»Alles, alles!« antwortete sie stolz. »Und die Hälfte von den Möbeln. Das Zedernholzpult dort und den Tisch – alles mit eigenen Händen.«
»Und dabei sind es so zarte Hände«, rief Saxon unwillkürlich.
Frau Hale warf ihr einen schnellen Blick zu, und ein dankbarer Ausdruck trat in ihr lebhaftes Gesicht.
»Sie sind zart«, sagte sie mit weicher Stimme, »die zartesten Hände, die ich je gekannt habe. Und es ist lieb von Ihnen, dass Sie das bemerkt haben, denn Sie sahen ihn ja nur gestern im Vorbeifahren.«
»Ich konnte es einfach nicht lassen«, sagte Saxon.
Ihr Blick glitt von Frau Hale auf die Wand hinter ihr, die mit einem reizenden Muster von Bienenwaben, hie und da mit goldenen Bienen, geschmückt war. An der Wand hingen einige wenige eingerahmte Bilder.
»Sie stellen nur Menschen vor«, sagte Saxon, die sich der schönen Gemälde in Mark Halls Villa erinnerte.
»Meine Landschaftsbilder habe ich dort«, antwortete Frau Hale und wies zum Fenster hinaus. »Drinnen will ich nur Bilder von meinen Lieben haben, die nicht immer bei mir sein können. Einige davon sind schreckliche Landstreicher.«
»Ach!« Saxon war aufgestanden und betrachtete eine Fotografie. »Sie kennen Klara Hastings?«
»Das sollte ich meinen. Ich bin ihr wie eine Mutter gewesen. Sie kam als kleines Kind zu mir, und ihre Mutter war meine Schwester. Wissen Sie, dass sie ihr verblüffend ähnlich sehen? Das sagte ich auch gestern zu Edmund, und er hatte es auch schon bemerkt. Kein Wunder, dass ich mich gleich so zu euch beiden hingezogen fühlte, als ihr mit den schönen Pferden angefahren kamt.«
So war Frau Hale also die Tante Klaras, und gehörte auch zu dem alten Geschlecht, das über die Prärie gewandert war. Saxon wusste jetzt erst, warum sie sie so sehr an ihre eigene Mutter erinnerte.
Das Gespräch entglitt Billy ganz, der nur immer die Einzelheiten der Tischlerarbeit am Zedernholzpult bewunderte. Saxon erzählte, wie sie Klara und Jack Hastings auf ihrer Jacht und auf der Fahrt in Oregon getroffen hätten. Sie seien immer noch auf der Reise, sagte Frau Hale, hätten ihre Pferde von Vancouver heimgeschickt und wären mit einem Dampfer der Kanada-Pazifik-Linie nach England gefahren. Frau Hale kannte Saxons Mutter oder vielmehr ihre Gedichte und zeigte ihr nicht nur die »Geschichte der Reihen«, sondern auch ein dickes Buch mit vielen aus Zeitungen ausgeschnittenen Gedichten, die Saxon nie gesehen hatte. Sie sei eine gute Sängerin gewesen, sagte Frau Hale, aber so viele hätten in jenen goldenen Tagen gesungen und seien seither vergessen worden. Es hatte damals noch nicht ein ganzes Heer von Magazinen gegeben, und die Gedichte waren mit den verschiedenen lokalen Zeitungen verloren gegangen.
Jack Hastings hatte sich in Klara verliebt, wie sie weiter erzählte; bei einem Besuch in »Trillium Zuflucht« hatte er sich in das Sonomatal verliebt und einen prachtvollen Hof gekauft, von dem er jedoch nicht viel Freude hatte, da er die meiste Zeit auf Reisen in allen Weltteilen verbrachte. Frau Hale erzählte von ihrer eigenen Wanderung über die Prärie gegen Ende der fünfziger Jahre, als sie noch ein kleines Mädchen war, und wie Frau Mortimer wusste sie sehr gut Bescheid über den Kampf bei Little Meadow und die Vernichtung des Emigrantenzuges, dessen einziger Überlebender Billys Vater gewesen war.
