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Koste Es Was Es Wolle

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Koste Es Was Es Wolle
Koste Es Was Es Wolle
Darmowy audiobook
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Kapitel 50

1.43 Uhr

Büro der Gerichtsmedizin – Washington, DC

Ashwal Nadoori legte auf.

Er saß für einen Moment gedankenverloren an seinem Schreibtisch. Ein großer schwarzer Mann saß ihm gegenüber in einem Rollstuhl. Der Anblick des Mannes und das was er repräsentierte weckten schlechte Erinnerungen bei Ashwal.

„Hat er Ihnen gesagt was er will?“, fragte der Mann.

Ashwal nickte. „Er will eine Leiche, bevorzugter Weise eine intakte. Eine Frauenleiche in den späten Vierzigern, blond. Jemanden der gesund war, bevor er starb.“

„Und kriegen Sie das hin?“

Ashwal zuckte die Schultern. „Wir sind groß. Es gibt sehr viele Leichen hier. Ich bin mir sicher, dass wir eine finden, die auf die Beschreibung zutrifft.“

Früher einmal war Ashwal ein Arzt gewesen. Hier in Amerika hatten sie sein irakisches Studium nicht anerkannt, deshalb arbeitete er jetzt als medizinischer Assistent. Er arbeitete jetzt in diesem großen Leichenschauhaus, bereitete die Körper vor, die sie ihm zuteilten. Es konnte ein unangenehmer Job sein, aber auch friedlich auf seine Weise.

Die Menschen waren bereits tot. Kein Kampf um das Leben mehr. Keine Schmerzen und keine Angst vor dem Tod. Das Schlimmste was einem Menschen widerfahren konnte, war bereits eingetroffen. Er musste nicht mehr versuchen dem Tod ein Schnippchen zu schlagen und er musste auch nicht mehr so tun als wäre er keine abgemachte Sache.

Ashwal hatte ein dumpfes Gefühl im Magen. Er riskierte seinen Job dabei eine Leiche zu stehlen. Es war ein anständiger Job. Er war bescheiden und die Arbeit zahlte mehr als nur die Rechnungen. Er lebte in einem bescheidenen Haus zusammen mit seinen zwei Töchtern. Ihnen fehlte es an nichts. Es wäre wirklich schade, diese Sicherheit aufs Spiel zu setzen.

Aber welche Wahl hatte er? Ashwal war Bahá’í. Es war ein schöner Glauben, ein Glauben des Friedens, der Einheit und der Sehnsucht nach Gott. Ashwal liebte seine Religion. Er liebte alles an ihr. Aber viele Muslime taten das nicht. Sie setzten Bahá’í mit dem Abfall vom Glauben gleich. Sie meinten es sei ein Irrglaube. Vielen meinten seine Gläubigen sollten mit dem Tod bestraft werden.

Als er noch ein Kind gewesen war, hatte sein Familie Iran verlassen, weil die Bahá’í in diesem Land verfolgt wurden. Sie waren in den Irak gezogen, der zu diesem Zeitpunkt Todfeind Irans war. Der Irak wurde von einem Verrückten regiert, der die Bahá’í die meiste Zeit im Stich ließ. Ashwal wuchs heran, studierte mit großem Eifer und wurde Arzt, er genoss die Früchte und Privilegien dieser Anstrengung. Aber dann war der Verrückte gestürzt worden und plötzlich war es für Bahá’í nicht mehr sicher im Irak.

Eines Nachts kamen islamische Extremisten und nahmen seine Frau mit. Vielleicht waren unter ihnen einige seiner ehemaligen Patienten oder seine Nachbarn. Es war egal. Er würde sie nie wieder sehen. Sogar heute noch zehn Jahre danach traute er sich nicht an ihr Gesicht zu denken geschweige denn an ihren Namen. Er nannte sie einfach „Frau“ und schottete alles andere ab. Er ertrug es nicht, an sie zu denken.

Er ertrug es nicht, daran zu denken, dass es niemanden gegeben hatte, an den er sich hatte wenden können, als man sie ihm nahm. Die Gesellschaft damals funktionierte bereits nicht mehr. Das Schlimmste war bereits ins Rollen gebracht worden. Die Leute lachten oder wandten sich ab, wenn er auf der Straße an ihnen vorbeilief.

