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Väter und Söhne

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Achtzehntes Kapitel

Am andern Morgen, als Frau Odinzoff zum Tee kam, saß Bazaroff lange über seine Tasse geneigt da; dann plötzlich heftete er die Augen auf sie … sie wandte sich gegen ihn, als ob er sie gestoßen hätte, und er glaubte zu bemerken, daß sie noch bleicher sei als tags zuvor. Er ging bald auf sein Zimmer zurück und zeigte sich erst wieder beim Frühstück. Der Vormittag war regnerisch. Die ganze Gesellschaft war im Salon beisammen. Arkad nahm die neueste Nummer einer Revue und las laut vor. Die Fürstin, nach ihrer Gewohnheit, schien darüber erst höchlich erstaunt, als ob er etwas sehr Unschickliches begangen hätte; dann maß sie ihn mit bösen Blicken, was er aber nicht beachtete.

»Eugen Wassilitsch,« sagte Frau Odinzoff, »kommen Sie auf mein Zimmer … Ich möchte Sie fragen … Sie haben mir gestern den Titel eines Werkes genannt …«

Sie erhob sich und ging nach der Türe. Die Fürstin blickte rund umher, und in ihrem Gesicht stand deutlich geschrieben: »Seht, seht, wie ich darüber erstaune!« Sie blickte Arkad wiederholt an, aber er wechselte einen raschen Blick mit Katia, die neben ihm saß, und las mit erhobener Stimme weiter. Frau Odinzoff ging raschen Schrittes nach ihrem Zimmer. Bazaroff folgte ihr, ohne die Augen aufzuschlagen, und hörte das leichte Rauschen der seidenen Robe, die vor ihm hinglitt. Anna Sergejewna setzte sich in denselben Sessel wie tags zuvor, und Bazaroff nahm auch den gleichen Platz wieder ein.

»Wie nannten Sie das Buch? …« sagte sie nach einem Augenblicke Schweigen.

»Pelouse und Fremy, Anfangsgründe,« antwortete Bazaroff. »Übrigens kann ich Ihnen auch noch Ganots ›Handbuch der Experimentalphysik‹ empfehlen; die Zeichnungen sind detaillierter, und das Buch ist im ganzen …«

»Entschuldigen Sie, Eugen Wassilitsch,« sagte Frau Odinzoff und streckte die Hand aus; »ich habe Sie nicht hierher eingeladen, um über Handbücher zu reden. Ich möchte unsere Unterredung wieder aufnehmen. Sie haben mich so rasch verlassen … es wird Ihnen doch nicht langweilig sein?«

»Ich stehe zu Dienst … aber wovon sprachen wir doch gestern abend?«

Frau Odinzoff sah Bazaroff ein wenig von unten herauf an.

»Ich glaube,« sagte sie, »wir sprachen vom Glück. Ich unterhielt Sie von mir. Aber weil ich eben das Wort Glück gebraucht habe, muß ich Ihnen eine Frage vorlegen. Warum, selbst wenn wir z.B. den Genuß einer Musik, eines schönen Abends, einer Unterhaltung mit irgend jemand, der uns sympathisch ist, gehabt haben, warum scheint uns dieser Genuß vielmehr eine Andeutung irgendeines unbekannten Glücks, das sich irgendwo findet, als ein wirkliches Glück, ein Glück, das wir selber genießen? Antworten Sie mir … aber möglicherweise haben Sie ein ähnliches Gefühl noch gar nicht gehabt.«

»Sie kennen das Sprichwort: ›Uns ist es nur da wohl, wo wir nicht sind‹,« antwortete Bazaroff; »übrigens haben Sie mir gestern selbst gesagt, daß Sie sich unbefriedigt fühlen. Auch ist es sehr wahr, daß mir dergleichen Gedanken nie in den Sinn kommen.«

