Sonnenfeuer

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Als er so die Flammen sah, durchlief ihn ein leichter Schauer. Es war nicht so, dass Helena ihm durch eine Nacht besonders ans Herzen gewachsen war. Beide hatten ein Verlangen gehabt, das der jeweils andere stillen konnte. Für Daron war die Triaspriesterin interessant gewesen. Er hätte gerne mehr über sie, Valorien und ihre Religion erfahren, bevor er einst wieder zurück nach Kloster Sonnfels kehren würde. Dennoch war ihr jäher Tod ein Schock gewesen und verschaffte ihm noch immer ein mulmiges Gefühl.

Er ließ seinen Blick über die Dorfbewohner schweifen. Die Wenigen, die das Massaker überlebt hatten. Alle sahen erschöpft aus, körperlich und geistig. Sie ließen sich einfach von den Soldaten treiben, die ihre Pferde vor und hinter der Gruppe führten. Gemeinsam marschierte die Kolonne in Richtung Westen, nach Goldheim, der nächsten größeren Stadt, aus der Daron auch gekommen war. Es war wohl nur die Resignation und Alternativlosigkeit, die die Frauen, Kinder und einige Alte vorantrieb. Alle Männer im mittleren Alter, der Schmied, der Wirt, die Bauern und Fischer, waren tot.

„He, du.“, hörte Daron die Stimme eines Soldaten, der zu ihm aufgeschlossen hatte. Erst jetzt merkte er, wie er in Gedanken verloren nach unten geschaute hatte, und ihn so gar nicht bemerkt hatte. Langsam und bedächtig hob er den Kopf und schaute dem Mann in die Augen.

„Ja?“

„Seine Gnaden, der Herr von Tandor, will dich sprechen.“

Daron zog die Augenbraue hoch. Obwohl Vincent in gewisser Weise ihr Retter war, verspürte der Novize keinen größeren Drang, mit diesem zu sprechen. Was sollte es auch schon bringen? Andererseits, vielleicht gab es interessante Erkenntnisse. Die Aufforderung an sich erlaubte ja auch eigentlich keine Widerworte.

„Natürlich, wenn das sein Wunsch ist.“, gab er so auch nur in ruhigem Ton zurück und folgte dem Mann, der sein Pferd wieder nach vorne trieb. Er selbst musste so einen schnelleren Schritt anschlagen und erreichte den Adeligen an der Spitze der Truppe leicht außer Atem.

„Mein Herr, hier ist der Fremde wie gewünscht.“, hörte Daron noch den Soldaten in kurzem zackigen Ton sprechen. Vincent saß noch im Sattel und nickte nur zur Bestätigung, schaute dann aber zu Daron hinunter. Bevor er etwas sagte, schwang er sich vom Rücken seines Pferdes hinunter und reichte die Zügel einem weiteren Soldaten. Dann schritt er auf Daron zu und musterte diesen.

Daron verbeugte sich leicht vor dem jungen Mann. Jetzt, da er dem Adeligen näher war, erkannte er, dass dieser wohl erst Anfang zwanzig sein musste, vielleicht sogar jünger.

„Euer Gnaden, wie kann ich Euch zu Diensten sein?“, fragte Daron unterwürfig. Es war wohl das Beste, Demut zu zeigen. Eine Fähigkeit, die er schon lange verinnerlicht hatte.

„Zu Diensten? Nein. Ich habe vorhin gehört, dass du aus fremden Landen stammst, und war interessiert daran, wer du bist und was du im Land meines Vaters machst. Mein Name ist Vincent von Tandor, Sohn von Herzog Celan.“, stellte er sich vor. Er wirkte offen und freundlich, so vollkommen anders als der kalte Bruder, der keine Skrupel gezeigt hatte, Eschfurt auszulöschen.

