Sonnenfeuer

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Kapitel 7



Daron war beeindruckt von der Vielseitigkeit des kleinen Valoriens. Obwohl es nur so groß war wie eine mittlere kaiserliche Provinz, bot es so viele Facetten. Von den reißenden Fluten des Calas, den flachen grünen Ebenen und Feldern, die vor Elorath lagen, den großen Forsten in Dämmertan und Rethas, die er aus der Ferne gesehen hatte, über den großen Königssee, bis zu den Dunkelzinnen im Norden. Jeder noch so kleine Landstrich schien sich zu unterscheiden, genau wie seine Bewohner. Er hatte Menschen am Eisentor getroffen, in Elorath, in Goldheim, in Tandor und nun würde er das nördlichste Freiherrentum, Valor Kath, kennen lernen. Obwohl der ständig schwelende Krieg auf dem Land lastete, hatten alle Menschen, die er gesehen hatte, auch ihre Geschichten von Hoffnung und Zuversicht. Dieses Land, das doch auch für ihn einst Heimat gewesen war, war in der Tat beeindruckend. Viel beeindruckender, als er es in Erinnerung hatte. Mehr als einmal hatte er sich an das eigentliche Ziel seiner Reise erinnern müssen.



„Sieh, Daron. Da vorne liegt Nordend. Unser Ziel für den heutigen Tag.“, sagte Vincent und deutete auf die kleine Siedlung, die von Palisaden umgeben wurde. Sie wirkte alles andere als beeindruckend, insbesondere gegenüber Städten wie Goldheim oder gar Elorath.



„Ist dies der Sitz des Freiherrn dieser Gegend?“, fragte Daron neugierig, wie er schon die gesamte Reise seinen Gastgeber über das Land ausgefragt hatte. Im Gegenzug hatte Daron Geschichten über die südlicheren Länder erzählt.



„Ja. Es ist die einzige befestigte Stadt in Valor Kath. Obwohl wir vor einigen Jahrzehnten von Barbaren aus dem Norden angegriffen wurden, sind die kleineren Dörfer nicht befestigt. Der Konflikt konnte schnell beigelegt werden und somit gibt es dafür keinen Grund mehr. Insbesondere jetzt, da die schützende Hand Tandors über diesem Land liegt.“



„Wer ist der Freiherr von Valor Kath?“, hakte Daron nach.



„Wichart von Rabenkamm. Ein treuer Diener meines Vaters, der in der Besatzung der nördlichen Kronlande eine wichtige Rolle spielte, und dafür belohnt wurde. Oder bestraft. Je nachdem, wie man es sieht.“



„Wieso bestraft?“



„Nun, mein lieber Daron, wie du siehst ist Valor Kath nicht gerade einladend. Es ist abgelegen und karg. Die Bewohner sind Tandor gegenüber feindselig eingestellt, obwohl wir sie in den Zeiten des Chaos schützten.“



Daron schaute den jungen Sohn Tandors fragend an. „Wegen der Besatzung? Also die Feindseligkeit?“



Vincent zuckte mit den Schultern, gab dann aber doch eine Erklärung. „Die Menschen von Valor Kath sind stolz. Sie waren es wohl schon immer. Doch noch schwerer wiegt wohl die Tatsache, dass sich die junge Freiherrin, die vor Wichart das Land beherrschte, innerhalb kürzester Zeit Respekt und Beliebtheit erarbeitet hatte. Obwohl sie das Reich verriet, scheinen noch viele Einwohner in Gedanken an ihr zu hängen.“



„Wer war sie?“, fragte Daron, obwohl er die Antwort selber kannte.



„Eleonora war ihr Name. Eleonora von Mondschein nannte sie sich. Die erste und bisher einzige Ritterin Valoriens. Von König Priovan geschlagen, mit dem sie auch ihre Knappschaft absolviert hatte. Viele Zungen behaupten, dass die Ernennung zur Ritterin mit mehr zusammenhing, als ihrer Stärke oder Tapferkeit. Aber man sollte über Tote nicht schlecht reden, selbst dann nicht, wenn es Verräter sind.“, fügte Vincent hinzu. Daron musterte ihn. Der junge Mann schien wirklich aufrichtig. Selbst gegenüber seinen Feinden schien er einen gewissen Respekt zu haben, der ihm etwas Ehrenhaftes verlieh.



