Jack London – Gesammelte Werke

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»Wir spra­chen ges­tern da­von«, sag­te er. »Ich be­haup­te­te, das Le­ben sei ein Gär­stoff, ein Fer­ment, das Le­ben frä­ße, um selbst le­ben zu kön­nen, und das Le­ben sei nichts als er­folg­reichs­te Ge­mein­heit. Nun, wenn es auf An­ge­bot und Nach­fra­ge an­kommt, so ist das Le­ben das Bil­ligs­te auf der Welt. Es gibt so­und­so viel Was­ser, so­und­so viel Erde, so­und­so viel Luft, aber Le­ben, das ge­bo­ren wer­den möch­te, gibt es zur Unend­lich­keit. Die Na­tur ist eine Ver­schwen­de­rin. Den­ken Sie an die Fi­sche und ihre Mil­lio­nen von Ei­ern. Den­ken Sie an mich oder sich. In un­sern Len­den ru­hen Mög­lich­kei­ten für Mil­lio­nen von Le­ben. Hät­ten wir nur Zeit und Ge­le­gen­heit, um je­des biss­chen un­ge­bo­re­nen Le­bens in uns aus­zu­nut­zen, wir wür­den die Vä­ter von Na­tio­nen wer­den und Kon­ti­nen­te be­völ­kern. Le­ben? Pah! Es hat kei­nen Wert. Von al­lem, was bil­lig ist, ist Le­ben das Bil­ligs­te. Über­all geht es bet­teln. Die Na­tur streut es ver­schwen­de­risch aus. Wo Raum für ein Le­ben ist, sät sie tau­send, und Le­ben frisst Le­ben, bis nur das stärks­te und ge­meins­te üb­rig­bleibt.«

»Sie ha­ben Dar­win ge­le­sen«, sag­te ich, »aber Sie ha­ben ihn miss­ver­stan­den, wenn Sie den Schluss zie­hen, dass der Kampf ums Da­sein Ihr mut­wil­li­ges Ver­nich­ten von Le­ben recht­fer­tigt.«

Er zuck­te die Ach­seln. »Sie wis­sen wohl, dass Sie da­bei nur an das mensch­li­che Le­ben den­ken, denn auf Fleisch, auf Ge­flü­gel und Fi­sche ver­zich­ten Sie so we­nig wie ich oder sonst je­mand. Und mensch­li­ches Le­ben un­ter­schei­det sich in kei­ner Be­zie­hung von tie­ri­schem. Wa­rum soll­te ich spar­sam sein mit die­sem Le­ben, das so bil­lig und wert­los ist? Es gibt mehr Ma­tro­sen als Schif­fe für sie auf dem Mee­re, mehr Ar­bei­ter als Ma­schi­nen für sie. Sie le­ben ja auf dem Lan­de, und Sie wis­sen doch, dass man Ihre Ar­men in den un­ge­sun­des­ten Stadt­vier­teln un­ter­bringt und Hun­ger und Pest auf sie los­lässt, und dass die Zahl de­rer be­stän­dig wächst, die aus Man­gel an ei­nem Stück­chen Brot und ei­nem Bis­sen Fleisch zu­grun­de ge­hen. Ist das nicht Ver­nich­tung von Le­ben? Ha­ben Sie je die Lon­do­ner Dock­ar­bei­ter wie wil­de Tie­re um eine Ar­beits­ge­le­gen­heit kämp­fen se­hen?«

Er schritt nach der Ka­jüt­strep­pe, dreh­te aber noch­mals den Kopf, um ein letz­tes Wort zu sa­gen. »Wis­sen Sie, wel­ches der ein­zi­ge Wert des Le­bens ist? Den es sich selbst zu­legt. Und das ist na­tür­lich eine Über­schät­zung, eine Be­wer­tung in ei­ge­ner Sa­che. Neh­men Sie den Mann, den ich nach oben ge­hen ließ. Er klam­mer­te sich an, als wäre er et­was über­aus Wert­vol­les, ein Schatz, wert­vol­ler als Dia­man­ten und Ru­bi­nen. Für Sie? Nein. Für mich? Kei­nes­wegs. Für ihn selbst? Ja. Aber ich ma­che sei­ne Schät­zung nicht mit. Er über­schätzt sich maß­los. Es gibt un­end­lich viel Le­ben, das ge­bo­ren wer­den möch­te. Wäre er her­un­ter­ge­stürzt, und wäre sein Hirn wie Ho­nig aus sei­ner Wabe aufs Deck ge­tropft, die Welt wür­de kei­nen Ver­lust er­lit­ten ha­ben. Der Welt galt er nichts. Das An­ge­bot ist zu groß. Le­dig­lich für sich selbst be­saß er einen Wert. Er al­lein schätzt sich hö­her ein als Dia­man­ten und Ru­bi­nen. Die Dia­man­ten und Ru­bi­nen sind fort, auf Deck ver­schüt­tet, um von ei­nem Ei­mer See­was­ser weg­ge­spült zu wer­den – und er weiß nicht ein­mal, dass Dia­man­ten und Ru­bi­nen fort sind. Er ver­liert nichts, denn mit dem Ver­lust sei­ner selbst ver­liert er das Be­wusst­sein sei­nes Ver­lus­tes. Nicht wahr? Nun, was sa­gen Sie dazu?«

»Dass Sie je­den­falls fol­ge­rich­tig han­deln«, war al­les, was ich sa­gen konn­te, und dann mach­te ich mich wie­der ans Auf­wa­schen.

