Jack London – Gesammelte Werke

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9

Drei Ru­he­tage, drei ge­seg­ne­te Ru­he­tage hat­te ich bei Wolf Lar­sen. Ich saß in der Ka­jü­te und tat nichts, als über Le­ben, Li­te­ra­tur und Uni­ver­sum mit ihm zu dis­pu­tie­ren, wäh­rend Tho­mas Mu­gridge schäu­mend und wü­tend mei­ne Ar­beit ne­ben der sei­nen ver­rich­te­te.

»Sei auf dei­ner Hut – wei­ter sage ich nichts«, warn­te Louis mich, als ich zu­fäl­lig mal auf eine hal­be Stun­de auf Deck war und Wolf Lar­sen einen Streit zwi­schen den Jä­gern schlich­te­te.

»Was ge­sche­hen wird, weiß ich nicht«, er­wi­der­te Louis auf mei­ne Bit­te, sich deut­li­cher aus­zu­drücken. »Der Mann ist so un­be­re­chen­bar wie die Strö­mun­gen in See und Luft. Du weißt nie, was er will. Wenn du meinst, du kennst ihn und se­gelst vor güns­ti­gem Wind mit ihm, so schlägt er um und liegt still, um dann plötz­lich wie ein Wir­bel­sturm über dich her­zu­fah­ren, dass all dei­ne Schön­wet­ter­se­gel in Fet­zen rei­ßen.«

Es war da­her kei­ne völ­li­ge Über­ra­schung für mich, als das von Louis pro­phe­zei­te Wet­ter kam. Wir hat­ten einen hei­ßen Dis­put – über das Le­ben na­tür­lich – und, über­mü­tig ge­wor­den, zeich­ne­te ich einen zu schar­fen Riss von Wolf Lar­sen und sei­nem Le­ben. Tat­säch­lich zer­glie­der­te ich ihn bei le­ben­di­gem Lei­be und wühl­te in sei­ner See­le ge­nau so scharf und un­er­bitt­lich, wie er es bei den an­de­ren zu tun pfleg­te. Ich mag viel­leicht die Schwä­che ei­ner zu großen Kon­se­quenz in der Be­weis­füh­rung ha­ben, je­den­falls ließ ich alle Zu­rück­hal­tung fah­ren und schnitt und schlitz­te an dem Mann her­um, bis er knurr­te. Sein son­nen­ge­bräun­tes Ge­sicht wur­de schwarz vor Wut, sei­ne Au­gen fun­kel­ten. Sie drück­ten nicht Klar­heit oder ge­sun­den Ver­stand mehr aus, son­dern nichts als die ent­setz­li­che Ra­se­rei ei­nes Wahn­sin­ni­gen. Jetzt sah ich den Wolf in ihm und noch dazu einen tol­len.

Mit Ge­brüll sprang er auf mich los und pack­te mei­nen Arm. Ich hat­te mich er­mannt und woll­te stand­hal­ten, ob­gleich ich in­ner­lich zit­ter­te, aber die rie­si­ge Kraft die­ses Man­nes war zu viel für mei­ne Stand­haf­tig­keit. Sei­ne Hand hat­te mich am Obe­r­arm ge­fasst, und als er zu­pack­te, sank ich zu­sam­men und schrie laut. Mei­ne Füße ver­wei­ger­ten mir den Dienst. Ich konn­te ein­fach nicht mehr auf­recht ste­hen und den Schmerz er­tra­gen. Ich hat­te das Ge­fühl, als wäre der Obe­r­arm zu Brei ge­quetscht.

