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Koste Es Was Es Wolle

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Koste Es Was Es Wolle
Koste Es Was Es Wolle
Darmowy audiobook
Czyta Mike Nelson
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„Es sieht so aus, als würden wir noch einen letzten Anlauf in dieser Sache unternehmen. Noch Lust heute Morgen ein paar Regeln auf ihre Biegsamkeit hin zu überprüfen?“

Ed nahm eine der Kapseln aus Lukes Fingern. Er steckte sie sich in den Mund und schluckte sie runter. Er schaute auf seine Uhr.

„Ich glaube, ich kann noch ein bisschen Zeit rausholen.“

Kapitel 20

Stunde Null

Zwischen Leben und Tod

Er schwebte förmlich, während er die Geräusche um sich wahrnahm.

Irgendwo spielte Musik, irgendetwas Klassisches mit Geigen und Klavier. Die Leute, die sich um ihn versammelt hatten, sprachen mit mechanischen Stimmen.

„Schere. Skalpell. Sauger. Ich habe Sauger gesagt! Kannst du das nicht ein bisschen sauberer machen?“

„Ja, Herr Oberarzt.“

Dann: „Er hatte Glück. Einen Zentimeter weiter nach links und die Kugel hätte seine Aorta getroffen. Er wäre innerhalb weniger Minuten tot gewesen.“

Eldrick interessierte sich nicht für die Ärzte und er interessierte sich auch nicht für den Körper, der auf dem Tisch lag. Sie waren jetzt alle unter ihm und er konnte einen Blick auf das erhaschen, was die Ärzte so mühevoll zu retten versuchten. Es erinnerte ihn an einen toten Hund, den man auf der Straße überfahren hatte. Es sah nicht wie etwas aus, das wert war gerettet zu werden.

Er drehte sich um und sah durch die Tür seine Großmutter im Raum nebenan. Sie stand am Herd und rührte in einem Kochtopf. Etwas roch sehr gut.

„LT, beweg deinen Hinter hier rein.“

Er rannte hinein. Es war nachmittags, die Sonne schien vor dem Fenster ihrer Wohnung und er wäre am liebsten rausgegangen um im Park Fußball zu spielen. Aber der verführerische Duft des Essens ließ diesen Wunsch schnell nebensächlich werden. Es war eine gute Zeit nachdem zuvor alles so unglücklich gelaufen war.

„Hast du deine Hausaufgaben gemacht?“

„Ja, Großmutter.“

„Du würdest mich nicht anlügen, oder?“

Er grinste.

Sie drehte sich zu ihm mit ernstem Gesicht um. „Du hast was angestellt, oder?“

Er war kein Kind mehr. Er war ein erwachsener Mann und sie war noch immer diese kleine alte Dame, die sie gewesen war, bevor der Brustkrebs sie ihm entrissen hatte.

Er nickte. „Das habe ich.“

„Kannst du es wieder in Ordnung bringen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob jemals wieder irgendetwas in Ordnung sein wird.“

9.30 Uhr

Johns Hopkins Bayview Krankenhaus – Baltimore, Maryland

„Die vielleicht“, sagte Luke.

Er und Ed standen in einem Krankenhauskorridor ungefähr achtzehn Meter von einer Tür mit dem Aufzug APOTHEKE entfernt. Kurz zuvor hatte Luke versucht, sie zu öffnen. Sie war verschlossen. Weiter oben im Gang kamen zwei Männer in blauen Kitteln und weißen Laborjacken auf sie zu. Sie unterhielten sich und lachten.

An jeder Ecke gab es Überwachungskameras. Das war egal. Luke wollte möglichst schnell handeln. Er steckte bereits im Schlamassel. Was machte da schon ein kleines bisschen mehr?

„Entschuldigung“, sagte Luke. „Sind Sie Ärzte?“

„Ja, das sind wir“ sagte der eine mittleren Alters, der eine Brille mit Rand trug. „Worum geht es?“

Luke trat an den Mann heran. Er hatte seine Waffe gezogen. Er presste sie gegen den unteren Bauch des Mannes, so dass man es in der Überwachung nicht sehen konnte. Er legte dem Mann freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Sagen Sie kein Wort, keiner von Ihnen.“

Ed trat sehr nah an den zweiten Mann heran. Luke konnte sehen, dass er seine Waffe in der Hand hielt. Er drückte die Mündung in den Rücken des zweiten Arztes.

