Czytaj książkę: «Ein guter Junge»

Czcionka:

Lisa Henry & J. A. Rock

Ein guter Junge

Aus dem Englischen von Lena Seidel

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2021

http://www.deadsoft.de

© Copyright März 2013 Lisa Henry & J. A. Rock

Titel der Originalausgabe: Good Boy

Übersetzung: Lena Seidel

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© smmartynenko – shutterstock.com

© Ludmila Ivashchenko – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-444-5

ISBN 978-3-96089445-2 (epub)

Inhalt:

Der introvertierte College Student Lane Moredock ist in Schwierigkeiten. Seine Mutter wurde verhaftet wegen eines Finanzbetrugs und sein Vater ist auf der Flucht – und jeder glaubt, Lane weiß, wo die Millionen versteckt sind. Lane, der jetzt mittellos da steht und keine Bleibe hat, lässt sich auf einen verzweifelten Deal mit Acton Wagner, einem sogenannten Dom, ein, der ihm noch größeren Ärger einbringt.

Der Fotograf Derek Fields hat eine Menge Geld an die Moredocks verloren und auch er ist sicher, dass Lane schuldig ist, egal, was der behauptet. Doch als sie sich treffen, wird ihm klar, dass Lane mehr ist als der arrogante und priviligierte junge Mann. Derek fragt sich sogar, ob Lane nicht der sein könnte, nach dem er gesucht hat: einem Sub, der sein Lebenspartner werden könnte.

Doch zuerst müssen beide die Wahrheit herausfinden – und lernen, einander zu vertrauen.

Kapitel Eins

3. Juni

Der Stein, der sich in seinem Schuh verfangen hatte, während er auf dem Seitenstreifen die Straße hinaufstapfte, grub sich in Lanes Fußballen, als er die sanfte Steigung des Hügels erreichte. Er trat gegen den Rinnstein in dem Versuch, den Stein zu entfernen oder zumindest unter die Fußwölbung zu bugsieren. Vergebens. Er humpelte ein paar Schritte den Hügel hinauf, lehnte sich an den Briefkasten von irgendjemandem und zog seinen Schuh aus.

Der Schuh war ein Schnürschuh aus Segeltuch. Nichts Besonderes. Ein dünner Canvas-Schnürschuh, der nicht modisch genug war, um als Retro oder Hipster oder was auch immer durchzugehen. Einfach nur billig. Lane hatte sie als Ersatz für ein Paar Converse Star Player EVs gekauft, die er ruiniert hatte, als er über ein Stück frisch gelegten Asphalt gelaufen war. Seine Lieblingsschuhe, zu allem Überfluss. Die einzigen Schuhe, die er noch hatte. Also hatte er sich diese beschissenen Canvas-Schnürschuhe aus einem Secondhand-Laden besorgt und hasste sie.

Lane schüttelte den Stein heraus. Er zog den Schuh wieder an, schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und ging weiter den Hügel hinauf.

Ein plötzliches Reifenquietschen ließ sein Herz rasen.

„Scheiße.“ Lane schirmte seine Augen ab, als ein Geländewagen den Hügel hinauf brauste und ihn mit seinen Scheinwerfern blendete. Eine Bierdose schlug vor ihm auf die Straße und klapperte in den Rinnstein. Lane blinzelte auf die Rücklichter, als sie den Hügel weiter hinauffuhren und durch die Kurve aus seinem Blickfeld gerieten.

Wahrscheinlich Highschool-Kinder, die einfach nur dumm waren. Nicht alles drehte sich um seine Eltern. Sie hätten nicht einmal sein Gesicht gesehen, nur einen Typen am Straßenrand. Ein Kerl, der fast durchgedreht wäre.

Gott, war er erbärmlich.

Lane schaute sich seine billigen Schuhe an und stieg weiter den Hügel hinauf. Jetzt war keine Zeit für einen Nervenzusammenbruch. Er war bereits spät dran.

Zuerst waren zwei FBI-Agenten in Lanes Zimmer im Motel vorbeigekommen, um noch eine Vernehmung zu machen. Nun, eigentlich stellten sie nur Fragen, da Lane außer einem gemurmelten „Ich weiß es nicht“ nicht viel an Antworten zu bieten hatte.