»Sie erscheinen Ihnen vielleicht lächerlich?«

»Das nicht, aber sie sind mir nie in den Kopf gekommen.«

»Wirklich? ich möchte wohl wissen, an was Sie denken?«

»Wieso? ich verstehe Sie nicht.«

»Hören Sie; längst schon wünschte ich, mich mit Ihnen auszusprechen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß Sie kein gewöhnlicher Mensch sind, Sie wissen es sehr gut. In Ihrem Alter hat man noch einen langen Weg vor sich. Auf was bereiten Sie sich vor? welche Zukunft erwartet Sie? auf welches Ziel steuern Sie los? wohin gehen Sie? was haben Sie auf dem Herzen? mit einem Wort, wer sind Sie, und was sind Sie?«

»Sie setzen mich in Erstaunen, Madame, Sie wissen ja, daß ich mich mit den Naturwissenschaften beschäftige; und was meine Person betrifft …«

»Ja, wer sind Sie?«

»Ich habe bereits die Ehre gehabt, Ihnen zu sagen, daß ich ein künftiger Distriktsarzt bin.«

Frau Odinzoff machte ein Zeichen von Ungeduld.

»Warum sprechen Sie so mit mir?« sagte sie; »Sie glauben selber nicht an das, was Sie sagen. Arkad hätte mir so antworten können, aber Sie?«

»Aber worin ist Arkad …«

»Gehen Sie doch; ist es möglich, daß ein so bescheidener Wirkungskreis Sie befriedigen kann? Gestehen Sie nicht selber, daß Sie nicht an die Medizin glauben? Ein Distriktsarzt? Sie! mit Ihrem Selbstgefühl! Sie antworten mir nur so, um meiner Frage auszuweichen. Ich flöße Ihnen kein Vertrauen ein, doch, Eugen Wassilitsch, darf ich Sie versichern, daß ich Sie zu verstehen vermocht hätte; ich war selber arm und voll Selbstgefühl wie Sie; ich habe vielleicht dieselben Prüfungen durchgemacht wie Sie.«

»Das alles ist sehr schön, Anna Sergejewna, aber Sie müssen entschuldigen … ich bin nicht gewöhnt, andern mein Herz zu erschließen, und zudem ist zwischen uns beiden eine solche Kluft …«

»Gehen Sie! wollen Sie mir noch einmal sagen, daß ich eine Aristokratin bin! Ich glaube Ihnen bewiesen zu haben …«

»Außerdem«, erwiderte Bazaroff, »begreife ich das Vergnügen nicht, welches man darin finden kann, von der Zukunft zu sprechen, die im allgemeinen nicht von uns abhängt. Zeigt sich eine Gelegenheit, etwas zu leisten, um so besser, im andern Falle wird man sich wenigstens sehr glücklich schätzen, sich keinem unnützen Geschwätz hingegeben zu haben.«

»Sie nennen freundschaftliches Geplauder Geschwätz … Nach allem halten Sie mich vielleicht als Weib Ihres Vertrauens nicht würdig? Sie haben eine geringe Meinung von unserem Geschlecht!«

»Ich habe keine geringe Meinung von Ihnen, Anna Sergejewna, und Sie wissen das sehr gut.«

»Nein, ich weiß nichts …; aber gesetzt, es wäre so. Ich begreife, daß Sie nicht von Ihrer Zukunft sprechen wollen; aber das, was heute in Ihnen vorgeht …«

»Vorgeht?« wiederholte Bazaroff, »bin ich zufällig ein Staat oder eine Gesellschaft! Jedenfalls scheint mir das nicht sehr interessant; und zudem, soll denn jeder von uns laut verkünden, was in ihm ›vorgeht‹?«

»Ich wüßte in der Tat nicht, warum man nicht alles, was man auf dem Herzen hat, gestehen sollte?«

»Könnten Sie das?«

»Ja,« antwortete Frau Odinzoff nach kurzem Besinnen.

Bazaroff verneigte sich.

»Sie sind glücklicher als ich,« sagte er.

Anna Sergejewna sah ihn an, als ob sie eine Erklärung von ihm fordern wollte.