»Und so«, schloss Saxon eine Stunde später, »haben wir drei Jahre lang unser Mondtal gesucht, und jetzt haben wir es gefunden.«
»Mondtal?« fragte Frau Hale. »Da habt ihr es also die ganze Zeit gewusst? Aber warum habt ihr denn so lange gewartet?«
»Nein, wir haben es nicht gewusst, wir zogen nur aus, um es zu suchen, ohne das geringste davon zu wissen. Mark Hall nannte es eine Pilgerfahrt und neckte uns immer, dass wir lieber lange Stäbe mitbringen sollten. Er sagte, wenn wir den Ort fänden, würden wir es daran erkennen, dass die Stäbe ausschlügen. Er lachte über all die Herrlichkeiten, die wir in unserm Tal zu finden erwarteten, und eines Tages zog er mich auf die Veranda hinaus und zeigte mir durch ein Glas den Mond. Er sagte, das sei die einzige Stelle, wo wir ein solches Wundertal finden könnten. Er meinte natürlich, es sei nur ein Traum, und wir nannten es schon selber so und suchten weiter danach.«
»Das ist doch ein merkwürdiger Zufall«, rief Frau Hale. »Denn dies ist ja eben das Mondtal.«
»Das weiß ich sehr gut«, sagte Saxon ruhig und zuversichtlich, »denn hier ist alles, was wir uns gewünscht haben.«
»Aber Sie verstehen mich nicht, Kind. Dies ist wirklich das Mondtal – das Sonomatal. Sonoma ist ein altes Indianerwort, das Mondtal bedeutet. So nannten die Indianer es vor vielen Generationen, ehe die ersten Weißen hierherkamen. Und wir, die es lieben, nennen es immer noch so.«
Und da erinnerte sich Saxon der geheimnisvollen Andeutungen, die Hastings und seine Frau gemacht hatten, und die Unterhaltung zwischen den beiden Frauen wurde fortgesetzt, bis Billy ungeduldig wurde. Er räusperte sich und ergriff selbst das Wort: »Wir möchten gern etwas über den Bauernhof auf der anderen Seite des Baches erfahren – wem er gehört, ob er zu verkaufen ist, wo wir den Besitzer finden und so weiter.«
Frau Hale stand auf.
»Lassen Sie uns hineingehen und mit Edmund sprechen«, sagte sie, ergriff Saxons Hand und ging mit ihr voraus.
»Sieh einmal«, sagte Billy, der sie hoch überragte. »Ich habe immer gedacht, dass Saxon klein war, aber es könnten doch zwei wie Sie aus ihr gemacht werden.«
»Sie sind auch ein großer Mann«, lächelte die kleine Frau, »aber Edmund ist noch größer als Sie und breitschultriger.«
Sie gingen durch das helle Vorzimmer und trafen den großen, schönen Mann in seinem Zimmer, wo er in seinem bequemen Schaukelstuhl saß und las. Neben dem Schaukelstuhl stand wieder ein kleiner rotlackierter Kinderschaukelstuhl aus spanischem Rohr. Auf den Knien des Mannes lag eine ungewöhnlich große gestreifte Katze, die den Blick auf ein Stück Brennholz im Kamin richtete. Wie ihr Herr, wandte sie den Eintretenden den Kopf zu, um sie willkommen zu heißen. Saxon fühlte wieder die Liebe und den Segen, die ihr entgegenströmten aus dem Gesicht dieses Mannes, seinen Augen und von seinen Händen, die ihr Blick ganz unwillkürlich suchte. Die Zartheit dieser Hände bezauberte sie direkt. Es waren zärtliche Hände. Es waren Hände, die von einem Männertyp erzählten, von dem sie sich nie etwas hatte träumen lassen. Niemand in der heiteren Schar in Carmel hatte sie ahnen lassen, dass ein solcher Mann existierte. Das dort waren Künstler gewesen. Hier war der Wissenschaftler, der Philosoph. Statt dem leidenschaftlichen Aufruhrdrang der Jugend stand sie hier dem in Weisheit begründeten Wohlwollen gegenüber. Diese zarten Hände hatten alle Bitternis des Lebens von sich gestoßen und nur seine Süße behalten. So gern sie auch die heitere Schar in Carmel hatte, schauderte ihr doch bei dem Gedanken, wie einige von ihnen wohl im Alter sein würden – namentlich der Theaterkritiker und der Eisenmann.
