Jack London – Gesammelte Werke

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»Al­les, al­les!« ant­wor­te­te sie stolz. »Und die Hälf­te von den Mö­beln. Das Ze­dern­holz­pult dort und den Tisch – al­les mit ei­ge­nen Hän­den.«

»Und da­bei sind es so zar­te Hän­de«, rief Sa­xon un­will­kür­lich.

Frau Hale warf ihr einen schnel­len Blick zu, und ein dank­ba­rer Aus­druck trat in ihr leb­haf­tes Ge­sicht.

»Sie sind zart«, sag­te sie mit wei­cher Stim­me, »die zar­tes­ten Hän­de, die ich je ge­kannt habe. Und es ist lieb von Ih­nen, dass Sie das be­merkt ha­ben, denn Sie sa­hen ihn ja nur ges­tern im Vor­bei­fah­ren.«

»Ich konn­te es ein­fach nicht las­sen«, sag­te Sa­xon.

Ihr Blick glitt von Frau Hale auf die Wand hin­ter ihr, die mit ei­nem rei­zen­den Mus­ter von Bie­nen­wa­ben, hie und da mit gol­de­nen Bie­nen, ge­schmückt war. An der Wand hin­gen ei­ni­ge we­ni­ge ein­ge­rahm­te Bil­der.

»Sie stel­len nur Men­schen vor«, sag­te Sa­xon, die sich der schö­nen Ge­mäl­de in Mark Halls Vil­la er­in­ner­te.

»Mei­ne Land­schafts­bil­der habe ich dort«, ant­wor­te­te Frau Hale und wies zum Fens­ter hin­aus. »Drin­nen will ich nur Bil­der von mei­nen Lie­ben ha­ben, die nicht im­mer bei mir sein kön­nen. Ei­ni­ge da­von sind schreck­li­che Land­strei­cher.«

»Ach!« Sa­xon war auf­ge­stan­den und be­trach­te­te eine Fo­to­gra­fie. »Sie ken­nen Kla­ra Has­tings?«

»Das soll­te ich mei­nen. Ich bin ihr wie eine Mut­ter ge­we­sen. Sie kam als klei­nes Kind zu mir, und ihre Mut­ter war mei­ne Schwes­ter. Wis­sen Sie, dass sie ihr ver­blüf­fend ähn­lich se­hen? Das sag­te ich auch ges­tern zu Ed­mund, und er hat­te es auch schon be­merkt. Kein Wun­der, dass ich mich gleich so zu euch bei­den hin­ge­zo­gen fühl­te, als ihr mit den schö­nen Pfer­den an­ge­fah­ren kamt.«

So war Frau Hale also die Tan­te Klar­as, und ge­hör­te auch zu dem al­ten Ge­schlecht, das über die Prä­rie ge­wan­dert war. Sa­xon wuss­te jetzt erst, warum sie sie so sehr an ihre ei­ge­ne Mut­ter er­in­ner­te.

Das Ge­spräch ent­glitt Bil­ly ganz, der nur im­mer die Ein­zel­hei­ten der Tisch­ler­ar­beit am Ze­dern­holz­pult be­wun­der­te. Sa­xon er­zähl­te, wie sie Kla­ra und Jack Has­tings auf ih­rer Jacht und auf der Fahrt in Ore­gon ge­trof­fen hät­ten. Sie sei­en im­mer noch auf der Rei­se, sag­te Frau Hale, hät­ten ihre Pfer­de von Van­cou­ver heim­ge­schickt und wä­ren mit ei­nem Damp­fer der Ka­na­da-Pa­zi­fik-Li­nie nach Eng­land ge­fah­ren. Frau Hale kann­te Sa­x­ons Mut­ter oder viel­mehr ihre Ge­dich­te und zeig­te ihr nicht nur die »Ge­schich­te der Rei­hen«, son­dern auch ein dickes Buch mit vie­len aus Zei­tun­gen aus­ge­schnit­te­nen Ge­dich­ten, die Sa­xon nie ge­se­hen hat­te. Sie sei eine gute Sän­ge­rin ge­we­sen, sag­te Frau Hale, aber so vie­le hät­ten in je­nen gol­de­nen Ta­gen ge­sun­gen und sei­en seit­her ver­ges­sen wor­den. Es hat­te da­mals noch nicht ein gan­zes Heer von Ma­ga­zi­nen ge­ge­ben, und die Ge­dich­te wa­ren mit den ver­schie­de­nen lo­ka­len Zei­tun­gen ver­lo­ren ge­gan­gen.

Jack Has­tings hat­te sich in Kla­ra ver­liebt, wie sie wei­ter er­zähl­te; bei ei­nem Be­such in »Tril­li­um Zuf­lucht« hat­te er sich in das So­no­ma­tal ver­liebt und einen pracht­vol­len Hof ge­kauft, von dem er je­doch nicht viel Freu­de hat­te, da er die meis­te Zeit auf Rei­sen in al­len Welt­tei­len ver­brach­te. Frau Hale er­zähl­te von ih­rer ei­ge­nen Wan­de­rung über die Prä­rie ge­gen Ende der fünf­zi­ger Jah­re, als sie noch ein klei­nes Mäd­chen war, und wie Frau Mor­ti­mer wuss­te sie sehr gut Be­scheid über den Kampf bei Litt­le Mea­dow und die Ver­nich­tung des Emi­gran­ten­zu­ges, des­sen ein­zi­ger Über­le­ben­der Bil­lys Va­ter ge­we­sen war.

