Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende

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Herzenswunsch

Eminenz zu sein ging nicht ohne Weisheit und Weitblick. Als Eminenz brauchte man Raffinesse. Eminenz – das bedeutete, alles außerhalb und alles innerhalb des selbst erschaffenen Systems im Auge zu behalten und richtig zu deuten. Im Wort Eminenz steckte alles, was ein Oberhaupt ausmachte. Eminent bedeutete groß. Eminent war alles über das übliche Maß Hinausgehende. Ein eminent gefährlicher Gegner war einer, dem man am besten aus dem Wege ging. Und so war es denn auch. Er war nicht immer groß gewesen, er war nicht immer weise gewesen, aber er war immer außergewöhnlich gewesen. Schon als kleiner Junge wusste er über die anderen Bescheid, noch bevor sie über sich selbst genug wussten, um damit arbeiten zu können. Er wusste, was sie antrieb, was sie ängstigte, was sie lähmte, was sie reizte, was sie aus der Fassung brachte … Er wusste, wer sie waren, und sorgte dafür, dass sie bekamen, was sie in ihrer Rolle aufgehen ließ. Er machte sich sein Wissen zunutze und instrumentalisierte sie. Er machte sie zu seinen Spielfiguren, die er schlingernd und schlitternd durch ihre selbst auferlegten, täglichen Dramen tanzen ließ. Er war gefragt. Man orientierte sich an ihm. Man nannte ihn weise. Er wurde eminent. Er wurde zur Eminenz.

Hier war er nun. Inmitten der Allianzflotte, der größten Flotte, die der Gegner je aus dem Boden gestampft hatte, mal abgesehen von der Evakuierung Vallands, die, das musste er zugeben, nicht zu erwarten gewesen war. Niemand im Innersten Kreis hatte den Sieg der vallandischen Anführer über die Tulurrim bei Iggrgard kommen gesehen, nicht einmal Zavir.

Sei’s drum. Der Tag, an dem die Allianz, oder doch zumindest ihre derzeit wichtigste Flotte und Mission, bis in ihre Eingeweide erschüttert werden würde, war nicht mehr fern. Und eine Erschütterung hatte diese Expedition wahrhaftig nötig. Es war Zeit, die Dinge ins Wanken zu bringen. Geplant hatte er diesen Schlag schon mondelang. Er hatte sogar mit den Verfolgern Kontakt aufgenommen, sich mit Admiral Tyrean Kristofin und seiner schwarzen Hexe abgesprochen. Sie würden diesmal im Kollektiv zuschlagen. Danach würde jeder von ihnen wieder seinen eigenen Visionen folgen.

Dies und seine Pläne das Sandkorn betreffend waren die aktuell dringlichsten Vorhaben. Aber es galt besonnen vorzugehen. Schön der Reihe nach, schön im Rhythmus bleiben, schön die Fakten erwägen, visualisieren und in eine vernünftige Ordnung bringen. Dem Opfer nahe bleiben, aber nicht zu nahe kommen. Die Wahrheit aussprechen, wenn sie Wogen glättete, und verschweigen, wenn sie eine Sturmflut auszulösen drohte.

„Eminenz?“

Er löste die Hände hinter dem Rücken und wandte den Blick von den heckseitigen Fenstern auf den Boden neben seinen Füßen. „Ja?“

„Sie haben sich für eine Insel entschieden.“

Er nickte. Die Hochzeit, natürlich. Blieb zu hoffen, dass sie dieses unnötige Zwischenspiel schnell hinter sich brachten. Es ergab keinen Sinn, eine Feier zu stören, die weder der Allianz noch dem Bündnis in irgendeiner Weise zugutekam oder zum Nachteil gereichte.

„Das heißt dann wohl, die Flotte wird hier für ein paar Tage vor Anker gehen“, setzte Bagus fort. „Am nördlichsten Küstenabschnitt El’Chans, nicht wahr?“

„So ist es.“ Er wandte sich um und sah seinem Vertrauten in die Augen. Schnell war ihm klar, dass es sich um keinerlei Absicht gehandelt hatte. Bagus hatte ihn unwillkürlich imitiert. „Meine Rolle ist Euch näher als meine wahre Identität, nicht wahr?“

Bagus nickte. Die Verlegenheit in seinem Gesicht war so minimal, dass niemand anderer sie gesehen hätte. „Verzeiht.“

„Sie haben die Insel im Übrigen Hochzeitsinsel getauft“, gab er sich versöhnlich.

