Umgeben Von Feinden

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KAPITEL FÜNF

21:45 Uhr Mountain Daylight Time (23:45 Uhr Eastern Daylight Time)

Florence ADX Bundesgefängnis (Supermax) – Florence, Colorado

„Hier sind wir“, sagte der Wächter. „Trautes Heim, Glück allein.“

Luke ging durch die weißen Flure des sichersten Gefängnisses der Vereinigten Staaten. Die beiden großen, schweren Wachen in braunen Uniformen flankierten ihn. Sie sahen fast aus wie Zwillinge. Beide hatten eine militärische Kurzhaarfrisur, breite Schultern und riesige Arme. Sie bewegten sich wie ehemalige Offensivspieler, deren letztes Football-Match schon eine Weile her gewesen war.

Sie waren zwar im engeren Sinne nicht gerade fit, aber Luke dachte leicht amüsiert, dass sie perfekt für ihren Job hier gebaut waren. Auf engem Raum konnten sie einem rebellierenden Gefangenen hervorragend Stand halten.

Ihre Schritte hallten auf dem Steinboden wider, während sie an den geschlossenen, fensterlosen Stahltüren von Dutzenden von Zellen vorbeigingen. Jede Zellentür hatte in der Nähe des Bodens eine schmale Öffnung, die wie ein Briefschlitz aussah und durch die die Wachen den Gefangenen Mahlzeiten zuschieben konnten. Außerdem hatten sie zwei kleine Fenster mit stahlverstärktem Glas, die zum Flur hin ausgerichtet waren. Luke schaute in keines der Fenster, an denen sie vorbeikamen.

Irgendwo im Flur schrie jemand. Es klang nach Todesqualen. Der Schrei ging weiter und weiter, kein Zeichen, dass er je aufhören würde. Es war Nacht, die Lichter würden bald ausgehen und der Unbekannte schrie unentwegt weiter. Luke dachte, er könnte fast die Worte in seinem Schrei ausmachen.

Er warf einem der Wächter einen Blick zu.

„Es geht ihm gut“, sagte der Wächter. „Wirklich. Er hat keine Schmerzen. Er heult einfach nur.“

Die andere Wache schaltete sich ein. „Die Einsamkeit treibt einige von ihnen in den Wahnsinn.“

„Einsamkeit?“, sagte Luke. „Sie meinen wegen der Einzelhaft?“

Die Wache zuckte die Achseln. „Ja.“ Es schien ihn kaum zu kümmern. Er konnte nach seiner Schicht nach Hause. Er konnte in einem beliebigen Diner essen gehen und, so wie er aussah, Fremde an der Theke anquatschen. Er trug einen Ehering am Ringfinger seiner dicken linken Hand. Er hatte eine Frau, wahrscheinlich Kinder. Der Mann hatte ein Leben außerhalb dieser Mauern. Die Gefangenen? Sie hatten nichts.

Hier befanden sich die größten Schurken und Bösewichte des Landes, wusste Luke. Der Unabomber Ted Kaczynski war momentan hier, ebenso wie Dschochar Zarnajew, der überlebende Bruder der beiden Boston-Marathon-Bomber. Der Mafiaboss John Gotti hatte jahrelang hier gelebt, ebenso wie sein gewalttätiger Vollstrecker Sammy „The Bull“ Gravano.

Es war ein Verstoß gegen die Regeln der Einrichtung, dass Luke mehr als nur den Besuchsraum zu Gesicht bekam. Aber die Besuchszeit war sowieso vorbei und dies war ein Ausnahmezustand. Ein Gefangener hier hatte Informationen zu bieten, aber er bestand darauf, Luke persönlich zu sehen – nicht an einem Telefon mit einer dicken Glaswand zwischen ihnen, sondern von Angesicht zu Angesicht und von Mann zu Mann in seiner Zelle. Die Präsidentin der Vereinigten Staaten selbst hatte Luke gebeten, dieses Treffen wahrzunehmen.

Sie hielten vor einer weißen Tür an, einer von vielen. Luke fühlte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Er war ein bisschen nervös. Er versuchte nicht durch das winzige Fenster zu blicken, um den Mann im Inneren zu sehen. Er wollte ihn nicht auf diese Art anschauen, wie eine Maus in einem Schuhkarton. Er wollte seine Vorstellung von ihm nicht zerstören.

