Jack London – Gesammelte Werke

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Als es ih­rer Be­rech­nung nach ge­ra­de Mit­ter­nacht sein muss­te, kam eine neue Stö­rung. Ein elek­tri­sches Licht zeig­te sich wie ein win­zi­ger Schein­wer­fer in der Tür­öff­nung und be­weg­te sich durch die Scheu­ne, bis es schließ­lich auf ihr und Bil­ly haf­te­te, wäh­rend eine bar­sche Stim­me sag­te:

»Aha, jetzt hab’ ich euch. Wollt ihr ma­chen, dass ihr weg­kommt!«

Bil­ly setz­te sich, halb ge­blen­det von dem Licht, auf. Die Stim­me hin­ter dem Licht nä­her­te sich und wie­der­hol­te, dass sie ma­chen soll­ten weg­zu­kom­men.

»Was gibt es?« frag­te Bil­ly.

»Ich bin es«, lau­te­te die Ant­wort, »und ich pas­se auf, das sage ich euch nur!«

Die Stim­me war dicht ne­ben ih­nen, nur einen Schritt ent­fernt, und sie konn­ten nichts se­hen, weil das Licht, das nicht ge­ra­de sehr ste­tig war, je­den Au­gen­blick aus­ging, wenn der, wel­cher es be­dien­te, es müde wur­de, den Dau­men auf den Knopf zu drücken.

»Also ein biss­chen schnell!« fuhr die Stim­me fort. »Rollt eure De­cken zu­sam­men und kommt mit! Ich war­te auf euch!«

»Wer sind Sie zum Don­ner­wet­ter?« frag­te Bil­ly.

»Ich bin Po­li­zist, kom­men Sie jetzt!«

»So, was wol­len Sie denn hier?«

»Euch bei­de mit­neh­men, selbst­ver­ständ­lich.«

»Wa­rum?«

»Weil ihr Va­ga­bun­den seid. Na, ein biss­chen schnell! Ich habe kei­ne Lust, hier die gan­ze Nacht zu ste­hen!«

»Ach, dann kön­nen Sie ja sel­ber ma­chen, dass Sie weg­kom­men!« sag­te Bil­ly. »Ich bin kein Va­ga­bund. Ich bin Ar­bei­ter.«

»Vi­el­leicht – viel­leicht auch nicht«, sag­te der Po­li­zist.

»Aber das kön­nen Sie mor­gen früh Rich­ter Neus­bau­mer er­zäh­len.«

»Was, zum Teu­fel – bil­dest du dre­cki­ger, stin­ken­der Kö­ter dir ein, dass du mich fest­neh­men kannst?« fing Bil­ly an. »Dreh das Licht zu dir sel­ber um. Ich will se­hen, was für eine häss­li­che, dre­cki­ge Frat­ze du hast. Mich fest­neh­men, wie bit­te? Mich fest­neh­men? Ich hät­te Lust, her­aus­zu­kom­men und dich kurz und klein zu schla­gen.«

»Nein, nein, Bil­ly«, bat Sa­xon. »Mach kei­nen Krach, du kommst nur ins Ge­fäng­nis.«

»Sehr rich­tig!« sag­te der Schutz­mann bei­fäl­lig. »Hö­ren Sie dar­auf, was das Mä­del sagt!«

»Das ist mei­ne Frau, und ich muss bit­ten, dass du or­dent­lich von ihr re­dest«, sag­te Bil­ly dro­hend. »Aber jetzt mach lie­ber, dass du weg­kommst, sonst hast du es zu be­reu­en.«

»Ich bin frü­her schon mit Leu­ten dei­nes Schla­ges fer­tig ge­wor­den«, ant­wor­te­te der Schutz­mann. »Und ich habe mei­nen klei­nen As­sis­ten­ten bei mir. Kannst du se­hen?«

Der Licht­strahl be­weg­te sich, und sie sa­hen eine Hand mit ei­nem Re­vol­ver, un­heim­lich stark be­leuch­tet, aus der Dun­kel­heit her­aus­ra­gen. Die­se Hand war gleich­sam et­was für sich, et­was, das kraft sei­ner selbst exis­tier­te und nicht zu ei­nem be­stimm­ten Kör­per ge­hör­te, und sie tauch­te auf und ver­schwand wie­der wie ein Geist, als der Dau­men den Knopf losließ. Ei­nen Au­gen­blick starr­ten sie auf die Hand mit dem Re­vol­ver, im nächs­ten Au­gen­blick herrsch­te un­durch­dring­li­ches Dun­kel, und dann sa­hen sie wie­der die Hand und den Re­vol­ver.

»Nun, ich den­ke, ihr macht dies­mal kei­ne Schwie­rig­kei­ten mehr«, sag­te der Schutz­mann tri­um­phie­rend.

»Da denkst du falsch«, be­gann Bil­ly.

Im nächs­ten Au­gen­blick ging das Licht aus. Sie hör­ten den Schutz­mann eine schnel­le Be­we­gung ma­chen und dann die elek­tri­sche Lam­pe dumpf zu Bo­den fal­len. So­wohl Bil­ly wie der Schutz­mann such­ten nach ihr, aber Bil­ly war es, der sie fand, und den Licht­strahl auf den an­de­ren rich­te­te. Sie sa­hen einen grau­bär­ti­gen, in trie­fend nas­ses Öl­zeug ge­klei­de­ten Mann. Es war ein al­ter Mann, der Sa­xon an die al­ten Män­ner er­in­ner­te, die sie am drei­ßigs­ten Mai in den Ve­te­ra­nen­pro­zes­sio­nen ge­se­hen hat­te.

»Gib mir mei­ne Lam­pe!« be­fahl er.

