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Koste Es Was Es Wolle

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Koste Es Was Es Wolle
Koste Es Was Es Wolle
Darmowy audiobook
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Kapitel 28

Sie nannten ihn Little Bird. Manchmal auch Flying Egg. Es war der MH-6 Helikopter – schnell und leicht, gelenkig, die Art Helikopter, die nicht viel Platz zum Landen brauchte. Er konnte auf flachen Dächern landen und auf engen Straßen in menschengefüllten Vierteln.  Der Helikopter war unter den Spezialkommandos beliebt und Don hatte einen beschafft, als das Spezialeinsatzkommando gegründet worden war.

Er flog flach über die Straßen, knapp über den elektrischen Leitungen. Luke und Ed saßen auf der hölzernen Bank, die an der Seite angebracht war, ihre Beine baumelten in der Luft. Neben dem Schrottplatz fand der Pilot ein zweistöckiges Betongebäude mit einer Feuerleiter. Er setzte auf und die beiden Männer sprangen hinaus auf das Dach. Drei Sekunden später war der Helikopter schon wieder in der Luft.

Eine Minute später liefen Luke und Ed bereits über den staubigen Platz in Richtung Lieferwagen. Der Platz war voller Polizisten. Sieben oder acht Polizeiwagen parkten auf der Straße und auf dem Bürgersteig, ihre Lichter blinkten. Zwei Feuerwehrwagen waren auch dort. Ein Wagen, der im Fall von Gefahrgütern zum Einsatz kam und einer, der für die Entschärfung von Bomben gebaut worden war, standen auf dem Platz, gelbe Polizeimarkierungen versperrten den Eingang.

In einer Ecke des Platzes durchsuchten Leute in Schutzanzügen den Wagen. Alle seine Türen standen offen. Ein Körper lag auf dem Boden neben der Beifahrertür, eine Blutlache hatte sich dort gebildet. Ein weiterer Körper saß auf dem Fahrersitz.

Fünfzig Meter von dem Lieferwagen entfernt trat ein Polizist vor sie.

„Nicht weiter.“

Luke zeigte ihm sein Polizeiabzeichen. „Agent Stone, FBI Spezialeinsatzkommando.“ Er sagte das in einer Weise, die durchklingen ließ, dass er auch nicht genau wusste, für wen er eigentlich arbeitete. Immerhin hatte er immer noch sein Abzeichen. Das musste reichen.

Der Polizist nickte. „Ich nehme an, Sie sind nicht irgendwer. Die wenigstens kommen einfach mal so mit einem Helikopter angeflogen. Von hier ab gilt das Gebiet als kontaminationsgefährdend. Wenn Sie weiter wollten, sollten Sie Schutzanzüge anziehen.“

Luke hatte keine Lust, zwanzig weitere Minuten damit zuzubringen einen Schutzanzug anzulegen. Er deutete auf den Mann neben dem Lieferwagen. „Haben Sie eine Ahnung, was hier passiert ist?“

Der Polizist grinste. „Ich habe da schon ein paar Dinge gehört.“

„Wie sind sie gestorben?“

Der Polizist deutete mit dem Finger auf etwas. „Dem auf dem Boden wurde in den Kopf geschossen. Waffe mit großem Kaliber, abgefeuert aus größerer Entfernung.  Die Kugel hat einen großen Teil seines Gehirns und Schädels erwischt, als sie ausgetreten ist. Der Typ hatte Glück – er hat wahrscheinlich nicht gewusst, was ihn da traf.“

„Jemand hat ihn erschossen?“, fragte Ed.

„Wenn Sie näher dran wären, würden Sie mir diese Frage nicht stellen. Gehirnmatsch überall auf dem Boden. Sieht aus als hätte jemand einen Teller Guacamole fallen lassen.“

„Er hat sich nicht selbst erschossen?“

Der Polizist zuckte die Schultern. „Alles, was ich weiß, hab ich von den Ballistikern. Sie haben ein paar Sachen berechnet und werden ein Computermodel erstellen, aber auf den ersten Blick glauben sie, dass es sich um einen Schützen handelt, der von einem der umliegenden Dächer geschossen hat.“

Luke blickte sich um. Es war ein Viertel, das hauptsächlich aus zwei- und dreistöckigen Wohnhäusern, Maschinenläden und Lagerhäusern bestand. Es gab Alkoholfachverkäufer, Scheckeinlösestellen und Läden für den Ankauf von Gold auf Höhe der Straße. Er drehte sich um und blickte zu dem Mann.

