Jack London – Gesammelte Werke

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»Wa­rum kämpfst du nicht?« schri­en sie Ri­ve­ra zor­nig zu. »Jam­mer­lap­pen! Jam­mer­lap­pen! Los, du Hund! Schlag ihn tot, Dan­ny! Du hast ihn ja schon! Hau ihn«

Von al­len im gan­zen Hau­se war Ri­ve­ra der ein­zi­ge, der sei­ne Kalt­blü­tig­keit be­wahr­te. Nach Tem­pe­ra­ment und Ras­se war er der lei­den­schaft­lichs­te von al­len, aber er war so weit grö­ße­ren Auf­re­gun­gen aus­ge­setzt ge­we­sen, dass die­se ge­mein­sa­me, aus zehn­tau­send Keh­len schrei­en­de Lei­den­schaft, die sich Woge auf Woge er­hob, ihm nicht mehr als die sam­met­ar­ti­ge Küh­le ei­nes Som­mer­abends be­deu­te­te.

In der sieb­zehn­ten Run­de setz­te Dan­ny sei­ne An­grif­fe fort. Un­ter ei­nem hef­ti­gen Schlag wank­te Ri­ve­ra. Sei­ne Hän­de san­ken hilf­los her­ab, wäh­rend er wi­der­stre­bend zu­rück­tau­mel­te. Jetzt dach­te Dan­ny, dass sei­ne Chan­ce ge­kom­men wäre. Der Jun­ge war in sei­ner Ge­walt. Durch die­se Ko­mö­die über­rum­pel­te Ri­ve­ra ihn und traf ihn mit der ge­ra­den Rech­ten auf den Mund. Dan­ny fiel. Als er auf­stand, fäll­te Ri­ve­ra ihn durch einen rech­ten Ha­ken auf Hals und Kinn. Das wie­der­hol­te sich drei­mal. Kein Schieds­rich­ter der Welt hät­te von ei­nem Foul spre­chen kön­nen.

»Oh, Bill! Bill!« fleh­te Kel­ly den Schieds­rich­ter an.

»Ich kann nichts da­bei ma­chen«, sag­te der Schieds­rich­ter be­dau­ernd. »Er gibt mir kei­ne Ge­le­gen­heit dazu.«

Dan­ny stand im­mer wie­der auf, zer­schla­gen, aber hel­den­mü­tig. Kel­ly und an­de­re in der Nähe des Rin­ges be­gan­nen nach der Po­li­zei zu ru­fen, dass sie ein­schrei­ten soll­te, ob­wohl Dan­nys Ecke sich wei­ger­te, das Hand­tuch hin­ein­zu­wer­fen. Ri­ve­ra sah den di­cken Wacht­meis­ter einen un­ge­schick­ten Ver­such ma­chen, un­ter den Sei­len her­ein­zu­klet­tern, und wuss­te nicht recht, was das be­deu­te­te. Die­se Grin­gos wuss­ten auf so vie­ler­lei Wei­se bei ei­nem Box­kampf zu be­trü­gen. Dan­ny, der wie­der auf die Bei­ne ge­kom­men war, tau­mel­te un­si­cher und hilf­los vor ihm hin und her. Der Schieds­rich­ter und der Po­li­zist streck­ten bei­de die Hän­de nach Ri­ve­ra aus, als er den letz­ten Schlag führ­te. Es gab kei­nen Grund zum Ein­schrei­ten, denn Dan­ny blieb lie­gen.

»Zähl!« rief Ri­ve­ra dem Schieds­rich­ter hei­ser zu.

Und als das Zäh­len be­en­det war, ho­ben die Se­kun­dan­ten Dan­ny auf und tru­gen ihn in sei­ne Ecke.

»Wer ist der Sie­ger?« frag­te Ri­ve­ra.

Wi­der­wil­lig er­griff der Schieds­rich­ter sei­ne be­hand­schuh­te Hand und hielt sie hoch.

Ri­ve­ra er­hielt kei­ne Glück­wün­sche. Ohne Beglei­tung ging er in sei­ne Ecke, wo sei­ne Se­kun­dan­ten noch nicht den Feld­stuhl für ihn hin­ge­setzt hat­ten. Er lehn­te sich ge­gen die Sei­le, sah sie er­bit­tert an, ließ den Blick auf ih­nen ru­hen und ließ ihn dann über die Zehn­tau­sen­de von Grin­gos schwei­fen. Die Knie zit­ter­ten ihm, und er stöhn­te vor Er­schöp­fung. Vor sei­nen Au­gen wog­ten die ver­hass­ten Ge­sich­ter hin und her in schwin­deln­der Übel­keit. Dann aber ent­sann er sich, dass sie Ge­weh­re be­deu­te­ten. Die Ge­weh­re wa­ren sein. Die Re­vo­lu­ti­on konn­te be­gin­nen.

Der Schrei des Pferdes

Dies ist eine wah­re Ge­schich­te. Sie ge­sch­ah in der Stier­kampf­are­na von Qui­to. Ich saß in ei­ner Loge mit John Har­ned, Ma­ria Va­len­zue­la und Luis Cer­val­lo. Ich sah, wie es ge­sch­ah, denn ich sah es von An­fang bis zu Ende.

Ich reis­te auf dem Damp­fer »Ecua­do­re« von Pa­na­ma nach Gua­ya­quil.

Ich bin Spa­nier – Ecua­do­ria­ner al­ler­dings, aber ich stam­me von Pe­dro Pa­ti­no ab, ei­nem von Pi­zar­ros Haupt­leu­ten.