„Keiner wird hier zu Schaden kommen, wenn Sie jetzt genau das tun, was ich Ihnen sage.“

Der erste Arzt, der zuvor noch so selbstbewusst aufgetreten war, zitterte. „Ich…“, sagte er. Es hatte ihm die Sprache verschlagen.

„Ist schon okay“, sagte Luke. „Sie brauchen nichts zu sagen. Sie öffnen mir jetzt die Tür zur Apotheke da drüben. Das ist alles, was Sie machen müssen. Die Tür öffnen und mit mir zusammen kurz dahinter verschwinden.“

Der zweite Arzt war bedeutend ruhiger. Er hatte schütteres Haar und trug eine dicke Brille, er war stämmiger als der erste Arzt. „Kein Problem. Wenn Sie Medikamente brauchen, ist das kein Problem. Wir werden Ihnen besorgen, was Sie brauchen. Allerdings gibt es hier überall Überwachungskameras. Sie werden nicht sonderlich weit damit kommen.“

Luke lächelte. „Wir werden auch nicht besonders weit kommen müssen.“

Die Männer drehten sich geschlossen in Richtung Tür um. Der zweite Arzt benutzte seine Schlüsselkarte, das Licht leuchtete grün. Luke öffnete die Tür. Im Raum befanden sich mehrere verschlossene Glasschränke.

„Was brauchen Sie?“, fragte der Arzt.

„Ritalin“, sagte Luke. „Zwei Injektionen.“

„Ritalin?“, fragte der Arzt.

„Ja. Und bitte schnell, ich habe nicht viel Zeit.“

Der Arzt machte eine Pause. „Davon werden Sie nicht high werden. Wenn sie ein Aufmerksamkeitsdefizit haben, können Sie Ritalin ohne Probleme auf Rezept bekommen. Sie könnten sich den ganzen Ärger hier sparen. Die Krankenkasse zahlt das. Davon einmal abgesehen, wird Ritalin auch nicht…“

Luke schüttelte seinen Kopf. „Wir sind hier nicht in der Schule, Doktor. Nehmen Sie einfach an, dass ich weiß was ich tue und Sie nicht wissen, was ich tue. Okay?“

Der Arzt zuckte mit den Schultern. „Wie Sie wollen.“ Er öffnete den Glasschrank, zeigte Luke die Flasche und bereitete zwei Injektionen vor. Während er das tat, legte Ed vier Kabelbinder aus Plastik auf den Tisch. Er öffnete eine Schublade und fand darin mehrere kleine Handtücher und chirurgisches Klebeband. Er legte alles neben die Kabelbinder.

Der Arzt hatte mittlerweile die Injektionen vorbereitet und reichte die Spritzen zu ihnen hinüber.

„Sehr gut“, sagte Luke. „Vielen Dank. Bevor wir gehen, müssen Sie mir noch einen Gefallen tun.“

„Okay“, sagte der Arzt.

„Ziehen Sie ihre Kleidung aus“, sagte Luke. „Beide.“

*

Gekleidet in Operationskleidung und Handschuhen liefen Luke und Ed durch die Horde Polizisten, die vor der Tür von Eldrick Thomas’ Raum geparkt waren. Sie hielten kurz inne und legten ihren Mundschutz an, bevor sie den Raum betraten.

Ein gelbschwarzes dreieckiges Zeichen war an der Tür angebracht. GEFAHRENZONE: STRAHLUNGSRISIKO.

Darunter befand sich ein weiteres Zeichen. Es war eine Reihe an Anweisungen.

Besuchszeit maximal eine Stunde. Keine Schwangeren oder Personen unter achtzehn Jahren ist es erlaubt den Patienten zu besuchen.

Besucher sollten sich mindestens zwei Meter vom Patienten entfernt halten.

Besucher müssen Schutzkittel, Schuhüberzieher und Handschuhe tragen.

Besuchern ist es verboten zu rauchen, zu essen oder zu trinken, während sie sich im Krankenzimmer befinden.