»Hier hast du die beiden lieben Kinder, Edmund«, sagte Frau Hale. »Und kannst du dir denken – sie wollen die Madronjoranch kaufen. Sie haben drei Jahre lang danach gesucht – aber ich habe übrigens vergessen zu erzählen, dass wir zehn Jahre lang nach ›Trillium Zuflucht‹ gesucht haben. Erzähl ihnen jetzt alles, was du weißt. Herr Naismith will wohl immer noch verkaufen?«
Sie setzten sich auf die großen einfachen Stühle; Frau Hale in den winzigen Schaukelstuhl neben dem großen, und ihre feine Hand lag wie eine Ranke in der Edmunds. Und während Saxon zuhörte, erfasste ihr Blick alle Einzelheiten des strengen Raumes mit den hohen Bücherregalen. Ihr begann aufzugehen, dass ein Gebäude aus Holz und Stein sehr wohl dem Geist des Mannes, der es sich erdacht und erschaffen hat, Ausdruck verleihen kann. Die zarten Hände hatten alles dies geschaffen – selbst die Möbel – wie sie sich sagte, während ihr Blick vom Pult zum Stuhl, vom Arbeitstisch zum Lesetisch neben dem Bett in dem anderen Zimmer schweifte, wo eine Lampe mit grünem Schirm stand und große geordnete Stapel von Zeitschriften und Büchern lagen.
Mit der Madronjoranch, sagte er, sei es sehr einfach. Naismith wolle verkaufen. Er wolle schon seit fünf Jahren verkaufen, seit er angefangen habe, die Mineralquellen weiter abwärts im Tal zu erschließen. Es sei ein Glück, dass er der Besitzer sei, denn fast der ganze Boden in der Gegend gehöre einem Franzosen – einem Ansiedler aus der frühesten Zeit – der auch nicht einen Fußbreit verkaufen wolle. Er sei Bauer mit der ganzen Liebe des Bauers zu seiner Erde, und diese Liebe sei bei ihm zu einer Art Besessenheit, einer Krankheit geworden. Er sei ein Geizhals mit seinem Bodengeiz. Da er aber gleichzeitig ein schlechter Geschäftsmann, alt und eigenwillig wäre, sei er doch ein armer Mann, und es sei eine offene Frage, was zuerst kommen würde – sein Tod oder sein Konkurs.
Die Madronjoranch gehörte Naismith, der den Boden auf fünfzig Dollar den Morgen taxierte. Das machte tausend Dollar, denn es waren zwanzig Morgen. Als landwirtschaftliche Spekulation und nach alten Methoden bewirtschaftet, war es das nicht wert. Als Geschäftsspekulation, ja, denn die Außenwelt hatte gerade jetzt das Tal und seine Möglichkeiten entdeckt, es gab keine bessere Lage für ein Sommerheim. Und als Spekulation in Freude an einer schönen Umgebung und einem herrlichen Klima war es tausendmal den Preis wert, der verlangt wurde. Und er wusste, dass Naismith den Hauptbetrag lange stunden würde. Edmunds Vorschlag ging darauf hinaus, dass sie das Haus auf zwei Jahre mit Vorkaufsrecht pachten sollten, sodass die Pacht von der Kaufsumme abgezogen würde, wenn sie sich dazu entschlössen. Naismith hatte einmal ein gleiches Arrangement mit einem Schweizer gehabt, der eine monatliche Abgabe von zehn Dollar bezahlte. Dann aber war seine Frau gestorben, und er hatte alles aufgegeben.
Edmund erriet bald, dass Billy hier zu einer Entsagung gezwungen war, wenn ihm auch nicht ganz klar wurde, worauf diese Entsagung hinausging, und durch ein paar Fragen erfuhr er, was es war – der alte Ansiedlertraum von mächtigen Landstrecken, von Vieh, das auf hundert Hügeln weidete, und von hundertundsechzig Morgen Land als Minimum für ein Gütchen.
»Aber Sie brauchen all das Land gar nicht, mein lieber junger Freund«, sagte Edmund milde, »ich sehe, Sie verstehen wirklich etwas von intensiver Landwirtschaft. Haben Sie je an Pferdezucht gedacht?«
Billy blieb der Mund offenstehen, so lähmend neu erschien ihm der Gedanke. Er versuchte, ihn durchzudenken, konnte aber die beiden Dinge nicht miteinander vereinigen. Ein ungläubiger Ausdruck trat in seine Augen.