»Und so«, schloss Sa­xon eine Stun­de spä­ter, »ha­ben wir drei Jah­re lang un­ser Mond­tal ge­sucht, und jetzt ha­ben wir es ge­fun­den.«

»Mond­tal?« frag­te Frau Hale. »Da habt ihr es also die gan­ze Zeit ge­wusst? Aber warum habt ihr denn so lan­ge ge­war­tet?«

»Nein, wir ha­ben es nicht ge­wusst, wir zo­gen nur aus, um es zu su­chen, ohne das ge­rings­te da­von zu wis­sen. Mark Hall nann­te es eine Pil­ger­fahrt und neck­te uns im­mer, dass wir lie­ber lan­ge Stä­be mit­brin­gen soll­ten. Er sag­te, wenn wir den Ort fän­den, wür­den wir es dar­an er­ken­nen, dass die Stä­be aus­schlü­gen. Er lach­te über all die Herr­lich­kei­ten, die wir in un­serm Tal zu fin­den er­war­te­ten, und ei­nes Ta­ges zog er mich auf die Ve­ran­da hin­aus und zeig­te mir durch ein Glas den Mond. Er sag­te, das sei die ein­zi­ge Stel­le, wo wir ein sol­ches Wun­der­tal fin­den könn­ten. Er mein­te na­tür­lich, es sei nur ein Traum, und wir nann­ten es schon sel­ber so und such­ten wei­ter da­nach.«

»Das ist doch ein merk­wür­di­ger Zu­fall«, rief Frau Hale. »Denn dies ist ja eben das Mond­tal.«

»Das weiß ich sehr gut«, sag­te Sa­xon ru­hig und zu­ver­sicht­lich, »denn hier ist al­les, was wir uns ge­wünscht ha­ben.«

»Aber Sie ver­ste­hen mich nicht, Kind. Dies ist wirk­lich das Mond­tal – das So­no­ma­tal. So­no­ma ist ein al­tes In­dia­ner­wort, das Mond­tal be­deu­tet. So nann­ten die In­dia­ner es vor vie­len Ge­ne­ra­tio­nen, ehe die ers­ten Wei­ßen hier­her­ka­men. Und wir, die es lie­ben, nen­nen es im­mer noch so.«

Und da er­in­ner­te sich Sa­xon der ge­heim­nis­vol­len An­deu­tun­gen, die Has­tings und sei­ne Frau ge­macht hat­ten, und die Un­ter­hal­tung zwi­schen den bei­den Frau­en wur­de fort­ge­setzt, bis Bil­ly un­ge­dul­dig wur­de. Er räus­per­te sich und er­griff selbst das Wort: »Wir möch­ten gern et­was über den Bau­ern­hof auf der an­de­ren Sei­te des Ba­ches er­fah­ren – wem er ge­hört, ob er zu ver­kau­fen ist, wo wir den Be­sit­zer fin­den und so wei­ter.«

Frau Hale stand auf.

»Las­sen Sie uns hin­ein­ge­hen und mit Ed­mund spre­chen«, sag­te sie, er­griff Sa­x­ons Hand und ging mit ihr vor­aus.

»Sieh ein­mal«, sag­te Bil­ly, der sie hoch über­rag­te. »Ich habe im­mer ge­dacht, dass Sa­xon klein war, aber es könn­ten doch zwei wie Sie aus ihr ge­macht wer­den.«

»Sie sind auch ein großer Mann«, lä­chel­te die klei­ne Frau, »aber Ed­mund ist noch grö­ßer als Sie und breit­schult­ri­ger.«

Sie gin­gen durch das hel­le Vor­zim­mer und tra­fen den großen, schö­nen Mann in sei­nem Zim­mer, wo er in sei­nem be­que­men Schau­kel­stuhl saß und las. Ne­ben dem Schau­kel­stuhl stand wie­der ein klei­ner rot­la­ckier­ter Kin­der­schau­kel­stuhl aus spa­ni­schem Rohr. Auf den Kni­en des Man­nes lag eine un­ge­wöhn­lich große ge­streif­te Kat­ze, die den Blick auf ein Stück Brenn­holz im Ka­min rich­te­te. Wie ihr Herr, wand­te sie den Ein­tre­ten­den den Kopf zu, um sie will­kom­men zu hei­ßen. Sa­xon fühl­te wie­der die Lie­be und den Se­gen, die ihr ent­ge­gen­ström­ten aus dem Ge­sicht die­ses Man­nes, sei­nen Au­gen und von sei­nen Hän­den, die ihr Blick ganz un­will­kür­lich such­te. Die Zart­heit die­ser Hän­de be­zau­ber­te sie di­rekt. Es wa­ren zärt­li­che Hän­de. Es wa­ren Hän­de, die von ei­nem Män­ner­typ er­zähl­ten, von dem sie sich nie et­was hat­te träu­men las­sen. Nie­mand in der hei­te­ren Schar in Car­mel hat­te sie ah­nen las­sen, dass ein sol­cher Mann exis­tier­te. Das dort wa­ren Künst­ler ge­we­sen. Hier war der Wis­sen­schaft­ler, der Phi­lo­soph. Statt dem lei­den­schaft­li­chen Aufruhr­drang der Ju­gend stand sie hier dem in Weis­heit be­grün­de­ten Wohl­wol­len ge­gen­über. Die­se zar­ten Hän­de hat­ten alle Bit­ter­nis des Le­bens von sich ge­sto­ßen und nur sei­ne Süße be­hal­ten. So gern sie auch die hei­te­re Schar in Car­mel hat­te, schau­der­te ihr doch bei dem Ge­dan­ken, wie ei­ni­ge von ih­nen wohl im Al­ter sein wür­den – na­ment­lich der Thea­ter­kri­ti­ker und der Ei­sen­mann.