Ein Polizist berührte Luke am Arm. „Wann wird er vermutlich aufwachen?“

Luke schaute ihn mit dem ernsten Blick eines Arztes an. „Sie meinen wohl, falls er aufwacht. Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Sie müssen sich noch etwas gedulden.“

Sie betraten den Raum. Thomas lag flach auf einem Krankenhausbett und schlief. Sein Gesicht und Hals war von dunkelroten Flecken übersät. Seine Handgelenke und Knöchel waren an den Metallstangen des Bettes fixiert. Mehrere Maschinen gaben Auskunft über seinen Zustand. Zwei Polizisten in Gesichtsmasken und Handschuhen standen in einer Ecke, so weit von Thomas entfernt, wie es in diesem Raum nur möglich war.

„Können Sie uns einen Moment mit dem Patienten geben?“, fragte Ed.

„Wir sind nicht befugt, den Raum zu verlassen“, sagte einer der Polizisten.

Ed wählte schließlich die magischen Worte, die wohl einen Streit ausgelöst hätten, wäre der Patient nicht radioaktiv gewesen. „Es tut mir leid, aber Ihre Anwesenheit wäre nicht mit den Gesundheitsvorschriften im Einklang.“ Dann lächelte er. „Der Mann ist doch sowieso ans Bett gefesselt. Er wird nicht einfach abhauen. Eine Minute, okay?“

Die Polizisten verließen den Raum, wahrscheinlich froh dem Raum entfliehen zu können.

Luke ging sofort zu Thomas’ Bett hinüber. Er zog die Kappe von der Spritze, drehte Thomas Arm herum, suchte nach einer dicken Vene in seiner Armbeuge und gab ihm die Injektion.

„Ritalin, he?“, sagte Ed.

Luke zuckte die Schultern. „Bringt Leute direkt aus dem Koma zurück. Offiziell nicht erlaubt, aber es wirkt wie ein Wundermittel.“

Er trat zurück. „Es sollte nicht lange dauern.“

Eine Minute verging, dann die zweite. Nach zweieinhalb Minuten glaubte Luke ein Zucken der Augenlider gesehen zu haben.

„Eldrick“, sagte er. „Wach auf.“

Eldricks Augen öffneten sich langsam. Er blinkerte. Er sah sehr müde aus. Er sah aus als wäre er hundert Jahre alt.

„Meine Brust schmerzt“, sagte er, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Er blickte sich langsam um, ohne den Kopf dabei zu bewegen. „Wo bin ich?“

Luke schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle, wo Sie sind. Sie waren letzte Nacht in New York. Sie haben radioaktives Material aus dem Center Medical Center gestohlen. Sie haben dabei mit Ken Byrant und Ibrahim Abdulraman zusammengearbeitet. Sie wurden beide ermordet. Genauso wie die zwei Sicherheitsleute.“

Die Erinnerungen kamen flutartig zurück. Er bewegte kaum einen Muskel. Er wirkte so schwach, dass er jede Minute hätte sterben können. Aber seine Augen waren wach. „Polizisten?“, fragte er.

Luke nickte. „Wir müssen wissen, wann und wo die Bombe hochgehen soll.“

Eldrick Thomas blickte zu Ed. Er nickt mit dem Kopf in Richtung Luke.

„Hey, Bro. Bring mir den weißen Teufel hier raus.“

Er schloss seine Augen langsam und öffnete sie dann wieder. „Dann werde ich dir alles erzählen, was ich weiß.“

 
*

Luke wartete in der Halle etwa fünfzig Meter von dem Polizeiwall entfernt. Es dauerte nicht lange und Ed kam heraus. Er lief zügig.

„Komm schon, los geht’s.“

Luke lief schnell und versuchte mit Ed Schritt zu halten. „Was ist los?“

„Ich glaube, er hatte einen Herzinfarkt“, sagte Ed. „Vielleicht war das Ritalin zu viel für ihn. Ich weiß es nicht. Ich habe Alarm geschlagen, bevor ich weg bin.“

„Hat er irgendetwas gesagt?“

„Das hat er.“

„Was hat er gesagt?“

„Ich weiß nicht, ob ich dem glauben schenken soll.“

Luke blieb stehen. Ed ebenso.

„Wir müssen weitergehen“, sagte Ed.

Luke schüttelte den Kopf. „Was ist es?“

Über ihren Köpfen schlug die Lautsprecherdurchsage Alarm. Die Stimme einer Frau, ruhig, mechanisch, fast roboterhaft. Stufe blau, Stufe blau. Dritter Stock, Raum 318, dritter Stock, Stufe blau… Aufgescheuchte Ärzte und Personal rannten schulterrempelnd an ihnen vorbei durch die Halle.

