»Aber gab es denn keinen Kampf?« rief sie, so offensichtlich enttäuscht, dass er laut lachte.
»Sie heulten alle: ›Schiebung! Schiebung!‹, als ich ging und wollten ihr Geld wieder haben.«
»Nun, ich habe doch jedenfalls dich«, lachte sie, ihn in die Stube ziehend, aber im geheimen sagte sie mit einem Seufzer Hazel und Hattie Lebewohl.
»Aber ich habe unterwegs etwas für dich gekauft, was du dir lange gewünscht hast«, sagte Billy gleichgültig. »Mach die Hand auf und die Augen zu, und wenn du sie aufmachst, sollst du etwas Großartiges sehen.«
Etwas sehr Schweres und sehr Kaltes wurde in ihre Hand gelegt, und als sie die Augen öffnete, sah sie, dass es ein Stapel Zwanzig-Dollar-Stücke war.
»Ich sagte dir ja, dass es die reine Leichenfledderei wäre«, sagte er triumphierend, als er lachend aus dem Wirbelwind von Puffen und Stößen und Umarmungen auftauchte, in den sie ihn hineingerissen hatte. »Es gab gar keinen Kampf. Willst du wissen, wie lange es dauerte? Nur siebenundzwanzig Sekunden – weniger als eine halbe Minute. Und wie viel Stöße ausgeteilt wurden? Nur einer! Und ich war es, der die Ohrfeige gab. Komm, jetzt will ich es dir zeigen. Es war nur so – ja, es war einfach zum Lachen!«
Billy stand, etwas vorgebeugt, mitten in der Stube, das Kinn gegen die schützende linke Schulter gedrückt, mit geballten Fäusten, die Ellbogen eingezogen, um die linke Seite des Unterleibs zu schützen, und die Unterarme dicht an den Körper gepresst.
»Es ist die erste Runde«, erklärte er. »Die Glocke läutet, und wir haben uns die Pfoten gedrückt. Selbstverständlich haben wir keine Eile, da es ein langer Kampf ist und wir einander nie in Tätigkeit gesehen haben. Wir fühlen uns gegenseitig vor, und gehen so um einander herum. Das dauert siebzehn Sekunden, ohne dass ein einziger Schlag fällt – nicht einer. Und da auf einmal ist es aus mit dem großen Schweden. Ich brauche einige Zeit, um es zu erzählen, aber es geschah alles im Handumdrehen, in weniger als einer Zehntelsekunde. Ich hatte es selbst nicht erwartet. Wir waren schrecklich dicht aneinander. Sein linker Handschuh ist nicht einen Fuß von meinem Kinn entfernt, und mein linker Handschuh nicht einen Fuß von seinem. Er tut, als wolle er mit der Rechten auslangen, und ich weiß, dass er nur so tut, mache die linke Schulter ein bisschen krumm und fahre mit meiner rechten Hand vor. Dabei kommt er ungefähr einen Zoll aus der Verteidigungsstellung heraus, und ich nehme die Gelegenheit wahr. Meine Linke ist nicht einen Fuß von ihm entfernt, und ich halte sie nicht zurück. Ich setze sie von dort aus, wo sie sich befindet, in Gang, drehe sie wie einen Korkenzieher um seine rechte Verteidigungsstellung und schwinge mich in der Hüfte, um das Schultergewicht in den Schlag zu kriegen. Und es stimmt! Gerade auf die Spitze vom Kinn. Er fällt um wie ein Lamm. Ich gehe wieder in meine Ecke, und weiß Gott, Saxon, ich muss doch bei mir grinsen, es war so einfach. Der Richter bleibt stehen und zählt, er verzieht nicht eine Miene. Die Zuschauer wissen nicht, was sie glauben sollen und sitzen wie gelähmt da. Seine Sekundanten tragen ihn in seine Ecke und setzen ihn auf den Stuhl. Aber sie müssen ihn festhalten, damit er nicht fällt. Fünf Minuten darauf schlägt er die Augen auf – aber er sieht nichts. Sie sind wie gebrochen. Noch fünf Minuten, und er steht aufrecht. Sie müssen ihn halten, und seine Beine knicken wie Würste unter ihm zusammen. Und die Sekundanten müssen ihm aus dem Seil heraushelfen, und sie gehen durch den Mittelgang bis zu seiner Kabine, und immer noch müssen sie ihn stützen. Da beginnt der ganze Chor zu rufen, es sei Schiebung, und sie wollen ihr Geld wiederhaben. Siebenundzwanzig Sekunden – ein Schlag – und ein feines Gespann für die beste Frau, die Billy Roberts je in seinem Leben gehabt hat.«
Die Freude, die Saxon schon immer an dem Körper ihres Mannes empfunden hatte, erwachte in diesem Augenblick zu neuem, vielfältigen Leben. Er war in Wahrheit ein Held, würdig der Schar, die mit ihren Flügelhelmen aus den spitzschnäbligen Booten auf den blutigen englischen Strand sprang.
