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Zwölftes Capitel

Am Mittagstisch saßen viele Gäste – und das Getümmel nach dem Essen benutzend, gelang es Neshdanow, auf sein Zimmer zu entschlüpfen. Er wollte allein sein, um in das Chaos der Eindrücke seiner Fahrt Klarheit zubringen. Während des Mittags hatte ihn Valentine Michailowna einige Mal aufmerksam angeblickt, aber nicht die Möglichkeit finden können, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, Marianne dagegen schien gewissermaßen verlegen und ihm, m Folge der unerwarteten Scene, über welche Neshdanow so in Erstaunen gerathen war, aus dem Wege gehen zu wollen, Neshdanow ergriff die Feder: er wollte seinem Freunde Ssilin schreiben, ihm seine Gedanken mittheilen – aber es war ihm unklar, was er dem Freunde sagen sollte; es war ein solches Wirrsal von einander widersprechenden Gedanken und Empfindungen in seinem Kopfe, daß er es nicht einmal versuchen mochte, dieselben zu ordnen, und den Brief erst am folgenden Tage zu schreiben beschloß. Unter den Gästen befand sich auch Kallomeyzew; er war noch nie so hochmüthig und so aristokratisch anmaßend gewesen, wie an diesem Tage; sein Gerede blieb jedoch ohne Wirkung auf Neshdanow, dieser hörte gar nicht auf ihn. Neshdanow erschien Alles wie im Nebel, der die ganze übrige Welt verhüllte und von ihm trennte; es schimmerten durch das trübe Grau desselben seltsamer Weise nur drei Gestalten – drei Frauengestalten – die ihn aus den fest auf ihn gerichteten Augen hartnäckig ansahen. Es waren dies: Valentine Ssipjagin, Maschurina und Marianne. Was sollte das bedeuten? Und woher eben diese drei Gestalten? Was hatten sie mit einander gemein? Und was wollten sie von ihm?

Er begab sich früh zu Bette – konnte jedoch nicht einschlafen. Allerlei Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf – nicht eigentlich traurige, aber finstere, »graue« Gedanken . . . über das unvermeidliche Ende, über den Tod. – Sie waren ihm nicht neu. Hin und her sinnend, schauderte er bald vor der Wahrscheinlichkeit des endlichen Nichts zusammen, bald begrüßte er sie wieder in fast freudig gehobener Stimmung. Endlich kam ein Gefühl besonderer, ihm wohlbekannter Erregung über ihn. . . Er erhob sich, setzte sich an den Schreibtisch, und schrieb, nachdem er ein wenig nachgedacht, fast ohne etwas daran zu ändern, folgendes Gedicht in sein geheimes Heft:

 
Tritt der Tod an mich heran,
Lieber Freund, – so ist mein Wille:
Wirf’ in’s Feuer Du sodann
Meiner Schreibereien Fülle!
Blumen trage her zu mir,
Laß mich seh’n der Sonne Strahlen,
Musikanten schaff zur Thür —
Mag ihr lautes Spiel erschallen!
Nicht der Trauer stiller Sang,
Nein, des Walzers tolle Weise,
In der Geigen scharfem Klang,
Töne wie zu Festes Preise!
Dann, der stummen Saite gleich,
Die erzitternd sanft verklinget,
Geh’ ich ein in’s Todtenreich!
Und im letzten Kampf entringet
Dann sich auch kein Schrei der Brust,
Und mich wiegend auf den Tönen,
Noch umrauscht von Erdenlust,
Still entschweb’ ich ohne Sehnen. . .
 

Als er das Wort »Freund« niederschrieb, dachte er an Ssilin. Er las das Gedicht mit halblauter Stimme durch – und erstaunte über die Worte, die ihm aus der Feder geflossen. Dieser Skeptizismus, dieser Gleichmuth, diese leichtsinnige Ungläubigkeit – wie vertrug sich das Alles mit seinen Prinzipien, damit, was er bei Markelow gesprochen? – Er schleuderte das Heft in die Schieblade des Tisches, und legte sich nieder, schlief jedoch erst gegen Morgen ein, als bereits die ersten Lerchen vorn weißlichen Himmel zu schmettern begannen.

