, lösch' diese blendenden Kerzen hübsch aus, und nimm ein bescheidenes Lämpchen mit in's Schlafgemach. Hellglänzende Fenster so nahe an Mitternacht bringen ein Haus in schlechten Ruf bei den Nachbarn.«

»Am Ende bekommen die Aale eine schlechtere Meinung von unserer Eingezogenheit,« erwiederte Alida lachend, »sonst wüßte ich wenig Wesen in der Nähe, die sich über unsere Verschwendung auslassen könnten.« »Man kann nicht wissen, man kann nicht wissen,« flüsterte der Alderman, indem er die beiden großen Lichter seiner Mündel löschte und statt ihrer seinen kleinen Handleuchter hinstellte. »Dieses helle Licht hält Einen nur wach; nimm Du also lieber mein kleines Wachskerzchen hier, es ist so gut wie ein Schlaftränklein. Küß' mich, Muthwillige, und laß Deine Rouleaux sorgfältig herunter, denn die Neger werden bald aufstehen, um die Pirogue zu beladen, damit sie mit der Fluth nach der Stadt abgehen können. Der Lärm der geschwätzigen Schufte könnte Dich sonst aufwecken,«

»Wahrlich, man sollte meinen, hier gäb' es wenig, was so thätigen Verkehr zu Schiffe veranlassen könnte,« versetzte Alida, indem sie, den Befehlen des Onkels gehorchend, seine Wange küßte. »Das muß ein starker Trieb zum Handel seyn, der in einer solchen Einöde, wie diese, Stoff zu seiner Befriedigung findet.«

»Errathen, Kind, errathen. Ich weiß schon, Dein Vater, Monsieur de Barbérie, hatte seine eigenen Ansichten über den Gegenstand, und die hast Du ohne Zweifel größtentheils von ihm geerbt. Und bei alle dem, selbst der Hugenotte, als er aus seinem Schlosse und seinen lehmigen normännischen Ländereien vertrieben wurde, muß doch das Rechnungsführen auch nicht so ganz gegen seinen Geschmack gefunden haben, zumal wenn die Bilanz zu seinen Gunsten stand. Potz Charakter und Nationen! im Grunde genommen, find' ich wenig Unterschied, mit welcher Waare man Handel treibe; es ist am Ende ganz gleich, ob man mit einem Mohawk um seinen Pelzvorrath feilscht, oder mit einem französischen Seigneur um seine Ländereien. Der Eine wie der Andere bemüht sich, den Gewinn auf seine Seite zu bringen, und den Verlust auf die des Nachbars. Also, schlaf' wohl, Mädchen, und bedenke, daß Heirathen weiter nichts ist, als eine Haupt-Handels-Speculation, von deren Gelingen die Totalsumme weiblichen Glückes abhängt; drum, noch einmal, gute Nacht.«

Ehrerbietig gab die schöne Barbérie ihrem Onkel das Geleit bis an den Eingang des Pavillons, schloß die Thüre hinter sich ab, und fand dann für gut, das Flämmchen der kleinen Lampe, die er ihr zurückgelassen, und die ihr das Zimmer nicht hell genug machte, mit dem Docht der zwei von ihm ausgelöschten Kerzen in Berührung zu bringen. Es brannten nun drei Lichter, diese stellte sie neben einander auf den Tisch, und trat dann wieder an's Fenster. Der unerwartete Besuch des Onkels hatte mehrere Minuten hinweggenommen, und sie eilte daher, ob sie vielleicht erforschen könne, was es mit den seltsamen Bewegungen des geheimnißvollen Schiffes für eine nähere Bewandtniß habe.

Immer noch dieselbe tiefe Stille rund um die Villa, immer noch dasselbe schwerfällige Steigen und Fallen der Meereswogen. Alida blickte umher, Ludlow's Boot zu erspähen, allein ihr Auge schweifte vergebens über den hellen, breiten Meeresstrich, der sie von dem Kreuzer trennte. Wohl sah sie in den Strahlen des Mondes das Wasser abwechselnd hell und dunkel betupft, aber kein Fleck darunter bot einige Aehnlichkeit mit dem Schatten einer Barke dar. Die Laterne glänzte noch an der Spitze des Schiffes. Zwar ihr däuchte in der That einmal, als höre sie Ruderschlag, und zwar viel näher noch als vorher: wie sehr sie aber auch das scharfe Auge anstrengte, so blieb sie über den Ort des Boots im Dunkeln. Doch alle diese Zweifel verdrängte jetzt ein Schreck, der aus einer neuen und ganz verschiedenen Quelle kam.

Daß ein Canal bestehe, der den Ocean mit dem Wasser der Runden Bucht in Verbindung setze, war wenig anderen, außer denen bekannt, die ihre Beschäftigung häufig in die Nähe führte. Da die Durchfahrt bei weitem über die Hälfte des Jahres verstopft war, stets wechselte und selbst im besten Falle nur wenig Nutzen darbot, so blieb der Ort von den meisten Küstenschiffern unbeachtet. Selbst wenn der Canal offen stand, konnte man nie auf eine bestimmte Tiefe rechnen; herrschten eine oder zwei Wochen Windstille oder westliche Winde, so trocknete die Ebbe den Canal aus, und wehete einmal ein Sturm von Osten her, so ward das Bette gänzlich versandet. Kein Wunder also, wenn Alida's Erstaunen nicht ganz frei von abergläubischer Furcht war, als sie zu dieser Stunde, in solcher Umgebung ein Schiff aus dem Dickicht am äußern Rande der Runden Bucht bis in die Mitte derselben hereingleiten sah, gleichsam wie von selbst, ohne Hülfe von Segel oder Riemen.