„Der Ramadan beginnt bald im Iran. 20.24 Uhr oder 10.54 Uhr unserer Zeit.“

Er blickte auf seine Uhr. „Noch eine Stunde Zeit bis dahin.“

„Wo?“, fragte Luke.

Ed starrte ihn grimmig an. Es war das erste Mal, dass Luke Verzweiflung in Eds Gesicht erkannte.

„Das Weiße Haus.“

Kapitel 21

10.01 Uhr

In der Luft zwischen Baltimore und Washington DC

Die Piloten waren unerschrockene Kerle.

Der Helikopter flog niedrig und schnell. Die Landschaft unter ihnen sauste an ihnen vorbei, sie war zum Greifen nah. Luke bemerkte das kaum. Er schrie in sein Handy. Die Verbindung drohte abzubrechen. Sie flogen mit launischen einhundertsechzig Kilometern pro Stunde von einem Sendemasten zum nächsten.

„Das Weiße Haus muss evakuiert werden“, sagte er. „Trudy! Kannst du mich hören?“

Ihre Stimme drang durch das Knistern. „Luke, es liegt ein Haftbefehl gegen dich vor. Für dich und für Ed. Die kamen gerade rein.“

„Warum? Wegen der Ärzte? Wir haben ihnen nichts getan.“

Das Rauschen nahm überhand. Der Anruf wurde unterbrochen.

„Trudy? Trudy! Scheiße!“

Er blickte zu Ed.

„Er hat mir erzählt, dass sie den Dun-Rite Wäschereiwagen benutzt haben“, sagte Ed. „Die Aufschrift war ein magnetischer Aufkleber. Sie haben ihn in Baltimore entfernt und die Nummernschilder ausgetauscht. Es gab Überwachungskameras in der Nähe, wo sie Thomas gefunden haben. Sie könnten also die Route des Lieferwagens dort wiederaufnehmen.“

Lukes Handy klingelte. Er nahm ab.

„Trudy.“

„Luke, lass mich bitte erst einmal ausreden, bevor du etwas sagst. Eldrick Thomas ist tot. Er ist einem Herzinfarkt erlegen. Du und Ed, ihr seid auf dem Überwachungsmaterial. Daraus geht hervor, dass du es warst, der Thomas irgendeine Injektion verabreicht hat.“

„Ritalin, um ihn aufzuwecken“, sagte Luke.

„Ed kam erst kurz vor Thomas Tod mit ins Spiel.“

„Trudy, Thomas hat Ed die Informationen gegeben. Verstehst du? Es geht jetzt nicht um Eldrick Thomas. Der Anschlag wird dem Weißen Haus gelten. Die Hinweise deuten auf einen Drohnenangriff. Sie waren im Dun-Rite Lieferwagen. Sie haben die Aufschrift verändert. Wir müssen den Wagen finden und wir müssen die Leute aus dem Weißen Haus rausholen. Sofort.“

Das Rauschen kam zurück.

„Das werden sie nicht tun… Luke? Luke?“

„Ich bin da.“

„Sie beobachten den Grand Central Terminal und die Hoboken PATH Station. Sie haben den Midtown Tunnel geschlossen. Ich habe mit Ron Begley gesprochen. Sie glauben nicht, dass das Weiße Haus das Ziel sein wird. Sie denken, dass du Eldrick Thomas getötet hast. Der Haftbefehl läuft wegen Mordes.“

„Was? Warum sollte ich Eldrick Thomas umbringen?“

Der Anruf wurde erneut unterbrochen.

Luke blickte zu Ed. „Wir werden die Piloten dazu bringen, die Informationen über Radiofrequenz zu senden.“

Ed schüttelte den Kopf. „Keine gute Idee. Niemand wird uns glauben. Außerdem werden sie wissen, wo wir sind, wenn die Piloten das tun. Nein. Wir müssen das selbst erledigen. Und wir müssen es so machen, das niemand Wind bekommt.“

Luke ging vor zum Cockpit und steckte seinen Kopf hinein.

Er kannte die Beiden – Rachel und Jacob. Sie waren alte Freunde und sie waren jahrelang zusammengeflogen. Beide gehörten sie dem hundertsechzigsten Regiment der Spezialflugeinheit der amerikanischen Armee an. Luke und Ed waren es gewohnt mit dieser Art Menschen zu fliegen. Die Spezialflugeinheit war die Delta Force unter den Helikopterpiloten.