Er schi­en wie­der zu sich zu kom­men, denn ein hel­ler Schim­mer trat in sei­ne Au­gen, und er ließ mich los mit ei­nem kur­z­en La­chen, das eher wie Knur­ren klang. Ich stürz­te zu Bo­den, mir war sehr schlecht zu­mu­te, wäh­rend er sich hin­setz­te, sich eine Zi­gar­re an­steck­te und mich be­ob­ach­te­te wie die Kat­ze die Maus. Ich konn­te in sei­nen Au­gen die Neu­gier le­sen, die ich so oft bei ihm be­merkt hat­te, die­se Ver­wun­de­rung und Un­ru­he, das Su­chen, das ste­te For­schen: Wozu das al­les? Ich raff­te mich auf und kroch die Trep­pe hin­auf. Das schö­ne Wet­ter war vor­bei, und mir blieb nichts üb­rig, als wie­der in die Kom­bü­se zu­ge­hen. Mein lin­ker Arm war völ­lig ge­fühl­los, und es ver­gin­gen Tage, ehe ich ihn wie­der ge­brau­chen konn­te, Wo­chen, bis er ganz ge­sund war. Und da­bei hat­te Wolf Lar­sen nichts ge­tan, als mei­nen Arm mit sei­ner Hand um­schlos­sen und ge­drückt. Er hat­te ihn we­der ver­dreht noch ge­sto­ßen, nur sei­ne Hand mit gleich­mä­ßi­gem Druck ge­schlos­sen. Was er mög­li­cher­wei­se hät­te tun kön­nen, ging mir erst am nächs­ten Tage auf, als er den Kopf zur Kom­bü­se her­ein­steck­te und mit er­neu­ter Freund­lich­keit frag­te, wie es mei­nem Arm gin­ge.

»Es hät­te schlim­mer wer­den kön­nen«, lä­chel­te er.

Ich schäl­te Kar­tof­feln. Er nahm eine aus dem Ei­mer. Sie war un­ge­wöhn­lich groß, fest und un­ge­schält. Er um­schloss sie mit der Hand, press­te sie zu­sam­men, und die Kar­tof­fel spritz­te zwi­schen sei­nen Fin­gern her­vor. Die breii­gen Über­res­te warf er wie­der in den Ei­mer und ging, aber ich be­kam eine deut­li­che Vor­stel­lung da­von, wie es mir er­gan­gen wäre, wenn das Un­ge­heu­er wirk­lich mit al­ler Kraft zu­ge­packt hät­te.

Trotz al­le­dem hat­te die drei­tä­gi­ge Ruhe mir gut­ge­tan, denn mein Knie war wie­der ge­brauchs­fä­hig ge­wor­den. Es hat­te sich be­deu­tend ge­bes­sert, die Schwel­lung war sicht­lich zu­rück­ge­gan­gen, und die Knieschei­be be­fand sich wie­der an ih­rem Plat­ze. Aber die Ru­he­zeit brach­te mir noch eine Unan­nehm­lich­keit, die ich vor­aus­ge­se­hen hat­te. Of­fen­bar hat­te Tho­mas Mu­gridge im Sin­ne, mich für die­se drei Tage bü­ßen zu las­sen. Er be­han­del­te mich nie­der­träch­tig, ver­fluch­te mich un­aus­ge­setzt und wälz­te sei­ne ei­ge­ne Ar­beit auf mich ab. Er wag­te es so­gar, die Faust ge­gen mich zu er­he­ben, aber ich war selbst wie ein wil­des Tier ge­wor­den und fauch­te ihm so grim­mig ins Ge­sicht, dass er ängst­lich zu­rück­fuhr. Es ist kein an­ge­neh­mes Bild, das ich von mir her­auf­be­schwö­ren muss: Ich, Hum­phrey van Wey­den, in ei­ner Ecke die­ser lär­men­den Schiffs­kom­bü­se über die Ar­beit ge­bückt, An­ge­sicht zu An­ge­sicht mit die­sem Ge­schöpf, das im Be­griff war, mich zu schla­gen, mit ent­blö­ßten Zäh­nen und knur­rend wie ein Hund, die Au­gen glü­hend vor Furcht und Hilf­lo­sig­keit und dem Mut der Verzweif­lung! Das Bild be­hagt mir nicht. Es er­in­nert mich zu leb­haft an eine Rat­te in der Fal­le. Ich den­ke nicht gern dar­an. Aber es wirk­te: der dro­hen­de Schlag fiel nicht.

