An dem Abend, als Maud Sangster den Redakteur so entschieden hatte aussprechen hören, dass es nicht einen anständigen Berufsboxer gäbe, saß sie einen Augenblick still weinend auf ihrem Bettrand, dann wurde sie zornig und legte sich nieder, wütend auf sich selbst, auf alle Boxer und die ganze Welt.
Am nächsten Nachmittag begann sie ein Interview auszuarbeiten, das sie mit Henry Addison gehabt hatte, das sie aber nie fertigschreiben sollte.
Sie saß in dem Zimmer, das ihr in der Redaktion des »Kurier-Journal« angewiesen worden war, als es geschah. Sie hatte gerade eine Pause im Schreiben gemacht, um eine Überschrift in der Nachmittagsausgabe zu betrachten, die besagte, dass Glendon jetzt mit Tom Cannam kämpfen sollte, als einer von den Laufjungen ihr eine Karte brachte. Es war die Glendons.
»Sag ihm, dass ich nicht zu sprechen bin«, sagte sie zu dem Jungen.
Eine Minute später war er wieder da.
»Er sagt, er würde auf jeden Fall hereinkommen, aber lieber mit Ihrer Erlaubnis.«
»Hast du ihm nicht gesagt, dass ich keine Zeit habe?« fragte sie.
»Ja, Fräulein, aber er sagte, er käme doch herein.« Sie antwortete nicht, und der Junge, dessen Augen vor Bewunderung für den aufdringlichen Gast funkelten, redete weiter:
»Ich kenne ihn. Er ist ein mächtiger Kerl. Wenn er richtig loslegt, jagt er die ganze Redaktion zum Teufel. Es ist der junge Glendon, der gestern Abend den großen Boxkampf gewann.«
»Also gut. Lass ihn kommen. Wir wollen ja nicht, dass er die ganze Redaktion zum Teufel jagt, nicht wahr?«
Sie begrüßten sich nicht, als Glendon eintrat. Sie war kalt und unfreundlich wie ein Regentag und bot ihm weder einen Stuhl an, noch schien sie ihn überhaupt zu erkennen. Halb von ihm abgewandt, saß sie an ihrem Schreibtisch und wartete, dass er sagen sollte, was er wünschte.
Er ließ sich nicht merken, wie diese hochmütige Behandlung ihn berührte, sondern ging gleich auf die Sache los.
»Ich möchte mit Ihnen reden«, sagte er kurz. »Über den Kampf. Er endete nicht in der Runde, die ich Ihnen gesagt hatte.«
Sie zuckte die Achseln.
»Das wusste ich.«
»Das taten Sie nicht«, erwiderte er. »Das taten Sie nicht. Und ich auch nicht.«
Sie drehte sich um und sah ihn offensichtlich gelangweilt an.
»Wozu das?« fragte sie. »Boxen ist Boxen, und wir wissen alle Bescheid damit. Der Kampf endete ja in der Runde, die ich Ihnen vorausgesagt hatte.«
»Das ist richtig«, stimmte er zu. »Aber das konnten Sie nicht wissen. In der ganzen Welt gab es nur zwei Menschen – die wussten, dass Powers nicht in der sechzehnten Runde erledigt werden würde.«
Sie schwieg.
»Ich sage, Sie wussten, dass er nicht in der sechzehnten Runde erledigt werden würde.«
Er sprach gebieterisch, und als sie immer noch schwieg, trat er näher an sie heran.
»Antworten Sie mir«, befahl er.
Sie nickte.
»Aber er wurde es doch«, beharrte sie.
»Er wurde es nicht. Es war doch kein Knockout. Das verstehen Sie nicht? Aber ich will es Ihnen erklären, und Sie werden zuhören.
Ich habe Sie nicht belogen. Ich war ein Esel, und man hat mich angeführt und Sie dazu. Sie meinten einen Knockout zu sehen. Aber der Schlag, den ich landete, war gar nicht hart genug. Er traf ihn auch nicht an der richtigen Stelle. Er tat nur so. Er täuschte einen Knockout vor.«
Er schwieg und sah sie erwartungsvoll an. Und irgendwie durchzuckte sie die Gewissheit, dass sie ihm glauben müsse. Ein warmes Glück durchströmte sie, weil dieser Mann, der ihr doch nichts bedeutete und den sie nur zweimal in ihrem Leben gesehen hatte, reingewaschen vor ihr stand.