Bil­ly lach­te höh­nisch.

»Ja, dann muss ich dir eine Ku­gel in den Leib schie­ßen, weiß Gott, ich muss!«

Er rich­te­te den Re­vol­ver auf Bil­ly, des­sen Dau­men nicht einen Au­gen­blick den Knopf losließ, und sie konn­ten im Schein der La­ter­ne in den Re­vol­ver­lauf hin­ein­se­hen.

»Du al­tes bär­ti­ges Ge­stell, du hast ja nicht ein­mal so viel Mut, einen sau­ern Ap­fel zu schie­ßen!« ant­wor­te­te Bil­ly. »Ich ken­ne Leu­te dei­nes Schla­ges – tap­fer wie Lö­wen, wenn ihr elen­den Feig­lin­gen und Va­ga­bun­den ge­gen­über­steht, aber vor­sich­tig wie Scha­ka­le, wenn ihr einen Mann trefft. Auf mich schie­ßen! Du elen­des fei­ges Stück Dreck, du nimmst den Schwanz zwi­schen die Bei­ne, wenn ich nur Buh sage!«

Bil­ly ließ die Tat dem Wor­te fol­gen und stieß ein Buh aus, und Sa­xon muss­te un­will­kür­lich la­chen, als sie den Schutz­mann zu­sam­men­fah­ren sah.

»Ich sage es jetzt zum letz­ten­mal«, fauch­te der mit zu­sam­men­ge­bis­se­nen Zäh­nen. »Gib mir die Lam­pe und kommt mit, ohne wei­te­re Schwie­rig­kei­ten zu ma­chen – sonst knal­le ich dich nie­der.«

Sa­xon fürch­te­te für Bil­ly, aber doch nur halb. Sie glaub­te fest, dass der Mann nicht zu schie­ßen wag­te, und wie so oft zu­vor wur­de sie beim An­blick von Bil­lys Mut von Be­wun­de­rung durch­bebt. Sie konn­te sein Ge­sicht nicht se­hen, wuss­te aber so si­cher, wie wenn sie es ge­se­hen hät­te, dass es den­sel­ben lei­den­schafts­lo­sen, er­schre­cken­den Aus­druck hat­te, den es ge­habt hat­te, als er sich mit den drei Ir­län­dern schlug.

»Es ist nicht das ers­te­mal, dass ich einen Men­schen töte«, sag­te der Schutz­mann dro­hend. »Ich bin ein al­ter Sol­dat, und ich kann sehr gut Blut se­hen –«

»Und Sie soll­ten sich schä­men«, fiel Sa­xon ihm ins Wort, »her­zu­kom­men und mit fried­li­chen Leu­ten an­zu­bin­den, die Ih­nen nichts ge­tan ha­ben.«

»Ihr dürft hier nicht schla­fen«, ver­tei­dig­te er sich. »Das ge­hört euch hier nicht. Es ist un­ge­setz­lich. Und Leu­te, die ge­gen das Ge­setz ver­sto­ßen, kom­men ins Ge­fäng­nis, und das wer­det ihr bei­den auch. Ich habe schon vie­len Va­ga­bun­den einen gan­zen Mo­nat Ge­fäng­nis ver­schafft, nur weil sie in die­sem Schup­pen ge­schla­fen ha­ben. Ja, es ist eine rich­ti­ge Fal­le! Ich habe eure Ge­sich­ter ge­se­hen und weiß, dass ihr ge­fähr­li­che In­di­vi­du­en seid.« Er wand­te sich zu Bil­ly. »So, jetzt ge­nug mit den Dumm­hei­ten. Wollt ihr euch er­ge­ben und ohne Lärm mit­kom­men?«

»Jetzt will ich dir et­was sa­gen, du al­ter Affe«, ant­wor­te­te Bil­ly. »Ers­tens kriegst du uns nicht. Zwei­tens wer­den wir heu­te Nacht hier schla­fen.«

»Gib mir die Lam­pe!« be­fahl der Schutz­mann.

»Halt das Maul, al­ter Grau­bart! Und mach jetzt, dass du weg­kommst – nimm dir ein Bil­let. Dei­ne Lam­pe kannst du dir drau­ßen im Dreck su­chen.«

Bil­ly be­weg­te den Licht­strahl, bis er auf die Tür­öff­nung fiel, dann schleu­der­te er die Lam­pe hin­aus. Jetzt war es voll­kom­men dun­kel, und sie konn­ten ih­ren zu­dring­li­chen Gast vor Wut mit den Zäh­nen knir­schen hö­ren.

»Ja, jetzt kannst du ver­su­chen zu schie­ßen – dann sollst du et­was er­le­ben«, sag­te Bil­ly dro­hend.

Sa­xon tas­te­te nach Bil­lys Hand, er­wi­sch­te sie und drück­te sie stolz. Der Schutz­mann mur­mel­te eine Dro­hung.

»Was?« frag­te Bil­ly scharf. »Bist du noch nicht weg? Jetzt hör mich an, al­ter Grau­bart! Jetzt hab ich mir so viel von dir ge­fal­len las­sen, wie ich ge­son­nen bin. Jetzt machst du, dass du weg­kommst – sonst helf ich dir auf die Bei­ne. Und wenn du uns hier wei­te­re Sche­re­rei­en machst, dann kriegst du was. Hin­aus mit dir!«

Das Brül­len des Stur­mes war so oh­ren­be­täu­bend, dass sie nichts hö­ren konn­ten. Bil­ly dreh­te sich eine Zi­ga­ret­te. Als er sie an­zün­de­te, war die Scheu­ne leer. Bil­ly lach­te.