„Wie lange willst du noch an dieser Geschichte festhalten?“

Sie hatten ihm nicht geglaubt. Sie glaubten ihm nicht, dass seine Eltern ihn nicht darauf vorbereitet hatten, einen Platz im Familienunternehmen einzunehmen, denn war das nicht die Art, wie sie Moredock Investments immer gefördert hatten? Lane hatte letztes Jahr ein Sommerpraktikum im New Yorker Büro absolviert. Er hatte einen Anzug getragen, an Meetings teilgenommen und versucht, sich wie der Erbe des Imperiums zu fühlen, obwohl er sich nur wie ein Betrüger vorkam. Noch immer kannte er nicht den Unterschied zwischen Anleihen und Aktien und Anteilen.

Aber niemand glaubte ihm das.

Nachdem die Agents gegangen waren, zitterte er wie Espenlaub und hatte eine gute Viertelstunde lang mit zu Fäusten geballten Händen auf der Bettkante gesessen und darauf gewartet, wieder normal atmen zu können. Anschließend hatte er sich umgezogen, dann hatte auch noch der Bus Verspätung, und jetzt – Lane sah auf die Uhr – war es fast zehn Uhr abends, und Acton hatte ihm gesagt, er solle um sieben da sein. Na toll. So ziemlich die einzige Person in ganz Belleview Heights, die nicht aufgelegt oder ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte oder – Lanes Favorit – plötzlich so tat, als würde sie ihn nicht erkennen, und Lane war drei Stunden zu spät dran. Lane hatte versucht, anzurufen, musste aber feststellen, dass sein billiges Prepaid-Handy nicht funktionierte. Das passierte anscheinend, wenn man sein ganzes Guthaben mit erfolglosen Anrufen bei den Anwälten der Eltern und der Bank verschwendete. Lane hasste das Prepaid-Telefon so sehr wie die Leinenschuhe. Sein iPhone – so ziemlich das einzige Relikt, das ihm aus seinem echten Leben geblieben war – war ein vertrautes Gewicht in der Gesäßtasche seiner Jeans, aber es war vor zwei Tagen abgeschaltet worden, da die Rechnung seit Wochen überfällig war.

Zwei Telefone und keines, mit dem er tatsächlich einen Anruf tätigen und seine Verspätung erklären konnte. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als zu spät zu kommen und zu hoffen, dass Acton ihn noch sehen würde.

Die Dinge hatten sich verschlechtert.

Eigentlich waren die Dinge total beschissen.

„Irgendwelche Pläne für den Sommer?“, hatte ihn sein Mitbewohner in der Schule gefragt.

Ja, ich habe vor, eines Tages aufzuwachen und herauszufinden, dass meine Mutter verhaftet wurde, mein Vater das Land verlassen hat, ihre Bankkonten eingefroren sind und das FBI mich aus meinem Haus rauswirft. Und du?

Das Schlechte hatte Lane so gut wie im Griff: die Befragung durch die Securities and Exchange Commission, dem SEC, die Spekulationen in den Medien, dass jemand wissen musste, wo das Geld war, die Annahme, dass Lane dieser Jemand war. Das total Beschissene hatte sich in den letzten zwei Wochen angesammelt. Der Versuch, an das Schließfach seiner Familie heranzukommen, während gegen ihn ermittelt wurde, der Versuch, die wöchentliche Rechnung für ein Motelzimmer zu bezahlen, das so klein war, dass er nicht gleichzeitig die Eingangstür und den Minikühlschrank öffnen konnte, und der Versuch, nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn er nicht zahlen könnte. Was passieren würde, wenn der Sommer zu Ende ging und es immer noch schlecht war.

Wenn er nicht zurück in die Schule gehen konnte.

Wenn er sein Leben nicht zurückbekam.

Wenn das jetzt sein Leben war.

Keine Zeit für Nervenzusammenbrüche, schon vergessen?

Lane bog um die Kurve und starrte durch das schmiedeeiserne Tor auf Actons Haus. Es war ein großes Haus im Tudor-Stil mit steinernen Schornsteinen an beiden Enden des steil abfallenden Daches. Lange Ranken kletterten an Teilen des dunklen Mauerwerks empor und reichten bis in den zweiten Stock. Dunkle Balken durchzogen das weiß verputzte Äußere der zweiten Etage und die Giebel. Das Haus hatte sich für Lane immer gemütlich und einladend angefühlt, trotz seiner Größe. Er kam gerne hierher. Das hatte er immer getan.

