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Die Schaffnerin; Die Mächtigen: Novellen

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»Heut früh hast du gesagt, nachmittags würdest du’s sagen,« murmelte der Amtmann.

»Es ist nichts, Truchs, ich hab’s schon vergessen.«

»Ich will es aber wissen, Leutholdin, hörst du?«

»Ich sag es aber nicht, Truchs.«

»Du bist in den Schreiber verliebt, Leutholdin, leugn’ es nicht. Das hast du mir sagen wollen. Bist du in den Schreiber verliebt, Fanny?«

Die Schaffnerin lachte kurz auf. »Was bist du so erregt, Truchs. Nein, zum Verlieben reichts bei mir nicht mehr hin. Aber ich möcht ihn haben. Ich möcht ihn haben, Truchs, das ist die Wahrheit. Ich möcht auch ein Leben führen wie ein Mensch.«

Die eine Hand des Amtmanns griff nach dem Vogelkäfig, der neben ihm auf einem kleinen Tischchen stand, und bog die starken Drähte zusammen, als ob sie aus Wachs bestünden. Das Rotkelchen im Käfig flatterte angstvoll auf und nieder. Die Schaffnerin begann zu erblassen vor dem Blick des Amtmanns und stand auf wie unter einem Alp. Er zog sie her zu sich und sie kniete vor ihm. Ihre Augen wandten sich keine Sekunde lang von ihm ab. Er beugte sich nieder, faßte sie um die Hüften und lachte sie an. Auch sie lachte gezwungen. Er hob sie auf sein Knie und sagte: »Schwer bist du, Schaffnerin.« Sie nickte geistesabwesend. Er näherte den Mund ihrem Ohr und biß sie ins Ohr. Sie schrie auf und klammerte sich an ihn. »Nun wie ists mit dem Schreiber?« fragte er. Jetzt schüttelte sie krampfhaft eilig den Kopf. Sie deutete hinaus in den Hof oder in den Garten, wo sie Tarnow sah. Der Amtmann machte sich los von ihr, ging hinaus und stand bald vor Tarnow, den er fragte, wie es ihm gehe.

Aber Tarnow erwiderte ihm nichts.

»Machen Sie sich keine Hoffnungen, lieber Tarnow,« sagte Truchs boshaft. »Ich lebe schon ein Jahr und länger mit der Leuthold zusammen. Da können Sie sich denken, daß es mit der Keuschheit schon längst am letzten ist, – hä? Pfui Teufel, was sind Sie für ein Kerl, Tarnow, was für ein Pfaffengesicht haben Sie, pfui Teufel. Man kann Ihnen die Finger abhauen, ohne daß Sie schreien.«

»Ist das wahr, Herr Amtmann, was Sie eben gesagt haben mit der Schaffnerin?« fragte Tarnow, der ein Gefühl hatte, als ob eine Faust sich in seine Brust senke.

Der Amtmann schwieg und wandte sich kurz ab. Und als dann kurze Zeit nach diesem Zwiegespräch Tarnow durch den Flur gegen die Küche schritt, fühlte er auf einmal zwei Arme um seinen Hals, die ihn zurückhielten. Es war die Schaffnerin. Sie atmete erregt, sie drängte ihren Leib dicht an ihn und suchte seinen Mund mit den Lippen, doch küßte sie in die leere Luft. Tarnow hielt sich an der Mauer fest. Er machte eine verzweifelte Bewegung mit dem ganzen Körper, sein Gesicht rötete sich und wie ein zermalmendes Gewicht drückte es auf seinen Schädel.

Stunden vergingen, ohne daß es ihm gelungen wäre, sich einigermaßen zu fassen. Eine geheimnisvolle Stimme in seinem Innern rief ihn fortwährend bei seinem eignen Namen, und diese Stimme verwirrte sein Nachdenken gänzlich. Es war schon spät nachts, als er immer noch auf der Treppe vor dem Haus saß, seinen Kater auf dem Schoß hielt und grübelnd vor sich hin sah. Es wehte ihm ein kühler Wind ins Gesicht.