»Weißt du, ich wur­de so wü­tend, dass ich mei­nen schlech­ten Fin­ger ganz ver­gaß. Aber jetzt mel­det er sich wie­der.«

Sa­xon brach­te ihn dazu, sich hin­zu­le­gen, und strich ihm wie­der über die Stirn, um ihn zu be­ru­hi­gen.

»Es ist nicht dar­an zu den­ken, dass wir vor mor­gen früh hier weg­kom­men«, sag­te sie. »Aber so­bald es hell wird, fah­ren wir mit der Stra­ßen­bahn nach San José, mie­ten uns ein Zim­mer, früh­stücken et­was War­mes und ge­hen dann in eine Apo­the­ke und kau­fen, was zu ei­nem war­men Um­schlag ge­hört, oder was sonst ge­macht wer­den muss.«

»Aber Ben­son?« wand­te Bil­ly ein.

»Du rufst ihn von der Stadt aus an – das kos­tet nur fünf Cent. Ich sah, dass er Te­le­fon hat­te. Und bei dem Re­gen könn­test du ja auch nicht pflü­gen, selbst wenn du den schlech­ten Fin­ger nicht hät­test. Dann kön­nen wir bei­de uns auf ein­mal er­ho­len. Mei­ne Fer­se wird schon bes­ser sein, wenn es sich auf­klärt, und dann kön­nen wir ja wei­ter rei­sen.«

*

Früh am Mon­tag­mor­gen, drei Tage dar­auf, fuh­ren Sa­xon und Bil­ly nach der End­sta­ti­on und mach­ten sich zum zwei­ten Mal nach San Juan auf. Der Weg war vol­ler Pfüt­zen, aber die Son­ne schi­en, der Him­mel war blau, und über­all sah man eine schwa­che An­deu­tung von kei­men­dem Grün. Vor Ben­sons Hof war­te­te Sa­xon, wäh­rend Bil­ly hin­ein­ging, um sich sei­ne sechs Dol­lar für die drei Tage Pflug­ar­beit ge­ben zu las­sen.

»Er wü­te­te wie ein Stier, weil ich ge­hen woll­te«, sag­te er, als er wie­der­kam. »An­fangs woll­te er gar nichts da­von hö­ren – sag­te, in ein paar Ta­gen hät­te er wie­der Ar­beit für mich, es gäbe nicht so vie­le gute Leu­te, die mit vier Pfer­den fah­ren, dass man sie, ohne zu muck­sen, ge­hen las­sen könn­te.«

»Und was sag­test du?«

»Ach, ich sag­te nur, ich müss­te wei­ter. Dann ver­such­te er, mich zu über­re­den, und ich sag­te, ich hät­te mei­ne Frau mit, und sie hät­te es ver­flucht ei­lig, wei­ter zu kom­men.«

 

»Aber das hast du doch auch, Bil­ly?«

»Selbst­ver­ständ­lich, aber nicht so wie du! Teu­fel auch, ei­gent­lich ge­fiel mir das Pflü­gen sehr gut. Vor der Ar­beit hab ich kei­ne Angst mehr. Ich hab die Ge­schich­te jetzt weg, und du kannst dar­auf schwö­ren, dass ich un­ge­fähr eben­so gut pflü­gen kann wie alle an­de­ren.«

Eine Stun­de spä­ter hör­ten sie ein Au­to­mo­bil hin­ter sich, und sie tra­ten an den We­grand, um es vor­bei zu las­sen. Aber das Au­to­mo­bil fuhr nicht vor­bei. Es war Ben­son, der dar­in saß, und er war al­lein und hielt bei ih­nen an.

»Wo wol­len Sie hin?« frag­te er Bil­ly, warf aber gleich­zei­tig Sa­xon einen has­ti­gen, for­schen­den Blick zu.

»Nach Mon­te­rey – wenn Sie so weit fah­ren«, lach­te Bil­ly.

»Sie kön­nen bis Wat­son­ville mit­fah­ren. Das sind zu Fuß und mit dem Ge­päck meh­re­re Tage. Klet­tern Sie nur her­auf!« Dann wand­te er sich di­rekt zu Sa­xon. »Ha­ben Sie Lust, auf dem Vor­der­sitz zu sit­zen?«

Sa­xon sah Bil­ly an.

»Tu es nur!« sag­te er zu­stim­mend. »Es sitzt sich groß­ar­tig vorn. Ja, das ist üb­ri­gens mei­ne Frau, Herr Ben­son.«

»So, Sie wa­ren es also, die mir den Mann nahm?« sag­te Ben­son gut­mü­tig brum­mend und wi­ckel­te sie in den Man­tel.

Sa­xon gab zu, dass es al­ler­dings ihre Schuld wäre, und bald in­ter­es­sier­te sie sich eif­rig da­für, wie er den Wa­gen in Gang setz­te.

»Ja, ich wäre ein elen­der Land­wirt, wenn ich nicht mehr Bo­den hät­te, als Sie je ge­pflügt hat­ten, ehe Sie zu mir ka­men«, sag­te Ben­son pfif­fig über die Schul­ter hin­weg zu Bil­ly.

»Ich hat­te noch nie einen Pflug in Hän­den ge­habt – au­ßer ei­nem ein­zi­gen Mal«, ge­stand Bil­ly, »aber man muss ja ler­nen.«

»Für zwei Dol­lar den Tag?«

»Ja, wenn man je­mand fin­det, der sie ei­nem gibt«, sag­te Bil­ly wohl­wol­lend.

Ben­son lach­te herz­lich.

