Jack London – Gesammelte Werke

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5

Pe­ter Whipp­le, ei­ner der äl­tes­ten wei­ßen Män­ner im Land, be­saß einen Claim, nicht weit von Van­ces Hü­gel, und leb­te dort mit ei­ner dunklen, nicht be­son­ders hüb­schen Misch­lings­frau, ei­ner Toch­ter des Lan­des. Ihre Mut­ter war In­dia­ne­rin ge­we­sen, der Va­ter ein rus­si­scher Pelz­händ­ler. Sie re­de­te eine furcht­ba­re Misch­spra­che, die für Wei­ße wie für In­dia­ner gleich un­er­träg­lich war. Aber Whipp­le war ein al­ter Kum­pan von Bi­shop, und da er nicht viel mehr zu tun hat­te, als mor­gens und abends die Ab­gren­zun­gen sei­nes Claims zu kon­trol­lie­ren, ging er manch­mal zu Pe­ter Whipp­le, um ein lang­at­mi­ges Garn mit ihm zu spin­nen.

An ei­nem Sonn­tag­mor­gen traf er die Frau al­lein zu Hau­se. Da die Un­ter­hal­tung kein Ver­gnü­gen wer­den konn­te, be­schloss er, nur aus Höf­lich­keit eine Pfei­fe bei ihr zu rau­chen und sich so früh wie mög­lich wie­der da­von­zu­ma­chen. Aber es ge­sch­ah, dass er vie­le Pfei­fen lang blieb, denn was die Kreo­lin er­zähl­te, als ihre Zun­ge ein­mal in Schwung kam, war so in­ter­essant, dass er sie im­mer wie­der an­feu­er­te, wenn der Strom ih­res Kau­der­welsch schwä­cher rann. Wäh­rend er lausch­te, ki­cher­te und fluch­te er lei­se vor sich hin. Es war die span­nends­te Er­zäh­lung, die er in sei­nem Le­ben ge­hört hat­te.

Mit­ten dar­in hol­te die Frau ein al­tes Buch in ab­ge­grif­fe­nem Le­der­ein­band aus ei­ner ge­brech­li­chen Kis­te und leg­te es auf den Tisch. Sie öff­ne­te es nicht, aber mit Fin­gern und Bli­cken führ­te ihre Er­zäh­lung im­mer wie­der auf dies ge­heim­nis­vol­le Buch, und in Bi­shops Au­gen trat ein be­gehr­li­ches Fun­keln.

Als sie sich schon ein halb dut­zend­mal wie­der­holt und gar nichts Neu­es mehr zu sa­gen hat­te, zog er sei­nen Beu­tel aus der Brust­ta­sche. Die Frau stell­te eine Gold­waa­ge auf und tat Ge­wich­te in die eine Scha­le, in die an­de­re Scha­le schüt­te­te Bi­shop Gold­staub im Wer­te von 100 Dol­lar. Dann griff er nach dem le­der­ge­bun­de­nen Werk, press­te es fest an sich und sag­te Le­be­wohl.

Cor­liss saß im Zelt auf sei­nem Bett und flick­te an sei­nen Mo­kass­ins her­um.

»Jetzt hab’ ich ihn bald!« sag­te Bi­shop und warf ihm das Buch zu.

»Wen denn?«

»Das Stink­tier.«

Cor­liss schlug er­staunt das Buch auf, das Pa­pier war ver­gilbt, von Wind und Wet­ter mit­ge­nom­men, der Text war rus­sisch.

»Ich kann kein Wort da­von le­sen. Ich wuss­te gar nicht, dass Sie Rus­sisch kön­nen, Del?!«

»Trau­rig ge­nug, dass ich es nicht kann. Whipp­les Frau ver­steht auch nichts da­von. Aber ihr Va­ter, der war Rus­se, und das war sein ein­zi­ges Buch, sei­ne Biblio­thek so­zu­sa­gen. Er hat ihr oft dar­aus vor­ge­le­sen. Sie weiß, was ihr Va­ter wuss­te, und jetzt weiß ich auch, was sie weiß, und was da drin steht.«

»Und was wisst ihr denn alle drei?«

»Na, es lohnt sich schon! Ein biss­chen Ge­duld müs­sen Sie viel­leicht noch ha­ben, aber ei­nes Ta­ges wer­den Sie auch Ihren Spaß dran fin­den.«

*

Über Weih­nach­ten kam der alte McCar­thy über das Eis nach Daw­son mar­schiert. Er hat­te kei­ne Ge­schäf­te mehr, ei­gent­lich woll­te er ja längst in den Staa­ten sein und hat­te sich nur von der zwei­ten Hei­mat nicht tren­nen kön­nen. Jetzt saß er bei Dave Har­ney her­um, ein Gold­kö­nig beim an­de­ren, und ließ sich al­len Klatsch von Daw­son er­zäh­len. Die großen Fun­de in­ter­es­sier­ten ihn nicht mehr so sehr. Er hör­te gern von Lie­bes­ge­schich­ten und Sau­fe­rei­en, auch dem Be­richt von Faust­kämp­fen lausch­te er stets mit freund­li­chen Au­gen. Fro­na und Gre­go­ry St. Vin­cent – das war ein Rauch, der ihm in die Nase stieg! Über Fro­na war alle Welt sich ei­nig: eine ech­te Wel­se und ein so fa­mo­ses Mä­del, wie kein an­de­rer Kon­ti­nent es her­vor­ge­bracht hät­te. Aber die­ser St. Vin­cent, da konn­te man nur den Kopf schüt­teln. Alle Wei­ber wa­ren hin­ter dem Kerl her. Er hielt es mit Fro­na, aber ganz be­son­ders auch noch mit ei­ner Sän­ge­rin na­mens Lu­cil­le, und ein hal­b­es Dut­zend an­de­rer Da­men wur­de ihm so ne­ben­bei nach­ge­sagt. Es war klar, die Män­ner konn­ten ihn nicht lei­den, weil er so­viel Glück bei den Wei­bern hat­te. Jun­ge und Alte nah­men ihm das gleich übel. Aber wenn man den Sa­chen auf den Grund ging, war nicht viel dar­an.