„Es ist meine Pflicht, Sie darüber zu informieren“, begann einer der beiden Wächter, „dass die Gefangenen hier zu den gewalttätigsten und gefährlichsten gehören, die derzeit im Bundesvollzugssystem der Vereinigten Staaten zu finden sind. Wenn Sie diese Zelle betreten und es ablehnen, persönliche…“

Luke hob eine Hand. „Das reicht. Ich kenne die Risiken.“

Die Wache zuckte wieder die Achseln. „Wie Sie wollen.“

„Für das Protokoll: Ich möchte nicht, dass dieses Gespräch aufgezeichnet wird“, sagte Luke.

„Alle Zellen werden rund um die Uhr von Überwachungskameras gefilmt“, sagte der Wächter jetzt. „Aber es gibt keinen Ton.“

Luke nickte. Er glaubte ihm kein Wort. „Gut. Ich werde schreien, wenn ich Hilfe brauche.“

Die Wache lächelte. „Das werden wir nicht hören.“

„Dann werde ich halt hektisch winken.“

Beide Wachen lachten. „Ich bin am Ende des Flurs“, sagte einer von ihnen. „Klopfen Sie an die Tür, wenn Sie wieder herauskommen wollen.“

Die Tür knirschte beim Aufschließen und öffnete sich dann von selbst. Irgendwo beobachtete sie wohl tatsächlich jemand.

Hinter der Tür befand sich eine winzige, düstere Zelle. Das erste, was Luke auffiel, war die Metalltoilette. Auf dem Wasserkasten befand sich ein Wasserhahn. Eine seltsame Kombination, aber eine, die logisch sinnvoll war, nahm er an. Alles andere war aus Stein und gut befestigt. Ein schmaler Steinschreibtisch, der aus der Wand herausragte und vor dem ein abgerundeter Steinhocker stand.

Auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere, ein paar Bücher und vier oder fünf Bleistifte, wie sie Golfer zum Zählen verwendeten. Wie der Schreibtisch war auch das Bett schmal und aus Stein. Eine dünne Matratze bedeckte es, sowie eine grüne Decke, die aus grober Wolle oder einem ähnlich kratzigen Material zu bestehen schien. An der hinteren Wand war ein schmales Fenster, grün umrandet, vielleicht 60 Zentimeter hoch und 15 Zentimeter breit. Draußen war es dunkel, abgesehen von einem kränklich gelben Licht, das von einer nahe gelegenen, an der Außenwand angebrachten Natriumdampflampe in die Zelle strömte. Es gab keine Möglichkeit, das Fenster zu verdecken.

Der Gefangene stand in einem orangenen Overall da, den breiten Rücken zu ihnen gewandt.

„Morris“, sagte der Wächter. „Hier ist Ihr Besucher. Tun Sie mir einen Gefallen und töten Sie ihn nicht.“

Don Morris, ehemaliger Oberst der US-Armee und Befehlshaber der Delta Force, Gründer und ehemaliger Direktor des FBI-Special Response Teams, drehte sich langsam um. Sein Gesicht schien faltiger als früher und seine ehemals grau-schwarzen Haare waren inzwischen komplett weiß. Aber seine Augen waren scharf und wachsam und seine Brust, Arme, Beine und Schultern sahen so stark aus wie je zuvor.

Sein Mund verzog sich fast zu etwas wie einem Lächeln, auch wenn seine Augen sich nicht regten.

„Luke“, sagte er. „Danke für dein Kommen. Willkommen bei mir zu Hause. 25 Quadratmeter. Ist es nicht schön?“

„Hi, Don“, sagte Luke. „Mir gefällt die Einrichtung.“

„Letzte Chance, Ihre Meinung zu ändern“, sagte einer der Wächter hinter ihm.

Luke schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich komme schon klar.“

Dons Blick fiel auf die Wachen. „Sie wissen, wer dieser Mann ist, nicht wahr?“

„Das tun wir, ja.“

„Dann können Sie sich wohl vorstellen“, sagte Don, „wie wenig Gefahr ich für ihn darstelle.“

Die Tür klappte zu. Für einen kurzen Moment verspürte Luke etwas wie Nostalgie, während sie einander ansahen. Don war sein Kommandant und Mentor in der Delta Force gewesen. Als Don das Special Response Team gegründet hatte, war Luke der erste, den er eingestellt hatte. In vielerlei Hinsicht war Don mehr als zehn Jahre wie ein Vater für ihn gewesen.

