Eine Stunde später waren Sam Stubener die Augen geöffnet. Früher selbst Boxer, und zwar Schwergewichtler, war seine Stärke doch die Beurteilung von Boxern, und noch nie hatte er einen Mann gesehen, der solche Vorzüge aufzuweisen hatte.
»Sehen Sie seine Geschmeidigkeit«, sang der alte Pat sein Loblied. »Er ist aus dem richtigen Stoff gemacht. Sehen Sie die Schräge seiner Schultern und seine Brust! Sauber, alles ist sauber, und nicht ein schlechter Blutstropfen ist in ihm. So einen Mann wie den da haben Sie noch nie gesehen, Sam. Nicht eine Muskel in ihm ist steif. Und dabei macht er kein Gewichtstemmen oder Sandowsche Übungen. Seine Muskeln sind wie weiche Schlangen, die sich träge unter der Haut winden. Er steht seine vierzig Runden und, wenn es sein muss, auch hundert. Also los! Time!«
Sie boxten in Drei-Minuten-Runden mit je einer Minute Pause, und Sam Stubener wurde diesmal nicht enttäuscht.
Jetzt gab es kein Fett, keine Interesselosigkeit mehr, nur ein fast zögerndes, gutmütiges Spiel mit den Handschuhen, und dabei eine Gewandtheit, Schnelligkeit, Sicherheit und Härte, wie es nur – das wusste Sam – der geübte Boxer mit dem richtigen Instinkt zeigen konnte.
»Leicht, immer leicht«, warnte der alte Pat. »Sam ist nicht mehr wie früher.«
Das reizte Sam nur, was auch beabsichtigt gewesen war, und er versuchte es jetzt mit seinen berühmten Tricks und seinem Lieblingsschlag – eine Finte, als wolle er in Clinch gehen, und dann ein gerader Rechter in die Magengrube.
Aber so schnell er auch war, der junge Pat sah es doch und ging zurück, als sein Gegner den Schlag landete. Das nächste Mal aber ging er nicht zurück. In dem Augenblick, als Sam zu dem Schlage ansetzte, machte er eine Bewegung seinem Gegner entgegen und kehrte ihm die Hüfte zu.
Er drehte sich nur um wenige Zoll, aber er blockte dadurch den Schlag. Und jetzt konnte Stubener es, so oft er wollte, versuchen, sein Handschuh traf immer nur die Hüfte.
Stubener hatte seinerzeit gegen manchen großen Boxer gestanden, und in Schaukämpfen hatte er immer seinen Mann gestellt. Hier aber sah er sich verraten und verkauft. Der junge Pat spielte mit ihm und ließ ihn sich beim Clinch kraftlos wie ein kleines Kind fühlen. Sein Gegner landete seine Schläge anscheinend ganz nach Belieben; fasste und blockte ihn mit meisterhafter Genauigkeit und dabei fast, als nähme er gar keine Notiz von seiner Existenz. Während der Hälfte der Zeit schien der junge Pat träumerisch die Landschaft um sich her zu betrachten.
Und gerade da beging Stubener wieder einen Fehler. Er hielt das für einen Trick, den der alte Pat seinem Sohn beim Training beigebracht hatte, und versuchte unerwartet einen kurzen Stoß mit gebeugtem Arm zu landen. Aber im selben Augenblick saß sein Arm fest, und er bekam zum Dank für seine Mühe ein paar Ohrfeigen mit dem flachen Handschuh.
»Er weiß instinktiv, wenn ein Schlag kommt«, grunzte der alte Pat. »Das hab’ ich ihm nicht beigebracht, will ich Ihnen sagen. Er ist der reine Hexenmeister. Er weiß, ohne hinzugucken, wann der Schlag kommt, wie schnell er ist und wie weit er reicht. Es ist die reine Inspiration. Es ist angeboren.«
Bei einem überraschenden Clinch stemmte der Manager seinen Handschuh dem jungen Pat gegen den Mund, und die Art und Weise, wie er das machte, war nicht ganz ohne eine gewisse Tücke. Aber einen Augenblick später, beim nächsten Clinch, wurde Sam der Handschuh des anderen selbst gegen den Mund gepresst. Das geschah durchaus nicht gewaltsam, aber durch den langsamen, gleichmäßigen Druck wurde der Kopf ihm zurückgepresst, bis ihm die Halswirbel knackten und er glaubte, das Genick gebrochen zu haben. Er ließ seinen Körper schlaff werden und die Arme sinken, zum Zeichen, dass der Kampf beendet war. Im selben Augenblick fühlte er sich frei und taumelte zurück.