„Es ist mir eine Freude.“, antwortete Daron mit einem freundlichen Lächeln. „Mein Name ist Daron. Ich stamme aus dem Ylonischen Bund, aus Vadenfall, und habe es mir zur Aufgabe gemacht, möglichst viele fremde Länder zu bereisen.“

„Dann ist deine Wahl des Orts und Zeitpunktes aber sehr ungelegen.“, antwortete Vincent. „Obwohl der Krieg in der Tat über die letzten Jahre etwas ruhiger geworden ist.“

„Ja, ich habe davon gehört.“ Daron überlegte kurz, ob er den Angriff auf Eschfurt erwähnen sollte. Immerhin war dort der Krieg alles andere als ruhig gewesen. Andererseits schien es eine gezielte Bestrafungsaktion von Vincents Bruder gewesen zu sein.

„Es tut mir leid, was Lumos diesem Dorf angetan hat.“, sagte aber nun Vincent von sich aus. „Er hat es sich selbst zur Aufgabe gemacht, alle Priester und Gläubige dieser falschen Religion zu vernichten. Doch manchmal geht er dabei etwas zu rabiat vor.“

„Was hat Euer Bruder gegen die Trias?“

Vincent zuckte die Schultern. „Nun, es ist klar, dass die Trias verboten ist. Seitdem die Menschen im Norden Fendrons im Namen dieser Religion gegen meinen Vater aufgestanden sind, wurde das Verbot in ganz Tandor mit Gewalt durchgesetzt. Aber die Bedrohung ist weitestgehend vernichtet. Nur noch vereinzelte Menschen klammern sich an diesen Glauben.“

„Ich dachte, Fendron wäre ein anderes Herzogtum in Valorien?“, fragte Daron neugierig. Vincent schnaubte leicht.

„Das ist wohl richtig. Anscheinend hast du dich schon vorher über unser Königreich schlau gemacht.“

„Man liest viel in Büchern.“

Vincent nickte, ging aber auf die Antwort nicht weiter ein, sondern erzählte weiter. „In der Tat waren einst Fendron, Rethas und Tandor die drei Herzogtümer Valoriens, die direkt der Krone unterstanden. Der König regierte über die Kronlande. Nach dem Tod des letzten Königs aufgrund des Verrats seiner engsten Vertrauten, hat mein Vater, als Nachfolger von Leodegar von Tandor, die Krone beansprucht.“

„Und wieso ist er dann nicht der König?“

Vincent zögerte kurz, bevor er antwortete. „Die Ritter und Herzöge des Reiches stimmten mit seinem Anspruch nicht überein. Wie wir heute stehen, herrscht mein Vater über die nördlichen Kronlande. Dies schließt Goldheim ein, die Heimat eines der Verräter. Außerdem hat er die nord-westlichen Teile Fendrons im Besitz, bis zur Hafenstadt Lyth Valor. Mit dem Herzog von Fendron und dem Verweser der Kronlande besteht ein brüchiger Waffenstillstand, Herzog Helmbrecht von Rethas erkennt den Anspruch meines Vaters an. Dafür stellt ihm Tandor Truppen zur Seite, um sich gegen Rebellen und Verbrecher zu wehren, die sein Herzogtum bedrohen.“

„Interessant.“, gab Daron zurück. Denn in der Tat waren die genauen Begebenheiten, die Vincent preisgab, von höchstem Interesse für ihn. „Und was ist Eure Aufgabe?“, fragte er neugierig.

„Mein Vater hat mich mit meinen Männern aus Taarl fortgeschickt, um sein Reich zu erkunden. Er gab mir den Auftrag zu verstehen, wie die Situation in den einzelnen Städten und Burgen ist. Meist reise ich verdeckt, deshalb auch nur die kleine Eskorte. Aber nun bist du an der Reihe, von deinen Ländern zu erzählen. Sag, wie war Kargat? Ich kenne das Königreich nur als Feind, doch habe es nie sehen können.“

Daron lächelte ob des Interesses des jungen Adeligen. „Das werde ich gerne lang und breit erzählen. Allerdings bin ich im Moment recht erschöpft, aufgrund der Geschehnisse.“, gab er zu Bedenken.