Auf einmal kam der Amtmann zu ihm heraus; Tarnow schien es, als käme er aus dem Zimmer der Schaffnerin. Er wunderte sich im stillen, daß er diesem Umstand so wenig Wichtigkeit beimaß. Des Amtmanns Haare waren verwirrt und hingen in Strähnen herab. Sein Gesicht war verstört.

»Warum gehen Sie nicht in Ihr Nest?« fuhr er Tarnow wild an.

Tarnow stand auf und blickte schweigend vor sich hin.

»Warum Sie nicht in Ihr Nest gehen?« schrie Truchs mit heiserer Stimme.

»Ich bin nicht müde, Herr Amtmann,« sagte Tarnow gefaßt.

Der Amtmann sah jetzt die Katze in Tarnows Arm. Er lachte kichernd in sich hinein. »Ach so,« sagte er gedehnt, »Sie pflegen das Vieh da! Jetzt weiß ich doch, wohin die jungen Hühner kommen. Bis jetzt hab ich immer gemeint, der Herr Tarnow selbst stiehlt sie und verkauft sie. Marsch!« Mit diesen Worten riß Truchs den Kater an sich, packte mit der einen Hand den Kopf des Tiers und drehte ihn, während er den Körper festhielt, ein paarmal rundherum. Einen raubvogelartigen Pfiff ausstoßend warf er den Kadaver mitten in den Hof.

Tarnow strömte alles Blut, so daß er es deutlich empfand, zum Herzen. Er ächzte und hielt sich nur mit großer Mühe aufrecht. Der Amtmann nickte ihm hämisch zu und ging in den Flur zurück.

Tarnow hob das Tier vom Boden auf. Es war tot. Die Augen waren ganz aus den Höhlen getreten. Mit weitgeöffneten Lidern blickte Tarnow zum bewölkten Himmel empor. Aber noch immer gewannen seine Sanftheit und die angeborene Demut seines Wesens Macht über ihn. Er fühlte jetzt nur noch großes Mitleid mit dem treuen Gefährten seiner Spaziergänge.

Doch erwachte zugleich eine nagende Furcht vor dem Wiederanbruch des Tages in ihm.

VI

Der Prediger und der Organist von Veitshöchheim waren zu Gast bei dem Amtmann. Sie waren schon nachmittags herüber gekommen und hatten ein Spielchen arrangiert. Ihre Bekanntschaft mit Truchs lag höchstens um einen Sonntag zurück.

Die Unterhaltung bei der Abendmahlzeit zwischen dem Amtmann und seinen Gästen war laut und ungezwungen. Die Schaffnerin, die Truchs gegenüber saß, blickte ohne eine Bewegung zu machen und ohne ein Wort zu sprechen, auf ihren Teller nieder und berührte die Suppe nicht, die vor ihr stand. Tarnow, der neben der Schaffnerin saß, war ebenso schweigsam.

Es gab Brotsuppe. Der Amtmann hatte sich und seinen Gästen Suppe gegeben und reichte nun Tarnow den Vorlegelöffel, damit er sich selbst nehme. Tarnow nahm den Löffel und schöpfte sich Suppe, aber er vermied dabei das Brot, das er nie aß, wenn es in der Brühe gelegen hatte. Da fuhr ihn der Amtmann zornig an: »Das thun ungezogene Leute. Das ist unschicklich.«

Tarnow schwieg.

Der Organist platzte mit Lachen heraus. Der Prediger, ein noch junger Mann, der unter widerwärtigem Schlürfen seine Suppe aß, nickte etwas stupid vor sich hin. Der Amtmann stieß während der ganzen Dauer der Mahlzeit beleidigende und kränkende Worte gegen Tarnow aus, machte sogar zotenhafte Witze, bei denen der Prediger errötete und wie beschwörend die Hand erhob, während der Organist krampfhaft Brotrinden zerbiß. »Na, Leutholdin,« sagte dann der Amtmann jedesmal und warf der Schaffnerin funkelnde Blicke zu, »meinen Sie nicht auch?« Die junge Frau lächelte dann, – aber mit welch einem rätselhaften Lächeln! Ihr Gesicht erhielt dadurch fast gar keine Veränderung, außer daß der Mund sich in die Länge zog.

