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Väter und Söhne

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»Viktor, Sie sind ein leichtsinniger Mensch!«



Das Frühstück dauerte noch lange. Der ersten Flasche Champagner folgte eine zweite, dritte und selbst eine vierte. Eudoxia schwatzte ununterbrochen. Sitnikoff hielt ihr stand. Sie stritten sich lange, was die Ehe sei, ob ein Vorurteil oder ein Verbrechen; sie untersuchten die Frage, ob die Menschen alle mit denselben Anlagen geboren werden oder nicht, und worin eigentlich die Individualität bestehe. Es kam endlich so weit, daß Eudoxia, die Wangen vom Wein entflammt, mit ihren platten Nägeln auf den Tasten ihres verstimmten Pianos herumhämmerte und mit heiserer Stimme zuerst Zigeunerlieder und dann die Romanze von Seimour Shiff: »Granada träumt im Schlafe« sang. Sitnikoff, eine Schärpe um den Kopf, spielte den schwärmenden Liebhaber. Als die Sängerin an die Worte kam:





In meiner Küsse Glut

Eint meine Lippe sich der deinen,



konnte sich Arkad nicht länger halten. »Meine Herren,« rief er laut, »das fängt an, etwas nach dem Narrenhaus zu schmecken!«



Bazaroff hatte sich darauf beschränkt, hie und da eine spöttische Bemerkung dazwischenzuwerfen, und beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Champagner; er gähnte überlaut, erhob sich und ging mit Arkad weg, ohne Abschied zu nehmen. Sitnikoff rannte ihnen nach.



»Nun, nun?« fragte er, untertänigst von einem zum andern laufend, »hab ichs Ihnen nicht gesagt, daß sie eine merkwürdige Persönlichkeit ist? Das ist ein Weib, wie wir viele haben sollten; sie ist in ihrer Art ein Phänomen im Gebiet der höheren Sittlichkeit!«



»Gehört diese Anstalt deines Vaters vielleicht auch ins Gebiet der höheren Sittlichkeit?« fragte Bazaroff, auf eine Branntweinschenke zeigend, an der sie soeben vorübergingen.



Sitnikoff antwortete mit seinem gewöhnlichen gewaltsamen Lächeln. Er errötete über seine Herkunft und wußte nicht, sollte er sich von Bazaroffs unerwartetem Duzen geschmeichelt oder beleidigt fühlen.



Vierzehntes Kapitel

Der Ball beim Gouverneur fand einige Tage später statt. Matthias Ilitsch war in der Tat der Held des Festes. Der Adelsmarschall erklärte jedem, ders hören wollte, daß er nur ihm zu Ehren gekommen sei. Der Gouverneur selbst fuhr, mitten im Ball und ohne seinen Platz zu verlassen, fort, mit ängstlicher Sorge der Regierungsgeschäfte zu warten. Matthias Ilitschs Leutseligkeit tat der Majestät seiner Manieren keinen Eintrag. Er sagte jedem etwas Schmeichelhaftes; diesem mit einem Anflug von Geringschätzung, jenem mit einem Anflug von Achtung; er überhäufte die Damen mit Artigkeiten wie ein echter französischer Chevalier und lachte unaufhörlich mit jenem lauten Gelächter ohne Widerhall, wie sichs für einen großen Herrn schickt. Er klopfte Arkad auf die Schulter und nannte ihn mit erhobener Stimme seinen lieben Neffen; Bazaroff, der einen etwas überjährigen Frack angelegt hatte, beehrte er mit einem zerstreuten, aber doch wohlwollenden Seitenblick und mit einem liebenswürdigen Gemurmel, worin man nur das Wort »ich« und die Endung »ßerst« unterscheiden konnte. Er streckte Sitnikoff einen Finger hin und lächelte, aber mit abgewandtem Gesicht; er warf sogar der Madame Kukschin, die ohne Krinoline und mit schmutzigen Handschuhen, aber mit einem Paradiesvogel im Haar den Ball besuchte, ein »Entzückt« zu. Die Gesellschaft war zahlreich und es fehlte nicht an Kavalieren. Die Herren im Frack drückten sich meist an den Wänden hin, während die Militärs mit Leidenschaft tanzten, besonders einer von ihnen, der fast sechs Wochen in Paris gewesen war und von dort gewisse charakteristische Ausdrücke, wie:

ah, fichtrrre, pst pst, mon bibi

 usw., mitgebracht hatte. Er sprach sie mit Vollendung, mit echtem Pariser Schick aus, was ihn jedoch nicht hinderte,