Doch Vincent winkte ab. „Dann eben später. Was hältst du davon: Du willst doch sowieso die Länder erkunden. Begleite mich auf meinen Reisen durch Tandor. Ich finde dich interessant, Daron. Und dann wird mir auf keinen Fall langweilig, während du unter meinem Schutz stehst. Wie hört sich das an?“

Daron verneigte sich dankbar. „Vielen Dank, Euer Gnaden. Das hört sich sehr gut an, und ich würde den Vorschlag dankend annehmen.“

„Sehr gut.“, antwortete der Sohn Tandors. „Ach, und Vincent ist ausreichend.“

Kapitel 5

Helmbrecht schaute auf seine zitternden Hände hinunter, als er die Seiten umschlug. Er blätterte vorsichtig nach hinten. Für ihn schien es wie eine kleine Reise in die Vergangenheit. Gerne hätte er sagen wollen, eine Reise in die Jugend. Aber so weit blätterte er nicht zurück. Nur einige Jahre, bis zu jenem Jahr, das als Jahr des Blutes in die Geschichte eingegangen war.

Er seufzte und studierte die Worte, die doch die Grausamkeit der Realität kaum fassen konnten. König Priovan, der letzte Erbe St. Gilberts, wurde vom Verräter Heinrich von Goldheim getötet. Dieser wurde von Herzog Celan von Tandor niedergestreckt, doch das Leben des Königs konnte nicht mehr gerettet werden. Es war die offizielle Version der Geschehnisse in Elorath, die er in das Buch des Herzogtums geschrieben hatte. Noch immer zweifelte er an der Version des Herzogs, aber es spielte auch keine Rolle. Wahrheit war relativ, das hatte er Celan schon vor vielen Jahren geraten. Mit dem Alter wurde diese Erkenntnis immer deutlicher. Nun hatte er so viele Jahre hinter sich, wie kein Mensch, den er je gekannt hatte. Doch das Schicksal wollte noch immer nicht seinen Tod. Stattdessen hatte es das Leben aller anderer seiner Verwandten und Nachkommen beendet.

Er erinnerte sich an jenes Jahr zurück. Nachdem er die Nachricht vom Tod des Königs erhalten hatte, hatte er sich persönlich auf die anstrengende Reise nach Elorath aufgemacht. Trotz seines Alters. Es war das letzte Mal gewesen, dass er Grünburg verlassen hatte. Doch es war seine Pflicht gewesen, als Herzog und Ritter. Denn das Reich wollte regiert werden, gerade in schweren Zeiten. Und dies konnte nur aus Elorath geschehen, aus dem Rittersaal. Damals schien ihm die Zukunft noch so gewiss. Celan würde König werden, als Nachfolger von Leodegar. Forgat würde sich diesem sowieso beugen, er wollte am liebsten Rethas in Sicherheit wissen, und die überlebenden Ritter würden sich fügen oder sterben. Schon bald, wenn seine Zeit abgelaufen war, würde sein junger Enkel Helmbrecht, Sohn seines zweitältesten Sohn, das Herzogtum führen. Es schien so einfach. Doch es sollte alles anders kommen.

Er erinnerte sich noch wie gestern, als er bereits im Rittersaal saß. Die Banner der Verräter waren entfernt, die Schwerter von Eleonora, Ulf und Heinrich bereits an ihren Platz gebracht. Während er und Celan sprachen, waren Alois und Forgat in den Saal getreten. Was folgte, waren wüste Beschimpfungen, und nur seine beruhigenden Worte hatten verhindert, dass die Ritter direkt die Klingen kreuzten. Doch die Situation hatte sich schlagartig geändert.

 

Forgat berichtete vom Wunder von Liamtal, von der Rückkehr des Boten der Trias, wie er Fürst Elian bezeichnete. Und von dem Erben St. Gilberts, der lebte und eines Tages unter dem Segen der Trias nach Valorien zurückkehren würde. Ein Tag, für den Forgat nun beten würde.