„Was hat sie getan?“



Vincent seufzte. „Es war in dem Jahr, das wir nun das Jahr des Blutes nennen. Sie hat sich mit drei weiteren Rittern verschworen, die Macht im Land an sich zu reißen. Einer der drei wurde getötet, einer floh aus dem Land und der letzte, Arthur von Freital, marodiert mit seinen Männern in Rethas. Eleonora wurde in einer großen Schlacht niedergerungen und getötet, wobei sie auch einen weiteren Ritter tötete. Ulf von Darbenkort. Deswegen gibt es nicht mehr viele Ritter, denn ohne König wurden die Schwerter nicht weitergereicht.“



Daron senkte den Kopf. Große Schlacht. Nein. Es war ein sinnloses Gemetzel. Kurz war er versucht, Vincent zu widersprechen, hielt sich aber zurück. Was sollte der Sohn Tandors denn auch sonst sagen? Als dieses schicksalshafte Jahr über Valorien gekommen war, war Vincent noch ein kleiner Junge gewesen. Während Daron alles gesehen hatte. Die Schlacht. Die Toten. Eleonora. Die schöne Ritterin.



„Ein trauriges Ende. Ich hoffe auf eine bessere Zukunft für dein Land.“, sagte Daron. Vincent nickte nur. Ja, Valorien hatte eine bessere Zukunft verdient. Es brauchte Frieden, und nicht den ständigen Konflikt zwischen Herzögen und Rittern. Nicht noch mehr Krieg und Zerstörung. Doch manchmal musste eben noch ein letztes Feuer wüten, um Frieden zu bringen.




Zweiundzwanzig Jahre. Was einst Demütigung und Knechtschaft gewesen war, hatte sich in eine ehrenvolle Aufgabe gewandelt. Dennoch zählte Narthas jedes Jahr das verging, um seine Schuld zu begleichen. Mit jedem Jahr das vergangen war, war er im Respekt Herzog Celans gestiegen und hatte sich nun zu einem seiner wichtigsten Berater und Heerführer entwickelt. Vielleicht auch deshalb, weil er scheinbar der einzige Mann am Hofe von Taarl war, der dem Herzog die Stirn bot und seine Meinung aussprach. Trotz des Pfandes, das Celan in der Hand hielt. Seine Ehre als Krieger gebot es ihm. Der Herzog von Tandor würdigte seine Einschätzungen. Damals, vor zweiundzwanzig Jahren, hätte er niemals erahnt, Seite an Seite mit Celan um sein Reich zu kämpfen. Doch genau dies tat er. Deswegen war er nun in Valor Kath.



Er stand auf der kleinen Palisade, die Nordend umgab. Als die Stadt besetzt worden war, war ein großer Teil niedergebrannt. Doch dies war nun schon viele Jahre her und man hatte die Hütten und Häuser neu errichtet, viele sogar aus Stein. Tandor hatte der Stadt seinen Stempel aufgedrückt, nicht nur durch die Wolfsbanner, die an den verschiedenen Ecken im Wind flatterten. Der neue Freiherr hatte sein eigenes Gefolge mitgebracht, auch Handwerker aus Taarl waren gefolgt. Die nahen Nebelberge boten Erze für ihre Tätigkeiten. So waren auch mehrere neue Bergwerke entstanden, die die Schätze aus der Erde holen sollten. Die Stadt war regelmäßig erweitert worden, sodass die Palisade mittlerweile eher einem unförmigen Ei glich denn dem Kreis, der einst vorhanden war. Für Narthas war Nordend eines jener Beispiele, die den positiven Einfluss Celans auf das Land bewies. Bald würden mehr Orte folgen.