»si j'aurais«

 statt

»si j'avais«

 zu sagen und

»absolument«

 in der Bedeutung von

»certainement«

 zu gebrauchen; kurz er sprach jenes Russisch-Französisch, worüber sich die Franzosen lustig machen, wenn sie's nicht für nötig halten, zu versichern, daß wir Französisch sprechen wie die Engel.



Arkad tanzte, wie gesagt, wenig und Bazaroff gar nicht; sie zogen sich mit Sitnikoff in eine Ecke des Saals zurück. Letzterer machte mit verächtlichem Lächeln Bemerkungen, die bösartig sein sollten, schaute mit herausforderndem Blick umher und schien sehr mit sich zufrieden. Plötzlich jedoch veränderte sich der Ausdruck seiner Züge, und zu Arkad gewendet, sagte er mit einer Art Unruhe:



»Da ist Madame Odinzoff.«



Arkad wandte sich um und gewahrte eine hochgewachsene, schwarzgekleidete Frau, die in der Türe des Saales stand.



Das Vornehme ihrer ganzen Erscheinung überraschte ihn. Ihre bloßen Arme fielen anmutig an dem schlanken Körper herab; leichte Fuchsiazweige senkten sich gleichfalls anmutig aus ihrem glänzenden Haar auf ihre schönen Schultern nieder; ihre klaren Augen, über denen sich eine weiße Stirn leicht wölbte, waren mehr ruhig und klug als sinnend. Ein kaum merkliches Lächeln schwebte auf ihren Lippen. Ihr ganzes Wesen atmete eine liebliche und sanfte Kraft.



»Sie kennen sie?« fragte Arkad Sitnikoff.



»Ganz genau. Soll ich Sie vorstellen?«



»Ich bitte darum … nach diesem Kontertanz.«



Bazaroff erblickte Frau Odinzoff ebenfalls.



»Wer ist dies Gesicht da?« fragte er, »sie gleicht dem andern Weibervolk nicht.«



Als der Kontertanz zu Ende war, führte Sitnikoff Arkad zu Madame Odinzoff; allein er schien lange nicht so gut mit ihr bekannt zu sein, als er gesagt hatte; er verwirrte sich bald in seinen Worten, und sie sah ihn mit einer Art von Erstaunen an. Doch malte sich ein freundlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht, als er den Familiennamen Arkads nannte. Sie fragte diesen, ob er ein Sohn von Nikolaus Petrowitsch sei.



»Ja,« erwiderte er.



»Ich habe Ihren Vater zweimal gesehen und schon viel von ihm sprechen hören; es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.«



In diesem Augenblick wurde sie von einem jungen Adjutanten zu einem Kontertanz aufgefordert. Sie nahm es an.



»Sie tanzen also?« fragte Arkad ehrerbietig.