»Er ist – er ist richtig«, ächzte er, und sein Blick zeigte die Bewunderung, die in Worten auszudrücken ihm der Atem fehlte.
Die Augen des alten Pat schimmerten feucht vor Stolz und Freude.
»Und was, meinen Sie, geschieht, wenn irgend so ein verfluchter Kerl den gemeinen Kniff im Ernst an ihm versucht?« fragte er.
»Er bringt ihn um, bestimmt«, meinte Stubener.
»Nein, dazu ist er zu kaltblütig; er gibt ihm nur seine Strafe für die Dreckigkeit.«
»Also lassen Sie uns den Kontrakt aufsetzen«, sagte der Manager.
»Warten Sie, bis Sie ganz über ihn Bescheid wissen!« antwortete der alte Pat. »Es sind schwere Bedingungen, die ich stellen werde. Gehen Sie jetzt erst mal mit dem Jungen auf die Hirschjagd in den Bergen und lernen Sie seine Lunge und seine Beine kennen. Nachher wappnen Sie sich und unterschreiben den Kontrakt.«
Stubener war zwei Tage lang auf dieser Jagd und erfuhr noch mehr, als der alte Pat ihm versprochen hatte.
Vollkommen erschöpft und sehr klein kam er zurück. Die Unwissenheit des jungen Mannes in Bezug auf die Welt hatte den abgebrühten Sam in Erstaunen gesetzt, aber er hatte doch gemerkt, dass er sich von niemand an der Nase nehmen ließ.
Sein Geist war jungfräulich, unberührt von allem, außer den Erfahrungen, die die nahen Berge ihm schenken konnten, und doch erwies er sich im Besitz von Scharfsinn und Verschlagenheit über den Durchschnitt hinaus.
Auf seine Weise war er ein Rätsel für Sam, der den unerschütterlichen Gleichmut des jungen Mannes nicht verstehen konnte. Nichts war ihm unangenehm, über nichts konnte er sich ärgern, und seine Geduld war von einer nie versagenden Einfalt. Nie fluchte er, nie gebrauchte er die üblichen nichtssagenden Kraftworte, die junge Leute seines Alters stets im Munde führten.
Der alte Pat schloss den Vertrag und verabschiedete sich vor dem Hause von ihnen.
»Es wird nicht lange dauern, bis ich in den Zeitungen über dich lese, Pat, mein Junge. Ich würde dich am liebsten begleiten, aber ich glaube doch, es ist am besten für dich, wenn ich bis ans Ende meiner Tage hier in den Bergen bleibe.«
Und dann zog der Alte den Manager beiseite und wandte sich in fast drohendem Ton an ihn:
»Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen immer wieder gesagt habe. Der Junge hat ein reines und ehrliches Herz. Er weiß nichts von den Schiebungen beim Sport. Davon hab’ ich ihm nie was erzählt, will ich Ihnen sagen. Er kennt den Schwindel nicht. Er kennt nur die Tapferkeit, die Romantik und den Ruhm des Kämpfers, denn ich habe ihm tausend Geschichten von den alten Helden des Rings erzählt, obgleich das wenig genug geholfen hat, ihn zu begeistern.
Mann, Mann, ich sage Ihnen, ich habe die Sportberichte aus den Zeitungen ausgeschnitten, unter dem Vorwand, dass ich sie für mein Sammelbuch brauchte, nur damit er sie nicht lesen sollte. Daher hat er nie etwas von Boxern gehört, die aufgaben oder sich absichtlich besiegen ließen. Bringen Sie dem Jungen nichts Schlechtes bei.
Das ist der Grund, dass ich den Ungültigkeitsparagrafen in den Kontrakt eingefügt habe. Die erste Schiebung stößt den Kontrakt um. Keine verabredete Kassenteilung. Keine geheimen Vereinbarungen mit Filmleuten, die eine gewisse Dauer der Kämpfe für ihre Aufnahmen garantiert haben wollen.