Bagus verzog keine Miene. „Wie originell.“

„Ja sehr.“ Er schritt zu seinem Schreibtisch, warf die weiten Samtärmel seines Mantels zurück und tauchte seine Feder ins Tintenfass. „Wir nutzen die Zeit, um uns auf das Kommende vorzubereiten, das einiges an Fingerspitzengefühl voraussetzt. Ich muss noch heute zurück zur Meerjungfrau.“

„Ist in die Wege geleitet, Eminenz.“

Als sie erwachte, ließ sie die Augen geschlossen. Sie spürte es am ganzen Körper – die Nacht war fortgeschritten und nicht mehr allzu weit davon entfernt, zum schönsten Tag ihres Lebens zu werden. Siralen wusste es, bevor sie es sah – die ganze Kapitänskajüte strahlte etwas Magisches aus. Der Tag der Tage war ein Sonnentag. Auch das spürte sie, obwohl die Sonne noch lange nicht aufgegangen war. Das Schicksal des Alleinen meinte es gut mit ihr und Tauron.

Das Kribbeln unter ihrer Haut wurde intensiver, und Siralen schlug die Augen auf. Jetzt konnte sie es kaum noch erwarten aufzustehen, auch wenn die Nervosität sie ordentlich im Griff hatte.

„Oh Ana!“, seufzte sie und setzte sich auf. „Ich werde es tatsächlich tun. Ich heirate. Ich heirate einen Menschenmann! Ich werde für immer die Seine sein. Ich werde sein Zeichen tragen, seinen Namen annehmen.“

Sie würde Siralen Hagegard heißen. Das hatte sie beschlossen. Sie wollte es allen beweisen – den Menschen, den Elfen, aber ganz besonders Tauron: Ich bin dem Volk der Menschen zugetan. Ich stehe und kämpfe für die Menschen ebenso wie für mein eigenes Volk. Ich liebe einen Menschen und werde seine Frau sein.

Es auszusprechen, es in klaren Worten zu denken … Das war wie ein Freiheitsschlag. Ja, vielleicht verriet sie ihr Volk, so wie es ihr Vater getan hatte. Vielleicht stellte sie die Liebe über alles, sogar über das Wohl der Elfen, wie ihr Vater. Und möglicherweise, wer wusste dies schon, würde sie am Ende ihr Volk ins Verderben führen. Ganz so wie ihr Vater.

Sie war zu oft gescheitert, um noch daran zu glauben, frei von Schwäche sein zu können. Vielleicht hatte sie irgendwann in einem naiven Moment angenommen, sie würde nie scheitern. Vielleicht hatte sie gehofft, so rein, gut und stark wie ihre Großmutter zu werden. Dabei war diese Hoffnung so augenscheinlich infantil, dass sie über sich selbst lachen musste. Jetzt wusste sie es besser. Jetzt hatte sie gesehen, wie die Welt tatsächlich funktionierte. Jetzt würde sie ihrem Herzen folgen, so, wie Großmutter es ihr einst geraten hatte.

„Siralen Hagegard“, flüsterte sie, sprang aus dem Bett und entzündete eine Laterne. Leicht wie eine Feder tänzelte sie zu Taurons fast leerem Kleiderschrank und griff nach dem Kleid, das sie sorgfältig mit einem Leinensack verhüllt hatte. So lange hatte sie darauf gewartet, dass der Schneidermeister es fertigstellte, bis sie es endlich tragen konnte.

Mit flinken Fingern hatte sie das feinste Leinen aus dem groben Sack befreit und über den Kopf gezogen. Es glitt wie von selbst über ihre Arme nach unten, floss wie feiner Sand um ihre nackten Füße und legte sich in sanften Wellen über die Planken. Sie griff nach dem breiten Wildledergürtel, der das Kleid an ihrer schmalen Taille straffte und den Rockteil in perfekten Falten nach unten fallen ließ. Das Kleid war rückenfrei mit Bändern im Kreuzbereich. Letztere musste sie sich erst von jemandem schnüren lassen. Ihr Silberhaar, das sie seit dem Brand-Attentat in der Messe kinnlang trug, hatte sie schnell in Ordnung gebracht. Sie flocht sich einen einzelnen schmalen Zopf an der Seite des Kopfes nach hinten, versah ihn mit den zarten blassblauen Blüten, die es hier an der Küste überall zu finden gab. Das Gesicht, das ihr aus ihrem kleinen Handspiegel entgegenlächelte, hinterließ eine tiefe Zufriedenheit. Fatujen! So konnte sie heiraten.