Zwei Wochen später kam eine andere Gruppe aus zwölf Männern mitten in der Nacht. Diese Männer waren anders, er kannte sie nicht. Sie trugen schwarze Kapuzen. Sie brachten ihn und seine Töchter auf einem Pickup-Truck in die Wüste. Sie führten sie auf den Sand. Sie zwangen sie auf die Knie vor den Rand eines Grabens. Seine Mädchen weinten. Ashwal konnte sich nicht dazu bringen zu weinen. Er konnte sich nicht selbst leidtun. Er war stumpf geworden. Er begrüßte diesen Zustand regelrecht, denn er brachte Erleichterung.

Plötzlich ertönten Schüsse. Automatische Gewehre.

Zuerst dachte Ashwal, dass er tot sei. Aber er lag falsch. Einer der Männer erschoss all die Anderen. Er tötete einen nach dem anderen. Er brauchte keine zehn Sekunden dafür. Der Lärm war ohrenbetäubend. Als es vorbei war, lebten noch drei der Männer, die krochen auf allen Vieren und versuchten zu entkommen. Der Mann lief gelassen zu ihnen und schoss einem jeden mit seiner Pistole in den Hinterkopf. Ashwal zuckte jedes Mal zusammen.

Der Mann zog seine Kapuze zurück. Er hatte den Bart eines Mudschaheddin. Seine Haut war dunkel von der Wüstensonne. Aber sein Haar war hell, fast blond, wie das von jemandem aus dem Westen. Er lief zu Ashwal und reichte ihm die Hand.

„Steh auf“, sagte er. Seine Stimme war fest. Es schwang kein Mitgefühl in ihr. Es war die Stimme eines Mannes, der es gewohnt war Befehle zu geben.

„Kommen Sie mit mir, wenn Sie leben wollen.“

Der Name des Mannes war Luke Stone. Er war der selbe Mann, der ihm gerade aufgetragen hatte eine Leiche zu stehlen. Er hatte keine Wahl. Ashwal hatte ihn nicht einmal nach dem Grund gefragt. Luke Stone hatte sein Leben gerettet und das seiner Töchter. Ihre Leben waren weit wichtiger als jeder Job.

Das letzte was Luke Stone zu ihm am Telefon gesagt hatte, hatte auch den letzten Zweifel ausgeräumt, wenn es nicht sowieso schon entschieden gewesen wäre.

„Sie haben meine Familie“, hatte er gesagt.

Ashwal blickte zu dem schwarzen Mann im Rollstuhl. „Sollen wir hinten nachsehen, was wir finden können?“

Kapitel 51

1.50 Uhr

Bowie, Maryland – Östliche Vororte Washington, DCs

Eine Autokolonne raste ihnen durch die Nacht entgegen.

Mehr als ein dutzend Wagen vor allem Jeeps und Geländewagen. Alle waren sie schwarz ohne irgendwelche Markierungen. Das letzte Gefährt war eine Art Gefangenenwagen für den unwahrscheinlichen Fall, dass man Gefangene nehmen musste. Die Wagen parkten ohne großes Aufsehen zwei Straßen von dem Haus entfernt. Die Gegend war eine suburbane Sackgasse. Die Straßen waren zumindest alle nur in eine Richtung befahrbar. Zwei Geländewagen parkten Front an Front in der Einfahrt zur Straße.

Unterdessen schloss ein zwanzig Mann starkes Team das Haus ein.

Acht Männer kamen von vorne, jeweils fünf von beiden Seiten. Zwei Männer und der Einsatzleiter warteten kniend hinter geparkten Autos in einem halben Block Entfernung. Sie stellten den Beobachtungs- und Kommandoposten dar. Alle trugen die Kevlar Anzüge und Helme. Alle Helme hatten interne Übertragung.