»Das müssen Sie mir zuerst erklären«, rief er.
Der Ältere lächelte freundlich.
»Lassen Sie uns sehen! Erstens brauchen Sie die zwanzig Morgen nur zum Ansehen. Die Wiese ist fünf Morgen groß. Sie brauchen nicht mehr als zwei, um vom Verkauf des Gemüses leben zu können. In Wirklichkeit können Sie und Ihre Frau, selbst wenn Sie von Tagesanbruch bis zum Dunkelwerden arbeiten, nicht einmal die beiden Morgen ordentlich bewirtschaften. Bleiben drei Morgen übrig. Sie haben reichlich Wasser von den Quellen. Sie dürfen sich nicht mit einer Ernte im Jahr begnügen wie die anderen unmodernen Landwirte hier im Tal. Betreiben Sie alles, wie Sie das Stückchen mit Gemüse betreiben, bis zur äußersten Tragfähigkeit des Bodens und das ganze Jahr hindurch, in Ernten, die zum Futter für Pferde benutzt werden können, und indem Sie beständig berieseln, düngen und Wechselwirtschaft betreiben. Auf den drei Morgen können Sie so viele Pferde halten wie auf einem, Gott mag wissen, wie großen Areal vernachlässigter, unbesäter Weide. Denken Sie über die Sache nach. Ich will Ihnen Bücher über den Gegenstand leihen. Ich weiß nicht, wie groß Ihre Ernten werden, und weiß auch nicht, wie viel ein Pferd frisst – das müssen Sie selber herauszufinden suchen. Aber ich bin ganz sicher, dass Sie sich, wenn Sie sich einen Mann mieten, der Ihrer Frau bei dem Gemüse helfen kann, allmählich so viele Pferde anschaffen können, wie Sie auf Ihren drei Morgen ernähren können. Und dann wird es Zeit sein, mehr Boden, mehr Pferde, mehr Reichtum zu erwerben, wenn das Sie glücklich macht.«
Billy verstand ihn und brach begeistert aus:
»Sie verstehen etwas von Landwirtschaft, das muss ich sagen!«
Edmund sah seine Frau lächelnd an.
»Sag du ihm, was du dazu meinst, Annette.«
Ihre blauen Augen funkelten, als sie der Aufforderung nachkam.
»Der liebe Mensch, er betreibt nie die geringste Landwirtschaft und hat es nie getan. Aber er versteht sich darauf.« Sie machte eine Handbewegung über die gefüllten Bücherregale an den Wänden. »Er studiert das Gute. Er studiert alles Gute, das alle guten Männer unter der Sonne verrichtet haben. Sein Vergnügen ist es, zu lesen und Tischlerarbeiten zu verfertigen.«
»Vergiss nicht Dulcie«, protestierte Edmund sanft.
»Ja, und Dulcie!« Annette lachte. »Dulcie ist unsere Kuh. Jack Hastings kann sich nie darüber klar werden, ob Edmund Dulcie mehr liebt oder Dulcie Edmund. Wenn er nach San Franzisko reist, ist Dulcie ganz verzweifelt. Und das ist Edmund auch, und es endet damit, dass er Hals über Kopf heimkommt. Ja, ich bin oft ganz eifersüchtig auf Dulcie gewesen. Aber ich muss gestehen, dass er sie wie kein anderer zu nehmen weiß.«
»Ja, das ist der einzige praktische Gegenstand, den ich aus Erfahrung kenne«, bestätigte Edmund. »Ich bin eine Autorität in Bezug auf Jersey-Kühe. Wenn Sie einen guten Rat brauchen, so wenden Sie sich nur an mich.«
Er stand auf und trat an die Bücherregale, und sie sahen, wie groß und gut gewachsen er war. Er blieb mit einem Buch in der Hand stehen, um eine Frage zu beantworten, die Saxon an ihn richtete. Nein, es gäbe keine Moskitos, wenn auch in einem Sommer, als der Südwind volle drei Tage wehte – etwas ganz Unerhörtes –, ein paar Moskitos von der San Pablo-Bucht2 hergekommen wären. Und was den Nebel beträfe, so sei er es, der das Tal zu dem machte, was es wäre. Und da es im Schutz des Sonomaberges läge, gehörten die Nebel fast immer den höheren Luftschichten an. Sie kämen vom vierzig Meilen entfernten Ozean, stießen dann gegen den Sonomaberg und würden hoch in die Luft getrieben. Und noch eines – ›Trillium Zuflucht‹ und die Madronjoranch lägen sehr geschützt in einem schmalen Wärmegürtel, sodass die Temperatur an den kalten Wintermorgen mehrere Grad höher als im übrigen Tal sei. In Wirklichkeit sei Frost etwas sehr Seltenes im Wärmegürtel, was deutlich daraus hervorginge, dass man mit Erfolg gewisse Apfelsinen- und Zitronenarten gezüchtet hätte.