Tho­mas Mu­gridge wich zu­rück und starr­te mich nur eben­so bös­ar­tig und has­s­er­füllt an wie ich ihn. Ein paar wil­de Tie­re wa­ren wir, zu­sam­men ein­ge­sperrt und zäh­ne­flet­schend. Er war ein Feig­ling, fürch­te­te sich, mich zu schla­gen, weil mei­ne Furcht nicht groß ge­nug war, und so such­te er einen neu­en Weg, mich ein­zu­schüch­tern. Es gab nur ein Kü­chen­mes­ser, das zur Waf­fe taug­te. Vie­le Jah­re Ge­brauch und Ab­nut­zung hat­ten die Klin­ge dünn und bieg­sam ge­schlif­fen. Es sah gräss­lich aus, mich hat­te es je­des Mal ge­schau­dert, wenn ich es be­nut­zen muss­te. Der Koch lieh sich einen Wetz­stein von Jo­han­sen und be­gann das Mes­ser zu schär­fen. Er tat es mit großer Um­ständ­lich­keit, in­dem er mich wäh­rend der gan­zen Pro­ze­dur be­deut­sam an­blick­te. Ei­nen gan­zen Tag lang wetz­te er es. So­bald er einen frei­en Au­gen­blick hat­te, saß er mit Stein und Mes­ser da und wetz­te. Die Schnei­de wur­de so scharf wie ein Ra­sier­mes­ser. Er prüf­te sie am Dau­men­bal­len oder am Na­gel. Er ra­sier­te sich die Haa­re auf dem Han­drücken, peil­te mit mi­kro­sko­pi­scher Ge­nau­ig­keit über die Schnei­de und fand im­mer noch ir­gend­wo eine leich­te Une­ben­heit. Und dann wetz­te er wei­ter, wetz­te und wetz­te, bis ich hät­te la­chen mö­gen, so un­sag­bar lä­cher­lich war es.

Und doch war es ernst ge­nug, denn ich soll­te er­fah­ren, dass er wohl im­stan­de war, das Mes­ser zu ge­brau­chen, dass un­ter sei­ner Feig­heit ein Mut der Feig­heit steck­te, der, wie der mei­ne mich, ihn zwin­gen konn­te, sei­ner gan­zen Na­tur zu­wi­der zu han­deln und al­ler Furcht zu trot­zen. »Der Dok­tor schärft sein Mes­ser für Hump«, be­gann man un­ter den Ma­tro­sen zu flüs­tern, und man­che neck­ten ihn da­mit. Er aber leg­te das güns­tig aus, freu­te sich und nick­te mit furcht­ein­flö­ßen­der Ge­heim­nis­tue­rei, bis Ge­or­ge Le­ach, der frü­he­re Ka­jüts­jun­ge einen ro­hen Scherz über den Ge­gen­stand mach­te. Nun hat­te sich Le­ach zu­fäl­lig un­ter den Ma­tro­sen be­fun­den, die Mu­gridge nach sei­nem Kar­ten­spiel mit dem Ka­pi­tän hat­ten du­schen müs­sen. Le­ach war sei­ner Auf­ga­be of­fen­bar mit ei­ner Gründ­lich­keit nach­ge­kom­men, die Mu­gridge nicht ver­zie­hen hat­te, denn jetzt gab ein Wort das an­de­re, und die Be­lei­di­gun­gen auf die ge­gen­sei­ti­gen Vor­fah­ren schwirr­ten durch die Luft. Schließ­lich droh­te Mu­gridge ihm mit dem Mes­ser, das er für mich schärf­te. Le­ach lach­te und über­schüt­te­te ihn noch mehr mit Ge­mein­hei­ten. Aber ehe ich wuss­te, was ge­sch­ah, war sein rech­ter Arm durch einen ra­schen Schnitt mit dem Mes­ser auf­ge­schlitzt. Der Koch fuhr zu­rück, ein teuf­li­sches Grin­sen auf sei­nem Ge­sicht und das Mes­ser in Ver­tei­di­gungs­stel­lung vor­ge­hal­ten. Aber Le­ach blieb ganz ru­hig, ob­gleich das Blut wie ein Spring­brun­nen auf das Deck spritz­te.