Aber das war vorbei. Don war einer der Verschwörer gewesen, die den Präsidenten der Vereinigten Staaten getötet hatte, um die Regierung zu übernehmen. Er war Mitschuldiger an der Entführung von Lukes eigener Frau und ihrem Kind. Er hatte von dem Bombenattentat gewusst, das mehr als dreihundert Menschen am Mount Weather getötet hatte. Don drohte die Todesstrafe und Luke kannte niemanden, der sie mehr verdient hatte.

Die beiden Männer schüttelten sich die Hand und Don legte eine Hand auf Lukes Schulter, nur für eine Sekunde. Es war eine unbeholfene Geste eines Mannes, der nicht mehr an menschlichen Kontakt gewöhnt ist. Luke wusste, dass Supermax-Gefangene selten die Gelegenheit bekamen, andere Menschen zu berühren.

„Danke für all deine Besuche und Briefe“, sagte Don. „Es war ein Trost zu wissen, dass mein Wohlergehen dir so wichtig ist.“

Luke schüttelte den Kopf. Er lächelte fast. „Don, bis gestern Nachmittag wusste ich nicht einmal, wo sie dich festhalten. Und es war mir auch egal. Von mir aus könntest du auch in einem Loch verschmoren. Am besten am Fuße von Mount Weather.“

Don nickte. „Wenn man verliert, muss man wohl akzeptieren, wohin man gesteckt wird.“

„So scheint es wohl.“

Don deutete auf den Steinhocker, der wie ein Pilz aus dem Boden spross. „Willst du dich nicht setzen?“

„Ich werde stehen. Danke.“

Don starrte Luke an, sein Kopf neigte sich zur Seite. „Ich kann dir nicht viel Gastfreundschaft anbieten, Luke. Der Hocker ist alles.“

„Warum sollte ich deine Gastfreundschaft annehmen, Don?“

Dons Augen wichen ihm nicht aus. „Machst du Witze? Um der alten Zeiten willen. Als Dank dafür, dass ich dich in der Delta Force unterrichtet habe und dir deinen aktuellen Job verschafft habe. Denk dir was aus, mein Sohn.“

„Genau das meine ich, Don. Wenn ich an dich denke, denke ich an meinen eigenen Sohn und meine Frau, die du entführt hast.“

Don hob seine Hände. „Damit hatte ich nichts zu tun. Das verspreche ich dir. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich niemals zugelassen, dass Gunner oder Becca etwas zustößt. Sie sind wie mein eigenes Blut, wie meine eigene Familie. Ich habe dich gewarnt, weil ich sie beschützen wollte, Luke. Ich fand es erst heraus, nachdem es bereits geschehen war. Es tut mir leid, dass das passiert ist. Es gibt nichts in meiner langen Karriere, was ich mehr bedauere.“

Luke beobachtete Dons Augen und Körpersprache genau. Log er ihn an? Sagte er die Wahrheit? Was dachte er? Wer war dieser Mann überhaupt, von dem Luke einst gedacht hatte, dass er ihn wie einen Vater liebte?

 

Luke seufzte. Er würde die spärliche Gastfreundschaft des Mannes annehmen. Er würde ihm so viel eingestehen und heute Nacht wach liegen und sich fragen, warum er das getan hatte.

Er hockte sich auf den niedrigen Stein.

Don setzte sich auf das Bett. Eine unangenehme Stille breitete sich aus.

„Wie geht es dem SRT?“, sagte Don schließlich. „Ich nehme an, man hat dich zum Direktor gemacht?“

„Sie haben es mir angeboten, aber ich habe abgelehnt. Das SRT existiert nicht mehr und ist in alle Winde zerstreut. Die meisten Mitglieder wurden wieder in ihre ehemaligen Teams aufgenommen. Ed Newsam ist bei der Geiselrettung. Mark Swann bei der NSA. Ich stehe in ziemlich engem Kontakt mit den Jungs – ich leihe sie mir ab und zu für Operationen aus.“

Luke sah etwas in Dons Augen aufblitzen und wieder verschwinden. Sein Baby, das FBI-Special Response Team, der Höhepunkt seiner Karriere, war aufgelöst worden. Hatte er das nicht gewusst? Luke nahm es an.

„Trudy Wellington ist verschwunden“, sagte Luke.

Erneut blitzte etwas in Dons Augen auf. Luke konnte nicht sagen, ob es eine Emotion, eine Erinnerung oder etwas anderes war. Normalerweise konnte er Menschen gut einschätzen, aber Don war ein ehemaliger Spion. Er war wie ein fest verschlossenes Buch für ihn.