Alois war in dieser Hinsicht strategischer. Er warf Celan den Verrat vor, dessen Heinrich bezichtigt war und erzählte von den Befehlen Ulfs, die junge Ritterin Eleonora zu töten. Doch viel wichtiger war: Er hatte mit seiner Streitmacht wichtige Posten der Kronlande besetzt und die Stadtwache Eloraths auf seine Seite gezogen, die alle Soldaten Tandors innerhalb der Stadt verhaftet hatten.

Was folgte, war nicht mehr zu verhindern. Celan schaffte es noch, aus der Stadt zu fliehen, die er gerade noch als seine geglaubt hatte. Helmbrecht selbst hatte Alois und Forgat offen seine Unterstützung für Celan mitgeteilt. Weniger aus dem eigenen Wunsch, diesen auf dem Thron zu sehen, als vielmehr in der Angst um Rethas, in dem sich wohl mehr Tandorer und Urben als rethanische Soldaten aufhielten. Denn diese unterstanden zu der Zeit Alois. Doch er rief Rethas als neutral aus und zog sich zurück. Wenn er auf die Wirren dieses Jahres zurückschaute, war das wohl die beste Entscheidung gewesen. Denn so hatte sich der Krieg nicht nach Rethas ausgebreitet und er hatte nur gegen die Partisanen von Arthur kämpfen müssen.

Seitdem war das Land nicht mehr zu Ruhe gekommen. Seine Hoffnungen in den Sohn von Eilert waren jäh durch dessen Tod zerbrochen worden. Ein Sturz vom Pferd hatte am Ende gereicht, eine Wunde zu schlagen, die den jungen Erben in den Tod gerissen hatte. So blieb dem alten Herzog nur mehr Lerke, die Tochter des jüngsten Sohn, Rainald, der einst in Elorath bei dem Versuch starb, den König zu ermorden. Nach deren geplanter Hochzeit mit dem Erben von Tandor würde seine Linie nun also erlöschen und das einstige stolze Herzogtum Rethas dann wohl auch de jure in Tandor aufgehen. Der Lauf der Geschichte war eben nicht aufzuhalten. Dennoch war es ein trauriges Ende für Rethas.

Mit zittrigen Händen schloss Helmbrecht das Buch und lehnte sich in dem Holzstuhl zurück. Er betrachtete den schweren Band. Ob Lerke das Buch weiterfüllen würde? Selbst wenn Rethas als Herzogtum nicht mehr bestand, seine Menschen würden weiterleben, und die Geschicke ihrer Heimat bestimmen. Doch die junge Herzogin würde wohl in Taarl residieren, das große Buch von Rethas aber hier in Grünburg verweilen.

„Euer Gnaden?“. Helmbrecht hörte die Stimme des Dieners. Er hätte ihn sonst nicht bemerkt. Seine Sinne waren wie die gesamten Kräfte seines Körpers geschwunden. Nur sein Blick war scharf wie eh und je.

„Ja?“, sagte er mit schwacher Stimme und signalisierte dem Mann mit einem Winken, näher zu kommen. Doch seine Augen hielt er fest auf dem Buch, während sich der Diener in seinem Rücken näherte.

„Euer Gnaden, der Herzog von Tandor ist angekommen und wünscht Euch zu sprechen.“

Helmbrecht nickte. „Und wie gerne wäre er als König Valoriens angekündigt worden…“, antwortete er leise.

„Wie meint Ihr, mein Herr?“

„Schon gut.“, sagte Helmbrecht. „Hilf mir bitte.“, wies er den Diener an. Dieser trat sofort näher und reichte dem alten Herzog einen Arm um ihn zu stützen. In die freie rechte Hand des Herzogs gab er ihm einen Stock, auf dem sich der alte Mann zusätzlich stützen konnte. Erneut spürte Helmbrecht, wie viel Kraft es ihn kostete, nur aufzustehen. Der kurze Weg in die große Halle würde ungleich anstrengender werden.