»Nun?« fragte er, und wieder zwang er ihr Bewunderung ab.
Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich glaube Ihnen«, sagte sie. »Und ich bin froh darüber, unsagbar froh.«
Der Händedruck dauerte länger, als sie beabsichtigt hatte. Er betrachtete sie mit einem heißen Blick, den sie unbewusst erwiderte. Noch nie hat ein solcher Mann gelebt, dachte sie.
Sie schlug zuerst die Augen nieder, dann tat auch er es, sodass beide, wie früher schon einmal, auf die ineinander ruhenden Hände blickten.
Er machte eine unwillkürliche unbewusste Bewegung auf sie zu, als wolle er sie in seine Arme schließen, dann aber besann er sich plötzlich und hielt sich mit offensichtlicher Anstrengung zurück.
Sie sah es und fühlte den Druck der Hand, die sie zu ihm ziehen wollte. Und zu ihrem Erstaunen merkte sie, dass sie sich ihm gern unterworfen hätte, und spürte einen fast unwiderstehlichen Drang, von diesen starken Armen umschlungen zu werden.
Hätte er sie gezwungen, so würde sie keinen Widerstand geleistet haben, das wusste sie. Sie war ganz benommen, als er sich besann und mit einem Druck, der ihre Finger knacken ließ, ihre Hand fast fortschleuderte.
»Herrgott!« flüsterte er. »Sie sind ja für mich geschaffen!«
Er wandte sich halb von ihr ab und strich sich mit der Hand über die Stirn.
Sie wusste, dass sie ihn ewig gehasst haben würde, wenn er jetzt eine Entschuldigung oder Erklärung gestammelt hätte. Aber wenn es sich um sie handelte, schien er immer gerade das Richtige zu tun.
Sie ließ sich auf ihren Stuhl sinken, und er setzte sich auf einen anderen, den er zuerst so drehte, dass er ihr über die Schreibtischkante hinweg gerade ins Gesicht sah.
»Ich war gestern den ganzen Abend im Türkischen Bad«, sagte er. »Von dort schickte ich nach einem alten, längst erledigten Boxer. Er war seinerzeit mit meinem Vater befreundet gewesen.
Ich wusste, dass es im Sport nichts gab, worüber er nicht Bescheid wusste, und ich ließ mir von ihm erzählen.
Das Lustigste war, dass es mir nur mit Mühe gelang, ihn davon zu überzeugen, dass ich selbst nichts von den Dingen wusste, nach denen ich ihn fragte. Er sagte, ich sei ein Kind aus den Wäldern, und ich glaube, er hat recht. Ich bin in den Wäldern groß geworden und kenne sonst nichts von der Welt.
Wissen Sie, was ein Doppelkreuz ist?«
Sie nickte, und er fuhr fort:
»Na ja, die Leute scheinen nie eine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, ohne das Doppelkreuz gegeneinander anzuwenden.
Was mir der Alte erzählte, benahm mir direkt den Atem. Da bin ich nun seit Jahren mitten drin und weiß von nichts. Ich bin wahrhaftig ein Kind aus den Wäldern gewesen.
Aber jetzt sehe ich, wie man mich an der Nase herumgeführt hat. Ich war von Natur so, dass niemand mich aufhalten konnte. Ich musste siegen, und dank Stubener wurde aller Schwindel von mir ferngehalten.
Und Stubener gebrauchte mich zu all seinen Schiebungen, nur dass ich keine Ahnung davon hatte. Wenn ich jetzt nachdenke, kann ich sehen, wie sie es machten. Ich interessierte mich nicht genug für den Sport, um Verdacht zu schöpfen. Ich bin mit einem starken Körper und einem kühlen Kopf geboren, ich bin in der freien Natur aufgewachsen und von einem Vater erzogen, der mehr vom Boxen verstand als alle anderen Lebenden oder Toten. Es wurde mir zu leicht gemacht. Der Ring war nicht mein ein und alles. Es gab für mich ja nie einen Zweifel am Ausfall des Kampfes. Aber jetzt bin ich fertig damit.«
Sie zeigte auf die Überschrift in der Zeitung, die seinen Kampf mit Tom Cannam ankündigte.