»Hier hast du die bei­den lie­ben Kin­der, Ed­mund«, sag­te Frau Hale. »Und kannst du dir den­ken – sie wol­len die Ma­dron­jo­ranch kau­fen. Sie ha­ben drei Jah­re lang da­nach ge­sucht – aber ich habe üb­ri­gens ver­ges­sen zu er­zäh­len, dass wir zehn Jah­re lang nach ›Tril­li­um Zuf­lucht‹ ge­sucht ha­ben. Er­zähl ih­nen jetzt al­les, was du weißt. Herr Nais­mith will wohl im­mer noch ver­kau­fen?«

Sie setz­ten sich auf die großen ein­fa­chen Stüh­le; Frau Hale in den win­zi­gen Schau­kel­stuhl ne­ben dem großen, und ihre fei­ne Hand lag wie eine Ran­ke in der Ed­munds. Und wäh­rend Sa­xon zu­hör­te, er­fass­te ihr Blick alle Ein­zel­hei­ten des stren­gen Rau­mes mit den ho­hen Bü­cher­re­ga­len. Ihr be­gann auf­zu­ge­hen, dass ein Ge­bäu­de aus Holz und Stein sehr wohl dem Geist des Man­nes, der es sich er­dacht und er­schaf­fen hat, Aus­druck ver­lei­hen kann. Die zar­ten Hän­de hat­ten al­les dies ge­schaf­fen – selbst die Mö­bel – wie sie sich sag­te, wäh­rend ihr Blick vom Pult zum Stuhl, vom Ar­beit­s­tisch zum Le­se­tisch ne­ben dem Bett in dem an­de­ren Zim­mer schweif­te, wo eine Lam­pe mit grü­nem Schirm stand und große ge­ord­ne­te Sta­pel von Zeit­schrif­ten und Bü­chern la­gen.

Mit der Ma­dron­jo­ranch, sag­te er, sei es sehr ein­fach. Nais­mith wol­le ver­kau­fen. Er wol­le schon seit fünf Jah­ren ver­kau­fen, seit er an­ge­fan­gen habe, die Mi­ne­ral­quel­len wei­ter ab­wärts im Tal zu er­schlie­ßen. Es sei ein Glück, dass er der Be­sit­zer sei, denn fast der gan­ze Bo­den in der Ge­gend ge­hö­re ei­nem Fran­zo­sen – ei­nem An­sied­ler aus der frü­he­s­ten Zeit – der auch nicht einen Fuß­breit ver­kau­fen wol­le. Er sei Bau­er mit der gan­zen Lie­be des Bau­ers zu sei­ner Erde, und die­se Lie­be sei bei ihm zu ei­ner Art Be­ses­sen­heit, ei­ner Krank­heit ge­wor­den. Er sei ein Geiz­hals mit sei­nem Bo­den­geiz. Da er aber gleich­zei­tig ein schlech­ter Ge­schäfts­mann, alt und ei­gen­wil­lig wäre, sei er doch ein ar­mer Mann, und es sei eine of­fe­ne Fra­ge, was zu­erst kom­men wür­de – sein Tod oder sein Kon­kurs.

Die Ma­dron­jo­ranch ge­hör­te Nais­mith, der den Bo­den auf fünf­zig Dol­lar den Mor­gen ta­xier­te. Das mach­te tau­send Dol­lar, denn es wa­ren zwan­zig Mor­gen. Als land­wirt­schaft­li­che Spe­ku­la­ti­on und nach al­ten Metho­den be­wirt­schaf­tet, war es das nicht wert. Als Ge­schäftss­pe­ku­la­ti­on, ja, denn die Au­ßen­welt hat­te ge­ra­de jetzt das Tal und sei­ne Mög­lich­kei­ten ent­deckt, es gab kei­ne bes­se­re Lage für ein Som­mer­heim. Und als Spe­ku­la­ti­on in Freu­de an ei­ner schö­nen Um­ge­bung und ei­nem herr­li­chen Kli­ma war es tau­send­mal den Preis wert, der ver­langt wur­de. Und er wuss­te, dass Nais­mith den Haupt­be­trag lan­ge stun­den wür­de. Ed­munds Vor­schlag ging dar­auf hin­aus, dass sie das Haus auf zwei Jah­re mit Vor­kaufs­recht pach­ten soll­ten, so­dass die Pacht von der Kauf­sum­me ab­ge­zo­gen wür­de, wenn sie sich dazu ent­sch­lös­sen. Nais­mith hat­te ein­mal ein glei­ches Ar­ran­ge­ment mit ei­nem Schwei­zer ge­habt, der eine mo­nat­li­che Ab­ga­be von zehn Dol­lar be­zahl­te. Dann aber war sei­ne Frau ge­stor­ben, und er hat­te al­les auf­ge­ge­ben.

 

Ed­mund er­riet bald, dass Bil­ly hier zu ei­ner Ent­sa­gung ge­zwun­gen war, wenn ihm auch nicht ganz klar wur­de, wor­auf die­se Ent­sa­gung hin­aus­ging, und durch ein paar Fra­gen er­fuhr er, was es war – der alte An­sied­ler­traum von mäch­ti­gen Land­stre­cken, von Vieh, das auf hun­dert Hü­geln wei­de­te, und von hun­dert­und­sech­zig Mor­gen Land als Mi­ni­mum für ein Güt­chen.

»Aber Sie brau­chen all das Land gar nicht, mein lie­ber jun­ger Freund«, sag­te Ed­mund mil­de, »ich sehe, Sie ver­ste­hen wirk­lich et­was von in­ten­si­ver Land­wirt­schaft. Ha­ben Sie je an Pfer­de­zucht ge­dacht?«

Bil­ly blieb der Mund of­fen­ste­hen, so läh­mend neu er­schi­en ihm der Ge­dan­ke. Er ver­such­te, ihn durch­zu­den­ken, konn­te aber die bei­den Din­ge nicht mit­ein­an­der ver­ei­ni­gen. Ein un­gläu­bi­ger Aus­druck trat in sei­ne Au­gen.