Ei­nes Nach­mit­tags traf McCar­thy den Mann selbst im Hau­se von Dave Har­ney. Er schi­en be­trächt­lich bes­ser als sein Ruf, schließ­lich hat­te der alte Gold­kö­nig in sei­nem Le­ben man­chem Mann un­ter den Hu­trand ge­schaut, und er ver­stand sich dar­auf, was echt und un­echt war. Der hier war der übels­te nicht. Und trotz­dem hat­te die Ab­nei­gung der an­de­ren ihn schon an­ge­steckt. Matt muss­te sich zwin­gen, mit die­sem na­tür­li­chen, hei­te­ren Bur­schen freund­lich zu sein.

»Die Hun­de sol­len über mein Grab lau­fen«, sag­te er bei sich, wäh­rend er sei­ne Spiel­kar­ten sor­tier­te. »Bin ich zu alt oder zu jung, um ge­recht zu sein? Neh­me ich es ihm auch übel, dass er die Wei­ber zu neh­men weiß? Der Kerl hat in sei­nem Le­ben eben et­was ge­leis­tet, und das im­po­niert den Mä­dels. Im­mer­hin, wenn’s um Fro­na geht, kann man nicht vor­sich­tig ge­nug sein.«

Als die Ge­sell­schaft aus­ein­an­der­ging, schi­en es selbst­ver­ständ­lich, dass St. Vin­cent Fro­na nach Hau­se brach­te. Aber Matt fuhr da­zwi­schen.

»Heu­te Abend nicht, mein Jun­ge! Heu­te ist der alte Pfle­ge­va­ter an der Rei­he.«

Er wan­der­te, Fro­na an sei­nem Arm, auf Wel­ses Haus zu und frag­te ohne Um­schweif:

»Was ist das, was ich von dir und dem Bur­schen höre?«

Sie schau­te mit of­fe­nem Blick in sei­ne schar­fen grau­en Au­gen.

»Ich kann doch nicht wis­sen, was du ge­hört hast.«

»Wenn die Leu­te über ein hüb­sches jun­ges Mä­del und einen un­ver­hei­ra­te­ten jun­gen Mann über­haupt re­den, dann ist es nicht schwer zu ra­ten, um was es sich han­delt.«

»So, was denn?«

»Lie­be, na­tür­lich. Die Leu­te sa­gen, dass es bei euch da­nach aus­sieht.«

»Be­weist das auch, dass es so ist?«

»Ge­nügt mir, wenn es so aus­sieht.«

»Also ers­tens, On­kel Matt, bist du alt ge­nug, um zu wis­sen, dass die Leu­te sich um je­den Preis et­was zu­recht­dich­ten müs­sen, wenn sonst nichts pas­siert. Zwei­tens sind Herr St. Vin­cent und ich gute Freun­de, das ist al­les. Und drit­tens, wenn es so wäre, wie du sagst, was dann …?«

Matt woll­te et­was sa­gen, räus­per­te sich, fand je­des Wort dumm, das ihm ein­fiel, und brab­bel­te vor sich hin. Dann platz­te er in sei­ner Ver­le­gen­heit her­aus.

»Weiß Gott, Fro­na, ich hät­te Lust, dich tüch­tig durch­zu­wich­sen.«

Sie lach­te: »Du meinst es si­cher gut mit mir, al­ter Gol­don­kel. Lei­der kommst du ein biss­chen spät da­mit, du hast die rich­ti­ge Zeit da­mals in Dyea ver­säumt.«

Er bet­tel­te: »Du wirst doch nicht böse auf dei­nen al­ten Matt sein!«

»Ich den­ke nicht dar­an.«

»Aber du bist es doch.«

»So!« Sie beug­te sich has­tig vor und küss­te ihn auf die Nase. »Glaubst du, ich könn­te von Dyea spre­chen und böse mit dir sein?«

Sie wa­ren vor Wel­ses Tür ste­hen­ge­blie­ben.

»Ich bin wirk­lich nicht böse, Matt. Aber au­ßer mei­nem Va­ter bist du der ein­zi­ge Mensch, der sich er­lau­ben darf, über die­se Sa­che mit mir zu re­den. Und wenn du es noch ein­mal tust, wer­de ich trotz al­lem nicht mehr an Dyea den­ken. Das ist et­was, was mich ganz al­lein an­geht, du hast kein Recht …«

»Kein Recht, zu ver­hin­dern, dass du mit ver­bun­de­nen Au­gen in dein Un­glück rennst?«

»Wenn du es so nennst, nein!«

Er brumm­te et­was vor sich hin.