»Das ist Stubeners Werk«, erklärte er. »Das ist schon vor Monaten festgesetzt. Aber ich kümmere mich nicht darum. Ich gehe in meine Berge. Ich bin fertig damit.«
»Wie herrisch die Männer doch sind«, sagte sie. »Sie bestimmen das Schicksal, tun, was ihnen beliebt und –«
»Wenn ich recht gehört habe«, unterbrach er sie, »haben Sie auch immer ganz hübsch getan, was Ihnen beliebte. Das gehört ja auch zu den Dingen, die ich so an Ihnen liebe. Und was mir gleich beim ersten Mal so auffiel, war, wie gut wir beide uns verstanden.« Er schwieg und betrachtete sie mit heißen Augen.
»Eines habe ich doch dem Boxen zu verdanken«, fuhr er fort. »Es hat mich mit Ihnen bekannt gemacht. Und wenn man die richtige Frau findet, dann ist nur eines zu machen: sie mit beiden Händen zu greifen und nicht wieder loszulassen. Kommen Sie, lassen Sie uns in die Berge gehen!«
Das kam so plötzlich wie ein Donnerschlag, doch fühlte sie, dass sie es erwartet hatte. Ihr Herz pochte, und ihr war, als solle sie auf eine seltsam angenehme Weise ersticken. An Einfalt und Offenherzigkeit konnte sie jedenfalls nicht mehr erwarten.
Und dazu war es wie ein Traum. Solche Dinge pflegten doch sonst nicht in modernen Zeitungsredaktionen zu geschehen. Auf diese Weise konnte man einer Frau doch nicht den Hof machen, das war nur auf der Bühne und in Romanen möglich.
Er hatte sich erhoben und streckte ihr beide Hände entgegen.
»Ich wage es nicht«, flüsterte sie, halb bei sich. »Ich wage es nicht.«
Für einen kurzen Augenblick sah sie es verächtlich in seinen Augen aufblitzen, die aber gleich darauf offene Ungläubigkeit ausdrückten.
»Sie würden alles wagen, was Sie wollten«, sagte er. »Das weiß ich. Hier ist die Frage nicht, ob Sie es wagen, sondern ob Sie wollen. Wollen Sie?«
Sie war aufgestanden und sie wankte. Ihr war, als träume sie. Sie versuchte, sich im Zimmer umzusehen, um mit Hilfe der ihr vertrauten Gegenstände gleichsam sich selbst wiederzufinden und in die Wirklichkeit zurückzukehren, aber sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Und sie sagte auch nichts.
Er war neben sie getreten. Seine Hand lag auf ihrem Arm, und unwillkürlich lehnte sie sich an ihn. Das war alles ein Teil des Traumes, und sie brauchte nichts mehr zu fragen.
Es war das große Wagnis. Er hatte recht. Sie konnte wagen, was sie wollte, und sie wollte.
Er half ihr in die Jacke. Sie setzte sich den Hut auf. Und erst, als sie neben ihm durch die offene Tür hinausschritt, wurde ihr alles klar.
Im Portal des Gebäudes hob er die Hand, um eine Droschke herbeizuwinken, aber ihre Hand berührte die seine und hielt ihn zurück.
»Wo wollen wir hin?« flüsterte sie.
»Nach der Fähre. Wir können gerade noch den Zug nach Sacramento erreichen.«
»Aber ich kann doch nicht so weggehen«, protestierte sie. »Ich … ich habe ja nicht einmal ein Taschentuch zum Wechseln.«
Noch ehe er antwortete, hob er wieder die Hand. Dann sagte er:
»In Sacramento kannst du kaufen, was du brauchst. Dort heiraten wir und fahren noch mit dem Abendzug nach dem Norden. Ich ordne alles telegrafisch vom Zuge aus.«
Als das Auto am Bürgersteig vorfuhr, warf sie einen Blick auf die vertraute Straße und das Menschengewimmel, dann wandte sie sich plötzlich erschrocken zu Glendon, sah ihm ins Gesicht.