Es bleibt noch genug Geld zu verdienen für euch beide. Aber ehrliches Spiel, oder es ist aus. Haben Sie mich verstanden?«
Und als eine letzte Ermahnung an den jungen Pat, der schon zu Pferde saß und das Tier pflichtschuldig zügelte, um zu hören, sagte der alte Pat:
»Und was auch immer geschieht, nimm dich vor den Weibern in acht. Weiber bedeuten Tod und Verdammung, vergiss das nicht. Wenn du aber die eine, die einzige findest, dann lasse sie nicht. Sie wird mehr für dich sein als Geld und Ruhm.
Aber zuerst musst du deiner Sache sicher sein, ganz sicher, und wenn du das bist, dann lasse sie nicht wieder aus den Fingern. Halte sie fest mit beiden Händen und lass nicht locker. Halt sie fest, und wenn die Welt zusammenstürzt.
Pat, mein Junge, eine gute Frau ist … nun eben eine gute Frau. Das ist mein erstes Wort und mein letztes.«
Kaum waren sie in San Franzisko, so begannen auch schon die Schwierigkeiten für Sam Stubener. Nicht, dass der junge Pat unfreundlich oder träge gewesen wäre, wie sein Vater gefürchtet hatte. Im Gegenteil, er war unsagbar milde und sanft. Aber er hatte Heimweh nach seinen geliebten Bergen, und dann stieß die Stadt ihn im geheimen ab, wenn er auch ihre lärmenden Straßen mit der Unermüdlichkeit eines Indianers durchstreifte.
»Ich bin hierhergekommen, um zu boxen«, verkündete er nach Ablauf der ersten Woche. »Wo ist Jim Hanford?«
Stubener stieß einen leisen Pfiff aus.
»Ein großer Champion wie der sieht Sie gar nicht an«, lautete die Antwort. »›Geh erst, und schaff dir einen Namen‹, würde er sagen.«
»Ich kann ihn besiegen.«
»Aber das weiß das Publikum nicht. Wenn Sie ihn besiegten, würden Sie Weltmeister sein, und das ist noch keiner bei seinem ersten Kampf geworden.«
»Ich kann es.«
»Aber das weiß das Publikum nicht. Es würde niemand kommen, um sich den Kampf anzusehen. Und die Zuschauer sind es doch, die das Geld und die großen Börsen bringen. Das ist auch der Grund, dass Jim Hanford nicht eine Sekunde daran denken würde, mit Ihnen zu kämpfen. Bei einem solchen Kampf könnte er nichts verdienen.
Außerdem verdient er jetzt gerade dreitausend wöchentlich an einem Varieté. Glauben Sie, darauf würde er verzichten, um mit einem Mann zu kämpfen, den kein Mensch kennt?
Zuerst müssen Sie mal was geleistet haben, eine Rekordliste aufweisen. Sie müssen mit den kleinen lokalen Größen anfangen, die die weitere Öffentlichkeit nicht kennt, Vogelscheuchen wie Klempner-Collins, Kittchen-Kelly und dem Fliegenden Holländer.
Wenn Sie die erledigt haben, dann stehen Sie erst auf der untersten Sprosse der Leiter. Aber dann werden Sie auch steigen wie ein Luftballon.«
»Ich will mit den dreien hintereinander im selben Ring antreten«, sagte Pat. »Arrangieren Sie die Sache nur.«
Stubener lachte.
»Warum lachen Sie? Glauben Sie nicht, dass ich mit denen fertig werde?«
»Das weiß ich, dass Sie das können«, versicherte Stubener ihm. »Aber so lässt sich das nicht machen. Sie müssen sich immer einen zur Zeit vornehmen. Vergessen Sie nicht, dass ich das Geschäft verstehe. Es muss alles genau zurechtgelegt werden, und ich weiß, wie. Wenn alles klappt, können Sie in einem Jahr oben sein, Weltmeister werden und Geld scheffeln.«
Pat seufzte über diese Aussicht, dann aber klärte sich sein Gesicht auf. »Und dann kann ich mich zurückziehen und wieder nach Hause zu dem Alten gehen.«
Stubener wollte antworten, besann sich aber. War dieser Anwärter auf die Meisterschaft auch recht sonderbar, so war er doch davon überzeugt, dass der junge Mann, wenn er das Ziel erst erreicht hatte, genau so werden würde wie die anderen, die es so weit gebracht hatten, wie sie konnten. Außerdem waren zwei Jahre eine lange Zeit, und unterdessen konnte viel geschehen.