»Sie ler­nen schnell!« sag­te er an­er­ken­nend. »Ich konn­te schon se­hen, dass Sie noch kei­ne nä­he­re Be­kannt­schaft mit ei­nem Pflug ge­macht hat­ten. Aber Sie grif­fen die Sa­che sehr ver­nünf­tig an. Nicht ein Mann von zehn, die ich auf der Land­stra­ße krie­gen kann, könn­te leis­ten, was Sie am drit­ten Tage ge­leis­tet ha­ben. Aber Ihre Stär­ke ist nun doch Ihr Pfer­de­ver­stand. Als ich Sie an dem Mor­gen auf­for­der­te, die Lei­nen zu neh­men, tat ich es halb im Scherz. Sie sind ein ge­üb­ter Kut­scher und üb­ri­gens auch ein ge­bo­re­ner.«

»Er ist so gut zu Pfer­den«, sag­te Sa­xon.

»Ja, mehr als das«, Ben­son wand­te sich wie­der zu ihr. »Ihr Mann hat den rich­ti­gen Griff. Das ist schwer zu er­klä­ren. Aber das ist es eben – der Griff. Der ist fast wie ein In­stinkt. Und wenn es not­wen­dig ist, gut zu Pfer­den zu sein, so ist es noch not­wen­di­ger, den Griff zu ha­ben. Ihr Mann hat den Griff. Die Pro­be zum Bei­spiel, die ich mit ihm an­stell­te, als ich ihn den Wa­gen mit den vier Pfer­den fah­ren ließ! Mit Freund­lich­keit al­lein hät­te er es nicht fer­tig­ge­bracht. Dazu war es zu ver­wi­ckelt und schwie­rig. Es ge­hör­te der Griff dazu. Das konn­te ich im sel­ben Au­gen­blick se­hen, als er an­fing. Er hat­te nicht den ge­rings­ten Zwei­fel. Und die Pfer­de hat­ten auch nicht den ge­rings­ten Zwei­fel. Sie hat­ten gleich Füh­lung mit ihm. Sie wuss­ten, was zu tun war, und wuss­ten, dass sie es zu tun hat­ten. Sie fürch­te­ten sich nicht, wuss­ten aber doch, dass der Mann auf dem Kutsch­bock ih­nen über war. Als er die Lei­ne fass­te, fass­te er gleich­zei­tig die Pfer­de. Er hat­te den Griff, ver­ste­hen Sie? Er nahm sie und brach­te sie dort­hin, wo er sie ha­ben woll­te, schwang sie auf und nie­der, rechts und links, ließ sie zie­hen, lo­cker­te die Zü­gel und ging rück­wärts, und sie wuss­ten, dass es schon ge­hen soll­te. Ach, Pfer­de kön­nen selbst­ver­ständ­lich dumm sein, aber Idio­ten sind sie auch nicht. Sie wis­sen, ob der rich­ti­ge Kut­scher mit ih­nen fährt, wenn es mir auch ein Rät­sel ist, wie sie das so schnell be­grei­fen kön­nen.«

Ben­son hielt inne, ein we­nig är­ger­lich über sei­ne ei­ge­ne Red­se­lig­keit, und sah Sa­xon for­schend an, ob sie ihn ver­stan­den hät­te. Ihr Ge­sichts­aus­druck be­frie­dig­te ihn, und er füg­te mit kur­z­em La­chen hin­zu: »Pfer­de sind nun mal eine mei­ner Lei­den­schaf­ten. Ja, das glau­ben Sie viel­leicht nicht, weil ich mit ei­ner sol­chen Stink­ma­schi­ne fah­re? Ich wür­de auch viel lie­ber mit ei­nem Paar tüch­ti­ger Pfer­de fah­ren. Aber das wür­de mich mehr Zeit kos­ten und, was noch schlim­mer wäre – sie wür­den mir zu viel Sor­ge ma­chen. So ein Ding wie das hier hat we­der Ner­ven noch Glie­der noch fei­ne Seh­nen – man braucht es nur rat­tern zu las­sen.«

Sa­xon war bald ganz in das Ge­spräch mit ih­rem Wirt ver­tieft. Sie war sich klar dar­über, dass sie hier einen ty­pi­schen mo­der­nen Land­wirt vor sich hat­te. Das Wis­sen, das sie schon ge­sam­melt hat­te, mach­te, dass sie sich ver­hält­nis­mä­ßig leicht aus­drücken konn­te, und wenn Ben­son sprach, war sie ganz ver­blüfft, wie viel sie von dem, was er sag­te, ver­ste­hen konn­te. Auf sei­ne di­rek­te Fra­ge er­zähl­te sie ihm von ih­ren und Bil­lys Aus­sich­ten, gab ihm einen klei­nen Ein­blick in ihr Le­ben in Oa­k­land und ver­weil­te aus­führ­li­cher bei ih­ren Zu­kunfts­plä­nen.

Es war bei­na­he wie ein Traum, als sie vor der Baum­schu­le bei Mor­gans Hü­gel er­fuhr, dass sie schon zwan­zig Mei­len ge­fah­ren wa­ren, eine be­deu­tend län­ge­re Stre­cke, als sie an die­sem Tage zu ge­hen ge­dacht hat­ten. Und im­mer noch schnurr­te die Ma­schi­ne wei­ter, und kaum hat­te sie ir­gend­ei­nen Punkt in der Fer­ne er­blickt, so wa­ren sie auch schon vor­bei.

»Ich konn­te auch nicht be­grei­fen, warum ein so tüch­ti­ger Mensch wie Ihr Mann sich auf der Land­stra­ße her­um­treibt!« sag­te Ben­son.