Rachel war von der taffen Sorte. Normalerweise trittst du als Frau nicht einer Armee-Elitespezialeinheit als Pilotin bei. Du kämpfst dich hinein. Was genau zu Rachel passte – ihr Hobby war Cage-Fighting.

Jacob hingegen war ein Fels in der Brandung. Seine Ruhe im Sturm war legendär fast surreal. Sein Hobby waren Meditationen auf Bergkämmen. Die zwei wussten aller Wahrscheinlichkeit nach, dass Luke suspendiert war. Sie wussten wahrscheinlich auch, dass ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Aber sie wussten auch, dass Luke zur Delta gehörte und sie waren nicht die Sorte Mensch, die zu viele Fragen stellen würde.

„Wie nah könnten wir an das Weiße Haus?“, fragte Luke.

„Hast du eine Verabredung zum Mittagessen?“, fragte Rachel.

Luke zuckte die Schultern. „Komm schon.“

„Der Landeplatz an der South Capitol Straße“, sagte Jacob. „Er ist eigentlich ausschließlich für die Polizei gedacht, aber ich kenne jemanden dort. Ich kann uns da reinbringen. Das wäre dann etwa fünf Kilometer vom Weißen Haus entfernt.“

„Ich brauche einen Geländewagen vor Ort“, sagte Luke. „Ohne Fahrer, nur der Wagen. Okay?“

„Alles klar“, sagte Rachel. Sie drehte sich zu ihm um.

„Ich werde dir später alles erklären“, sagte er.

Luke kehrte zu Ed zurück. Der stand an der offenen Ladetür.

Luke musste schreien. „Wir haben einen Landeplatz fünf Kilometer vom Weißen Haus entfernt und einen Wagen, der dort auf uns wartet ohne Fahrer.“

Ed nickte. „Klingt gut.“

Das Handy klingelte erneut. Luke schaute auf das Display. Er hatte keine Lust jetzt über Haftbefehle zu sprechen oder darüber, wer was glaubte. Als er dieses Mal abnahm, schnitt er ihr das Wort gleich ab.

„Trudy, hol Mark Swann ans Handy.“

Kapitel 22

10.23 Uhr

Washington, DC

„Das werden wir nie schaffen.“

Luke steuerte den Geländewagen Richtung Weißes Haus durch den morgendlichen Verkehr. Es ging nur schleppend voran. Sie hatten keine Zeit mehr.

Er hielt sein Handy unablässig an sein Ohr. Es klingelte und klingelt. Schließlich hob jemand ab. Zum dritten oder vierten Mal ging die Mailbox ran. Sie sagte ihm, dass sie und Gunner vorhatten ins Kino zu gehen.

Ihre Stimme klang lebhaft und hell. Er stellte sie sich vor: schön, lächelnd, optimistisch und energetisch. „Hallo, hier ist Becca. Ich kann gerade nicht rangehen. Bitte hinterlass eine Nachricht nach dem Ton, und ich rufe so schnell wie möglich zurück.“

„Becca!“, sagte er. Er musste einmal durchatmen. Er wollte sie nicht beunruhigen. „Ich muss dich um etwas bitten. Ich habe keine Zeit, es zu erklären. Wenn du diese Nachricht bekommst, steige ins Auto und fahr auf direktem Wege zum Landhaus. Fahre nicht nach Hause. Halt nicht an, um irgendetwas zu besorgen. Nimm einfach den Highway und fahr. Wenn du irgendetwas brauchst, kannst du es auch dort besorgen. Ich werde nachkommen, so schnell ich kann.“ Er machte eine Pause. „Ich liebe euch Beiden so sehr. Bitte tu das für mich. Warte nicht. Fahre los, sobald du das hier hörst.“

Er legte auf. Neben ihm saß Ed stocksteif da. Eine dicke Vene zeichnete sich auf Eds Stirn ab. Er schwitzte.

„Wir müssen irgendwie aus diesem Verkehr raus“, sagte Luke.

Ed öffnete das Handschuhfach und zog eine LED Sirene heraus. Er montierte sie auf dem Armaturenbrett, schaltete sie an und drückte den Knopf. Das Kreischen der Sirene außerhalb des Wagens war unglaublich laut.

WAH-WAH-WAH-WAH-WAH.

„Los!“, sagte Ed.