»Was sagst du da?«

»Das Maul kannst du mir ver­bie­ten, aber den Arm kannst du mir nicht fest­bin­den.«

»Das darfst du nicht, Matt! Matt, lie­ber Matt, du darfst nicht!«

Sie war sehr er­regt und klam­mer­te sich an den Arm des Al­ten. »Ich las­se dich nicht weg, ehe du mir ver­spro­chen hast, dass du nicht in mein Le­ben ein­greifst. We­der mit Wor­ten noch mit Ta­ten.«

»Ich ver­spre­che dir gar nichts. Jetzt mach, dass du ins Haus kommst, Fro­na. Und Gute Nacht. Es wird ver­dammt kalt hier drau­ßen auf der Trep­pe.«

Er schob sie hin­ein und ging. Ein paar Schrit­te wei­ter blieb er ste­hen, be­trach­te­te sei­nen ei­ge­nen Schat­ten auf dem Schnee und fluch­te wie ein jun­ger Hun­de­trei­ber, wenn die Hun­de nicht zie­hen wol­len.

»Matt Mc Car­thy, du bist der größ­te Esel, von dem du je ge­hört hast! Bil­dest du al­ter Schwach­kopf dir wirk­lich ein, dass eine Wel­se ih­ren Kopf nicht durch­setzt?«

Flu­chend und knur­rend ging er wei­ter. Sein al­ter Wolfs­hund, der ihm auf den Fer­sen trot­te­te, fletsch­te die Zäh­ne.

*

Der Weih­nachts­abend mit all sei­ner Auf­re­gung und Freu­de war vor­bei. Zwei Dut­zend Kin­der hat­ten sich, glück­lich und reich be­schenkt, durch den Schnee nach Hau­se ge­trollt. Dann nahm auch der letz­te Gast Ab­schied.

»Bist du müde, mein Kind?«

Fro­na ver­galt ih­rem Va­ter mit strah­len­den Au­gen all sei­ne Zärt­lich­keit, dann setz­ten sie sich in die großen be­que­men Ses­sel rechts und links vom Ka­min, in dem das letz­te Tan­nen­holz­scheit rot­glü­hend zer­fiel.

»Was wird nächs­tes Jahr um die­se Zeit sein?« frag­te Ja­cob Wel­se. Er frag­te es ge­wis­ser­ma­ßen in den Ka­min hin­ein, als ob die Fun­ken ihm Ant­wort ge­ben könn­ten.

»Die­se bei­den Mo­na­te, seit du bei mir bist, sind ein ein­zi­ges Wun­der ge­we­sen, vom An­fang bis zum Ende. Mir ist, als leb­te ich jetzt die glück­lichs­te Zeit mei­nes Le­bens. Wir hat­ten uns ja kaum ge­kannt, Fro­na. Seit du ein ganz klei­nes Kind warst, ha­ben wir uns im­mer nur für Wo­chen ge­se­hen, und von ei­nem Wie­der­se­hen zum an­de­ren warst du im­mer schon ein ganz an­de­rer Mensch ge­wor­den. Manch­mal ist es mir ganz ko­misch, wenn ich dich an­se­he und mir sage, dass du wirk­lich mein Fleisch und Blut bist … Dass du kein Jun­ge ge­wor­den bist!« un­ter­brach er sich plötz­lich. »Fro­na, du wärst ein groß­ar­ti­ger Jun­ge ge­wor­den! Ich glau­be, das wäre mir lie­ber. Weißt du auch, warum? Ei­gent­lich hat man als Va­ter ja tau­send­mal mehr von ei­ner Toch­ter. Ein Mä­del kann lieb und zärt­lich sein, und ei­nem Mä­del kann man schmei­cheln. Wenn du ein Bur­sche von zwan­zig Jah­ren wärst … glaubst du, ich hät­te dir einen Weih­nachts­kuss ge­ge­ben, so wie heu­te Abend? In ei­ner Toch­ter er­lebt man die Frau noch ein­mal, die man am liebs­ten auf der Welt ge­habt hat … Aber es ist ko­misch, Fro­na, lie­ber wär’ mir’s doch, wenn du ein Bur­sche wärst. Wie lan­ge dau­ert es noch, dann bist du eine Frau und gehst mit ir­gend­ei­nem Kerl weg, der mich nichts an­geht, und der mich nicht lei­den kann, oder den ich nicht mag, und ich kann nicht ein­mal ein Wort da­ge­gen sa­gen. Du bist zur Freu­de für ihn ge­schaf­fen, du wirst mich ver­las­sen und musst mich ver­las­sen … mor­gen, über­mor­gen, viel­leicht erst nächs­tes Jahr, so Gott will … wer weiß das?«

 

Sie kam zu ihm, setz­te sich auf die brei­te Arm­leh­ne des Ses­sels und strei­chel­te sein ge­sun­des, rau­es Ge­sicht.