»Ja, aber warum fragen Sie mich das? Scheine ich Ihnen zu alt zum Tanzen?«



»Wie können Sie mir einen solchen Gedanken unterstellen? Erlauben Sie mir, Sie um die nächste Masurka zu bitten?«



Madame Odinzoff lächelte. »Gerne,« erwiderte sie und sah Arkad an, nicht mit Gönnermiene, aber so, wie verheiratete Schwestern ihre jüngeren Brüder anzusehen pflegen. Madame Odinzoff war ein wenig älter als Arkad. Sie hatte das neunundzwanzigste Jahr zurückgelegt; aber Arkad kam sich in ihrer Gegenwart wie ein junger Student, wie ein Schüler vor, wie wenn der Altersunterschied noch viel größer gewesen wäre. Matthias Ilitsch trat mit majestätischer Miene auf sie zu und machte ihr Komplimente. Arkad trat einige Schritte zurück; er ließ sie sogar während des Kontertanzes nicht aus den Augen. Sie unterhielt sich ebenso natürlich mit ihrem Tänzer wie mit Matthias Ilitsch, wobei sie Kopf und Augen langsam von einer Seite zur andern wandte. Arkad hörte sie zwei- oder dreimal ganz leise lachen. Sie hatte vielleicht, wie fast alle russischen Frauen, eine etwas starke Nase, und ihr Teint war nicht vollkommen alabasterweiß; Arkad mußte sich aber gleichwohl gestehen, daß er noch nie einer vollkommeneren Schönheit begegnet sei. Der Ton ihrer Stimme klang ihm fortwährend in den Ohren; es schien ihm sogar, daß die Falten ihres Kleides anders fielen als bei den Frauen um sie her, symmetrischer und reicher, und daß all ihre Bewegungen ebenso natürlich als edel seien.



Bei den ersten Klängen der Masurka empfand Arkad eine Art Erschütterung; er setzte sich neben seine Tänzerin und fuhr, da er nicht wußte, wie er eine Unterhaltung anknüpfen sollte, mit der Hand durch die Haare. Diese Verlegenheit dauerte aber nicht lange. Die Ruhe der Frau Odinzoff besiegte sie schnell. Ehe eine Viertelstunde verflossen war, unterhielt er sie unbefangen von seinem Vater und seinem Onkel, von seiner Lebensweise in Petersburg und auf dem Lande. Frau Odinzoff hörte ihm, den Fächer auf und zu machend, mit artiger Aufmerksamkeit zu. Arkads Geplauder wurde nur unterbrochen, wenn jemand seine Tänzerin engagierte. Sitnikoff forderte sie unter anderem zweimal auf. Sie kehrte an ihren Platz zurück und spielte wieder mit ihrem Fächer; ihr Busen hob sich nicht rascher, und Arkad nahm seine Erzählung wieder auf, glückselig, sich in ihrer Nähe zu befinden, mit ihr reden und dabei ihr Auge, ihre schöne Stirn, ihr ernstes und anmutiges Gesicht betrachten zu dürfen. Sie selbst sprach wenig; gleichwohl bekundeten ihre Worte eine gewisse Lebenserfahrung; Arkad konnte aus einigen ihrer Bemerkungen schließen, daß sie trotz ihrer Jugend schon manche Erregungen durchgemacht und über viele Dinge nachgedacht habe.



»Wer war bei Ihnen, als Herr Sitnikoff Sie mir vorstellte?« fragte sie.



»Sie haben also den jungen Mann bemerkt?« antwortete Arkad; »nicht wahr, er hat eine frappante Physiognomie? Er heißt Bazaroff und ist mein Freund.«



Arkad fing nun an, von seinem Freund zu reden.



Er geriet dabei in solche Einzelheiten und sprach mit so viel Feuer, daß Frau Odinzoff sich nach Bazaroff umwandte und ihn mit Interesse betrachtete. Darüber ging die Masurka zu Ende. Arkad bedauerte, sich von seiner Tänzerin trennen zu müssen; eine Stunde war ihm so angenehm mit ihr verflossen. Nicht, als ob er nicht fortwährend gefühlt hätte, daß sie ihn sozusagen mit einer gewissen Herablassung behandelte; aber er wußte ihrs Dank, denn junge Herzen fühlen sich von der Protektion einer schönen Frau nicht gedemütigt.



Die Musik schwieg.