Tarnow schwieg zu allem.

Es war schon zehn Uhr vorbei, als der Amtmann mit seinen Gästen aufbrach, um sie zu begleiten. Die Nacht war finster. Ein stürmischer Wind ging und die Fensterscheiben klapperten in ihrer Einfassung.

Zum erstenmal wieder befand sich Tarnow mit der Schaffnerin allein. Er hatte gezittert vor diesem Alleinsein und hatte es doch auch gewünscht. Sie saßen lange Zeit, ohne etwas zu sagen und hörten der schaurigen Windmusik zu. Im Haus selbst war es ganz still. Tarnow glaubte bisweilen, er höre eine Glocke läuten. Es war nur ein ganz dumpfes, hinsterbendes Geräusch, das sich seinen Sinnen darstellte, nicht als ob es die Stille, sondern nur die Finsternis durchbreche, die sich draußen um die Mauern schmiegte. Und wieder glaubte er dann seinen Namen von irgend einem Unsichtbaren gerufen und lauschte voll Angst.

»Fanny, was haben Sie mit dem Amtmann gehabt?« fragte er endlich ohne weitere Überlegung.

Sie schüttelte den Kopf und sagte nichts. Es quälte ihn, daß sie schwieg, aber er wiederholte seine Frage nicht.

Da reichte sie ihm einen Zettel. Er nahm ihn und las mit Bleistift geschriebene Worte: Ich darf nichts reden, wenn ich Ruhe haben will. Heiraten werd ich ihn nicht, nein. Ich werd mich nicht mit dir auseinanderbringen lassen, Tarnow. Eher zieh ich fort.

Der Umstand, daß sie dies geschrieben hatte und offenbar schon lange vorher geschrieben, und daß sie nicht redete, machte einen furchtbaren Eindruck auf Tarnow. Flüsternd, als könne selbst die Stille sie belauschen, fragte er: »Warum sprechen Sie denn nichts, Fanny?«

Sie sah ihn an und blickte dann deutend nach den Fenstern, nach der Thüre, als sei sie gewiß, daß des Amtmanns Ohr eifersüchtig daran gepreßt sei, oder als sei sie gewiß, daß die Luft, in die sie ihre Worte hauchte, ihm den Schall zutragen müßte. Das erfüllte Tarnow mit Schrecken, und er schwieg gleichfalls, obwohl er wußte, daß Truchs in Wirklichkeit mit den beiden Männern fortgegangen war, da er sie selbst bis zur Hausthür begleitet und noch von ferne das dröhnende Lachen des Amtmanns gehört hatte.

Und es dauerte auch noch eine Viertelstunde, bis er zurückkam. Er schien in sehr heiterer Stimmung, that aber, als ob Tarnow gar nicht da sei.

Dieses Verhalten erregte Tarnow auf unerklärliche Art. Aufmerksam verfolgte er jeden Schritt, jede Geste des Amtmanns, und erst als man dann aufbrach, um sich zu Bett zu begeben, hatte sich die Unruhe in ihm etwas gelegt. Aber schlafen konnte er nicht. Er setzte sich an das kleine Tischchen, das zwischen dem Bett des Jägers und dem seinen stand, zündete eine gebrechliche Lampe an, die auf dem eisernen Ofen stand und die ein mageres Licht in der Stube verbreitete, und schrieb einen Brief an seine Mutter, die in einem Weiler in der Nähe von Aschaffenburg wohnte. Er schrieb, daß es ihm gut gehe und daß er sich für ihre sorgliche Nachfrage bedanke; daß er seine Stelle nicht so bald zu verlassen gedenke wegen der Mutter, und daß er bald eine einträgliche Beförderung zu erfahren hoffe; daß er sich zwar nicht viel ersparen könne, daß ihm aber trotzdem an leiblichen Dingen nichts abgehe. Sein Stil war plump, aber zärtlich; all das sanfte Licht, das in seiner Seele wohnte, strömte dabei in die Zeilen über, die ganze Güte seines Wesens kam in wunderlichen Wortverschnörkelungen zum Ausdruck, wie diese: daß du, meine so hochgeliebte Mutter, mich immer ermahnst, beim Rechten zu bleiben, ist ein herrliches Zeugnis deiner Tugend und kann mir nichts Lieberes geschehen. Diese altmodischen Banalitäten nahmen in seiner Schrift, unter seiner langsam sich über das Papier schiebenden Hand etwas Edles und Rührendes an und zeigten, wie sein Gemüt an diesem Tag noch sein Gleichgewicht besaß.