Am andern Morgen – er saß, nachdem er soeben seine erste Stunde gegeben, im Billardzimmer – trat plötzlich Valentine Michailowna herein, blickte sich um und rief ihn mit einem freundlichen Lächeln in ihr Kabinet. Sie war in einem leichten, sehr einfachen und netten Sommerkleide; die mit Tüllkrausen besetzten Aermel reichten nur bis zu den Ellenbogen, um die schlanke Taille war ein breites Band geschlungen, das üppige Haar fiel in dichten Locken auf den Hals. Alles an ihr athmete herzgewinnende, zarte, ermunternde Freundlichkeit – Alles: der gedämpfte Glanz der halbgeschlossenen Augen, die weiche Lässigkeit der Stimme, der Bewegungen, sogar des Ganges. Frau Ssipjagin führte Neshdanow in ihr gemüthliches, reizendes Kabinet, das wie durchtränkt schien von dem Duft der Blumen und wohlriechendem Wasser, von der reinen Frische weiblicher Kleidung, weiblichen Aufenthalts. Sie bot ihm einen Lehnstuhl, in den er sich niederließ, setzte sich neben ihn und drang nun in ihn, ihr zu erzählen, wie seine Fahrt abgelaufen, wie Markelow auf seinem Gute lebe und wie es ihm dort ergehe – und wie umsichtig stellte sie ihre Fragen, wie milde, wie gut! Aus ihren Worten sprach innige Theilnahme für ihren Bruder, dessen sie sonst in Neshdanows Gegenwart nie Erwähnung gethan; aus einigen ihrer Aeußerungen konnte man schließen, daß ihr Markelows Neigung für Mariannen nicht entgangen; es schien sie zu betrüben . . . obgleich es freilich unklar blieb, was sie eigentlich betrübte – daß Marianne nicht im Stande war, Markelow’s Liebe zu erwidern – oder daß seine Wahl auf ein im Grunde ihm fremdes Wesen gefallen? Offenbar war es ihr aber namentlich darum zu thun, Neshdanow’s Vertrauen zu erwecken, ihn an sich zu gewöhnen, ihn zu zwingen, ihr gegenüber die scheue Zurückhaltung fallen zu lassen. Valentine Michailowna stellte sich, als ob sie ihm ein klein wenig zürne, weil er sich eine ganz falsche Vorstellung von ihr gemacht.

Neshdanow hörte ihr zu, blickte auf ihre Hände, Schultern, und warf zuweilen einen flüchtigen Blick aus die rosigen Lippen, auf das ruhig herabwallende Haar. Anfangs beantwortete er ihre Fragen sehr kurz und gemessen; es drückte ihn das Gefühl einer gewissen Beklemmung im Halse und in der Brust allmählich aber wich diese Empfindung einem andern, zwar noch immer beunruhigenden Gefühle, das aber doch nicht ohne eine gewisse Süßigkeit war; er hatte es sich nicht träumen lassen, daß eine so bedeutende und schöne Frau, eine so vornehme Dame, jemals an ihm, dem einfachen Studenten, ein Interesse finden könnte; sie aber, sie interessirte sich nicht allein für ihn – sie schien ihm sogar gefallen zu wollen. Neshdanow fragte sich in Gedanken, wozu sie das thue, und fand keine Antwort; er bedurfte derselben übrigens auch nicht. Frau Ssipjagin begann von Kolja zu sprechen; sie versicherte Neshdanow, daß sie eben nur deshalb gegenseitige Annäherung wünsche, um mit ihm eingehend über ihren Sohn sprechen zu können, um überhaupt seine Gedanken über die Erziehung der russischen Kinder kennen zu lernen. Auffallend war es freilich, daß dieser Wunsch so plötzlich in ihr aufgestiegen . . . Aber der Schwerpunkt des Gesprächs lag nicht in den Worten, die aus ihrem Munde flossen, sondern es war in ihrem Innern, gleichsam von sinnlichem Impuls getrieben und angehaucht, das Verlangen erwacht, diesen ungefügen Geist zu bezwingen, ihn zu ihren Füßen liegen zu sehen . . .