»Ja«, lä­chel­te sie, »er er­zähl­te mir, dass Sie ihn für einen gu­ten Mann hiel­ten, dem es schlecht ge­gan­gen sein müss­te.«

»Ja, se­hen Sie, da­mals wuss­te ich nichts von Ih­nen. Aber jetzt ver­ste­he ich al­les, wenn ich auch sa­gen muss, dass es heut­zu­ta­ge et­was sehr Un­ge­wöhn­li­ches ist, ein paar jun­ge Leu­te wie Sie und Ihren Mann mit dem Bün­del auf dem Rücken her­um­zie­hen und nach Bo­den su­chen zu se­hen. Und da fällt mir ge­ra­de et­was ein, was ich Ih­nen er­zäh­len will.« Er wand­te sich zu Bil­ly. »Ich er­zähl­te eben schon Ih­rer Frau, dass auf mei­nem Hof fes­te Ar­beit auf Sie war­tet. Und da ist ein hüb­sches Häu­schen mit drei Zim­mern, wo Sie und Ihre Frau woh­nen kön­nen. Ver­ges­sen Sie das nicht.«

Un­ter an­derm er­fuhr Sa­xon, dass Ben­son einen Kur­sus über Land­wirt­schaft an der Ka­li­for­ni­schen Uni­ver­si­tät durch­ge­macht hat­te; sie hat­te kei­ne Ah­nung ge­habt, dass et­was Der­ar­ti­ges exis­tier­te. Aber be­treffs des Staats­bo­dens, den sie such­ten, konn­te er ih­nen nicht viel Er­mu­ti­gen­des sa­gen.

»Der ein­zi­ge Staats­bo­den, den es noch gibt«, teil­te er ihr mit, »ist Bo­den, mit dem sich ab­zu­ge­ben aus ir­gend­ei­nem Grun­de nicht lohnt. Wenn dort, wo Sie hin wol­len, gu­ter Bo­den ist, dann ist er zu weit vom Markt ent­fernt. Ich glau­be nicht, dass es dort eine Ei­sen­bahn­ver­bin­dung gibt.«

»War­ten Sie, bis wir nach dem Pa­jaro-Tal kom­men«, sag­te er, als sie Gil­roy pas­siert hat­ten und sich lär­mend Sar­gent nä­her­ten. »Ich wer­de Ih­nen zei­gen, was aus dem Bo­den ge­macht wer­den kann – und zwar nicht von Leu­ten, die land­wirt­schaft­li­che Hoch­schu­len be­sucht ha­ben, son­dern von Aus­län­dern ohne die ge­rings­te Vor­bil­dung, Leu­ten, wie die groß­mäch­ti­gen Ame­ri­ka­ner sie im­mer ver­spot­te­ten. Jetzt will ich es Ih­nen zei­gen. Es ist et­was vom Merk­wür­digs­ten, was man im Staa­te se­hen kann.«

Bei Sar­gent ver­ließ er sie einen Au­gen­blick, um ei­ni­ge Ge­schäf­te zu er­le­di­gen.

»O je, das ist doch an­ders, als zu mar­schie­ren!« sag­te Bil­ly. »Es ist noch früh am Tage, und wenn er uns ab­setzt, sind wir noch frisch und kön­nen gut ein paar Mei­len zu Fuß lau­fen. Aber des­halb glau­be ich doch, dass ich bei Pfer­den blei­ben wer­de, wenn wir erst fes­ten Bo­den un­ter den Fü­ßen und uns ein biss­chen zu­rück­ge­legt ha­ben. Pfer­de sind das Bes­te für mich.«

»So eine Ma­schi­ne ist nur gut, wenn man schnell ir­gend­wo­hin fah­ren muss«, gab Sa­xon zu. »Selbst­ver­ständ­lich, wenn wir reich wür­den, sehr reich –«

»Weißt du, Sa­xon«, fiel Bil­ly ihr ins Wort, als wäre ihm ge­ra­de et­was ein­ge­fal­len. »Ei­nes habe ich doch ge­lernt. Ich habe kei­ne Angst mehr, dass ich der Ar­beit auf dem Lan­de nicht ge­wach­sen wäre. An­fangs hat­te ich sie, wenn ich dir auch nichts da­von er­zähl­te. Aber ich hat­te eine To­des­angst, als wir bei San Le­an­dro ab­stie­gen. Und jetzt habe ich schon zwei An­ge­bo­te – von Frau Mor­ti­mer und von Ben­son – für wirk­lich gute fes­te Ar­beit. Ja, man kann schon Ar­beit auf dem Lan­de krie­gen.«

»Nun«, be­rich­tig­te Sa­xon mit ei­nem stol­zen klei­nen Lä­cheln, »das stimmt doch nicht ganz. Nur gute Leu­te be­kom­men Ar­beit auf dem Lan­de. Die großen Bau­ern neh­men wohl nie­mand aus Wohl­tä­tig­keit.«

»Nein, na­tür­lich nicht! Zu ih­rem Ver­gnü­gen be­trei­ben sie ja auch kei­ne Land­wirt­schaft«, lach­te er.

»Und sie sind ganz ver­ses­sen auf dich. Das kommt, weil du ein gu­ter Mann bist. Das kön­nen sie mit ei­nem hal­b­en Auge se­hen, und – denk nur an all die Va­ga­bun­den, die wir un­ter­wegs tref­fen, und die Ar­beit su­chen! Nicht ei­ner von ih­nen konn­te sich mit dir ver­glei­chen. Ich habe sie alle ge­mus­tert. Sie sind schwach – schwach im Kör­per und im Kop­fe – schwach in je­der Be­zie­hung.«

»Ja, es ist eine elen­de Ge­sell­schaft«, pflich­te­te Bil­ly ihr be­schei­den bei.