Nur war das Haus heute Abend beleuchtet. Geparkte Autos spielten ein kompliziertes Tetris-Spiel in der Einfahrt. Acton feierte eine Party. Gott, er konnte da nicht hineingehen, wenn Acton eine Party feierte. Er konnte es nicht ertragen, dass alle auf ihn zeigten und ihn anstarrten. Oder schlimmer, auf ihn losgingen. Eine Menge Leute hatten viel Geld verloren und hassten Lanes Eltern dafür. Sie hassten auch Lane. Je mehr er stammelte, dass alles ein Irrtum war und seine Eltern das in Ordnung bringen würden, desto mehr hassten sie ihn. Sie sahen ihn an, als würden sie ihm nicht glauben. Als ob er lügen würde.

Er hasste das. Er log nicht. Er hatte nie gelogen.

Der Knoten in Lanes Magen hatte sich seit dem Tag, an dem alles zum Teufel ging, nie ganz gelöst. Jetzt zog er sich wieder fester zusammen.

Nein. Er konnte da nicht reingehen.

Außer.

Außer er hatte keinen Cent mehr im Geldbeutel und es satt, in diesem schäbigen Motel zu übernachten. Und Acton war nicht nur der Freund seiner Eltern, er war auch Lanes Freund. Und wenn er eine Party feierte, dann war er wenigstens noch nicht im Bett, oder?

Lane holte tief Luft. Den Knoten in seinem Magen ignorierend, drückte Lane auf den Summer neben dem Tor und sagte der blechernen dünnen Stimme, die danach fragte, seinen Namen.

Das Tor öffnete sich.

***

Derek hob seine Kamera.

Klick-klick-klick.

Eine Frau in einem weißen, knielangen Kleid und mit Perlen, dick wie Murmeln, unterhielt sich mit einem Mann in einem anthrazitfarbenen Anzug und einer meeresgrünen Krawatte. Derek hatte sie mit zurückgeworfenem Kopf erwischt, wie sie über etwas lachte, das der Mann gesagt hatte, ein Glas Rotwein in der Hand, das bedenklich kippte. Sie hieß Tabitha. Tabitha Irgendwer. Jeder in diesem Haus kannte ihren Nachnamen, abgesehen von Derek. Sogar die Kellner, da war er sich sicher.

Derek stand in der Hierarchie noch weiter unten als die Kellner. Die Hosensäume der Kellner waren nicht mit Fett verschmiert, wo sie in eine Fahrradkette geraten waren, und die Achseln ihrer Jacken rochen nicht nach Schweiß von einer anderthalb Kilometer langen Fahrradfahrt mit einem Rucksack voll Kameraausrüstung. Derek war hier, um unsichtbar zu sein, um offene Momente mit Belleviews Reichsten einzufangen, während sie so taten, als bemerkten sie ihn nicht.

Tabitha nahm einen Schluck Wein und leckte sich heimlich über die Zähne.

War es falsch, dass ein kleiner Teil von ihm sehen wollte, wie sie Wein auf das weiße Kleid verschüttete?

Er stellte die Blende neu ein.

Es war nicht Tabithas Schuld, dass sie reich war. Es war nicht die Schuld von Anthrazit-Anzug, dass er hundert Dollar für einen Haarschnitt ausgeben konnte, der ihn wie einen Pilz mit einer Schicht Dreck auf der Kappe aussehen ließ. Es war einfach, sich umzusehen und einen Haufen seelenloser Bastarde zu sehen. Keine Ahnung, wie langweilig sie waren, wie weltfremd. Insgeheim erbärmlich.

Die meisten von ihnen waren seit dem „Magic-Moredock-Skandal“ noch erbärmlicher – der eingängige Name der Medien für „mehrere Tausend Menschen, die über den Tisch gezogen wurden“. Wall-Street Bonze Laura Moredock hatte wie ein Magier Millionen verschwinden lassen. Und dann war auch noch ihr Mann verschwunden. Der einzig verbliebene Moredock in der Stadt war der Junge, ein College-Kid.