Edmund las ihnen weiter Titel vor und nahm Bücher heraus, bis er einen ganzen Stapel zusammen hatte. Er schlug das oberste, Bolton Halls »Drei Morgen und Freiheit« auf und las ihnen von einem Manne vor, der sechshundertundfünfzig Meilen jährlich ging, um auf veraltete Weise zwanzig Morgen zu bebauen, von denen er dreitausend Scheffel schlechter Kartoffeln erntete, und von einem anderen Mann, einem »modernen« Landwirt, der nur fünf Morgen bebaute, zweihundert Meilen ging und dreitausend Scheffel Frühkartoffeln erntete, die er zu einem weit höheren Preise verkaufte als der erste Mann.
Saxon nahm die Bücher und belud, nachdem sie die Titel gelesen hatte, Billy damit.
»Ihr könnt mehr holen, wenn ihr sie braucht«, sagte Edmund freundlich. »Ich habe Hunderte von Büchern über Landwirtschaft und alle landwirtschaftlichen Berichte –, und sobald ihr einen Tag Zeit habt, müsst ihr kommen und Dulcie kennenlernen«, rief er ihnen nach, als sie durch die Tür schritten.
*
Als Frau Mortimer mit Sämereikatalogen und Büchern über Landwirtschaft kam, fand sie Saxon in den Büchern vergraben, die sie sich von Edmund Hale geliehen hatte. Saxon zeigte ihr alles, und sie war sehr begeistert, auch über den Mietskontrakt und das Vorkaufsrecht.
»Und jetzt«, sagte sie, »wollen wir sehen, wie wir es anpacken. Setzt euch, alle beide! Jetzt haltet ihr Kriegsrat, und ich bin der einzige Mensch in der Welt, der euch erzählen kann, was ihr zu tun habt. Und das sollte ich wohl noch fertigbringen! Ein Mensch, der eine große Bibliothek umgeordnet und katalogisiert hat, sollte wohl noch zwei junge Menschen in Gang bringen können. So, wo wollen wir anfangen?«
Sie bedachte sich einen Augenblick.
»Zunächst ist die Madronjoranch ein ausgezeichneter Kauf. Ich verstehe mich auf Boden, ich verstehe mich auf Klima, ich verstehe mich darauf, was schön ist. Die Madronjoranch ist eine wahre Goldgrube. Es steckt ein Vermögen in ihr. Wie ihr sie bewirtschaften sollt – aber das will ich euch später erzählen. Erstens habt ihr den Boden. Zweitens – was wollt ihr damit machen? Ihr wollt euer Brot damit verdienen? Ja, Gemüse? Selbstverständlich. Was wollt ihr damit machen, wenn ihr es geerntet habt? Verkaufen? Aber wo? – Nun hört mal zu! Ihr müsst es machen wie ich. Ihr müsst den Zwischenhändler ausschalten. Verkauft direkt an den Verbraucher. Trommelt euch euern eigenen Markt zusammen. Wisst ihr, was ich vom Zug aus sah, als ich nur ein paar Meilen von hier durch das Tal fuhr? Hotels, Quellen, Sommerhäuser – Bevölkerung, Menschen, die gefüttert werden wollen: den Markt. Wie wird der Markt versorgt? Ich sah mich vergebens nach Handelsgärtnereien um! Billy, spannen Sie die Pferde vor den Wagen und machen Sie mit Saxon und mir eine Spazierfahrt. Um das übrige braucht ihr euch vorläufig nicht zu kümmern. Lasst es nur gehen, wie es will. Hat es einen Zweck zu fahren, wenn man nicht einmal die Adresse weiß? Wir wollen uns heute Nachmittag nach der Adresse erkundigen. Dann werden wir wissen, wie es steht.«
Aber Saxon fuhr nicht mit. Es war zu viel zu tun; in dem vernachlässigten Hause aufzuräumen und dafür zu sorgen, dass Frau Mortimer eine Stelle hatte, wo sie schlafen konnte. Und Billy und Frau Mortimer kehrten erst spät nach der üblichen Abendbrotzeit zurück.