Die acht Männer liefen ruhig an der Doppelgarage vorbei. Der vordere Mann trug einen fünfzehn Kilo schweren Rammblock, der die Tür in ein oder zwei Stößen aus den Angeln heben sollte. Alle Männer hinter ihm trugen Granaten. Wenn das Team Glück hatte, dann würde die Explosion und das gleißende Licht die Subjekte unschädlich machen oder sie zumindest aus dem Haus locken und sie in die Arme des restlichen Teams treiben, das sie dann mit Leichtigkeit abfangen würde.

Der dritte Mann in der Reihe, ein junger Mann namens Rafer, wischte sich den Schweiß von den Augen. Die Wahrheit war, dass er nervös war.

Er hatte ein ungutes Gefühl im Bauch, ein wirres Gefühl von der Art, dass man verspürt kurz bevor man sich in ein Feuergefecht stürzt. Er hätte sich ohne Probleme in die Hosen machen können. Er grinste. Schiss zu haben, war sein persönlicher Glücksbringer. Drei Pflichtrunden im Irak und in Afghanistan und er hatte nie mehr als einen Kratzer davongetragen.

Aufhören. Aufpassen.

Er brachte seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Der Männerreigen neigte sich in Richtung Garagentür. Die Stufen zur Tür lagen drei Meter vor ihnen zu ihrer Linken. Das musste jetzt schnell gehen. Er stellte es sich in seinem Kopf vor. BAM! Die Tür würde nachgeben und sie würden ihre Granaten werfen. Seine wäre die zweite. Zurückweichen und auf die Explosion warten dann reinrennen.

Irgendwo in der Nähe gab es ein Geräusch.

Es war gedämpft, aber es klang wie ein Automotor. Und es klang so, als wäre es genau auf der anderen Seite dieser Garagentür.

Der Vordermann drehte sich zu Rafer um. Seine Augen weiteten sich. Sie drehten sich Beide um und blickten zur Tür.

* * *

Luke saß auf der Fahrerseite des Suburban, der noch immer in der geschlossenen Garage von Brenna stand. Brenna saß neben ihm. Hinter ihnen saßen Susan Hopkins und Charles Berg. Brenna hatte seine M1 auf den Knien bereitgelegt. Chuck hatte eine Neun-Millimeter-Beretta. Susan hatte keine Waffe. Luke saß da vorne wie ein Familienvater, der Rest war wie seine kleine Familie.

Seine Hände umfassten das Lenkrad. Es war fast totenstill in dem Geländewagen. In der Ecke der Garage war eine kleine Kamera angebracht worden. Sie zeigte was außerhalb der Garage vor sich ging. Männer waren dort, sie sahen aus wie ein SWAT Team. Luke hatte keine Ahnung wer sie waren und was sie glaubten zu sein.

Wussten Sie, dass es einen Staatsstreich gegeben hatte? Wussten sie, dass die wahre Präsidentin hier drinnen war? Vielleicht glaubten sie ein paar Terroristen hochzunehmen.

Er schüttelte den Kopf. Es spielte keine Rolle. Sie waren im Begriff das Haus zu stürmen und das bedeutete, dass sie zu den Bösen zählten.

„Das werden sie nicht erwarten“, sagte er leise. „Wir haben einen Vorteil. Aber der wird nicht lange vorhalten.“

„Werden Sie diese Männer töten?“, fragte Susan.

„Ja.“

Er drehte den Zündschlüssel und der Motor sprang an. Es gab jetzt kein Zurück mehr.

Er schaltete in den ersten Gang und holte tief Luft.

„Bereit?“

„Es ist ein wirklich schweres Auto“, sagte Brenna. „Sie müssen er hart rannehmen.“

Luke trat auf das Gas.

Die Reifen quietschten auf dem Betonboden der Garage, der Suburban schoss nach vorne und krachte durch die Tür, Splitter flogen. Der Geländewagen brach in die Nacht. Sie fuhren über etwas, Reste der Tür, eine Bodenwelle, Männer, Luke wusste es nicht und es war ihm auch egal.

 

Auf beiden Seiten rannten in schwarz gekleidete Männer.

Er drehte sich nach links ohne vom Gas zu gehen. Männer knieten dort, sie schossen und besprenkelten die Seite des Autos mit einem Kugelhagel.

DUH-DUH-DUH-DUH-DUH…

Susan schrie.