Am nächsten Morgen wurde er durch einen Kuss geweckt, den sie auf seine linke Hand drückte.
»Ha! Was tust du?« fragte er.
»Ich gebe Hazel und Hattie einen Guten-Morgen-Kuss«, antwortete sie mit ehrbar niedergeschlagenen Augen. »Und jetzt will ich auch dich zum Guten Morgen küssen. – Und wo hat der Schlag getroffen? – Zeig’ es mir.«
Billy tat, wie sie wünschte, und berührte die Spitze ihres Kinns mit seinen Knöcheln. Mit beiden Händen schob sie seine Hand zurück und versuchte sie dann vorwärts zu reißen, sodass es ein Stoß wurde. Aber Billy leistete Widerstand.
»Wart einen Augenblick!« sagte er. »Du willst doch nicht, dass ich dir das Kinn ganz zerschlage. Ich will es dir zeigen. Ich kann es mit einem viertel Zoll tun.«
Und aus einer Entfernung von einem viertel Zoll traf er ihr Kinn mit einem winzigen Stoß.
Im selben Augenblick kam ein weißer Funke; es war, als spränge etwas in ihrem Hirn, während ihr ganzer Körper erschlaffte, gefühllos, schwach und willenlos wurde und ihre Augen sich verschleierten und ihre Sehkraft verloren. Im nächsten Augenblick aber kam sie wieder zu sich, und ein entsetzter, verständnisvoller Ausdruck war in ihren Augen.
»Du trafst ihn aus einer Entfernung von einem Fuß«, murmelte sie mit Andacht in der Stimme.
»Ja, und mit meinem ganzen Schultergewicht obendrein«, lachte Billy. »Ach, das ist gar nichts! – Jetzt will ich dir etwas anderes zeigen.«
Er suchte und fand ihren Solar Plexus, den er leicht mit dem Mittelfinger antippte. Dieses Mal war es, als würde sie am ganzen Körper gelähmt, und ihr Atem stockte, wohingegen ihr Gehirn und ihre Sehkraft vollkommen klar blieben. Und ungefähr im selben Augenblick waren auch diese ungewohnten Gefühle schon verschwunden.
»Ja«, meinte Billy, »jetzt kannst du dir vielleicht denken, wie es ist, wenn der andere von den Knien aus stößt, das war der Stoß, der Bob Fitzsimmons seine Weltmeisterschaft verschaffte.«
Saxon schauderte, ließ es sich aber doch gefallen, dass Billy scherzend alle Schwächen der menschlichen Anatomie an ihr selbst demonstrierte. Er presste die Spitze eines Fingers an eine Stelle mitten an ihrem Unterarm, und sie fühlte einen wahnsinnigen Schmerz. Zu beiden Seiten des Halses, unterhalb der Stelle, wo er begann, drückte er ganz leicht mit seinem Daumen, und sie fühlte ihr Bewusstsein schwinden.
»Das ist einer von den Todesgriffen der Japaner«, sagte er und fuhr fort, wobei er die verschiedenen Griffe und Stöße andauernd mit Kommentaren begleitete. »Dies ist der Zehenstoß, mit dem Gotch Hackenschmidt erledigte. Den habe ich von Farmer Burns gelernt. Und dies ist ein halber Nelson, ja, und denk dir jetzt, du machst Skandal in einem Ballsaal, und ich bin Festleiter und soll dich hinauswerfen.«
Mit der einen Hand griff er um ihr Handgelenk, und mit der anderen um ihren Unterarm, worauf er wieder sein eigenes Handgelenk packte. Bei dem geringsten Druck hatte sie das Gefühl, dass ihr Arm ein Pfeifenrohr war, das zerbrechen wollte.