Derek hatte es satt, Landon Moredock in den Boulevardzeitungen zu sehen, die er normalerweise absolut nicht las – aber was sollte man auch sonst tun, wenn man an der Kasse eines Lebensmittelgeschäfts wartete? Hübscher Junge und ein totales Partytier. Lebte sein Highlife auf Kosten seiner Eltern, wurde vor diesem Club oder jener Bar gesichtet und sah aus, als würde er nicht bemerken oder sich darum kümmern, dass seine Mutter im Gefängnis saß und seine Familie alle verarscht hatte. Erst vor Kurzem hatte sich das Blatt gewendet. Jetzt brachten die Boulevardzeitungen Fotos von Landon, auf denen er entweder am Boden zerstört oder wie in der Falle sitzend aussah, mit weit aufgerissenen Augen. Die Schlagzeilen lauteten SIND LANDON MOREDOCKS PARTYZEITEN VORBEI? und ERMITTLUNGEN WENDEN SICH MOREDOCK-ERBEN ZU.

Derek kam sich immer ein bisschen schäbig vor, wenn er die Magazine in die Hand nahm und sich die Fotos von Landon anschaute. Aber was machte es schon? Derek wusste es besser, als zu glauben, was er in den Boulevardblättern las, aber wenn er sich Landons Fotos betrachtete, war es leicht zu glauben, dass an den Gerüchten über das Partytier etwas dran war. Wäre Derek in Landons Alter so gut aussehend und privilegiert gewesen, hätte er es sicher auch nicht anders gemacht.

Die seriöseren Zeitungen stellten Landon nicht als sorglosen Partylöwen dar, sondern als den Erben von Moredock Investments – einen selbstmotivierten Senkrechtstarter, der sich einarbeitet, um eines Tages das Imperium zu übernehmen. Und, so vermutete das FBI, er wusste mehr über den Plan seiner Eltern, als er zugeben wollte. Erst neulich war ein Artikel über mögliche Offshore-Konten in Landons Namen erschienen, und ein Leitartikel in der Gazette hatte das aufgegriffen und den Goldjungen von Moredocks Investments als genauso korrupt wie seine Mutter bezeichnet.

Diese Version von Landon Moredock – Goldjunge, Erbe, selbstmotiviert – ärgerte Derek noch mehr als das Partymonster. Als Derek zwanzig gewesen war, hatte er als Tellerwäscher in einer Bar gearbeitet. Er hatte keinen hoch dotierten Job in der Firma seiner Familie gehabt, der auf ihn wartete, als er das College verließ. Gott sei Dank war der verdammte Skandal aufgeflogen, sonst wäre Landon Moredock wahrscheinlich schon mit einundzwanzig bei Forbes gelandet, während Derek mit siebenunddreißig so gut wie pleite war.

Derek war nicht der Einzige im Raum, dem es wegen Magic Moredock schlecht ging. Und was er verloren hatte, war Kleingeld im Vergleich zu den Beträgen, von denen sich diese Leute verabschiedet hatten. Man würde es allerdings nie erfahren.

Lasergebleichte Zähne blitzten, Gläser klirrten, und Dereks Verschluss klickte.

Derek hatte sich nie eingeredet, dass er ein Künstler war. Er hatte Fotografen getroffen, die es waren. Die das Innenleben eines Subjekts so perfekt einfangen konnten, dass sich das Betrachten ihrer Fotos fast aufdringlich anfühlte.

Derek machte gute Fotos. Er verstand etwas von Beleuchtung, Perspektive, Arrangement und Kameras. Und das Fotografieren war viel besser als die Arbeit in einer Kabine eines Großraumbüros. Also war er letztes Jahr aus seiner Kabine geflohen und hatte Fields Photography gegründet. Siebenunddreißig war doch nicht zu alt, um neu anzufangen, oder? Um herauszufinden, was er wirklich tun wollte und es zu tun? Er musste kein künstlerisches Genie sein, er brauchte nur einen Job, der ihm Spaß machte. Oder den er zumindest nicht aktiv hasste.

Hochzeiten, Abschlussbälle, lokale Veranstaltungen, private Partys … Es bezahlte die Rechnungen – gerade so – und brachte Derek nicht dazu, sich eine Waffe in den Mund zu stecken. Hier war er also, schlich durch Acton Wagners Villa und stellte sich sein Bild von Tabitha Irgendwer in einem gerahmten Zeitungsausschnitt an einer Kirchenmauer vor.

Jemand hatte einen kleinen Hund in einer Handtasche mitgebracht. Der Hund saß ruhig da und streckte seinen Kopf aus der Handtasche. Er erinnerte Derek daran, dass er morgen bei Christy vorbeikommen musste, um das Shooting für den Wohltätigkeitskalender der Humane Society zu besprechen – und dass er dabei keine schwarze Hose tragen sollte, es sei denn, er wollte sichtbar mit Haaren und Speichel bedeckt im Studio ankommen. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte. Tatsächlich schien ihm die Gesellschaft von Hunden, Katzen, Schweinen, Frettchen und einem sehr störrischen Ara lieber zu sein als die Gesellschaft, die er gerade fotografierte.