„Susan!“, rief Luke. „Kopf runter in Chucks Schoss. Wir wissen nicht, wie lange die Fenster das mitmachen. Ich will nicht, dass Sie aufrecht sitzen, wenn sie nachgeben.“

Der Geländewagen gewann an Geschwindigkeit. Luke spürte die Beschleunigung.

Zwei Straßen vor ihnen parkten die zwei Geländewagen in der Mitte der Straße. Männer brachten sich dahinter in Position. Luke sah bereits die Mündungen ihrer Waffen aufleuchten. Sie hatten schon angefangen zu schießen.

„Wohin geht es, Walter?“

„Geradeaus. Das ist der einzige Weg raus.“

„Dann werden wir gleich wissen, wie kugelsicher dieses Glas wirklich ist.“

Luke trat das Gaspedal voll durch. Er sah wie die geparkten Autos immer näher kamen. Näher und näher. Ein dutzend Männer in schwarz feuerten dahinter ihre Waffen ab. Kugel trafen die Windschutzscheibe wie ein Schwarm Wespen.

Zwei Männer lagen auf den Motohauben der Geländewagen und feuerten noch immer.

„Na bitte!“

BOOM!

Der Suburban preschte zwischen den zwei Geländewagen hindurch, Metall traf auf Metall. Er brach durch sie durch, brachte sie zum Drehen und stieß sie fort als wären es Spielzeugautos. Die zwei Schützen wurden nach unten gezogen und überrollt.

Der Suburban verlor kaum an Geschwindigkeit.

Luke trat erneut das Gaspedal ganz durch. Der Wagen sauste nach vorne und wurde schneller. Ein Kugelhagel traf die Rückscheibe. Susan schrie erneut auf, aber dieses Mal weniger laut. Dann waren sie außer Reichweite. Luke blickte in den Rückspiegel. Männer rannten zu den Geländewagen und sprangen hinein.

„Okay“, sagte Luke. „Das hat doch gut geklappt. Wo ist die nächste Highway-Zufahrt?“

„Da vorne“, sagte Walter. „In anderthalb Kilometer auf der rechten Seite.“

Das Auto schnitt durch die Stille der Stadt. Luke bremste kaum, als er die Highway-Auffahrt nahm und raste scharf um die Ecke. Sie wechselten auf eine fast leere vierspurige Straße, die in Richtung Weststadt führte.

Das Auto nahm weiter an Geschwindigkeit zu. Die Digitalanzeige vermeldete 130, 145, dann 160. Das Auto raste ruhig dahin. Luke fuhr ohne Mühe um die Kurven. Er liebte die Geschwindigkeit, den Rausch. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Der Suburban hatte sie regelrecht weggefegt.

Hinter ihnen tauchten die ersten Wagen auf, die es auf sie abgesehen hatten. Luke konnte ihre Vorderlichter im Rückspiegel sehen. Konnte er sie in diesem Auto ausstechen? Er hatte seine Zweifel.

Er trieb das Auto weiter voran. Jetzt war er bei 190.

210.

Im Innenraum war es still. Niemand jubelte. Kein Siegestaumel. Noch hatten sie nicht gewonnen, noch lange nicht. Das hatten sie alle verstanden.

Vor ihnen gaben andere Autos Lichtzeichen und zogen zur Seite ab. Luke blickte erneut in den Rückspiegel. Rote und blaue Lichter leuchteten da, sie kamen schnell näher.

„Wir werden uns bald in großer Gesellschaft befinden“, sagte er.

Hinter ihnen kamen auch die anderen Wagen immer näher. Sie nahmen die Einfahrtsspur. Drei andere schwarze Geländewagen rasten auf den Highway direkt neben ihnen. Zweihundert Meter vor ihnen kamen zwei weitere fast zum Stehen. Ihre Bremslichter leuchteten im Dunkeln auf.

„Stone!“, sagte Chuck Berg. „Sie werden uns einkesseln.“

„Das sehe ich.“

Susan hob den Kopf. „Was würde passieren“, sagte sie, „wenn wir einfach aufgäben?“

„Sie würden uns erschießen“, sagte Brenna.