»Das müs­sen Sie mir zu­erst er­klä­ren«, rief er.

Der Äl­te­re lä­chel­te freund­lich.

»Las­sen Sie uns se­hen! Ers­tens brau­chen Sie die zwan­zig Mor­gen nur zum An­se­hen. Die Wie­se ist fünf Mor­gen groß. Sie brau­chen nicht mehr als zwei, um vom Ver­kauf des Ge­mü­ses le­ben zu kön­nen. In Wirk­lich­keit kön­nen Sie und Ihre Frau, selbst wenn Sie von Ta­ge­s­an­bruch bis zum Dun­kel­wer­den ar­bei­ten, nicht ein­mal die bei­den Mor­gen or­dent­lich be­wirt­schaf­ten. Blei­ben drei Mor­gen üb­rig. Sie ha­ben reich­lich Was­ser von den Quel­len. Sie dür­fen sich nicht mit ei­ner Ern­te im Jahr be­gnü­gen wie die an­de­ren un­mo­der­nen Land­wir­te hier im Tal. Be­trei­ben Sie al­les, wie Sie das Stück­chen mit Ge­mü­se be­trei­ben, bis zur äu­ßers­ten Trag­fä­hig­keit des Bo­dens und das gan­ze Jahr hin­durch, in Ern­ten, die zum Fut­ter für Pfer­de be­nutzt wer­den kön­nen, und in­dem Sie be­stän­dig be­rie­seln, dün­gen und Wech­sel­wirt­schaft be­trei­ben. Auf den drei Mor­gen kön­nen Sie so vie­le Pfer­de hal­ten wie auf ei­nem, Gott mag wis­sen, wie großen Are­al ver­nach­läs­sig­ter, un­be­sä­ter Wei­de. Den­ken Sie über die Sa­che nach. Ich will Ih­nen Bü­cher über den Ge­gen­stand lei­hen. Ich weiß nicht, wie groß Ihre Ern­ten wer­den, und weiß auch nicht, wie viel ein Pferd frisst – das müs­sen Sie sel­ber her­aus­zu­fin­den su­chen. Aber ich bin ganz si­cher, dass Sie sich, wenn Sie sich einen Mann mie­ten, der Ih­rer Frau bei dem Ge­mü­se hel­fen kann, all­mäh­lich so vie­le Pfer­de an­schaf­fen kön­nen, wie Sie auf Ihren drei Mor­gen er­näh­ren kön­nen. Und dann wird es Zeit sein, mehr Bo­den, mehr Pfer­de, mehr Reich­tum zu er­wer­ben, wenn das Sie glück­lich macht.«

Bil­ly ver­stand ihn und brach be­geis­tert aus:

»Sie ver­ste­hen et­was von Land­wirt­schaft, das muss ich sa­gen!«

Ed­mund sah sei­ne Frau lä­chelnd an.

»Sag du ihm, was du dazu meinst, An­net­te.«

Ihre blau­en Au­gen fun­kel­ten, als sie der Auf­for­de­rung nach­kam.

»Der lie­be Mensch, er be­treibt nie die ge­rings­te Land­wirt­schaft und hat es nie ge­tan. Aber er ver­steht sich dar­auf.« Sie mach­te eine Hand­be­we­gung über die ge­füll­ten Bü­cher­re­ga­le an den Wän­den. »Er stu­diert das Gute. Er stu­diert al­les Gute, das alle gu­ten Män­ner un­ter der Son­ne ver­rich­tet ha­ben. Sein Ver­gnü­gen ist es, zu le­sen und Tisch­ler­ar­bei­ten zu ver­fer­ti­gen.«

»Ver­giss nicht Dul­cie«, pro­tes­tier­te Ed­mund sanft.

»Ja, und Dul­cie!« An­net­te lach­te. »Dul­cie ist un­se­re Kuh. Jack Has­tings kann sich nie dar­über klar wer­den, ob Ed­mund Dul­cie mehr liebt oder Dul­cie Ed­mund. Wenn er nach San Fran­zis­ko reist, ist Dul­cie ganz ver­zwei­felt. Und das ist Ed­mund auch, und es en­det da­mit, dass er Hals über Kopf heim­kommt. Ja, ich bin oft ganz ei­fer­süch­tig auf Dul­cie ge­we­sen. Aber ich muss ge­ste­hen, dass er sie wie kein an­de­rer zu neh­men weiß.«

»Ja, das ist der ein­zi­ge prak­ti­sche Ge­gen­stand, den ich aus Er­fah­rung ken­ne«, be­stä­tig­te Ed­mund. »Ich bin eine Au­to­ri­tät in Be­zug auf Jer­sey-Kühe. Wenn Sie einen gu­ten Rat brau­chen, so wen­den Sie sich nur an mich.«