Es wa­ren tap­fe­re Män­ner. Es wa­ren Hel­den. Hat Pi­zar­ro nicht drei­hun­dert­fünf­zig spa­ni­sche Rit­ter und vier­tau­send In­dia­ner auf der Schatz­su­che tief in die Kor­dil­le­ren ge­führt? Und star­ben nicht all die vier­tau­send In­dia­ner und drei­hun­dert von den tap­fe­ren Rit­tern bei der ver­geb­li­chen Su­che? Aber Pe­dro Pa­ti­no starb nicht. Er blieb am Le­ben und be­grün­de­te die Fa­mi­lie der Pa­ti­nos. Ich bin aus rei­nem spa­ni­schem Blut.

Ich be­sit­ze vie­le Ha­zi­en­das, und zehn­tau­send In­dia­ner sind mei­ne Skla­ven, wenn das Ge­setz auch sagt, dass sie freie Men­schen sind, die aus frei­em Wil­len kon­trakt­li­che Ar­beit leis­ten.

Das Ge­setz ist eine ko­mi­sche Sa­che. Wir Ecua­do­ria­ner la­chen dar­über. Es ist un­ser Ge­setz. Wir ma­chen es selbst.

Ich bin Ma­nu­el de Je­sus Pa­ti­no. Prä­gen Sie sich die­sen Na­men ein. Ei­nes Ta­ges wird er Ge­schich­te ma­chen. Es gibt Re­vo­lu­tio­nen in Ecua­dor. Wir nen­nen sie Wah­len.

John Har­ned war Ame­ri­ka­ner. Ich traf ihn das ers­te Mal im Ti­vo­li-Ho­tel in Pa­na­ma. Er hat­te viel Geld – das hat­te ich ge­hört. Er ging nach Lima, aber im Ti­vo­li-Ho­tel traf er Ma­ria Va­len­zue­la. Ma­ria Va­len­zue­la ist mei­ne Cou­si­ne, und sie ist schön, wahr­lich, sie ist die schöns­te Frau in Ecua­dor. Aber sie ist auch die schöns­te in je­dem Lan­de – in Pa­ris, in New York, in Wien. Alle Män­ner se­hen ihr nach, und das tat John Har­ned auch mäch­tig hier in Pa­na­ma. Er lieb­te sie, das ist Tat­sa­che, ich weiß es. Sie war Ecua­do­ria­ne­rin, ge­wiss – aber sie ge­hör­te ei­gent­lich al­len Län­dern der gan­zen Welt an. Sie sprach vie­le Spra­chen. Sie sang – ach! wie eine Künst­le­rin. Ihr Lä­cheln – herr­lich, gött­lich. Ihre Au­gen – ach! Ha­ben nicht alle Män­ner ihr in die Au­gen ge­se­hen? Sie wa­ren Ver­hei­ßun­gen des Pa­ra­die­ses.

Ma­ria Va­len­zue­la war reich – rei­cher als ich, der ich doch für sehr reich in Ecua­dor gel­te. Aber John Har­ned mach­te sich nichts aus ih­rem Geld. Er hat­te ein Herz – ein ko­mi­sches Herz. Er war ein Narr. Er ging nicht nach Lima. Er ver­ließ den Damp­fer in Gua­ya­quil und be­glei­te­te Ma­ria nach Qui­to. Sie war ge­ra­de aus Eu­ro­pa zu­rück­ge­kehrt. Ich weiß nicht, was sie an ihm fand, aber sie hat­te ihn gern. Das weiß ich be­stimmt, sonst wür­de er sie nicht nach Qui­to be­glei­tet ha­ben. Sie for­der­te ihn dazu auf. Ich er­in­ne­re mich des­sen noch ge­nau. Sie sag­te:

»Kom­men Sie nach Qui­to, und ich wer­de Ih­nen einen Stier­kampf zei­gen – tap­fer, schön, glän­zend!«

Aber er sag­te: »Ich gehe nach Lima, nicht nach Qui­to. Da­hin lau­tet mei­ne Fahr­kar­te.«

»Sie rei­sen doch zum Ver­gnü­gen, nicht wahr?« sag­te Ma­ria Va­len­zue­la, und sie sah ihn an, wie nur Ma­ria Va­len­zue­la einen an­se­hen konn­te, mit war­men, viel­ver­hei­ßen­den Au­gen.

Und er reis­te mit ihr. Nein, er kam nicht we­gen des Stier­kamp­fes. Er kam we­gen des­sen, was er in ih­ren Au­gen ge­se­hen hat­te. Frau­en wie Ma­ria Va­len­zue­la wer­den ein­mal in hun­dert Jah­ren ge­bo­ren. Sie sind Göt­tin­nen. Män­ner fal­len ih­nen zu Fü­ßen. Sie spie­len mit Män­nern und las­sen sie wie Sand durch ihre schö­nen Fin­ger rin­nen. Kleo­pa­tra soll eine sol­che Frau ge­we­sen sein, und Cir­ce auch.