Als Pat sich in der Gegend herumzutreiben begann und unaufhörlich Gedichtbücher und Romane las, die er sich aus einer öffentlichen Bibliothek holte, schickte Stubener ihn auf eine Ranch auf der anderen Seite der Bucht, wo er unter der Aufsicht von Spider Walsh leben sollte.
Aber nach einer Woche kam Spider und erklärte, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Sein Zögling war von morgens bis abends verschwunden, war über alle Berge, angelte Forellen in den Gebirgsbächen, schoss Wachteln und Kaninchen und schoss den einsamen Rehbock, der Dutzenden von Jägern, die es auf ihn abgesehen hatten, entgangen war.
Spider saß faul herum und wurde dick, während sein Zögling gut in Form blieb.
Es ging, wie Stubener erwartet hatte. Die Manager der Boxklubs lachten, wenn er mit seinem neuen Mann kam. Waren die Wälder nicht voll von Unbekannten, die sich plötzlich für die Meisterschaftskämpfe meldeten? Einen Kampf auf vier Runden, um das Programm zu füllen ja, darüber ließ sich reden. Aber als Hauptnummer – nie.
Stubener hatte sich indessen in den Kopf gesetzt, dass der junge Pat gerade als Hauptnummer anfangen sollte, und durch das Gewicht seines eigenen Namens setzte er es schließlich durch. Nach vielem Hin und Her willigte der Missionsklub ein, Pat Glendon auf fünfzehn Runden gegen Zuchthaus-Kelly zu stellen, und zwar um eine Börse von hundert Dollar.
Es war etwas ganz Übliches, dass junge Boxer die Namen der alten Helden des Rings annahmen, und deshalb kam keiner auf den Gedanken, dass der junge Pat ein Sohn des großen Pat Glendon sein könnte. Stubener sagte auch nichts davon. Es konnte später gut als Sensation für die Presse gebraucht werden.
Einen Monat mussten sie warten, dann kam endlich der Abend, an dem der Kampf stattfinden sollte. Stubener war sehr nervös. Er hatte seinen Namen dafür eingesetzt, dass sein Schützling eine Sehenswürdigkeit wäre, und zu seinem Entsetzen sah er jetzt, dass Pat, als er kaum fünf Minuten in seiner Ecke des Ringes gesessen hatte, die Farbe verlor und ganz fahl wurde.
»Kopf hoch, mein Junge«, sagte Stubener und klopfte ihm auf die Schulter. »Es ist immer ein komisches Gefühl, wenn man das erste Mal im Ring steht, und Kelly hat den Trick, dass er seinen Gegner warten lässt, in der Hoffnung, dass er Lampenfieber kriegt.«
»Das ist es nicht«, antwortete Pat. »Es ist der Tabakrauch. Ich bin ihn nicht gewohnt, und er macht mich ganz krank.«
Der Manager atmete erleichtert auf. Wenn es nur der Tabakrauch war – an den würde sich der Junge schon gewöhnen.
Der Eintritt des jungen Pat in den Ring erfolgte unter allgemeinem Schweigen, während Zuchthaus-Kelly mit ohrenbetäubendem Beifall begrüßt wurde, als er unter den Seilen hindurchkletterte.
Er war ein Mann von wirklich furchteinflößendem Aussehen, dunkelhäutig, stark behaart und mit gewaltigen Muskeln, der gut hundertachtzig Pfund wog. Pat betrachtete ihn neugierig und musste dafür einen bösen Blick einstecken.
Als sie beide dem Publikum vorgestellt waren, mussten sie sich die Hände reichen. Und sogar, als ihre Handschuhe sich berührten, knirschte Kelly mit den Zähnen, sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, und er knurrte:
»Du hast doch wohl keine Angst?«
Roh schlug er Pats Hand beiseite und zischte:
»Ich will dich bei lebendigem Leibe fressen, du kleiner Köter.«
Das Publikum lachte; es hatte erraten, was Kelly gesagt haben musste, und freute sich darüber.
Als Pat wieder in seine Ecke kam, um dort auf den Schlag des Gongs zu warten, wandte er sich zu Stubener und fragte:
»Warum ist er böse auf mich?«
»Das ist er gar nicht«, antwortete Stubener. »Das ist seine Art, er will versuchen, Sie einzuschüchtern. Das ist nur Großmäuligkeit.«
»Aber das ist doch kein Boxen«, meinte Pat, und Stubener, der einen schnellen Blick auf ihn warf, bemerkte, dass seine blauen Augen so mild wie immer waren.