Er stand auf und trat an die Bü­cher­re­ga­le, und sie sa­hen, wie groß und gut ge­wach­sen er war. Er blieb mit ei­nem Buch in der Hand ste­hen, um eine Fra­ge zu be­ant­wor­ten, die Sa­xon an ihn rich­te­te. Nein, es gäbe kei­ne Mos­ki­tos, wenn auch in ei­nem Som­mer, als der Süd­wind vol­le drei Tage weh­te – et­was ganz Un­er­hör­tes –, ein paar Mos­ki­tos von der San Pa­blo-Bucht2 her­ge­kom­men wä­ren. Und was den Ne­bel be­trä­fe, so sei er es, der das Tal zu dem mach­te, was es wäre. Und da es im Schutz des So­noma­ber­ges läge, ge­hör­ten die Ne­bel fast im­mer den hö­he­ren Luft­schich­ten an. Sie kämen vom vier­zig Mei­len ent­fern­ten Ozean, stie­ßen dann ge­gen den So­noma­berg und wür­den hoch in die Luft ge­trie­ben. Und noch ei­nes – ›Tril­li­um Zuf­lucht‹ und die Ma­dron­jo­ranch lä­gen sehr ge­schützt in ei­nem schma­len Wär­me­gür­tel, so­dass die Tem­pe­ra­tur an den kal­ten Win­ter­mor­gen meh­re­re Grad hö­her als im üb­ri­gen Tal sei. In Wirk­lich­keit sei Frost et­was sehr Sel­te­nes im Wär­me­gür­tel, was deut­lich dar­aus her­vor­gin­ge, dass man mit Er­folg ge­wis­se Ap­fel­si­nen- und Zitro­nen­ar­ten ge­züch­tet hät­te.

Ed­mund las ih­nen wei­ter Ti­tel vor und nahm Bü­cher her­aus, bis er einen gan­zen Sta­pel zu­sam­men hat­te. Er schlug das obers­te, Bol­ton Halls »Drei Mor­gen und Frei­heit« auf und las ih­nen von ei­nem Man­ne vor, der sechs­hun­dert­und­fünf­zig Mei­len jähr­lich ging, um auf ver­al­te­te Wei­se zwan­zig Mor­gen zu be­bau­en, von de­nen er drei­tau­send Schef­fel schlech­ter Kar­tof­feln ern­te­te, und von ei­nem an­de­ren Mann, ei­nem »mo­der­nen« Land­wirt, der nur fünf Mor­gen be­bau­te, zwei­hun­dert Mei­len ging und drei­tau­send Schef­fel Früh­kar­tof­feln ern­te­te, die er zu ei­nem weit hö­he­ren Prei­se ver­kauf­te als der ers­te Mann.

Sa­xon nahm die Bü­cher und be­lud, nach­dem sie die Ti­tel ge­le­sen hat­te, Bil­ly da­mit.

»Ihr könnt mehr ho­len, wenn ihr sie braucht«, sag­te Ed­mund freund­lich. »Ich habe Hun­der­te von Bü­chern über Land­wirt­schaft und alle land­wirt­schaft­li­chen Be­rich­te –, und so­bald ihr einen Tag Zeit habt, müsst ihr kom­men und Dul­cie ken­nen­ler­nen«, rief er ih­nen nach, als sie durch die Tür schrit­ten.

*

Als Frau Mor­ti­mer mit Sä­me­rei­ka­ta­lo­gen und Bü­chern über Land­wirt­schaft kam, fand sie Sa­xon in den Bü­chern ver­gra­ben, die sie sich von Ed­mund Hale ge­lie­hen hat­te. Sa­xon zeig­te ihr al­les, und sie war sehr be­geis­tert, auch über den Miets­kon­trakt und das Vor­kaufs­recht.

»Und jetzt«, sag­te sie, »wol­len wir se­hen, wie wir es an­pa­cken. Setzt euch, alle bei­de! Jetzt hal­tet ihr Kriegs­rat, und ich bin der ein­zi­ge Mensch in der Welt, der euch er­zäh­len kann, was ihr zu tun habt. Und das soll­te ich wohl noch fer­tig­brin­gen! Ein Mensch, der eine große Biblio­thek um­ge­ord­net und ka­ta­lo­gi­siert hat, soll­te wohl noch zwei jun­ge Men­schen in Gang brin­gen kön­nen. So, wo wol­len wir an­fan­gen?«

Sie be­dach­te sich einen Au­gen­blick.

»Zu­nächst ist die Ma­dron­jo­ranch ein aus­ge­zeich­ne­ter Kauf. Ich ver­ste­he mich auf Bo­den, ich ver­ste­he mich auf Kli­ma, ich ver­ste­he mich dar­auf, was schön ist. Die Ma­dron­jo­ranch ist eine wah­re Gold­gru­be. Es steckt ein Ver­mö­gen in ihr. Wie ihr sie be­wirt­schaf­ten sollt – aber das will ich euch spä­ter er­zäh­len. Ers­tens habt ihr den Bo­den. Zwei­tens – was wollt ihr da­mit ma­chen? Ihr wollt euer Brot da­mit ver­die­nen? Ja, Ge­mü­se? Selbst­ver­ständ­lich. Was wollt ihr da­mit ma­chen, wenn ihr es ge­ern­tet habt? Ver­kau­fen? Aber wo? – Nun hört mal zu! Ihr müsst es ma­chen wie ich. Ihr müsst den Zwi­schen­händ­ler aus­schal­ten. Ver­kauft di­rekt an den Ver­brau­cher. Trom­melt euch eu­ern ei­ge­nen Markt zu­sam­men. Wisst ihr, was ich vom Zug aus sah, als ich nur ein paar Mei­len von hier durch das Tal fuhr? Ho­tels, Quel­len, Som­mer­häu­ser – Be­völ­ke­rung, Men­schen, die ge­füt­tert wer­den wol­len: den Markt. Wie wird der Markt ver­sorgt? Ich sah mich ver­ge­bens nach Han­dels­gärt­ne­rei­en um! Bil­ly, span­nen Sie die Pfer­de vor den Wa­gen und ma­chen Sie mit Sa­xon und mir eine Spa­zier­fahrt. Um das üb­ri­ge braucht ihr euch vor­läu­fig nicht zu küm­mern. Lasst es nur ge­hen, wie es will. Hat es einen Zweck zu fah­ren, wenn man nicht ein­mal die Adres­se weiß? Wir wol­len uns heu­te Nach­mit­tag nach der Adres­se er­kun­di­gen. Dann wer­den wir wis­sen, wie es steht.«

Aber Sa­xon fuhr nicht mit. Es war zu viel zu tun; in dem ver­nach­läs­sig­ten Hau­se auf­zuräu­men und da­für zu sor­gen, dass Frau Mor­ti­mer eine Stel­le hat­te, wo sie schla­fen konn­te. Und Bil­ly und Frau Mor­ti­mer kehr­ten erst spät nach der üb­li­chen Abend­brot­zeit zu­rück.