»Es ist nicht die rich­ti­ge Jah­res­zeit, um sich das Pa­jaro-Tal an­zu­se­hen«, sag­te Ben­son, als er wie­der ne­ben Sa­xon saß und Sar­gent hin­ter ih­nen lag. »Des­halb ist es aber doch se­hens­wert, wel­che Jah­res­zeit es auch sein mag. Den­ken Sie nur – zwölf­tau­send Mor­gen mit Ap­fel­bäu­men be­pflanzt. Wis­sen Sie, wie man das Pa­jaro-Tal nennt? Das neue Dal­ma­ti­en. Wir wer­den her­aus­ge­drängt. Wir Yan­kees bil­de­ten uns ein, die stär­ke­re Macht zu sein. Ja, und dann ka­men die Dal­ma­ti­ner und zeig­ten, dass sie noch smar­ter wa­ren. Es wa­ren die elen­des­ten Aus­wan­de­rer – arm wie Kir­chen­mäu­se. Zu­erst ar­bei­te­ten sie in der Obs­tern­te als Ta­ge­löh­ner. Dann be­gan­nen sie in al­ler Fried­lich­keit das Obst von den Bäu­men zu kau­fen. Je mehr Geld sie ver­dien­ten, de­sto grö­ße­re Ge­schäf­te mach­ten sie. Bald pach­te­ten sie die Obst­gär­ten auf län­ge­re Zeit. Und jetzt be­gin­nen sie selbst, Bo­den zu kau­fen. Es dau­ert nicht lan­ge, so ge­hört ih­nen das gan­ze Tal, und der letz­te Ame­ri­ka­ner ist ver­schwun­den.«

»Ja ge­wiss – wir Yan­kees sind smart! Ja, se­hen Sie, als die ers­ten zer­lump­ten Sla­ven ihre Ge­schäf­te mit uns mach­ten, ver­dien­ten sie nicht mehr als zwei- bis drei­tau­send lum­pi­ge Pro­zen­te. Und jetzt sind sie mit hun­dert Pro­zent zu­frie­den. Es ist ein rei­nes Un­glück, wenn ihre Ein­nah­men auf fünf­und­zwan­zig oder fünf­zig Pro­zent fal­len.«

»Ganz wie in San Le­an­dro«, sag­te Sa­xon. »Die ur­sprüng­li­chen Be­sit­zer des Bo­dens sind fast alle ver­schwun­den. Das macht die in­ten­si­ve Wirt­schaft.« Sie fand selbst, dass das sehr fein klang. »Es kommt nicht dar­auf an, mög­lichst vie­le Mor­gen zu ha­ben, son­dern, mög­lichst viel her­aus­zu­ho­len.«

»Ja, dar­auf kommt es an«, ant­wor­te­te Ben­son und nick­te nach­drück­lich mit dem Kop­fe. »Da sind mas­sen­haft Leu­te wie Luke Scu­rich, der das Ge­schäft in großem Stil be­treibt. Meh­re­re von ih­nen sind schon eine Vier­tel­mil­li­on schwer. Zehn weiß ich al­lein, die durch­schnitt­lich hun­dert­und­fünf­zig­tau­send Dol­lar schwer sind. Sie ha­ben den Griff mit Äp­feln. Das ist bei­na­he eine Gabe. Sie ken­nen ihre Bäu­me un­ge­fähr eben­so, wie Ihr Mann Pfer­de kennt. Für sie ist je­der Baum so in­di­vi­du­ell, wie für mich ein Pferd. Sie ken­nen je­den Baum, sei­ne gan­ze Ge­schich­te, al­les was die­sem Baum je be­geg­net ist, jede kleins­te Ei­gen­art, die er hat. Ihr Fin­ger ruht auf sei­nem Puls. Sie kön­nen sa­gen, ob er sich heu­te eben­so gut be­fin­det wie ges­tern. Und wenn er das nicht tut, dann wis­sen sie, warum, und kön­nen gleich et­was da­ge­gen tun. Sie kön­nen ei­nem Baum, der in Blü­te steht, an­se­hen, wie viel Pfund Äp­fel er tra­gen wird – und nicht nur das – sie kön­nen sa­gen, von wel­cher Güte die Äp­fel sein wer­den. Ja, sie ken­nen so­gar je­den ein­zel­nen Ap­fel und pflücken ihn mit Sorg­falt und Lie­be, da­mit er nicht be­schä­digt wird, und sie pa­cken ihn in Kis­ten und schi­cken ihn weg, im­mer mit der­sel­ben Sorg­falt und Lie­be, und wenn die Äp­fel auf den Markt kom­men, dann sind sie we­der an­ge­sto­ßen noch faul und wer­den mit den höchs­ten Prei­sen be­zahlt.«

 

»Ja, das ist mehr als in­ten­si­ver Bo­den­bau. Die­se Sla­ven vom adria­ti­schen Meer ver­ste­hen sich auf Ge­schäf­te. Nicht nur, dass sie Äp­fel züch­ten kön­nen – sie kön­nen auch Äp­fel ver­kau­fen. Kein Markt? Nun, wenn schon! Dann schafft man eben einen Markt. So fan­gen sie es an, wäh­rend Leu­te un­se­res Schla­ges das Obst in großen Hau­fen un­ter den Bäu­men ver­fau­len las­sen. Da ist zum Bei­spiel Pe­ter Men­gol! All­jähr­lich reist er nach Eng­land und nimmt hun­dert Wag­g­ons gel­be New­ton Pip­pins mit. Ja, die lie­ben Dal­ma­ti­ner ha­ben ge­ra­de jetzt Pa­jaro-Äp­fel auf den süd­afri­ka­ni­schen Markt ge­wor­fen und ver­die­nen mäch­tig dar­an.«

»Aber, was tun sie denn mit all dem Geld?« frag­te Sa­xon.

»Sie kau­fen na­tür­lich die Ame­ri­ka­ner im Pa­jaro-Tal aus – wie sie schon an­ge­fan­gen ha­ben.«

»Und dann?« frag­te sie.