Es kam al­les da­her, dass Ma­ria Va­len­zue­la sag­te: »Ihr Eng­län­der seid – wie soll ich sa­gen? – wild – nicht wahr? Ihr liebt das Bo­xen. Zwei Män­ner schla­gen sich mit den Fäus­ten, bis ihre Au­gen blind und ihre Na­sen ge­bro­chen sind. Ab­scheu­lich! Und die an­de­ren Män­ner, die zu­schau­en, sind ganz ver­rückt und to­ben vor Be­geis­te­rung. Das ist bar­ba­risch!«

»Aber es sind Män­ner«, sag­te John Har­ned, »und sie bo­xen zum Ver­gnü­gen. Kei­ner zwingt sie zum Bo­xen. Sie tun es, weil sie mehr Lust dazu ha­ben als zu sonst ir­gend et­was auf der Welt.«

Ma­ria Va­len­zue­la – ihr Lä­cheln war zor­nig, als sie sag­te: »Sie tö­ten ein­an­der oft – ist es nicht so? Das habe ich in den Zei­tun­gen ge­le­sen.«

»Aber der Stier«, sag­te John Har­ned, »der Stier wird oft und im­mer beim Stier­kampf ge­tö­tet, und die Stie­re kom­men nicht zu ih­rem Ver­gnü­gen in die Are­na. Es ist kein ehr­li­ches Spiel dem Stier ge­gen­über. Er wird zum Kampf ge­zwun­gen. Aber der Bo­xer – nein, ihn zwingt kei­ner.«

»Eben des­halb ist er bru­ta­ler«, sag­te Ma­ria Va­len­zue­la, »er ist ein Wil­der, er ist ein Tier. Er schlägt mit sei­nen Tat­zen wie ein Bär in sei­ner Höh­le, und er ist grau­sam. Aber der Stier­kampf – ach! Sie ha­ben nie einen Stier­kampf ge­se­hen, nicht wahr? Der To­rea­dor ist tüch­tig. Er ist aus­ge­bil­det. Er ist mo­dern. Er ist ro­man­tisch. Er ist nur ein Mensch, schwach und ge­brech­lich, aber er tritt dem wil­den Stier ent­ge­gen. Und er tö­tet mit ei­nem Schwert, ei­nem schwa­chen Schwert, mit ei­nem ein­zi­gen Stoß, so, ge­ra­de ins Herz der großen Bes­tie. Es ist herr­lich. Man be­kommt Herz­klop­fen, wenn man es sieht – der klei­ne Mann, das große Tier, die wei­te, mit Sand be­streu­te Are­na, die Tau­sen­de von atem­lo­sen Zuschau­ern! Das große Tier stürzt sich im An­griff auf ihn, aber der Mann steht wie eine Sta­tue da; er regt sich nicht, er fürch­tet sich nicht, und in sei­ner Hand blinkt die leich­te Waf­fe wie Sil­ber in der Son­ne. Im­mer nä­her kommt das große Tier mit sei­nen schar­fen Hör­nern, und der Mann regt sich nicht. Aber dann – so – das Schwert blitzt, der Stoß sitzt, im Her­zen, bis zum Griff, der Stier fällt in den Sand und ist tot, und der Mann ist un­ver­letzt. Das ist tap­fer. Es ist pracht­voll! Ach! – Ich könn­te einen To­rea­dor lie­ben. Aber der Bo­xer – er ist eine Bes­tie in Men­schen­ge­stalt, ein Wahn­sin­ni­ger, der un­zäh­li­ge Schlä­ge in sein dum­mes Ge­sicht emp­fängt und sich dar­über freut. Kom­men Sie nach Qui­to, und ich wer­de Ih­nen tap­fe­ren Män­ner­sport zei­gen: den To­rea­dor und den Stier.«

Aber John Har­ned ging nicht des Stier­kamp­fes we­gen nach Qui­to. Er kam Ma­ria Va­len­zue­las we­gen. Er war ein großer Mann, breit­schult­ri­ger als wir Ecua­do­ria­ner, hö­her ge­wach­sen. Schwe­rer an Glie­dern und Kno­chen. Er war so­gar grö­ßer als die meis­ten Män­ner sei­ner ei­ge­nen Ras­se. Sei­ne Au­gen wa­ren blau, aber manch­mal habe ich sie grau und zeit­wei­se ganz wie kal­ten Stahl ge­se­hen. Sei­ne Züge wa­ren groß – nicht fein­ge­formt wie die un­sern, und sei­ne Kinn­ba­cken sa­hen sehr stark aus. Er war glat­tra­siert wie ein Pries­ter. Braucht ein Mann sich der Haa­re zu schä­men, die er im Ge­sicht hat? Hat Gott sie ihm nicht ge­ge­ben? Ja, ich glau­be an Gott. Ich bin kein Hei­de. Gott ist gut. Er mach­te mich zu ei­nem Ecua­do­ria­ner mit zehn­tau­send Skla­ven. Und wenn ich st­er­be, wer­de ich zu Gott ein­ge­hen.

 

Um aber zu John Har­ned zu­rück­zu­keh­ren. Er war ein stil­ler Mann. Er sprach im­mer mit lei­ser Stim­me und be­weg­te nie die Hän­de beim Spre­chen. Man hät­te glau­ben sol­len, dass sein Herz aus Eis war. Aber es war doch ein biss­chen Wär­me in sei­nem Blut, denn er be­glei­te­te Ma­ria Va­len­zue­la nach Qui­to. Aber wenn er auch lei­se und ohne die Hän­de zu be­we­gen sprach, war er doch ein Tier, wie man se­hen wird – ein Tier, ein dum­mer, grau­sa­mer Wil­der aus der fer­nen Vor­zeit, der sich in Fel­le klei­de­te und mit Bä­ren und Wöl­fen zu­sam­men in Höh­len leb­te.