Sie wollte gerade die Tür zur Steuermannskajüte öffnen, da vernahm sie aufgeregte Männerstimmen. Dann sprang die Tür wie von selbst auf, und Siralen starrte in die Augen des zweiten Maats Isiltar Tomalak, der zusammen mit weiteren Matrosen Spalier stand – von der Kapitänskajüte durch die Steuermannskajüte bis hinaus aufs Hauptdeck. Der schwule zweite Maat erkannte sofort, wo es bei ihrer Aufmachung noch haperte, trat ein und griff nach den Schnürungen ihres Kleides. „Das haben wir gleich.“

Als er fertig war, griff Orsen Talbots Hand nach ihr, und ihr neuer Adjutant zog sie aus der Kajüte. Weitere Hände kamen ihr entgegen und führten sie auf das Hauptdeck, wo sie ein lauter Jubel empfing. Obwohl es noch dunkel war, war das ganze Kommandoschiff bereits auf den Beinen – zumindest die Seefahrer. Und die hatten sich alle in Schale geworfen und das Schiff mit Laternen und Öllampen zum Leuchten gebracht. Am Himmelszeit wiederum leuchteten klar die Sterne und hell der Mond, der seine rundeste Gestalt präsentierte.

„Wo ist Tauron?“, fragte Siralen Kuhrn, nachdem man sie zur Reling bugsiert hatte.

„Wartet da uuunten“, dröhnte der liebenswerte Knochenbrecher, der sich mit Chara auf der Dreitagesfeier um den Meistertitel im Ringen geprügelt hatte. Er zeigte nach unten auf die Höggningars Zorn, die längsseits gegangen war. Dann lächelte er schüchtern. „Wenn ich das sagen darf … Ihr seht wuuunderschön aus, Kommandantin. Tauron hat richtig viiiel Glück, dass er Euch gekriegt hat.“

Sie schenkte ihm ein Lächeln, von dem sie wusste, dass es strahlte. Am heutigen Tage würde jedes Lächeln von ihr strahlen, das war so gewiss wie die Allgegenwärtigkeit des Weltgeistes. Einen winzigen Augenblick wünschte sie sich ihre Eltern herbei, doch da war der Moment auch schon wieder verstrichen.

Der Lastkran näherte sich, und Kuhrn hob sie auf die Ladefläche. „Guuutes Gelingen“, brummte er und gab dem Kollegen an der Winde das Zeichen zum Abfieren.

„Morgen, Siralen“, drang Charas rauchige Stimme an ihre Ohren, als sich die Plattform in Bewegung setzte. Die Assassinin hatte sich, von je zwei Goygoa in die Mitte genommen, gerade über die Reling auf das Fallreep geschwungen. Und, wie es sich gehörte, trug sie ihr bestes Tuch. Was in diesem Fall nichts anderes hieß, als dass sie ihre schwarzen, abgerissenen Kleider zähneknirschend gegen die rote Tunika eingetauscht hatte, die ihr für das druidische Hochzeitsritual ausgehändigt worden war. Sie trug Lindawens Ring am Finger und, auch wenn sie unter ihrem Hemd verborgen war, sehr wahrscheinlich die Kette mit dem Kreuz und dem türkisfarbenen Stein. Beides magischen Ursprungs, wie Siralen erkannt hatte. Sie wusste nur nicht, welcher Art die Magie des Schmucks war. Sie hatte Chara über ihre Meinung in Kenntnis gesetzt. Chara hatte aber offensichtlich bereits Bescheid gewusst, was bedeutete, dass Lindawen sie über die Magie aufgeklärt hatte.

 

Als der Hebekran knapp über dem Deck der Höggningars Zorn schwebte, die ebenfalls hell erleuchtet war, sah Siralen zuerst nur all das Efeu, das die Reling zierte und von weißen, fremdartigen Blüten gespickt war. Erst dann erspähte sie Tauron. Er stand an Deck und sah ihr erwartungsvoll entgegen. Bei seinem plötzlichen Anblick blieb Siralen das Herz stehen.

Seine Hand streckte sich ihr entgegen, seine Lippen hatten sich zu einem breiten, warmen Lächeln geteilt, seine Stimme floss ihr wie warmes Quellwasser unter die Haut.