Ben­son warf ihr einen has­ti­gen Blick zu.

»Dann kau­fen sie die Ame­ri­ka­ner im nächs­ten Tal aus. Und die Ame­ri­ka­ner brau­chen Geld, und von der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­on an be­gin­nen sie in den Städ­ten zu ver­fau­len, wie Sie und Ihr Mann ver­fault wä­ren, wenn Sie nicht her­aus­ge­kom­men wä­ren.«

Sa­xon konn­te einen lei­sen Schau­der nicht un­ter­drücken. Wie Mary ver­fault war, dach­te sie, wie Bert und alle an­de­ren ver­fault wa­ren, wie Tom und alle an­de­ren ver­faul­ten.

»Ja, es ist ein großes Land«, fuhr Ben­son fort. »Aber wir sind kein großes Volk. Kip­ling hat recht – an­de­re ha­ben uns zu un­serm Haus her­aus­ge­drängt, und jetzt sit­zen wir auf der Schwel­le. Und das al­ler­schlimms­te ist, dass wir es bes­ser hät­ten wis­sen kön­nen. Das ist, was wir die Leu­te in all un­sern land­wirt­schaft­li­chen Schu­len und Ver­suchs­sta­tio­nen zu leh­ren ver­su­chen. Aber die Leu­te wol­len es sich nicht an­eig­nen, und die Aus­wan­de­rer, die in ei­ner har­ten Schu­le er­zo­gen sind, neh­men ih­nen den Wind aus den Se­geln. Als ich mit der Schu­le fer­tig war – das war, ehe mein Va­ter starb, und er war aus der al­ten Schu­le und lach­te über das, was er mei­ne Theo­ri­en nann­te – da ging ich ein paar Jah­re auf Rei­sen. Woll­te se­hen, wie sie in der al­ten Welt Land­wirt­schaft be­trie­ben. Oh, ich sah es! –

Jetzt kom­men wir bald in das Tal. – Sie kön­nen sich dar­auf ver­las­sen, dass ich es sah. Ers­tens sah ich – das war in Ja­pan – Ber­ge und Hän­ge, die in Ter­ras­sen ein­ge­teilt wa­ren. Den­ken Sie sich einen Hang, so steil, dass man nicht mit Pfer­den hin­auf­fah­ren kann! Das stör­te sie nicht. Sie bau­ten ihre Ter­ras­sen – eine Stein­mau­er – gute Mau­rer­ar­beit, sechs Fuß hoch – eine fla­che Ter­ras­se, sechs Fuß breit, im­mer hö­he­re Mau­ern und Ter­ras­sen – ganz bis oben hin­auf. Mau­er auf Mau­er, Ter­ras­se auf Ter­ras­se, bis eine Mau­er von zehn Fuß nö­tig war, um ei­ner Ter­ras­se von drei Fuß Raum zu ge­wäh­ren, und zwan­zig Fuß Mau­er für vier bis fünf Fuß Bo­den, wo sie Ge­trei­de und Ge­mü­se pflan­zen konn­ten. Und die Erde schlepp­ten sie in Kör­ben auf dem Rücken den Berg hin­an.

Und über­all, wo ich hin­kam, war es das­sel­be – in Grie­chen­land, in Ir­land, in Dal­ma­ti­en –, denn ich bin über­all ge­we­sen. Sie sam­mel­ten je­des biss­chen Erde, das sie fin­den konn­ten, sam­mel­ten sie, ja, stahlen sie in Schau­feln und Hän­den, tru­gen sie auf dem Rücken Ber­ge hin­an und bau­ten Höfe – bau­ten sie auf den nack­ten Fel­sen. Se­hen Sie, in Frank­reich habe ich Berg­bau­ern in Was­ser­läu­fen nach Hu­mus gra­ben se­hen, wie un­se­re Vor­fah­ren in den ka­li­for­ni­schen Flüs­sen nach Gold gru­ben. Der Un­ter­schied ist nur, dass das Gold ver­schwun­den ist, wäh­rend der Bo­den der Bau­ern im­mer noch da ist, Ern­te auf Ern­te bringt und be­stän­dig et­was er­zeugt. Aber jetzt habe ich Ih­nen wohl bald ge­nug er­zählt.«

»Mein Gott«, mur­mel­te Bil­ly be­nom­men. »Das ha­ben un­se­re Leu­te nie ge­tan. Es ist so merk­wür­dig, dass sie ver­drängt wur­den.«

»Dort liegt das Tal«, sag­te Ben­son. »Se­hen Sie die Bäu­me! Se­hen Sie die Hän­ge! Das ist ein neu­es Dal­ma­ti­en. Se­hen Sie hin! Ein Ap­fel­pa­ra­dies! Se­hen Sie den Bo­den! Se­hen Sie, was sie dar­aus ge­macht ha­ben.«

Es war kein großes Tal, das sich Sa­x­ons Blick zeig­te. Aber über­all, auf den fla­chen Fel­dern und über den nied­ri­gen Hö­hen­zü­gen, wa­ren die Zeug­nis­se vom Fleiß der Dal­ma­ti­ner zu se­hen. Und wäh­rend sie sah, hör­te sie im­mer noch auf Ben­son.