 

Als Tarnow am nächsten Morgen in das Bureau trat, war der Amtmann schon anwesend. Tarnow war erstaunt, denn es war das erste Mal, daß dies der Fall war. Der Amtmann erwiderte seinen Gutenmorgengruß nicht. Er war mit keiner Arbeit beschäftigt, sondern starrte nur dumpf vor sich hin. »Ich muß mit Ihnen reden, Tarnow,« sagte er einmal, aber als Tarnow den Kopf erhob und lauschte, schwieg der Amtmann. Dagegen wurde er plötzlich aufgeräumt und redselig, als Tarnow sagte, er müsse nach den Vorwerken und dann nach Strelentin hinüber und käme erst Nachmittag zurück.

Aber Tarnow kam schon früher zurück und begegnete am Kloster Himmelspforta der Schaffnerin, die in der Stadt gewesen war. Es hatte zu regnen begonnen, auch der Wind hatte seit gestern noch nicht aufgehört. Tarnow hatte keinen Schirm und bat die Schaffnerin, ihn unter ihrem Schirm mitzunehmen. Förmlich gepeitscht, rasten zerfaserte Wolken über den Himmel. Kein Mensch war weitherum zu sehen. Das Kloster lag in einer gleichsam steinernen Stille da, und die Akazien, die zum Portal führten, krümmten sich und ächzten und die Blätter rauschten laut. Die Schaffnerin war wieder schweigsam und in Tarnow kehrte die Furcht des letzten Abends zurück. Oft glaubte er, die Schaffnerin lächle, aber dann schloß er, daß er sich getäuscht haben müsse. Er meinte es immer dann zu sehen, wenn sie beide schwer gegen den Wind ankämpften, und wenn sie sich dann an ihn preßte oder seine Hand zufällig die ihre berührte. Sein Herz klopfte, wenn er sie ansah, – das liebliche Oval ihrer Wangen, das duftige Rot, das der Sturm darüber gehaucht, die feine, weiße Haut des Halses, unter der die Adern pochten, das blaue Band, das den Nacken umschloß; und er dachte sich aus, was er ihr vielleicht sagen könnte, um ihr zu gefallen. Aber es blieb beim Denken. Sie näherten sich dem Gut und aus dem Fenster des Bureaus blickte der Amtmann nach ihnen.

Kurze Zeit nachher kam der Krüger Kitz, der eine Zahlung leisten wollte, und Tarnow hatte die Quittung zu schreiben. Er datierte sie, wie es richtig war, auf den 28. Juni, den Tag der Zahlung. Die Zahlung war schon im Mai zu leisten gewesen. Der Amtmann geriet plötzlich in große Wut, als er das Datum der Quittung sah. Er warf das Quittungsbuch des Krügers auf den Tisch und schrie Tarnow aus allen Kräften an: »Herr, zum tausend Teufel, was haben Sie da wieder für dummes Zeug gemacht!«

Tarnow fragte gelassen: »Wieso, Herr Amtmann?«

»Mit dem dummen Quittieren!« schrie der Amtmann. »Der Kitz bezahlt den Branntwein, den er im Mai schuldig geblieben ist, und der muß auch bei dem Monat quittiert werden! Sie sind ein Mensch, der nie eine richtige Rechnung geführt haben kann. Sie sind nichts wert.« Dabei warf er die Sandbüchse mit solcher Heftigkeit auf den Tisch, daß er sich an der Hand verwundete, und daß das Tintenfaß aufflog und die Tinte auf das Papier und auf die Möbel verspritzte. Zugleich schrie er, der Tarnow solle binnen acht Tagen aus dem Hause; er habe sich durch seine Untreue und Durchstechereien der Kondition unwürdig gemacht. »Ich werde Sie unglücklich machen,« schrie er, »ich werde Sie ins Zuchthaus bringen.«