Eigentlich hätte er ob seines Alters und Gebrechens sein Leben im Bett verbringen müssen. Um langsam und siechend zu sterben. Aber er wollte nicht ein solches Bild abgeben. So war die kleine Schreibkammer ein willkommener Platz. Man konnte sitzen, stundenlang und lesen, oder sich einfach ausruhen. Und niemand störte einen. Doch jetzt musste er wieder in die Welt dort draußen zurück. Die Welt voller Lügen, Verrat, Intrigen, Mord und Totschlag. Der Welt, der er eigentlich überdrüssig war. Aber das Schicksal ließ ihn nicht frei.

„Der Graf von Ostwacht ist auch eingetroffen.“, sagte der Diener, als sie einige Schritte gegangen waren. Helmbrecht nickte, antwortete aber nicht. Natürlich, Valentin war auch gekommen. Er war über die letzten Jahre zu einem treuen Diener von Celan verkommen. Mit einem Auge hatte er stets auf Rethas geschielt, das er doch so gerne selbst beherrschen wollte. Aber Celan würde dies nicht erlauben. Helmbrecht selbst wollte einfach nicht sterben. Beides nicht gut für die Ambitionen des Grafen.

Als er mit langsamen Schritten so auf die Wendeltreppe nach oben zuging, dachte Helmbrecht an jenen Tag vor fast sechzehn Jahren zurück. Er war auch in der Kammer gesessen, als der junge König mit Graf Valentin und Freiherr Arthur nach Grünburg gekommen waren, um ihn zu demütigen. Es war das letzte Mal gewesen, dass er Priovan I. gesehen hatte.

Damals dachte er, dass er wohl ein schlechter König für Valorien war, zumindest für Rethas. Heute war er sich nicht mehr sicher. Die Zeit ohne Herrscher war wohl ungleich schlechter für das Land. Er seufzte. Ein Herrscher Celan würde Valorien wohl auch nur Unglück bringen. Doch war dies wohl die wahrscheinlichste Zukunft.

Der Herzog von Rethas hörte die laute Stimme und die stampfenden Schritte von Graf Valentin schon aus einiger Entfernung. Der Ritter aus Ostwacht war über die Jahre immer aufbrausender geworden. Das Chaos im Land hatte sich scheinbar auf sein Gemüt übertragen. An manchen Tagen dachte Helmbrecht fast, die Persönlichkeit seines alten Weggefährten Heinrichs in Valentin zu sehen. Aber es gab einen großen Unterschied: Der Graf von Ostwacht war nicht nur aufbrausend, sondern auch verschlagen. Einen Charakterzug, den er sich wohl eher bei seinem Förderer Celan angeeignet hatte. Sowieso hatte sich Helmbrechts Bild über den jüngeren Mann von Jahr zu Jahr verschlechtert. Nicht verwunderlich, immerhin hatte der Graf die ganze Zeit auf seinen Thron geschielt. Und seine Enkelin. Doch wie es aussah, würde ihm beides verweigert bleiben.

Als er gestützt von dem Diener durch die offene Tür trat, sah er in der Tat seine beiden Ritterbrüder als einzige Personen. Valentin stapfte aufgeregt auf und ab. Seine körperlich imposante Gestalt hatte sich über die letzten Jahre kaum verändert, nur das Blond der Haare und des Bartes waren einem Weiß gewichen. Celan hingegen saß ruhig an einem der kleineren Tische am Rand der Halle und nippte ruhig an einem Weinbecher. Seine Augen fokussierten Helmbrecht sofort, als er den Raum betrat. Während der Herzog von Tandor äußerlich gealtert war – die einst schwarzen Haare waren von sichtbaren grauen Strähnen durchzogen und das Gesicht war gegerbt und von Falten gezeichnet – hatte sich die Kraft in seinem Blick nicht abgeschwächt. Es war diese Mischung aus arroganter Überlegenheit, unbändigem Ehrgeiz und einer gewissen Verschlagenheit, die ihn schon als jungen Mann gekennzeichnet hatte. Schon als ihn Helmbrecht als Knappen ausgebildet hatte.