»Das nennt man: ›Komm mit!‹ und hier ist der ›starke Arm‹. Ein Junge kann mit diesem Griff einen Mann werfen. – Und wenn jemand sich mit einem anderen prügelt, und seine Nase gerät ihm zwischen die Zähne, und man will ja nicht gern seine Nase verlieren, nicht wahr? Ja, dann macht man das hier, so schnell wie der Blitz.«
Sie schloss unwillkürlich die Augen, als Billy die Daumenspitzen darauf drückte. Sie konnten den fliegenden Schmerz fühlen, der einer dumpfen, furchtbaren Qual vorausging.
»Und wenn er dann noch nicht loslässt, dann presst man hart zu, und seine Augen fallen ihm aus dem Kopf, und er wird stockblind für den ganzen Rest seines Lebens. Ach, er soll schon loslassen.«
Er ließ sie los, und sie lehnte sich lachend zurück.
»Wie fühlst du dich?« fragte er. »Das sind zwar keine richtigen Boxertricks, aber sie kommen einem sehr zu statten, wenn man mal in eine Schlägerei gerät.«
»Ich fühle, dass ich mich rächen muss«, sagte sie und versuchte, den ›Komm-mit‹-Griff an seinem Arm anzuwenden.
Als sie aber zudrücken wollte, schrie sie laut vor Schmerz, denn sie tat sich nur selber weh. Billy grinste über ihre fruchtlosen Anstrengungen. Sie grub ihre Daumen in seinen Hals, um einen japanischen Todesgriff auszuführen, und sah mit tiefstem Bedauern ihre gebogenen Nägel. Sie klopfte ihn hart auf die Spitze des Kinns und schrie wieder laut, dieses Mal, weil sie sich ihre Knöchel geschlagen hatte.
»Das kann mir aber jedenfalls nicht weh tun«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen, und schlug mit der geballten Faust auf seinen Solar Plexus.
Billy brüllte direkt vor Lachen. Unter dem Überzug von Muskeln, der wie ein eiserner Panzer wirkte, war das verhängnisvolle Nervenzentrum vollkommen unzugänglich.
»Nur weiter, nur immer weiter!« spornte er sie an, als sie, vor Anstrengung stöhnend, den Kampf aufgab. »Es ist ein so komisches Gefühl, als ob du mich mit einer Feder kitzeltest.«
»Na ja, Verehrtester!« sagte sie drohend. »Du kannst, so viel du willst, von deinen Griffen, Totschlägen usw. reden, aber das tun die Männer alle. Ich weiß etwas, das mehr ist als alles andere, und das einen starken Mann so hilflos wie ein Kind macht. Warte nur einen Augenblick. So! Mach die Augen zu. Fertig? Es dauert nur einen Augenblick.«
Er wartete mit geschlossenen Augen, und so weich wie Rosenblätter, die zu Boden fallen, berührten ihre Lippen seinen Mund.
»Ich gebe mich besiegt«, sagte er ernst und begeistert und schloss sie in seine Arme.
*
Am Morgen ging Billy zum Pferdehändler und erlegte den Preis für Hazel und Hattie. Saxon war so ungeduldig, sie zu sehen, dass er ihrer Meinung nach für ein so einfaches Geschäft furchtbar lange brauchte. Aber sie verzieh ihm, sobald er sich mit den beiden Pferden vor dem Wagen einstellte.