»Ich kenne Sie ja gar nicht«, sagte sie.
»Wir wissen alles voneinander«, antwortete er.
Sie fühlte, wie sein Arm sie stützte und sie gleichzeitig zwang, den Fuß auf das Trittbrett zu setzen.
Im nächsten Augenblick wurde die Tür zugeschlagen; dann fuhr der Wagen die Market Street hinunter. Er schlang seinen Arm um sie, presste sie an sich und küsste sie. Und als sie den Mut fasste, ihm ins Gesicht zu sehen, war sie sicher, dass es leise gerötet war.
»Ich … ich habe gehört, dass Küssen eine Kunst sei«, stotterte er. »Ich selber verstehe nichts davon, aber ich will es lernen. Weißt du, du bist die erste Frau, die ich geküsst habe.«
An einer Stelle, wo sich eine zackige Felsspitze über den ungeheuren Urwald erhob, ruhten ein Mann und eine Frau.
Unter ihnen, am Waldessaum, waren zwei Pferde angebunden. Hinter jedem Sattel hing eine kleine Satteltasche. Die Bäume waren von einförmiger Mächtigkeit. Sie ragten Hunderte von Fuß hoch empor und hatten einen Durchmesser von zehn bis zwölf Fuß, ja, viele waren noch bedeutend größer.
Den ganzen Morgen hatten sie sich durch diesen unermesslichen Wald bis zur Wasserscheide hindurchgearbeitet, und diese Felsspitze hatte ihnen die erste Möglichkeit gegeben, aus dem Walde herauszugelangen, um sich umzuschauen.
Unter ihnen und rings, soweit sie sehen konnten, lag Reihe auf Reihe von Bergen, die in purpurnen Dunst gehüllt waren. Es gab keine Lichtungen in diesen Wäldern; im Norden, Süden, Osten und Westen bedeckten sie unberührt, ununterbrochen das Land mit ihrer mächtigen Wildnis.
Sie lagen da und starrten in die Ferne, ihre Hand in der seinen, denn es waren ihre Flitterwochen, und dies waren die Riesentannenwälder von Mendocino. Von Shasta waren sie mit Pferden und Gepäck durch das wildeste Küstengelände hierher gekommen und hatten keinen anderen Plan als den, die Reise fortzusetzen, bis sie einen neuen Einfall bekamen. Sie trugen derbe Kleidung, sie von der Reise stark mitgenommenen Khaki, er Wollhemd und Overall. Das Hemd ließ den sonnengebräunten Hals frei. Seine Größe machte ihn zum geeigneten Bewohner der riesigen Wälder, während sie, die sie mit ihm bewohnte, ein Abbild des Glücks war.
»Ja, du starker Mann«, sagte sie und stützte sich auf den einen Ellbogen, um ihn anzusehen, »das ist noch herrlicher, als du es mir versprochen hattest. Und alles werden wir miteinander sehen.«
»Und noch ein ganz Teil von der übrigen Welt dazu«, antwortete er und änderte seine Lage, um ihre Hand zwischen seine beiden zu nehmen.
»Aber erst, wenn wir hiervon genug haben«, meinte sie. »Ich glaube, dass ich der großen Wälder nie müde werde … und deiner auch nicht.«
Er setzte sich ohne Anstrengung auf und schloss sie in seine Arme.
»Oh, du Lieber«, flüsterte sie. »Und ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, einen Mann wie dich zu finden.«
»Und ich hatte nicht einmal gehofft. Ich muss wohl immer schon gewusst haben, dass ich dich einmal finden würde. Bist du froh?«
Ihre Antwort war ein sanfter Druck der Hand, die auf seinem Nacken lag, und dann schauten sie lange über die großen Wälder hinaus und träumten.