Luke zog den Wagen auf die entgegengesetzte Fahrtrichtung und begann zu hupen. Er trat das Gaspedal durch und raste zur nächsten Ampel und ordnete sich wieder in seine eigene Fahrbahn ein. Luke gab Gas und der Wagen fuhr los wie eine Rakete.

„Los! Los fahr!“ schrie Ed.

Weiter vorne wichen die Autos bereits wie eine Tierherde nach rechts aus. Luke raste über die Kreuzung mit 120 Kilometern pro Stunde.

Das Handy klingelte.

„Swann?“

Die Stimme hatte einen leichten dialektalen Einschlag. „Luke, ich bin es Don Morris.“

„Don, ich muss die Leitung hier freihalten.“

„Junge, was treibst du da? Sie haben mir gesagt, dass du einen Mann im Krankenhaus in Baltimore umgebracht hast.“

Luke schüttelte den Kopf. „Ich habe niemanden getötet. Sie werden das Weiße Haus angreifen. Darum geht es hier eigentlich.“

„Das kann nicht stimmen, Luke. In den letzten zehn Minuten haben sie zwei arabischstämmige Jugendliche festgenommen, einen am Grand Central Terminal den anderen bei der Hoboken. Sie beide hatten Kochtopfbomben bei sich. Die NSA prüft gerade ihre Identitäten und Verbindungen.“

„Kochtopfbomben sind ja wohl keine radioaktiven Bomben!“, sagte Luke. Er hörte wie schrill seine Stimme klang. Er klang wie ein Verrückter. Er hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden kaum geschlafen. Er wusste das. Seine Wahrnehmung könnte beeinträchtigt sein. Aber so sehr? Könnte das sein? Er schaute auf den Tacho. Sie fuhren einhundertvierzig Stundenkilometer in der Stadt.

„Die Kochtopfbomben waren Attrappen“, sagte Don. „Die Bomben hätten nicht funktioniert. Die haben die Kinder losgeschickt, um zu sehen was passiert. Jetzt wissen sie, dass uns die Ziele bekannt sind.“

Luke versuchte seine Stimme etwas zu beruhigen, sodass er und Don ein vernünftiges Gespräch führen konnten. Don sollte begreifen, dass Lukes Gedanken mehr als klar waren. „Don, wir haben mit Eldrick Thomas gesprochen. Er war einer der Diebe. Wir haben ihn nicht umgebracht. Er ist an der Strahlung gestorben. Er hat uns gesagt, dass das Weiße Haus das Ziel ist.“

„Luke, ich weiß, wer er war. Die Informationen die uns vorliegen besagen, dass Eldrick Thomas außerdem ein professioneller Hochstapler war. Er hat dich reingelegt, das ist alles. Das ist es, was Hochstapler tun. Sie verarschen die Leute bis zuletzt. Er hat gesagt, es ist das Weiße Haus. Das Sicherheitspersonal wird aufgestockt und die Leute glauben es würde kooperieren. Wenn er es überlebt, könnte er bei Gericht etwas raushauen. Der Mann ist sein Leben lang ins Gefängnis raus- und reingewandert. Aber er weiß, dass das Weiße Haus das Ziel ist. Denkst du die Leute hinter der Sache würden einem drittklassigen Ganoven diese Information anvertrauen?“

Luke sagte kein Wort.

„Du kannst die Sache immer noch abblasen“, sagte Don. „Komm zurück in die Zentrale. Wir treffen uns dort. Wenn du sagst, dass du ihn nicht getötet hast, dann glaube ich dir. Ich werde alles versuchen, dich zu beschützen. Ich werde einen Psychiater dazu holen. Er könnte eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren. Einen Nervenzusammenbruch. Deine Kampfakte wird diesen Befund stützen. Du müsstest nur ein paar Tage stationär behandelt werden, aber du würdest unbeschadet da rauskommen.“

Luke konnte nicht glauben, was er da hörte.

„Ich muss die Leitung freihalten“, sagte er.

„Du bist schon sehr weit gegangen, Luke. Wenn du noch weitergehst, bist du bald allein auf dich gestellt.“

Ein Anruf kam durch.

„Don, ich muss los.“

„Luke! Wage es nicht aufzulegen.“

Vor ihnen lag das Eingangstor zum Weißen Haus. Ed schaltete das Blaulicht und die Sirene aus. Luke fuhr langsamer. Er hielt das Handy vor sein Gesicht, sodass er sehen konnte wer anrief. Es war Swann.