»Das Geschirr musste ich mir leihen«, sagte er. »Reich mir Possum herauf, und klettere selbst neben mich, dann will ich dir die beiden H’s zeigen – und es ist ein flottes Gespann, darauf kannst du Gift nehmen.«
Saxons Freude war unbegrenzt und machte sie beinahe stumm, als sie hinter den flammenden, kastanienbraunen Pferden mit den weißgelben Schweifen und Mähnen zur Stadt hinausfuhren. Der Kutschbock war gepolstert, hochlehnig und bequem, und Billy war ganz außer sich vor Begeisterung über die prachtvolle, kräftig wirkende Bremse. Er ließ das Gespann auf der harten Landstraße traben, um die Durchschnittsgeschwindigkeit, die sie leisten konnten, zu zeigen, und fuhr sie einen steilen Feldweg hinan, obwohl der Schlamm fast bis zu den Radnaben ging, um zu zeigen, dass sie nicht umsonst von einem leichten Belgier abstammten.
Als Saxon schließlich in völliges Schweigen versank, beobachtete er sie besorgt mit hastigen Seitenblicken. Sie seufzte und fragte:
»Wann, glaubst du, können wir reisen?«
»Vielleicht in zwei Wochen – vielleicht in zwei bis drei Monaten.« Er seufzte, ernst und nachdenklich. »Wir sind wie der Irländer, der einen Koffer hat und nichts hineinzutun. Wir haben Wagen und Pferde, aber nichts zu fahren. Ich kann eine kleine Büchse kriegen – ein Prachtstück, sage ich dir. Aber denk an all das Geld, das wir schuldig sind. Auch eine neue kleine Schrotflinte für dich und eine etwas schwerere, mit der wir Rehe schießen können. Und du brauchst auch eine gute zerlegbare Angelrute, wie meine. Und Angelschnüre kosten ein verfluchtes Geld. Und ein Geschirr wie das, welches ich haben will, macht fünfzig Dollar direkt aus der Tasche. Und der Wagen müsste auch gestrichen werden. Dazu kommen Weideleinen, ein Futterbeutel, ein Geschirrputzkasten und vieles andere. Und Hazel und Hattie leiden nur durch das Warten. Ich bin selbst ganz darauf versessen, wegzukommen.«
Er hielt plötzlich verwirrt inne.
»Nun, Billy, was denkst du jetzt? Ich kann es deinen Augen ansehen!« sagte Saxon.
»Ja, siehst du, Saxon, es hängt so zusammen. Er – Sandow ist nicht zufrieden – er ist toll wie ein Stier. Er hatte gar keine Gelegenheit, mich auch nur anzurühren. Er hatte nicht die geringste Chance, und jetzt verlangt er Revanche. Er läuft in der Stadt herum und erzählt, dass er mich besiegen kann, wenn ihm die eine Hand auf dem Rücken gebunden ist und solchen Unsinn mehr. Aber das ist es nicht. Die Sportidioten sind ganz wild nach einem Revanchekampf. Sie bekamen das letzte Mal nichts für ihr Geld. Es wird pfropfenvoll. Der Direktor hat schon mit mir gesprochen, und deshalb kam ich so spät. Sonnabend in acht Tagen warten Dreihundert auf mich, ich brauche mich nur zu bücken und sie aufzuheben. – Und selbstverständlich musst du ja sagen. Es ist genau so, wie ich dir früher sagte. Ich werde leicht mit ihm fertig. Er glaubt immer noch, dass ich ein Bauernlümmel bin, und dass mein Stoß der reine Zufallstreffer war.«
»Aber Billy, du hast mir doch immer gesagt, dass Boxen deine Seide verdürbe. Deshalb hast du es doch aufgegeben und angefangen zu fahren.«
»Aber ich habe das Zeug fürs Boxen«, antwortete er. »Mit dem werde ich leicht fertig. Ich lasse ihn ungefähr bis zur siebten Runde stehen. Nicht, dass es notwendig wäre, nur damit die Zuschauer etwas für ihr Geld haben. Natürlich kriege ich ein paar Beulen ab, und etwas Haut wird auch abgeschrammt. Aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, gebe ich ihm eins auf sein Kinn, dass er gleich umfällt. Was meinst du dazu? Sag, Saxon.«
*
Am Sonnabendabend, zwei Wochen später, lief Saxon an die Tür, als die Pforte zuschlug. Billy sah müde aus. Sein Haar war nass, seine Nase geschwollen, die eine Backe ebenfalls, die Haut an den Ohren war verschrammt, und beide Augen ein bisschen blutunterlaufen.