„Sind Sie sich da sicher? Ich meine nur, das ist total verrückt. Wenn sie mich hier drinnen sähen, würden sie mich dann einfach so erschießen?“

Brenna zuckte mit den Schultern. „Wollen Sie das wirklich herausfinden?“

Alle paar Kilometer fuhren sie an Wendepunkten vorbei. Dort parkten normalerweise Landpolizisten, die den Verkehr mit einem Radar überwachten oder einfach diese Punkte nutzten um umzudrehen. Sie waren kurz davor wieder einen solchen Punkt zu passieren.

Ein Geländewagen tauchte links neben Luke auf. Ein Schütze lehnte sich aus dem Beifahrerfenster.

„Runter!“, schrie Luke.

Der Mann schoss auf den hinteren Teil des Suburban. Kugeln bohrten sich in die Wagenseite. Susan schrie. Das Beifahrerfenster bekam Risse aber brach nicht. Luke drehte das Steuer scharf zur Linken. Das gepanzerte Auto fuhr gegen den schwarzen Geländewagen und drängte ihn gegen die Betonwand. Das Auto wurde zusammengefaltet, die Reifen zerfetzt und es drehte sich um hundertachtzig Grad. Der Suburban fuhr weiter.

Luke drehte sich zu ihr um. „Susan, ich habe Ihnen gesagt unten zu bleiben. Nicht nur kurz, sondern die ganze Zeit. Denen ist egal, was aus uns wird. Sie schießen auf Sie. Ich würde es vorziehen, wenn sie nicht wüssten, wo genau Sie sind.“

Jetzt waren sie von Geländewagen umzingelt. Drei vor ihnen, einer neben ihnen, zwei hinter ihnen. Die drei vor ihnen wurden immer langsamer. Es führte kein Weg um sie herum. Ihre Rücklichter gingen immer wieder an und aus, an und aus, jedes Mal, wenn sie auf die Bremse traten. Luke schaute auf den Tacho. 95. 90. 85. 80. Die Geschwindigkeit fiel schnell. Sie saßen in der Falle. Es gab keinen Ausweg.

„Ich werde mich damit unbeliebt machen“, sagte Luke. „Ich würde es zur Wahl stellen aber ich bezweifle, dass irgendjemand dafür stimmen würde.“

„Was denn?“, fragte Brenna.

Die nächste Wendeschleife kam.

„Das hier“, sagte Luke und drehte das Lenkrad wieder scharf herum.

Der schwere Suburban drehte in die Wendeschleife ab, holperte über ein paar Straßen und in die Fahrbahnen Richtung Osten.

Ein Meer aus Lichtern tauchte vor ihnen auf.

„Verdammt!“

Luke steuerte direkt auf sie zu, er biss die Zähne zusammen. Er drückte aufs Gas. Sie pflügten durch den Verkehr, die entgegenkommenden Autos zerstoben wie Blätter im Wind.

Ein Traktorträger fuhr nach links. Der Wagen erschauderte im Zugwind.

„Luke!“, schrie Susan. „Stopp!“

Der Suburban beschleunigte weiter. Autos wichen ihnen aus. Die Lichter blendeten sie fast vollkommen. Keine Zeit sich umzudrehen. Er stierte nach vorne, beide Hände umklammerten das Steuer, seine Konzentration lief auf Hochtouren.

Die Straße verlief gerade, die Autos kamen in Trauben. Luke preschte durch sie hindurch, wie ein Boot das die Wellen schnitt. Zuversicht stieg in ihm auf – dieses brummende, schwirrende Gefühl, dass er immer bekam, wenn er Dexies nahm. Er musste aufpassen.

Zu viel Zuversicht war tödlich.

Autos brausten an ihnen vorbei wie Raketen.

„Hat sich uns irgendjemand angeschlossen?“, fragte Luke.

Brenna drehte sich um.

„Nein. Niemand sonst war verrückt genug.“

„Gut.“

Luke drehte zur Linken ab und verließ den Highway an der nächsten Einfahrt.

Kapitel 52

2.21 Uhr

Büro der Gerichtsmedizin – Washington, DC

Luke erkannte Ed Newsam, der an der Wand des Gebäudes lehnte und seine M4 Flinte in den Armen hielt.