„Sie sagen, er sei von einem Scharfschützen erledigt worden? Wer würde einen Scharfschützen auf eines dieser Gebäude neben der Polizei stellen?“

Der Polizist hob die Hände. „Ich mache nur meinen Job hier. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir es nicht waren. Wir hatten Anweisungen, den Typen möglichst lebendig festzunehmen und der Typ auf dem Boden war bereits tot, als der erste Polizist hier aufkreuzte.“

„Was ist mit dem Anderen?“

„Dem Fahrer? Sieht nach Strahlungskrankheit aus oder er hat irgendwas anderes genommen. Es gibt auf jeden Fall keine offensichtlichen Schuss- oder Stichverletzungen. Kein Blut. Er sitzt einfach da, am Steuer, als hätte er den Wagen geparkt und wäre gestorben. Sie werden noch ein toxikologisches Gutachten für ihn erstellen, aber das kann eine Weile dauern. Wegen all der Strahlung kann es noch ein paar Stunden dauern, bis sie die Leichen überhaupt hier heraustransportieren können.“

„Hatten sie irgendwelche Geräte dabei?“, fragte Ed. „Handy, Tablet, Laptop?“

Der Polizist schüttelte den Kopf. „Soweit haben wir nichts gefunden. Klingt seltsam, nicht wahr? Zwei Jungs auf Mission ohne Kontakt zum Mutterschiff?“

„Haben sie Fingerabdrücke genommen?“, fragte Luke.

Der Kopf nickte. „Das und auch DNA. Das war eines der ersten Dinge, die sie gemacht haben, als die Leute in den Schutzanzügen hier ankamen.“

„Danke.“

Luke und Ed liefen zurück zum Gebäude, wo der Helikopter gelandet war. „Genau davor hatte ich Angst“, sagte Luke. „Von Ali Nassar abgesehen waren diese Jungs hier die einzige verbleibende Verbindung zu wer auch immer das Weiße Haus angegriffen hat. Es waren mit Sicherheit nicht sie.“

„Was vermutest du?“, fragte Ed. „War die ganze Geschichte mit dem radioaktiven Müll dann nur eine Ablenkung?“

„Vielleicht. Oder es war ein Plan B, der schief gelaufen ist. Keine Ahnung.“

Luke nahm sei Satellitentelefon. Er und Trudy hatten jetzt auf Satellitentelefon umgestellte. Diese waren nur gegenüber schlechtem Wetter empfindlich und funktionierten auch dann noch, wenn die Kommunikationsnetze zusammenbrachen, so wie es gerade an der Ostküste geschehen war.

Er wartete, bis das Telefon sich mit dem Satelliten angefreundet hatte und den Verbindungsaufbau mit Trudy startete. Piep… Piep… Piep… Satellitentelefone machten ihn immer ein wenig misstrauisch. Er wusste, dass das albern war. Es war ein Überbleibsel aus der Zeit, als es Drohnen mit Hilfe der Satellitenverbindung erleichtert wurde, Bodenziele anzugreifen. Damals war jemand mit einem Satellitentelefon ein echter Gefahrenposten gewesen. Aber heutzutage spielte das keine Rolle mehr. Die neusten Drohnen konnten sich  Handys, Laptops, fast alles, was mit GPS funktionierte zunutze machen.

„Hallo?“, fragte eine Stimme. Es war Trudy. Sie hörte sich an als würde sie auf dem Boden einer Blechbüchse sitzen. „Luke?“

„Trudy, hör zu! Wir sind jetzt bei dem Lieferwagen. Es gibt zwei Verdächtige, beide sind tot. Ein Polizist hat mir gesagt, dass sie DNA und Fingerabdrücke haben. Setz dich mit wem auch immer in Verbindung, der da dransitzt. Wenn die Ergebnisse reinkommen, will ich sie haben.“

„Werde ich, Luke. Aber hör mal. Swann hört hier fast in Echtzeit mit, was in der iranischen Vertretung passiert. Sie werden Ali Nassar heute noch zum Flughafen bringen. Sie wollen ihn aus dem Land schaffen. Alles deutet darauf hin, dass sein Jet eine Abflugerlaubnis für 15.30 Uhr bekommen hat.“

Luke blickte auf seine Uhr. Es war 14.05 Uhr.