Valentine Michailowna war die Tochter eines geistig sehr beschränkten und nichts weniger als energischen Generals mit dem Stern und der Verdienst-Schnalle für fünfzigjährigen Staatsdienst – und einer höchst verschmitzten Kleinrussin, die, wie so viele ihres Volksstammes, ein treuherziges, fast einfältiges Aeußere besaß und daraus sehr gut Vortheil zu ziehen verstand. Die Eltern Valentine Michailowna’s waren unbemittelt: trotzdem kam sie in das Erziehungsinstitut des Ssmolnaer Klosters; obgleich man sie dort eine Republikanerin nannte, war sie doch sehr angesehen, da ihr Fleiß und ihr Benehmen musterhaft waren. Nachdem sie die Anstalt verlassen, bezog sie mit ihrer Mutter – ihr Bruder hatte sich auf das Gut zurückgezogen, ihr Vater, der General mit dem Stern und der Verdienst-Schnalle, war bereits todt – ein sauberes, aber sehr ärmliches und kaltes Quartier: man sah, wie der beim Sprechen dem Munde entströmende Hauch in der Luft sich verdichtete. Valentine Michailowna versicherte lachend, daß es so sei – »wie in der Kirche« Sie ertrug voll Muth und Ausdauer die Unzulänglichkeiten ihres armen, gedrückten Lebens: – sie hatte einen merkwürdig ruhigen, gleichmäßigen Charakter. Mit Hilfe der Mutter gelang es ihr, allerlei Verbindungen und Bekanntschaften anzuknüpfen: überall, sogar in den höchsten Kreisen, wurde von ihr als von einem sehr hübschen, sehr gebildeten und höchst sittsamen Mädchen gesprochen. Valentine Michailowna hatte viele Freier: ihre Wahl fiel auf Ssipjagin, und es war ihr ein Leichtes, ihn in kurzer Zeit zu bezaubern und ganz für sich einzunehmen. . . Ssipjagin sah übrigens bald ein, daß er keine bessere Frau hätte finden können. Sie war klug, mehr gut, als schlecht . . . im Grunde kalt und unempfindlich . . . und es war für sie undenkbar, daß ihr gegenüber Jemand gleichgültig bleiben könne. Im ganzen Wesen von Valentine Michailowna lag jene besondere Anmuth, die den »liebenswürdigen« Egoisten eigen ist: weder Poesie, noch Innigkeit, dafür aber eine gewisse Milde, Sympathie und sogar – Zärtlichkeit. Es ist jedoch nicht gut, diesen anziehenden Egoisten zu widersprechen: sie lieben zu herrschen, und dulden keine andere Selbstständigkeit neben sich. Frauen, wie Valentine Ssipjagin, sind geschaffen, um unerfahrene und leidenschaftliche Menschen zu reizen und zu erregen; sie selbst lieben im Leben Ruhe und Regelmäßigkeit. Tugendhaft zu bleiben fällt ihnen nicht schwer – ihr Gleichmuth ist unerschütterlich; das jedoch beständige rege Verlangen zu herrschen, zu fesseln, zu gefallen verleiht diesen Charakteren Frische und Glanz; ihr Wille ist fest und stark, und in diesem festen Willen liegt zum Theil auch der gewaltige Zauber ihrer Macht. Es ist schwer, ihnen zu widerstehen, wenn über diesen klaren, unentweihten Wesen leise Sinnesgelüste, raschen Funken gleich, hin und her zucken; es ist, als müßte sogleich der Augenblick kommen, wo das Eis schmelzend zergeht; aber das helle Eis treibt nur ein Spiel mit den warmen Strahlen, und nie wird es schmelzen, nie sich trüben!

 

Valentine Michailowna scheute nicht die Koquetterie: sie wußte recht gut, daß sie für sich selbst nichts zu fürchten brauche. Aber zu sehen, wie fremde Augen sich bald verdüstern, bald von Neuem erglänzen, wie fremde Wangen in Verlangen und Furcht entbrennen, wie eine fremde Stimme bebt und stockt, wie ein fremdes Gemüth seine Seelenruhe einbüßt – das war so süß! Wie lustig war es, spät in der Nacht aller jener aufgeregten Worte, Blicke, Seufzer zu gedenken! Mit welch’ zufriedenem Lächeln zog sie sich dann im Bewußtsein ihrer Unzugänglichkeit, ihrer Unerreichbarkeit in sich selbst zurück, oder empfing mit herablassender Miene die erlaubten Liebkosungen ihres wohlerzogenen Gemahls! In dieser angenehmen Gefühlserregung geschah es wohl zuweilen, daß sie gerührt erschien und ein gutes Werk zu vollbringen, ihrem Nächsten zu helfen im Stande war . . . Sie hatte einst ein kleines Armenhaus begründet, als ein bis zum Wahnsinn in sie verliebter Gesandtschafts-Sekretär sich den Hals abzuschneiden versuchte! Sie betete für ihn, obgleich sie schon in ihrer Kindheit wenig religiöses Gefühl gezeigt hatte.