»Sie haben gut reden,« erwiderte sie, »aber ich fühle mich darum nicht weniger geneigt, zu glauben, daß wir uns nicht umsonst begegnet sind, daß wir gute Freunde sein werden. Ich bin gewiß, daß Ihre, wie soll ich sagen, – Ihre Starrheit, Ihre Verschlossenheit auf die Dauer schwinden wird.«

»Sie finden mich also verschlossen … oder wie doch? starr.«

»Ja.«

Bazaroff stand auf und trat ans Fenster.

»Und Sie wollen die Beweggründe dieser Verschlossenheit kennen lernen, Sie möchten wissen, was in mir vorgeht?«

»Ja,« antwortete Frau Odinzoff mit einem Schrecken, über den sie sich noch keine Rechenschaft gab.

»Und Sie wollen nicht böse werden?«

»Nein!«

»Nein?« Bazaroff drehte ihr den Rücken. – »So wissen Sie denn, daß ich Sie unvernünftig, bis zum Wahnsinn liebe … das ists, was Sie mich Ihnen zu sagen zwingen.«

Frau Odinzoff streckte die Hände aus, und Bazaroff drückte seine Stirne an die Fensterscheibe. Er erstickte fast, ein krampfhaftes Zittern durchlief alle seine Glieder, aber es war weder die Aufregung, wie sie die Schüchternheit der Jugend hervorruft, noch der süße Schrecken, den eine erste Liebeserklärung erzeugt; es war die Leidenschaft, die in ihm kämpfte, jene starke, drückende Leidenschaft, die der Bosheit gleicht und vielleicht nicht weit davon entfernt ist … Frau Odinzoff empfand Furcht und Mitleid zugleich.

»Eugen Wassilitsch!« sagte sie, und in ihrer Stimme verriet sich eine unwillkürliche Zärtlichkeit.

Er kehrte sich rasch um, warf ihr einen verzehrenden Blick zu und zog sie, ihre beiden Hände mit Macht ergreifend, an seine Brust.

Sie konnte sich ihm nicht sogleich entwinden … Einige Augenblicke nachher hatte sie sich in die entlegenste Ecke des Zimmers geflüchtet. Er stürzte auf sie los …

»Sie haben mich nicht verstanden!« stieß sie mit leiser, vor Schreck erstarrter Stimme hervor. Einen Schritt weiter, und sie hätte wahrscheinlich einen Schrei ausgestoßen; ihre ganze Haltung kündete es an. Bazaroff biß sich in die Lippen und verließ das Zimmer.

Eine halbe Stunde später übergab ein Stubenmädchen Anna Sergejewna ein Billett von Bazaroff. Es enthielt nur eine Zeile: »Muß ich heute noch abreisen, oder kann ich bis morgen bleiben?« Frau Odinzoff antwortete: »Warum abreisen? ich habe Sie nicht verstanden, und Sie haben mich nicht verstanden.« Indem sie diese Worte schrieb, sagte sie zu sich: »Ich habe mich in der Tat selber nicht verstanden.«

Sie zeigte sich erst beim Mittagessen wieder und ging den ganzen Morgen mit gekreuzten Armen in ihrem Zimmer auf und ab, blieb von Zeit zu Zeit bald vor dem Spiegel, bald vor dem Fenster stehen und strich beständig mit einem Taschentuch über den Hals; sie glaubte da einen glühenden Flecken zu spüren. Sie fragte sich, warum sie Bazaroff, wie er selbst sagte, »gezwungen« habe, sich zu erklären, und ob sie es nicht schon längst geahnt habe … »Ich bin schuldig,« sagte sie mit lauter Stimme, »aber ich kann ja das alles nicht vorhersehen.« Sie wurde nachdenklich und errötete in der Erinnerung an den beinahe wilden Ausdruck, den Bazaroffs Gesicht angenommen hatte, als er auf sie losstürzte. »Oder doch …« sagte sie plötzlich wieder, indem sie stehenblieb und ihre Locken schüttelte. Als sie im Spiegel den leicht zurückgesunkenen Kopf, das geheimnisvolle Lächeln in den halbgeschlossenen Augen und auf den halboffenen Lippen bemerkte, schien ihr das Bild etwas zu sagen, was sie tief bewegte.