„Na, mein Stern? Bist du bereit, diesen unwürdigen Piraten zum Mann zu nehmen?“

„Oh, Amimaneskja. Mehr als zu allem anderen.“

Er sah umwerfend aus. Sein wirres Haar hatte er nach hinten gekämmt, sodass seine Augen endlich richtig zur Geltung kamen und aus seinem ungeschlachten Gesicht blitzten wie grüne Diamanten. Sein Kinn war glattrasiert, das erste Mal in all der Zeit, die Siralen ihn nun kannte. Er trug seinen Admiralshut, ein sauberes, weißes Tuch um den Hals, ein weißes Hemd, das in dunkelblauen Hosen mit einem breiten, von einer polierten Silberschnalle gezierten Gürtel steckte, den ein … nun, es war ein Totenkopf, der die Schnalle zierte, aber er war winzig und mit kleinen, schwarzen Edelsteinen besetzt.

Siralen schmiegte sich in Taurons Halsbeuge und flüsterte: „Lass es uns endlich tun.“

Das durchdringende Bimmeln einer Schiffsglocke ertönte, vermutlich war es die der Meerjungfrau. Kurz darauf, wie als einhellige Antwort, Schiffsglocken überall … Es mussten die gesamten tausend Schiffe der Allianzflotte sein, die ihre Glocken zum Läuten brachten, nur, um sie und Tauron zu feiern, ihnen Tribut zu zollen. Oder doch zumindest ihrem Admiral.

„Ich kann es kaum erwarten“, flüsterte ihr Tauron ins Haar und zog sie fest an sich.

Es war mitten in der Nacht, als er die Lichtung betrat und alle, die ihm gefolgt waren, im fast schon taghellen Mondlicht Aufstellung nehmen ließ. Gemäßigten Schritts bewegte er sich ein Stück ins Abseits und ließ seinen Blick über die nachtschwarzen Baumreihen wandern. Er atmete ein und fühlte nach dem Wind, der seine Haut berührte. Die Baumwipfel schaukelten sanft hin und her und erzeugten bewegte Schatten auf dem im Mondlicht beinahe silbern schimmernden Gras. Wie von selbst wiegte er seinen Körper in die vertraute Umarmung der Natur, die ihm so nahe war. Er schloss die Augen und kehrte alle Sinne nach innen. Genau das, genau hier musste er eine Weile für sich sein.

Darcean stand mit dem Rücken zur Hochzeitsgesellschaft. Obwohl er nicht alleine war, fühlte es sich so an. Dieser Augenblick, der Moment, bevor etwas geschah, das alles verändern konnte, verlangte nach einem Innehalten. Menschen und Elfen. Sie waren hier, hatten alle Frieden damit geschlossen, sonst wären sie Siralen und Tauron nicht hierhergefolgt. Vielleicht hatten sie sich auch einfach nur damit abgefunden, dass sich eine aus dem unsterblichen mit einem aus dem sterblichen Volk vereinigen würde.

Darcean hatte Siralen seinen Segen gegeben. Er hatte es getan, weil er in ihrem Blick das Unvermögen erkannt hatte, ein anderes Leben als dieses zu wählen. Siralen brauchte Tauron so sehr wie ein Druide die Harmonie zwischen Innen und Außen. Sie sah in dem Menschenmann ihre Rettung, die Befreiung aus ihrer selbst auferlegten Unmündigkeit. Taurons Liebe ermöglichte es ihr, sich selbst zu lieben und mit dieser Liebe zu handeln, wo die Angst vor ihrem Fehlen sie sonst erstarren ließe. Es war nur verständlich, dass sie ohne diese Liebe nicht länger sein wollte. Aber ein von außen verursachtes Gleichgewicht war kein echtes, kein beständiges. Nur, wer seines Gleichgewichts eigener Quell war, konnte von beständiger innerer Harmonie sprechen. Und nur ein solches, ein inneres Gleichgewicht spendete verlässlich Kraft.

Siralens Kraft versiegte allmählich. Das war es, was Darcean fürchtete, was er schon seit einer Weile spürte. Und nun begann etwas, das die junge Elfe vor eine große Prüfung stellen würde, und Darcean fragte sich, ob sie dafür noch genug Kraft würde aufbringen können. Die Zeiten wurden härter, die Welt dunkler. Er hatte in seinen Jugendjahren die letzten Chaoskriege miterlebt. Sie waren nicht annähernd so dunkel wie das, was sie jetzt erwartete. Vielleicht täuschte er sich ja. Er war nicht allwissend wie der Elfenrat. Aber alle Zeichen standen auf Tiefste Nacht. Alles stand auf Ende.