Der Blick des Khans der Urben schweifte über die Zelte, die im Norden der Stadt errichtet worden waren. Vor einigen Tagen hatte die Zahl der urbischen Soldaten die Einhundert überschritten. Jeden Tag kamen mehr an, in kleinen Gruppen. Celan hatte Valor Kath als Basis für seinen Plan gewählt. Narthas hatte ihm nach kurzer Überlegung zugestimmt, obwohl er erst Zweifel gehabt hatte. Valor Kath war abgelegen und lebensfeindlich. Viele der Vorräte mussten mit Karren aus anderen Freiherrentümern hergebracht werden. Bis zu der Grenze Tandors war es eine weite Entfernung. Eine starke Festung gab es nicht. Doch all dies waren Faktoren, die Celans Plan beflügelten. Den nächsten Angriff auf Fendron.



Seit einigen Jahren hatte sich ein stabiles Gleichgewicht zwischen Tandor, Fendron und den verbleibenden Kronlanden eingestellt. Doch dieses würde nicht mehr lange bestehen. Allerdings hatte der Waffenstillstand auch wieder Reisende angeregt, Händler, die durch ganz Valorien zogen. Und so auch Neuigkeiten übermittelten, aus den Städten und Dörfern, aber eben auch Militärbewegungen. Wenn Celan eine große Streitmacht aufgestellt hätte, vielleicht sogar direkt an der Grenze seines Reiches, wäre er sofort bemerkt worden. Forgat würde dann wohl seine Truppen sammeln um sich in einer seiner Burgen oder an einer Furt zu verschanzen, auf den Angriff wartend. So wie er es schon bei den bisherigen nicht erfolgreichen Angriffen getan hatte. Also hatte sich Celan für einen anderen Plan entschieden und wie schon so oft in den Kämpfen spielte Narthas dabei eine wichtige Rolle.



Kleine unscheinbare Truppen sammelten sich entlang der gesamten Grenze zu Fendron. Im Norden der einstigen Kronlande, in Auenstein, in Lyth Valor. Doch die größte Streitkraft von Reitern würde sich hier in Valor Kath sammeln, verdeckt vor den Augen des Feindes, der doch nicht in diesen entlegenen Winkel des Reiches blickte. Mit jedem Tag wuchs also die Truppe unter Narthas Befehl und in ein bis zwei Monaten würde der Angriffsbefehl erschallen. Bis dahin galt es ruhig und unscheinbar zu bleiben, die Männer bei Laune zu halten. Dem Freiherrn und den Bewohnern von Nordend waren die Urben als Verstärkung der nördlichen Grenze erklärt worden. Späher hätten Aktivitäten der Nordlande erkannt. Natürlich ein Vorwand. Zum einen hatte Narthas in diese Richtung keine Späher geschickt, zum anderen gab es jenseits der Berge wohl kaum etwas zu sehen.



Mit langsamen Schritten ging er die Palisaden weiter entlang und beobachtete die jungen Urben, die vor der Stadt mit Pferd und Bogen übten. Viele der Älteren hatten befürchtet, dass die junge Generation unter tandorischem Befehl verweichlichen würde. Narthas war anderer Meinung gewesen und sah sich bestätigt. Er führte ausgezeichnete Urben in die Schlacht, die den Geist der Steppe in sich trugen, obwohl sie weit entfernt der alten Heimat groß geworden waren. Sie waren furchtlos, stolz und stark, wie ihre Vorväter. Wie all die Krieger, die er in den letzten Jahrzehnten in die Kämpfe geführt hatte.



„Mein Herr.“, hörte Narthas eine Stimme hinter sich. Er drehte sich um und erkannte eine der Wachen von Wichart, dem Freiherrn. Er lächelte, amüsiert darüber, wie schwer es den Valoren immer noch fiel, eine Anrede für ihn zu finden. Er war Khan der Urben, ein Titel, den die Valoren nicht einzuordnen wussten. Doch seine Ausstrahlung forderte Respekt und er war bekannt als enger Vertrauter Celans, um nicht wie ein einfacher Mann angesprochen zu werden. So hatte er schon viele Varianten gehört und immer schien sein Gegenüber nervös.