»Danke,« sagte Frau Odinzoff im Aufstehen. »Sie haben versprochen, mich zu besuchen; ich hoffe, Sie bringen mir Ihren Freund mit. Ich bin sehr begierig, einen Mann kennen zu lernen, der den Mut hat, an nichts zu glauben.«



Der Gouverneur trat zu Frau Odinzoff, kündigte ihr an, daß das Souper bereit sei, und bot ihr mit seiner Geschäftsmiene den Arm. Im Weggehen kehrte sie sich nochmals nach Arkad um und nickte ihm halb lächelnd zu. Dieser verneigte sich tief, und während er ihr mit den Blicken folgte (wie elegant schien ihm ihre Gestalt, umrauscht von den glänzenden Wogen ihres schwarzen Atlaskleides!), sagte er sich: »Ohne Zweifel hat sie schon völlig vergessen, daß ich auf der Welt bin.« Und beinahe augenblicklich kam das Gefühl einer gewissen Entsagung über ihn, die er für eine fast romanhafte Großmut hielt.

 



»Nun,« fragte Bazaroff seinen Freund, sobald dieser sich wieder in die Ecke zu ihm gesetzt hatte, »du bist glücklich gewesen? Man sagt mir soeben, daß die Dame … hm, hm. Übrigens könnte der Herr, der michs versichert hat, ein Dummkopf sein. Was hältst du davon? Ist sie wirklich … hm, hm?«



»Ich verstehe den Sinn deines ›hm, hm‹ nicht,« antwortete Arkad.



»Geh mir doch, Unschuld!«



»Wenns so gemeint ist, verstehe ich deinen Herrn nicht. Frau Odinzoff ist sehr liebenswürdig, das ist gewiß; aber sie hat ein so kaltes und stilles Wesen, daß …«



»Stille Wasser sind tief, weißt du!« fuhr Bazaroff fort. »Du sagst, sie sei kalt; das gibt ihr ja eben Wert. Liebst du Gefrorenes nicht?«



»Das ist alles möglich,« sagte Arkad; »ich laß es unentschieden. Aber sie will deine Bekanntschaft machen und hat mich gebeten, dich zu ihr zu bringen.«



»Du mußt ihr, scheint es, ein schönes Bild von mir entworfen haben. Übrigens verarge ich dir das nicht. Mag sie sein, was sie will, eine einfache Löwin aus der Provinz oder ein emanzipiertes Weib nach Art der Kukschin, sie hat nichtsdestoweniger Schultern, wie ich noch keine gesehen habe.«



Der Zynismus dieser Worte berührte Arkad peinlich, aber wie mans oft macht, er beeilte sich, seinem Freund wegen etwas anderem, diesem Gefühl Fremdem, einen Vorwurf zu machen.



»Warum willst du den Frauen die Freiheit, zu denken, verweigern?« fragte er halblaut.



»Weil ich bemerkt habe, mein Lieber, daß alle Frauen, die von dieser Freiheit Gebrauch machen, wahre Vogelscheuchen sind.«



Damit schloß die Unterhaltung. Die beiden Freunde entfernten sich unmittelbar nach dem Souper. Madame Kukschin warf ihnen beim Gehen ein verstecktes, aber zorniges Lächeln zu. Keiner von beiden hatte ihr die mindeste Aufmerksamkeit geschenkt, und ihre Eitelkeit war dadurch schwer gekränkt. Sie blieb bis zum Schluß und tanzte noch um vier Uhr morgens mit Sitnikoff eine Polka Masurka nach Pariser Art.



Mit dieser erbaulichen Aufführung endete der Ball beim Gouverneur.