»Aber passen Sie auf!« warnte er Pat, als der Gong zur ersten Runde ertönte. »Er wird wie ein Menschenfresser auf Sie losgehen.«
Und wie ein Menschenfresser ging Kelly auf ihn los, schoss in wilder Wut durch den Ring.
Pat, der in seiner leichten Art nur zwei Schritte vorwärts gemacht hatte, berechnete die Schnelligkeit des anderen, tanzte seitwärts und landete einen rechten Kinnhaken. Dann blieb er stehen und wartete neugierig, was da kommen würde.
Der Kampf war aus. Kelly war wie ein vor die Stirn geschlagener Ochse auf den Boden gegangen und lag da, ohne sich zu rühren. Der Schiedsrichter beugte sich über ihn und zählte mit lauter Stimme die zehn Sekunden aus.
Als Kellys Sekundanten nach Ablauf der zehn Sekunden in den Ring sprangen, um ihn fortzutragen, kam Pat ihnen zuvor. Er las das große, schlaffe menschliche Bündel auf und trug es in die Ecke des Ringes, wo er es auf den Stuhl setzte und den Sekundanten zu weiterer Behandlung überließ.
Nach einer halben Minute hob Kelly den Kopf und öffnete die Augen. Er sah sich verwirrt im Saal um, dann wandte er sich zu dem einen seiner Sekundanten.
»Was ist geschehen?« fragte er heiser. »Ist das Dach über mir eingestürzt?«
Im Allgemeinen herrschte die Ansicht, Pat habe lediglich durch einen Zufall gesiegt, aber trotzdem verschaffte der Sieg über Kelly ihm doch einen Kampf mit Rufe Mason.
Dieser Kampf wurde drei Wochen später vom Sierra-Klub in Dreamland Rink arrangiert, aber das Publikum bekam nicht zu sehen, was geschah.
Rufe Mason war ein Schwergewichtler, der in gewissen Kreisen seiner Tüchtigkeit wegen einen guten Ruf genoss. Als der Gong das Zeichen zum Beginn der ersten Runde gegeben hatte, trafen sich die beiden in der Mitte des Ringes. Keiner von ihnen griff an, keiner schlug zu, sie umschlichen sich mit gebeugten Armen einander so nahe, dass ihre Handschuhe sich fast berührten.
Dann geschah es und so schnell, dass kaum einer von hundert Zuschauern es sah. Rufe Mason machte mit der Rechten eine Finte. Es war augenscheinlich nicht einmal eine richtige Finte, nur ein Versuch, einen Ausfall vorzutäuschen.
In diesem Augenblick landete Pat seinen Schlag. Sie waren so dicht aneinander, dass ein freier Raum von kaum zwanzig Zentimetern vorhanden war, und es war ein Haken mit dem linken Vorderarm, von einer Schulterdrehung begleitet.
Der Schlag traf Rufe Masons Kinn, und das erstaunte Publikum sah, wie die Beine des Mannes nachgaben und er auf der Stelle, wo er stand, zusammenbrach. Der Schiedsrichter hatte genug gesehen und begann gleich zu zählen, und wieder trug Pat den Gegner an seinen Platz. Als Rufe Mason zehn Minuten später imstande war, den Ring zu verlassen, mussten seine Sekundanten ihn stützen, seine Knie waren noch schlaff und seine Augen matt.
»Kein Wunder«, sagte er später zu seinen Sekundanten, »dass Zuchthaus-Kelly glaubte, das Dach wäre über ihm eingestürzt.«
Nachdem Pat auch Klempner-Collins in der zwölften Sekunde der ersten Runde eines Matches von fünfzehn Runden k. o. geschlagen hatte, sah Stubener sich genötigt, mit Pat Glendon zu reden.
»Wissen Sie, wie die Leute Sie nennen?« fragte er. Pat schüttelte den Kopf.
»Den Einschlag-Glendon.«
Pat lächelte höflich. Es interessierte ihn durchaus nicht, wie die Leute ihn nannten. Er wusste, dass er eine gewisse Arbeit zu leisten hatte, ehe er in seine Berge zurückkehren konnte, und er tat diese Arbeit, ohne sich weiter aufzuregen, das war alles.
»Das geht nicht«, fuhr der Manager fort und schüttelte bedeutungsvoll den Kopf. »Sie können die Leute nicht immer gleich k. o. schlagen. Sie müssen ihnen mehr Zeit lassen.«
»Bin ich denn nicht hier, um zu kämpfen?« fragte Pat überrascht.