»Nein, nein,« sagte sie endlich, »Gott weiß, wohin das führen würde; mit dergleichen soll man nicht spaßen. Die Ruhe ist doch noch das Beste, was es auf der Welt gibt.«

 

Ihre Ruhe war nicht gestört, aber sie wurde traurig und vergoß sogar einige Tränen, ohne recht zu wissen warum. Es war nicht Scham über die Demütigung, was sie weinen machte, sie fühlte sich nicht einmal gedemütigt, sie fühlte sich vielmehr schuldig. Unter dem Einfluß verschiedener unklarer Gefühle, des Bewußtseins ihres verrauschenden Lebens und des Verlangens nach etwas Neuem war sie bis an eine gewisse Grenze vorgegangen, und als sie über diese hinaus noch einen Blick warf, hatte sie drüben zwar keinen Abgrund, aber die Leere oder die Häßlichkeit gewahrt.

Neunzehntes Kapitel

Obgleich sich Frau Odinzoff sehr in der Gewalt hatte und über viele Vorurteile erhaben war, konnte sie doch ein unbehagliches Gefühl nicht ganz unterdrücken, als sie im Speisesaal erscheinen mußte. Übrigens ging die Mahlzeit ohne Zwischenfall vorüber. Porphyr Platonitsch erschien und erzählte verschiedene Anekdoten. Er kam aus der Stadt zurück. Unter anderen Neuigkeiten hatte er gehört, daß der Gouverneur den Beamten in seiner unmittelbaren Umgebung vorgeschrieben habe, Sporen zu tragen, damit es schneller gehe, falls er einen zu Pferde fortschicken sollte. Arkad plauderte leise mit Katia und erwies, als feiner Diplomat, der Fürstin kleine Aufmerksamkeiten. Bazaroff war beharrlich schweigsam und finster. Frau Odinzoff warf, als er so mit niedergeschlagenen Augen dasaß, zwei- oder dreimal einen verstohlenen Blick auf sein strenges, gallichtes Gesicht mit dem Gepräge verächtlicher Festigkeit und sagte sich: »Nein, nein, nein!« Nach Tische begab sie sich mit der ganzen Gesellschaft in den Garten, ging, da sie merkte, daß Bazaroff sie zu sprechen wünschte, einige Schritte voraus und blieb dann stehen. Er trat zu ihr hin und sagte, die Augen fortwährend niedergeschlagen, mit dumpfer Stimme:

»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Es ist unmöglich, daß Sie mir nicht zürnen.«

»Nein, ich bin Ihnen nicht böse,« antwortete Frau Odinzoff; »aber ich bin betrübt.«

»Um so schlimmer. Jedenfalls bin ich gestraft genug. Meine Stellung ist, wie Sie zugeben werden, so albern als möglich. Sie haben mir geschrieben: ›Warum abreisen?‹ Und ich kann und will nicht bleiben. Morgen werde ich abreisen.«

»Eugen Wassilitsch, warum …«

»Warum ich abreise?«

»Nein, das wollte ich nicht sagen.«

»Die Vergangenheit kehrt nicht wieder, Anna Sergejewna, und früher oder später mußte es so kommen. Sie sehen, ich muß durchaus fort. Ich könnte nur unter einer Bedingung hierbleiben. Diese Bedingung wird nie erfüllt werden. Verzeihen Sie meine Kühnheit; aber nicht wahr, Sie lieben mich nicht und werden mich nie lieben?«

Bazaroffs Augen funkelten einen Augenblick unter den schwarzen Brauen.

Anna Sergejewna antwortete ihm nicht – »Dieser Mensch macht mir angst,« sagte sie sich in diesem Augenblick.

»Adieu!« sagte Bazaroff, als ob er in ihrer Seele gelesen hätte, und lenkte seine Schritte gegen das Haus.