„Himmel. Können wir ihn irgendwie aufhalten?“

„Ich habe mit Ron Begley darüber gesprochen“, sagte sie. „Er hat gelacht. Er sagte, dass der Verfassungsschutz ihn nicht anfassen wird. Nach ihrem Verständnis ist der Mann Diplomat und hatte nichts mit dem Anschlag zu tun. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass Iran eine Rolle dabei gespielt hat und sie wollen heute keinen zweiten internationalen Skandal riskieren.“

„Verdammt!“, sagte Luke. Nassar war die eine noch verbleibende Verbindung zu dem Anschlag, und Ron Begley würde ihn einfach entkommen lassen. „Verdammte… was ist mit der lokalen Polizei?“

„Keine Chance“, sagte sie. „Sie haben bereits klargemacht, dass, wenn der Verfassungsschutz ihn nicht will, sie keine Befugnis haben. Außerdem sind sie schlichtweg mit der Situation überfordert. Die gesamte Polizei ist mobilisiert worden, jeder Bahnhof und jeder öffentliche Platz wird überwacht. Ali Nassar ist deine Sache, Luke. Niemand sonst schert sich um ihn.“

„Dann sei es so“, sagte Luke. „Dann werde ich ihn selbst stoppen.“

„Wo?“, fragte sie.

Luke schüttelte seinen Kopf und bemerkte, dass sie ihn gar nicht sehen konnte. „Nein. Wir sind auf dem Weg zurück nach New York. Wenn wir die Vertretung stürmen, müssten wir gerade noch rechtzeitig kommen. Ich will, dass die Leute vor der iranischen Vertretung sofort Bescheid geben, wenn Nassar das Gebäude verlässt.“

„Außerdem gibt es da noch ein paar mehr Sachen, die du wissen solltest“, sagte Trudy. „Sie werden in einem bewaffneten Konvoi aus Geländewagen zum Flughafen fahren.“

„Das würde ich nicht anders machen“, sagte Luke. „Stell sicher, dass unsere Leute wissen, wie Nassar aussieht. Wenn es mehr als einen Konvoi gibt, will ich das wissen und ich will eine Einschätzung haben, in welchem Konvoi er mit größter Wahrscheinlichkeit sitzt. Und wenn sie sich was ausdenken müssen, wie sie den Wagen anhalten und feststellen, wer darin sitzt. Eine getürkte Polizeikontrolle wäre eine Möglichkeit, ist mir egal. Sag Swann, er soll ein paar seiner Spielzeugdrohnen in die Luft schicken und bereit sein, möglicherweise mehreren Konvois zu folgen. Finde heraus, wie nah sie mit den Kameras da rankommt.“

„Luke, noch etwas anderes. Nassar hat eine fünfjährige Tochter. Die Mutter ist Libanesin und lebt hier in New York. Sie werden alle zusammen das Land verlassen. Sie werden also wahrscheinlich auch mit in seinem Auto sitzen.“

Luke sagte kein Wort. Er fühlte einen Stein im Magen bei dem Gedanken, dass das Mädchen mit im Auto sein würde. Warum musste es auch immer irgendein Problem geben? Warum konnte nicht einmal alles glatt laufen?

Neben ihm rief Ed gerade den Helikopter zurück. Einen Moment später konnte Luke ihn bereits sehen, ein schwarzes Insekt in der Ferne, das sich rasch näherte und jede Sekunde größer wurde. Er und Ed liefen auf die Feuertreppe zu und kletterten sie hinauf.

 

„Eröffne das Schussfeuer nicht gleich, wenn du reingehst“, sagte Trudy. „Das will ich dir nur gesagt haben.“

„Das war doch noch nie der Fall.“

„Nie?“

Luke grinste. „Nein. Das überlasse ich voll und ganz Ed.“

Kapitel 29

14.35 Uhr

Mount Weather Notfalleinsatzzentrale – Bluemont, Virginia

Das Meeting war chaotisch. Es zog sich bereits seit über einer Stunde hin.

Thomas Hayes versuchte einen wildgewordenen und verängstigten Haufen wieder unter Kontrolle zu bringen. Es funktionierte nicht. Fast alle waren sie kluge, intelligente und kreative Leute, normalerweise die besten und hellsten. Aber die Angst hatte ihre Kreativität lahm gelegt und sie erstickte jegliche Anstrengung, Initiative zu ergreifen. Sie bekamen es nicht einmal auf die Reihe herauszufinden wo die fehlenden Leute gerade noch steckten. Hayes konnte kaum glauben, wie unorganisiert die Evakuierung vonstatten gegangen war.

Es war hilfreich die bekannten Informationen zusammenzutragen. „Sir, um ungefähr 12.30 Uhr hat der Kommandoposten der Luftwaffe Codename Nightwatch vom Stützpunkt Andrews abgehoben und fliegt seitdem Richtung Westen. Er befindet sich derzeit über dem Osten von Missouri in zwölftausend Metern Höhe.“

Hayes blickte über den Konferenztisch in eine Reihe leerer Gesichter.

„Wer hat das angeordnet?“

Niemand sprach ein Wort. Nightwatch sollte nur im Falle eines nuklearen Anschlags aktiviert werden. Die Codes für die Raketen befanden sich an Bord.