„Du weißt nicht zufällig etwas darüber, oder, Don?“

Don zuckte die Achseln und bot ihm ein halbes Lächeln an. „Die Trudy, die ich kannte, war sehr klug. Weitsichtig. Wenn ich raten müsste, hat sie etwas erfahren, das ihr nicht gefiel und ist weggerannt, bevor es zu spät ist.“

„Hast du mit ihr gesprochen?“

Don antwortete nicht.

„Don, es macht keinen Sinn, mir etwas zu verschweigen. Ich brauche nur einen Anruf tätigen und werde herausfinden, mit wem du gesprochen hast, wer dir geschrieben hat oder was in den Briefen stand. Du hast keine Privatsphäre. Hast du mit Trudy gesprochen oder nicht?“

„Ja, habe ich.“

„Und was hast du ihr gesagt?“, fragte Luke.

„Ich sagte ihr, dass ihr Leben in Gefahr sei.“

„Woher weißt du das?“

Don schaute einen Moment lang an die Decke. „Luke, du weißt, was du weißt. Und du weißt nicht, was du nicht weißt. Wenn du eine Schwäche hast, dann das. Was du in diesem Fall nicht weißt, weil du dich aus der Politik heraushältst, ist, dass in den letzten sechs Monaten hinter den Kulissen ein stiller Krieg herrscht. Der Anschlag am Mount Weather? In dieser Nacht sind viele hochrangige Politiker gestorben. Und seitdem sind viele nicht so hochrangige Politiker gestorben. Ich würde schätzen mindestens so viele, wie bei dem Anschlag selbst. Trudy war in dem Coup gegen Thomas Hayes nicht verwickelt, aber nicht jeder glaubt das. Es gibt Menschen, die sich an ihr rächen wollen.“

„Also ist sie deswegen untergetaucht?“

„Ich glaube schon.“

„Weißt du, wo sie ist?“

Don zuckte die Achseln. „Ich würde es dir nicht sagen, selbst wenn ich es wüsste. Wenn sie wollte, dass du es weißt, würde sie dich sicher selbst kontaktieren.“

Luke wollte Don fragen, ob es ihr gut ging, aber er hielt sich zurück. Er wollte Don nicht das Gefühl geben, dass er ihn in der Hand hatte – das wäre genau das, was der alte Mann wollte. Stattdessen schwieg er erneut. Die beiden Männer saßen in dem winzigen Raum und starrten sich gegenseitig an. Schließlich brach Don das Schweigen.

„Für wen arbeitest du dann, wenn nicht für das SRT? Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Luke Stone sehr lange arbeitslos ist.“

Luke zuckte die Achseln. „Ich schätze, man könnte sagen, dass ich selbstständig bin, aber ich habe nur einen Kunden. Ich arbeite direkt für die Präsidentin, bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie mich anruft. Wie sie es heute Morgen getan hat, als sie mich bat, hierher zu kommen und dich zu sprechen.“

Don hob eine Augenbraue. „Selbstständig? Bezahlen sie dich wenigstens noch gut?“

„Ich habe eine Gehaltserhöhung bekommen“, sagte Luke. „Ich glaube, man hat mir einfach dein altes Gehalt dazugegeben.“

„Verdammte Regierung“, sagte Don kopfschüttelnd. „Aber das passt zu dir. Du warst nie der Typ für einen Bürojob.“

Luke antwortete nicht. Er konnte von hier aus dem Fenster sehen. Nicht, dass es einen Ausblick gab – nur die Mauer eines anderen Gebäudeflügels, über dem ein dunkler Streifen Himmel zu sehen war.

Die Anlage befand sich in den Rocky Mountains – als Luke heute Abend angekommen war, war er von dem Ausblick, der sich über den Wachtürmen, dem Beton und dem Stacheldraht bot, beeindruckt gewesen. Die Luft war kalt und die Berge waren bereits mit dem ersten Schnee bedeckt. Sogar nachts war es wunderschön.

Die Gefangenen würden diesen Ausblick jedoch nie sehen. Luke würde ganze fünf Dollar darauf wetten, dass jede Zelle in diesem Gefängnis die gleiche Aussicht genoss – eine leere Wand.