7

Nach drei Ta­gen wech­seln­den Win­des wa­ren wir end­lich in den Nord­ost­pas­sat ge­kom­men. Trotz mei­nem Knie hat­te ich gut ge­schla­fen, und als ich jetzt das Deck be­trat, fand ich die ›Ghost‹ mit vol­len Se­geln au­ßer den Klü­vern vor ei­nem fri­schen Win­de vor­wärts­ja­gend. O die­ser wun­der­ba­re, mäch­ti­ge Pas­sat! Den gan­zen Tag se­gel­ten wir, die gan­ze Nacht, den nächs­ten Tag und die nächs­te Nacht und wie­der Tag um Tag, im­mer vor dem­sel­ben ste­ti­gen, star­ken Win­de. Der Scho­ner se­gel­te ganz von selbst. Es gab kein Hei­ßen und Hah­len von Lei­nen und Schoo­ten, kein Um­le­gen der Topp­se­gel, kei­ne an­de­re Ar­beit für die Ma­tro­sen, als zu steu­ern. Nachts, wenn die Son­ne un­ter­ge­gan­gen war, wur­den die Se­gel ge­lo­ckert, wenn mor­gens dann der Tau ver­dampf­te, wur­den sie wie­der an­ge­zo­gen – das war al­les.

Ab­wech­selnd zehn, zwölf, elf Kno­ten ist die Ge­schwin­dig­keit, mit der wir fah­ren. Und im­mer aus Nord­ost bläst der bra­ve Wind, der uns von Mor­gen­grau­en bis Mor­gen­grau­en an zwei­hun­dert­und­fünf­zig Mei­len weit auf un­serm Kurs treibt. Sie stimmt mich trü­be und wie­der froh, die­se Eile, mit der wir San Fran­cis­co hin­ter uns las­sen und hin­ab in die Tro­pen schäu­men. Mit je­dem Tage wird es fühl­bar wär­mer. In der zwei­ten Hun­de­wa­che kom­men die Ma­tro­sen nackt an Deck und be­gie­ßen sich ei­mer­wei­se mit Was­ser. Flie­gen­de Fi­sche zei­gen sich schon, und nachts ver­sucht die Wa­che die auf Deck ge­fal­le­nen zu fan­gen. Tho­mas Mu­gridge hat sei­ne ob­li­ga­te Be­ste­chung be­kom­men, und so steigt aus der Kom­bü­se der herr­li­che Duft von ge­bra­te­nen flie­gen­den Fi­schen, wäh­rend vorn und ach­tern Del­phin­fleisch auf­ge­tischt wird. John­son hat die schim­mern­den schö­nen Tie­re von der Spit­ze des Bugs­priets aus ge­speert.

John­son ver­bringt fast die gan­ze Zeit dort oder hoch oben auf den Dwars­sa­lin­gen und be­ob­ach­tet die ›Ghost‹, wie sie das Was­ser un­ter dem Druck ih­rer Se­gel durch­schnei­det. Lei­den­schaft und Be­wun­de­rung leuch­ten aus sei­nen Au­gen, und in ei­ner Art Ver­zückung starrt er auf die schwel­len­den Se­gel, das schäu­men­de Kiel­was­ser und das He­ben und Sen­ken über die nas­sen Ber­ge, die ma­je­stä­tisch un­se­rer Bahn fol­gen.

Tage und Näch­te sind ein Wun­der und wil­des Ent­zücken, und ob­gleich mei­ne trau­ri­ge Ar­beit mir nur we­nig Zeit lässt, steh­le ich mir doch hie und da einen Au­gen­blick, um im­mer wie­der auf die un­end­li­che Pracht zu schau­en, die in der Welt zu fin­den ich mir nicht hät­te träu­men las­sen. Der Him­mel dro­ben ist fle­cken­los blau – blau wie das Meer selbst, das un­ter dem Bug wie azur­far­be­ner At­las schim­mert. Auf al­len Sei­ten ste­hen am Ho­ri­zont blas­se Wol­ken­läm­mer, un­be­weg­lich, un­ver­än­der­lich, wie eine Sil­ber­fas­sung um den ma­kel­lo­sen Him­mel­stür­kis.