So trieb sie es also auch mit Neshdanow und gab sich alle erdenkliche Mühe, seinen Widerstand zu brechen und ihn zu unterwerfen. Sie zog ihn zu sich heran, sie öffnete ihm gleichsam ihr Herz, und sah mit freundlicher Neugierde, mit halbmütterlicher Zärtlichkeit, wie dieser durchaus nicht häßliche, interessante und rauhe Republikaner ihr langsam und ungeschickt entgegenkam. Morgen, nach einer Stunde, nach einer Minute wird Alles spurlos verschwunden sein, aber jetzt, im Augenblick ist es ihr so freudig, so lustig zu Muthe – und doch wieder ein wenig ängstlich, ja sogar traurig. Seine Kindheit und Vergangenheit nicht zu kennen vorgebend und dessen eingedenk, daß eine solche Aufmerksamkeit von fremd und einsam dastehenden Menschen sehr hoch geschätzt wird, begann Valentine Michailowna ihn um die Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend, um seine Familie zu befragen . . . Aber aus Neshdanow’s verwirrten und herben Worten errathend, daß sie einen falschen Ton angeschlagen, versuchte Valentine Michailowna den Fehler wieder gut zu machen, indem sie noch freundlicher, noch offener wurde. . . . So öffnet im Sommer die ausgeblühte Rose in der Mittagsgluth ihre duftigen Blumenblätter, welche sich bald in der kräftigenden Kühle der Nacht von Neuem schließen werden.

Es gelang ihr jedoch nicht, ihren Fehler gut zu machen. An einer wunden Stelle berührt, war es jetzt Neshdanow unmöglich, ihr mit dem früheren Vertrauen entgegenzukommen. Jenes bittere Etwas, das auf dem Grunde seiner Seele ruhte, regte sich wieder; der demokratische Argwohn erwachte in ihm mit erneuter Kraft. Er machte sich bittere Vorwürfe: »nicht deswegen bin ich hergekommen,« – dachte er und es fielen ihm die ironischen Bemerkungen Paklin’s ein. . . Er benutzte den ersten freien Moment, als eine Stockung in der Unterhaltung eintrat, erhob sich, machte eine linkische Verbeugung – und verließ »sehr dumm« das Zimmer, wie unwillkürlich beim Hinaustreten seinen Lippen entfuhr.

Seine Verwirrung war Valentine Michailowna nicht entgangen . . . aber nach dem Lächeln zu urtheilen, mit dem sie ihm nachblickte, hatte sie diese Verwirrung in einer ihr persönlich günstigen Weise gedeutet.

Im Billardzimmer stieß Neshdanow auf Marianne. Sie stand mit gekreuzten Armen, den Rücken an das Fenster gelehnt, unweit der Kabinetsthür. Ihr Gesicht war fast ganz im Schatten, die kecken Augen blickten ihn jedoch so fragend, so tief an, die zusammengepreßten Lippen drückten so viel Verachtung, so viel beleidigendes Bedauern aus, daß er befangen stehen blieb. . .

– Wollten Sie mir etwas sagen? – fragte er fast unwillkürlich.

– Nein . . . oder ja, ich will. Nicht jetzt jedoch.

– Wann denn?

– Warten Sie ein wenig. Vielleicht – morgen; vielleicht auch – niemals. Ich weiß doch eigentlich gar nicht – was Sie für ein Mensch sind!

– Allein, begann Neshdanow, – mir hat es doch geschienen . . . daß zwischen uns . . .

– Sie kennen mich aber gar nicht, – unterbrach ihn Marianne. – Warten Sie. Morgen vielleicht. Jetzt muß ich zu meiner . . . Herrin. Bis auf morgen!

Neshdanow machte einige Schritte zur Thür, kehrte jedoch plötzlich um.

– Ach ja! Marianne Wikentjewna . . . ich wollte Sie immer fragen, ob Sie mir nicht erlauben würden, mit Ihnen die Schule zu besuchen, – ich möchte sehen, wie Sie dort unterrichten.

– Kommen Sie . . . Ich wollte aber nicht von der Schule mit Ihnen sprechen.

– Wovon denn?

– Morgen, – wiederholte Marianne.