Fünfzehntes Kapitel

»Ich bin begierig, zu welcher Klasse von Säugetieren deine neue Bekanntschaft gehört,« sagte Bazaroff am folgenden Tage zu Arkad, als sie die Treppe des Gasthofes hinanstiegen, in welchem Madame Odinzoff logierte. »Ich weiß nicht, aber mir kommt die Sache verdächtig vor.«



»Du setzest mich in Staunen!« rief Arkad; »du, Bazaroff, kannst dich zum Verteidiger einer so engherzigen Moral aufwerfen, die …«



»Was du für ein sonderbarer Kauz bist!« erwiderte Bazaroff nachlässig. »Weißt du nicht, daß in der Sprache von unsereinem ›verdächtig‹ das gerade Gegenteil sagen will, d.h. daß es da etwas zu naschen gibt? Hast du mir nicht selbst gesagt, daß sie eine sonderbare Heirat gemacht hat, obwohl es meines Erachtens keineswegs so sonderbar, sondern im Gegenteil höchst vernünftig ist, einen reichen alten Mann zu heiraten. Auf die Klatschereien gebe ich nicht viel; aber ich will gerne glauben, daß sie, wie unser gelehrter Gouverneur sagt, nicht ohne Grund sind.«



Arkad antwortete nichts und klopfte an die Zimmertür der Frau Odinzoff. Ein junger Livreebedienter führte die zwei Freunde in ein großes Zimmer, schlecht möbliert, wie sie's in den russischen

Hôtel garnis

 gewöhnlich sind, aber mit Blumen geschmückt. Bald trat Frau Odinzoff selber im Morgennegligé ein. Sie erschien im Licht der Frühlingssonne noch jünger. Arkad stellte ihr Bazaroff vor und wurde zu seinem großen Erstaunen gewahr, daß dieser verlegen schien, während Frau Odinzoff so ruhig war wie am Abend zuvor. Bazaroff fühlte selbst, daß seine Haltung einige Verwirrung verriet, und war darüber ärgerlich.



»Das ist eine schöne Geschichte! Das Frauenzimmer macht mir bang!« dachte er, und nachdem er sich ungeniert, wie es Sitnikoff selber nicht besser hätte tun können, in einen Lehnstuhl geworfen hatte, fing er unter dem Blick der Frau Odinzoff, deren klare Augen ihn ruhig ansahen, mit übertriebener Sicherheit zu plaudern an.



Anna Sergejewna Odinzowa war die Tochter des Sergei Nikolaitsch Lokteff, eines durch seine Schönheit, seine Leidenschaft für das Spiel und seine Gewandtheit in Geldsachen berühmten Edelmanns, der, nachdem er etwa fünfzehn Jahre in Moskau und Petersburg von allem möglichen Schwindel glänzend gelebt hatte, sich schließlich gründlich ruinierte und auf das Land zurückzog, wo er bald starb und seinen beiden Töchtern Anna und Katharine, die eine zwanzig, die andere zwölf Jahre alt, ein höchst unbedeutendes Vermögen hinterließ. Ihre Mutter, der von ihrer alten Größe sehr herabgekommenen fürstlichen Familie N. entsprossen, war in Petersburg zu einer Zeit gestorben, wo sich ihr Mann noch in den besten Glücksumständen befand. Als Anna Lokteff Waise wurde, war ihre Lage sehr peinlich. Die vornehme Erziehung, welche sie in Petersburg genossen, hatte sie keineswegs für die häuslichen Sorgen und Verlegenheiten jeder Art vorbereitet, die ihrer im hintersten Winkel einer armen Provinz harrten. Sie kannte keinen ihrer Gutsnachbarn und hatte niemand, bei dem sie sich Rats erholen konnte. Ihr Vater hatte den Umgang mit den Gutsbesitzern gemieden; er verachtete sie, und sie gabens ihm heim, jeder in seiner Art. Dennoch verlor sie den Kopf nicht, schrieb sogleich an die Schwester ihrer Mutter, die Prinzessin Andotia Stepanowna N., eine böse, hochmütige alte Jungfer, und bat sie, zu ihr zu kommen; diese kam und richtete sich in den schönsten Zimmern des Hauses ein; sie keifte und zankte vom Morgen bis zum Abend und ging nie, selbst im Garten nicht, spazieren, ohne von ihrem eigenen Bedienten, einem schweigsamen, zum Kammerdiener hergerichteten Leibeigenen in einer alten gelblichen Livree mit blauen Aufschlägen und dreieckigem Hut, begleitet zu sein. Anna ertrug geduldig alle Launen ihrer Tante, beschäftigte sich nebenbei mit der Erziehung ihrer Schwester und schien darein ergeben, ihre Tage in dieser Vereinsamung zu beschließen. Aber das Schicksal fügte es anders. Ein gewisser Odinzoff, ein sehr reicher Mann in den Vierzigern, ein Sonderling und Hypochonder, dick und plump, aber nicht ohne Geist und im übrigen ein ehrenwerter Mann, machte ihre Bekanntschaft, verliebte sich in sie und hielt um ihre Hand an. Sie gab ihre Einwilligung; nach sechsjähriger Ehe starb er und vermachte ihr sein ganzes Vermögen. Anna Sergejewna verließ ein Jahr lang die Provinz nicht; dann trat sie mit ihrer Schwester eine Reise durch Europa an, begnügte sich aber mit dem Besuch Deutschlands und kehrte reisemüde bald wieder in ihr liebes Dorf Nikolskoi, nahe bei der Stadt X…, zurück.