Der Krüger Kitz machte sich ängstlich davon, aber der Amtmann hörte nicht auf zu toben. »Herr, ich schwöre zu Gott, ich halte mein Wort, – ich will Sie verfolgen, Sie mögen sein, wo Sie wollen, Sie Duckmäuser und Heuchler! Ich werde Sie schon aus ihrer Ruhe bringen, da können Sie sich drauf verlassen.«

Die Leute im Hof waren zusammengelaufen und horchten. Tarnow erlitt ruhig diese Beschimpfungen, als wäre er schon stumpf dagegen geworden. Er hatte sich still an den Ofen gestellt und nur darüber nachgedacht, wie er aus dieser Kondition kommen könne. Dann fragte er mit bebender Stimme: »Was wollen Sie von mir, Herr Amtmann?«

Der Amtmann blickte stier in Tarnows Gesicht. Er geriet in eine unsinnige Wut und stieß Tarnow mit der geballten Faust ins Auge.

Diese Mißhandlung brachte eine Wandlung in das Innere Tarnows.

VII

Auf einmal erhielt er diesen Stoß, der so heftig war, daß er mit dem Kopf gegen den Ofen zurückstieß. Er fühlte plötzlich ein Kribbeln in der Nase. Dieses stieg ihm dann nach dem Kopfe, und es war ihm zu Mute, als wenn das Gehirn gleich einem Uhrwerk sich ihm herumdrehe. Dann lief es ihm ganz kalt durch das Genick in die Schultern und er meinte, es falle ihm durch die Zimmerdecke geschmolzener Schnee auf den Rücken. Darauf versetzte es ihm einen heftigen Ruck in der Brust und er hatte eine heftige äußere und innere Hitze. Die Brust wurde ihm aufgetrieben, und er mußte sich Rock und Weste aufknöpfen, um sich Luft zu verschaffen. Er bemerkte nicht mehr, daß die Schaffnerin bleich und aufgeregt hereinkam, um den Amtmann zu beruhigen; er hörte nicht, daß sie ihm leidenschaftlich zuredete und ihm seine Hitze verwies, und daß sie dann die beiden Männer zum Abendessen bat. Etwas später fand er sich am Tisch sitzend, ohne daß er wußte, wie er herübergekommen.

Der Amtmann war jetzt plötzlich wieder ein anderer Mensch. »Man muß doch endlich einmal aufhören,« sagte er, als er das Fleisch von der Schüssel nahm. Er redete gegen Tarnow hinüber ganz ruhig über Geschäfte und über eine Fahrt, die sie zusammen nach dem Rottendorfer Jahrmarkt machen wollten. Tarnow, der sonst stets glücklich war, wenn der Amtmann wieder freundlich wurde, sagte diesmal kein Wort.

Gleich nach dem Essen fing der Amtmann an, Stiefel und Jacke auszuziehen und sagte: »Kinder, wenn euch so schläfert wie mich, dann geht schlafen.« Er wünschte gute Nacht und ging in sein Schlafzimmer.

Auch Tarnow legte sich zu Bett. Der Jäger, der sonst zugleich mit ihm schlafen ging, war noch nicht da. Er hörte ihn bald darauf im Wohnzimmer mit der Schaffnerin sprechen, so deutlich, als ob es in der Stube nebenan wäre. Die Schaffnerin sagte ihm, er solle jetzt auch schlafen gehen. Der Jäger kam nun und sagte zu Tarnow, der Amtmann sei schon zu Bett.

Tarnow lag in unerträglicher Hitze da. Er hörte in der Nebenstube die Libuhn buttern. Nach einer Weile hörte sie damit auf, verließ die Stube, war aber nach kurzer Zeit an Tarnows Thür und rief leise durch die Thür: »Herr Tarnow, schlafen Sie?«

»Warum?« fragte er.