Anna Sergejewna folgte ihm langsam. Sie rief Katia zu sich und nahm ihren Arm, den sie bis zum Abend nicht wieder losließ. Sie setzte sich nicht zum Spiel und lächelte gezwungen bei jedem Anlaß, was keineswegs zu ihrem bleichen, müden Gesicht paßte. Arkad verstand von alledem nichts und beobachtete wie alle jungen Leute, d.h. er fragte sich beständig: »Was bedeutet das?« Bazaroff hatte sich auf seinem Zimmer eingeschlossen; doch erschien er beim Tee. Frau Odinzoff hätte gern einige freundliche Worte an ihn gerichtet; aber sie wußte nicht, was sie ihm sagen sollte. Ein unerwarteter Umstand kam ihr zu Hilfe: der Haushofmeister meldete Sitnikoff an. Es wäre schwer, das sonderbare Benehmen des jungen Fortschrittsmannes bei seinem Eintritt genau zu schildern. Mit der ihm eigenen Unverschämtheit hatte er sich zwar entschlossen, eine Frau zu besuchen, die er kaum kannte, und die ihn nie eingeladen hatte, bei der aber, wie er wußte, augenblicklich geistvolle Männer seiner Bekanntschaft zu Besuch waren; gleichwohl war er furchtbar verlegen, und anstatt seine auswendig gelernten Entschuldigungen und Komplimente loszulassen, stotterte er allerlei närrisches Zeug, wie: Eudoxia Kukschin schicke ihn, um sich nach dem Befinden Anna Sergejewnas zu erkundigen, und Arkad Nikolajewitsch habe sich über letztere stets in der schmeichelhaftesten Weise geäußert. Mitten in diesen Dummheiten blieb er stecken und verlor den Kopf derart, daß er sich auf seinen eigenen Hut setzte. Da ihn jedoch niemand fortjagte, und Anna Sergejewna ihn sogar ihrer Tante und ihrer Schwester vorstellte, gewann er bald so viel Fassung, um in gewohnter Weise zu schwatzen. Die Erscheinung der menschlichen Dummheit hat manchmal ihr Gutes in dieser Welt; sie lockert allzu straff gespannte Saiten und beruhigt allzu stolze und eitle Gefühle, indem sie uns erinnert, daß Dummheit und Geist einen gemeinsamen Ursprung und fast etwas von Ähnlichkeit haben. Die Ankunft Sitnikoffs gab allem im Hause eine gewöhnlichere und einfachere Wendung. Alle aßen sogar mit größerem Appetit zu Nacht, und man trennte sich eine halbe Stunde früher als gewöhnlich.

»Jetzt«, sagte Arkad vom Bett aus zu Bazaroff, der sich anschickte, sich gleichfalls niederzulegen, »kannst du dir wiederholen, was du mir einmal gesagt hast: ›Warum bist du so traurig? Wahrscheinlich hast du irgendeine heilige Pflicht erfüllt?‹«

Seit einiger Zeit hatten die jungen Leute die Gewohnheit angenommen, sich in dieser bittersüßen Weise zu hänseln, was immer ein Zeichen von geheimem Verdruß und Verdacht ist, die man verbergen will.

»Ich gehe morgen fort zum Vater,« sagte Bazaroff.

Arkad kehrte sich um und lehnte sich auf den Ellbogen. Diese Nachricht überraschte und erfreute ihn zu gleicher Zeit.

»O,« antwortete er, »bist du deshalb traurig?«

»Viel Wissen macht Kopfweh,« sagte Bazaroff gähnend.

»Und Anna Sergejewna?« fragte Arkad.

»Nun was? Anna Sergejewna?«

»Ich wollte sagen: Läßt sie dich fort?«

»Ich bin ihr nicht verpfändet.«

Arkard wurde nachdenklich, und Bazaroff drehte sich mit dem Gesicht gegen die Wand.

Die beiden Freunde schwiegen mehrere Minuten lang.

»Eugen!« rief Arkad plötzlich.

»Was?«

»Ich werde morgen mit dir abreisen.«

Bazaroff gab keine Antwort.

»Aber ich kehre nach Hause zurück,« fuhr Arkad fort; »wir fahren zusammen bis zum Dörfchen Koklow, wo du dich mit Fedote über deine Weiterreise verständigen kannst. Ich hätte gerne die Bekanntschaft deiner Eltern gemacht, aber ich fürchte, sie und dich selbst zu genieren. Und dann hoffe ich doch, daß du später nochmals einen Augenblick bei uns einkehrst?«

»Ich habe mein Gepäck bei dir gelassen,« antwortete Bazaroff, ohne sich umzuwenden.