Hayes blickte streng in die Runde. Ein Geheimdienstmitarbeiter stand in der Nähe der Tür und hielt einen Lederkoffer in der Hand. Der Koffer war mit einer Stahlkette an seinem Handgelenk befestigt. Hayes wusste, dass der Koffer ein Aluminium ZERO Halliburton Koffer war. Er grunzte innerlich vor Freude. ZERO Halliburton, das lange Hersteller des Atomkoffers des Präsidenten gewesen war, war jetzt eine Tochtergesellschaft eines japanischen Taschenherstellers. Traditionen waren eine seltsame Sache.

Hayes blickte zu seinem Berater. „Junge, befinden wir uns, unseres Wissens nach, im Krieg?“

„Nein, Sir.“

„Wer ist dann bitte an Bord dieses verdammten Flugzeuges?“

„Sir, der Senator von Kansas Edward Graves ist an Bord zusammen mit einer Handvoll von Pentagon Offiziellen.“

Thomas Hayes ließ seine Schultern hängen. Ed Graves war Vorsitzender des Komitees der Streitkräfte im Senat und zählte zu den wohl dümmsten Mitgliedern beider Gremien des Kongresses.

Der Mann hatte die geistige Kapazität eines Baumstumpfes. Er war nie in einen Krieg oder ein Grenzscharmützel involviert gewesen. Die Tatsache, dass das Nightwatch Flugzeug gebaut worden war, um dem Präsidenten einen Vergeltungsschlag im Falle eines nuklearen Schlags zu ermöglichen, machte es in den Händen von Ed Graves zu einem gefährlichen Instrument. Himmel, wahrscheinlich glaube er zum Präsidenten aufgestiegen zu sein, nur weil er jetzt in dem Flugzeug saß.

Hayes wandte sich an den gesamten Raum. „Kann mir bitte jemand den Gefallen tun und ihn da runterholen? In St. Louis, Kansas City was auch immer nah dran ist. Sagt ihm, ich hätte das angeordnet.“

Hayes rieb sich die Stirn. Er war müde und hatte Kopfschmerzen.

David Halstram saß in einer Ecke des Raumes. Er war hereingekommen als er gesehen hatte in welchem Zustand sich Hayes befand.

„Alles klar, herhören bitte! Lassen Sie es uns angehen. Doch davor würde ich eine halbstündige Pause vorschlagen, alle können sich frisch machen, einen Kaffee trinken, entspannen, was immer Ihnen angenehm ist.“ Er blickte auf seine Uhr. „Das hieße, dass wir uns hier um genau 14.50 Uhr wiedertreffen. Oder wissen Sie was? Sagen wir vierzig Minuten und wir treffen uns Punkt 15 Uhr hier wieder. Es geht hier um schwerwiegende Probleme, ich weiß, aber diese Probleme werden sich sicherlich nicht in Luft auflösen, sondern in vierzig Minuten immer noch geduldig auf uns warten.“

„Danke, David“, sagte Hayes. „Das ist eine gute Idee.“

Susan Hopkins hob eine flache Hand in die Höhe. Sie sah aus wie ein STOP Schild. „Thomas, dürfte ich etwas sagen?“

„Susan, kann das nicht warten?“

„Thomas, ich halte es für äußerst wichtig und ich bin mir nicht sicher, dass es bis um drei warten kann.“

Hayes verlor die Geduld. Er hätte jeden angefahren, der ihn jetzt angesprochen hätte. Aber sie war die Vize-Präsidentin und die Absurdität ihrer Beziehung zueinander zehrte noch mehr an seinem Geduldsfaden, als es bei jedem anderen gewesen wäre. Die Worte rutschten ihm heraus, noch bevor er sie zu fassen bekam.

„Wir sind hier nicht bei einem Kochwettbewerb, Susan. Und du organisierst hier auch keine Modenschau. Was ist bitte so wichtig, dass es nicht warten könnte?“

Sie erwiderte kein Wort. Ihr Gesicht verfärbte sich dunkelrot. Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und verließ den Raum.

Kapitel 30

15.15 Uhr

In der Luft – Bezirk Queens, New York

Der Helikopter hatte Staten Island und die Verrazano-Narrows bereits hinter sich gelassen und befand sich jetzt über Brooklyn. Sie flogen gerade Richtung Osten entlang der Ozeanstrände, niedrig und schnell rauschten sie über den Boden. Bald würden sie nach links ausscheren und gen Norden entlang der Van Wyck Schnellstraße fliegen.

Luke und Ed saßen eng gedrängt im Frachtraum des Helikopters. In New Jersey hatten sie sich eine weitere Dexedrine eingeworfen. Sie begann Wirkung zu zeigen.