Eine Nacht wer­de ich nie ver­ges­sen. Ich hät­te schla­fen sol­len, lag je­doch auf der Back und blick­te hin­ab auf das geis­ter­haf­te Schaum­ge­kräu­sel, das der Bug der ›Ghost‹ bei­sei­te­schob. Es klang wie das Rie­seln ei­nes Bäch­leins über be­moos­te Stei­ne in ei­nem stil­len Tal, und das lei­se Mur­meln ver­zau­ber­te mich und ließ mich ver­ges­sen, dass ich ›Hump‹, der Ka­jüts­jun­ge, dass ich van Wey­den war, der Mann, der fünf­und­drei­ßig Jah­re zwi­schen Bü­chern ver­träumt hat­te. Aber eine Stim­me hin­ter mir rief mich in die Wirk­lich­keit zu­rück. Es war die wohl­be­kann­te Stim­me Wolf Lar­sens, stark wie die un­über­wind­li­che Si­cher­heit des Man­nes, und doch weich wie die Wor­te, die er sprach:

O die Tro­pen­nacht! Sie glüht,

Und das Meer von Fun­ken sprüht

Und den Him­mel kühlt.

Ste­tig zieht der Bug vor­an

Sei­ne stern­be­sä­te Bahn,

Wo der Wal, der wil­de, spielt.

Dein Rumpf ist zer­narbt von der Son­ne, mein Schiff,

Dei­ne Fal­le sind straff vor Tau,

Denn wir brau­sen hin­ab un­sern al­ten Weg, ab­seits von den an­de­ren,

Den lan­gen Weg nach Sü­den wir wan­dern.

Den Weg, der stets neu, ins leuch­ten­de Blau!

»Na, Hump? Wie ge­fällt Ih­nen das?« frag­te er nach ei­ner an­ge­mes­se­nen, durch Wor­te und Si­tua­ti­on be­ding­ten Pau­se.

Ich sah ihm ins Ge­sicht. Es glüh­te von Licht wie das Meer selbst, und sei­ne Au­gen schim­mer­ten im Ster­nen­schein.

»Ich bin, of­fen­ge­stan­den, ganz er­staunt über Ihre Be­geis­te­rung«, er­wi­der­te ich kalt.

»Ja, Mann, das ist das Le­ben! Das Le­ben selbst!« rief er.

»Das eine bil­li­ge Ware ohne Wert ist«, gab ich ihm mit sei­nen ei­ge­nen Wor­ten zu­rück.

Er lach­te, und es war das ers­te­mal, dass ich eine ehr­li­che Lus­tig­keit in sei­ner Stim­me hör­te.

»Sie wol­len also nicht ver­ste­hen, was Le­ben heißt; ich kann es Ih­nen nicht in den Schä­del häm­mern! Na­tür­lich ist das Le­ben wert­los, nur nicht für einen sel­ber. Und ich kann Ih­nen sa­gen, dass mein Le­ben jetzt ge­ra­de recht wert­voll ist – für mich. Es ist um kei­nen Preis zu kau­fen, was Sie si­cher für maß­lo­se Über­schät­zung hal­ten wer­den. Aber ich kann nichts da­für, denn es ist eben das Le­ben in mir, das den Wert be­stimmt.«

Er schi­en nach Wor­ten zu su­chen, um sei­ne Ge­dan­ken aus­zu­drücken, und fuhr dann fort:

»Wis­sen Sie, ich bin selt­sam ge­ho­ben. Die gan­ze Zeit füh­le ich einen Wi­der­hall in mir, als wäre alle Macht der Welt mein. Ich er­ken­ne die Wahr­heit, ich kann gött­lich Gu­tes von Bö­sem, Recht von Un­recht un­ter­schei­den. Ich sehe weit und klar. Fast könn­te ich an Gott glau­ben. Aber – und sei­ne Stim­me ver­än­der­te sich, und das Licht er­losch auf sei­nem Ant­litz – was ist das für ein Zu­stand, in dem ich mich be­fin­de? Die­se Le­bens­freu­de? Die­ser Tri­umph des Le­bens? Die­se In­spi­ra­ti­on, wie ich es wohl nen­nen darf? Das ist et­was, das kommt, wenn die Ver­dau­ung nicht ge­stört, wenn der Ma­gen in Ord­nung, der Ap­pe­tit gut ist und der gan­ze Or­ga­nis­mus rich­tig funk­tio­niert. Es ist eine Be­ste­chung des Le­bens, Cham­pa­gner des Blu­tes, das Auf­wal­len des Fer­ments – man­chen gibt es hei­li­ge Ge­dan­ken ein, an­de­re lässt es Gott se­hen oder, wenn sie ihn nicht se­hen, er­schaf­fen. Das ist al­les – der Rausch des Le­bens, das Auf­brau­sen des Gär­stof­fes, das Mur­meln des Le­bens, das trun­ken ist von dem Be­wusst­sein, zu le­ben. Und – pah! Mor­gen muss ich da­für zah­len, wie der Säu­fer zah­len muss. Mor­gen weiß ich, dass ich ster­ben muss, höchst­wahr­schein­lich auf dem Mee­re, dass ich nicht mehr selbst­tä­tig krie­chen, dass ich mich nur noch in Fäul­nis be­we­gen wer­de mit den Be­we­gun­gen der See, dass ich ge­fres­sen wer­de, um alle Kraft und Be­weg­lich­keit mei­ner Mus­keln zu ver­wan­deln in die Kraft und Be­weg­lich­keit von Flos­sen, Schup­pen und Ein­ge­wei­den der Fi­sche. Pah! Schon ist der Cham­pa­gner schal ge­wor­den. Das Fun­keln und Pri­ckeln ist vor­bei, und es ist ein fa­des Gesöff.«