 



„Ja, mein Junge?“, antwortete er mit hochgezogener Augenbraue.



„Mein Herr, der Freiherr schickt mich Euch zu holen. Es sind Gäste eingetroffen.“



„Gäste?“



„Ja...ja… mein Herr.“, stammelte der Bote, sichtbar unsicher ob der Reaktion des Khan.



„Wer?“



„Seine Gnaden, der Sohn von Herzog Celan.“



„Lumos ist hier in Nordend?“, fragte Narthas ungläubig. Doch der Mann schüttelte den Kopf.



„Nein, mein Herr. Vincent von Tandor.“



Narthas nickte nur. Vincent war besser als Lumos, so viel war klar. Der jüngere Bruder war besonnener und umgänglicher als der Erbe des Herzogtums.



„Gut. Ich komme gleich.“, sagte er und signalisierte dem Mann mit einer Handbewegung zu verschwinden. Noch einmal drehte er sich um und blickte über seine Urben. Der Tag rückte näher, an dem sie das beenden würden, was er vor sechzehn Jahren begonnen hatte. Er erinnerte sich noch wie heute an den Abend nach der Schlacht, in der sie Ismar von Falkenheim geschlagen hatten. Erst an jenem Abend hatte Celan seinen Plan ausgebreitet, und ihn, Forgat und Ulf in seine Gedanken eingeweiht. Der geplante Fall von Eisentor, der die anderen Ritter auseinanderziehen sollte. Die Eroberung Eloraths von Innen. Der Tod von Geron, Heinrich, Arthur und Eleonora, der ja nur teilweise realisiert worden war. Schließlich die Übernahme des Throns durch Celan, dem Erben von Leodegar, dem Bruder des Gründervaters Gilbert. Obwohl sie viele Erfolge gefeiert hatten, war der Plan nicht vollständig aufgegangen. Er selbst hatte seinen Teil erfüllt. Eisentor erobert, die Kargatianer ins Land gelockt, die Burg zurückerobert, um dann den General des Nachbarlandes für seine Zwecke zu gewinnen. Aber der Tod Ulfs war ein Rückschlag gewesen, genau wie die Flucht Arthurs und Gerons und das Erstarken Alois‘. Doch all dies hätte wohl nichts ausgemacht, wenn Forgat von Fendron nicht seine religiöse Eingebung gehabt hätte, die die Machtverhältnisse geändert hatten. Narthas selbst glaubte nicht an jene Trias, wollte aber ihre Existenz auch nicht ausschließen. Wenn die Geister über die Steppen herrschten, konnte es auch andere Wesen geben, die ihre Reiche beanspruchten. Doch deren Einmischung kam zu einem schlechten Zeitpunkt. So hatte sich die ständige Situation des Krieges eingestellt, in der sie nun lebten.



Er seufzte und wendete sich ab. Obwohl er ein Mann des Kampfes war, war es in der Tat höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden. Hierfür gab es nur eine langfristige Lösung: der Sieg Tandors. Nun war er gespannt, ob Vincent Nachrichten von seinem Vater brachte, die diesen Plan weiter befeuerten. Dann machte er sich auf und lief die Palisaden hinunter, um auf den kleinen Bergfried zuzusteuern.




„Euer Gnaden, wenn Ihr Euren Besuch früher angekündigt hättet, hätte ich Nordend vorbereitet, um Euch entsprechend willkommen zu heißen. Bitte entschuldigt den Zustand der Stadt und des Hofes.“, sagte Wichart, während er sich tief vor Vincent verbeugte, der gerade aus dem Sattel gestiegen war. Vincent schaute den Mann an, der als Veteran unter seinem Vater in vielen Schlachten gekämpft hatte. Trotzdem war er ein erbärmlicher Speichellecker. Ein Typ von Untertan, von denen Celan von Tandor viel zu viele hatte, zumindest in Vincents Augen.