Er hatte an diesem Abend nur einmal einen Blick auf den Gastgeber erhascht. Acton Wagner sah nicht schlecht aus. Er war ein großer Mann, der durch seinen Anzug wie eingesperrt wirkte, seine Lackschuhe lang und spitz, sein Lächeln schief. Zweimal in den wenigen Minuten, die Derek damit verbracht hatte, ihn zu begutachten, hatte Acton einen Fingernagel an seinen Mund gelegt, sich dann gefangen und die Hand wieder an seiner Seite hängen lassen. Vor dem Skandal hatte er offenbar eine enorme Summe an eine Wohltätigkeitsorganisation gespendet, obwohl Derek nicht lange genug dabei geblieben war, um zu wissen, welche Wohltätigkeitsorganisation oder wie viel.

Er sollte wirklich mehr Fotos von Wagner besorgen.

Aber wo war der Mistkerl jetzt?

Derek ging um ein Paar herum. „Entschuldigen Sie“, sagte er, als er die Frau an der Seite streifte.

Sie wich zurück und musterte ihn kurz. Wahrscheinlich bemerkte sie den Fahrradschmierfleck auf seinem Hosenbein und fragte sich, wie dieses Gesindel hierher gekommen war. Er lächelte und winkte. „Schön, Sie zu sehen.“

Manchmal lohnte es sich, ein wenig Spaß mit diesen Leuten zu haben. Zu seiner Überraschung winkte die Frau zurück. „Ebenfalls.“

Es war wirklich nicht fair, sie alle über einen Kamm zu scheren, oder?

Derek verließ den Raum und ging einen breiten Flur entlang auf der Suche nach seinem Gastgeber.

***

Acton wartete an der Tür auf Lane.

„Landon, komm rein, komm rein.“ Ein strahlendes Lächeln, glänzende Manschettenknöpfe und eine Wolke von Aftershave. Acton war makellos. „Ich war nicht sicher, ob du es schaffen würdest.“

Die Dinge, die Lane sagen wollte – bitte nenn mich nicht so. Können wir stattdessen hier draußen reden? Gott, ich bin so froh, dich zu sehen. Hilfst du mir, Acton, bitte? – hatten keine Worte.

Lane zwang sich stattdessen zu einem Lächeln. „Ich, ähm, ich wusste nicht, dass du eine Party gibst.“

Acton schlang einen Arm um seine Schultern und gestikulierte. Der Brandy schwappte in seinem Glas und drohte, auf Lanes Hemd zu landen. „Nur ein paar Freunde. Eine Benefizveranstaltung. Nicht, dass heutzutage jemand viel zu geben hätte, hmmm?“

Lane zuckte bei dem Scherz innerlich zusammen.

Acton lachte.

Ein Kellner trat hinter sie und hielt das Tablett mit Kanapees hoch. Lane hob den Kopf, um den Duft einzufangen. Sein Magen knurrte, und er hoffte, Acton hätte es nicht gehört. Die Hüften des Kellners schwangen hin und her, während er ging. Er hatte die Eleganz eines Tänzers.

Sie hielten an der Schwelle des teuren Wohnzimmers, Actons Arm schlang sich enger um Lanes Schultern. Lane sah hinein. Oh Gott. Das war ein Albtraum. Ein wahrhaft echter Albtraum. Jede Sekunde würden sich alle zu ihm umdrehen und ihn anstarren, und Lane würde die Art von Entschuldigungen stammeln, die nach Schuld schrien, um dann würde es irgendwie der erste Schultag sein, und Lane an sich hinunterblicken und entdecken, dass er keinerlei Kleidung trug.

Oder so etwas.

Der perverse Teil seines Gehirns fragte sich müßig, was er erbrechen würde, da er seit dem Mittagessen nichts anderes als ein Sandwich gegessen hatte. Es musste ein Punkt kommen, an dem Erbrechen nur noch die Verschwendung von wertvoller Energie war.