 

Er ver­ließ mich eben­so plötz­lich, wie er ge­kom­men, laut­los mit der Wucht und Leich­tig­keit ei­nes Ti­gers. Die ›Ghost‹ pflüg­te sich ih­ren Weg. Das Gur­geln am Bug tön­te wie Schnar­chen, und als ich dar­auf lausch­te, da ver­ließ mich all­mäh­lich der Ein­druck, den Wolf Lar­sens ra­scher Wech­sel von ho­her Be­geis­te­rung zu tiefer Verzweif­lung auf mich ge­macht hat­te. Dann er­klang mitt­schiffs der kräf­ti­ge Te­nor ei­nes Ma­tro­sen, der das ›Lied des Pas­sats‹ sang:

Ich bin der Wind, den der See­mann liebt –

Ich bin die Stär­ke und Treue,

Er folgt mei­ner Spur in den Wol­ken hoch.

Über die un­er­gründ­li­che Bläue.

Durch Licht und Dun­kel­heit fol­g’ ich der Spur

Des Schif­fes wie ein Hund,

Mor­gens und mit­tags und mit­ter­nachts

Blas ich die Se­gel ihm rund.

8

Manch­mal glau­be ich, dass Wolf Lar­sen ver­rückt oder doch we­nigs­tens nicht ganz rich­tig ist we­gen sei­ner selt­sa­men Lau­nen und Gril­len. Dann wie­der hal­te ich ihn für einen großen Men­schen, für ein Ge­nie, das sein Ziel ver­fehlt hat. Und schließ­lich bin ich über­zeugt, dass er der Ur­typ des pri­mi­ti­ven Men­schen ist, Jahr­tau­sen­de zu spät ge­bo­ren, ein Anachro­nis­mus in die­sem Kul­mi­na­ti­ons­zeit­al­ter der Zi­vi­li­sa­ti­on. Si­cher­lich ist er ein aus­ge­spro­che­ner In­di­vi­dua­list. Und dazu ist er sehr ein­sam. Sei­ne ge­wal­ti­ge Männ­lich­keit und Geis­tes­kraft ver­lei­hen ihm eine Son­der­stel­lung. Es be­steht kei­ne geis­ti­ge Ge­mein­schaft zwi­schen ihm und den an­de­ren Män­nern an Bord. Sie er­schei­nen ihm wie Kin­der, selbst die Jä­ger, und wie Kin­der be­han­delt er sie, lässt sich zu ih­nen her­ab und spielt mit ih­nen wie mit jun­gen Hun­den. Sonst aber be­han­delt er sie mit der Grau­sam­keit ei­nes Vi­vi­sek­tors, er wühlt in ih­ren geis­ti­gen Pro­zes­sen und prüft ihre See­len, als wol­le er se­hen, aus wel­chem Stoff sie ge­macht sei­en.

Dut­zen­de von Ma­len habe ich ge­se­hen, wie er bei Tisch die­sen oder je­nen Jä­ger mit küh­len, wa­chen Au­gen und vor al­lem mit ei­ner ge­wis­sen Neu­gier be­lei­dig­te und dann sei­ne Ent­geg­nun­gen und sei­ne klein­li­chen Wut­aus­brü­che mit ei­nem In­ter­es­se be­ob­ach­te­te, das mir, dem ver­ste­hen­den Zuschau­er, bei­na­he lä­cher­lich er­schi­en. Ich bin über­zeugt, dass sei­ne ei­ge­nen Wut­aus­brü­che nicht echt sind. Zu­wei­len mö­gen es Ex­pe­ri­men­te sein, haupt­säch­lich aber eine Pose, die er ein­mal den Men­schen ge­gen­über ein­ge­nom­men und sich dann an­ge­wöhnt hat. Ich weiß, dass ich ihn – viel­leicht mit Aus­nah­me des Zwi­schen­falls mit dem to­ten Steu­er­mann – nie wirk­lich zor­nig ge­se­hen habe. Ich hege aber auch nicht den Wunsch, ihn in wah­rer Wut zu se­hen, wenn alle sei­ne Kräf­te zur Ent­fal­tung ge­lan­gen müs­sen.

Um einen sei­ner Ein­fäl­le zu zei­gen, will ich er­zäh­len, was Tho­mas Mu­gridge in der Ka­jü­te zu­stieß. Ich ver­voll­stän­di­ge da­mit gleich­zei­tig den Be­richt über die An­ge­le­gen­heit, die ich schon zwei­mal be­rührt habe. Ei­nes Ta­ges, gleich nach dem Es­sen, als ich eben mit dem Auf­wa­schen fer­tig war, ka­men Wolf Lar­sen und Tho­mas Mu­gridge die Trep­pe her­un­ter. Sonst wag­te sich der Koch nicht in die Ka­jü­te. War er dazu ge­zwun­gen, um zu sei­ner Koje zu ge­lan­gen, so flitz­te er wie ein furcht­sa­mes Ge­s­penst hin­durch.