Trotz ihres Vorsatzes fand die Unterredung doch noch am selben Abend statt, – in einer von den Lindenalleen, die unweit der Terrasse ihren Anfang nahmen.

Dreizehntes Capitel

Marianne selbst trat zu ihm heran.

– Herr Neshdanow, – begann sie hastig – Valentine Michailowna hat Sie wohl ganz bezaubert!

Ohne eine Antwort abzuwarten, bog sie in die Allee ein; Neshdanow folgte ihr.

– Woraus schließen Sie das? – fragte er nach einer Pause.

– Oder nicht? Dann hat sie ihre Mittel schlecht benutzt. Ich stelle es mir lebhaft vor, wie geschäftig sie war, wie sie ihre kleinen Netze auswarf!

Neshdanow blieb stumm und warf einen verwunderten Seitenblick auf die seltsame Nachbarin.

– Hören Sie, – fuhr sie fort, – ich will offen sein: ich liebe Valentine Michailowna nicht – und Sie wissen das sehr gut. Es könnte Ihnen scheinen, daß ich ungerecht bin . . . denken Sie sich aber . . .

Marianne versagte die Stimme. Sie erröthete, sie gerieth in Wallung . . . Wenn sie aufgeregt war, nahm es immer den Anschein, als ob sie zürnte.

– Sie fragen sich wahrscheinlich, – begann sie von Neuem, – wozu erzählt mir das Fräulein da alle diese Sachen? Dasselbe haben Sie wohl gedacht, als ich Ihnen die Nachricht mittheilte . . . wegen des Herrn Markelow? Sie beugte sich plötzlich zur Erde, riß einen kleinen Pilz heraus, zerbrach ihn und warf ihn bei Seite.

– Sie irren sich, Marianne Wikentjewna – entgegnete Neshdanow, – ich habe im Gegentheil gedacht, daß Sie Vertrauen zu mir haben – und das war mir sehr angenehm.

Neshdanow hatte nicht ganz die Wahrheit gesagt: dieser Gedanke war ihm jetzt erst gekommen.

Marianne schaute zu ihm auf. Bis dahin war sie mit abgewandtem Gesicht neben ihm hergegangen.

– Nicht daß Sie mir Vertrauen einflößten, – sagte sie: – Ich kenne Sie ja noch nicht. – Aber Ihre Lage – und die meinige – sind einander ähnlich. Wir sind Beide gleich unglücklich; das eben ist es, was uns verbindet.

– Sie sind unglücklich? – fragte Neshdanow.

– Und Sie nicht?

Neshdanow schwieg.

– Kennen Sie meine Lebensgeschichte? – fuhr Marianne hastig und lebhaft fort, – die Geschichte meines Vaters-? Seine Verbannung? – nein? So wissen Sie denn, daß man ihn vor Gericht gestellt, ihn schuldig befunden, seines Ranges, seiner Würden entkleidet, ihm Alles genommen – und ihn nach Sibirien geschickt hat. Darauf starb er meine Mutter ebenfalls. Mein Oheim, Herr Ssipjagin, der Bruder meiner Mutter, nahm mich zu sich – ich esse bei ihm das Gnadenbrod – er ist mein Wohlthäter – Valentine Michailowna meine Wohlthäterin – ich aber bin schmählich undankbar – ich muß wohl ein hartes Herz haben – und fremdes Brod essen ist so bitter – und ich kann keine beleidigende Herablassung ertragen – und ich will keinen Beschützer haben . . . und verstehe es nicht zu verhehlen . . . und wenn ich ununterbrochen wie mit Stecknadeln gestochen werde – so schreie ich blos deshalb nicht, weil ich zu stolz bin!

Während sie diese abgebrochenen Worte hervorstieß, eilte Marianne immer rascher vorwärts.

Plötzlich blieb sie stehen.

– Wissen Sie, daß mich meine Tante, nur um mich los zu werden, verheirathen will, und zwar . . . an diesen widerwärtigen Kallomeyzew? – Sie kennt meine Ansichten – ich bin ja eine Nihilistin in ihren Augen – und er! Selbstverständlich gefalle ich ihm nicht, denn ich bin häßlich – aber man kann mich verkaufen! Das ist ja auch eine Wohlthat!

– Warum haben Sie denn . . . – begann Neshdanow, – hielt jedoch plötzlich inne.

Aus Mariannens Augen drang wieder ein flüchtiger Blick zu ihm hinüber.