»Lass das, Dad­dy, heu­te Abend we­nigs­tens! Ich bin auch so glück­lich, dass ich bei dir sein kann, und viel­leicht möch­te ich am liebs­ten im­mer in die­sem war­men Nest blei­ben. Aber er­zähl mir was, du hast mir noch so sel­ten er­zählt, von dei­ner Ju­gend, von un­se­ren Vor­fah­ren, er­zähl mir vor al­lem von Mama! … Und dann muss ich auch ein­mal et­was hö­ren von dei­nem Va­ter, der den großen ein­sa­men Kampf bei Tre­a­su­re City ge­kämpft hat, wo sie zehn ge­gen einen wa­ren, und wo er ge­fal­len ist. Ich bin so stolz, dass all mei­ne Ah­nen tap­fe­re Män­ner wa­ren, und ich höre so gern von Män­ner­kämp­fen!«

»Von dei­ner Mut­ter möch­te ich dir viel er­zäh­len, Fro­na. Ei­gent­lich ist es das ers­te­mal, dass wir so al­lein bei­sam­men sind, und dass ich dir mein Herz aus­schüt­ten kann. Aber was kann ich dir sein? Jetzt kommt die Zeit, wo ein Mä­del sei­ne Mut­ter am nö­tigs­ten braucht, und du hast dei­ne Mut­ter nie ge­kannt!«

Sie schwie­gen bei­de. Es war et­was wie elek­tri­sche Span­nung in die Luft ge­tre­ten; Fro­na wuss­te ge­nau, was jetzt kom­men soll­te.

»Die­ser Mann, die­ser Dr. Gre­go­ry St. Vin­cent … wie steht es mit euch bei­den?« frag­te Wel­se mit ab­ge­wand­tem Ge­sicht und stoß­wei­sem Atem, als müss­te er sich Wort um Wort aus der Keh­le quä­len.

»Ich … das weiß ich selbst nicht so recht, Dad­dy.«

»Du bist ein frei­er Mensch, Fro­na. Du darfst wäh­len, wen du willst. Das ist das ers­te und letz­te Wort, das ich dir zu sa­gen habe. Aber, ich möch­te dich doch so gern ver­ste­hen. Wenn du mir al­les sag­test, weißt du, al­les … viel­leicht könn­te ich al­ter Knurr­hahn dir doch ein­mal ra­ten. Mehr will ich ja gar nicht. Nur ein biss­chen ra­ten …«

»Wir sind gute Freun­de, wir sind so­gar sehr gute Freun­de, Va­ter. Aber sonst ist nichts zwi­schen uns, ich glau­be we­nigs­tens, dass sonst nichts zwi­schen uns ist. Herr St. Vin­cent hat nie ein Wort dar­über hin­aus ge­sagt.«

»Aber ich weiß doch, dass ihr euch gern habt. Es ist nur die Fra­ge, ob du ihn so gern hast, wie eine Frau einen Mann ha­ben muss, für den sie sich selbst auf­ge­ben darf.«

»Nein. Oder viel­leicht doch, wie soll ich das selbst wis­sen? Ich den­ke mir, das ist auf ein­mal da, was du meinst, so wie ein großes, wei­ßes Licht in ei­nem dunklen Zim­mer. Auf ein­mal ist al­les ganz of­fen­bar. Aber das weiß ich, ge­kom­men ist die­ses Licht noch nicht.«

Ja­cob Wel­se nick­te nach­denk­lich und sah aus wie ein Rie­se, der mit win­zi­gem Kin­der­spiel­zeug spie­len möch­te und sich fürch­tet, dar­an zu rüh­ren.

»Schließ­lich bin ich doch auch mit an­de­ren jun­gen Män­nern be­freun­det, Va­ter, ge­nau so wie mit Gre­go­ry.«

»Aber ge­ra­de die­ser St. Vin­cent …«

»Was ist ge­ra­de mit dem?«

»Ich kann den Kerl nicht lei­den.«

»So geht es ihm bei vie­len Män­nern, lei­der«, gab Fro­na zu. »Aber ge­ra­de des­halb …«

»Mei­ne Mei­nung soll dir nicht mehr gel­ten als die der an­de­ren. Weil ich dein Va­ter bin, habe ich dir in sol­chen Din­gen kei­ne Vor­schrif­ten zu ma­chen, ge­ra­de des­halb nicht. Aber, dass vie­le Män­ner das­sel­be Ur­teil ha­ben wie ich, da muss et­was dar­an sein.«

»Aber du hast nichts ge­gen ihn als die­ses un­be­stimm­te Ge­fühl?«

»Doch, viel­leicht et­was mehr als den blo­ßen In­stinkt. Ich will ver­su­chen, dir das zu er­klä­ren. Nim­m’s nicht als Prah­le­rei, es ist eine blo­ße Tat­sa­che: wir Wel­ses ha­ben nie einen Feig­ling un­ter uns ge­habt. Feig­heit ist für mich et­was Un­na­tür­li­ches, et­was Ekel­haf­tes, und ne­ben Feig­heit kann nichts Gu­tes ge­dei­hen.«

»Gre­go­ry St. Vin­cent ist weiß Gott der letz­te Mann auf Er­den, Va­ter, den man einen Feig­ling nen­nen könn­te! Sein gan­zes Le­ben als For­scher war eine ein­zi­ge tap­fe­re Tat.«

Fro­na war bei die­ser Ant­wort heiß und feu­rig ge­wor­den, aber dann schi­en sie ihm so trau­rig, dass der An­blick ih­res Ge­sichts ihm ins Herz schnitt.