Es war ein langer und brutaler Tag gewesen. Luke war schlicht und ergreifend zu lange wach. Er war gewürgt, angegriffen, getreten, geschlagen worden, auf ihn war geschossen worden und ja, er wäre fast in die Luft gesprengt worden. Er war von seinem Job suspendiert und des Mordes bezichtigt worden. Aber mit der Wirkung der Dexies fühlte er seinen Optimismus vorsichtig zurückkommen. Immerhin hatte er das Leben des Präsidenten der Vereinigten Staaten gerettet. Das musste doch etwas wert sein.

Der Helikopter war winzig. Er konnte seine Hand ausstrecken und beide Piloten erreichen. Er zwängte seinen Kopf zwischen ihnen hindurch. Es waren Jacob und Rachel, die Piloten von heute Morgen.

„Seid ihr bereit, das Ding hier zu fliegen?“, schrie er.

Hinter ihm saß Ed in der Nähe der offenen Frachttür, er lud dreißig Magazine für ein M4 Sturmgewehr. Ein kleiner Berg türmte sich neben ihm.

„Sind wir nicht schon mittendrin?“, fragte Rachel.

Luke mochte Rachel. Sie hatte dunkles rotbraunes Haar. Sie war muskulös so wie die Frauen auf den alten Rosie the Riveter Postern. Natürlich war sie das. Sie beherrschte einen Mix verschiedener Kampftechniken. Stramme Arme, stramme Beine, sie musste die Hölle im stählernen Käfig sein.

„Ed könnte übernehmen“, sagte Luke. „Aber ich brauche ihn an der M4. Ich meine nur, seid ihr bereit, dieses Ding so zu fliegen, wie ihr es in der Armee der Vereinigten Staaten gelernt habt? Es wird happig werden.“

„Wir sind bereit, Luke“, sagte Jacob. Jacob war so ziemlich das Gegenteil von Rachel. Er war schlank und lang. Er sah gar nicht nach dem Prototyp eines Elitesoldaten aus. Leute, die für Spezialeinheiten arbeiteten, konnte man gewöhnlich schon am Erscheinungsbild erkennen. Wahrscheinlich hätten weder Delta, noch SOAR, noch die Rangers oder SEALS ihn genommen. Was ihn auszeichnete, war jedoch, neben seiner überbordenden Ruhe, die Tatsache, dass er zu den wohl zehn besten noch lebenden Helikopterpiloten auf diesem Planten zählte.

Rachel nickte. „Du weißt genau, dass wir bereit sind.“

„Gut. Ein Konvoi aus Geländewagen ist auf dem Weg zum Kennedy Flughafen. Dort wird er aber nie ankommen, weil wir ihn stoppen werden.“

„Gibt es da sonst noch jemanden außer uns?“, fragte Jacob.

„Swann hat ein paar kleinere Drohnen losgeschickt, die für uns die Gegend sichten. Ein paar unserer Autos hat er sicherlich auch losgeschickt. Davon abgesehen, ich und der große Kerl mit dem großen Gewehr dort hinten.“

„Was habt ihr vor?“

Luke grinste. „Ich bin der Anführer der Cheerleader. Halte die Sprechanlage frei und höre auf meine Schreie.“

„Hey, Luke“, rief Rachel. „Als ich aufgehört habe bei SOAR zu arbeiten hat der erste Offizier mich gefragt, was ich mit dem Rest meines Lebens anstellen wolle. Weißt du, was ich gesagt habe? Ich habe gesagt, dass ich für das Spezialeinsatzkommando arbeiten wollen würde. Weißt du warum? Weil dort Luke Stone arbeitete. So viele Jahre, die ich Helikopter geflogen war und nie hatte ich die Gelegenheit zu sterben. Ich hoffte, dass Luke das vielleicht ändern könne.“

„Du gefällst mir“, sagte Luke.

„Übrigens“, sagte Jacob. „Das ist ein Gebiet voller Zivilisten.“

Luke nickte. „Deshalb müssen wir das auch ohne zu schießen auf die Reihe bekommen.“

Einen Moment später piepste Lukes Satellitentelefon. Er ging ran und hielt das Telefon dicht an sein Ohr.