»Erinnerst du dich, dass ich dir erzählte, wie ich vor der rothaarigen Lehrerin flüchtete? Damals sah ich dieses Land zum ersten Mal. Und ich kam zu Fuß hierher, aber vierzig bis fünfzig Meilen täglich waren ein Kinderspiel für mich. Ich war der reine Indianer. Damals wusste ich noch nichts von dir. Jagd gab es nicht viel in diesen Wäldern, aber viele Forellen. Damals rastete ich auch auf diesen Felsen. Aber ich ließ mir nicht träumen, dass ich eines Tages wieder hierherkommen sollte, und mit dir, mit dir.«
»Und dass du Meisterschaftsboxer werden solltest, davon ließest du dir auch nichts träumen«, meinte sie.
»Nein, darüber dachte ich überhaupt nicht nach. Vater hatte mir stets gesagt, dass ich es werden würde, und da nahm ich es als gegeben hin. Du siehst, er war sehr klug. Er war ein großer Mensch.«
»Aber er sah nicht, dass du dem Ring einmal den Rücken kehren würdest.«
»Ich weiß nicht recht. Er gab sich soviel Mühe, die Verderbtheit des Ringes vor mir zu verheimlichen, dass ich fast glaube, er fürchtete es. Ich habe dir ja erzählt, wie er den Kontrakt mit Stubener machte. Vater fügte die Klausel bezüglich der Unredlichkeit ein. Die erste Schiebung, deren mein Manager sich schuldig machte, sollte den Kontrakt ungültig machen.«
»Und doch willst du mit diesem Tom Cannam kämpfen. Ist das der Mühe wert?«
Er warf ihr einen schnellen Blick zu.
»Möchtest du, dass ich es nicht täte?«
»Liebster, ich möchte, dass du alles tust, was du tun möchtest.«
So sprach sie, und während die Worte noch nicht in ihren Ohren verklungen waren, wunderte sie sich, dass sie, eine der eigenwilligsten und unabhängigsten aus dem Geschlecht der Sangster, so gesprochen hatte. Es war die Wahrheit gewesen, und sie freute sich darüber.
»Es wird sehr spaßig werden«, sagte er.
»Aber ich verstehe nicht, was daran spaßig sein kann.«
»Ich habe noch nicht näher darüber nachgedacht. Du könntest mir vielleicht helfen. Erstens möchte ich Stubener und das ganze Wettsyndikat gründlich anführen. Das wird schon ein Spaß sein. Ich werde Cannam in der ersten Runde erledigen. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich wirklich böse sein, wenn ich kämpfe. Der arme Tom Cannam muss daran glauben, obgleich er nicht schlimmer als die anderen ist.
Weißt du, ich werde eine kleine Rede im Ring halten. Das ist zwar nicht üblich, aber ich werde trotzdem Erfolg damit haben, denn ich will dem Publikum erzählen, wie es in Amerika mit dem Sport hinter den Kulissen aussieht.
An dem Sport ist an sich gar nichts auszusetzen, aber sie machen ein Geschäft daraus, und das verdirbt ihn!«
»Aber, Liebster, du hast doch nie im Leben eine Rede gehalten«, warf sie hin. »Es wird nicht gehen.«
Er schüttelte entschieden den Kopf.
»Ich bin Irländer«, verkündete er, »und hast du je von einem Irländer gehört, der nicht reden konnte?«
»Wir sind ein richtiges dummes Liebespaar«, sagte sie, als er sie aus seinen Armen ließ.
»Ist das nicht großartig!« rief er.
Er stand auf und maß den Stand der Sonne mit den Augen. Dann wies er mit der Hand über die großen Wälder, die die gedrängten purpurnen Berge bedeckten.
»Wir müssen irgendwo dort übernachten. Es sind dreißig Meilen bis zum nächsten Lagerplatz.«
Wer von all den Sportsleuten, die dabei waren, wird je den denkwürdigen Abend in der Golden-Gate-Arena vergessen, als der junge Glendon Tom Cannam und außerdem noch einen größeren als Tom Cannam ins Land der Träume schickte?