»Ich will mich hängen lassen, wenn der Kerl mich nicht anführte!« sagte er, als er ihr die Goldstücke in die Hand legte, sich hinsetzte und sie auf seinen Schoß zog. »Er ist ein tüchtiger Kerl, wenn er erst richtig in Gang kommt. Statt ihn in der siebten Runde zu erledigen, musste ich bis zur vierzehnten kämpfen. Dann fing ich ihn auf die Art, wie ich es dir erzählt habe. Es ist schade, dass er ein so empfindliches Kinn hat. Er ist schneller, als ich glaubte, und er kann einem tüchtig zusetzen, sodass ich von der zweiten Runde an Respekt vor ihm hatte. – Aber wieder dieses Kinn! Bis zur vierzehnten Runde hatte er es in Watte gepackt, aber dann kriegte ich es.
Und weißt du was. Ich freue mich mächtig, dass es wirklich vierzehn Runden lang dauerte. Meine Seide ist noch in Ordnung – das merkte ich gleich. Ich brauchte nicht nach Luft zu schnappen, und meine Beine waren wie Eisen. Ich hätte vierzig Runden kämpfen können. Und weißt du, ich habe nie etwas gesagt, aber ich war die ganze Zeit misstrauisch, seit der ›Schrecken von Chicago‹ mich verprügelte.«
»Ach Unsinn, das musst du doch längst gewusst haben«, rief Saxon. »Denk doch an all deine Box- und Ringkämpfe und deine Läufe in Carmel.«
»Nicht hier.« Billy schüttelte den Kopf, überlegen wie einer, der alles weiß. »Das ist etwas ganz anderes. Das lähmt einen nicht. Es muss das Richtige sein, sich mit einem Kerl, der all seine Seide hat, ums Leben zu schlagen, und dann – wenn man nicht kaputt geht und das Herz einem nicht so klopft, dass es beinahe zerspringt, und einem die Beine nicht schlapp werden und man keinen wirren Kopf kriegt – ja, dann weiß man, dass man noch all seine Seide hat. Und ich habe sie, ich habe all meine Seide. Und ich werde sie nicht in weiteren Prügeleien riskieren. Das ist sicher. Das leicht verdiente Geld ist in der Regel auch das teuerste. Von jetzt an wird mit Pferden in Kommission gehandelt, und wir wandern weiter, bis wir das Mondtal finden.«
*
Früh am nächsten Morgen verließen sie Ukiah. Possum saß auf dem Bock zwischen ihnen und sperrte vor lauter Aufregung seinen rosigen kleinen Rachen auf. Sie hatten ursprünglich die Absicht gehabt, von Ukiah aus direkt nach dem Meere zu fahren, aber es war noch zu früh im Jahr, die weichen Sandwege waren nach dem Gewitterregen noch nicht fahrbar, und deshalb bogen sie, in der Richtung des Seedistrikts, nach Osten ab, in der Absicht, durch das obere Sacramentotal und über die Berge nordwärts nach Oregon zu fahren. Dann wollten sie den Kreis nach der Küste beschreiben, wo zu dieser Zeit die Wege gut instand waren, und so das Goldene Tor erreichen.
Das ganze Land war grün und mit Blumen übersät, und als sie in die Berge kamen, war jedes kleine Tal wie ein Garten.
»Huh!« meinte Billy höhnisch und wandte sich ganz allgemein an die Umgebung. »Es heißt, dass rollende Steine kein Moos ansetzen. Aber wir haben doch eine ganz nette Menge angesetzt. Ich hab’ nie in meinem Leben so viel auf einmal besessen – nicht einmal in den Tagen, als ich nicht rollte. Zum Teufel, nicht einmal die Möbel gehörten uns. Nur die Kleider, in denen wir gingen und standen, ein paar alte Socken und dergleichen.«
Saxon streckte die Hand aus und berührte die seine, und er wusste, dass es eine Hand war, die die seine liebte.