– Warum ich nicht Markelow’s Antrag angenommen – wollten Sie fragen? Nicht wahrt Ja, was ist da zu machen? Er ist ein guter Mensch. . . Aber ich kann nichts dafür, ich liebe ihn nicht.

Marianne ging wieder voraus, als ob sie Neshdanow von der Nothwendigkeit befreien wollte, ihr auf dieses unerwartete Geständniß etwas erwidern zu müssen.

Sie hatten das Ende der Allee erreicht. Marianne bog rasch in einen schmalen Seitenpfad, der sich durch ein Tannenwäldchen hindurchschlängelte; Neshdanow folgte ihr. Es schien ihm einerseits so wunderbar, daß dieses scheue Mädchen plötzlich so offen gegen ihn war, andererseits aber staunte er darüber, daß ihn diese Offenheit nicht im Geringsten befremdete, daß er sie sogar natürlich fand.

Marianne wandte sich plötzlich, blieb mitten auf dem Wege einem Schritt vor Neshdanow stehen, und versenkte ihre Augen in die seinigen.

– Alexei Dmitritsch, – rief sie, – glauben Sie nicht; daß meine Tante böse ist . . . Nein! Aber sie ist durch und durch – falsch, sie ist eine Komödiantin, die nur Phrasen zu machen versteht, sie will, daß Alle sie wegen ihrer Schönheit vergöttern, und daß sie vor ihr anbetend niedersinken wie vor einer Heiligen! Sie ersinnt ein herzliches Wort, sagt es dem Einen – und dann wiederholt sie es, sagt es einem Zweiten, einem Dritten, – immer mit einem Ausdruck, als ob es ihr eben erst eingefallen wäre – und zieht auch gleich die wunderbaren Augen in’s Spiel! – Sie kennt sich selbst sehr gut – sie weiß, daß sie der Madonna ähnelt – und liebt Niemanden in der Welt! Sie giebt sich den Anschein, als ob sie sich um Kolja bekümmere, und doch ist das Einzige, was sie thut, daß sie mit vernünftigen Leuten über ihn spricht. Sie wünscht Niemandem Böses . . . Sie ist ganz – Wohlwollen! Aber wenn man Ihnen in ihrer Gegenwart auch alle Knochen zerbräche . . . ihr ist es gleich! Sie wird nicht einen Finger rühren, um sie zu befreien. – Wenn es aber für sie selbst nöthig oder vortheilhaft ist. . . dann . . . o dann! Marianne verstummte.

Der heftige Zorn beklemmte ihre Brust, sie konnte den Ausbruch desselben nicht mehr zurückhalten, sie ließ ihm freien Lauf – aber unwillkürlich stockte sie in ihrer Rede. Marianne gehörte zu einer ganz besonderen Gattung unglücklicher Wesen – in Rußland findet man sie setzt sehr häufig – . . . Gerechte Handlungen befriedigen sie, erfreuen sie jedoch nicht, Ungerechtigkeit aber, für welche sie höchst empfindlich sind, erbittert sie bis auf den Grund der Seele. – So lange sie sprach, sah sie Neshdanow aufmerksam an: ihr geröthetes Antlitz mit dem kurzen, etwas verwirrten Haar, mit den krampfhaft zuckenden feinen Lippen erschien ihm kampfbereit und bedeutend – und schön. Durch das dichte Netz der Zweige hindurch fiel das Sonnenlicht in Form eines kurzen goldenen Streifens ihr auf die Stirn – und diese Feuerzunge paßte so gut zu dem erregten Gesicht, zu den weitgeöffneten, unbeweglichen und glänzenden Augen, zu dem innig durchglühten Ton ihrer Stimme.

– Sagen Sie, – fragte endlich Neshdanow, – weshalb haben Sie mich unglücklich genannt? Kennen Sie denn meine Vergangenheit?

Marianne nickte mit dem Kopf.

– Ja.

– Das heißt . . . woher kennen Sie denn dieselbe? Hat Ihnen Jemand von mir gesprochen?

– Ich kenne . . . Ihre Abkunft.

– Sie kennen . . . Wer hat Ihnen gesagt . . .?