Die Golden-Gate-Arena war neu. Sie war das größte Gebäude dieser Art, das je in San Franzisko errichtet worden war, und dieser Kampf war der erste, der darin abgehalten wurde. Die Arena hatte fünfundzwanzigtausend Plätze, und jeder Platz war besetzt. Aus der ganzen Welt waren Sportsleute hergereist, um dem Kampf beizuwohnen, und hatten fünfzig Dollar für den Platz vorn am Ring bezahlt. Die billigsten Plätze waren für fünf Dollar verkauft worden. Das übliche Beifallsgetöse erhob sich, als Billy Morgan, der Veteran unter den Ansagern, durch die Seile in den Ring kletterte und sein graues Haupt entblößte.
Gerade wollte er den Mund öffnen, um zu reden, als aus einem Abschnitt mit mehreren Sitzreihen ein lautes Krachen ertönte: einige Pfeiler waren zerbrochen, und die Reihen krachten zusammen. Die Menge brach in lautes Lachen aus, drückte den Opfern in scherzhaften Zurufen ihr Beileid aus und erteilte ihnen gute Ratschläge. Niemand war zu Schaden gekommen.
Das Getöse der zusammenbrechenden Bänke und die allgemeine Lustigkeit veranlassten den wachhabenden Polizeihauptmann, einen beredten Blick mit seinen Leutnants zu wechseln; sie wussten, dass ihnen ein bewegter Abend bevorstand, und dass sie alle Hände voll zu tun bekommen würden.
Sieben starke alte Helden des Rings kletterten nacheinander, mit tosendem Beifall begrüßt, durch die Seile. Es waren lauter frühere Schwergewichts-Weltmeister. Billy Morgan stellte sie dem Publikum vor und begleitete die Vorstellung jeweils durch einige anerkennende Worte.
Einem wurde als dem »Ehrlichen John« und dem »Alten Getreuen« gehuldigt, ein anderer war »der anständigste zweifäustige Kämpfer, den der Ring je gesehen hat«. Und von anderen wieder hieß es: »der Held der hundert Kämpfe, der nie aufgab und nie k. o. wurde«, dann »der bravste von der alten Garde« und »der einzige, er je wiederkam«, weiter »der größte aller Krieger« und die »härteste Nuss, die es je im Ring zu knacken gab.«
Alles das nahm Zeit in Anspruch. Jeder von den sieben sollte eine Rede halten, und vor Stolz errötend und verlegen, murmelten oder brummten sie etwas vor sich hin. Die längste Rede hielt der »alte Getreue«, eine Rede, die fast eine Minute dauerte.
Dann sollten sie fotografiert werden. Der Ring füllte sich mit Meisterringern, bekannten Trainern, alten Unparteiischen und Schiedsrichtern. Leichtgewichtler und Mittelgewichtler schwirrten umher. Jeder schien alle anderen herauszufordern. Nat Powers war erschienen, um einen Revanchekampf von dem jungen Glendon zu verlangen, und wie er, all die anderen strahlenden Lichter, die Glendon ausgelöscht hatte.
Sie alle forderten auch Jim Hanford heraus, der, als er sich genötigt sah, Stellung zur Sache zu nehmen, erklärte, dass er den nächsten Kampf mit dem Sieger von heute ausfechten würde.
Und sofort begannen die Zuschauer die Namen zu rufen; die eine Hälfte brüllte »Glendon« und die andere Hälfte »Powers«.
Mitten in diesem Höllenspektakel brachen noch einige Sitzreihen zusammen, und es gab einen heftigen Streit zwischen den Inhabern der zerbrochenen Sitze und den Platzanweisern, weil mehr Karten verkauft waren, als zulässig war. Der Polizeihauptmann schickte nach dem Präsidium und erbat Verstärkung. Das Publikum amüsierte sich glänzend. Als Glendon und Cannam den Ring betraten, konnte man glauben, einer politischen Versammlung beizuwohnen. Beiden wurde gut fünf Minuten lang gehuldigt.
Alle Unbeteiligten hatten unterdessen den Ring verlassen. Glendon setzte sich, von seinen Sekundanten umgeben, in seine Ecke. Wie gewöhnlich saß Stubener direkt hinter ihm.
Cannam wurde zuerst vorgestellt, und nachdem er seine Verbeugungen und Kratzfüße gemacht hatte, musste er den Zurufen gehorchen, die eine Rede von ihm verlangten.