Luis Cer­val­los ist mein Freund. Er be­sitzt drei Ka­kao­plan­ta­gen in Na­ranji­to und Cho­bo. Bei Mi­la­gro liegt sei­ne große Zucker­plan­ta­ge. Er hat große Be­sit­zun­gen bei Am­ba­to und La­ta­cun­ga und war an Pe­tro­le­um­quel­len im Küs­ten­ge­biet be­tei­ligt. Er hat­te auch viel Geld in Gum­mi­plan­ta­gen am Gua­yas ge­steckt. Er ist ein mo­der­ner Mensch wie die Yan­kees, ein rei­ner Ge­schäfts­mann. Er hat viel Geld, aber das ist in vie­len Un­ter­neh­mun­gen an­ge­legt, und er braucht im­mer mehr Geld, so­wohl für die neu­en Un­ter­neh­mun­gen wie für die al­ten. Er ist über­all ge­we­sen und hat al­les ge­se­hen. Als ganz jun­ger Mann war er auf der Mi­li­tär­aka­de­mie der Yan­kees, die West Point heißt. Da pas­sier­te ir­gend et­was. Er muss­te fort. Er lieb­te die Ame­ri­ka­ner nicht. Aber er lieb­te Ma­ria Va­len­zue­la, die aus sei­nem ei­ge­nen Lan­de war. Au­ßer­dem brauch­te er ihr Geld für sei­ne Un­ter­neh­mun­gen und für sei­ne Gold­mi­ne in Oste­cua­dor, wo die ge­mal­ten In­dia­ner le­ben. Er war ihr Freund. Es war mein Wunsch, dass er Ma­ria Va­len­zue­la hei­ra­ten soll­te. Zu­dem hat­te ich viel Geld in sei­ne Un­ter­neh­mun­gen, na­ment­lich in die Gold­mi­ne ge­steckt, die sehr reich war, aber noch mehr Geld er­for­der­te, ehe sie Ge­winn ge­ben konn­te. Wenn Luis Cer­val­los Ma­ria Va­len­zue­la hei­ra­te­te, hät­te ich sehr bald noch mehr Geld.

Aber John Har­ned be­glei­te­te Ma­ria Va­len­zue­la nach Qui­to, und uns – Luis Cer­val­los und mir – wur­de es bald klar, dass sie sehr freund­li­che Ge­füh­le für John Har­ned heg­te. Es heißt, dass eine Frau im­mer ih­ren Wil­len durch­setzt, aber in die­sem Fall stimm­te das nicht, denn Ma­ria Va­len­zue­la be­kam ih­ren Wil­len nicht – je­den­falls nicht in Be­zug auf John Har­ned. Vi­el­leicht wäre al­les auch ge­gan­gen, wie es ging, selbst wenn Luis Cer­val­los und ich an dem Tage beim Stier­ge­fecht in Qui­to nicht in der Loge ge­ses­sen hät­ten. Aber das weiß ich: Wir sa­ßen an dem Tage in der Loge, und ich wer­de Ih­nen er­zäh­len, was ge­sch­ah.

Wir sa­ßen zu vie­ren in der einen Loge von Luis Cer­val­los. Ich saß di­rekt ne­ben der Prä­si­den­ten­lo­ge. Auf der an­de­ren Sei­te be­fand sich die Loge Ge­ne­ral José Eli­ceo Sala­zars. Bei ihm be­fan­den sich Joa­quin En­dara und Ur­ci­si­no Ca­stil­lo, bei­de Ge­nerä­le, so­wie Oberst Ja­cin­to Fier­ro und Haupt­mann Bal­ta­zar de Eche­ver­ria. Nur die Stel­lung und der Ein­fluss ei­nes Luis Cer­val­los konn­te ih­nen die Loge ne­ben der des Prä­si­den­ten si­che­ren. Ich weiß be­stimmt, dass der Prä­si­dent den Wunsch aus­ge­drückt hat­te, Luis Cer­val­los zum Nach­barn zu be­kom­men.

Das Or­che­s­ter hat­te ge­ra­de die Na­tio­nal­hym­ne von Ecua­dor ge­spielt. Der Prä­si­dent gab durch Kopf­ni­cken das Zei­chen zum An­fang. Die Hör­ner er­schall­ten, und der Stier kam her­ein­ge­stürzt – Sie ken­nen das, auf­ge­regt, wild ge­macht durch die Wurf­pfei­le, die wie Feu­er in sei­ner Schul­ter brann­ten, such­te er ra­send nach ei­nem Feind, um ihn zu ver­nich­ten. Plötz­lich er­schie­nen auf al­len Sei­ten die Ka­pea­do­re, fünf im gan­zen, mit ih­ren bun­ten, flat­tern­den Um­hän­gen. Beim An­blick ei­nes sol­chen Über­flus­ses von Fein­den blieb der Stier ste­hen; of­fen­bar wuss­te er nicht recht, wen er an­grei­fen soll­te. Da ging ei­ner der Ka­pea­do­re al­lein auf den Stier los. Der Stier war sehr er­bost. Mit sei­nen Vor­der­fü­ßen stampf­te er in den Sand der Are­na, dass eine Staub­wol­ke ihn um­gab. Dann ging er mit ge­senk­tem Haupt zum An­griff auf den Ka­pea­dor über.