„Also, was willst du, Don? Susan hat mir gesagt, dass du Information hast, die du gerne mit mir teilen möchtest. Ich habe momentan viel in meinem Leben zu tun, aber ich bin hierhergekommen, weil das meine Pflicht ist. Ich weiß nicht, wie du in deiner jetzigen Situation überhaupt an Informationen kommen kannst…“

Don lächelte. Seine Augen zeigten jedoch keinerlei Emotion. Sie schienen wie die Augen eines Außerirdischen, echsenartig, ohne Einfühlungsvermögen, ohne Sorgen, nicht einmal Interesse spiegelte sich in ihnen. Augen von einem Wesen, das einen genau so gut fressen wie vor einem weglaufen würde, ohne etwas dabei zu empfinden.

„Es gibt hier drin einige sehr kluge Männer“, sagte er. „Du würdest nicht glauben, wie kompliziert das Kommunikationssystem unter den Gefangenen ist. Ich würde es dir gerne beschreiben – ich glaube, das fändest du äußerst faszinierend – aber ich möchte es auch nicht gefährden oder mich selbst in Gefahr bringen. Ich werde dir jedoch ein Beispiel dafür geben, wovon ich spreche. Hast du vorhin den einen Gefangenen schreien gehört?“

„Ja“, sagte Luke. „Ich habe nicht verstanden, worum es geht. Die Wachen sagten mir, er sei verrückt geworden…“ Er verstummte.

Natürlich. Der Mann hatte tatsächlich etwas gesagt.

„Richtig“, sagte Don. „Der Marktschreier. So nenne ich ihn. Er ist nicht der einzige, und das ist nicht die einzige Methode. Nicht einmal annähernd.“

„Also, was hast du für mich?“, fragte Luke.

„Es gibt eine Verschwörung“, sagte Don, wobei seine Stimme nur knapp mehr als ein Flüstern war. „Wie du weißt, sind viele der Männer hier mit terroristischen Netzwerken verbunden. Sie haben ihre eigenen Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren. Ich habe gehört, dass es in Belgien eine Gruppe gibt, die es auf die dort gelagerten alten Atomwaffen aus dem Kalten Krieg abgesehen hat. Die Sprengköpfe werden auf einem belgischen NATO-Stützpunkt nur leicht bewacht. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ein Witz. Die Terroristen, ich bin mir nicht sicher, wer genau, werden versuchen einen oder mehrere Sprengköpfe oder Raketen zu stehlen.“

Luke dachte einen Moment darüber nach. „Was würde das bringen? Ohne die nuklearen Codes sind die Sprengköpfe nicht einmal einsatzbereit. Das muss dir doch klar sein. Das wäre, als würde man sein Leben riskieren, nur um einen riesigen Briefbeschwerer zu stehlen.“

„Ich würde annehmen, dass sie die Codes haben“, sagte Don. „Entweder haben sie selbst Zugang zu den Codes, oder sie haben einen Weg gefunden, sie zu generieren.“

Luke starrte ihn an. „Selbst dann hätten sie doch keine Möglichkeit, einen Sprengkopf abzufeuern. Ohne ein Trägersystem könnte man niemals die Energie zur Detonation erzeugen. Wir sind hier nicht bei Bugs Bunny. Man kann so ein Teil nicht einfach mit einem Hammerschlag auslösen.“

Don zuckte die Achseln. „Glaub, was du willst, Luke. Ich sage dir nur, was ich gehört habe.“

„Ist das alles?“, fragte Luke.

„Das ist alles.“

„Warum sagst du uns das? Wenn jemand herausfindet, dass du Geheimnisse weitererzählst, die du hier aufgeschnappt hast… nun, ich vermute, dass diese Jungs noch in anderen Dingen gut sind außer im Kommunizieren.“

Jetzt blitzte Wut in Dons Gesicht auf, wie eine kurze Sommerwelle auf hoher See. Für einen Moment wurde alles dunkel, der Sturm tauchte auf, dann war er schon wieder weg. Er holte tief Luft, offenbar um sich zu beruhigen.