Er selbst würde nicht mehr lange genug unter den Lebenden weilen, um Siralen zu stärken und zu halten. Ein Blick auf seine rechte Schulter genügte, um sich in aller Abartigkeit vor Augen zu führen, was ihn selbst erwartete. Seine Zeit war fast um. Bald würde der Slarpon gänzlich Besitz von ihm ergriffen haben und seine Eier in ihm ablegen. Des Nachts hatte er manchmal das Gefühl, als würde die Kreatur mit ihm sprechen, als hörte er eine fremde Stimme in seinem Kopf. Ich bin du.♫ Dies war die Botschaft der Stimme. Offensichtlich plagten ihn einfach nur Alpträume, was angesichts seiner verhängnisvollen Situation nur allzu naheliegend war. Er konnte schlichtweg nicht daran glauben, dass Chara eine Lösung für sein Problem hatte, zumal ihr allmählich die Zeit davonlief.

Darcean sammelte sich, nahm das Bild des nächtlichen Hains auf, ließ sich ein letztes Mal von den bewegten Schatten umarmen, betrachtete die elfen- und menschenleere Hälfte der Lichtung. Dann wandte er sich um und betrachtete Elfen und Menschen gleichermaßen. Die Gesichter, die im magischen Licht des Vollmonds sanft leuchteten, waren hoffnungsfroh.

Vielleicht war dieses Ereignis ja auch wegweisend für alle, die gekommen waren. Vielleicht war es der Beginn von etwas, das die Welt, diese ewig Zwiegespaltene, heilen konnte. Vielleicht war es die Rettung für ihrer aller Seelen.

Noch war das Morgenlicht fern, als Darcean zusammen mit der Druidin Irataen – er hatte sie gebeten, mit ihm das Trauungsritual zu leiten – den Schutzkreis betrat, den er am Abend zuvor gezeichnet hatte. Er vom Osten, seine Gehilfin vom Westen aus. Das elfische Hochzeitsritual war, jedenfalls in den Augen eines Sterblichen, so aufwendig und langwierig, dass Darcean im Vorfeld die Notwendigkeit gesehen hatte, alle Beteiligten mehrmals in ihren Aufgaben zu unterrichten und ihre jeweiligen Rollen üben zu lassen. Chara schien ihren Part immer noch nicht richtig verstanden zu haben. Sie schielte schon jetzt ständig zu ihrer Stellvertreterin Roella Kalladan, obwohl die Zeremonie noch nicht einmal begonnen hatte. Nun, das war vorhersehbar gewesen. Die Assassinin war während der Hochzeitsvorbereitungen nie wirklich bei der Sache gewesen und hatte ständig Ausreden, um nicht an den Proben teilnehmen zu müssen.

Das kreisförmige Labyrinth, das Darcean zusammen mit dem Schutzkreis angelegt hatte, befand sich innerhalb des Schutzkreises. Es war nicht eben ein Leichtes gewesen, dafür genügend Steine zu finden. Mit ein Grund, warum er davon abgesehen hatte, das Labyrinth komplizierter als unbedingt erforderlich zu gestalten – sehr zur Erleichterung aller Beteiligten. Es ging auch anders, wie er aus Erfahrung wusste. Er hatte schon Trauungen erlebt, bei welchen das zukünftige Ehepaar regelrecht verzweifelt war, weil es den Weg zueinander nicht finden konnte und ständig auf die vom Macher angelegten Irrwege geriet.

Jetzt lag das Räucherwerk mit den seltenen Zimtstangen im innersten Kreis des Labyrinths bereit, alle Ritualhelfer (oder auch der Beistand, wie die Menschen es nannten) hatten sich in den Farben der ihnen zugedachten Himmelsrichtung gekleidet und sich innerhalb des Schutzkreises an der Position der vier Himmelsrichtungen aufgestellt. Die Zeugen hatten sich, wie vorgesehen, in zwei Halbkreisen aufgereiht, Taurons Geleit um den südlichen Eingang, der mit einem Sonnensymbol versehen war, und Siralens um den nördlichen, den ein Mondsymbol kennzeichnete.

Darcean atmete ein und entzündete eine Kerze. Das Ritual konnte beginnen. Gereinigten Geistes und freien Herzens trat er zusammen mit Irataen, die wie er eine Kerze mit sich trug, über die neutrale Mittelachse ins Zentrum des Ritualkreises.

„Der Mond und die Sterne scheinen auf die Stunde unserer Begegnung“, sagte Darcean und lenkte seine Blicke zuerst auf Siralens, dann auf Taurons Geleit.

„Sie erleuchten unsere Wege in der Dunkelheit“, brachten alle Anwesenden die eingeübte Antwort vor. Fast hätte Darcean angesichts ihrer vorbildhaften Haltung gelächelt. Besonders Charas an den Tag gelegter Ernst hatte etwas Drolliges.