»Nur eins tut mir leid«, sagte sie. »Dass du alles allein verdient hast. Ich habe keinen Anteil daran gehabt.«
»Oho! – du hast sehr viel Anteil daran gehabt. Du bist wie ein Trainer beim Boxen. Du sorgst dafür, dass ich froh und vergnügt und in guter Form bin. Man kann nicht richtig kämpfen, wenn man nicht einen guten Trainer hat. – Teufel, glaubst du, ich würde hier sitzen, wenn du nicht gewesen wärest! Du warst es, die mich alles liegen und auf die Wanderung gehen ließ. Wenn du nicht gewesen wärest, so hätte ich mich tot getrunken oder wäre in San Quentin aufgeknüpft worden, weil ich zu hart mit einem Streikbrecher umgegangen war oder dergleichen. Und sieh mich an! Sieh die Geldrolle« – er schlug sich auf die Brust – »damit soll ich Pferde für den Alten kaufen. – Es ist wie Ferien, die nie ein Ende nehmen sollen, und obendrein haben wir unser gutes, reichliches Auskommen. Und ich habe einen neuen Beruf bekommen – Pferde für Oakland zu kaufen. Wenn ich zeige, dass ich Verstand habe, und ich weiß, dass ich das habe, werden alle Firmen in San Franzisko angelaufen kommen und mich bitten, Pferde für sie zu kaufen. Und das ist alles deine Schuld – denn du hast mich dazu gekriegt, und wenn Possum uns jetzt nicht anguckte, dann würde ich – aber was, zum Teufel, kümmere ich mich darum, ob er es sieht.«
Und Billy beugte sich zu ihr und küsste sie.
Der Weg wurde hügelig und beschwerlich, als sie höher hinaufkamen, aber das letzte Stück bis zur Wasserscheide war nicht schwierig, und bald fuhren sie in den Canyon bei den blauen Seen ein, durch fruchtbare Felder mit goldenem Mohn. Auf der Sohle des Canyons schlängelte sich ein breites Band von tiefstem Blau. Weit vor ihnen schlossen die Hügel sich wie Falten am Horizont, und in der Ferne war ein blauer Berg, der eine Art Mittelfigur im Bilde ausmachte.
Sie richteten einige Fragen an einen schönen, schwarzäugigen Mann mit grauem, lockigem Haar, und er antwortete ihnen mit deutschem Akzent, während eine Frau mit vergnügtem Gesicht ihnen aus einem hohen Gitterfenster in einer Schweizer Villa, die oben auf einem Hange lag, zunickte. Billy gab seinen Pferden in einem hübschen Hotel, weiter abwärts im Canyon, Wasser, und der Wirt erzählte ihnen, dass er selbst das Hotel nach einer Zeichnung des Mannes mit dem lockigen grauen Haar gebaut hatte – er war Architekt und wohnte in San Franzisko.
»Wir kommen vorwärts, wir kommen vorwärts!« sagte Billy und lachte bei sich, als sie weiter zwischen den Hügeln hindurch an einem zweiten See vom tiefsten Blau vorbeifuhren. »Kannst du sehen, jetzt, da wir fahren, behandeln sie uns schon anders als zu der Zeit, da wir mit unsern Bündeln auf dem Rücken herumwanderten? Wenn Hazel und Hattie und Saxon und Possum und meine Wenigkeit hier in dem vornehmen Wagen angefahren kommen, glauben die Leute, dass wir Millionäre auf einer Vergnügungsreise sind.«
Der Weg wurde breiter. Große Wiesen, hin und wieder mit Eichengruppen und grasendem Vieh, lagen zu beiden Seiten. Dann tauchte ein neuer See wie ein kleines Meer im Lande auf, weißschäumend von dem Wind, der von den hohen Bergen herabstrich, auf deren nördlichen Hängen der Schnee immer noch in schimmernd weißen Flecken lag.
»Frau Hazard war ganz begeistert vom Genfer See«, sagte Saxon, »aber ich möchte wissen, ob er schöner ist als der hier.«
»Aber der Architekt nannte dies hier auch die kalifornischen Alpen«, bestätigte Billy. »Und wenn ich mich nicht irre, ist das da vorn Lakeport. Das ist alles ganz wild, und es gibt keine Eisenbahn.«
»Und auch kein Mondtal«, sagte Saxon kritisch. »Aber es ist schön, ach, wie schön!«
»Aber hier ist es im Sommer sicher heiß wie die Hölle, das möchte ich wetten«, erklärte Billy. »Nein, das Land das wir suchen, liegt näher an der Küste. Aber deshalb ist es hier doch schön – wie ein Bild an der Wand. Was meinst du dazu, wenn wir hier halt machen und ein bisschen schwimmen?«
*
Zehn Tage darauf fuhren sie in Williams in Colusa County ein, und dort stießen sie zum ersten Mal auf eine Eisenbahn. Billy sah sich nach ihr um, weil hinter seinem Wagen zwei prachtvolle Arbeitspferde liefen, die er unterwegs gekauft hatte und nach Oakland schicken wollte.