Das Gebäude war vier Stockwerke hoch und hatte eine Glasfront. Es lag nur einen Kilometer außerhalb der radioaktiven Zone, die um das Weiße Haus gezogen worden war. Die Straßen waren verwüstet. Es sah so aus, als hätten den meisten Menschen ein Kilometer nicht genügt.

Luke parkte das Auto auf dem Fußgängerweg vor dem Gebäude.

„Was jetzt?“, fragte Susan.

„Sie steigen jetzt aus. Sie werden mit Ed, Chuck und Walter in diesem Gebäude warten, was auch immer passiert, wer auch immer herkommt, Sie bleiben bei ihnen. Bleiben Sie so nah wie möglich bei Ed. Chuck und Walter sind gute Leute, aber Ed ist eine Killermaschine. Okay?“

„Okay.“

„Dann los geht’s.“

Luke sprang aus dem Wagen. Rauch qualmte aus dem Kühler. Alle Türen waren von Kugeln zersiebt worden. Drei der vier Reifen waren zerfetzt. Alles in allem hatte das Auto aber außergewöhnlich gut durchgehalten. Luke wollte auch so eines.

„Ganz schön in Fahrt gekommen, oder?“, fragte Ed.

Luke grinste. „Du hättest dabei sein sollen.“

Hinter ihm stiegen die Anderen aus dem Wagen.

„Ed, du erinnerst dich sicherlich an die Präsidentin.“

„Natürlich.“

Ed stieß die Gebäudetür auf. Er hatte wenig Hebelkraft zur Verfügung und musste sein Körpergewicht dazu einsetzen. Sie betraten das Hauptfoyer. Ashwal stand dort mit einem Rollstuhl. Er war ein dunkler Mann mit Brille, sein Haupthaar war bereits sehr licht. Es waren viele Jahre vergangen seitdem Luke ihn das letzte Mal gesehen hatte. Eine blonde Frau mit Bobhaarschnitt saß festgeschnallt in dem Rollstuhl. Sie trug ein weißes Frühlingsshirt und eine lange Hose. Ihre Haut war grau und schlaff, davon abgesehen hätte sie gerade auch einfach nur schlafen können.

„Ashwal“, sagte Luke.

Der Mann starrte ihn an. „Luke.“

Luke deutete mit beiden Händen auf Susan. „Ashwal, das ist Susan Hopkins, die Präsidentin der Vereinigten Staaten. Sie ist verletzt. Ich würde dich darum bitten, dir ihre Verletzungen einmal anzusehen und sie so gut es eben geht zu versorgen. Wir können sie in kein Krankenhaus bringen. Es gibt Leute die sie tot sehen wollen.“

Ashwal starrte Susan an. Ihm dämmerte langsam etwas.

„Ich bin kein Arzt mehr.“

„Heute Nacht bist du einer.“

Ashwal nickte, sein Gesicht war ernst. „Okay.“

Susan starrte auf die Leiche.

„Soll das ich sein?“, fragte sie.

„Ja.“

„Was wollen Sie mit ihr machen?“

Luke zuckte die Schultern. „Ich werde sie umbringen.“

Kapitel 53

2.30 Uhr

In den Straßen von Washington, DC

Sie müssen einfach nach dem Auto Ausschau halten. Es lag nahe ihnen bei ihrer Suche ein wenig unter die Arme zu greifen. Luke war nun alleine im Suburban unterwegs. Brennas M1 Schrotgewehr lag neben ihm auf dem Vordersitz. Es war mit einem Acht-Schuss-Magazin der .30-06 panzerbrechenden Munition geladen. Zehn weitere Magazine lagen auf vor dem Sitz.

Auf dem Rücksitz saß die Leiche auf dem Platz, den zuvor Susan besetzt hatte. Der Anschnallgurt hielt die Leiche aufrecht. Ihr Kopf bewegte sich mit den Bewegungen des Autos.

Luke rollte langsam durch die leeren Straßen der National Mall und des Kapitols. Er war genau am Rand der radioaktiven Zone. Irgendwo hier sollten die DC Polizisten die Straßen abgesperrt halten.