– Immer sie – immer dieselbe Valentine Michailowna, von der sie so entzückt sind. Sie konnte es nicht unterlassen, in meiner Gegenwart hinzuwerfen, – wie gewöhnlich flüchtig, aber doch deutlich, und ohne Bedauern, wie eine höchst liberal denkende Persönlichkeit, die über alle Vorurtheile erhaben ist – daß eine ganz eigenthümliche Zufälligkeit im Leben des neuen Lehrers vorhanden sei! Bitte wundern Sie sich nicht: Valentine Michailowna theilt in derselben Weise, eben so flüchtig, doch mit Bedauern fast Jedem mit, daß auch im Leben ihrer Nichte eine eigenthümliche Zufälligkeit existire: man habe ihren Vater für Bestechung nach Sibirien geschickt! So aristokratisch sie auch scheinen möchte – ist sie doch weiter nichts, als ein klatschsüchtiges, gefallsüchtiges Weib – diese Ihre Raphaelische Madonna!

– Erlauben Sie, – bemerkte Neshdanow, – weshalb ist sie denn »meine« Madonna?

Marianne wandte sich von ihm ab und ging weiter.

– Sie haben mit ihr so lange und so viel gesprochen, – sagte sie mit gedämpfter Stimme.

– Es sind kaum zwei Worte über meine Lippen gekommen, – antwortete Neshdanow. – Sie hat die ganze Zeit über allein gesprochen.

 

Marianne setzte ihren Weg schweigend fort. Während sie nun auf dem schmalen Fußpfad, der hier einen Winkel bildete, um die Ecke bogen, öffnete sich vor ihnen plötzlich das Tannenwäldchen und sie sahen eine kleine Wiese vor sich mit einer großen Trauerbirke in der Mitte und mit einer Bank um den ausgehöhlten Stamm des alten Baumes. Sie näherten sich demselben und setzten sich auf die Bank. Ueber ihren Köpfen wiegten sich die lang herabhängenden, mit feinen grünen Blättchen bedeckten Zweige, unten am Boden blühten rings im Kreise die weißen Maiblümchen, und von der Wiese stieg der frische Duft der jungen Gräser auf, der die Brust von dem Druck der beklemmenden Dünste des Tannenwaldes frei und leicht und angenehm löste.

– Sie wollen die hiesige Schule mit mir besuchen,– begann Marianne; – gut, kommen Sie. – Ich weiß nur nicht . . . Es wird Ihnen wenig gefallen. Sie haben gehört, daß der Hauptlehrer – unser Diakon ist. Er ist ein guter Mensch – aber Sie können sich keine Vorstellungen davon machen, was er da in der Schule treibt! Da ist ein Knabe . . . er heißt Garassja . . . eine Waise, er ist zehn Jahr alt, – und denken Sie sich! er lernt am besten von Allen!

Nun, da sie plötzlich zu einem anderen Thema übergegangen war, schien Marianne wie verändert: sie war still und bleich geworden ihr Gesicht drückte Verlegenheit aus, als ob sie sich dessen schäme, was sie vorher gesagt. Sie wollte Neshdanow’s Gedanken offenbar auf irgend eine »Frage« lenken – die Schulfrage, Bauernfrage – nur um nicht im früheren Tone fortfahren zu müssen. Diese »Fragen« interessirten ihn aber im gegenwärtigen Augenblick wenig.

– Marianne Wikentjewna, – begann er, – ich will es Ihnen offen gestehen: ich habe dies Alles nie erwartet . . . was jetzt zwischen uns vorgegangen ist. – Bei dem Worte »vorgegangen« stutzte Marianne. – Mir scheint, daß wir plötzlich . . . einander sehr . . . sehr nahe gerückt sind. Es hat ja auch nicht anders sein können. Wir gehören schon längst zu einander, es wollte nur Keines von uns zuerst sprechen. Daher will ich auch ohne Rückhalt zu Ihnen reden. – Das Leben in diesem Hause ist Ihnen unerträglich; aber Ihr Onkel ist, trotz seines beschränkten Geistes, doch, so weit ich ihn beurtheilen kann, ein humaner Mensch; – begreift er denn Ihre Lage nicht, ist er denn nicht auf Ihrer Seite?

– Mein Onkel? Erstens – ist er überhaupt kein Mensch; er ist ein Beamter – Senator oder Minister – was weiß ich! Zweitens aber . . . ich will nicht grundlos klagen und verleumden, das Leben ist mir hier durchaus nicht unerträglich, das heißt: man bedrückt mich ja gar nicht; aus den kleinen Nadelstichen meiner Tante mache ich mir im Grunde nichts . . . Ich bin vollkommen frei.