„Danke, Wichart. Es ist auch nicht nötig. So lange deine Küche mir und meinen Gefährten ein stärkendes Mal und ein kühles Bier servieren kann, bin ich vollkommen zufrieden.“, antwortete Vincent selbstsicher und signalisierte Wichart, sich aufzurichten.



„Sehr wohl, Euer Gnaden. Ich werde Euch natürlich meine Kammer überlassen.“



„Hab Dank auch dafür. Wichart, darf ich dir meinen Gefährten Daron vorstellen. Er ist ein Reisender aus dem Ylonischen Bund, fern im Süden jenseits Kargats, und will unser schönes Tandor kennenlernen. Ich hatte vor, mit ihm morgen an den Valor Kath zu reisen.“



„Es ist mir eine Freude.“, sagte Wichart an Daron gerichtet, allerdings deutlich trockener als die vorher an Vincent gerichteten Worte. Daron antwortete mit einem Nicken.



„Und mir eine Ehre, Wohlgeboren.“



„Dann wollen wir mal eintreten.“, sagte Wichart und wies den Weg in die kleine Halle hinein. Daron folgte Vincent, der sich dem Freiherrn anschloss, als auf einmal eine weitere Stimme von hinter ihnen ertönte.



„Vincent, es ist überraschend und schön dich hier zu sehen.“



Der angesprochene Sohn Tandors wandte sich um und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.



„Narthas. Du bist schon in Nordend!“, rief er freudig aus und ging auf den Mann zu. Daron betrachtete die Gestalt. Narthas war offensichtlich ein Urbe, das zeigten die markanten Gesichtszüge. Er war wohl ähnlich alt wie der Freiherr von Valor Kath. Doch im Vergleich zu diesem, der schon alle Haare verloren und einige Fettpolster angesetzt hatte, war der Urbe drahtig und gestählt von Jahrzehnten des Kampfes. Das Alter hatte die Züge gegerbt und gehärtet, ohne ihnen die Stärke zu nehmen.



„Nun Junge, dein Vater sandte mich schon vor einiger Zeit aus Taarl.“ Vincent nickte lächelnd.



„Ja, aber ich hatte vermutet, dass du dich in Auenstein aufhältst. Narthas, darf ich dir Daron vorstellen, ein Freund, den ich auf meinen Reisen kennen gelernt habe.“, sagte er und zeigte auf den Novizen. „Daron, dies ist Narthas Khan, Sohn des großen Ikran Khan, Stammesführer der Urben und treuer Diener meines Vaters. Außerdem der Grund, dass ich selbst bei wildesten Ritten im Sattel bleibe.“



Daron verneigte sich vor Narthas, der doch eine größere Autorität als Wichart ausstrahlte, obwohl letzterer der eigentliche Herr des Hauses war. So stand der Freiherr etwas alleine und unbeachtet in der Tür zur Halle.



„Daron also.“, sagte Narthas und musterte den Mann. Daron fühlte sich, als würden die kalten Augen des Urben ihn durchbohren. „Woher stammst du?“



„Aus dem Ylonischen Bund, mein Herr.“, antwortete Daron. Narthas nickte, sein Blick noch immer skeptisch.



„Ich habe schon einige Fremde aus anderen Reichen gesehen, aber du ähnelst ihnen nicht.“, sagte Narthas, wurde aber von Vincent unterbrochen, bevor er weitere Fragen stellen konnte. Der Herzogssohn legte einen Arm um die Schulter des Khans um mit ihm Seite an Seite in die Halle zu gehen.



„Narthas, du musst dir unbedingt einige Geschichten von Daron anhören. Über ferne Reiche und mystische Helden.“, sagte er überschwänglich, nur um dann den Kopf zum Ohr des Urben zu neigen, und flüsternd hinzuzufügen: „Und du musst mir unbedingt berichten, wie weit die Vorbereitungen stehen.“ Narthas nickte wortlos, während sie die Halle betraten.