Gemeinsam mit Irataen sprach er endlich die sehnlichst erwarteten Eröffnungsworte: „Oh großer Geist, wir erbitten deinen Segen für diese Feier.“

Dann verstummte Irataen, und er übernahm das Wort: „Lasst uns damit beginnen, den vier Himmelsrichtungen den Frieden zu geben, denn ohne Frieden kann kein Werk vollbracht werden.“ Er wandte sich dem Osten zu. „Möge Frieden sein im Osten.“ Roella, die den Osten symbolisierte, machte mit ihrem Friedenswunsch den Anfang und hatte keine Schwierigkeiten, diesen vorzubringen.

„Möge Frieden sein in Anbar.“

Darcean wandte sich dem Süden und damit Chara in ihrer roten Gewandung zu, was ihre Aura verblüffenderweise erst so richtig zum Leuchten brachte.

„Möge Frieden sein im Süden.“

„Möge Frieden sein in Aschran“, antwortete Chara und freute sich augenscheinlich, dass sie sich an Roealla ein Beispiel hatte nehmen können.

„Möge Frieden sein im Westen.“

„Möge Frieden sein in Erainn“, sagte Kapitän Myrddin Ay’Walles.

„Möge Frieden sein im Norden.“

Alwin Hjellgard sah ihm direkt in die Augen. „Möge Frieden sein in Valland.“

Nahezu die vollzählige Gemeinschaft intonierte ein „Möge Frieden sein in aller Welt“.

Darcean gab Irataen mit einem Nicken zu verstehen, dass sie nun an der Reihe war, woraufhin sich die Druidin bereitmachte.

„Lasst uns die Bitte unserer Gemeinschaft sprechen.“

„Gewähre, oh Allgeist, deinen Schutz“, reagierte die Gemeinschaft wie ein Pfeil von schneller Sehne.

„Und im Schutz Stärke“, sagte Irataen.

„Und in der Stärke Verstehen“, antworteten alle.

„Und im Verstehen Wissen.“

„Und im Wissen das Wissen um Gerechtigkeit.“

„Und im Wissen um Gerechtigkeit die Liebe.“

„Und in dieser Liebe die Liebe zu allem Leben.“

„Und in der Liebe zu allem Leben die Liebe zum Allgeist und allem, was ist.“

Darcean war lange genug unter den Menschen, um erahnen zu können, wie langwierig, um nicht zu sagen langweilig, dem schnellen Volk all diese Bitten und Wünsche erscheinen mochten. Aber Siralen war nun mal eine Elfe, und eine Elfe brauchte ein druidisches Ritual, um den Segen des Alleinen für ihre Vereinigung zu bekommen. Und Tatsache war, dass er das Zeremoniell bereits in erlaubtem Maße gekürzt hatte.

Ein Nicken Irataens diente ihm zum Zeichen, dass das Aktivieren des Schutzkreises an der Reihe war. Darcean entzündete das Räucherwerk, nahm es an sich und schritt an die östliche Grenze des magischen Kreises. Die Druidin begann wiederum im Westen damit, die vier in der Farbe der jeweiligen Himmelsrichtung gehaltenen Kerzen an den entsprechenden Positionen im Uhrzeigersinn zu entzünden, und begab sich hernach in die Mitte des Schutzkreises.

„Möge Frieden sein in diesem Kreis und in aller Welt“, sprach sie und aktivierte damit die Magie des Kreises. Dann bewegte sie sich erneut zum westlichen Rand und besprengte die Kreislinie und die außerhalb stehende Gemeinde mit Hilfe eines in Wasser getunkten heiligen Zweigs aus Albion und sagte: „Ich segne diesen Kreis mit Wasser.“

Zeitgleich mit seiner Gehilfin wanderte Darcean mit seinem Räucherwerk einmal um den Schutzkreis herum und weihte diesen mit den Worten: „Ich segne diesen Kreis mit Feuer.“

Damit kamen sie zur Öffnung der Himmelsrichtungen. Darcean und Irataen traten erneut ins Zentrum des Labyrinths.

„Lasst uns die Himmelsrichtungen ehren, damit Macht und Licht in unseren Kreis eingehen, zum Wohle aller Wesen.“ Er wandte sich dem Osten zu und sah Roella direkt in die Augen. Dann führte er in einer kreisförmigen Bewegung die rechte Hand von der Stirn über die rechte Schulter zum Herzen und von dort aus über die linke Schulter zurück zur Stirn.