»Ihr beiden glücklichen Kinder!« begann sie, sobald sie zur Tür hereingetreten war. »Das Tal hat eben angefangen sich zu regen. Hier habt ihr euern Markt. – Nicht eine Konkurrenz in dem ganzen Tal. Mir schien ja schon, dass die Hotels so neu aussahen – Caliente, die Thermalquellen von Boyes, El Verano und die ganze Reihe durch. Und auch in Glen Ellen gibt es drei kleine Hotels, direkt nebeneinander. Oh, ich habe mit allen Besitzern und Verwaltern gesprochen.«
»Sie ist prachtvoll«, sagte Billy bewundernd. »Sie würde direkt zum lieben Gott fahren und mit ihm über Geschäfte reden. Du hättest sie nur sehen sollen.«
Frau Mortimer dankte für das Kompliment und fuhr fort:
»Und wo kommt all das Gemüse her? Mit dem Wagen zwölf und fünfzehn Meilen weit, von Santa Rosa und oben von Sonoma. Das sind die nächsten Höfe, die sich mit Gemüse abgeben, und wenn sie nicht die steigende Nachfrage befriedigen können, was oft geschieht, dann müssen die Verwalter sich das Gemüse aus San Franzisko schicken lassen. Ich habe ihnen Billy vorgestellt, und sie haben sich bereit erklärt, ihn zu unterstützen. Das ist auch besser für sie. Ihr könnt ihnen ebenso gutes Gemüse zum selben Preis liefern. Ihr müsst sehen, dass ihr etwas Besseres liefert, frischeres Gemüse; ihr dürft ja nicht vergessen, dass ihr billiger liefern könnt, weil ihr ein kürzeres Stück zu fahren habt.
Hier gibt es keine ganz frischen Eier, kein Eingemachtes, kein Gelee; aber ihr habt massenhaft Platz auf dem Hang, wo ihr kein Gemüse anbauen könnt. Morgen will ich euch zeigen, wie ihr Hühnerställe und einen Hühnerhof anlegen könnt. Und auch Kapaunen für den Markt in San Franzisko müsst ihr haben. Ihr fangt selbstverständlich klein an damit, nur als Nebengeschäft. Ich werde euch schon Bescheid sagen und euch Bücher schicken. Ihr müsst eure Köpfe anstrengen. Lasst die anderen die Arbeit tun. Das müsst ihr euch ein für allemal richtig klarmachen. Es ist immer teurer, jemand zur Beaufsichtigung zu haben als für die Arbeit selbst. Ihr müsst buchführen. Ihr müsst wissen, wie ihr steht. Ihr müsst wissen, was sich lohnt, was sich nicht lohnt, und was sich am besten lohnt. Das werden die Bücher euch sagen. Ich will euch alles zeigen – wenn es so weit ist.«
»Und alles das auf zwei Morgen!« murmelte Billy.
Frau Mortimer warf ihm einen strengen Blick zu.
»Was ist das für ein Unsinn mit zwei Morgen?« sagte sie strenge. »Fünf Morgen! Und dabei könnt ihr nicht einmal die Nachfrage befriedigen. Und Sie, mein junger Freund, werden schon nebst Ihren Pferden genug zu tun bekommen, um die Wiese zu dränieren, wenn der erste Regen kommt. Das werden wir alles morgen besprechen. Auch die Frage bezüglich des Beerenobstes auf dem Hang – und feiner Spaliertrauben – zum Rohessen. Dafür erzielen Sie direkt fantastische Preise. Und Brombeeren – Burbanks, er lebt in Santa Rosa – Loganbeeren, Mammutbeeren. Aber verschwendet keine Zeit auf Erdbeeren. Das ist eine ganze Arbeit für sich. Die sind nicht wie Weinstöcke, versteht ihr? Ich habe den Obstgarten untersucht. Es ist gutes Material, das nur bearbeitet werden muss. Später können wir über Okulieren und dergleichen reden.«
»Aber Billy will doch drei Morgen von der Wiese haben«, erklärte Saxon, sobald sie ein Wort einwerfen konnte.