»Ihr bei­den glück­li­chen Kin­der!« be­gann sie, so­bald sie zur Tür her­ein­ge­tre­ten war. »Das Tal hat eben an­ge­fan­gen sich zu re­gen. Hier habt ihr eu­ern Markt. – Nicht eine Kon­kur­renz in dem gan­zen Tal. Mir schi­en ja schon, dass die Ho­tels so neu aus­sa­hen – Ca­li­en­te, die Ther­mal­quel­len von Boy­es, El Vera­no und die gan­ze Rei­he durch. Und auch in Glen El­len gibt es drei klei­ne Ho­tels, di­rekt ne­ben­ein­an­der. Oh, ich habe mit al­len Be­sit­zern und Ver­wal­tern ge­spro­chen.«

»Sie ist pracht­voll«, sag­te Bil­ly be­wun­dernd. »Sie wür­de di­rekt zum lie­ben Gott fah­ren und mit ihm über Ge­schäf­te re­den. Du hät­test sie nur se­hen sol­len.«

Frau Mor­ti­mer dank­te für das Kom­pli­ment und fuhr fort:

»Und wo kommt all das Ge­mü­se her? Mit dem Wa­gen zwölf und fünf­zehn Mei­len weit, von San­ta Rosa und oben von So­no­ma. Das sind die nächs­ten Höfe, die sich mit Ge­mü­se ab­ge­ben, und wenn sie nicht die stei­gen­de Nach­fra­ge be­frie­di­gen kön­nen, was oft ge­schieht, dann müs­sen die Ver­wal­ter sich das Ge­mü­se aus San Fran­zis­ko schi­cken las­sen. Ich habe ih­nen Bil­ly vor­ge­stellt, und sie ha­ben sich be­reit er­klärt, ihn zu un­ter­stüt­zen. Das ist auch bes­ser für sie. Ihr könnt ih­nen eben­so gu­tes Ge­mü­se zum sel­ben Preis lie­fern. Ihr müsst se­hen, dass ihr et­was Bes­se­res lie­fert, fri­sche­res Ge­mü­se; ihr dürft ja nicht ver­ges­sen, dass ihr bil­li­ger lie­fern könnt, weil ihr ein kür­ze­res Stück zu fah­ren habt.

Hier gibt es kei­ne ganz fri­schen Eier, kein Ein­ge­mach­tes, kein Ge­lee; aber ihr habt mas­sen­haft Platz auf dem Hang, wo ihr kein Ge­mü­se an­bau­en könnt. Mor­gen will ich euch zei­gen, wie ihr Hüh­ner­stäl­le und einen Hüh­ner­hof an­le­gen könnt. Und auch Ka­pau­nen für den Markt in San Fran­zis­ko müsst ihr ha­ben. Ihr fangt selbst­ver­ständ­lich klein an da­mit, nur als Ne­ben­ge­schäft. Ich wer­de euch schon Be­scheid sa­gen und euch Bü­cher schi­cken. Ihr müsst eure Köp­fe an­stren­gen. Lasst die an­de­ren die Ar­beit tun. Das müsst ihr euch ein für al­le­mal rich­tig klar­ma­chen. Es ist im­mer teu­rer, je­mand zur Beauf­sich­ti­gung zu ha­ben als für die Ar­beit selbst. Ihr müsst buch­füh­ren. Ihr müsst wis­sen, wie ihr steht. Ihr müsst wis­sen, was sich lohnt, was sich nicht lohnt, und was sich am bes­ten lohnt. Das wer­den die Bü­cher euch sa­gen. Ich will euch al­les zei­gen – wenn es so weit ist.«

»Und al­les das auf zwei Mor­gen!« mur­mel­te Bil­ly.

Frau Mor­ti­mer warf ihm einen stren­gen Blick zu.

»Was ist das für ein Un­sinn mit zwei Mor­gen?« sag­te sie stren­ge. »Fünf Mor­gen! Und da­bei könnt ihr nicht ein­mal die Nach­fra­ge be­frie­di­gen. Und Sie, mein jun­ger Freund, wer­den schon nebst Ihren Pfer­den ge­nug zu tun be­kom­men, um die Wie­se zu drä­nie­ren, wenn der ers­te Re­gen kommt. Das wer­den wir al­les mor­gen be­spre­chen. Auch die Fra­ge be­züg­lich des Bee­ren­obs­tes auf dem Hang – und fei­ner Spa­lier­trau­ben – zum Ro­hes­sen. Da­für er­zie­len Sie di­rekt fan­tas­ti­sche Prei­se. Und Brom­bee­ren – Bur­banks, er lebt in San­ta Rosa – Lo­gan­bee­ren, Mam­mut­bee­ren. Aber ver­schwen­det kei­ne Zeit auf Erd­bee­ren. Das ist eine gan­ze Ar­beit für sich. Die sind nicht wie Wein­stö­cke, ver­steht ihr? Ich habe den Obst­gar­ten un­ter­sucht. Es ist gu­tes Ma­te­ri­al, das nur be­ar­bei­tet wer­den muss. Spä­ter kön­nen wir über Oku­lie­ren und der­glei­chen re­den.«

 

»Aber Bil­ly will doch drei Mor­gen von der Wie­se ha­ben«, er­klär­te Sa­xon, so­bald sie ein Wort ein­wer­fen konn­te.