»Wenn Sie mal rauskommen könnten, thäten Sie was Schönes belauern,« entgegnete sie kichernd.

»Was denn?« fragte er.

»Wie der Jäger fort war, ist die Schaffnerin zum Amtmann ins Zimmer. Und jetzt ist sie immer noch drin,« flüsterte die schwatzhafte Magd.

Tarnow erwiderte nichts, und die Libuhn fuhr fort zu buttern. Zu dem Jäger, der noch nicht schlief, und der alles gehört hatte, sagte Tarnow: »Sehen Sie nur, Klein, was das für eine Hundezucht ist. So heilig hat mir der Amtmann versprochen und zugeschworen, daß er und ich und die Schaffnerin gleichzeitig in unsere Stuben sollen und jetzt ist es doch nichts!«

Der Jäger lachte. Ob denn das was Neues sei, meinte er.

Nun kam die Libuhn abermals vor die Thüre. »Herr Tarnow,« raunte sie, »ich hab gehorcht an der Thür. Sie ist noch drin.«

Tarnow richtete sich ein wenig auf und stützte den Kopf auf die Hand. Er empfand immer größere Hitze im Kopfe und am ganzen Körper. Er konnte nicht einmal die Augen zumachen und warf sich wild im Bett umher.

Es schlug zehn und es schlug halb elf und da kam jemand in die Stube nebenan, wo die Magd immer noch butterte. Das muß die Schaffnerin sein, dachte Tarnow. Und als er dann wirklich ihre Stimme hörte, schlugen seine Zähne aneinander wie im Fieber. Er wollte ihr merken lassen, daß er noch wach sei, daß er bis jetzt gewacht habe, und mit einer seltsam metallisch klingenden Stimme schrie er lauter als nötig war hinüber: »Haben Sie jetzt Butter, Libuhnin?«

Statt ihrer antwortete die Schaffnerin: »Wir werden bald welche bekommen; ich brühe jetzt.« Und Tarnow lauschte ihren Worten, als sie schon längst verklungen waren. Es kam ihm vor, als klängen sie nach in der Stille der Stube, als wiederhole sie der Wind draußen tausendzüngig. Er hatte eine Lust in sich zu klagen, was ihm alles widerfahren, aber die Hitze, die er empfand, drückte seine Kehle zusammen. »O Gott,« murmelte er, »wirst du mich denn nicht erlösen!«

Eine kleine Weile darauf wurde es nebenan still. Dann wünschte die Schaffnerin durch die Thür in einem freundlichen Ton Tarnow gute Nacht.

»Gut Nacht,« sagte auch Tarnow.

Er horchte gespannt. Ihre leichten Schritte verhallten auf dem Flur. Sie ging in ihr Zimmer, aber sie verschloß die Thüre nicht, wie es doch verabredet war.

»Sehen Sie, Klein, jetzt schließt sie doch ihre Thür nicht zu,« sagte Tarnow und biß wie verzweifelt in sein Kissen.

Der Jäger, verwundert, den Tarnow heute so redselig zu finden, brummte bestätigend.

Es schlug elf Uhr.

Die Hitze, in der Tarnow lag, wurde zu einer furchtbaren Glut. Alle Beleidigungen, die er in diesem Haus erlitten, vom ersten Tag an bis heute, alles trat ihm vor die Seele. Dann lag er gedankenlos im Bett. Er fühlte nur noch ein Sausen und Brausen, als ob ihm das Gehirn im Kopf herumgewälzt würde. Er konnte es nicht mehr aushalten im Bette; auch die Stille im Haus war ihm zu groß. Sie drückte weniger auf ihn, wenn er saß, als wenn er lag. Er setzte seine Füße hinaus, zog seine Pantoffeln an, blieb aber so sitzen und sitzen, hörte halb zwölf und zwölf und halb eins und eins schlagen. Dann zog er seine Strümpfe und Beinkleider und seinen Überrock an und fragte: »Schlafen Sie, Klein?«