»Wie kommts, daß er mich nicht fragt, warum ich abreise? Und dazu noch so unvermutet, wie ich?« fragte sich Arkad. »Im Grunde, warum reisen wir ab, er und ich?« Diese Fragen blieben ungelöst in Arkads Kopf, und sein Herz war von geheimer Bitterkeit erfüllt. Er fühlte, daß es ihm schwerfallen werde, dies Leben, an das er sich gewöhnt, zu verlassen, aber nach Bazaroffs Abreise allein zu bleiben, schien ihm noch schwerer. »Ohne Zweifel ist etwas zwischen ihnen vorgefallen,« sagte er sich; »warum aber sollte ich nach seiner Abreise ihr vor Augen bleiben? Ich würde ihr entschieden mißfallen und es ganz bei ihr verderben.« Anna Sergejewnas Gestalt trat lebhaft vor seine Seele, dann aber verdrängten andere Züge nach und nach das Bild der jungen Witwe …

»Katia macht mir auch Kummer!« flüsterte Arkad in sein Kopfkissen, auf das er eine Träne fallen ließ … Plötzlich aber strich er sich die Haare zurück und rief:

»Warum zum Teufel ist nur der Dummkopf von Sitnikoff hergekommen?«

Bazaroff rührte sich in seinem Bett.

»Ich sehe, mein Lieber, daß du noch sehr dumm bist,« sagte er endlich. »Die Sitnikoffs sind uns unentbehrlich. Idioten seiner Art sind mir absolut notwendig. Verstehst du mich? Die Götter sind nicht dazu da, Töpfe zu machen.«

»Ei, ei!« dachte Arkad; und zum erstenmal erschien ihm Bazaroffs Eigenliebe in ihrer ganzen Größe.

»Wir sind also Götter, du und ich? oder vielmehr du; denn ich, sollte ich zufällig nicht auch ein Idiot sein?«

»Ja,« erwiderte Bazaroff, »du bist noch dumm.«

Frau Odinzoff zeigte keine große Überraschung, als ihr Arkad am nächsten Morgen ankündigte, daß er mit Bazaroff abreisen werde; sie sah zerstreut und müde aus. Katia blickte ihn ernst an und sagte nichts; die Fürstin bekreuzte sich unter ihrem Schal derart, daß ers bemerken mußte; Sitnikoff aber kam bei der Nachricht gänzlich außer Fassung. Er hatte soeben zum Frühstück einen neuen Frack angelegt, der diesmal nichts vom Slawophilen verriet; tags zuvor schien der Bediente, der ihm aufzuwarten hatte, ganz erstaunt, als er die Masse Weißzeug sah, die der neue Gast mitgebracht; und da verließen ihn seine Genossen! Er lief angstvoll und unentschlossen hin und her wie ein verfolgter Hase am Saum des Waldes; ganz außer sich, erklärte er plötzlich fast mit einem Schrei, daß auch er entschlossen sei, abzureisen. Frau Odinzoff drang nicht in ihn, zu bleiben.

»Mein Wagen ist sehr bequem,« sagte der unglückliche Jüngling zu Arkad, »ich kann Sie nach Hause fahren. Eugen Wassilitsch darf dann nur Ihren Tarantaß nehmen; so macht sichs sogar viel bequemer.«

»Wo denken Sie hin, unser Gut liegt durchaus nicht auf Ihrem Wege; Sie müßten einen großen Umweg machen.«

»Das hat nichts zu sagen; ich habe viel Zeit übrig, und zudem rufen mich Geschäfte in jene Gegend.«

»Branntweingeschäfte?« fragte Arkad in fast zu verächtlichem Ton.

Aber Sitnikoff war so bestürzt, daß er nicht einmal nach seiner Gewohnheit zu lachen anfing.