»So, du kannst ›Nap‹ spie­len!« sag­te Wolf Lar­sen ver­gnügt. »Ich hät­te mir den­ken kön­nen, dass ein Eng­län­der das Spiel kennt. Ich hab’ es selbst auf eng­li­schen Schif­fen ge­lernt.«

Tho­mas Mu­gridge war au­ßer sich vor Freu­de, dass er sich an einen Tisch mit dem Ka­pi­tän set­zen durf­te. Sein Dün­kel und sei­ne pein­li­chen An­stren­gun­gen, sich die un­ge­zwun­ge­ne Hal­tung ei­nes Man­nes zu ge­ben, der von Ge­burt für einen wür­di­gen Platz im Le­ben aus­er­se­hen ist, wür­den ekel­er­re­gend ge­we­sen sein, hät­ten sie nicht so lä­cher­lich ge­wirkt. Mei­ne Ge­gen­wart igno­rier­te er völ­lig, wo­bei ich ihm je­doch zu­gu­te hal­ten will, dass er ein­fach nicht im­stan­de war, mich zu se­hen. Sei­ne blas­sen, wäs­se­ri­gen Au­gen schwam­men in Ver­zückung, wenn mir auch un­er­find­lich war, was für se­li­ge Vi­sio­nen er ha­ben moch­te.

»Hol’ die Kar­ten, Hump«, be­fahl Wolf Lar­sen, als sie am Ti­sche Platz nah­men. »Und bring’ Zi­gar­ren und Whis­ky aus mei­ner Koje.«

Als ich wie­der­kam, hör­te ich ge­ra­de, wie der Cock­ney sich in An­deu­tun­gen er­ging, dass ir­gend­ein Ge­heim­nis über ihm läge: er sei si­cher der Sohn ei­nes vor­neh­men Herrn, und er be­käme Geld, wo­ge­gen er sich hät­te ver­pflich­ten müs­sen, Eng­land nicht wie­der zu be­tre­ten – – »schö­nes Geld, Käptn«, drück­te er sich aus, »schö­nes Geld, da­mit ich mich pa­cke und weg­blei­be.« Ich hat­te die ge­wohn­ten Schnaps­glä­ser ge­bracht, aber Wolf Lar­sen run­zel­te die Stirn, schüt­tel­te den Kopf und gab mir einen Wink, dass ich Was­ser­glä­ser brin­gen soll­te. Ich füll­te sie zu zwei Drit­tel mit un­ver­misch­tem Whis­ky – »ein Gent­le­man­ge­tränk«, sag­te Tho­mas Mu­gridge –, sie stie­ßen auf gu­tes Spiel an, steck­ten sich Zi­gar­ren an und be­gan­nen dann, die Kar­ten zu mi­schen und aus­zu­tei­len.

Sie spiel­ten um Geld. Sie er­höh­ten die Ein­sät­ze. Sie tran­ken Whis­ky, leer­ten die Glä­ser, und ich hol­te mehr. Ich weiß nicht, ob Wolf Lar­sen be­trog oder nicht – er wäre si­cher fä­hig dazu ge­we­sen –, aber je­den­falls ge­wann er an­dau­ernd. Der Koch mach­te wie­der­holt einen Ab­ste­cher nach sei­ner Koje, um Geld zu ho­len. Je­des Mal schwank­te er mehr, brach­te aber im­mer nur ei­ni­ge we­ni­ge Dol­lar auf ein­mal. Er wur­de sen­ti­men­tal, ver­trau­lich, konn­te kaum noch die Kar­ten se­hen und auf­recht sit­zen. Als er den nächs­ten Aus­flug nach sei­ner Koje an­trat, hak­te er Wolf Lar­sen sei­nen fet­ti­gen Zei­ge­fin­ger ins Knopf­loch und wie­der­hol­te mehr­mals aus­drucks­los: »Ich krie­ge Geld, ich krie­ge Geld, sag’ ich Ih­nen. Ich bin der Sohn ei­nes fei­nen Herrn.«

Schließ­lich setz­te der Koch un­ter der Be­teue­rung, er kön­ne ver­lie­ren wie ein Gent­le­man, sein letz­tes Geld und ver­lor. Worauf er den Kopf auf die Hän­de sin­ken ließ und wein­te. Wolf Lar­sen be­trach­te­te ihn neu­gie­rig, als däch­te er dar­an, ihn zu vi­vi­se­zie­ren, än­der­te je­doch sei­ne Ab­sicht, nach­dem er zu der Er­kennt­nis ge­kom­men, dass eine Un­ter­su­chung hier er­geb­nis­los blei­ben müs­se.

»Hump«, sag­te er mit vollen­de­ter Höf­lich­keit zu mir, »wol­len Sie die Freund­lich­keit ha­ben, Herrn Mu­gridges Arm zu neh­men und ihm an Deck zu hel­fen. Er fühlt sich nicht ganz wohl. – Und sa­gen Sie Jo­han­sen, dass er ihn mit ein paar Püt­zen See­wa­ser du­schen soll«, füg­te er lei­se hin­zu, so­dass nur ich es hö­ren konn­te. Ich über­ließ Herrn Mu­gridge an Deck den Hän­den ei­ni­ger grin­sen­der Ma­tro­sen, die Jo­han­sen zu die­sem Zwe­cke ge­ru­fen hat­te. Herr Mu­gridge fa­sel­te im­mer noch da­von, dass er der Sohn ei­nes vor­neh­men Herrn sei. Als ich je­doch die Ka­jüt­strep­pe hin­ab­stieg, um den Tisch ab­zuräu­men, hör­te ich ihn krei­schen; der ers­te Guß hat­te ihn ge­trof­fen.