Ihr Landhaus war geräumig, reich möbliert und von einem prachtvollen Garten mit Gewächshäusern umgeben. Ihr verstorbener Gatte liebte es, auf großem Fuße zu leben. Anna Sergejewna kam selten in die Stadt, und nur in Geschäften und auf kurze Zeit. Sie war im Gouvernement nicht beliebt, ihre Heirat hatte viel Geschrei gemacht. Die böse Welt wußte allerhand Geschichten von ihr zu erzählen, z.B. sie habe ihrem Vater bei seinen Kunststückchen im Spiel geholfen; die Reise außer Landes habe stattgefunden, um die traurigen Folgen zu verbergen …



»Sie verstehen mich schon,« setzten die gutmütigen Seelen hinzu. »Die ist schon durch Feuer und Wasser gegangen,« sagten andere; und ein Spaßmacher des Städtchens, der ein Patent auf Witze zu haben glaubte, setzte regelmäßig hinzu: d.h. »mitten durch alle Elemente«. All dieser Gerüchte waren ihr nicht unbekannt; aber sie gingen bei ihr zu einem Ohr hinein und zum andern hinaus; sie besaß eine große Freiheit des Geistes und nicht wenig Festigkeit.



In einen Lehnstuhl hingestreckt, die Hände übereinandergelegt, hörte Madame Odinzoff Bazaroff zu. Gegen seine Gewohnheit war dieser ziemlich redselig und sichtlich bestrebt, Anna Sergejewna zu interessieren. Dies war Arkad sehr auffallend; aber es wäre ihm unmöglich gewesen, zu entscheiden, ob es Bazaroff gelungen war oder nicht. Was Frau Odinzoff auch empfinden mochte, ihre Gefühle malten sich nicht deutlich in ihrem Gesicht; sie bewahrte stets denselben liebenswürdigen und feinen Ausdruck. Ihre schönen, klugen Augen waren immer aufmerksam; aber diese Aufmerksamkeit steigerte sich nie bis zur Lebhaftigkeit. Das ungewöhnliche Wesen Bazaroffs hatte ihr im Beginn der Unterhaltung einen unangenehmen Eindruck gemacht, etwa wie ein übler Geruch oder ein schriller Ton; aber sie merkte bald, daß er befangen war, und diese Entdeckung schmeichelte ihr. Nur Trivialität war ihr unerträglich, und trivial war an Bazaroff sicher nichts. Es stand geschrieben, daß Arkad heute von einem Erstaunen ins andere geraten sollte. Er dachte, Bazaroff werde mit einem so intelligenten und geistreichen Weibe wie Frau Odinzoff von seinen Überzeugungen und Ansichten reden; sie hatte zum voraus den Wunsch ausgesprochen, mit einem Manne zu plaudern, »der nichts zu glauben wage«; statt dessen unterhielt sie Bazaroff von Medizin, Homöopathie und Botani