 

„Mit dem Segen des Adlers, der seine Schwingen hin zum Sonnenaufgang ausbreitet und dessen Heimat die Lüfte sind, rufen wir die Macht des Ostens zu uns.“

Mit derselben Geste und ähnlichen Worten rief er die anderen Himmelsrichtungen an, den Drachen für den Süden, den Salm für den Westen, den Hirsch für den Norden.

„Möge die Harmonie unseres Kreises vollkommen sein“, beantwortete Irataen seine Rufe.

Allmählich kamen sie zum eigentlichen Teil der Vereinigung.

„Wir stehen auf dieser geheiligten Erde, um das Wirksamwerden der heiligen Gabe der Ehe zwischen Siralen Befendiku Issirimen Desin Suren Illju Kogena Senambra und Tauron Hagegard zu bezeugen. So wie wir als ihre Freunde zusammengekommen sind, wollen wir die Mächte des Lebens bitten, hier in unserem Kreis präsent zu sein. Möge diese heilige Verbindung mit ihrer Präsenz erfüllt sein.“

Irataen öffnete ihre Arme: „Durch das Leben, das mir innewohnt, beschwöre ich die Gabe der Weisheit, damit sie an diesem heiligen Ort präsent sei.“

„Durch das Leben, das mir innewohnt, beschwöre ich die Gabe der Kreativität, damit sie an diesem heiligen Ort präsent sei“, tat Darcean es ihr gleich.

Es folgten noch einige Beschwörungen mehr, bis er und Irataen gemeinsam die Worte „Mögen wir alle im Weltgeist vereint sein.“ sprachen.

„Die Vereinigung von Mann und Frau durch die heilige Gabe der Ehe bringt große Kräfte zusammen, durch die die Sprösslinge zukünftiger Generationen im Mutterleib der Zeit zum Leben erwachen können“, fuhr Irataen alleine fort. „In jedem Mann liegt eine Frau und in jeder Frau liegt ein Mann. Die Wechselwirkung zwischen männlichen und weiblichen Kräften findet, wenn sie sich frei entwickeln kann, viele Ausdrucksweisen. Eine solche Einheit ist wahrhaft heilig.“

Darcean nickte und wandte sich endlich an Siralen. Seine Herzensfreundin sah aus, als hätte sie den Weltgeist höchstselbst gesehen, so glückselig war ihr Lächeln. Da wurde es selbst ihm warm und auch etwas leichter ums Herz.

„Wer ist es, der auf dem Pfad des Mondes wandelt, um ihren heiligen Eid abzulegen?“, fragte er sanft.

„Es ist Siralen Befendiku Issirimen Desin Suren Illju Kogena Senambra, Tochter von Ralenyane und Sirfinion“, antwortete Siralen vor dem nördlichen Eingang stehend.

„Kommst du, Siralen, aus freiem Willen an diesen Ort?“

Siralens Lächeln brachte ihre Augen zum Leuchten. „Ja.“

Darcean nickte, und Irataen wandte sich Tauron Hagegard zu.

„Wer ist es, der auf dem Pfad der Sonne wandelt, um seinen heiligen Eid abzulegen?“

Tauron Hagegard tat es Siralen gleich und trat in seinen Eingang zum Labyrinth: „Es ist Tauron Hagegard, Sohn von Andoria Falor und Hendrik Hagegard.“

„Kommst du, Tauron, aus freiem Willen an diesen Ort?“

„Ja“, antwortete der Pirat, räusperte sich verlegen und schickte Siralen ein Zwinkern. Typisch Mensch. Es mangelte Hagegard wie immer am nötigen Ernst.

„Es ist nun an euch beiden, euch zu finden, Siralen und Tauron“, eröffnete Darcean die Suche der Eheleute nach dem zentralen Feld im Labyrinth. Mit der Unterstützung seitens ihrer jeweiligen Freunde, wie üblich und erlaubt, würden sie dafür nicht lange brauchen.

Wohl wahr, schon bald trafen die beiden in der Mitte dieses heiligen Ortes aufeinander und reichten sich die Hände. Darcean konnte das Knistern zwischen ihnen spüren, das etwas Wildes, Ungezügeltes erahnen ließ. Und im Wilden lag bekanntlich die Gefahr der Zerstörung. Da waren zwei eindeutig nicht willens, bis zur Hochzeitsnacht zu warten, die ja noch einige Glas entfernt war. Da war eine Elfe, die damit begonnen hatte, sich die kaum zur Einkehr fähige Geduld der Menschen zu eigen zu machen. Da war eine Gefahr, die innerhalb des geweihten Schutzkreises lauerte und drohte, sich auszuwachsen. Oh Siralen, ich hoffe, dieser Weg führt dich nicht in einen Abgrund.