»Ich will dir nicht weh tun, Kind. Und wenn ich es doch tun muss, dann ver­zeih mir. Ich weiß nichts von die­sem St. Vin­cent, ich habe gar kei­nen An­halt für das, was ich jetzt sage, nur das un­si­che­re Ge­fühl. Aber ich kann mir nicht hel­fen, der Mann scheint mir nicht das, wo­für er sich aus­gibt. Dann habe ich al­ler­dings et­was über ihn ge­hört, eine klei­ne Tat­sa­che, an sich ganz ge­ring­fü­gig. Ein Auf­tritt un­ten in der Bar, bei dem er nicht ganz sau­ber war.«

»Weil er mit ei­ner Va­rietéda­me ge­tanzt hat? … Nicht wahr, dar­über zer­bre­chen die Män­ner sich ihre Zun­gen? Vi­el­leicht hat er auch sonst schön mit ihr ge­tan und mei­net­we­gen so­gar … Je­den­falls geht das die an­de­ren nicht das ge­rings­te an, und mir ist er kei­ne Treue schul­dig. Wenn mir das weh tun soll, dann hab’ ich es je­den­falls mit mir al­lein aus­zu­ma­chen, aber ich kann nicht ein­mal sa­gen, dass es mir weh tut.«

»Du ver­stehst mich falsch. An sei­ne Wei­ber­ge­schich­ten habe ich gar nicht ge­dacht, son­dern an et­was ganz an­de­res. Es hat da mal eine Prü­ge­lei statt­ge­fun­den, eine große, ge­wal­ti­ge Prü­ge­lei, wie sich’s ab und zu in ei­ner Gold­grä­ber­bar ge­hört. Er woll­te nicht mit­ma­chen. Rund­her­aus ge­sagt, er war so feig, dass es einen Hund er­bar­men konn­te. Ein­fach zum Kot­zen war’s, wie er sich be­nom­men hat.«

»Ers­tens ist das doch al­les nur Gerücht … Und au­ßer­dem kann es gar nicht wahr sein. Er hat mir selbst bald dar­auf von der Ge­schich­te er­zählt. Aus­ge­se­hen hat er kei­nes­wegs wie ein Feig­ling, son­dern wie ein Mann, der beim Bo­xen ge­hö­rig ein­ge­steckt hat. Je­den­falls hät­te er nicht da­von ge­spro­chen, wenn es so ge­we­sen wäre, wie du sagst.«

»Soll kei­ne An­kla­ge sein«, un­ter­brach Ja­cob Wel­se sich has­tig, als fürch­te­te er, zu viel ge­sagt zu ha­ben. »Manch­mal ist man nicht dis­po­niert, ich habe gute Män­ner knei­fen ge­se­hen, die bei ei­ner an­de­ren Ge­le­gen­heit wie der Teu­fel los­ge­gan­gen sind. Hö­ren wir auf da­von! Ich habe das Ge­fühl, dass ich dich auf fes­tes Land füh­ren woll­te und selbst in den Sumpf ge­ra­ten bin. Ich woll­te dir viel­leicht einen Rat ge­ben, aber un­ser­eins ist alt und plump, man soll bes­ser die Hän­de von so zer­brech­li­chen Sa­chen las­sen.«

»Ich weiß, wie gut du es ge­meint hast, Dad­dy.«

Sie ließ sich auf sei­ne Knie fal­len und lag so zärt­lich an sei­ner Brust, wie er es sein Le­ben lang nicht ge­fühlt hat­te.

»Du gu­ter Dad­dy, machst dir so­viel un­nüt­ze Sor­gen um mich.«

Dies war der letz­te Au­gen­blick, in dem er ihr das sa­gen konn­te, was ihm ei­gent­lich auf der Zun­ge lag:

»Was geht es uns an, Fro­na, uns bei­de, was die Welt sagt? Du bist eine Wel­se und hast dei­nen Kom­pass in der Brust, du brauchst nach Him­mel und Höl­le nicht zu fra­gen, wenn du et­was tust. Und wenn du es dir ein­fal­len lässt, ganz ohne Kir­che und Stan­des­amt ein Kind zu be­kom­men, nur weil du eben ein Kind ha­ben willst, dann wird es trotz al­lem ein Wel­se sein, und wir bei­de fra­gen den Hen­ker da­nach, von wem es ist.«

Als die letz­te Glut im Ka­min zer­fiel und die Wär­me das Zim­mer ver­ließ, lag sie im­mer noch an sei­ner Brust. Er er­zähl­te ihr, was sie ei­gent­lich hö­ren woll­te, von ih­rer Mut­ter, die ihr so he­ro­isch das Le­ben ge­ge­ben hat­te, von all den mu­ti­gen Wel­ses, die vor ihm ge­lebt hat­ten, und von dem großen, ein­sa­men Kampf bei Tre­a­su­re City, in dem sein Va­ter den Tod ge­fun­den.

*

Die lan­ge vor­be­rei­te­te Thea­ter­vor­stel­lung fand statt und wur­de ein so rie­si­ger Er­folg, wie Daw­son ihn höchs­tens ein­mal in je­dem Jah­re er­leb­te. St. Vin­cents Re­gie­kunst war au­ßer Zwei­fel. Er hat­te aus all den un­ge­fü­gen Men­schen eine Art rich­ti­ger Schau­spie­ler ge­macht und schi­en selbst auf der Büh­ne ein Fach­mann zu sein, kein Di­let­tant. Sie hat­ten »Nora« von Ib­sen ge­spielt, nichts zum La­chen, son­dern ein Stück, das die Men­schen quäl­te und zu­gleich er­hob. Un­ter sei­nem Ein­fluss, von sei­nem Ta­lent mit­ge­ris­sen, war Fro­na, die die Nora gab, weit über ihre Gren­zen hin­aus­ge­wach­sen. Sie hat­te Töne des Lei­des und der Lei­den­schaft ge­fun­den, die je­den er­grif­fen.