»Ich bin stolz darauf, dass ich heute hier sein darf«, sagte er, und der donnernde Applaus ließ ihm Zeit nachzudenken, was er weiter sagen sollte. »Ich habe immer ehrlich gekämpft. Das habe ich mein ganzes Leben lang getan. Das wird niemand leugnen können. Und ich werde auch heute mein Bestes tun.«
Laute Rufe erschollen: »Das stimmt, Tom!« »Das wissen wir!« »Braver Kerl, der Tom!« »Du wirst schon Gulasch aus ihm machen!«
Dann kam Glendon an die Reihe. Die Zuschauer verlangten auch von ihm, dass er eine Rede halten sollte, obwohl diese Reden im Ring eigentlich etwas ganz Neues waren.
Billy Morgan hob die Hand, um Schweigen zu gebieten, und mit klarer, mächtiger Stimme begann Glendon.
»Alle haben gesagt, dass sie stolz darauf sind, heute hier sein zu können«, sagte er. »Ich bin es nicht.«
Das Publikum war bestürzt, und er ließ seinen Zuhörern Zeit, darüber nachzudenken, was er wohl meine.
»Ich bin nicht stolz auf die Gesellschaft, in der ich mich befinde. Sie wollen eine Rede hören. Schön, Sie sollen eine haben. Dies ist mein letzter Kampf. Dann verlasse ich den Ring für immer. Warum? Das hab’ ich Ihnen schon gesagt. Ich befinde mich nicht wohl in dieser Gesellschaft. Es ist faul bis ins Mark hinein, sowohl bei den kleinen Klubs wie bei der Geschichte heute.«
Das anfangs leise Gemurmel war jetzt zu einem Gebrüll angewachsen. Es wurde gezischt und gepfiffen, und viele riefen: »Anfangen!« »Wir sind hergekommen, um den Kampf zu sehen!« »Warum kämpft ihr nicht?«
Glendon, der ruhig abwartete, dass der Lärm sich legen sollte, bemerkte, dass diejenigen, welche am eifrigsten darauf bedacht waren, sein Weiterreden zu verhindern, Unternehmer, Manager und Boxer waren. Vergebens versuchte er wieder zu Worte zu kommen. Die Meinungen des Publikums waren geteilt. Die Hälfte schrie »Anfangen!« Die andere Hälfte: »Weiterreden! Weiterreden!«
Zehn Minuten lang herrschte hoffnungslose Verwirrung.
Stubener, der Schiedsrichter, der Besitzer der Arena und die Veranstalter drangen in Glendon, den Kampf zu beginnen. Als er sich weigerte, erklärte der Schiedsrichter, Cannam den Sieg zusprechen zu wollen, da Glendon sich weigere, mit ihm zu kämpfen.
»Das können Sie nicht«, entgegnete Pat. »Ich werde Sie vor alle Gerichtshöfe des Landes ziehen, wenn Sie das versuchen. Im übrigen, bin ich bereit zu kämpfen. Aber erst, wenn ich mit meiner Rede fertig bin.«
»Aber es ist gegen die Regeln«, protestierte der Schiedsrichter.
»Durchaus nicht. In den Regeln steht kein Wort davon, dass im Ring keine Reden gehalten werden dürfen. Jeder von den alten Boxern, die heute hier sind, hat geredet.«
»Doch nur wenige Worte«, schrie der Unternehmer Glendon ins Ohr. »Aber Sie wollen hier ja einen ganzen Vortrag halten.«
»In den Regeln steht nichts davon, dass man keine Vorträge halten darf«, antwortete Glendon. »Und jetzt macht, dass ihr aus dem Ring kommt, Jungens, oder ich schmeiß euch hinaus.«
Der aufgeregte Unternehmer wurde, soviel er sich auch wehrte, beim Kragen gepackt und über die Seile gehoben. Er war ein großer, schwerer Mann, aber Glendon hatte es so leicht getan, dass das Publikum vor Entzücken tobte.
Glendon trat wieder in die Mitte des Ringes zurück und hob beide Hände.