Wieder schüttelte Stubener den Kopf.
»Die Sache ist so, Pat, Sie wollen doch als guter und großmütiger Boxer gelten. Bringen Sie nicht alle anderen Boxer gegen sich auf. Und es ist auch nicht anständig gegen das Publikum. Das will was sehen für sein Geld. Und es endet noch damit, dass Sie keinen finden, der gegen Sie antreten will. Sie kriegen es ja alle mit der Angst. Und Zehn-Sekunden-Kämpfe ziehen nicht. Bitte, sagen Sie selbst: Würden Sie einen Dollar oder gar fünf bezahlen, um einen Kampf zu sehen, der nicht mehr als zehn Sekunden dauert?«
Pat sah es ein und versprach, dem Publikum etwas für sein Geld zu geben, wenn er es auch nicht begriff; er persönlich ging lieber fischen, als dass er sich einen Boxkampf von hundert Runden ansah.
Aber bei alledem kam Pat in Wirklichkeit nicht weiter. Die ansässigen Sportsleute lachten, wenn sein Name genannt wurde. Dann fielen ihnen komische Kämpfe ein, wie der mit Zuchthaus-Kelly, der geglaubt hatte, dass das Dach über ihm zusammenstürzte. Niemand ahnte etwas von Pats Können, denn nie hatte man ihn wirklich kämpfen sehen. Wie stand es mit seiner Atemtechnik, seiner Ausdauer, seinem Standvermögen gegen scharfe Angriffe von längerer Dauer? Bisher hatte er nur gezeigt, dass er Zufallschancen auszunutzen verstand und ein unglaubliches Glück hatte.
So standen die Dinge, als der vierte Match arrangiert wurde, und zwar gegen Pete Sosso, einen Portugiesen aus Butchertown, der namentlich durch die erstaunlichen Tricks bekannt geworden war, die er im Ring anwandte.
Pat trainierte nicht für diesen Kampf, vielmehr machte er in aller Eile eine traurige Reise in die Berge, um seinen Vater zu begraben. Der alte Pat war sich längst darüber klar, wie es mit seinem Herzen stand, und jetzt hatte es plötzlich aufgehört zu schlagen.
Der junge Pat kam im letzten Augenblick nach San Franzisko zurück. Er vertauschte nur schnell die Reisekleidung mit der Boxhose, und trotzdem mussten die Zuschauer zehn Minuten warten.
»Denken Sie daran, ihm eine Chance zu geben«, ermahnte ihn Stubener, als Pat durch die Seile in den Ring kletterte. »Spielen Sie mit ihm, aber so, dass er es für Ernst hält. Halten Sie ihn zehn bis zwölf Runden hin, ehe Sie ihn k. o. schlagen.«
Pat richtete sich nach dieser Belehrung, und obgleich Sosso so tückisch kämpfte, dass Pat sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, schlug er ihn nicht nieder, was eine Kleinigkeit für ihn gewesen wäre.
Es wurde eine schöne Darbietung, und das Publikum war begeistert. Sossos wirbelnde Angriffe, seine wilden Finten, seine plötzlichen Rückzüge und Ausfälle erforderten Pats volle Aufmerksamkeit, um sich zu decken, und doch konnte er nicht verhindern, dass er ab und zu getroffen wurde.
Stubener lobte ihn in den Pausen, und alles wäre wohl nach Wunsch gegangen, hätte Sosso nicht in der vierten Runde einen seiner gemeinsten Tricks angewandt.
Pat hatte, als sie dicht aneinander waren, einen Haken gegen Sossos Kinn gelandet, als zu seinem Erstaunen sein Gegner die Arme sinken ließ, mit rollenden Augen und wankenden Beinen rückwärts taumelte und offenbar halb betäubt war. Pat ließ die Arme sinken und betrachtete verwundert Sosso, der fallen zu wollen schien, sich dann aufrichtete und mit Augen, die scheinbar nichts sahen, wieder ein paar Schritte vorwärts wankte.
Und da geschah es zum ersten und letzten Mal in Pats Boxerlaufbahn, dass er nicht auf dem Posten war. Er war einen Schritt beiseite getreten, um den taumelnden Mann vorbeizulassen, als Sosso plötzlich mit der Rechten zustieß.