»Hier ist es zu heiß«, erklärte Saxon, und sah über die schwachleuchtende Fläche des mächtigen Sacramentotals hinaus. »Keine Riesentannen. Keine Hügel. Keine Wälder. Keine Manzanitos. Keine Madronjos. Einsam und traurig –«
»Wie die Flussinseln«, fiel Billy ihr ins Wort. »Verflucht reicher Boden, aber die Arbeit scheint zu schwer zu sein. Das ist gut für Leute, die auf Mühe versessen sind – aber Gott mag wissen, dass es einen hier nicht reizt, immer zu bleiben. Keine Fischerei, keine Jagd – nichts als Arbeit. Wenn ich gezwungen wäre, hier zu leben, würde ich selber anfangen, mich abzurackern.«
*
Viele Tage fuhren sie in Hitze und Staub über die kalifornische Ebene nach Norden, und überall sahen sie »neue« Landwirtschaft – große Rieselkanäle, die gegraben waren oder gegraben wurden, Boden, der von elektrischen Leitungen von den Bergen durchschnitten war und viele neue Bauernhäuser auf kleinen eingehegten Gütern. Die großen Höfe aus der guten alten Zeit wurden ausgestückt. Und doch gab es immer noch viele große, fünf- bis zehntausend Morgen umfassende Höfe, die sich vom Ufer des Sacramentos bis an den Horizont erstreckten und zitternd, mit großen Taleichen übersät, unter den Hitzewellen lagen.
»Solche Bäume brauchen reichen Boden«, sagte ein Bauer auf einer kleinen Zehn-Morgen-Wirtschaft zu ihnen. Sie waren hundert Fuß weit vom Wege bis zu seiner winzigen Scheune gefahren, um Hazel und Hattie Wasser zu geben. Ein schöner junger Obstgarten nahm den größten Teil seiner zehn Morgen ein, aber außerdem gab es noch weißgestrichene Hühnerhäuser und mit Drahtzäunen umgebene Ausläufe, in denen sich Hunderte von Hühnern befanden. Er hatte gerade mit einem kleinen Fachwerkbau begonnen.
»Den Grund und Boden kaufte ich mir in den Ferien«, erzählte er, »und pflanzte die Bäume. Dann kehrte ich wieder zu meiner Arbeit zurück und blieb dabei, bis alles gerodet war. Jetzt bin ich für immer hier, und sobald das Haus fertig ist, lasse ich meine Frau kommen. Sie ist nicht besonders kräftig, und es wird sehr gesund für sie sein. Wir haben viele Jahre gearbeitet und uns abgerackert, um aus der Stadt wegzukommen.« Er hielt inne und seufzte zufrieden. »Und jetzt sind wir frei.«
Das Wasser im Trog war warm von der Sonne.
»Warten Sie«, sagte der Mann. »Das dürfen Sie sie nicht trinken lassen. Ich gebe ihnen etwas kaltes Wasser.«
Er ging zu einem kleinen Schuppen und drehte einen Schalter, worauf ein kleiner Motor von der Größe einer Obstkiste sich summend in Bewegung setzte. Ein fünfzölliger blinkender Wasserstrahl spritzte in den seichten Graben, der die Hauptader seines Berieselungssystems war, und strömte in vielen Seitenkanälen durch den Obstgarten.