»Wis­sen Sie, was die ers­ten Pio­nie­re mit ih­rem schö­nen Bo­den ta­ten? Sie be­pflanz­ten die Ebe­nen mit Ge­trei­de und be­nutz­ten die Berg­hän­ge als Wei­den für das Vieh. Und jetzt wer­den zwölf­tau­send Mor­gen als Ap­fel­gär­ten be­nutzt. Das ist eine gan­ze Se­hens­wür­dig­keit für Leu­te aus dem Os­ten, die auf Be­such nach Del Mon­te kom­men, und sie fah­ren mit ih­ren Au­to­mo­bi­len her­aus, um die Bäu­me in der Blü­te oder in der Rei­fe zu se­hen. Neh­men wir zum Bei­spiel Mat­teo Let­tu­nich – er ist ei­ner der ers­ten Ap­fel­bau­er. Er kam aus Cast­le Gar­den hier­her und wur­de Tel­ler­wä­scher. So­bald er die­ses Tal sah, wuss­te er, dass es sein Klon­di­ke war. Jetzt hat er sie­ben­hun­dert Mor­gen ge­pach­tet, be­sitzt selbst hun­dert­und­drei­ßig – die feins­ten Obst­sor­ten im gan­zen Tal – und ex­por­tiert vier­zig- bis fünf­zig­tau­send Kis­ten je­des Jahr. Er lässt je­den ein­zel­nen Ap­fel von Dal­ma­ti­nern pflücken. Ei­nes Ta­ges frag­te ich ihn im Scherz, wie teu­er er sei­ne hun­dert­und­drei­ßig Mor­gen ver­kau­fen wür­de. Er ant­wor­te­te im vol­len Ernst. Er er­zähl­te mir, was sie ihm Jahr auf Jahr ein­ge­bracht hat­ten, und be­rech­ne­te eine Art Durch­schnitt­sein­nah­me. Dann sag­te er, dass ich das als sech­spro­zen­ti­ge Ver­zin­sung rech­nen soll­te. Das tat ich, und es ka­men über drei­tau­send Dol­lar den Mor­gen da­bei her­aus.«

»Aber was tun denn alle die Chi­ne­sen hier im Tal?« frag­te Bil­ly. »Bau­en die auch Äp­fel?«

Ben­son schüt­tel­te den Kopf.

»Das ist auch ein Punkt, in dem wir Ame­ri­ka­ner zu kurz kom­men. Hier im Tal wird nichts ver­geu­det, nicht ein Ap­fel­ge­häu­se oder eine Ap­fel­scha­le, aber es sind nicht Ame­ri­ka­ner, die die­ses Spar­sys­tem durch­füh­ren. Hier sind sie­ben­und­fünf­zig Öfen, in de­nen Äp­fel ge­dörrt wer­den, gar nicht zu re­den von all den An­stal­ten, wo Äp­fel ein­ge­macht wer­den, und von den Ap­fel­wein- und Es­sig­fa­bri­ken. Und es ist un­ser Freund, der Chi­ne­se, der dies Ne­ben­ge­schäft be­treibt. Sie ver­schif­fen jähr­lich fünf­zehn­tau­send Ton­nen Ap­fel­wein und Es­sig.«

»Un­se­re Vä­ter ha­ben die­ses Land ge­schaf­fen«, sag­te Bil­ly nach­denk­lich. »Ha­ben da­für ge­kämpft, es der Um­welt zu­gäng­lich ge­macht, ha­ben al­les ge­tan.«

»Ja, nur nicht sei­ne Mög­lich­kei­ten ent­wi­ckelt«, fiel Ben­son ihm ins Wort. »Wir ta­ten un­ser Bes­tes, um es zu ver­nich­ten, wie wir den Bo­den in Neu-Eng­land ver­nich­te­ten.« Er mach­te eine Hand­be­we­gung ir­gend­wo nach der an­de­ren Sei­te der Ber­ge hin­über. »Dort drü­ben liegt Sa­li­na. Dort könn­te man sich ein­bil­den, in Ja­pan zu sein. Und mehr als ein gu­tes klei­nes Obst­tal in Ka­li­for­ni­en be­fin­det sich heu­te in den Hän­den von Ja­pa­nern. Ihre Metho­de ist et­was an­ders als die der Dal­ma­ti­ner. Zu­erst ar­bei­ten sie als Ta­ge­löh­ner beim Obst­pflücken. Sie sind bes­ser als die ame­ri­ka­ni­schen Obst­pflücker, und die Yan­kees sind froh, wenn sie sie krie­gen kön­nen. Wenn sie dann stär­ker wer­den, bil­den sie Ge­werk­schaf­ten und ver­drän­gen die ame­ri­ka­ni­schen Ar­bei­ter. Aber die Obst­gar­ten­be­sit­zer sind im­mer noch froh. Der nächs­te Schritt ist, dass die Ja­pa­ner kein Obst mehr pflücken wol­len. Die ame­ri­ka­ni­sche Ar­beits­kraft ist ver­schwun­den. Die Obst­gar­ten­be­sit­zer sind hilf­los. Das Obst ver­fault an den Bäu­men. Dann mel­den sich die ja­pa­ni­schen Ar­bei­ter­füh­rer. Sie schwin­gen schon das Zep­ter. Sie ver­kau­fen das Obst an den Bäu­men. Die Obst­gar­ten­be­sit­zer sind voll­kom­men in ih­ren Hän­den, ver­ste­hen Sie. Und bald sind es die Ja­pa­ner, die im Tal re­gie­ren. Die Obst­gar­ten­be­sit­zer brau­chen nicht mehr hier zu woh­nen und ha­ben bald ge­nug da­mit zu tun, eine vor­neh­me­re Le­bens­art in den Städ­ten zu ler­nen und Rei­sen nach Eu­ro­pa zu ma­chen. Jetzt fehlt nur noch der letz­te Schritt. Die Ja­pa­ner kau­fen sie aus. Sie sind ge­zwun­gen, zu ver­kau­fen, denn die Ja­pa­ner be­herr­schen den Ar­beits­markt und kön­nen sie je­den Au­gen­blick rui­nie­ren.«