Neshdanow sah voll Verwunderung aus Marianne.

– In diesem Falle . . . wäre Alles, was Sie vorhin gesagt . . .

– Lachen Sie über mich, wenn Sie wollen, – unterbrach sie ihn, – denn wenn ich unglücklich bin, so bin ich es durch mich selbst. Mir scheint es zuweilen, daß ich für alle Unterdrückten, Armen und Elenden in Rußland leide . . . nein, nicht leide – sondern entrüstet, empört bin; . . . daß ich für sie . . . mein Leben opfern könnte. Ich bin unglücklich, weil ich als ein Fräulein wie ein Schmarotzer lebe, weil ich nichts, gar nichts thun kann und nichts verstehe! Als mein Vater in Sibirien war – ich blieb mit meiner Mutter in Moskau – o, wie zog es mich damals zu ihm hin! – nicht, daß ich ihn sehr geliebt oder geachtet hätte – aber ich würde so gern an mir selbst erfahren, mit eigenen Augen gesehen haben, wie die Verbannten, Verfolgten dort leben . . . Und wie war ich damals über mich selbst entrüstet und über alle die Ruhigen, Wohlhabenden, Satten! . . . Und später dann, als er zurückkehrte, zerschlagen, an Leib und Seele gebrochen, und sich nun demüthigen, plagen, flehen mußte . . . o, was war das für eine schwere Zeit! Wie gut war es für ihn, daß er gestorben . . . und auch die Mutter! Nun bin ich aber am Leben geblieben wozu? – Damit ich fühle, daß ich ein schlechtes, undankbares Wesen bin, daß kein Auskommen mit mir ist, und daß ich gar nichts thun kann und zu nichts nutz bin!

Marianne brach zusammen – ihre Hand glitt auf die Bank hinab. Sie that Neshdanow so leid – er berührte ihre Hand . . . Marianne zog sie jedoch rasch zurück, nicht weil sie diese Berührung für unschicklich hielt, sondern weil es den Anschein haben könnte, als wolle sie seine Theilnahme herausfordern.

Durch die Zweige des Tannenwäldchens schimmerte in der Ferne ein Frauenkleid.

Marianne richtete sich auf. – Sehen Sie, da hat Ihre Madonna Jemand zum Spioniren ausgeschickt. Das Stubenmädchen muß auf mich Acht geben und ihrer Herrin melden, wo ich mich befinde und bei wem! – Der Tante ist es eingefallen, daß ich mit Ihnen zusammen sein könnte – und sie findet das unpassend – namentlich nach der sentimentalen Scene, die sie vor Ihnen aufgeführt. Es ist übrigens auch wirklich Zeit – kommen Sie! Marianne erhob sich.

Neshdanow stand gleichfalls auf. Sie blickte ihn über die Schulter an und etwas kindlich Reizendes sprach jetzt aus den ein wenig verwirrten Zügen ihres Antlitzes.

– Sie sind mir nicht böse, nicht wahrt Sie werden nicht denken, daß ich gleichfalls schön thun wollte vor Ihnen? Nein, Sie denken es nicht! – fuhr sie fort, noch bevor Neshdanow antworten konnte. – Sie sind ja ganz so wie ich – unglücklich – und unsere Charaktere gleichen sich auch – sie sind beide gleich schlecht. – Und morgen besuchen wir zusammen die Schule, denn wir sind doch gute Freunde!

Als sich Marianne und Neshdanow dem Hause näherten, warf Valentine Michailowna durch ihre Lorgnette von der Höhe des Balkons einen Blick auf die Beiden, nickte ihnen mit dem gewohnten milden Lächeln zu, und als sie dann durch die offene Glasthür in’s Gastzimmer traten, in welchem Ssipjagin bereits mit einem zahnlosen Nachbar am Kartentisch saß, sagte sie, die Silben ausdrucksvoll dehnend mit lauter Stimme:

– Wie es draußen feucht ist! Das ist ungesund!

Marianne und Neshdanow blickten einander an, Ssipjagin aber, der seinen Partner eben remis gemacht, hob das Auge mit einem wahrhaft ministeriellen Blick zu seiner Gemahlin empor, und ließ dann denselben schläfrig-kalten, aber durchdringenden Blick auf das, aus dem dunklen Garten kommende Paar hinübergleiten.