„Helmbrecht!“, rief Graf Valentin laut aus, als er den Herzog sah. „Das ist alles deine Schuld! Ich habe dir schon im letzten Jahr gesagt, dass wir die Schwäche von Freital ausnutzen müssen, um ihn endgültig in die Knie zu zwingen. Wir hätten ihn aus den Wäldern treiben müssen, wie ein Wildschwein. Nun hat er uns in der Hand. Und keine deiner Soldaten konnten das verhindern!“

Helmbrecht lächelte Valentin milde an. Er war es mittlerweile gewohnt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Und sein Alter erlaubte ihm nicht mehr die Kraft, um sich mit Valentin oder Celan zu streiten. Gestützt von dem Diener ging er also weiter auf den Tisch zu, an dem Celan saß.

„Für dich Valentin heißt es immer noch ‚Euer Gnaden‘“, wies er den Grafen ruhig aber bestimmt zurecht. „Des Weiteren würde ich dich bitten, einen sehr alten Mann zunächst zur Ruhe kommen zu lassen, bevor du mich mit Tiraden bewirfst.“

Valentin blieb stehen, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Die Worte Helmbrechts waren entwaffnend, und er wusste auch nichts zu erwidern, sodass Helmbrecht genug Zeit blieb, sich in Ruhe zu setzen. Der Diener zog den Stuhl leicht zurück und der alte Herzog ließ sich erleichtert auf die Sitzfläche sinken.

„Ah, viel besser. Nun, junge Freunde. Willkommen in Grünburg. Mir scheint, ihr seid hier in letzter Zeit öfter, als es uns allen beliebt.“, sprach Helmbrecht ruhig weiter. Er bemerkte, wie ihn Celan weiter mit seinem Blick fokussierte, ohne etwas zu sagen. Stattdessen nippte er erneut an seinem Weinbecher.

„Ach, und ihr trinkt meinen Wein leer. Nun gut Diener, für mich bitte ein Becher mit Wasser und einem kleinen Spritzer des Roten aus dem Ylonischen Bund.“, wies er den Diener an und beobachtete, wie dieser die Halle aus einem Diensteingang verließ. Dann schaute er wieder herausfordernd zu Valentin und dann Celan.

„Also, was verschafft mir die Ehre?“

„Das weißt du genau so gut wie wir. Dieser Verräter läuft nun seit fast zwei Jahrzehnten ungestraft durch dein Herzogtum. Und nun hat er einen Sohn Tandors und deine Enkelin in seiner Gewalt. Der treue Dolf ist tot. Und alles, weil du zu untätig gewesen bist.“

„Valentin, in diesem Land führst du die Truppen bereits seit Langem. Mir scheint die Unfähigkeit der tandorischen Eskorte auch eher ein Grund für diese Entführung als meine Person.“, entgegnete der Herzog. Im Vergleich zu vielem anderen hatte ihn sein Verstand noch nicht verlassen.

„Es ist auch deine Enkelin, die in den Händen dieses Mannes ist.“, erwiderte Valentin weiter energisch. „Du bist ein verblendeter alter Mann.“

„Immer noch ‚Euer Gnaden‘“, mahnte ihn Helmbrecht. „Und dieser Mann ist ein Ritter Valoriens…“

Er senkte den Blick leicht. Ja, sein erster Gedanke, als er die Nachricht erhalten hatte, war ähnlich wie die Reaktion Valentins gewesen. Es ging immerhin um Lerke, seine letzte Nachfahrin. Und der letzte Sonnenschein in seinem Leben, das doch sonst von dunklen Wolken überschattet wurde. Aber je länger er darüber nachgedacht hatte, desto ruhiger war er geworden. Ja, Arthur von Freital war auf keinen Fall ein schlechter Mann. Er war im Gegenteil einer der ehrlichsten und offensten Männer, die Helmbrecht in seinem langen Leben kennen gelernt hatte. Und er war ein Ritterbruder Valoriens, Träger von Blutstein. Er würde sich nicht an einem jungen Mädchen vergreifen, selbst wenn es seinen Plänen zuträglich war. Je länger Helmbrecht in den letzten Jahren über Arthur nachgedacht hatte, desto weniger konnte er in ihm einen Verräter sehen. Vielleicht war er selber der eigentliche Verräter an Rethas. Doch dies konnte er nun nicht mehr ändern. Dennoch teilte er die Sorge von Valentin mittlerweile nicht mehr.