Da waren sie, Licht flackerte auf, unterhalb der Straße zu seiner Rechten. Er fuhr über die Kreuzung und hielt auf dem Bordstein. Keine Autos oder Menschen weit und breit.

Polizisten waren gut. Sie waren ein Anfang. Aber Luke brauchte die bösen Jungs. Die Polizisten hier hatten keine Ahnung, was eigentlich vor sich ging. Das Auto würde ihnen nicht einmal auffallen. Er dachte ein Minute darüber nach. Hatte er sie tatsächlich auf dem Highway abgehängt, so dass sie überhaupt keine Ahnung mehr hatten, wo er jetzt war? Das glaubte er nicht.

Er hatte noch immer sein Handy bei sich. Er wusste, dass es dumm war es zu behalten, aber er hoffte gegen alle Wahrscheinlichkeiten, dass Becca ihn doch noch anrufen oder ihm texten würde. Er zog das Handy hervor und starrte auf seinen unheimlichen Schein in der Dunkelheit.

„Scheiße“, sagte er. Er wählte ihre Nummer.

Ihr Handy war aus. Es klingelte gar nicht mehr.

„Hallo, hier ist Becca. Ich kann gerade nicht…“

Er legte auf. Er saß eine Weile bewegungslos da und versuchte an nichts zu denken. Vielleicht würden sie ihn finden, vielleicht auch nicht. Falls nicht, müsste er sich selbst auf den Weg machen und sie finden. Er schloss seine Augen und atmete tief. Er sank einen Moment in dem Fahrersitz zurück.

Langsam bemerkte er ein Geräusch. Er war das schwere Rattern eines großen Helikopters. Es bereitete ihm keine Sorgen. Es konnte tausende Gründe dafür geben, dass ein Helikopter, selbst ein militärischer, sich gerade dort oben über Washington DC befand. Er setzte sich aufrecht hin und schaute durch die Windschutzscheibe. Er konnte auf den weiten Boulevard vor ihm blicken.

Der Helikopter näherte sich über ihm. Er flog niedrig und langsam. Nach ein paar Sekunden erkannte er seine ihm vertraute Form.

Er konnte es kaum glauben, nicht hier in mitten der Stadt.

Aber es war…

…ein Apache Kampfhubschrauber.

„Oh nein.“

Luke legte einen Gang ein und trat aufs Gas. Er drehte das Steuer scharf zur linken herum und machte eine große quietschende Wende in der Mitte der Straße.

 

Der Helikopter feuerte bereits auf ihn.

Dreißig-Millimeter Patronen durchlöcherten das Dach des Geländewagens und rissen die Verkleidung des Wagens in Fetzen.

Luke zuckte zusammen aber fuhr weiter. Er drehte ein weiteres Mal scharf nach links und drehte unterhalb der Nebenstraße.

Vor ihm standen vier Straßenpolizisten vor einer niedrigen Betonbarriere. Sie schauten in den Himmel zu dem Helikopter. Zwei Polizeiwagen waren auf je einer Seite geparkt, die Lichter leuchteten still auf. Luke atmete einmal tief durch.

Echte Polizisten! Er konnte sich keine andere Berufsgruppe vorstellen, der er sich jetzt lieber ergeben hätte. Nach hundert Metern drückte er wieder auf das Gas. Der Suburban beschleunigte. Er fuhr auf die Polizisten zu.

Die Vier stoben auseinander.

Drei Sekunden später preschte er durch die Betonbarriere, die dabei in zwei Teile zerbrach, dessen zerkrümelnde Überreste er nun vor sich her fuhr. Er kam rutschend zum Stehen, fuhr ein paar Meter zurück und drehte erneut ab.

Hinter ihm waren die Polizisten in ihre Wagen gesprungen. Sekunden später heulten die vertrauten Sirenen.

Luke bog auf der Independence Avenue nach links ab. Er suchte im Himmel nach dem Helikopter. Er konnte ihn hören, aber nicht sehen. Der Suburban rauchte von den vorherigen Drehungen. Er hatte sie schwer unterschätzt. Ein Apache! Sie würden dieses Auto zerstören und dabei würde es ihnen egal sein, wer das bezeugen konnte.