Luke schaltete den Anruf durch. „Swann. Hast du Freigabe für den Geheimdienst?“

Swann zögerte. „Ich glaube schon.“

„Du glaubst?“

„Gegen euch Beide liegen Haftbefehle vor, Luke. Also halt mal still. Es sieht so aus als hättest du eine Yankee White Befugnis, Stufe eins. Du kannst direkt mit Präsident und Vize-Präsidentin sprechen. Die Freigabe ist allerdings gefälscht. Der Geheimdienst könnte innerhalb von dreißig Sekunden seinen Datenbankabgleich mit der Verbrecherdatenbank abgleichen und euch wieder rauskicken. Jemand könnte sie überprüfen und bemerken, dass die Freigabe in den letzten fünf Minuten ausgestellt wurde. Ich kann für nichts garantieren. Es ist bestenfalls eine fünfzig-fünfzig Chance. Wie schnell könnt ihr dort sein?“

„Wir sind bereits hier. Wir sind kurz vor dem Eingang.“

„Alles klar. Dann werden wir gleich sehen, wie gut ich war.“

 

Luke legte auf. Er stellte die Leitung wieder zu Don durch.

„Don?“

Die Leitung war tot.

Das Wächterhaus lag genau vor ihnen. Es war von Zementmauern umgeben. Es gab sowohl ein STOP als auch BETRETEN VERBOTEN Schild. Vier Männer lungerten in Nähe des Eingangs herum. ACHTUNG besagte ein weiteres Schild. BESCHRÄNKTER ZUGANG. 100% IDENTITÄTSKONTROLLE.

Luke drehte sich zu Ed um. Eds Gesicht glänzte vor Schweiß.

„Bereit?“, fragte Luke.

„Zu allem bereit.“

Luke fühlte wie ein Rinnsal aus Schweiß seinen Rücken hinunterlief. Sie würden sich in das Weiße Haus hineinmogeln. Sie würden versuchen so weit vorzudringen, wie es ihre gefälschten Identitäten nur zuließen und dann mit dem Kopf durch die Wand den Rest des Weges zurücklegen. Sie würden versuchen den gesamten Geheimdienstapparat zu überlisten und den Präsident auf ihr eigenes Geheiß hin zu evakuieren. Zwei Männer verschiedener Einrichtungen, die vor wenigen Stunden von ihren Pflichten entbunden worden waren. Und all das baute auf den Behauptungen eines toten Karrierekriminellen auf.

Für einen kurzen Moment konnte Luke Dons Argumentation fast verstehen. Von außen betrachtet musste es wie eine irrwitzige Idee aussehen.

Ein Wächter erschien neben Lukes linkem Ellenbogen. Luke war per Autopilot zum Pförtnerhaus gefahren. Steif übergab er dem Mann seine und Eds Identifikationsnachweise. Der Mann verschwand, kam aber eine Minute wieder zurück.

„Tut mir leid“, sagte er. „Diese beiden wurden abgelehnt. Sie haben keine Befugnis.“

„Vielleicht ist das eine Zeichen“, sagte Ed.

„Versuchen Sie es bitte noch einmal“, sagte Luke.

Vor ihnen öffnete sich das Tor. Der Wächter kam zurück.

„Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten“, sagte er. „Muss ein Fehler im System gewesen sein.“

Luke fuhr langsam durch das Tor des Weißen Hauses.

*

Swann war gut. Er war sogar verdammt gut.

Sie fuhren durch den Westflügel, passierten eine Identitätsüberprüfung und bewegten sich dann schnell in Richtung einer im Stil griechischer Säulen gesäumten Halle. Ihre Schritte auf dem Marmorboden hallten wider. Sie bogen rechts ab, der Eingang zum Oval Office lag direkt vor ihnen.

Zwei Sicherheitsmänner standen vor der Tür.