Pat bekam den Schlag gerade gegen das Kinn und mit solcher Kraft, dass ihm die Zähne im Munde knirschten. Das Publikum johlte vor Begeisterung.
Aber Pat hörte es nicht. Er sah nur Sosso, der grinsend vor ihm herumtanzte, vollkommen kampffähig und nicht im geringsten mehr taumelnd.
Der Schlag schmerzte, aber weit mehr erbost war Pat über die Tücke seines Gegners. Der Zorn, den sein Vater stets vergeblich in ihm anzufachen versucht hatte, stieg in ihm auf. Er schüttelte den Kopf, wie um den Schlag abzuschütteln, und trat dem Mann entgegen.
Und was jetzt geschah, war das Werk einer Sekunde. Nach einer Finte, die seinen Gegner ablenkte, landete seine Linke auf dem Solarplexus, und fast im selben Augenblick richtete er einen Schlag seiner Rechten gegen das Kinn Sossos. Er traf den Mund, ehe noch der fallende Körper den Boden erreicht hatte.
Die Klubärzte mussten eine halbe Stunde arbeiten, bis es ihnen glückte, Sosso wieder zum Bewusstsein zu bringen.
Dann vernähten sie ihm die Lippen mit elf Nadeln und verpackten ihn in einen Krankenwagen.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte Pat zu seinem Manager, »ich glaube, ich verlor meine Ruhe. Das will ich nie wieder tun im Ring. Vater hat mich immer davor gewarnt. Er sagte, es hätte ihn mehr als eine verlorene Schlacht gekostet. Ich wusste nicht, dass es mir passieren könnte, die Ruhe zu verlieren. Aber jetzt, da ich es weiß, werde ich mich vorsehen.«
Und Stubener glaubte ihm. Er war jetzt so weit, dass er seinem Pflegling alles zutraute.
»Sie haben gar nicht nötig, zornig zu werden«, sagte er. »Wenn Sie im Ring stehen, können Sie ja mit Ihrem Gegner umspringen, wie es Ihnen beliebt.«
»Ja, in jeder Sekunde des Kampfes«, bestätigte Pat.
»Sie können ihn erledigen, sobald es Ihnen beliebt.«
»Gewiss. Ich will nicht prahlen. Aber ich glaube, ich habe die Fähigkeit dazu. Meine Augen erspähen jede Chance, die sich mir bietet, und das Gefühl für Zeit und Entfernung ist mir angeboren. Vater hat mir schon immer gesagt, dass es eine besondere Begabung wäre, aber ich glaubte, er wolle mich nur dadurch anspornen. Jetzt, nach diesen Kämpfen, glaube ich, dass er recht hatte. Er nannte es eine Wechselbeziehung zwischen Geist und Muskeln.«
»Und das in jeder Sekunde des Kampfes«, wiederholte Stubener nachdenklich.
Pat nickte. Und Stubener hatte die Überzeugung von einer goldenen Zukunft.
»Na also, dann vergessen Sie nur nicht, dass wir den Leuten etwas für ihr Geld bieten müssen«, sagte er. »Wir werden uns immer im voraus einigen, wie viele Runden ein Kampf dauern soll. Zunächst treten Sie jetzt gegen den Fliegenden Holländer an. Ich schlage vor, dass Sie es die ganzen fünfzehn Runden dauern lassen und ihn erst in der letzten erledigen. Das gibt Ihnen Gelegenheit zu zeigen, was Sie können.«
»Gemacht, Sam«, lautete die Antwort.
»Es ist eine Probe für Sie«, warnte Stubener ihn. »Wenn es Ihnen nun misslingt, ihn in der letzten Runde auf die Bretter zu schicken?«
»Hören Sie«, Pat machte eine Pause, um seinem Versprechen größeren Nachdruck zu verleihen, und nahm dann einen Band Longfellow aus der Tasche. »Wenn ich ihn nicht in der fünfzehnten Runde erledige, will ich nie mehr im Leben ein einziges Gedicht lesen.«
»Das ist ja allerhand«, erklärte Sam, »wenn es auch über meinen Horizont geht, dass Sie sich aus dem Zeug etwas machen.«
Pat seufzte, antwortete aber nicht. In seinem ganzen Leben hatte er erst einen einzigen Menschen getroffen, der sich etwas aus Gedichten machte: die rothaarige Lehrerin, vor der er in die Wälder geflüchtet war.