»Ich versichere Sie, daß mein Wagen sehr bequem ist,« fuhr er fort, »und daß er für alle Platz hat.«

»Kränken Sie Herrn Sitnikoff nicht durch eine Weigerung,« sagte Anna Sergejewna.

Arkad blickte sie an und verneigte sich tief.

Die Abreise fand nach dem Frühstück statt. Beim Abschied gab Frau Odinzoff Bazaroff die Hand und sagte:

»Auf Wiedersehen! Nicht wahr?«

»Wie Sie es wünschen!«

»In diesem Fall sehen wir uns wieder.«

Arkad ging zuerst die Treppe hinab und nahm in Sitnikoffs Wagen Platz. Der Haushofmeister half ihm ehrerbietig einsteigen, er aber hatte nicht übel Lust, ihn zu prügeln oder zu weinen. Bazaroff setzte sich in den Tarantaß. Als sie in dem Dörfchen Koklow angekommen waren, wartete Arkad, bis der Wirt Fedote seine Pferde an den Tarantaß gespannt hatte; dann näherte er sich dem Fuhrwerk und sagte mit der früheren Herzlichkeit zu Bazaroff:

»Eugen, nimm mich mit, ich habe Lust, dich zu begleiten.«

»Steig ein,« murmelte Bazaroff.

Als Sitnikoff, der pfeifend um den Wagen herumging, dieser Worte hörte, sperrte er vor Erstaunen den Mund weit auf; Arkad nahm ruhig seinen Koffer, setzte sich neben Bazaroff, grüßte Sitnikoff höflich und rief: »Fort!«

Die Pferde zogen an, und der Tarantaß war bald aus dem Gesicht verschwunden … Sitnikoff, der sich von seinem Erstaunen gar nicht erholen konnte, warf dem Kutscher, der dem Laufpferd eben leicht die Peitsche gab, einen grimmigen Blick zu, sprang in den Wagen, schrie zwei vorübergehenden Bauern zu: »Setzt die Hüte auf, ihr Esel!« und fuhr nach der Stadt zurück, wo er sehr spät ankam. Andern Tags aber, im Salon der Madame Kukschin, behandelte er »die beiden hochmütigen, groben Burschen«, die er soeben verlassen, wie's ihr Benehmen verdiente.

Arkad drückte Bazaroff kräftig die Hand, als er sich neben ihn setzte, und sprach lange nichts. Bazaroff schien diesen Händedruck und dies Schweigen zu verstehen. Die vorhergehende Nacht hatte er weder geschlafen noch geruht; seit mehreren Tagen aß er auch beinahe nichts mehr. Sein finsteres, eingefallenes Gesicht zeichnete sich scharf ab unter dem Schirm seiner Reisemütze.

»Nun, Freund,« sagte er endlich, »gib mir eine Zigarre … Ich muß eine belegte Zunge haben? Sieh mal!«

»Ja,« antwortete Arkad.

»Dacht ichs doch … Deshalb schmeckt mir auch die Zigarre nicht. Die Maschine ist in Unordnung.«

»In der Tat, du hast dich in letzter Zeit sehr verändert,« meinte Arkad.

»Hat nichts zu sagen, ich werde mich schon wieder erholen. Nur eins beunruhigt mich, die Zärtlichkeit meiner Mutter. Wenn man sich nicht den Bauch vollpfropft und zehnmal des Tages ißt, dann muß man sehen, wie sie sich quält. Mein Vater ist nicht so, gottlob! Er ist in der Welt herumgekommen, er ist, was man so nennt, gesiebt und gebeutelt.«

»Unmöglich, zu rauchen!« sagte er ärgerlich und warf seine Zigarre mitten in den Straßenstaub.

»Euer Gut ist etwa fünfundzwanzig Werst von hier?« fragte Arkad.

»Ja! Da ist übrigens ein Philosoph, ders uns sagen kann.« Dabei zeigte er auf den Bauern, der auf dem Bock saß und dem Fedote seine Pferde anvertraut hatte.

 

Der Bauer beschränkte sich zu antworten: »Wer weiß? die Werste sind hier nicht gemessen,« dann schien er wieder halblaut mit seinem Gabelpferde zu brummen, das den Kopf schüttelte und sich in den Zügel legte.