»Ist das nicht herrlich – herrlich, herrlich!« rief der Mann begeistert. »Das bedeutet Knospen und Früchte. Blut und Leben. Sehen Sie nur! Das macht eine Goldmine zu einem Witz und ein Schanklokal zu einem bösen Traum. Ich weiß es. Ich – ich bin einmal Kellner gewesen. Ich bin tatsächlich mein ganzes Leben lang Kellner gewesen. Damit habe ich mir das Geld verdient, um diesen Hof zu kaufen. Und ich habe die Arbeit mein ganzes Leben gehasst. Ich bin auf einem Bauernhof geboren, und immer habe ich mich nach dem Lande gesehnt.«
Er wischte sich die Brille ab, um besser sein heißgeliebtes Wasser sehen zu können, dann ergriff er eine Hacke und wanderte mit ihr den Hauptgraben entlang, um weitere Nebenkanäle anzulegen. »Das ist der komischste Kellner, den ich je getroffen habe«, meinte Billy. »Ich glaubte, er sei irgendein Geschäftsmann. Es muss irgend so ein stilles Hotel gewesen sein.«
»Du darfst nicht gleich weiter fahren«, erklärte Saxon. »Ich möchte gern noch mit ihm reden.«
Er kam wieder, putzte sich die Brille und strahlte über das ganze Gesicht, als er das Wasser betrachtete, das eine Art Zauber auf ihn ausübte. Um ihn in Gang zu bringen, brauchte Saxon sich nicht mehr anzustrengen, als er es getan, um seinen Motor in Gang zu bringen.
»Anfang der Fünfziger nahmen Pioniere alles dies in Besitz«, sagte er. »Die Mexikaner waren nie so weit gekommen, alles war Staatsboden. Alle Menschen bekamen hundertundsechzig Morgen. Und welch einen Boden! Die Geschichten, die sie von all dem Weizen erzählen, den sie bekamen, sind beinahe unglaublich. Dann erfolgten verschiedene Veränderungen. Die schlauesten und vernünftigsten Pioniere behielten, was sie hatten, und kauften von den anderen dazu. Und allmählich wurde alles zu großen Höfen.«
»Das waren die glücklichen Spieler«, warf Saxon ein, die sich erinnerte, was Mark Hall gesagt hatte.
Der Mann nickte beifällig und fuhr fort:
»Die Alten rechneten und sammelten und machten ihre großen Höfe immer größer, und sie bauten die großen Scheunen und Häuser und legten Obst- und Blumengärten an. Die Jungen wurden von all dem vielen Reichtum verdorben, sie gingen in die Stadt, um ihn durchzubringen. Und in einem waren Alte und Junge sich einig: Den Boden auszusaugen. Jahr auf Jahr beuteten sie ihn aus und verschafften sich Riesenernten. Sie gaben ihm nichts dafür, und der Boden, den sie zurückließen, war vollkommen ausgepresst. Ja, große Stücke waren so ausgenutzt, dass sie fast wie eine Wüste dalagen.
Die großen Bauern aus der wirklich guten Zeit sind jetzt alle tot – ja, Gott sei Dank! – und dadurch haben wir kleinen Bauern unsere Chance bekommen. Es wird nicht viele Jahre dauern, bis das ganze Tal in kleinen Stellen wie die meine bewirtschaftet wird. Sehen Sie, was wir ausrichten! Wir kriegen ausgenutzten Boden, der keinen Weizen mehr erzeugt, übergießen ihn mit einem Strom von Wasser und behandeln die Erde gut, ja, sehen Sie nur unsere Obstgärten!
Wir haben das Wasser – von den Bergen und von den unterirdischen Quellen. Ich las neulich einen Bericht, in dem stand, dass alles Leben von der Nahrung abhängt. Aber alle Nahrung hängt wieder vom Wasser ab. Es gehören tausend Pfund Wasser dazu, um ein Pfund Nahrung; zehntausend Pfund Wasser, um ein Pfund Fleisch zu erzeugen. Wie viel Wasser trinken Sie in einem Jahre? Ungefähr eine Tonne. Aber Sie essen ungefähr zweihundert Pfund Gemüse und zweihundert Pfund Fleisch im Jahre – das heißt, dass Sie hundert Tonnen Wasser in Form von Gemüse und tausend Tonnen in Form von Fleisch in sich aufnehmen – und das heißt wieder, dass elfhundertundeine Tonne Wasser jährlich dazu gehören, um eine kleine Frau wie Sie zu erhalten.«