»Wozu?«

»Für Heu und sons­ti­ges Fut­ter für die Pfer­de, die er züch­ten will.«

»Kau­fen Sie das für einen Teil des Ver­diens­tes, den Sie mit den drei Mor­gen er­zie­len«, er­klär­te Frau Mor­ti­mer rasch.

Bil­ly muss­te wie­der ent­sa­gen.

»Na ja«, sag­te er mit ei­nem ehr­li­chen Ver­such, froh und ver­gnügt aus­zu­se­hen. »Dann las­sen wir den Vo­gel flie­gen – und hal­ten uns ans Ge­mü­se.«

In den Ta­gen, die der Be­such Frau Mor­ti­mers dau­er­te, über­ließ Bil­ly es den Frau­en, al­les zu ord­nen, wie es ih­nen ge­fiel. Für Oa­k­land hat­te eine Pe­ri­ode des Auf­stiegs be­gon­nen, und vom Fuhr­mann dort war eine drin­gen­de Nach­fra­ge nach wei­te­ren Pfer­den ge­kom­men. Folg­lich war Bil­ly früh und spät un­ter­wegs und durch­stö­ber­te die gan­ze Ge­gend, um jun­ge Ar­beits­pfer­de zu fin­den. Auf die Wei­se lern­te er das Tal gleich gründ­lich ken­nen. Der Stall woll­te auch eine An­zahl Pfer­de ver­kau­fen, de­nen die Füße auf dem har­ten Stein­pflas­ter in den Städ­ten ver­dor­ben wa­ren, und ihm wur­de, was er brauch­te, zu sehr bil­li­gen Prei­sen an­ge­bo­ten. Es wa­ren gute Tie­re. Das wuss­te er, denn er kann­te sie von frü­her her. Der wei­che Bo­den muss­te den Scha­den bald ku­rie­ren, na­ment­lich, wenn er ih­nen an­fangs eine Wei­le ohne Ei­sen Ruhe auf der Wei­de gönn­te. Selbst­ver­ständ­lich konn­ten sie nie wie­der fürs Pflas­ter ge­braucht wer­den, aber für Land­ar­beit wa­ren sie noch vie­le Jah­re lang zu ver­wen­den. Und dann muss­te er ja auch an das Ge­stüt den­ken. Aber er wag­te es nicht, sich auf den Kauf ein­zu­las­sen. Er kämpf­te heim­lich mit sich und sag­te Sa­xon nichts da­von.

Abends saß er in der Kü­che und rauch­te, wäh­rend er zu­hör­te, was die bei­den Frau­en im Lau­fe des Ta­ges ver­rich­tet und ge­plant hat­ten. Es war schwer, die rich­ti­gen Pfer­de zu fin­den und, wie er sich aus­drück­te, es wur­de den Bau­ern so schwer, als soll­ten sie sich einen Zahn zie­hen las­sen, wenn sie sich auch nur von ei­nem ein­zi­gen tren­nen soll­ten, und das, ob­gleich er au­to­ri­siert war, die Kauf­sum­me um fünf­zig Dol­lar zu er­hö­hen. Trotz den Au­to­mo­bi­len stieg der Preis für schwe­re Ar­beits­pfer­de be­stän­dig. So­lan­ge Bil­ly den­ken konn­te, war der Preis für große Ar­beits­pfer­de im­mer ge­stie­gen. Nach dem großen Erd­be­ben war eine plötz­li­che Stei­ge­rung ge­kom­men, aber die Prei­se wa­ren nie wie­der ge­fal­len.

»Bil­ly, Sie ver­die­nen als Pfer­de­händ­ler wohl mehr, als Sie als ge­wöhn­li­cher Ar­bei­ter hat­ten?« frag­te Frau Mor­ti­mer. »Nun ja! Aber Sie soll­ten sich lie­ber dar­an ma­chen, die Wie­se zu drä­nie­ren, zu pflü­gen oder der­glei­chen. Sie kau­fen wei­ter Pfer­de. Sie müs­sen mit dem Kopf ar­bei­ten. Aber von dem, was Sie ver­die­nen, wer­den Sie ge­fäl­ligst einen Mann ent­loh­nen, der mit Sa­xon im Ge­mü­se ar­bei­ten kann. Das ist eine gute Geld­an­lage, und so et­was bringt hohe Pro­zen­te – ja, und das schnell.«

»Ge­wiss«, ant­wor­te­te er. »Des­halb be­zahlt man wohl einen Mann – um an ihm zu ver­die­nen. Aber wie Sa­xon und ein Mann mit den fünf Mor­gen fer­tig wer­den sol­len, wenn Herr Hale sagt, dass wir zwei nicht alle Ar­beit auf zwei Mor­gen ver­rich­ten kön­nen – das geht über mei­nen Ver­stand.«

»Sa­xon soll auch nicht sel­ber ar­bei­ten«, ant­wor­te­te Frau Mor­ti­mer. »Habt ihr viel­leicht ge­se­hen, dass ich in San José et­was ar­bei­te­te? Sa­xon soll ih­ren Kopf ge­brau­chen – es wird bald Zeit, dass ihr das merkt! An­dert­halb Dol­lar täg­lich. Das ver­die­nen Leu­te, die nicht mit dem Kop­fe ar­bei­ten. Und sie soll sich nicht mit an­dert­halb Dol­lar den Tag be­gnü­gen. Hört mal! Ich hat­te heu­te Nach­mit­tag eine lan­ge Un­ter­hal­tung mit Herrn Hale. Er sagt, dass man tat­säch­lich kei­ne or­dent­li­chen Leu­te zur Ar­beit hier im Tal be­kom­men kann.«