Der ers­te An­griff des ers­ten Stiers ist im­mer in­ter­essant. Nach ei­ni­ger Zeit wird man ganz na­tür­li­cher­wei­se ein we­nig müde, und die Auf­merk­sam­keit er­schlafft. Aber der ers­te An­griff des ers­ten Stiers! John Har­ned sah es zum ers­ten Male, und ob er woll­te oder nicht, es riss ihn mit – der An­blick des Man­nes, der nur mit ei­nem Stück Tuch be­waff­net war, und des Stiers, der mit weit aus­ein­an­der­ste­hen­den spit­zen Hör­nern ge­ra­de auf ihn zu ras­te.

»Se­hen Sie!« rief Ma­ria Va­len­zue­la. »Ist das nicht pracht­voll?«

John Har­ned nick­te, sah sie aber nicht an. Sei­ne Au­gen fun­kel­ten und wa­ren nur auf die Are­na ge­rich­tet. Der Ka­pea­dor trat bei­sei­te und wich dem Stier mit ei­ner ra­schen Be­we­gung des Um­hangs aus und warf ihn ihm über die Schul­ter.

»Was sa­gen Sie dazu?« frag­te Ma­ria Va­len­zue­la. »Nen­nen Sie das nicht Sport – sa­gen Sie!«

»Wahr­haf­tig«, sag­te John Har­ned. »Das war gut ge­macht.«

Sie klatsch­te vor Ver­gnü­gen in die Hän­de. Es wa­ren klei­ne Hän­de. Das gan­ze Pub­li­kum klatsch­te. Der Stier mach­te kehrt und kam wie­der zu­rück. Wie­der wich der Ka­pea­dor aus und warf ihm den Um­hang über die Schul­ter, und wie­der klatsch­ten die Zuschau­er. Drei­mal wie­der­hol­te sich das. Der Ka­pea­dor war aus­ge­zeich­net. Dann trat er zu­rück, und ein an­de­rer Ka­pea­dor spiel­te mit dem Stier. Hier­auf hef­te­ten sie die Ban­de­ril­las an den Stier, an die Schul­tern, zu bei­den Sei­ten des Rück­grats, je zwei auf ein­mal. Dann trat Or­do­nez, der ers­te Ma­ta­dor, mit der lan­gen Klin­ge und dem schar­lach­ro­ten Um­hang vor. Die Hör­ner ga­ben das Si­gnal für den Tod. Er war nicht so ge­schickt wie Ma­tes­ti­ni. Aber er war doch ganz tüch­tig und trieb die Klin­ge mit ei­nem ein­zi­gen Stoß in das Herz des Tie­res. Der Stier knick­te in die Knie ein, leg­te sich nie­der und starb. Es war ein schö­ner Stoß, ge­nau und si­cher; der Bei­fall war denn auch stark, und vie­le von den Zuschau­ern war­fen ihre Hüte in die Are­na. Ma­ria Va­len­zue­la klatsch­te Bei­fall wie die an­de­ren, aber John Har­ned, auf des­sen kal­tes Herz die Be­ge­ben­heit kei­nen Ein­druck mach­te, sah sie neu­gie­rig an.

»Sie mö­gen das?« frag­te er.

»Im­mer«, sag­te sie und klatsch­te wei­ter in die Hän­de.

»Schon als sie ein klei­nes Mäd­chen war«, sag­te Luis Cer­val­los. »Ich er­in­ne­re mich ih­res ers­ten Stier­kamp­fes. Sie war da­mals vier Jah­re alt und klatsch­te in die Hän­de, ge­nau wie jetzt. Sie ist eine ech­te Spa­nie­rin.«

»Jetzt ha­ben Sie es ge­se­hen«, sag­te Ma­ria Va­len­zue­la zu John Har­ned, als Maul­tie­re vor den to­ten Stier ge­spannt wur­den, um ihn hin­aus­zu­schlep­pen.

»Sie ha­ben einen Stier­kampf ge­se­hen, und er ge­fällt Ih­nen, nicht wahr? Was mei­nen Sie?«

»Ich mei­ne, dass der Stier kei­ne Chan­ce hat­te«, sag­te er. »Der Stier war von An­fang an zum Tode ver­ur­teilt. Der Aus­gang war un­zwei­fel­haft. Noch ehe der Stier in die Are­na kam, wuss­te je­der, dass er ster­ben muss­te. Bei ei­nem wirk­li­chen Sport muss der Aus­gang zwei­fel­haft sein. Es war ein dum­mer Stier, der nie mit ei­nem Men­schen ge­kämpft, ge­gen fünf klu­ge Män­ner, die mit vie­len Stie­ren ge­kämpft hat­ten. Vi­el­leicht wäre es ehr­li­che­res Spiel, wenn es nur ein Mann ge­gen einen Stier wäre.«

»Oder ein Mann ge­gen fünf Stie­re«, sag­te Ma­ria Va­len­zue­la, und wir lach­ten alle, und Luis Cer­val­los lach­te am lau­tes­ten.

»Ja«, sag­te John Har­ned, »ge­gen fünf Stie­re, und der Mann darf, eben­so wie die Stie­re, nie vor­her in der Are­na ge­stan­den ha­ben. Ein Mann wie Sie, Señor Cer­val­los.«

»Und doch lie­ben wir Spa­nier den Stier­kampf«, sag­te Luis Cer­val­los, und ich möch­te dar­auf schwö­ren, dass der Teu­fel ihm zu­flüs­ter­te, das zu tun, was ich Ih­nen jetzt er­zäh­len will.