»Wozu?«
»Für Heu und sonstiges Futter für die Pferde, die er züchten will.«
»Kaufen Sie das für einen Teil des Verdienstes, den Sie mit den drei Morgen erzielen«, erklärte Frau Mortimer rasch.
Billy musste wieder entsagen.
»Na ja«, sagte er mit einem ehrlichen Versuch, froh und vergnügt auszusehen. »Dann lassen wir den Vogel fliegen – und halten uns ans Gemüse.«
In den Tagen, die der Besuch Frau Mortimers dauerte, überließ Billy es den Frauen, alles zu ordnen, wie es ihnen gefiel. Für Oakland hatte eine Periode des Aufstiegs begonnen, und vom Fuhrmann dort war eine dringende Nachfrage nach weiteren Pferden gekommen. Folglich war Billy früh und spät unterwegs und durchstöberte die ganze Gegend, um junge Arbeitspferde zu finden. Auf die Weise lernte er das Tal gleich gründlich kennen. Der Stall wollte auch eine Anzahl Pferde verkaufen, denen die Füße auf dem harten Steinpflaster in den Städten verdorben waren, und ihm wurde, was er brauchte, zu sehr billigen Preisen angeboten. Es waren gute Tiere. Das wusste er, denn er kannte sie von früher her. Der weiche Boden musste den Schaden bald kurieren, namentlich, wenn er ihnen anfangs eine Weile ohne Eisen Ruhe auf der Weide gönnte. Selbstverständlich konnten sie nie wieder fürs Pflaster gebraucht werden, aber für Landarbeit waren sie noch viele Jahre lang zu verwenden. Und dann musste er ja auch an das Gestüt denken. Aber er wagte es nicht, sich auf den Kauf einzulassen. Er kämpfte heimlich mit sich und sagte Saxon nichts davon.
Abends saß er in der Küche und rauchte, während er zuhörte, was die beiden Frauen im Laufe des Tages verrichtet und geplant hatten. Es war schwer, die richtigen Pferde zu finden und, wie er sich ausdrückte, es wurde den Bauern so schwer, als sollten sie sich einen Zahn ziehen lassen, wenn sie sich auch nur von einem einzigen trennen sollten, und das, obgleich er autorisiert war, die Kaufsumme um fünfzig Dollar zu erhöhen. Trotz den Automobilen stieg der Preis für schwere Arbeitspferde beständig. Solange Billy denken konnte, war der Preis für große Arbeitspferde immer gestiegen. Nach dem großen Erdbeben war eine plötzliche Steigerung gekommen, aber die Preise waren nie wieder gefallen.
»Billy, Sie verdienen als Pferdehändler wohl mehr, als Sie als gewöhnlicher Arbeiter hatten?« fragte Frau Mortimer. »Nun ja! Aber Sie sollten sich lieber daran machen, die Wiese zu dränieren, zu pflügen oder dergleichen. Sie kaufen weiter Pferde. Sie müssen mit dem Kopf arbeiten. Aber von dem, was Sie verdienen, werden Sie gefälligst einen Mann entlohnen, der mit Saxon im Gemüse arbeiten kann. Das ist eine gute Geldanlage, und so etwas bringt hohe Prozente – ja, und das schnell.«
»Gewiss«, antwortete er. »Deshalb bezahlt man wohl einen Mann – um an ihm zu verdienen. Aber wie Saxon und ein Mann mit den fünf Morgen fertig werden sollen, wenn Herr Hale sagt, dass wir zwei nicht alle Arbeit auf zwei Morgen verrichten können – das geht über meinen Verstand.«
»Saxon soll auch nicht selber arbeiten«, antwortete Frau Mortimer. »Habt ihr vielleicht gesehen, dass ich in San José etwas arbeitete? Saxon soll ihren Kopf gebrauchen – es wird bald Zeit, dass ihr das merkt! Anderthalb Dollar täglich. Das verdienen Leute, die nicht mit dem Kopfe arbeiten. Und sie soll sich nicht mit anderthalb Dollar den Tag begnügen. Hört mal! Ich hatte heute Nachmittag eine lange Unterhaltung mit Herrn Hale. Er sagt, dass man tatsächlich keine ordentlichen Leute zur Arbeit hier im Tal bekommen kann.«
»Das weiß ich gut«, warf Billy ein. »Alle tüchtigen Leute gehen in die Städte. Nur der Bodensatz bleibt. Und die guten, die bleiben, arbeiten nicht für andere.« »Ja, das ist Wort für Wort wahr. Aber hört einmal, Kinder. Ich weiß das sehr gut, und ich habe mit Herrn Hale darüber gesprochen. Er ist bereit, alles für euch zu ordnen. Er versteht sich darauf, und er kennt den Inspektor. Kurz, ihr könnt zwei bedingt begnadigte Gefangene aus San Quentin für die Gartenarbeit bekommen. Es gibt dort eine Menge Chinesen und Italiener, und die sind bei weitem die besten Handelsgärtner. Auf die Weise schlagt ihr zwei Fliegen mit einer Klappe. Ihr helft den armen Gefangenen, und ihr helft euch selber.«
Saxon war erschrocken und wusste nicht, was sie sagen sollte, während Billy den Vorschlag mit tiefem Ernst überlegte.