»Das weiß ich gut«, warf Bil­ly ein. »Alle tüch­ti­gen Leu­te ge­hen in die Städ­te. Nur der Bo­den­satz bleibt. Und die gu­ten, die blei­ben, ar­bei­ten nicht für an­de­re.« »Ja, das ist Wort für Wort wahr. Aber hört ein­mal, Kin­der. Ich weiß das sehr gut, und ich habe mit Herrn Hale dar­über ge­spro­chen. Er ist be­reit, al­les für euch zu ord­nen. Er ver­steht sich dar­auf, und er kennt den In­spek­tor. Kurz, ihr könnt zwei be­dingt be­gna­dig­te Ge­fan­ge­ne aus San Quen­tin für die Gar­ten­ar­beit be­kom­men. Es gibt dort eine Men­ge Chi­ne­sen und Ita­lie­ner, und die sind bei wei­tem die bes­ten Han­dels­gärt­ner. Auf die Wei­se schlagt ihr zwei Flie­gen mit ei­ner Klap­pe. Ihr helft den ar­men Ge­fan­ge­nen, und ihr helft euch sel­ber.«

Sa­xon war er­schro­cken und wuss­te nicht, was sie sa­gen soll­te, wäh­rend Bil­ly den Vor­schlag mit tie­fem Ernst über­leg­te.

»Ihr kennt doch John?« fuhr Frau Mor­ti­mer fort. »Ich mei­ne, Herrn Ha­les Gärt­ner. Wie ge­fällt er euch?«

»Ach, ich habe erst heu­te Mor­gen ge­dacht, wie nett es wäre, einen Mann wie John zu be­kom­men«, sag­te Sa­xon eif­rig. »Er ist eine freund­li­che, treue See­le. Frau Hale hat mir viel Gu­tes von ihm er­zählt.«

»Aber ei­nes hat sie nicht er­zählt«, sag­te Frau Mor­ti­mer lä­chelnd, »näm­lich, dass John ein be­dingt be­gna­dig­ter Straf­ge­fan­ge­ner ist. Vor acht­und­zwan­zig Jah­ren ge­riet er mit ei­nem Mann um fünf­und­sech­zig Cent in Streit, und in der Hef­tig­keit er­schlug er ihn. Er ist jetzt seit drei Jah­ren bei der Fa­mi­lie Hale. Erin­nert ihr euch an den al­ten Fran­zo­sen, den ich hat­te? Mit dem war es ge­nau eben­so. Dar­über sind wir uns also ei­nig. Wenn eure zwei kom­men, na­tür­lich müsst ihr ih­nen einen gu­ten Lohn zah­len – und wir wol­len schon da­für sor­gen, dass sie von der sel­ben Na­tio­na­li­tät sind, Chi­ne­sen oder Ita­lie­ner – nun ja, wenn sie kom­men, dann wird John mit ih­nen zu­sam­men und un­ter Auf­sicht von Herrn Hale eine klei­ne Hüt­te für sie bau­en, wo sie woh­nen kön­nen. Wir kön­nen selbst die Stel­le da­für aus­su­chen. Wenn aber der Be­trieb erst in vol­lem Gan­ge ist, müs­sen wir se­hen, euch mehr Hil­fe zu ver­schaf­fen. Sie müs­sen eben die Au­gen ein we­nig of­fen hal­ten, Bil­ly, wenn Sie durch das Tal wan­dern.«

Am nächs­ten Abend war Bil­ly zur ge­wöhn­li­chen Zeit nicht heim­ge­kom­men, und um neun Uhr er­schi­en ein rei­ten­der Bote von Glen El­len mit ei­nem Te­le­gramm. Bil­ly hat­te es von Lake Coun­ty ge­schickt. Er war auf der Su­che nach Pfer­den für Oa­k­land.

Erst am drit­ten Tage kam er heim, tod­mü­de, aber sehr stolz, was er nicht zu ver­heh­len such­te.

»Nun, was ha­ben Sie in den drei Ta­gen ge­macht?« frag­te Frau Mor­ti­mer.

»Ich habe mei­nen Kopf ge­braucht«, ant­wor­te­te er mit großem Selbst­be­wusst­sein. »Ich habe zwei Flie­gen mit ei­ner Klap­pe ge­schla­gen, und ich habe eine gan­ze Schar ge­schla­gen. Hm! Ich hör­te et­was da­von in Lawn­da­le, und ich will Ih­nen nur sa­gen, dass Ha­zel und Hat­tie fast zu­schan­den ge­fah­ren wa­ren, als ich sie in einen Stall in Ca­li­sto­ga stell­te und mit der Post wei­ter nach St. He­le­na fuhr. Ich kam ge­ra­de zu­recht und krieg­te sie zu fas­sen – acht star­ke Tie­re – sie ge­hör­ten alle ei­nem Fuhr­mann in den Ber­gen. Es wa­ren jun­ge Tie­re, so ge­sund und frisch, wie man sie sich nur wün­schen kann, und das leich­tes­te von ih­nen wog über fünf­zehn­hun­dert. Ich habe sie heu­te Abend in Ca­li­sto­ga ver­la­den. Und – das ist noch nicht al­les. Zu­erst habe ich in Lawn­da­le mit dem Mann ge­spro­chen, der für den Stein­bruch fährt. Pfer­de ver­kau­fen? Er war ganz ver­ses­sen dar­auf, wel­che zu kau­fen. Ja, er woll­te sie so­gar mie­ten, sag­te er.«