»Wollt ihr, dass ich rede?« rief er mit donnernder Stimme.
Hunderte, die um den Ring saßen, hörten ihn und riefen:
»Ja!«
»Dann soll jeder, der hören will, den Lärmmacher, der ihm am nächsten sitzt, zum Schweigen bringen!«
Sein Rat wurde befolgt, und als er ihn wiederholte, drang seine Stimme schon mehr durch. Immer wieder rief er es, und allmählich verbreitete sich die Stille vom Ring aus Kreis für Kreis, nur anfangs noch begleitet von einem dumpfen Geräusch von Schlägen und Raufereien: die Lärmmacher wurden von den Umsitzenden zur Ruhe gebracht.
Der Lärm hatte sich fast ganz gelegt, als wieder eine Sitzreihe zusammenbrach – diesmal dicht am Ring. Das Ereignis wurde abermals mit einem brüllenden Lachen begrüßt, und als das Lachen sich legte, konnte man deutlich eine Stimme ganz hinten im Saal hören, die quäkte: »Los, Glendon! Wir halten mit dir!«
Glendon wusste, dass er diese Versammlung, die noch vor fünf Minuten ein wüster Pöbelhaufen gewesen war, jetzt in seiner Hand hatte, und um die Wirkung seiner Worte noch zu erhöhen, machte er eine Pause. Aber diese Pause war gerade lang genug und nicht eine Sekunde zu lang. Dreißig Sekunden lang war die Stille gekommen, und die Menge verharrte in fast ehrfurchtsvollem Schweigen. Dann begann er zu sprechen.
»Wenn ich fertig bin«, sagte er, »werde ich kämpfen. Ich verspreche euch, dass es ein ehrlicher Kampf werden soll, einer von den wenigen ehrlichen Kämpfen, die ihr je gesehen habt. Ich will meinen Gegner besiegen, so schnell ich es kann. Billy Morgan wird euch als Ansager verkünden, dass es ein Kampf auf fünfundvierzig Runden ist. Ich sage euch, dass es eher ein Kampf auf fünfundvierzig Sekunden sein wird.
Als ich unterbrochen wurde, wollte ich euch gerade erzählen, dass im Ring nur mit Schiebung gearbeitet wird.
Ihr seid ahnungslose Säuglinge, ihr alle, die ihr nicht daran verdient. Warum, glaubt ihr, brechen die Sitze heut zusammen? Schwindel. Geschäftsprinzipien – wie beim Boxen selbst.«
Jetzt hatte er das Publikum noch mehr als zuvor in der Hand, und das wusste er.
»Es sind drei Personen auf zwei Sitze gesetzt. Das sehe ich überall. Wie nennt ihr das? Schwindel! Die Platzanweiser kriegen nämlich keinen Lohn. Sie sind auf Schwindel angewiesen. Und ihr bezahlt. Natürlich bezahlt ihr.
Und lasst mich euch sagen, dass die Boxer nicht schuld daran sind. Sie sind es nicht, die das Spiel leiten. Das sind die Unternehmer und die Manager, die sind es, die das Geschäft betreiben. Die Boxer, sind nur Boxer. Sie fangen ganz ehrlich an, aber die Manager und Unternehmer zwingen sie mitzumachen oder jagen sie weg.
›Der beste Mann möge gewinnen!‹ Wie oft habt ihr Billy Morgan das sagen hören! Ich will euch sagen, dass der beste Mann nicht so oft gewinnt, und wenn er es doch tut, ist es meistens doch im voraus abgemacht.
Der Schwindel ist zu mächtig. Wenn eine Handvoll Männer nach drei Kämpfen dreiviertel Millionen Dollar unter sich teilen können, dann –«
Ein Ausbruch wilder Raserei zwang ihn zu schweigen. In dem Geschrei, das von allen Seiten ertönte, konnte er die Rufe unterscheiden: »Was für Millionen?« »Welche drei Kämpfe?« »Erzählen!« »Los!«
»Wollt ihr es hören?« rief Glendon. »Dann sorgt für Ruhe!« Und wieder erzwang er minutenlanges Schweigen.