»Ich krieg’ dich schon noch, Köch­lein«, sag­te er, »und dann wird’s dir nicht glimpf­lich ge­hen. Ich hab’ kei­ne Eile. Du wirst kein Mes­ser zur Hand ha­ben, wenn ich mit dir ab­rech­ne.«

Mit die­sen Wor­ten dreh­te er sich um und ent­fern­te sich ge­las­sen. Mu­gridges Ge­sicht war fahl vor Angst. Er sah, was er ge­tan, und ahn­te, was er von dem Ver­wun­de­ten frü­her oder spä­ter zu er­war­ten hat­te. Aber mir ge­gen­über be­nahm er sich schlim­mer als je. Bei al­ler Furcht vor Ver­gel­tung konn­te er doch die Wir­kung sei­ner Tat auf mich se­hen und wur­de im­mer herrsch­süch­ti­ger und über­mü­ti­ger. Dazu war bei dem An­blick des ver­gos­se­nen Blu­tes ein an Wahn­sinn gren­zen­des Ge­lüst in ihm er­wacht. Über­all sah er Blut. Es war ein trau­rig ver­wor­re­ner Geis­tes­zu­stand, aber ich konn­te sei­ne Ge­dan­ken so klar le­sen wie ein ge­druck­tes Buch.

Meh­re­re Tage ver­gin­gen, im­mer noch schäum­te die ›Ghost‹ vor dem Pas­sat da­hin, und ich hät­te schwö­ren kön­nen, dass ich den Wahn­sinn in Tho­mas Mu­gridges Au­gen wach­sen sah. Ich ge­ste­he, dass ich mich sehr, sehr fürch­te­te. Er wetz­te, wetz­te, wetz­te – so ging es den gan­zen Tag. Wenn er die Schär­fe der Schnei­de prüf­te und mich wild an­starr­te, glich sein Blick dem ei­nes Men­schen­fres­sers. Ich fürch­te­te, ihm den Rücken zu keh­ren, und wenn ich die Kom­bü­se ver­ließ, ging ich rück­lings, zum Er­göt­zen der Ma­tro­sen und Jä­ger, die sich in Grup­pen ver­sam­mel­ten, um Zeu­gen mei­ner Flucht zu sein. Die Span­nung war zu groß. Ich fürch­te­te zu­wei­len, den Ver­stand dar­über zu ver­lie­ren, üb­ri­gens ein pas­sen­der Zu­stand auf die­sem Schiff voll von Ver­rück­ten und Bes­ti­en. Jede Stun­de, jede Mi­nu­te stand mein Le­ben auf dem Spiel. Ich war eine Men­schen­see­le in Not, und doch war vorn und ach­tern kei­ne See­le, die Mit­ge­fühl ge­nug be­saß, um mir zu Hil­fe zu kom­men. Zu­wei­len dach­te ich dar­an, die Barm­her­zig­keit Wolf Lar­sens an­zu­ru­fen, aber der spöt­ti­sche Teu­fel in sei­nen Au­gen, der das Le­ben höhn­te, er­schi­en vor mir und hielt mich zu­rück. Dann wie­der er­wog ich ernst­haft den Ge­dan­ken an Selbst­mord und muss­te die gan­ze Kraft mei­ner hoff­nungs­fro­hen Phi­lo­so­phie auf­bie­ten, um nicht in der Dun­kel­heit der Nacht über Bord zu sprin­gen.

 

Mehr­mals such­te Wolf Lar­sen mich in eine Un­ter­hal­tung zu zie­hen, aber ich gab nur kur­ze Ant­wor­ten und wich ihm ge­schickt aus. Zu­letzt be­fahl er mir, mei­nen Platz am Ka­jü­ten­tisch wie­der ein­zu­neh­men und den Koch mei­ne Ar­beit ver­rich­ten zu las­sen. Da sprach ich of­fen mit ihm, er­zähl­te ihm, was ich von Tho­mas Mu­gridge we­gen sei­ner drei­tä­gi­gen Gunst zu lei­den hat­te. Wolf Lar­sen be­trach­te­te mich lä­chelnd.

»So, und jetzt ha­ben Sie Angst, was?« höhn­te er.