Actons Lachen war leise, sein Atem warm gegen Lanes Wange. „Vielleicht nicht, hm? Sollen wir oben in meinem Arbeitszimmer reden?“

Erleichterung durchflutete Lane. Er nickte dankbar. „Das wäre gut.“

Lane kannte den Weg. Er war zum ersten Mal hierher gekommen, als er zehn war, und man hatte mit ihm die große Führung veranstaltet. Acton hatte ihn auf alle Merkmale und Annehmlichkeiten hingewiesen. Er hatte das ganze Haus in Quadratmetern ausgemessen, was bei jedem anderen vielleicht protzig gewirkt hätte, aber bei Acton war das eine Berufskrankheit.

Acton war „Belleviews erster Immobilienmakler“, wie es in seiner Werbung hieß. Sein Gesicht prangte auf mehr Bussen und Bänken als das seiner Konkurrenten, und es war das Gesicht eines Immobilienmaklers: gut aussehend, mit glänzenden Zahnkronen und gepflegtem Haarschnitt. Sein schiefes Lächeln hatte genau den richtigen Grad an Verwegenheit und Charme. Er war ein kräftiger Mann, aber nicht fett. Für sein Alter sah er gut aus. In ein paar Jahren, wenn die grauen Haare die dunklen überwogen, würde er distinguiert aussehen.

Die Geräusche der Party verblassten zu Hintergrundgeräuschen, als Lane Acton die Treppe hinauf folgte. Oben war das Licht gedämpft, und Lane entspannte sich. Er ließ die Schultern rollen, die Anspannung löste sich.

Actons Arbeitszimmer roch nach Leder und altem Zigarrenrauch. Ein raumhohes Regal mit ledergebundenen Büchern in dunklen Braun-, Grün- und Rottönen nahm eine ganze Wand ein. Ein lederner Ohrensessel stand hinter dem großen Mahagonischreibtisch. Der Schreibtisch war leer bis auf eine Bankierlampe aus Messing und einen zugeklappten Laptop.

Acton ging zum Sideboard hinüber. „Drink?“

Lane schob die Hände in die Taschen. Auf leeren Magen war es wahrscheinlich keine gute Idee, aber es wäre unhöflich abzulehnen, und einer würde schon nicht schaden.

„Danke.“

Das machte das Reden vielleicht einfacher. Reden war immer schwer für Lane, selbst wenn es nur er und Acton waren.

„Setz dich.“ Acton klapperte an der Anrichte herum.

Die dünnen Sohlen von Lanes billigen Schuhen scheuerten auf dem türkischen Teppich. Er setzte sich gegenüber dem Schreibtisch auf den großen leeren Ledersessel. Er ähnelte dem, den seine Mutter in ihrem Büro in New York hatte. Ein offenes, modernes Büro in einem Glas-Stahl-Wolkenkratzer, aber irgendwie hatte dieser altmodische Sessel nicht fehl am Platz gewirkt.

Lane fragte sich, was mit dem Stuhl passiert war, mit dem Büro und mit dem flotten, effizienten Personal, das dort herumgewuselt war. Er fragte sich, ob seine Mutter darüber nachgedacht hatte. Oder sein Vater.

„Es war hart, nicht wahr?“ Actons Stimme riss ihn aus seiner allzu vertrauten düsteren Träumerei.

„Ähm, ja.“ Lane brachte ein Lächeln zustande, als Acton sich an den Schreibtisch lehnte und ihm seinen Drink reichte. „Ich möchte dich nicht von deinen Gästen ablenken.“

„Du bist auch mein Gast. Mein besonderer Gast.“

Lane war sich nicht sicher, wie er das auffassen sollte, bis Acton lachte. Dann lächelte er und entspannte sich. Acton gehörte praktisch zur Familie. Das war alles, was er meinte.

„Wenn du nicht angerufen hättest, hätte ich mich bei dir gemeldet“, fuhr Acton fort. „Ich habe in den letzten Wochen viel über dich nachgedacht. Darüber, was ich tun könnte, um dir zu helfen.“

Lane wäre am liebsten vor Erleichterung zusammengebrochen. Jemand interessierte sich für ihn. Jemand glaubte ihm. All die Zeit, die Lane damit verbracht hatte, sich Sorgen zu machen, ob er Acton doch nicht hätte anrufen sollen, dass Acton ihn hasste, wie alle anderen es taten, und dabei hatte Acton von ihm hören wollen. „Mein Telefon wurde abgestellt. Sie dir das an.“ Er zog sein billiges Prepaid-Telefon heraus und legte es auf den Schreibtisch. „Ich musste mir so eines besorgen.“

Acton nippte an seinem Brandy. „Hast du etwas von Stephen gehört?“

Lane verlagerte sein Glas von der linken in die rechte Hand, seine Brust zog sich zusammen. „Er ist noch in Spanien, glaube ich. Er war geschäftlich dort, als – als das alles passierte. Er hatte letzte Woche eine E-Mail geschickt.“

Eine lausige, beschissene E-Mail: Halte durch, Kleiner. Die Anwälte klären das schon.