Wolf Lar­sen zähl­te sei­nen Ge­winn.

»Genau hun­dert­fünf­un­dacht­zig Dol­lar!« sag­te er laut. »Gera­de wie ich mir dach­te. Der Lump kam ohne einen Cent an Bord.«

»Und Ihr Ge­winn ge­hört mir, Käptn«, sag­te ich be­herzt.

Er beehr­te mich mit ei­nem spöt­ti­schen Lä­cheln. »Ich habe mich sei­ner­zeit ein we­nig mit Gram­ma­tik be­schäf­tigt, Hump, und ich glau­be, Sie brin­gen die Zei­ten durch­ein­an­der. ›Hat mir ge­hör­t‹, hät­ten Sie sa­gen sol­len.«

»Hier ist nicht die Rede von Gram­ma­tik, son­dern von Ethik«, er­wi­der­te ich.

Er ließ eine Wei­le ver­strei­chen, ehe er sprach.

»Wis­sen Sie, Hump«, sag­te er be­däch­tig und mit ei­nem rät­sel­haf­ten Klang von Trau­rig­keit in der Stim­me, »wis­sen Sie, dass dies das ers­te­mal ist, dass ich auf die­sem Schif­fe das Wort Ethik aus dem Mun­de ei­nes Man­nes höre. Und Sie und ich sind die ein­zi­gen an Bord, die die Be­deu­tung die­ses Wor­tes ken­nen. – Es gab eine Zeit in mei­nem Le­ben«, fuhr er nach ei­ner Pau­se fort, »da ich da­von träum­te, mit Män­nern spre­chen zu dür­fen, die eine sol­che Spra­che re­de­ten, mich aus der Le­bens­stel­lung, in der ich ge­bo­ren, em­por­zu­he­ben und Um­gang zu pfle­gen mit Men­schen, die über Din­ge wie Ethik spra­chen. Es ist das ers­te­mal, dass ich dies Wort aus­spre­chen höre. – Aber das nur ne­ben­bei! Sie ha­ben un­recht. Dies hat we­der et­was mit Gram­ma­tik, noch mit Ethik zu tun, es han­delt sich ein­fach um eine Tat­sa­che.«

»Ich ver­ste­he«, sag­te ich. »Um die Tat­sa­che, dass Sie jetzt das Geld ha­ben.«

Sei­ne Züge er­hell­ten sich. Mei­ne schnel­le Auf­fas­sung schi­en ihm zu ge­fal­len.

»Aber wir um­ge­hen die ei­gent­li­che Fra­ge«, fuhr ich fort, »die des Rech­tes.«

»Ach!« be­merk­te er und zog den Mund schief. »Ich sehe, Sie glau­ben noch an so et­was wie Recht und Un­recht.«

»Glau­ben Sie denn nicht dar­an? – Gar nicht? –« frag­te ich.

»Nicht die Spur. Macht ist Recht, das ist al­les, was dar­über zu sa­gen ist. Schwä­che ist Un­recht. Es ist gut für einen Men­schen, wenn er stark, schlecht für ihn, wenn er schwach ist – – oder noch bes­ser: es ist an­ge­nehm, stark zu sein, weil man Vor­teil da­von hat, es ist pein­lich, schwach zu sein, weil es Ver­lust be­deu­tet Der Be­sitz die­ses Gel­des ist et­was Schö­nes. Sein Be­sitz ist an­ge­nehm. Und da ich die Mög­lich­keit habe, es zu be­sit­zen, wäre es ein Un­recht ge­gen mich selbst, wenn ich es Ih­nen gäbe und mich des Ver­gnü­gens, es zu be­sit­zen, be­raub­te.«

»Aber Sie be­ge­hen ein Un­recht ge­gen mich, wenn Sie es be­hal­ten«, wand­te ich ein.

»Kei­nes­wegs. Ein Mensch kann kein Un­recht ge­gen den an­de­ren be­ge­hen. Nur ge­gen sich selbst. Von mei­nem Stand­punkt aus tue ich stets ein Un­recht, wenn ich die In­ter­es­sen an­de­rer be­ach­te. Ver­ste­hen Sie? Wie kann ein Stück­chen Fer­ment dem an­de­ren Un­recht tun, wenn er das­sel­be zu ver­schlin­gen sucht? Der Drang, zu ver­schlin­gen und sich selbst ge­gen das Ver­schlun­gen­wer­den zu weh­ren, ist ihm an­ge­bo­ren. Un­ter­drücken Sie die­sen Drang, so sün­di­gen Sie.«

»Sie glau­ben also nicht an Al­truis­mus?« frag­te ich.