„Swann? Was passiert vor Ort?“

„Wir beobachten sie. Sie haben die Vertretung vor etwa fünfzehn Minuten verlassen.“

„Und?“

„Sie haben anscheinend nicht mitbekommen, dass wir mitgehört haben“, sagte Swann. „Das ist das einzige, was Sinn ergibt. Sie sind mit einem Konvoi los. Zwei Range Rovers, dazwischen ein großer schwarzer Lincoln Navigator. Nassar ist zu neunzig Prozent in dem Lincoln. Sie sind geradewegs zum Midtown Tunnel gefahren und haben dort am Checkpoint gehalten. Die Polizisten haben ihre Identitäten überprüft und sie durchgewunken. Ich habe sie auf der anderen Seite mit einer Drohne wieder abgefangen. Ich beobachte sie jetzt. Sie sind gerade auf die Van Wyck gewechselt und fahren Richtung Flughafen. Zwei Geländewagen sind an ihnen dran und folgen ihnen im zwei Kilometer Abstand.“

„Sonst kam niemand aus der Vertretung?“, schrie Luke in das Telefon.

„Zwei Beamte sind noch dort“, sagte Swann. „Niemand ist soweit dort herausgekommen. Ich glaube, dass es besagter Konvoi ist, in dem er sitzt. Sie wissen nicht, dass wir gelauscht haben und sie haben keinen Schimmer, dass wir an ihnen dran sind. Sie haben nicht einmal versucht, uns in die Irre zu führen.“

„Na gut“, sagte Luke. Er überprüfte die Straße unter ihnen. Der Helikopter flog Richtung Norden, westlich des Highways. Der Konvoi fuhr gen Süden. Ihre Wege sollten sich jeden Moment kreuzen. Der Verkehr war sonderbar ruhig und die Autos fuhren in hohem Tempo. Nach wie vor versuchte jeder so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, bevor die Welt endete.“

„Was hast du vor?“, fragte Swann.

„Wir werden sie auf den Seitenstreifen drängen“, sagte Luke. „So wie das Polizisten mit Rasern machen. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, lass unsere Geländewagen mit Licht und Sirene auf sie los. Wir werden sie einkesseln und ihnen eine Waffe an den Kopf halten. Ich denke, das sollte genügen.“

„Okay“, sagte Swann. „Ich bin auf Standby.“

In diesem Moment rauschte ein weißer Range Rover unter Luke vorbei, gefolgt von einem schwarzen Navigator. Ein zweiter weißer Range Rover bildete das Schlusslicht des Gespanns. Sie fuhren schnell. Der Helikopter schoss an ihnen vorbei. Luke pochte auf Rachels Helm.

„Seht ihr das?“

„Haben wir“, sagte Rachel.

„Das ist unser Ziel“, sagte Luke. „Lass uns die Richtung wechseln.“

Der Helikopter drehte, ging in Schräglage und flog gen Süden.

„Swann, schick die Geländewagen los.“

„So gut wie unterwegs“, sagte Swann.

Unter ihnen tat sich etwas, zwei schwarze Geländewagen waren noch etwa einen halben Kilometer entfernt und näherten sich mit großer Geschwindigkeit. Ihre Frontscheiben reflektierten die roten und blauen Lichter der Sirene. Ihre Fahrer drückten das Gaspedal durch und nach wenigen Sekunden hatten sie auf hundertsechzig Kilometer pro Stunde beschleunigt.

Der Helikopter war schneller.

Luke blickte zu Newsam. „Hast du die Waffe bereit?“

Ed zeigte ein geisterhaftes Grinsen. Er liebkoste den Gewehrlauf. „Diese alte Knarre? Wir kennen einander schon sehr lange.“ Er trug gelb eingefärbte Brillengläser. Er hatte einen Gehörschutz aufgesetzt. Er glitt aus der Frachtraumtür, bis er auf der Außenbank saß. Er schnallte sich fest.

Sie beobachteten, wie die Geländewagen dem Konvoi immer näher kamen. Das alles passierte innerhalb weniger Kilometer. Die Range Rover und der große Navigator sahen die Lichter kommen und schwenkten auf den Seitenstreifen des Highways. Die Geländewagen kamen hinter ihnen zu stehen. Mit einem Meter Abstand rauschte der Verkehr an ihnen auf der rechten Seite vorbei.

 

„Das war einfach“, schrie Newsam von draußen.

„Ja“, sagte Luke. „Zu einfach.“

Der Helikopter war dabei zu landen. Er schwebte fünfzehn Meter über dem Boden und war etwa dreißig Meter vom ersten der Wagen entfernt.

„Swann, wir wollen nur Nassar, sonst niemanden. Wenn er in dem Navigator ist, dann sollen deine Jungs ihn einfach rausholen und wegbringen.“

„Alles klar, Luke.“

Zwei der Leute aus den Geländewagen liefen auf jeweils einer Seite der Autoreihe entlang. Sie bewegten sich schnell und hatten ihre Waffen gezückt. Sie bewegten sich auf das mittlere Auto zu, den schwarzen Lincoln. Der Mann auf der Seite des Seitenstreifens hämmerte gegen die Tür. Nichts geschah. Niemand kam heraus.