»Ja«, sag­te ich trot­zig und ehr­lich, »ich fürch­te mich.«

»So seid ihr Ker­le«, rief er halb är­ger­lich, »schwelgt in Ge­füh­len über eure un­s­terb­li­che See­le und fürch­tet euch vor dem Tode. Beim An­blick ei­nes schar­fen Mes­sers und ei­nes fei­gen Cock­neys denkt ihr an nichts an­de­res, als euch ans Le­ben zu klam­mern. Nun ja, mein Lie­ber, Sie sol­len ja ewig le­ben. Sie sind ein Gott, und ein Gott kann nicht ge­tö­tet wer­den. Köch­lein kann Ih­nen nicht die Haut rit­zen. Sie sind ja Ih­rer Au­fer­ste­hung si­cher. Wa­rum sich fürch­ten? Sie ha­ben ja ein ewi­ges Le­ben vor sich. Sie sind Mil­lio­när an Uns­terb­lich­keit, und dazu ein Mil­lio­när, der sein Ver­mö­gen nicht ver­lie­ren kann, des­sen Glück dem Un­ter­gang we­ni­ger ge­weiht ist, als die Ster­ne und dau­ert wie Zeit und Ewig­keit. Es ist Ih­nen un­mög­lich, Ihr Ka­pi­tal zu ver­rin­gern. Uns­terb­lich­keit ist ein Ding ohne An­fang und ohne Ende. Ewig­keit bleibt Ewig­keit, und selbst, wenn Sie hier und in die­sem Au­gen­blick ster­ben, so wer­den Sie ir­gend­wo­an­ders in alle Ewig­keit wei­ter­le­ben. Und da­bei ist das al­les herr­lich: Das Los­lö­sen vom Flei­sche und die Be­frei­ung des ge­fes­sel­ten Geis­tes. Köch­lein kann Ih­nen gar nichts an­ha­ben. Er kann Sie nur auf den Weg be­för­dern, den Sie für die Ewig­keit wan­dern sol­len.

Wenn Sie aber nicht den Wunsch he­gen, ge­ra­de jetzt be­för­dert zu wer­den, warum be­för­dern Sie dann nicht Köch­lein? Wenn Ihre An­schau­ung rich­tig ist, muss ja auch er ein un­s­terb­li­cher Mil­lio­när sein. Sie kön­nen ihn nicht zum Kon­kurs brin­gen. Sei­ne Pa­pie­re wer­den im­mer pari ste­hen. Sie kön­nen sein Le­ben nicht ver­kür­zen, wenn Sie ihn tö­ten, denn er ist ohne An­fang und ohne Ende. Er muss ir­gend­wo und ir­gend­wie wei­ter­le­ben. Also be­för­dern Sie ihn doch! Ste­chen Sie ihm ein Mes­ser in den Leib und er­lö­sen Sie sei­nen Geist. Der lebt jetzt doch in ei­nem elen­den Ge­fäng­nis, und Sie er­wei­sen ihm nur einen Freund­schafts­dienst, wenn Sie die Tür auf­rei­ßen. Und wer weiß? Vi­el­leicht wird ein schö­ner Geist aus dem ekel­haf­ten Leich­nam zum himm­li­schen Blau em­por­schwe­ben. Be­för­dern Sie ihn, und ich be­för­de­re Sie an sei­nen Platz mit 45 Dol­lar den Mo­nat.«

Es war klar, dass ich von Wolf Lar­sen we­der Hil­fe noch Mit­ge­fühl zu er­war­ten hat­te. Ich muss­te al­lein han­deln, und mit dem Mute des Feig­lings be­schloss ich, Tho­mas Mu­gridge mit sei­nen ei­ge­nen Waf­fen zu be­kämp­fen. Ich lieh mir von Jo­han­sen einen Schleif­stein. Louis, der Bootss­teu­rer, hat­te mich um kon­den­sier­te Milch und Zu­cker an­ge­bet­telt. Der Vor­rats­raum lag un­ter dem Fuß­bo­den der Ka­jü­te. Ich nahm eine Ge­le­gen­heit wahr und stahl fünf Do­sen Milch, und als Louis’ Wa­che am Abend be­gann, er­stand ich da­für einen Dolch, der eben­so dünn und ge­fähr­lich war wie Tho­mas Mu­gridges Kü­chen­mes­ser. Er war ros­tig und stumpf, aber ich dreh­te den Schleif­stein, und Louis schliff die Klin­ge. Die­se Nacht schlief ich viel bes­ser als sonst.

Am nächs­ten Mor­gen, nach dem Früh­stück, be­gann Tho­mas Mu­gridge wie­der sein un­auf­hör­li­ches Wet­zen. Ich sah mich ängst­lich nach ihm um, denn ich knie­te vor dem Herd, um die Asche her­aus­zu­ho­len. Als ich sie über Bord ge­schüt­tet hat­te und wie­der­kam, un­ter­hielt er sich mit Har­ri­son, des­sen bra­ves, dum­mes Bau­ern­ge­sicht die größ­te Be­wun­de­rung ver­riet.