Un­ter end­lo­sem Bei­fall war der Vor­hang ge­fal­len. Dann sam­mel­te Frau Shef­field die Ho­no­ra­tio­ren der Ge­sell­schaft um sich und hielt die Kri­tik in so flam­mend be­geis­ter­ten Aus­drücken, dass Ja­cob Wel­se sich är­ger­te. Auch Dave Har­ney knurr­te in das all­ge­mei­ne Lob hin­ein, ers­tens sei das Stück wie vom Teu­fel ge­spielt wor­den, und zwei­tens sei es wirk­lich ein ver­dammt gu­tes Stück, und drit­tens hät­te er schon, wer weiß wie lan­ge, kei­nen so schö­nen Abend ge­habt. Aber dann flüs­ter­te er dem Po­li­zei­of­fi­zier zu:

»So’n biss­chen Schlei­er­tanz hät­te man schließ­lich auch gern ge­se­hen. Und mehr Mä­dels, vor al­lem mehr Mä­dels! Und warum hat der Ib­sen, oder wie der Bur­sche hei­ßen mag, denn gar kei­ne Schla­ger hin­ein­ge­dich­tet?«

»Das hät­te ver­dammt schlecht ge­passt«, be­lehr­te ihn On­kel Matt, der nicht hö­ren konn­te, dass man an ir­gend­ei­ner Leis­tung Fro­nas Kri­tik übte. »Die Fro­na hat das so groß­ar­tig ge­spielt«, sag­te er, »so ver­dammt groß­ar­tig, dass an­de­re Mä­dels nur ge­stört hät­ten. Das gebe ich Ih­nen schwarz auf weiß, wenn Sie es wol­len.«

»Ha­ben Sie Gum­mi ge­kauft?«

»Gum­mi?«

»Aber na­tür­lich, was hab’ ich Ih­nen denn ge­ra­ten? Wenn das Tau­wet­ter kommt, stei­gen die Gum­mis­tie­fel ins Asch­graue, habe ich Ih­nen ge­sagt. Dies Jahr kom­men sie auf drei Un­zen Gold das Paar, sonst fress’ ich alle al­ten Be­sen in Daw­son City. Heu­te kön­nen Sie sie noch für eine Unze das Paar kau­fen.«

»Der Teu­fel soll Sie und Ihre Gum­mi­schu­he ho­len!«

Aber da­mit war die Kunst für die­sen Abend er­le­digt, und man sprach wie­der von re­el­le­ren Din­gen.

Gre­go­ry St. Vin­cent brach­te Fro­na nach Hau­se. Als sie al­lein in der eis­kal­ten Win­ter­luft stan­den, schüt­tel­te er sich, als müss­te er al­les ab­wer­fen, was ihn da drin um­ge­ben hat­te, und sag­te mit ei­nem tie­fen Seuf­zer: »End­lich!«

»Was end­lich?«

»End­lich kann ich Ih­nen sa­gen, wie wun­der­voll Sie die Nora ge­spielt ha­ben! Vi­el­leicht ha­ben Sie Per­len vor die Säue ge­wor­fen, aber ich we­nigs­tens war so er­grif­fen, dass ich selbst kaum wei­ter­spie­len konn­te. Bei der großen Sze­ne, in der Sie für im­mer aus mei­nem Da­sein ver­schwin­den …«

»… was war da?«

»Ja, da wa­ren Sie nicht Nora, und ich war nicht Tor­wald, son­dern wir wa­ren Fro­na und Gre­go­ry. Wie Sie da auf ein­mal in Hut und Man­tel vor mich tre­ten und mit der Rei­se­ta­sche in der Hand ab­ge­hen, da hat mir das Herz ge­blu­tet.«

Fro­na ant­wor­te­te nicht. Eine Wei­le gin­gen sie schwei­gend ne­ben­ein­an­der. Der Zau­ber die­ses Abends lag noch über ih­nen; von der Be­geis­te­rung, mit der sie der Kunst ge­dient hat­ten, war noch et­was in ih­rem Blut. Es war ein kla­rer Abend, nicht über­mä­ßig kalt für zwei jun­ge Men­schen in di­cken Wolfs­pel­zen, die bei­de auf das Au­ßen nicht ach­te­ten. Das Land lag rings­um in Licht ge­ba­det, ein wei­ches Licht, des­sen Quel­le we­der Stern noch Mond war. Am Ho­ri­zont spann­te sich von Süd­ost nach Nord­west ein blass­grü­nes, leuch­ten­des Band; von ihm ging der mat­te Strah­lenglanz aus. Plötz­lich zeich­ne­te sich, wie das Licht ei­nes Schein­wer­fers, ein Bün­del wei­ßer Strah­len auf dem nacht­schwar­zen Him­mel. Für einen Au­gen­blick war ge­spens­ti­scher Tag; dann senk­te sich noch tiefer die schwar­ze Nacht auf die Erde her­ab. Nur im Os­ten gär­te es aus ei­nem grün­li­chen, leuch­ten­den Ne­bel­schlei­er, lich­te Dämp­fe bro­del­ten em­por, fie­len wie­der, als ver­such­ten mäch­ti­ge, kör­per­lo­se Hän­de, den Äther an sich zu rei­ßen. Ein­mal schoss eine zy­klo­pi­sche Ra­ke­te in feu­ri­ger Bahn vom Ho­ri­zont bis zum Ze­nit em­por und fiel wie in zit­tern­der Flucht wie­der auf die Erde her­ab.