Luke tippte Ed an. „Halt deine Waffe drauf! Das gefällt mir gar nicht. Zwei Männer reichen nicht.“

Newsam hob die Waffe und zielte. „Hab ihn.“

„Swann! Gib mir zwei Männer mehr für den Wagen.“

Ohne Warnung öffnete sich die Hintertür des ersten Range Rovers. Ein Mann mit Maschinenpistole kam heraus und eröffnete das Feuer. Luke konnte das hässliche Rattern der Maschinenpistole hören. Der erste Mann wurde von dem Feuerhagel niedergeschossen. Der zweite Agent duckte sich und rannte zurück zum Wagen.

„Mann am Boden!“, schrie Swann. „Mann am Boden! Scheiße. Trudy, ruf die 911. Wir brauchen einen Krankenwagen. Verdammte Scheiße.“

Der Mann aus dem Range Rover spazierte langsam in Richtung des verletzten Agenten. Er schob seine Maschinenpistole zur Seite. Sie hing jetzt auf seinem Rücken. Er zog eine Handfeuerwaffe aus seiner Jacke hervor und zielte auf den Kopf des Agenten.

„Ed!“ rief Luke. „Lass das nicht zu.“

Das plötzliche Gewitter der M4 war erderschütternd neben Lukes Kopf. Er duckte sich weg, seine Ohren klingelten. Newsam glich den Rückstoß gekonnt aus, seine Muskeln spielten, sein Gesicht war eine leblose Maske.

Er konzentrierte sich voll darauf. Eine Reihe Kugeln trafen den Range Rover. Der vordere linke Reifen explodierte und die Windschutzscheibe zerbarst. Der Mann mit der Handfeuerwaffe erzitterte nur eine Sekunde und fiel neben den Mann, den er gerade hatte töten wollen, zu Boden. Der Agent, verletzt, aber lebendig, begann in Richtung eines Entwässerungsgrabens zu kriechen.

„Dein Mann bewegt sich, Swann. Er lebt. Schick jemanden, der ihn da rausholt.“

Der erste Range Rover war aus dem Gefecht gezogen. Eine dichte Wolke dampfte aus dem Kühler. Dahinter zog der Navigator scharf zurück auf die Straße, der zweite Range Rover war direkt hinter ihm. Beide Wagen drehten ab und rasten den Highway hinab. Das alles passierte innerhalb von Sekunden. Ein Geländewagen scherte aus und folgte ihnen.

Der Navigator zog gerade unter ihnen vorbei. Der Helikopter befand sich auf der Breitseite der Straße, die Frachttür stand weit offen. Ed saß draußen auf der Bank. Der Range Rover kam. Zu spät sah Luke die Gewehrmünder aus den Fenstern der Rückbank blinken.

„Achtung! Beschuss!“

Ein Gewehrfeuer wie ein Schwarm verärgerter Wespen brach um sie herum aus. Luke legte sich flach auf den Boden. Etwas streifte seine rechte Schulter. Ein Riss, dann ein stechender Schmerz. Metall wurde zerfetzt. Glas zersplitterte. Ed Newsam schrie.

Luke kroch zu ihm. Er griff Ed unter den Schultern und zog ihn zurück in den Helikopter.

Eds Gesicht war von Schmerz verzerrt. Sein Blick war wild und entfesselt. Er atmete schnell. „Ich wurde getroffen“, sagte er. „Scheiße, das tut weh.“

„Wo genau?“

„Keine Ahnung. Überall.“

Eine Stimme drang durch die Gegensprechanlage. Es war Jacob. „Luke, die rechte Seite unserer Windschutzscheibe ist weg. Der Feuerhagel hat sie zerschmolzen.“ Er klang ganz entspannt, als würde er von einem ruhigen Wochenende daheim erzählen.

„Ist jemand verletzt?“, schrie Luke.

„Ähm, wir sitzen in einem Scherbenhaufen, aber sind soweit okay. Die Windschutzscheibe wird hohe Geschwindigkeiten wohl nicht mehr mitmachen.“

„Ed wurde getroffen“, sagte Luke.

„Tut mir leid. Wie schlimm ist es?“

„Ich weiß es nicht.“ Luke zog sein Messer heraus und begann Eds Jumpsuit aufzuschneiden.

Ein schwarzes Innenfutter kam darunter zum Vorschein. Eine beschusshemmende Weste. Das war überraschend. Luke hatte gar nicht daran gedacht, eine anzuziehen. Er fasste sie an.

„Ist dir in dem Ding nicht heiß?“

Ed zuckte die Schultern. Vor Schmerzen traten ihm Tränen in seine Augen.

„Stylisch“, brachte er heraus.