»Dann muss es ein an­er­zo­ge­ner Ge­schmack sein«, ant­wor­te­te John Har­ned. »Wir tö­ten Tau­sen­de von Stie­ren täg­lich in Chi­ca­go, aber nicht ein ein­zi­ger wür­de et­was be­zah­len, um zu­se­hen zu dür­fen.«

»Das ist Schlach­te­rei«, sag­te ich. »Dies aber, oh, dies ist Kunst. Es ist pracht­voll. Es ist herr­lich. Es ist aus­er­le­sen.«

»Nicht im­mer«, sag­te Luis Cer­val­los. »Ich habe un­ge­schick­te Ma­ta­do­re ge­se­hen und kann Ih­nen ver­si­chern, dass es nicht schön war.«

Ihn schau­er­te, und in sei­ner Mie­ne mal­te sich Ekel ab, und in die­sem Au­gen­blick wuss­te ich, dass der Teu­fel ihm et­was zu­flüs­ter­te und dass er sei­ne Rol­le zu spie­len be­gann.

»Vi­el­leicht hat Señor Har­ned recht«, fuhr Luis Cer­val­los fort. »Ge­gen­über dem Stier ist es viel­leicht kein ehr­li­ches Spiel. Wis­sen wir nicht alle, dass der Stier vier­und­zwan­zig Stun­den lang kein Was­ser be­kommt, aber un­mit­tel­bar vor dem Kampf so­viel Was­ser trin­ken darf, wie er will?«

»Und dann kommt er schwer von Was­ser in die Are­na?« frag­te John Har­ned schnell, und ich sah, dass sei­ne Au­gen sehr grau, sehr scharf und sehr kalt wa­ren.

»Das ist not­wen­dig für den Sport«, er­klär­te Luis Cer­val­los. »Wol­len Sie, dass der Stier so stark ist, dass er die To­rea­do­re tö­tet?«

»Ich möch­te nur, dass er eine Chan­ce im Kamp­fe ha­ben soll«, sag­te John Har­ned und blick­te wie­der in die Are­na, um den zwei­ten Stier her­ein­kom­men zu se­hen.

Es war kein gu­ter Stier. Er hat­te Furcht. Er lief in der Are­na her­um und such­te eine Stel­le, wo er hin­aus­schlüp­fen könn­te. Die Ka­pea­do­re tra­ten vor und schwan­gen ihre Män­tel, aber er woll­te sie nicht an­grei­fen.

»Es ist ein dum­mer Stier«, sag­te Ma­ria Va­len­zue­la.

»Ver­zei­hung«, sag­te John Har­ned. »Ich fin­de, es ist ein klu­ger Stier. Er weiß, dass er nicht mit Men­schen kämp­fen kann. Se­hen Sie! Er wit­tert schon den Tod in der Are­na.«

Wirk­lich. Der Stier war an der Stel­le ste­hen­ge­blie­ben, wo der ers­te ge­tö­tet wur­de, und er roch an dem nas­sen Sand und schnauf­te, dann lief er wie­der in der Are­na her­um und be­trach­te­te mit er­ho­be­nem Kopf die Tau­sen­de von Men­schen, die ihn aus­pfif­fen, ihn mit Ap­fel­si­nen­scha­len be­war­fen und be­schimpf­ten. Aber der Blut­ge­ruch ließ ihn sei­nen Ent­schluss fas­sen, und er griff einen Ka­pea­dor ganz plötz­lich und un­er­war­tet an, dass der Mann ihm nur mit Mühe und Not ent­kam. Er ließ sei­nen Um­hang fal­len und such­te Schutz hin­ter der Bar­rie­re, ge­gen die der Stier kra­chend prall­te.

Und John Har­ned sag­te lei­se wie zu sich sel­ber:

»Ich gebe tau­send Dol­lar für das Qui­to­er Kran­ken­haus, wenn der Stier heu­te einen Mann tö­tet.«

»Sie ha­ben Stie­re gern?« frag­te Ma­ria Va­len­zue­la lä­chelnd.

»Je­den­falls lie­ber als sol­che Män­ner«, sag­te John Har­ned. »Ein To­rea­dor ist kein tap­fe­rer Mann. Er kann kein tap­fe­rer Mann sein. Se­hen Sie, der Stier lässt schon die Zun­ge her­aus­hän­gen. Er ist müde, und da­bei hat es noch gar nicht an­ge­fan­gen.«

»Das macht das Was­ser«, sag­te Luis Cer­val­los.

»Ja, das macht das Was­ser«, sag­te John Har­ned. »Wäre es nicht am si­chers­ten, den Stier zu fes­seln, ehe er an­greift?«

Ma­ria Va­len­zue­la wur­de zor­nig über den Hohn in John Har­neds Wor­ten. Aber Luis Cer­val­los lä­chel­te, dass ich es sah, und in die­sem Au­gen­blick er­kann­te ich, wel­che Ko­mö­die er spiel­te. Er und ich soll­ten Ban­de­ril­los spie­len. Der große ame­ri­ka­ni­sche Stier saß ne­ben uns in der Loge. Wir soll­ten ihn mit Wurf­pfei­len spi­cken, bis er böse wur­de, denn dann wur­de viel­leicht nichts aus ei­ner Ehe zwi­schen ihm und Ma­ria Va­len­zue­la. Das war ein gu­ter Sport. In un­sern Adern rann Stier­kämp­fer­blut.

Der Stier war jetzt zor­nig und auf­ge­regt. Die Ka­pea­do­re spiel­ten pracht­voll mit ihm. Er war sehr be­weg­lich, und zu­wei­len mach­te er so plötz­lich kehrt, dass sei­ne Hin­ter­bei­ne den Halt ver­lo­ren und er den Sand mit sei­nem Hin­ter­teil pflüg­te. Aber er griff im­mer nur die flat­tern­den Um­hän­ge an und tat kei­nem et­was.