„Helmbrecht.“ Es war die tiefe und kraftvolle Stimme von Celan, die den alten Herzog aus seinen Gedanken riss. „Du wirst dafür sorgen, dass mein Sohn und meine zukünftige Schwiegertochter befreit werden. Koste es, was es wolle.“

„Du überschätzt meine Möglichkeiten.“

„Du…“, wollte sich Valentin gerade wieder lautstark zu Wort melden, wurde aber jäh von einer Handbewegung von Celan zum Schweigen gebracht. Auf ein Nicken des Herzogs von Tandor hin nahm stattdessen auch der Graf am Tisch Platz.

„Ich stelle nur Tatsachen fest.“, fuhr Celan fort. „Entweder du schaffst es, sie zu befreien, oder ich werde Rethas mit Krieg überziehen. Feuer und Eisen werden regieren, bis die Kinder frei, oder gerächt sind. Dein Land wird brennen.“

Es war die ruhige Art von Celan, die die Drohung erst glaubwürdig machte. Diese Kälte, mit der der Herzog von Tandor schon jetzt fast die Hälfte Valoriens unter seine Hand gebracht hatte. Mit Rethas würde sein Reich noch weiter wachsen. Helmbrecht zweifelte keinen Moment daran, dass Celan seinen Worten Taten folgen lassen würde. Aber er schüttelte nur resigniert den Kopf.

„Tu das, Celan. Bald ist es sowieso dein Land. Oder denkst du, dass ich meinem Schicksal noch lange entrinnen kann?“, antwortete er dann herausfordernd.

„Ich habe bereits heute Reiter entsendet. In die Alrinnen, nach Freital und in alle anderen Ecken deines Herzogtums.“, entgegnete Celan kühl.

„Dann ist ja allem Sorge getragen.“, antwortete Helmbrecht. „Und was wünschen wir noch zu besprechen? Oder habt ihr dafür einen so langen Weg auf euch genommen?“

Kurz lag Stille im Raum, bevor sich Valentin mit einem Räuspern zu Wort meldete. „Alois hat uns Boten geschickt. Er wünscht die Runde der Ritter in Elorath zu sammeln, um über die Verteidigung Valoriens zu sprechen. Er sichert freies Geleit, bei seiner Ehre als Ritter. Was werden wir tun?“

Celan schaute erwartungsvoll zu Helmbrecht. Der Herzog von Tandor hatte seine Gedanken schon gebildet, dessen war sich der alte Ritter sicher. Und dennoch fragten sie ihn nach seiner Meinung. Immerhin war noch immer er der Herzog von Rethas und traf seine eigenen Entscheidungen.

 

„Mmh“, war seine erste Antwort. Er überlegte. Alois. Wer hätte gedacht, dass jener Mann, den man eigentlich als den am wenigsten mutigsten Ritter wahrgenommen hatte, derart für das Reich aufstehen würde. Und für die Linie St. Gilberts. Wenn, wie das Gerücht ging, diese nicht mit dem jungen König untergegangen war. Helmbrecht hörte noch immer die Spötter nachhallen, als Alois von Priovan zum Ritter geschlagen wurde. Ein prächtiger Turnierstreiter, der noch nie einen wahren Kampf geschlagen hatte. Auch in der Rebellion Berlans war er oft zögerlich gewesen. Doch nach dem Tod seiner beiden Ritterbrüder in der Schlacht zwischen Ulf und Lora hatte sich der Mann gewandelt. Das Auftreten des Ritters aus Fendron im folgenden Disput um Elorath hatte Helmbrecht beeindruckt und sein Bild des nun herrschenden Reichverwesers geändert. Auch die Beharrlichkeit, mit der er die Kronlande gegen Celan verteidigt hatte, war beeindruckend gewesen.