„Ja. Mehr als nur stylisch. Das Ding hat dir dein Leben gerettet.“

Luke fühlte unter der Weste nach. Nichts war durchgedrungen. Seine Hände tasteten Eds Körper ab. Eds rechten Arm und seine Schulter hatte es schwer erwischt. Ein großer Teil seines rechten Oberschenkels war zerfetzt. Die rechte Ecke seines Beckens war getroffen worden. Sein Jumpsuit war an dieser Stelle zerrissen und von Blut durchdrängt. Wenn Luke die Stelle berührte, fing Ed wieder an zu schreien.

„Okay“, sagte Luke. „Das sieht nicht gut aus.“

„Hast du gerade gehört, wie ich geschrien habe?“, fragte Ed mit zusammengebissenen Zähnen. „Klang wie ein Mädchen.“

„Ich weiß“, sagte Luke. „Ich schäme mich für dich. Vor allem, weil du das hier überleben wirst und ich dann allen bis ans Ende meines Lebens von diesem Schrei erzählen werde.“

Der Helikopter drehte sich und flog nun wieder Richtung Süden, den Autos folgend. Luke stand auf und nahm den Erste-Hilfe-Koffer von der Wand. Er beugte sich über Ed und begann sogleich dessen Wunden zu desinfizieren. Eds Körper verkrampfte sich, als das Desinfektionszeug mit seiner Haut in Berührung kam.

„Es tut weh“, sagte Ed. „Sehr sogar.“

Luke wollte gar nicht erst an die Sorte Schmerz denken, die einem Mann wie Ed so sehr zusetzte. „Ich weiß“, sagte er. „Ich werde dir eine Tablette geben. Das wird den Schmerz stillen, dich aber auch aus dem Verkehr ziehen.“

Ed schüttelte den Kopf.

„Hilf mir nur nach draußen. Ich krieg das mit der Waffe hin. Ich schnall mich an der Tür fest, das wird gehen. Ich werde schon nicht herausfallen.“

„Ed…“ Luke blickte durch die Tür. Sie flogen schnell und niedrig. Der Highway war direkt unter ihnen. Aus seiner Sicht vom Boden aus konnte er nicht sehen, wo die Autos sich gerade befanden. Er streckte seinen Kopf aus der Seitentür und blickte auf die Straße vor ihm.

Der Oberkörper eines Mannes lehnte aus dem Beifahrerfenster des Range Rovers, dabei richtete er eine Maschinenpistole auf sie.

„Was zur Hölle.“

Luke wich zurück, als erneut ein Kugelhagel losbrach, der das Metall zerbeulte.  Er und Ed lagen sich Auge in Auge auf dem Boden gegenüber. Luke kniete sich wieder hin. „Ich werde mich nicht mit dir streiten, Ed. Dafür habe ich jetzt keine Zeit.“

Ed schüttelte heftig den Kopf. „Dann hör auf zu streiten.“

Wieder traf ein Kugelgewitter den Helikopter. Vorne zersplitterte noch mehr Glas.

„Luke, unsere Anzeigen funktionieren nicht mehr. Noch solch ein Treffer und wir verlieren den Bird in einer Minute.“

„Versuche auszuweichen“, sagte Luke

Der Helikopter zog abrupt nach oben. Er stieg steil in die Höhe und flog eine scharfe Linkskurve. Luke fiel zur Seite um. Er klammerte sich an den Boden, seine Finger griffen nach den Metalllamellen. Wieder brach das Gewehrfeuer los, aber dieses Mal schien es weiter weg zu sein.

Ein Alarm ging im Cockpit los.

PIEP,PIEP,PIEP…

Jacobs Stimme drang zu Luke: „Luke, wir mussten einen Notruf senden. Einer der Rotoren wurde getroffen. Er eiert ganz schön. Das hatte ich schon einmal. Das geht nicht lange gut. Wir müssen landen, sonst stürzen wir ab, nach unten geht es so oder so.“

„Wie lange haben wir noch?“

„Neunzig Sekunden. Vielleicht. Je länger wir warten, desto unweicher wird die Landung.“

Luke ließ die Schultern hängen. War es das jetzt? Würden die Iraner wirklich so entkommen? Was glaubten die eigentlich, sie könnten sich ihren Weg zum Flughafen einfach frei feuern an Bord gehen und wegfliegen?

Luke kletterte wieder auf seine Füße. Er blickte durch das Cockpit. Die Windschutzscheibe war verschwunden. Eine matt gewordene Glasscheibe war herausgebrochen. Rachel griff gerade nach ihr mit ihren behandschuhten Händen, zog sie in das Cockpit und schob sie zur Seite. Der Steuerknüppel vibrierte in Jacobs Hand.