»Ja«, sag­te Mu­gridge, »was kann mir schon Schlim­me­res ge­sche­hen als zwei Jah­re Kitt­chen! Aber was ich mir dar­aus schon ma­che. Der an­de­re Kerl hat sein Fett ge­kriegt. Du hät­test ihn se­hen sol­len! Mes­ser ge­rad wie das hier. Steck­te es rein in ihn wie in But­ter, und er pfiff bes­ser als ’ne Zwei­pen­ny­flö­te.« Er warf einen Blick auf mich, um zu se­hen, ob ich es ge­hört hät­te, und fuhr fort: »›Ich hab’ es nicht so ge­meint, Tom­my‹, win­sel­te er, ›weiß Gott, ich hab’ es nicht so ge­meint.‹ ›Ich will dich schon zur Ver­nunft brin­gen‹, sag­te ich und setz­te ihm nach. Ich schnitt ihn in Fet­zen, und er tat nichts als quiet­schen. Dann krieg­te er das Mes­ser zu fas­sen und woll­te es hal­ten. Mit den Fin­gern dar­um. Aber ich zog es durch bis auf die Kno­chen. Das war ein An­blick, sag’ ich dir!«

Ein Ruf des Steu­er­manns un­ter­brach den blut­rüns­ti­gen Be­richt, und Har­ri­son ging nach ach­tern. Mu­gridge setz­te sich auf die Tür­schwel­le der Kom­bü­se und wetz­te wei­ter. Ich leg­te die Koh­len­schau­fel bei­sei­te, setz­te mich ru­hig auf den Koh­len­kas­ten und sah ihm zu. Er beehr­te mich mit ei­nem bös­ar­ti­gen Blick. Äu­ßer­lich ru­hig, wenn auch mit Herz­klop­fen, zog ich Louis’ Dolch her­aus und be­gann ihn auf dem Stein zu wet­zen. Ich war auf ir­gend et­was von sei­ten des Cock­neys ge­fasst ge­we­sen, aber zu mei­ner Über­ra­schung schi­en er gar nicht zu be­mer­ken, was ich tat. Er wetz­te wei­ter sein Mes­ser. Und ich tat das­sel­be. Und zwei Stun­den lang sa­ßen wir da, An­ge­sicht zu An­ge­sicht, und wetz­ten, wetz­ten, wetz­ten, bis die Neu­ig­keit sich an Bord ver­brei­te­te und die hal­be Schiffs­be­sat­zung sich vor der Kom­bü­sen­tür schar­te, um den An­blick zu ge­nie­ßen. An­feue­run­gen und Ratschlä­ge wur­den frei­gie­big er­teilt. Jock Hor­ner, der stil­le Jä­ger, der aus­sah, als kön­ne er kei­ner Maus et­was zu­lei­de tun, riet mir, ihm die Klin­ge von un­ten in den Bauch zu ja­gen und ihr dann die ›spa­ni­sche Dre­hung‹ zu ge­ben. Le­ach, der den Arm in der Bin­de auf­fäl­lig vor­streck­te, bat mich, ein paar Res­te vom Koch für ihn üb­rig­zu­las­sen, und Wolf Lar­sen blieb ein paar­mal ne­ben der Hüt­te ste­hen und be­trach­te­te neu­gie­rig, was ihm als ein Gä­rungs­pro­zess er­schei­nen muss­te, wie er das Le­ben nann­te.

Und ich muss ge­ste­hen, dass ich das Le­ben jetzt eben­so nied­rig ein­schätz­te. Es hat­te nichts Schö­nes, nichts Gött­li­ches mehr – hier gab es nur zwei fei­ge Ge­schöp­fe, die Stahl auf Stein wetz­ten, und eine Grup­pe wei­te­rer Ge­schöp­fe, die zu­sa­hen. Die Hälf­te von ih­nen, da­von bin ich über­zeugt, war­te­te be­gie­rig, dass wir ge­gen­sei­tig un­ser Blut ver­gos­sen. Es wäre ih­nen eine Un­ter­hal­tung ge­we­sen. Und ich glau­be nicht, dass ein ein­zi­ger sich da­zwi­schen­ge­legt hät­te, wenn es zu ei­nem Kampf auf Le­ben und Tod zwi­schen uns bei­den ge­kom­men wäre.