Er sann einen Au­gen­blick nach, als hät­te das Wort für ihn einen frem­den, aber doch nicht ganz frem­den Klang.

»War­ten Sie mal, heißt das nicht so et­was wie Zu­sam­men­ar­beit?«

»Nun ja, so et­was Ähn­li­ches«, er­wi­der­te ich, dies­mal nicht über­rascht durch eine sol­che Lücke in sei­nem Wort­schatz; da er ja rei­ner Au­to­di­dakt war, ein Mann, der viel ge­dacht und we­nig, viel­leicht gar nicht ge­spro­chen hat­te. »Eine al­truis­ti­sche Hand­lung ist eine sol­che, die man zum Woh­le an­de­rer voll­bringt. Sie ist un­ei­gen­nüt­zig, im Ge­gen­satz zu der ei­gen­nüt­zi­gen Hand­lung, die man zu sei­nem ei­ge­nen Vor­teil be­geht.« Er nick­te. »O ja, jetzt er­in­ne­re ich mich. Ich habe bei Spencer dar­über ge­le­sen.«

»Spencer!« rief ich. »Sie ha­ben Spencer ge­le­sen?«

»Nicht sehr viel«, räum­te er ein. »Ich ver­stand al­ler­hand von sei­nen ›Grund­prin­zi­pi­en‹, aber sei­ne ›Bio­lo­gie‹ hat mir doch den Wind aus den Se­geln ge­nom­men, und sei­ne ›P­sy­cho­lo­gie‹ hat mich lan­ge in der Flau­te trei­ben las­sen. Ich konn­te mit dem bes­ten Wil­len nicht ver­ste­hen, wor­auf er hin­aus­woll­te. Ich habe da­mals die Ur­sa­che in mei­ner geis­ti­gen Un­voll­kom­men­heit ge­sucht, bin aber spä­ter zu der Über­zeu­gung ge­langt, dass mir die Voraus­set­zun­gen fehl­ten. Ich hat­te nicht die rich­ti­ge Grund­la­ge. Nur Spencer und ich wis­sen, wie ich ge­büf­felt habe. Aber von sei­nen ›E­thi­schen Da­ten‹ habe ich doch et­was ge­habt. Und dar­in fand ich eine Ab­hand­lung über Al­truis­mus und weiß jetzt auch, in wel­cher Be­deu­tung er das Wort an­wand­te.«

 

Ich hät­te gern ge­wusst, was der Mann von die­sem Wer­ke ge­habt hat­te. Ich er­in­ner­te mich ge­nü­gend an Spencer, um zu wis­sen, dass der Al­truis­mus für ihn das höchs­te sitt­li­che Ide­al war. Wolf Lar­sen hat­te of­fen­bar un­ter der Leh­re des großen Phi­lo­so­phen Aus­le­se ge­hal­ten und sei­nen ei­ge­nen Be­dürf­nis­sen und Wün­schen ge­mäß ge­wählt und ver­wor­fen.

»Was ha­ben Sie sonst noch dar­in ge­fun­den?« frag­te ich. Er run­zel­te leicht die Stirn vor An­stren­gung, einen tref­fen­den Aus­druck für Ge­dan­ken zu fin­den, de­nen er noch nie Wor­te ver­lie­hen hat­te. Ich spür­te in mir einen geis­ti­gen Hoch­mut. Jetzt tas­te­te ich sei­ne See­le ab, wie er die an­de­rer ab­zu­tas­ten pfleg­te. Ich be­fand mich auf jung­fräu­li­chem Ge­biet. Eine fremd­ar­ti­ge, eine un­heim­lich fremd­ar­ti­ge Ge­gend ent­roll­te sich hier vor mei­nen Au­gen.

»Mit so we­ni­gen Wor­ten wie mög­lich«, be­gann er, »sagt Spencer etwa fol­gen­des: Zu­nächst muss ein Mensch zu sei­nem ei­ge­nen Bes­ten han­deln – das ist mo­ra­lisch und gut. Dann muss er zum Bes­ten sei­ner Kin­der han­deln. Und drit­tens zum Bes­ten sei­ner Fa­mi­lie.«

»Und die höchs­te, vor­nehms­te und ein­zig rich­ti­ge Hand­lungs­wei­se«, warf ich ein, »ist die, die gleich­zei­tig ihm selbst, sei­nen Kin­dern und sei­ner gan­zen Fa­mi­lie frommt.«

»Das un­ter­schrei­be ich nicht ganz«, er­wi­der­te er. »Ich kann we­der die Not­wen­dig­keit noch die Ver­nunft da­von ein­se­hen. Ich neh­me Fa­mi­lie und Kin­der aus. Für sie wür­de ich nichts op­fern. Das ist nichts als Sen­ti­men­ta­li­tät, we­nigs­tens für einen Mann, der nicht an ein ewi­ges Le­ben glaubt. Gäbe es Uns­terb­lich­keit, so wäre Al­truis­mus ein Ge­schäft, das sich be­zahlt mach­te. Dann könn­te sich mei­ne See­le viel­leicht zu den höchs­ten Hö­hen auf­schwin­gen. Aber ohne Aus­sicht auf et­was an­de­res Ewi­ges als den Tod und nur die klei­ne Span­ne die­ses Le­ben ge­nann­ten Gä­rungs­pro­zes­ses vor mir, wür­de mir eine Hand­lung, die mir ein Op­fer auf­er­legt, un­mo­ra­lisch er­schei­nen. Je­des Op­fer, durch das ich auch nur das Ge­rings­te die­ses Gä­rungs­po­zes­ses ver­lö­re, wäre Tor­heit – ja, nicht nur Tor­heit, son­dern ein Un­recht ge­gen mich selbst, und da­her et­was Schlech­tes.«