„Hallo, Jungs“, sagte einer von ihnen. „Hier ist stop.“

Luke hob sein Abzeichen in die Höhe. „FBI. Wir haben eine Yankee White Befugnis. Wir müssen mit Präsident Hayes sprechen.“

„Der Präsident ist in einer Besprechung.“

„Er wird hören wollen, was wir zu sagen haben.“

Der Typ schüttelte den Kopf. „Davon wissen wir nichts. Bitte gedulden Sie sich einen Moment, wir werden das überprüfen.“

Ed zögerte keinen Moment. Er packte den Mann am Hals drehte sich um und erwischte den zweiten Mann mit seinem Ellbogen am Kiefer. Der erste Mann fiel seinen Hals umklammernd zu Boden. Ed kniete sich hin und schlug seinen Kopf gegen den Steinboden, dann stand er wieder auf. Der zweite Mann war gerade im Stande nach seiner Waffe zu greifen als Ed ihm eine verpasste. Der Mann hatte das Bewusstsein verloren, noch bevor er auf dem Boden aufschlug.

Luke und Ed fegten durch die Tür in das Oval Office.

Auf der anderen Seite des Raumes stand der Präsident zusammen mit der Vize-Präsidentin. Sie lehnten grübelnd über etwas, das wie eine gigantische Karte aussah und das auf dem Schreibtisch des Präsidenten festgepinnt war. Hinter ihnen konnte man durch drei große Fenster in den Rosengarten blicken. Ein Mann machte gerade Fotos. Ein junger Mann mit dünner werdendem Haar stand neben ihm. Ein halbes Duzend mehr Leute befanden sich im Raum.

Als Luke und Ed durch die Tür kamen, richtete sich der Präsident auf. Er war sehr groß. Vier Geheimdienstbeamte zogen ihre Waffen.

„Keine Bewegung! Auf den Boden!“

In der Mitte des Raums lag ein mit dem runden Siegel des Präsidenten ausstaffierter cremefarbener Teppich. Luke trat auf diesen Teppich. Er hob seine Hände.

„FBI“, sagte er. „Ich habe eine wichtige Mitteilung für den Präsidenten.“

Er wurde von hinten gepackt. Kurz darauf wurde seine Wange gegen den Teppich gepresst. Seine Arme wurden schmerzhaft nach hinten gedreht. Der Fuß eines Mannes stand auf seinem Gesicht. Ein paar Meter neben ihm befand sich Ed in der gleichen Position.

„FBI!“, schrie Luke. „Bundespolizei!“

Sie hatten sich sein Abzeichen und seinen Ausweis gegriffen. Sie entfernten seine Waffe aus dem Holster. Er fühlte, wie sie an seinen Beinen zogen und ihm seine Reservewaffe und sein Messer abnahmen.

„Was geht hier vor sich?“, fragte der Präsident.

Drei Männer hielten Luke am Boden. Ein schwerer Arm drückte gegen seinen Hals. Jede Bewegung wurde so zur Qual. Es war schwer zu sprechen. „Sir. Ich bin Agent Stone vom FBI Spezialeinsatzkommando. Das hier ist Agent Newsam. Sie befinden sich in Gefahr. Wir haben verlässliche Informationen, denen zufolge ein Anschlag mit radioaktivem Material auf das Weiße Haus verübt werden soll. Der Anschlag ist so geplant, dass er mit dem Beginn des Ramadans in Teheran zusammenfallen soll, das ist in fünfzehn Minuten.“

Der Präsident kam näher. Er ragte über Luke.

„Das entspricht nicht der Wahrheit“, sagte eine Frauenstimme.

Luke verengte seinen Kopf und erblickte Susan Hopkins, die Vize-Präsidentin. Sie war bildschön, wie eine Nachrichtensprecherin. Sie trug einen grauen Nadelstreifenanzug und einen blonden Bob. „Wir haben gerade einen Bericht erhalten der besagt, dass die Gefahr, die ohnehin auf New York City beschränkt war, gebannt wurde.“

„Wir haben nicht genug Zeit, um Ihnen alles im Detail zu erzählen“, sagte Luke. „Das gesamte Gebäude muss evakuiert werden und die Zeit läuft uns davon. Wenn es sich als falsch herausstellt, dann machen wir uns hier gerade total zum Affen. Für das Weiße Haus lag keine Bombendrohung vor und es wurde ohne Grund evakuiert. Aber wenn es sich bewahrheitet… Darüber will ich besser gar nicht nachdenken.“

Alle blickten zum Präsidenten. Er war jemand, der es gewohnt war schwierige Entscheidungen zu treffen. Er wartete ganze sieben Sekunden.

„Alle raus hier“, sagte er. „Setzt die Evakuierungsprotokolle für das gesamte Personal in Kraft. Ich will in zehn Minuten hier drinnen keinen mehr sehen.“