„Warum sollte ich keine Informationen teilen, die ich habe? Ich fürchte, dass du mich falsch verstehst, Luke. Ich bin immer noch ein Patriot, genau wie du, vielleicht sogar noch mehr. Ich habe mein Leben für die Vereinigten Staaten riskiert, noch bevor du geboren wurdest. Ich habe getan, was ich getan habe, weil ich mein Land liebe, und nicht aus einem anderen Grund. Nicht alle sind sich einig, dass es das Richtige war, und deshalb bin ich hier drin. Aber stell bitte nicht meine Loyalität in Frage, und auch nicht meinen Mut. Es gibt keinen Mann in dieser Einrichtung, der mir Angst macht, und das gilt auch für dich.“

Luke war immer noch skeptisch. „Und du erwartest keine Gegenleistung dafür?“

Don schwieg einen langen Moment. Er deutete auf seinen unordentlichen Schreibtisch und lächelte. Es war keine Freude in seinem Gesicht.

„Natürlich will ich etwas. Aber nichts Großes.“ Er hielt inne und schaute sich in der kleinen Zelle um. „Es macht mir nichts aus, hier zu sein, Luke. Manche Männer hier werden wirklich verrückt – aber nur die Ungebildeten. Das Leben des Geistes ist ihnen verwehrt. Mir aber nicht. Für dich scheint es vielleicht, als wäre ich hinter Betonmauern eingesperrt, aber für mich ist es hier fast wie ein Ruhestand. Ich bin vierzig Jahre lang Marathon gelaufen, ohne auch nur einmal anzuhalten. Diese Mauern halten mich nicht gefangen. Ich habe genug Leben gelebt und das alles ist immer noch hier oben drin.“

Er klopfte sich auf die Stirn.

„Ich denke viel an die alten Zeiten, die alten Missionen. Ich habe angefangen, meine Memoiren niederzuschreiben. Ich glaube, dass sie eines Tages eine faszinierende Lektüre abgeben werden.“

Er verstummte und blickte weit in die Ferne. Er starrte die Wand an, aber vor seinem inneren Auge sah er etwas anderes. „Erinnerst du dich an die Zeit in der Delta Force, als man uns in den Kongo schickte, um den Kriegsherrn Prinz Joseph zu verfolgen? Der mit all den Kindersoldaten? Die Armee des Himmels.“

Luke nickte. „Ich erinnere mich. Die hohen Tiere im JSOC wollten nicht, dass du mitgehst. Sie dachten…“

„Dass ich zu alt wäre. Das stimmt. Aber ich bin trotzdem hingegangen. Wir sind nachts angekommen, du, ich, wer noch? Simpson–“

„Montgomery“, sagte Luke. „Ein paar andere.“

Dons Augen blitzten auf. „Richtig. Der Pilot hat die Landung versaut und uns in den Fluss geschmissen, in einen der Nebenarme. Wir sind mit voller Wucht auf das Wasser aufgeprallt.“

„Keine schöne Erinnerung“, sagte Luke. „Ich musste dieses Nashorn erschießen.“

Don zeigte auf ihn. „Stimmt! Das hatte ich vergessen. Das Nashorn hat uns angegriffen. Ich kann es immer noch im Mondlicht sehen. Aber am Ende sind wir klatschnass in das Camp gekrochen und haben diesem mörderischen Bastard die Kehle aufgeschlitzt – haben sein ganzes Team mit einem schnellen und entschlossenen Schlag ausgelöscht. Und wir haben keinem der Kinder auch nur ein Haar gekrümmt. An diesem Abend war ich stolz auf meine Männer. Ich war stolz darauf, Amerikaner zu sein.“

Luke nickte wieder, fast lächelte er sogar. „Das ist schon lange her.“

„Für mich ist es wie gestern“, sagte Don. „Ich habe gerade erst angefangen, darüber zu schreiben. Morgen werde ich das mit dem Nashorn hinzufügen.“

Luke sagte nichts. Das war nur eine Mission, eine von vielen. Dons Memoiren würden zu einem langen Buch werden.

„Das meine ich also damit“, sagte Don. „Es ist nicht schlecht hier drin. Das Essen ist nicht einmal schlimm – nicht so schlimm, wie man erwarten würde. Ich habe meine Erinnerungen. Ich habe ein Leben. Ich habe mir eine Trainingsroutine zusammengestellt, von der ich die meisten Übungen sogar direkt hier in der Zelle machen kann. Kniebeugen, Liegestütze, sogar Yoga und Tai-Chi-Bewegungen. Ich habe eine ganze Sequenz und ich gehe sie täglich stundenlang durch, verändere sie manchmal, tausche Dinge aus. Ich trainiere damit nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Geist. Ich glaube, sie würde einen Fitness-Wahnsinn auslösen, wenn die Leute davon wüssten. Ich würde mir gerne ein Markenzeichen darauf ausstellen lassen – Prison Power. Dadurch bin ich viel besser in Form als damals, als ich noch frei in der Welt unterwegs war und tun konnte, was ich wollte.“