»Ihr kennt doch John?« fuhr Frau Mortimer fort. »Ich meine, Herrn Hales Gärtner. Wie gefällt er euch?«
»Ach, ich habe erst heute Morgen gedacht, wie nett es wäre, einen Mann wie John zu bekommen«, sagte Saxon eifrig. »Er ist eine freundliche, treue Seele. Frau Hale hat mir viel Gutes von ihm erzählt.«
»Aber eines hat sie nicht erzählt«, sagte Frau Mortimer lächelnd, »nämlich, dass John ein bedingt begnadigter Strafgefangener ist. Vor achtundzwanzig Jahren geriet er mit einem Mann um fünfundsechzig Cent in Streit, und in der Heftigkeit erschlug er ihn. Er ist jetzt seit drei Jahren bei der Familie Hale. Erinnert ihr euch an den alten Franzosen, den ich hatte? Mit dem war es genau ebenso. Darüber sind wir uns also einig. Wenn eure zwei kommen, natürlich müsst ihr ihnen einen guten Lohn zahlen – und wir wollen schon dafür sorgen, dass sie von der selben Nationalität sind, Chinesen oder Italiener – nun ja, wenn sie kommen, dann wird John mit ihnen zusammen und unter Aufsicht von Herrn Hale eine kleine Hütte für sie bauen, wo sie wohnen können. Wir können selbst die Stelle dafür aussuchen. Wenn aber der Betrieb erst in vollem Gange ist, müssen wir sehen, euch mehr Hilfe zu verschaffen. Sie müssen eben die Augen ein wenig offen halten, Billy, wenn Sie durch das Tal wandern.«
Am nächsten Abend war Billy zur gewöhnlichen Zeit nicht heimgekommen, und um neun Uhr erschien ein reitender Bote von Glen Ellen mit einem Telegramm. Billy hatte es von Lake County geschickt. Er war auf der Suche nach Pferden für Oakland.
Erst am dritten Tage kam er heim, todmüde, aber sehr stolz, was er nicht zu verhehlen suchte.
»Nun, was haben Sie in den drei Tagen gemacht?« fragte Frau Mortimer.
»Ich habe meinen Kopf gebraucht«, antwortete er mit großem Selbstbewusstsein. »Ich habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, und ich habe eine ganze Schar geschlagen. Hm! Ich hörte etwas davon in Lawndale, und ich will Ihnen nur sagen, dass Hazel und Hattie fast zuschanden gefahren waren, als ich sie in einen Stall in Calistoga stellte und mit der Post weiter nach St. Helena fuhr. Ich kam gerade zurecht und kriegte sie zu fassen – acht starke Tiere – sie gehörten alle einem Fuhrmann in den Bergen. Es waren junge Tiere, so gesund und frisch, wie man sie sich nur wünschen kann, und das leichteste von ihnen wog über fünfzehnhundert. Ich habe sie heute Abend in Calistoga verladen. Und – das ist noch nicht alles. Zuerst habe ich in Lawndale mit dem Mann gesprochen, der für den Steinbruch fährt. Pferde verkaufen? Er war ganz versessen darauf, welche zu kaufen. Ja, er wollte sie sogar mieten, sagte er.«