„Siralen und Tauron, ihr habt die Pfade des Mondes und der Sonne beschritten. Werdet ihr nun gemeinsam den Pfad der Zeit gehen und durch die Elemente und Jahreszeiten reisen?“

„Wir werden.“ Die beiden schritten auf Roella zu und damit Richtung Osten.

„In kalten Nächten finden einsame Herzen oft zueinander, doch wird eure Liebe auch das helle Tageslicht überstehen?“, stellte Roella die ihr aufgetragene Frage.

„Sie wird es“, erwiderten Tauron und Siralen pflichtschuldigst.

„Dann erhaltet den Segen des Elementes Luft an diesem Ort des Frühlings. Möge eurer Verbindung vom Licht jedes neuen Tages Heiterkeit und Freude geschenkt werden.“

„Wir danken dem Element Luft für seinen Segen.“ Damit wandten sich Siralen und Tauron dem Süden zu und setzten sich in Bewegung.

„Liebe will die Ewigkeit, doch wird eure Liebe auch die heiße Glut der Veränderung überstehen?“, stellte Chara ihre Frage fast schon beschwörend.

„Sie wird es“, antworteten Siralen und Tauron wie selbstverständlich.

„Dann erhaltet den Segen des Elementes Feuer an diesem Ort des Sommers. Möge euer Heim mit Wärme erfüllt sein.“

„Wir danken dem Element Feuer für seinen Segen.“

So gaben auch der Westen und Norden ihre jeweiligen Bedenken kund, erhielten Vergewisserung und erteilten den Segen ihrer jeweiligen Elemente Wasser und Erde.

Danach trat Irataen vor. „Alles in der Natur verläuft in Kreisen: Nacht wird Tag, Tag wird Nacht, und Nacht wird wieder Tag. Der Mond nimmt zu und ab und nimmt dann wieder zu. Es gibt Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und dann kehrt der Frühling zurück. Nichts, das wahr ist, endet jemals. Der Wechsel von Tag und Nacht, die Kreisläufe des Mondes und der Jahreszeiten sind Ausdruck und das Leben des Allgeistes, das hinter alledem steht, sind die großen Geheimnisse, die bestehen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wollt ihr durch eure Verbindung Ausdruck dieser ewigen Geheimnisse sein und euch so mit der Gesamtheit des Lebenden verbinden?“

„Wir wollen es“, bestätigten Siralen und Tauron ernst.

„Dann erklärt vor den anwesenden Mächten und Ahnen, vor euren anwesenden Gefährten und vor allem Leben die Versprechen eurer Ehe“, forderte Darcean sie auf.

Siralen umfasste Taurons rechte Hand mit beiden Händen. „Amimaneskja, ich verspreche dir meine Liebe, meine Stärke und meine Freundschaft. Ich werde dir Freude bringen, jetzt und für alle Zeit. Ich schwöre bei dieser heiligen Erde, dass ich in dir alle Männer ehren werde.“

Tauron umfasste Siralens Hände, sodass sie einander nun an beiden Händen hielten: „Mamljasu, ich verspreche dir meine Liebe, meine Stärke und meine Freundschaft. Ich werde dir Freude bringen, jetzt und für alle Zeit. Ich schwöre bei dieser heiligen Erde, dass ich in dir alle Frauen ehren werde.“

Dann hoben die beiden ihren Blick gen Himmel und sagten: „Wir versprechen allem Leben unsere Liebe, unsere Stärke und unsere Freundschaft. Wir werden Trost und Hilfe sein für alle, die unserer bedürfen, und in Zuneigung, Mitgefühl und Bedachtsamkeit allem Leben verbunden sein. Wir schwören bei dieser heiligen Erde, dass wir in uns alles Leben ehren werden.“ Was wiederum die persönlichen Versprechen der zukünftig Vereinten auf den Plan brachte:

„Im Namen des Allgeistes schenke ich dir die Wärme meines Herzens.“ Es war Siralens Versprechen, und Chara trat wie auf Befehl zu ihr und reichte ihr eine Fackel.

„Im Namen des Allgeistes schenke ich dir das Licht meiner Liebe.“ Tauron bekam seine Fackel von seiner Kapitänsanwärterin. Gemeinsam entzündeten die beiden das dafür vorgesehene Räucherwerk.

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