„Meine Gäste…“, versuchte Wichart erneut das Wort zu erheben, wurde aber mit einer kleinen Handbewegung von Vincent unterbrochen. Der Sohn Tandors löste sich von Narthas und ging zielstrebig auf den Kopf der Tafel zu, um sich auf dem aufwändigen Holzstuhl niederzulassen. Er zeigte auf die beiden Stühle an seiner Seite.



„Narthas, Daron, darf ich euch an meine Seite bitten.“ Er spürte, dass Wichart etwas erwidern wollte. Immerhin war es dessen Halle. Doch mit einem ernsten Blick verhinderte Vincent den Einspruch und wandte sich stattdessen an die Diener des Freiherrn. „Diener, bringt uns doch etwas zu Trinken und einige Speisen. Der Koch soll sich außerdem daran machen, etwas Ordentliches auf den Tisch zu bringen. Wir sind hungrig.“, befahl er ihnen.



„Was hast du in Valor Kath vor, Vincent?“, fragte Narthas, nachdem er sich gesetzt hatte.



„Mein Vater hat mir aufgetragen, die entfernten Provinzen seines Reiches auf ihre Wehrfähigkeit hin zu überprüfen.“, antwortete Vincent und schaute dabei eindringlich zu Wichart. Bevor der Freiherr aber endlich zu Wort kommen konnte, fuhr er einfach fort. Der Speichellecker aus Nordend war es nicht wert, zu Wort zu kommen. „Außerdem wollte ich mit Daron zum Pass von Valor Kath. Wir werden aber bald weiterreisen. Nach Auenstein und Lyth Valor.“



„Eine mutige Entscheidung, an den Pass zu reisen, wo die Geister nach Rache suchen bei jenen, die das Reich verraten haben.“, hörte Daron die Stimme eines alten Mannes und drehte sich um. In der Tat saß in der Ecke ein alter Mann, den er vorher nicht bemerkt hatte. Er hatte keine Haare mehr, seine Haut war eingefallen und seine Augen milchig weiß. Er musste das übliche Alter eines valorischen Mannes schon lange überschritten haben, hatte bestimmt schon mehr als siebzig oder achtzig Sommer gesehen.



„Ach sei still, alter Mann.“, fuhr ihn Wichart an, doch auch Vincent drehte sich um.



„Welche Geister, alter Mann? Und wer bist du?“



Der Alte schnaubte nur. „Die Festung am Valor Kath wird von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht, den Geistern derer treuen Untertanten St. Gilberts, die hinterrücks verraten wurden. Sie spüren den Verrat und steigen vom Pass hinab, um die Verräter zu bestrafen. Verräter wie Celan von Tandor und alle die ihm folgen.“



Noch bevor Vincent etwas erwidern konnte, schlug Wichart mit der Faust auf den Tisch. „Sei still, Rodrik. Genug, dass du meine Nerven jeden Tag strapazierst, wagst du es, meine Gäste zu beleidigen. Ich sollte dir auf der Stelle den Kopf abschlagen.“



„Wir werden sehen, wessen Kopf zuerst rollt.“, erwiderte der alte Hofmeister bissig.



„Es reicht.“, rief Wichart laut und wandte sich an eine der Dienerinnen, eine blonde Frau, die vielleicht in ihren Dreißigern war. „Klara, bring deinen Großvater hinaus, bevor ich mich vergesse.“



„Natürlich, Wohlgeboren!“, sagte die Angesprochene mit einem unterwürfigen Knicks und ging auf den alten Mann zu.



„Los, Großvater, ich helfe dir in deine Kammer.“



„Wenn mich…“, wollte Rodrik etwas erwidern, aber Klara legte ihm die Hand auf den Unterarm.



„Es ist gut, Großvater. Bitte denke an uns.“, sagte sie mit weicher Stimme und schaffte es so in der Tat, den alten Mann zum Schweigen zu bringen. Auf ihren Arm gestützt folgte er Klara aus der Halle hinaus.