„Was will er denn von uns?“, fragte Helmbrecht schließlich und schaute insbesondere zu Celan, der doch immer so gut informiert war. „Ich dachte, wir befänden uns bereits in einem Waffenstillstand.“

Erneut war es Valentin, der für den Herzog aus Tandor antwortete. „Sein Bote war unklar. Zumindest will er alle verbliebenden Ritter vereinen, somit wird auch Forgat dort sein. Zumindest wenn er sich nicht gerade mit seiner Priesterin im Bett befindet, um der Trias zu huldigen.“, fügte er spitz hinzu.

Helmbrecht zuckte schließlich mit den Schultern.

„Ich habe keine Zweifel an der Ehrhaftigkeit Alois‘. Wenn es Belange des Reiches gibt, sollten die Ritter in Elorath zusammentreten, obwohl wir uns in den letzten Jahren bekämpften. Ich werde jedoch selber die Reise aus verständlichen Gründen nicht antreten können.“

Celan nickte zustimmend. „Ja, so denke ich auch. Wir wollen uns anhören, was Alois zu sagen hat, während meine Männer Arthur jagen. Valentin wird dich bestimmt würdig vertreten.“

Die Worte des Herzogs von Tandor hatten etwas Abschließendes. Helmbrecht seufzte erleichtert, diese Begegnung offensichtlich auch überstanden zu haben.

„Also, meine Gäste, dann fühlt euch bis dahin in Grünburg willkommen. Ich werde mich nun aber zurückziehen.“, sagte der alte Herzog und wurde sofort von einem Diener gestützt, als er sich daran machte, aufzustehen.

Mit ihm erhoben sich auch Valentin und Celan. Helmbrecht schaute dem anderen Herzog noch in die Augen. Ganz kurz glaubte er die gleiche Müdigkeit zu erkennen, die er spürte, seit Rainald die Krone verraten hatte. Doch es war nur für einen Moment. Dann wich diese wieder der bekannten Kälte. Und der Gewissheit, dass Rethas brennen würde, wenn Arthur den Sohn Tandors nicht frei lassen würde.

„Wollt ihr euch nun hinlegen, Euer Gnaden?“, fragte der Diener den alten Herzog, als sie seine große Kammer betraten. Helmbrecht schüttelte den Kopf, jedoch mit einem milden Lächeln, das ihm etwas Großväterliches gab.

„Nein, mein Junge. Begleite mich doch kurz noch auf den Balkon. Ich möchte noch die letzten Sonnenstrahlen des Tages genießen. Bald werde ich genug liegen können.“

„Natürlich mein Herr.“, antwortete der junge Diener und führte Helmbrecht zu der kleinen Holztür, die auf einen Balkon führte, der einen Blick über Grünburg und die davorliegenden Wälder erlaubte.

„Danke.“, sagte der Herzog und stützte sich dann an der Balustrade des Balkons ab, während er seinen Blick über sein Volk schweifen ließ. Je näher er den kalten Hauch des Todes spürte, desto mehr dachte er über sein langes Leben nach. Hatte er alles richtig gemacht? Würde er als guter Herzog Rethas‘ in die Geschichte einziehen? Oder als gescheiterter Letzter? Unter drei Königen hatte er gedient, nur um dann das Ende der Linie ansehen zu müssen. Sein Volk hatte zu oft gelitten. Doch was hätte er tun können?

Im Nachhinein bereute er gar nicht mal viel. Er hatte stets versucht, die besten Entscheidungen in der jeweiligen Situation zu treffen. Nur eine Sache bereute er: Er hätte Arthur von Freital mehr vertrauen müssen, nicht Valentin, nicht Celan. Der Ritter aus dem kleinen Freital war ein aufrichtiger Mann, dem seine Loyalität zum Verhängnis geworden war. So war auch seine Sorge um Lerke kleiner, als die Sorge Celans um seinen Sohn. Nein, Arthur würde die junge Frau nicht zu Schaden kommen lassen. Natürlich war sie ein wertvolles Pfand, aber der Ritter würde niemals den ultimativen Preis verlangen. Nein, Lerke war im Moment sicher. Es war sein Herzogtum, um das er sich nun Sorgen machen musste.