 

Im Au­gen­blick die­ses flam­men­den Tri­um­phes brach die Stil­le auf der Erde. Zehn­tau­send Wolfs­hun­de heul­ten zu­gleich all ihre Sehn­sucht und ih­ren Hun­ger in die Luft. Fro­na schau­er­te zu­sam­men. St. Vin­cent leg­te den Arm um sie. Jetzt jam­mer­ten die Wolfs­hun­de nur noch lei­se, ihr Win­seln war noch fürch­ter­li­cher als das ein­stim­mi­ge Kla­ge­ge­heul. Es war, als gin­ge durch die­se gan­ze Welt eine große un­be­zwing­ba­re Furcht, als beb­te al­ler Schmerz der Krea­tur durch das Tal.

Fro­na leg­te sich fes­ter in St. Vin­cents Arm und schloss die Au­gen. Da spür­te sie die Furcht der Krea­tur nicht mehr. Es zit­ter­te in ih­ren Ner­ven von ei­nem ganz neu­en, frem­den Ge­fühl, und das war Won­ne.

»Muss ich noch Wor­te zu dir spre­chen?« frag­te er mit sei­ner tie­fen Stim­me, die eben erst alle Zu­hö­rer im Thea­ter ent­zückt hat­te, und die jetzt so ge­dämpft, so ganz al­lein für sie klang.

»Nein, Gre­go­ry!«

*

»Ich kann dir so we­nig bie­ten, Ge­lieb­te!« sag­te der Mann, als er Fro­na bis zur Tür ih­res Va­ter­hau­ses ge­bracht hat­te. »Das un­si­che­re Los ei­nes im­mer wan­dern­den Zi­geu­ners …«

Sie nahm sei­ne Hand, press­te sie an ihr Herz und sprach die Wor­te, die eine große Frau vor ihr ge­spro­chen hat­te:

»Ein Zelt und eine Brot­krus­te, die ich mit dir tei­le! Da­mit wer­de ich im­mer glück­lich sein!«

*

»He­rein!«

Matt McCar­thy drück­te die Klin­ke her­un­ter und öff­ne­te die Tür und schloss sie sorg­fäl­tig wie­der hin­ter sich.

»Ach, Sie sin­d’s!« St. Vin­cent be­trach­te­te sei­nen Gast mit ei­nem düs­te­ren, zer­streu­ten Blick, dann aber nahm er sich zu­sam­men und reich­te ihm die Hand.

»Hal­lo, Matt, Al­ter! Mei­ne Ge­dan­ken wa­ren tau­send Mei­len weit von hier, als Sie ka­men. Neh­men Sie sich einen Stuhl und ma­chen Sie es sich be­quem. Dort ne­ben Ih­nen steht Ta­bak. Ver­su­chen Sie ihn und las­sen Sie uns hö­ren, was Sie wol­len.«

»Ja, da hat er schon recht, dass sei­ne Ge­dan­ken tau­send Mei­len weit von hier sind«, sag­te Matt bei sich. Aber laut sag­te er: »Nun ja, Sie wa­ren wohl in süße Träu­me ver­sun­ken. Und das ist ja auch kein Wun­der.«

»Wie­so?« frag­te der Kor­re­spon­dent hei­ter.

»Sie sind ein ver­fluch­ter Kerl, Vin­cent, und ha­ben ein mäch­ti­ges Glück bei den Mäd­chen – dar­über ist nicht zu strei­ten. Sie ha­ben man­chen Kuss im Vor­bei­ge­hen ge­schnappt und man­ches Herz ge­bro­chen. Aber Vin­cent, mein Jun­ge, ha­ben Sie je das Rich­ti­ge ge­kannt?«

»Wie mei­nen Sie das?«

»Das Rich­ti­ge, das Rich­ti­ge, das heißt – nun ja, sind Sie je Va­ter ge­we­sen?«

St. Vin­cent schüt­tel­te den Kopf.

»Ich auch nicht. Aber ha­ben Sie je vä­ter­li­che Lie­be ge­fühlt?«

»Das weiß ich nicht recht. Ich glau­be nicht.«

»Da ha­ben wir’s ja. Und das ist das Rich­ti­ge, sag’ ich Ih­nen. Wenn ein Mann je ein Kind ge­säugt hat, dann habe ich’s ge­tan, oder doch je­den­falls so was Ähn­li­ches. Es war ein Mä­del, und jetzt ist sie aus­ge­wach­sen, und wenn mög­lich lie­be ich sie noch mehr als ihr leib­li­cher Va­ter. Au­ßer ihr habe ich lei­der nur eine ein­zi­ge Frau ge­trof­fen, die ich hät­te lie­ben kön­nen, und die war schon mit ei­nem an­de­ren ver­hei­ra­tet, als ich sie traf. Ich habe kei­nem Men­schen je ein Wort da­von ge­sagt, o nein, nicht ein­mal ihr selbst. Aber sie ist tot. Gott sei ih­rer See­le gnä­dig.«

Das Kinn sank ihm auf die Brust, und sei­ne Ge­dan­ken gin­gen zu­rück zu der blon­den Frau, die sich einst wie ein Son­nen­strahl in die Hüt­te am Dyea-Ri­ver ver­irrt hat­te. Er blick­te plötz­lich auf und sah St. Vin­cent mit lee­ren Bli­cken vor sich hin­star­ren, als däch­te er an ganz et­was an­de­res.