Er rang dem Suburban das Äußerste ab. Er hatte ein wenig Kraft verloren und streikte bereits bei unter 130. Er raste die Independence südlich der Mall entlang. Das Gezeitenbecken war auf seiner Linken. Die Straßenlichter spiegelten sich im Wasser.

Hinter ihm kamen die Polizisten immer näher.

Der Apache tauchte wieder auf seiner Rechten auf. Er war viergeschossig. Sie schossen erneut. Die Kugeln verfehlten ihr Ziel nicht. Sie klangen wie ein Presslufthammer. Das Fenster der rechten Beifahrerseite zerbrach und besprenkelte die Leiche mit Glas.

Luke versuchte wie verrück dem Beschuss auszuweichen, während sein Fuß das Gaspedal immer noch durchdrückte. Die Straße sauste an ihm vorbei. Weiter vorne zu seiner Linken konnte er das in der Nacht erleuchtete Lincoln Memorial sehen.

Der Helikopter kam zurück. Das Schießen hatten sie jetzt aufgegeben. Anstelle dessen setzen sie jetzt auf Hydra Raketen. Eine Reihe Raketen schoss aus der rechten Seite des Helikopters. Drei, vier, fünf.

Vor ihm wurde die Straße in rote und gelbe Schatten gesprengt. BOOM… BOOM… BOOOM.

Er drehte scharf nach links. Der Geländewagen krachte durch einen Maschendrahtzaun und hüpfte auf das Gras. Luke wurde auf seinem Sitz durchgeschüttelt. Seine Hände umklammerten das Steuer. Er nahm kaum Gas raus.

Mehr Raketen kamen. Eine steckte eine Reihe von in Blüten stehenden Kirschbäumen in Brand. Die kleinen Hügel um ihn flogen in die Luft.

Das Auto wurde hinten getroffen.

Luke spürte wie der hintere Teil nach oben in die Luft gerissen wurde. Er stieß seine Tür auf und sprang hinaus.

Er traf auf dem Gras auf und rollte sich nach links ab. Die Hinterräder des Wagens landeten wieder auf dem Boden und das Auto fuhr weiter den Hügel hinab gen Wasser.

Luke sah den Funken einer anderen Hydra Rakete, als sie abgefeuert wurde. Sie zischte durch die Luft, durchdrang die Karosse des Wagens und traf ihr Ziel. Flammen stiegen einen Moment auf bevor das gesamte Auto in die Luft flog.

BOOOOOM.

Luke schmiss sich auf den Boden und umklammerte seinen Kopf mit den Händen, um ihn vor den herumfliegenden Autoteilen zu schützen. Einen Moment später drehte er sich um. Das Auto rollte noch immer, rote und gelbe Flammen griffen wie Arme nach dem Nachthimmel. Im Auto brannte eine Frau Ende vierzig, ohne Herkunft, eine Person ohne Namen. Luke konnte ihren Umriss erkennen.

Das in Flammen stehende Auto rollte nun langsam auf die Kante des Wassers zu. Der Rand des Gezeitenbeckens war wie ein Sprungbrett. Das Auto fuhr über den Rand hinein. Es blieb für ein paar Sekunden dort hängen, halb im Wasser, halb noch auf dem Land, bevor es komplett hineinversank. Es brannte noch während es sank.

Der Helikopter drehte ab und verschwand. Sekunden später war er nur noch ein schwarzer und ferner Schatten am Nachthimmel.

Luke lag auf dem Gras und atmete schwer. Ein Polizeiwagen kam schlitternd hinter ihm zum Stehen, seine Sirenen heulten. Zwei Polizisten sprangen hinaus, einer weiß, einer schwarz. Sie kamen mit Taschenlampe und gezogener Waffe auf Luke zu.

„Umdrehen. Arme ausstrecken.“

Luke tat was der Mann ihm sagte. Grobe Hände durchsuchten ihn. Sie drehten seine Arme auf seinen Rücken und zogen die Handschellen eng zu.

„Sie haben das Recht zu schweigen“, begann der Polizist.