 

»Er hat kei­ne Chan­ce«, sag­te John Har­ned. »Er kämpft mit dem Win­de.«

»Er glaubt, dass der Um­hang sein Feind sei«, er­klär­te Ma­ria Va­len­zue­la. »Se­hen Sie, wie ge­wandt die Ka­pea­do­re ihn an­füh­ren.«

»Es ist sein Schick­sal, sich an­füh­ren zu las­sen«, sag­te John Har­ned. »Des­halb ist er im vor­aus dazu ver­ur­teilt, mit dem Win­de zu kämp­fen, das wis­sen die To­rea­do­re. Und das Pub­li­kum weiß es auch. Sie wis­sen es, ich weiß es, wir alle wis­sen von An­fang an, dass er mit dem Win­de kämp­fen muss. Nur er al­lein weiß es nicht. Weil er ein Tier ist. Er hat kei­ne Chan­ce.«

»Es ist ganz ein­fach«, sag­te Luis Cer­val­los. »Der Stier schließt die Au­gen, wenn er an­greift. Des­halb –«

»Tritt der Mann bei­sei­te, und der Stier stürzt an ihm vor­bei«, fiel John Har­ned ihm ins Wort.

»Ja«, sag­te Luis Cer­val­los. »So ist es. Der Stier schließt die Au­gen, und das weiß der Mann.«

»Aber Kühe schlie­ßen nicht die Au­gen«, sag­te John Har­ned. »Ich ken­ne in mei­ner Hei­mat eine Kuh, eine Jer­sey-Kuh, die Milch gibt; die wür­de mit der gan­zen Ge­sell­schaft doch fer­tig wer­den.«

»Aber die To­rea­do­re kämp­fen nicht mit Kü­hen«, sag­te ich.

»Sie ha­ben Angst da­vor«, sag­te John Har­ned.

»Ja«, sag­te Luis Cre­val­los. »Sie ha­ben Angst da­vor, mit Kü­hen zu kämp­fen. Es wür­de kein Sport sein, wenn die To­rea­do­re ge­tö­tet wür­den.«

»Es wür­de ge­ra­de Sport sein«, sag­te John Har­ned, »wenn hin und wie­der ein To­rea­dor ge­tö­tet wür­de. Wenn ich alt und, wer weiß, viel­leicht ein Krüp­pel bin und mir mein Brot ver­die­nen soll, aber nicht im­stan­de bin, schwe­re Ar­beit zu leis­ten, dann will ich Stier­kämp­fer wer­den. Das ist ein leich­ter, an­ge­neh­mer Be­ruf für äl­te­re Her­ren und pen­sio­nier­te Be­am­te.«

»Aber se­hen Sie doch«, sag­te Ma­ria Va­len­zue­la, als der Stier einen tap­fe­ren An­griff mach­te, dem der Ka­pea­dor durch Schwin­gen des Um­hangs ent­ging. »Es ge­hört Ge­schick­lich­keit dazu, dem Stier zu ent­ge­hen.«

»Ja, ge­wiss«, sag­te John Har­ned. »Aber glau­ben Sie mir, es ge­hört tau­send­mal mehr Ge­schick­lich­keit dazu, all den vie­len und schnel­len Stö­ßen zu ent­ge­hen, die ein Bo­xer mit of­fe­nen Au­gen und großer Er­fah­rung aus­teilt. Au­ßer­dem macht sich die­ser Stier nichts dar­aus zu kämp­fen: Se­hen Sie, er läuft weg!«

Es war kein gu­ter Stier; er lief in der Are­na her­um und such­te nach ei­nem Aus­gang.

»Und doch sind die­se Stie­re zu­wei­len am ge­fähr­lichs­ten«, sag­te Luis Cer­val­los. »Man weiß nie, was sie im nächs­ten Au­gen­blick tun wer­den. Sie sind bei­na­he wie Kühe. Die Stier­kämp­fer ha­ben nicht gern mit ih­nen zu tun. Se­hen Sie! Er hat sich um­ge­dreht!«

Auf­ge­regt und wü­tend über die Bar­rie­re, die ihm den Ein­gang ver­sperr­te, griff der Stier noch ein­mal tap­fer sei­nen Feind an.

»Er lässt die Zun­ge her­aus­hän­gen«, sag­te John Har­ned. »Zu­erst fül­len sie ihn mit Was­ser. Dann er­mü­den sie ihn ei­ner nach dem an­de­ren und las­sen ihn aus­to­ben und mit dem Win­de kämp­fen. Wäh­rend die einen ihn müde ma­chen, ru­hen die an­de­ren sich aus. Aber der Stier be­kommt nie Ruhe. Und wenn er dann ganz er­schöpft und nicht mehr schnell ge­nug ist, sticht der Ma­ta­dor ihn mit dem Schwert ab.«

Jetzt war die Rei­he an die Ban­de­ril­le­ros ge­kom­men. Drei­mal ver­such­te ei­ner von ih­nen, die Wurf­pfei­le an­zu­brin­gen. Drei­mal miss­glück­te es ihm. Er ver­wun­de­te den Stier nur und mach­te ihn ra­send. Sie wis­sen, die­se Ban­de­ril­las müs­sen in die Schul­ter ein­drin­gen, je zwei auf ein­mal zu je­der Sei­te des Rück­grats, dicht da­ne­ben. Wird nur eine an­ge­bracht, so ist es miss­glückt. Das Pub­li­kum pfiff und rief nach Or­do­nez. Und da mach­te Or­do­nez et­was Fa­bel­haf­tes. Vier­mal trat er vor, und vier­mal brach­te er gleich beim ers­ten Ver­such sei­ne Ban­de­ril­las an, so­dass acht Stück schön ge­ord­net aus dem Rücken des Stiers auf ein­mal her­aus­rag­ten. Das Pub­li­kum war ganz ver­rückt, und ein Re­gen von Hü­ten und Geld­stücken fiel in den Sand der Are­na.