»Aber las­sen Sie es jetzt ge­nug sein mit den Dumm­hei­ten, Vin­cent.«

Der Kor­re­spon­dent nahm sich zu­sam­men, und er merk­te, dass die klei­nen blau­en Au­gen des Iren sich in die sei­nen bohr­ten.

»Sind Sie ein tap­fe­rer Mann, Vin­cent?«

Eine Se­kun­de lang sa­hen sie sich an, als woll­te ei­ner die See­le des an­de­ren er­for­schen. Und in die­ser Se­kun­de hät­te Matt schwö­ren kön­nen, dass er es ganz lei­se in den Au­gen des an­de­ren fla­ckern sah. Tri­um­phie­rend schlug er mit der Faust auf den Tisch, dass es klatsch­te. »Weiß Gott, das sind Sie nicht.«

Der Kor­re­spon­dent zog die Ta­bak­do­se zu sich her­an und dreh­te sich eine Zi­ga­ret­te. Er dreh­te sie sich mit großer Sorg­falt, und das fei­ne Reis­pa­pier knis­ter­te in sei­ner ge­üb­ten Hand; da­bei stieg ihm das rote Blut un­ter dem Hemd­kra­gen em­por und ver­brei­te­te sich, stär­ker an den Höh­lun­gen und wie­der schwä­cher an den Ba­cken­kno­chen, im­mer mehr über sei­ne Wan­gen, bis sein Ge­sicht flamm­te.

»Das ist gut! Und viel­leicht er­üb­rigt sich da­durch, dass ich mei­ne Fin­ger mit ei­ner ekel­haf­ten Ar­beit be­schmut­ze. Vin­cent, das Mä­del, das jetzt aus­ge­wach­sen ist, schläft die­se Nacht in Daw­son. Gott hel­fe uns, Ih­nen und mir. Aber wir wer­den nie un­sern Kopf so rein und un­be­schmutzt wie sie auf das Kis­sen le­gen kön­nen. Vin­cent, ich will Ih­nen einen ver­nünf­ti­gen Rat ge­ben, stre­cken Sie nie die Hand nach ihr aus, we­der mit noch ohne Se­gen der Kir­che.

Sie sind mir un­sym­pa­thisch. Mei­ne Grün­de be­hal­te ich für mich, die sind ja auch ei­ner­lei. Aber hö­ren Sie jetzt, was ich sage: Wenn Sie je so tö­richt sein soll­ten, sie zu Ih­rer Frau zu ma­chen, so wer­den Sie nie das Ende des ver­fluch­ten Ta­ges se­hen oder sich über den An­blick Ihres Braut­bet­tes freu­en. Mensch, ich könn­te Sie mit mei­nen blo­ßen Fäus­ten er­schla­gen, wenn es nö­tig wäre. Aber ich hof­fe, dass ich es ein we­nig ele­gan­ter tue. Sei­en Sie ganz ru­hig – das ver­spre­che ich Ih­nen.«

»Du iri­sches Schwein!« Ganz plötz­lich war in St. Vin­cent der Teu­fel wach ge­wor­den.

McCar­thy sah plötz­lich in den Lauf ei­nes Re­vol­vers hin­ein. »Ist er ge­la­den?« frag­te er ru­hig.

»Ge­wiss«, sag­te St. Vin­cent zor­nig.

»Ich glau­be Ih­nen. Aber wor­auf war­ten Sie. Drücken Sie ab, hö­ren Sie.«

Der Fin­ger, der ab­drücken soll­te, be­weg­te sich, und ein ver­däch­ti­ges Kli­cken er­tön­te.

»So zie­hen Sie durch. Zie­hen Sie durch!« sage ich. »Als ob Sie das könn­ten, bei dem Fla­ckern in Ihren Au­gen.«

St. Vin­cent ver­such­te den Kopf ab­zu­wen­den.

»Se­hen Sie mich an, Mann!« kom­man­dier­te McCar­thy. »Se­hen Sie mir in die Au­gen, wenn Sie es tun.« Wi­der Wil­len muss­te der Kor­re­spon­dent den Kopf wie­der dre­hen, so­dass sei­ne Au­gen de­nen des Ir­län­ders be­geg­ne­ten. »Jetzt!«

Zäh­ne­knir­schend drück­te St. Vin­cent ab – we­nigs­tens glaub­te er es zu tun. Sein Wil­le war be­reit und gab den Be­fehl, aber die Angst in sei­ner See­le hielt ihn zu­rück.

»Wohl ge­lähmt, der arme, klei­ne, zit­tern­de Fin­ger, was?« grins­te Matt dem ge­pei­nig­ten Mann ins Ge­sicht. »Dann dreh ihn jetzt nach der an­de­ren Sei­te, so, und leg ihn weg, vor­sich­tig … vor­sich­tig … vor­sich­tig.« Sei­ne Stim­me wur­de zu ei­nem knur­ren­den, be­ru­hi­gen­den Flüs­tern.