Vincent schaute ihm noch nach, die Augen zu schmalen Schlitzen verzogen und blickte dann nicht weniger ernst zu Wichart. „Das war ja mal eine unangenehme Überraschung, Wichart.“



„Entschuldigt ihn, Euer Gnaden. Er ist ein alter Mann und verwirrt.“



Vincent zog die Augenbraue hoch, antwortete nicht. Stattdessen schaute er weiter zu Wichart. Sein Blick stellte all die Fragen, die er nicht aussprach. Wieso der Freiherr einer solchen Person erlaubte, hier in der Halle zu sein? Wieso er nicht für den Vorwurf des Verrats, der doch selber einen Hochverrat darstellte, bestraft wurde? Und eben, wer dieser alte Mann war. Der Freiherr schaffte es nicht lange, dem Blick Stand zu halten und schaute auf den Tisch hinab.



„Sein Name ist Rodrik von Eisfurt. Er hat bereits die letzten drei Freiherren von Valor Kath als Hofmeister gedient und ist bei den Menschen von Nordend äußerst beliebt.“



Die Antwort klang wohl weniger überzeugt, als Wichart gewollt hatte. So starrte ihn Vincent weiter an, ohne etwas zu sagen. Der Freiherr erkannte nun den Vater in dem Sohn Tandors. Während er bis zu diesem Moment freundlich, geradezu fröhlich gewesen war, entsprang seinen Augen nun die Kälte, die Celan von Tandor auszeichnete.



„Ich hielt es für das Richtige, ihm die wenigen letzten Jahre seines Lebens am Hof zu belassen. Aber er strapaziert meine Geduld.“, versuchte Wichart noch zu retten, was zu retten war. Die angespannte Situation wurde von einem breiten Lächeln Vincents unterbrochen, der sich ohne Wichart eines weiteren Wortes zu würdigen zu Daron drehte.



„Dann, Daron, sollten wir uns vor Geistern in Acht nehmen, meinst du nicht auch?“



Obwohl der Herzogssohn lächelte, war Daron nicht so überzeugt. Nicht nur seit seiner Verehrung von Laëa wusste der Novize, dass es Kräfte auf dieser Welt gab, die Menschen nicht verstehen konnte. Die Rache der Toten, die verraten wurden… Wieso auch nicht? Dennoch erwiderte er mit einem Lächeln.



„Ich werde dir den Rücken freihalten.“



„Na dann, auf die Geister des Valor Kaths.“, sagte Vincent mit einem Grinsen und erhob seinen Becher.




Die Halle war fast leer. Nur noch Wichart und Vincent saßen am Tisch und Narthas stand in einer Ecke an die Wand gelehnt. Vincents Blick folgte den beiden Dienern, die den Raum verließen, und die Türe hinter sich schlossen.

 



„Wichart, danke für den angenehmen Empfang. Du kannst dich nun auch entfernen.“, sagte Vincent mit kalter Stimme zu dem Freiherrn, der merklich ein Krug Bier zu viel getrunken hatte. So schwankte er schon leicht und wirkte langsam und behäbig.



„Also werde ich schon aus meiner eigenen Halle geworfen?“



Wieder dieser kalte Blick von Vincent. Es war die gesamte Verachtung für den Mann, die aus den Augen von Celans Sohn sprach. Wie hatte sein Vater nur einen solchen Schwächling zum Freiherrn machen können? Oder was war aus ihm geworden, wenn er einst ein Kämpfer an der Seite Herzog Celans gewesen war?



„Ja, Wichart, du wirst nun aus deiner eigenen Halle geworfen, weil ich mit Narthas Wichtiges zu besprechen habe. Sei froh, dass es nur die Halle ist, die du heute verlierst.“, antwortete Vincent scharf. Es war die Endgültigkeit der Aussage, die keine Erwiderung mehr erlaubte. Wichart zögerte noch kurz, erhob sich dann aber und wankte zum Ausgang. Die Tür schlug fester in das Schloss, als es notwendig gewesen wäre. Dennoch blieb Vincent regungslos. Erst als die Tür nicht mehr zitterte, wandte er sich zu Narthas, der immer noch in der dunklen Ecke stand.