Aber eben in die­sem Au­gen­blick griff der Stier un­er­war­tet einen Ka­pea­dor an. Der Mann glitt aus und ver­lor sei­ne Geis­tes­ge­gen­wart. Der Stier krieg­te ihn – glück­li­cher­wei­se zwi­schen die weit aus­ein­an­der­ste­hen­den Hör­ner. Und wäh­rend das Pub­li­kum in atem­lo­sem Schwei­gen war­te­te, sprang John Har­ned auf und schrie vor Freu­de. In dem tie­fen Schwei­gen von al­len an­de­ren schrie John Har­ned. Und er schrie vor Freu­de über den Stier. Sie se­hen selbst: John Har­ned wünsch­te, dass der Mann ge­tö­tet wür­de. Er war ein bru­ta­ler Mensch. Dies un­pas­sen­de Be­neh­men em­pör­te die Leu­te, die in der Loge des Ge­ne­rals Sala­zar sa­ßen, und sie be­gan­nen, John Har­ned zu be­schimp­fen. Und Ur­ci­si­no Ca­stil­lo sag­te ihm ins Ge­sicht, dass er ein Hund von ei­nem Grin­go wäre und der­glei­chen mehr. Aber er sag­te es auf Spa­nisch, und John Har­ned ver­stand es nicht. Er stand da und schrie, viel­leicht zehn Se­kun­den lang, bis der Stier zu ei­nem An­griff auf die an­de­ren Ka­pea­do­re ver­lockt wur­de und der ers­te sich un­ver­letzt er­hob.

»Der Stier hat kei­ne Chan­ce«, sag­te John Har­ned trau­rig, in­dem er sich setz­te. »Der Mann ist un­be­schä­digt. Sie ha­ben den Stier an­ge­führt.« Dann wand­te er sich zu Ma­ria Va­len­zue­la und sag­te: »Ich bit­te Sie um Ver­zei­hung, ich war auf­ge­regt.«

Sie lä­chel­te und gab ihm einen Ver­weis, in­dem sie ihm mit dem Fä­cher auf den Arm schlug.

»Es ist Ihr ers­ter Stier­kampf«, sag­te sie. »Wenn Sie erst meh­re­re ge­se­hen ha­ben, wer­den Sie nicht schrei­en und wün­schen, dass der Mann ge­tö­tet wird. Ihr Ame­ri­ka­ner seid bru­ta­ler als wir, wie Sie se­hen. Das kommt von Eu­ern Box­kämp­fen. Wir kom­men nur, um zu se­hen, wie der Stier ge­tö­tet wird.«

»Aber ich will nur, dass der Stier eine Chan­ce hat«, ant­wor­te­te er. »Zwei­fel­los wer­de ich mich all­mäh­lich nicht mehr über die Men­schen är­gern, die den Stier an­füh­ren.«

Die Hör­ner ga­ben das To­ten­si­gnal. Or­do­nez trat mit dem Schwert und dem schar­lach­ro­ten Tuch vor, aber der Stier hat­te sich be­son­nen und woll­te nicht kämp­fen. Or­do­nez stampf­te mit dem Fuß auf den Sand, schrie und rief und schwang das schar­lach­ro­te Tuch. Das griff der Stier an, aber ohne Be­herzt­heit. Es war kei­ne Kraft in dem An­griff. Der Stoß war schlecht. Das Schwert stieß ge­gen einen Kno­chen und bog sich. Or­do­nez nahm eine neue Klin­ge. Der Stier, den die Ver­wun­dung auf­reiz­te, griff noch ein­mal an. Fünf­mal ver­such­te Or­do­nez den Stoß, aber je­des Mal ging die Klin­ge ent­we­der nur halb hin­ein oder stieß ge­gen einen Kno­chen. Beim sechs­ten Male fraß sich die Klin­ge bis zum Griff hin­ein. Aber es war ein schlech­ter Stoß, das Schwert traf nicht das Herz, es fuhr links zwi­schen den Rip­pen hin­ein und auf der an­de­ren Sei­te wie­der her­aus. Das Pub­li­kum pfiff den Ma­ta­dor aus. Ich warf einen Blick auf John Har­ned. Er saß schwei­gend da, ohne sich zu rüh­ren, aber ich konn­te se­hen, dass er die Zäh­ne zu­sam­men­biss und dass sei­ne Hän­de krampf­haft die Lo­gen­brüs­tung ge­packt hat­ten.

Es war jetzt kei­ne Kraft mehr in dem Stier, und ob­wohl der Stoß nicht töd­lich war, trot­te­te er doch nur mit Mühe her­um, we­gen der Klin­ge, die quer durch ihn hin­durch­ging. Er lief den Ma­ta­do­ren und den Ka­pea­do­ren fort, trab­te an der Ba­lus­tra­de ent­lang und sah zu den vie­len Ge­sich­tern auf.