An­de­rer­seits war das al­les wie­der­um lä­cher­lich und kin­disch. Wet­zen, wet­zen, wet­zen – Hum­phrey van Wey­den in ei­ner Schiff­kom­bü­se, im Be­griff, ein Mes­ser zu schär­fen und es mit dem Dau­men zu prü­fen! Von al­len Si­tua­tio­nen die un­denk­bars­te! Mei­ne An­ge­hö­ri­gen wür­den es nicht für mög­lich ge­hal­ten ha­ben. Dass ich, Hum­phrey van Wey­den, sol­cher Din­ge fä­hig war, be­deu­te­te eine Of­fen­ba­rung für mich, und ich wuss­te nicht, ob ich stolz sein oder mich schä­men soll­te. Aber nichts ge­sch­ah. Nach zwei Stun­den leg­te Tho­mas Mu­gridge Mes­ser und Stein fort und streck­te mir die Hand ent­ge­gen.

»Was hat es für einen Sinn, sich den Vie­chern zur Schau zu stel­len?« frag­te er. »Sie lie­ben uns nicht und wür­den sich ver­dammt freu­en, wenn wir bei­de uns ge­gen­sei­tig die Keh­le ab­schnit­ten. Du bist nicht der Schlimms­te, Hump! Du hast Mut, und ich hab’ dich im Grun­de ger­ne. Komm, gib mir die Flos­se.«

So fei­ge ich auch sein moch­te, war ich es doch we­ni­ger als er. Es war ein un­be­ding­ter Sieg, den ich er­run­gen hat­te, und ich woll­te nichts da­von ver­scher­zen, in­dem ich die ver­hass­te Hand schüt­tel­te.

»Schön«, sag­te er, »nimm sie oder lass es blei­ben, des­halb ge­fällst du mir nicht we­ni­ger.« Und hier­auf wand­te er sich hef­tig ge­gen die Zuschau­er: »Macht, dass ihr von der Kom­bü­sen­tür weg­kommt, ihr elen­den Lüm­mel!«

Die­sem Be­fehl ver­lieh er Nach­druck durch einen Kes­sel ko­chen­den Was­sers, bei des­sen An­blick die Ma­tro­sen Hals über Kopf fort­stürz­ten. Das war eine Art Sieg für Tho­mas Mu­gridge, der ihn die Nie­der­la­ge, die ich ihm zu­ge­fügt hat­te, mit mehr An­stand tra­gen ließ. Die Jä­ger ver­such­te er al­ler­dings nicht zu ver­trei­ben.

»Köch­lein ist fer­tig«, hör­te ich Smo­ke zu Hor­ner sa­gen. »Ja, dar­auf kannst du wet­ten«, lau­te­te die Ant­wort. »Von jetzt an ist Hump Herr in der Kom­bü­se, und Tom­my muss die Hör­ner ein­zie­hen.«

Mu­gridge hör­te es und warf mir einen schnel­len Blick zu, aber ich tat, als hät­te ich nichts ge­merkt. Ich hät­te nicht ge­glaubt, dass mein Sieg so voll­stän­dig und weit­tra­gend sei, war aber ent­schlos­sen, nicht ein Tüf­tel­chen da­von preis­zu­ge­ben. Die Tage ver­gin­gen, und die Pro­phe­zei­ung Smo­kes be­wahr­hei­te­te sich. Der Cock­ney wur­de de­mü­ti­ger und skla­vi­scher vor mir als selbst vor Wolf Lar­sen. Ich re­de­te ihn nicht mehr ›Herr Mu­gridge‹ an, wusch nicht mehr die fet­ti­gen Töp­fe aus und schäl­te nicht mehr Kar­tof­feln. Ich ver­rich­te­te mei­ne Ar­beit, aber nur mei­ne ei­ge­ne, wann und wie ich es für rich­tig hielt Ich trug auch nach Ma­tro­sen­art mei­nen Dolch in ei­ner Schei­de an der Hüf­te und nahm von jetzt an Tho­mas Mu­gridge ge­gen­über eine Hal­tung ein, die aus Des­po­tis­mus, Hohn und Ver­ach­tung ge­mischt war.