Lane wollte es glauben. Wollte so sehr glauben, dass er aufwachte und alles geklärt wäre. Aber es wurde Lane immer klarer, dass sein Vater keine Ahnung hatte, was los war, weder mit den Anwälten, noch mit Lane, noch mit sonst irgendwas.

Lane versuchte durchzuhalten. Er versuchte, es auszuhalten. Aber es war schwer, weil er nicht wusste, wie lange es dauern würde, bis er sein Leben zurückbekam. Wenn sein Vater ihm das nur sagen würde, ihm nur eine Ahnung davon geben würde, dann wäre es okay. Er wurde auf der Straße angeschrien. Er hatte es seinem Vater nicht gesagt – er wollte ihn nicht belästigen – aber er hatte Angst. Warum hatte sich das alles noch nicht geändert?

Acton betrachtete ihn schweigend.

„Ich glaube, ähm, ich glaube, er kommt nicht zurück, für den Fall, dass sie versuchen, ihn auch zu verhaften.“ Ein Teil von Lane wollte kenntnisreicher klingen, als er war, wollte die Risse überspielen, die die Distanz zwischen ihm und seinem Vater darstellten, und so tun, als wären sie sich näher, als sie es waren. Er wollte seine Verwundbarkeit nicht zeigen. Niemandem gegenüber. Nicht einmal gegenüber Acton. Nicht in ihrer Gesamtheit.

Lane befand sich nicht im freien Fall. Auf keinen Fall, ganz und gar nicht. Er hielt durch, während die Anwälte die Sache klärten. Kindchen.

Actons Lächeln war eine Spur zu wissend.

Lane senkte seinen Blick und nippte an seinem Drink. Scotch. Er brannte seine Speiseröhre hinunter. „Ich meine, anscheinend denkt die SEC, er hätte das Geld.“

„Hmmm.“ Acton verlagerte sein Gewicht, stellte seinen Brandy auf den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Und, hat er?“

Lanes Gesicht brannte. „Nein!“

Er wusste nicht, ob er log oder nicht. Er wusste nicht, warum er seinen Vater verteidigte.

„Landon.“ Acton streckte den Arm aus und legte eine große Hand auf Lanes Schulter. „Du würdest es mir sagen, wenn du es wüsstest, nicht wahr?“

„Ja“, sagte Lane. Er sollte über den angedeuteten Vorwurf beleidigt sein, aber er war zu müde dafür. Wahrscheinlich hatte er seine Reserven an empörter Unschuld bei den SEC-Ermittlern aufgebraucht. Er war nur noch müde – müde und irgendwie froh, das Lächeln zu sehen, das sich auf Actons Gesicht ausbreitete.

„Und du würdest es mir sagen, wenn du das Geld hättest, oder?“

Lane konnte nicht bestimmen, ob das ein Scherz war oder nicht. Acton lächelte, aber es lag etwas Ernstes in seinem Ton. „Ich habe es nicht“, sagte Lane und wünschte sich, die Worte wären lauter, stärker aus seinem Mund gekommen.

„Entspann dich. Es sind also nur Gerüchte. Die Konten?“

„Welche Konten?“, verlangte Lane zu wissen.

Acton zuckte mit den Schultern. „Ich habe neulich etwas in der Zeitung gelesen – irgendeinen Blödsinn über Offshore-Konten auf deinen Namen.“

Nur Actons Beteuerung, dass es Blödsinn war, hielt Lane noch davon ab, in Panik zu geraten. Er hatte seit Tagen keine Zeitung mehr in die Hand genommen – konnte sich keine leisten. Und er hatte auch keinen Zugang zu einem Computer gehabt. Offshore-Konten – er wollte Acton nicht fragen, was genau das bedeutete. Wollte nicht, dass Acton wusste, wie ahnungslos er war. Kriminelle hatten in Filmen immer Offshore-Konten, richtig?