„Okay, Don“, sagte Luke. „Also ist das hier deine Seniorenvilla. Wie schön.“

Don hob eine Hand. „Ich will leben, möchte ich dir damit sagen. Sie werden mir die Nadel geben. Du weißt es und ich weiß es. Das will ich nicht. Hör mal, ich will realistisch bleiben. Ich weiß, dass ich keine Begnadigung bekomme, nicht so wie es momentan in der Politik aussieht. Aber wenn sich die Informationen, die ich dir gegeben habe, bewahrheiten, möchte ich, dass die Präsidentin meine Strafe in lebenslange Haft ohne die Möglichkeit auf Bewährung umwandelt.“

 

Luke war frustriert von diesem Treffen. Don Morris saß in etwas, was nicht mehr als ein steinernes Badezimmer war, schrieb an seinen Memoiren und entwickelte eine Fitness-Routine. Es war erbärmlich. Luke hatte Don einmal als den großen Vorbild-Amerikaner betrachtet.

Lukes Blut fing langsam an, überzukochen. Er hatte seine eigenen Probleme und sein eigenes Leben, aber das war Don natürlich egal. Don war hier zum Zentrum seines eigenen Universums geworden.

„Warum hast du es getan, Don?“ Er deutete auf seine Umgebung. „Ich meine…“ Er schüttelte den Kopf. „Schau dir diesen Ort doch nur einmal an.“

Don antwortete ohne zu zögern. „Ich habe es getan, um mein Land zu retten und ich würde es wieder tun. Thomas Hayes war der schlechteste Präsident seit Herbert Hoover. Daran habe ich keinen Zweifel. Er hat uns vor eine Wand gefahren. Er hatte keine Ahnung, wie er die amerikanische Macht in die Welt projizieren sollte und wollte das nicht einmal. Er dachte, die Welt regelt sich schon selbst. Er hat sich geirrt. Das tut sie nicht. Es gibt dunkle Mächte da draußen – dunkle Mächte, die Amok laufen, wenn wir sie auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen. Sie treten in jedes Machtvakuum, das wir ihnen hinterlassen. Sie schikanieren die Schwachen und Wehrlosen. Unsere Freunde verlieren den Glauben. Ich konnte nicht länger zusehen und diese Dinge geschehen lassen.“

„Und was hast du dafür bekommen?“, fragte Luke. „Hayes‘ Vizepräsident leitet jetzt das Land.“

Don nickte. „Richtig. Und sie hat ein größeres Paar Cojones als er sich jemals erträumt hätte. Manchmal stecken Überraschungen da, wo man sie am wenigsten erwartet. Ich bin mit Susan Hopkins als Präsidentin nicht unzufrieden.“

„Großartig“, sagte Luke. „Das werde ich ihr sagen. Ich bin sicher, sie wird sich darüber freuen. Don Morris ist mit Ihrer Präsidentschaft nicht unzufrieden.“ Er stand auf. Er war bereit zu gehen. Dieses kleine Treffen würde ihn noch lange beschäftigen.

Don sprang vom Bett auf. Er legte seine Hand wieder auf Lukes Schulter. Für eine Sekunde dachte Luke, Don würde etwas Emotionales sagen, etwas, das Luke unangenehm sein würde, wie: „Geh nicht!“

Aber das tat er nicht.

„Denk daran, was ich dir gesagt habe“, sagte er. „Wenn es stimmt, dann haben wir große Probleme. Eine Atomwaffe in den Händen von Terroristen wäre das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Sie werden nicht zögern, sie zu benutzen. Ein erfolgreicher Start und es ist vorbei. Wer wird getroffen? Israel? Auf wen würden sie ihre eigenen Atomwaffen aus Vergeltung schicken? Iran? Wie würde man das stoppen können? Gar nicht. Was ist, wenn wir getroffen werden? Oder die Russen? Oder wir beide? Was ist, wenn automatische Vergeltungsschläge ausgelöst werden? Angst. Verwirrung. Kein Vertrauen. Männer in Silos, deren Finger nur so jucken und über dem Knopf verweilen. Es gibt noch eine Menge Atomwaffen auf der Erde, Luke. Wenn auch nur eine von ihnen gestartet wird, wird der Rest folgen.“