„Narthas, wie weit seid ihr?“



Erst jetzt trat Narthas Khan hervor und an den Tisch. Er blieb an der Tischkante stehen und schaute Vincent in die Augen.



„Ich habe fast zweihundert Mann hier in Nordend. Innerhalb des nächsten Monats werden wir zweihundert weitere hierher verlegen und diese über das Freiherrentum verteilen. Im Sommer werden wir mit dieser Truppe den Norden Fendrons angreifen, am besten bis nach Nordfurt vorstoßen und Forgat so aus Tjemin locken. Die Truppen deines Vaters sind über die Gebiete jenseits des Orb verteilt und werden sich im Frühsommer unauffällig in Auenstein sammeln. Die Burg und umliegenden Dörfer bieten genug Raum, viele Männer zu verstecken, wenn diese verteilt anreisen. Bis Forgats Spione die Finte durchschaut haben, stehen wir schon in Tjemin.“



Vincent nickte. Sein Vater hatte ihm den Plan bereits in Taarl erklärt, aber nun, da sich die Steine ins Rollen setzten, schien das ganze unwirklicher. Celan selbst konnte den Feldzug nicht anführen. Es wäre viel zu auffällig gewesen, wenn er aus Taarl nach Westen gezogen wäre. Narthas würde den nördlichen Angriff führen. Doch die Verantwortung über das Hauptheer hatte Celan seinem Zweitgeborenen überlassen. An seiner Seite würde noch Rimbert von Taneck reiten, der Statthalter von Lyth Valor und jüngere Cousin Celans. Dennoch lag die Verantwortung für den Erfolg auf seinen jungen Schultern. Während Lumos, sein älterer Bruder, wohl nicht mal in den Plan eingeweiht war.



„Gut. Mit diesem Reisenden Daron habe ich eine noch bessere Tarnung, durch das Land zu reisen. Dennoch werde ich aus Nordend verdeckt weiterreisen. Ich möchte weder in Auenstein noch Lyth Valor erkannt werden. Bedenke das, falls du Boten schickst.“, antwortete Vincent.



„Natürlich.“, sagte Narthas und wandte sich schon zum Gehen, als er sich noch einmal umdrehte. „Dein Vater hält große Stücke auf dich.“



Vincent nickte. „Narthas. Ich habe Lumos auf dem Weg hierher getroffen, auf der Jagd auf Triasgläubige. Lass deine Späher Ausschau halten, nicht dass er noch zu eifrig wird.“, warnte Vincent den Urben.



„Das werde ich tun. Danke.“




Die Wolken hingen tief in den Bergen, waren aber im Laufe des Vormittags lichter geworden und so konnte man die Bergspitzen der Dunkelzinnen erahnen. Dennoch war es ein düsteres Bild, hier im Schatten der großen Berge zu stehen, und vor der einsamen Passstraße, die sich ins Gebirge schlängelte.



„Jetzt habe ich wohl das gesamte Reich durchquert.“, merkte Daron schmunzelnd an, als er den Pass hinauf schaute.



„Noch ist es ein recht langer Aufstieg bis zur Grenze. Aber ja, da du vom Eisentor kommst, hast du es zumindest von Süden nach Norden geschafft.“, antwortete Vincent, der sein Pferd gestoppt hatte. Er schaute den Berg hinauf.



Schon vor dem Sonnenaufgang waren sie aus Nordend aufgebrochen, wo sie drei Tage geblieben waren. Daron hatte mit einigen der Bewohner gesprochen, um Geschichten zu hören. Er hatte von den Geistern der Feste am Pass gehört, von den Nordmännern jenseits der Berge, von Mythen und Legenden aus fernen Tagen. Aber auch immer wieder die Geschichte der jungen Freiherrin, der Ritterin Valoriens. Die Geschichte von Eleonora von Mondschein. Eine kurze aber nicht weniger beeindruckende Geschichte. Wie sie, während