Obwohl die Filme nie zeigten, wie die Kriminellen diese Konten bekamen oder was sie damit machten. Lane wusste, dass das schlecht war, und das war genug.

Außer, dass die Konten nicht existierten. Lane verstand nicht, wie er für etwas beschuldigt werden konnte, mit dem er nichts zu tun hatte.

„Warum sollten sie das behaupten?“, fragte Lane.

Acton nahm einen großen Schluck Scotch. „Sie versuchen, der Geschichte ein bisschen neues Drama zu verpassen, nehme ich an. So ist das nun mal. Wenn du privilegiert bist, wenn du gut aussiehst, dich aber – und sei es nur ein wenig – nicht gut benimmst, machen die Medien Hackfleisch aus dir.“

Bei diesen Worten durchfuhr Lane ein Schauer. Wenn du gut aussiehst, dich aber nicht gut benimmst … Sein Schwanz regte sich. Es war ihm peinlich, in so einem Moment an Sex zu denken. Actons Nähe bewirkte immer etwas in ihm. Und durch den Stress des Skandals funktionierte sein Verstand nicht richtig. Das war alles.

Acton lächelte wieder. „Du bist ein guter Junge“, sagte er.

Lane erwiderte das Lächeln, zum ersten Mal seit Wochen aufrichtig hoffnungsvoll. Er hob das Glas an seine Lippen und schluckte. Diesmal ging der Scotch leichter hinunter. Er breitete sich in ihm aus, warm und ließ seine Haut kribbeln. Und obendrein lockerte er auch seine Zunge.

„Was ist mit deinem Gemälde passiert?“, fragte Lane.

Acton hatte immer einen Stuart Davis in seinem Büro hängen gehabt – ein Stück moderne Kunst in Blau- und Stahlschattierungen. Eine Skyline.

„Ich habe es verkauft“, sagte Acton. Er starrte auf die Stelle an der Wand, wo das Bild gehangen hatte. Abweisend wedelte er mit der Hand. „Um ein vorübergehendes Cashflow-Problem aufzufangen.“

Schuldgefühle ploppten in Lanes Magen auf. Er konnte sich nicht dazu durchringen, nach dem Grund zu fragen.

„Ich kann meine Studiengebühr für das nächste Semester nicht bezahlen“, sagte Lane plötzlich und fragte sich, ob es Acton half, wenn er wusste, dass es ihm ebenfalls wehtat. „Oder meine Motelrechnung im Moment. Oder irgendwas. Scheiße, sieh dir meine Schuhe an!“

Lane war sich nicht sicher, welche Reaktion er auf seine Litanei des Elends erwartet hatte, aber sicher kein Lachen. Er gab sich einen Moment Zeit, um festzustellen, ob er empört war. Nein. Und es war irgendwie lustig, hier in Actons Büro zu sitzen, in seinen zerknitterten Klamotten und den Schuhen, die er aus dem Secondhand-Laden hatte. Lane würde alles, was er hatte, darauf wetten – was war das schon, sechs Dollar und fünfundsiebzig Cent? – dass der letzte Typ, der mit Acton in seinem Arbeitszimmer gesessen und Scotch getrunken hatte, nicht in der Lage wäre, einen Secondhand-Laden mit einer Stadtkarte zu finden.

Seine Lippen zuckten. Es war lustig. Die Gerüchte über die Offshore-Konten. Die Medien erfanden den Scheiß, obwohl Lane nicht einmal wusste, was ein Offshore-Konto war.

„Noch einen Drink?“

Lane schaute auf sein Glas. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er ausgetrunken hatte. Er nickte und hielt Acton das Glas hin.

„Tut mir leid, wenn, ähm – wenn du – wenn es wegen meiner Eltern ist. Das Gemälde.“ Er nahm das Glas, das Acton ihm reichte, und trank einen großen Schluck. Es klang seltsam, sich für etwas zu entschuldigen, für das er nichts konnte, aber Lane hatte oft das Bedürfnis, sich für alles zu entschuldigen, was schiefging, ob er es nun verursacht hatte oder nicht. Und er wollte Acton wissen lassen, dass es ihm leidtat.

Acton gluckste. „Immer mit der Ruhe.“ Mit dem Kinn deutete er auf Lanes plötzlich leeres Glas. „Ich habe vergessen, dass du noch nicht einmal alt genug bist, um zu trinken.“

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