»Dann sind Sie In­di­vi­dua­list, Ma­te­ria­list und, lo­gisch ge­dacht, He­do­nist.«

»Gro­ße Wor­te«, lä­chel­te er. »Aber was ist ein He­do­nist?«

Als ich es ihm er­klär­te, nick­te er zu­stim­mend.

»Und«, fuhr ich fort, »dazu sind Sie ein Mann, dem man al­les zu­trau­en kann, so­bald man sei­nem Ei­gen­nutz in die Que­re kommt.«

»Jetzt fan­gen Sie an, zu be­grei­fen«, sag­te er leb­haft. »Sie sind ein Mensch, völ­lig bar des­sen, was man Moral nennt.«

»Stimmt.«

»Ein Mensch, den man im­mer fürch­ten muss – –«

»Rich­tig.«

»Wie man eine Schlan­ge, einen Ti­ger, einen Hai fürch­tet.«

»Jetzt ken­nen Sie mich. Und Sie ken­nen mich so, wie ich all­ge­mein be­kannt bin. An­de­re nen­nen mich Wolf.«

»Sie sind eine Art Un­ge­heu­er«, füg­te ich kühn hin­zu, »ein Ka­li­ban, der ge­grü­belt hat und in mü­ßi­gen Au­gen­bli­cken nach Ein­fall und Lau­ne han­delt.«

Sei­ne Stirn um­wölk­te sich bei die­ser An­spie­lung. Er ver­stand sie nicht, und ich sah so­fort, dass er die Dich­tung nicht kann­te.

»Ich lese jetzt ge­ra­de Brow­ning«, ge­stand er, »und er ist recht tro­cken. Ich bin noch nicht weit ge­kom­men und habe so un­ge­fähr die Rich­tung ver­lo­ren.«

Um den Le­ser nicht zu er­mü­den, will ich nur be­rich­ten, dass ich das Buch aus sei­ner Ka­bi­ne hol­te und ihm vor­las. Er war ent­zückt. Im­mer wie­der un­ter­brach er mich mit Er­klä­run­gen und kri­ti­schen Be­mer­kun­gen. Als ich fer­tig war, ließ er es mich noch ein­mal und dann zum drit­ten Mal vor­le­sen. Wir ge­rie­ten in eine Un­ter­hal­tung über Phi­lo­so­phie, Wis­sen­schaft, Evo­lu­ti­on, Re­li­gi­on. Er war zu­wei­len un­ge­nau, wie je­der Au­to­di­dakt, be­saß aber zu­gleich die Si­cher­heit und Plan­mä­ßig­keit des pri­mi­ti­ven Geis­tes. Sein ein­fa­cher Ge­dan­ken­gang war sei­ne Stär­ke, und sein Ma­te­ria­lis­mus war viel zwin­gen­der als der spitz­fin­di­ge Char­ley Fu­ru­seths. Nicht, dass ich – ein er­klär­ter Idea­list oder, wie Fu­ru­seth sich aus­drück­te, ein Idea­list von Tem­pe­ra­ment – hät­te über­zeugt wer­den kön­nen, aber Wolf Lar­sen stürm­te die letz­ten Boll­wer­ke mei­nes Glau­bens mit ei­ner Ge­walt, die, wenn sie auch nicht über­zeug­te, doch Ach­tung ver­dien­te.

Die Zeit ver­strich. Das Abend­brot nä­her­te sich, und noch war der Tisch nicht ge­deckt. Ich wur­de un­ru­hig und ängst­lich, und als Tho­mas Mu­gridge, krank und gräm­lich, die Trep­pe her­un­ter­kam, schick­te ich mich an, mei­nen Pf­lich­ten nach­zu­kom­men. Aber Wolf Lar­sen rief ihm zu:

»Köch­lein, du musst heu­te al­lein das Es­sen be­sor­gen. Hump hat für mich zu tun, und du musst se­hen, al­lein fer­tig zu wer­den.«

Und wie­der wur­de das Uner­war­te­te Er­eig­nis. Die­sen Abend saß ich mit dem Ka­pi­tän und den Jä­gern bei Ti­sche, wäh­rend Tho­mas Mu­gridge uns be­dien­te und hin­ter­her das Ge­schirr auf­wusch – eine Gril­le, eine Ka­li­bans­lau­ne Wolf Lar­sens, für die ich, wie ich vor­aus­sah, bü­ßen soll­te. Jetzt aber spra­chen und spra­chen wir, zum großen Är­ger der Jä­ger, die nicht ein Wort da­von ver­stan­den.