»Ja! Ja!« sagte Bazaroff, »das sollte uns zur Lehre dienen, mein junger Freund; ich glaube wahrhaftig, der Teufel hat die Hand im Spiel. Der Mensch hängt an einem Fädchen, jeden Augenblick kann sich ein Abgrund unter seinen Füßen öffnen, und an dieser traurigen Aussicht hat er nicht genug, er ersinnt noch Gott weiß welche Dummheiten, die sein Leben noch elender machen.«

»Worauf spielst du an?« fragte Arkad.

»Auf nichts, wie ich auch ohne alle Beziehung sage, daß wir uns beide wie rechte Esel benommen haben. Übrigens habe ich in unserer Klinik schon öfters bemerkt, daß die Kranken, welche ihr Zustand ungeduldig machte, stets davonkamen.«

»Ich verstehe dich nicht ganz,« erwiderte Arkad, »mir scheint, du hast keinen Grund gehabt, dich zu beklagen.«

»Weil du mich nicht recht verstehst, will ich dirs folgendermaßen erklären: Meiner Meinung nach tut man besser, Steine auf der Straße zu klopfen, als einer Frau auch nur die Spitze vom kleinen Finger zu geben. All das ist …« Bazaroff war im Begriff, seinen Lieblingsausdruck »Romantik« zu gebrauchen, aber er hielt an sich. – »Du wirst mir jetzt nicht glauben,« fuhr er fort, »und doch ists vollkommen wahr, was ich dir sage. Wir sind beide zusammen in Weibergesellschaft geraten, und dieses Leben schien uns sehr behaglich; aber es ist ebenso angenehm, diese Gesellschaft zu verlassen, als sich bei heißem Wetter mit kaltem Wasser zu begießen. Ein Mann hat Besseres zu tun, als sich mit solchen Lappalien abzugeben. Ein Mann muß wild sein, sagt ein höchst weises spanisches Sprichwort. Du zum Beispiel, Freund!« wandte er sich an den Kutscher, »hast du ein Weib?«

Der Bauer wandte sich um und zeigte den beiden Freunden sein plattes, schlitzäugiges Gesicht.

»Ein Weib? freilich, wie sollt ich keins haben?«

»Schlägst du sie?«

»Mein Weib? Da kanns allerhand geben … Ohne Grund schlägt man sie nicht.«

»Das versteht sich! Und sie, schlägt sie dich auch?«

Der Bauer tat einen Ruck mit dem Zügel.

»Was sagst du da, Herr?« fragte er. »Ich glaube, du beliebst zu scherzen.«

Die Frage hatte ihn offenbar verletzt.

»Hörst du, Arkad Nikolajewitsch, und doch sind wir beide geschlagen worden. Das haben wir davon, zivilisierte Menschen zu sein!«

Arkad lächelte gezwungen, Bazaroff aber kehrte sich um und tat während der ganzen übrigen Reise den Mund nicht mehr auf.

Die fünfundzwanzig Werst kamen Arkad so lang wie fünfzig vor. Das kleine Dorf, wo Bazaroffs Eltern wohnten, zeigte sich endlich an dem Abhang eines niedern Hügels. Nicht weit davon erhob sich aus einer Gruppe junger Birken das Herrenhaus mit seinem Strohdach. Am Eingang des Dorfes standen, die Mützen auf dem Kopf, zwei Bauern, die sich stritten.

»Du bist ein dickes Schwein,« sagte der eine zum andern.

»Und du bist nichts als ein Ferkel, und dein Weib ist eine Hexe,« erwiderte der andere.

»Diese liebenswürdige Vertraulichkeit«, sagte Bazaroff zu Arkad, »und der heitere Ton dieses Wortwechsels können dir beweisen, daß meines Vaters Bauern nicht allzustreng gehalten werden. Doch da streckt er selbst die Nase ins Freie; wahrscheinlich hat er die Schellen klingeln hören; er ists richtig, ich kenne seinen Schädel. Ei, ei, wie er weiß geworden ist, der arme Teufel!«