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– Hat Dir Markelow den Brief von Valentine Michailowna gezeigt? – fragte sie endlich.

– Ja.

– Nun, und . . . was sagte er?

– Er? . . . Er ist ein edler, opferfreudiger Mensch! Er . . . – Neshdanow wollte ihr von dem Porträt erzählen – hielt jedoch plötzlich inne und wiederholte: – ein edler Mensch!

– O ja, ja!

Marianne hing wieder ihren Gedanken nach – wandte sich dann aber plötzlich mit einer raschen Bewegung zu Neshdanow.

– Nun, was habt Ihr denn beschlossen? – fragte sie ihn lebhaft.

Neshdanow zuckte die Achseln.

– Ich habe Dir bereits gesagt: gar nichts. Wir müssen noch warten.

– Warten . . . Woraus denn?

– Auf die letzten Instruktionen (»das ist eine Lüge« – dachte Neshdanow.)

– Von wem?

– Von . . . Du weißt . . . von Wassili Nikolajewitsch. Dann müssen wir auch abwarten, daß Ostrodumow zurückkehrt.

Marianne sah ihn fragend an.

– Hast Du diesen Wassili Nikolajewitsch jemals gesehen?

– Zwei Mal vielleicht . . . im Fluge.

– Nun . . . ist es eine bemerkenswerthe Persönlichkeit?

– Wie soll ich Dir sagen? Er ist das Haupt – und verfügt über Alles. Ohne Disziplin geht es ja nicht in einer solchen Sache: hier muß man zu gehorchen verstehen. (»Auch das ist ein Unsinn« dachte Neshdanow.)

– Wie sieht er aus?

– Wie? . . . Es ist eine untersetzte, plumpe Figur mit einem Kalmückengesicht: starke, hervorstehende Backenknochen, rohe Züge, – aber überaus bewegliche Augen.

– Und wie spricht er?

– Er spricht eigentlich wenig, um so mehr befiehlt er aber.

– Wie ist er denn Euer Oberhaupt geworden?

– Weil er ein energischer Mensch ist, der vor nichts zurückschreckt. Wenn es nöthig, ist er selbst zu einem Morde bereit. Daher fürchtet man ihn auch.

– Und wie sieht Ssolomin aus? – fragte Marianne nach einer kleinen Pause.

– Auch er ist nicht gerade schön zu nennen; aber er hat ein einfaches, ehrliches, prächtiges Antlitz, wie man solche zuweilen unter den besseren Seminaristen findet.

Neshdanow fuhr in der Schilderung Ssolomin’s fort, und als er geendigt, schaute ihn Marianne lange, lange an und sagte daraus ganz leise, gleichsam für sich:

– Auch Dein Gesicht ist gut. Mit Dir könnte man wohl leben!

Dies Wort rührte ihn so sehr, daß er von Neuem ihre Hand ergriff und dieselbe an die Lippen führte. . .

– Sei nicht zu liebenswürdig, – versetzte Marianne lachend: sie pflegte immer zu lachen, wenn ihr die Hand geküßt wurde; – Du weißt ja noch nicht: ich habe etwas Schlechtes gethan.

– Was denn?

– Ich bin in Deiner Abwesenheit in Deinem Zimmer gewesen und – habe auf Deinem Tisch ein Heft mit Gedichten gefunden . . . (Neshdanow zuckte: er hatte in der That das Heft aus seinem Tische gelassen) – und ich muß Dir gestehen: ich konnte nicht widerstehen, und habe darin gelesen. . . Die Gedichte sind von Dir?

–Ja; und weißt Du was, Marianne? es kann Dir Dieses ein Beweis sein, wie sehr ich an Dir hänge und wie ich Dir vertraue – ich bin Dir fast gar nicht böse deswegen . . .

– Fast? Also doch ein wenig? – Höre: Du nennst mich immer Marianne; ich kann Dich doch nicht Neshdanow nennen! Von nun an sollst Du Alexei heißen. Aber jenes Gedicht, welches mit den Worten beginnt: »Tritt der Tod an mich heran, lieber Freund« . . . ist es auch von Dir?

– Ja . . . ja. – Aber laß das, ich bitte Dich . . . quäl’ mich nicht!

Marianne schüttelte den Kopf.

– Es ist ein so trauriges Gedicht! . . . Ich hoffe, daß Du es niedergeschrieben, als wir uns noch fremd gegenüberstanden. Die Verse sind jedoch gut – so weit ich’s beurtheilen kann. Mir scheint, daß Du Talent zur Schriftstellerei hast; aber ich weiß – ich weiß es sicher, daß Du zu einem Werke berufen bist, das höher steht, als die Literatur. Das war damals gut – als das Andere noch unmöglich war!

Neshdanow blickte sie an.

– Meinst Du? Ja, ich stimme Dir bei. Besser hier zu Grunde gehen – als dort ein Erfolg!

Marianne erhob sich plötzlich mit Ungestüm.

– Ja, mein Lieber, Du hast Recht! – rief sie mit strahlendem Gesicht, wie erfüllt von dem Feuer des Enthusiasmus, der edlen Rührung großmüthiger Gefühle: – Du hast Recht! – Es kann ja auch sein, daß wir nicht gleich zu Grunde gehen; Du wirst sehen, wir werden hier noch wirken können, wir werden nicht vergebens gelebt haben, wir gehen in’s Volk . . . Verstehst Du irgend ein Handwerk? Nein? Nun, einerlei – wir werden arbeiten, werden ihnen, unsern Brüdern, Alles hingeben – ich werde kochen, nähen, waschen, wenn es nöthig ist . . . Du wirst es sehen . . . Und es wird kein Verdienst sein – sondern nur Glück, Glück . . .

Marianne schwieg; ihr weit in die Ferne gerichtetes Auge – nicht in jene Ferne, welche sich vor ihr ausbreitete, aber in jene unbekannte, unergründete, ungeahnte Ferne – dieses Auge glühte . . .

Neshdanow beugte sich zu ihr herab.

– O Marianne – flüsterte er – ich bin Deiner nicht werth!

Sie fuhr plötzlich zusammen.

– Es ist Zeit, gehen wir! – rief sie – sonst wird man noch Jemand nach uns ausschicken. Valentine Michailowna scheint sich übrigens von mir losgesagt zu haben. In ihren Augen bin ich – ein verlorenes Geschöpf!

Marianne hatte das mit so heller, freudiger Stimme ausgesprochen, daß auch Neshdanow lächeln mußte und unwillkürlich wiederholte: ein verlorenes Geschöpf?

– Du hast sie aufs Tiefste beleidigt, weil Du nicht zu ihren Füßen liegst, – fuhr sie fort. – Das hat nichts zu sagen; was wir aber bedenken müssen . . . Ich werde hier nicht mehr bleiben können . . . Wir müssen fliehen.

– Fliehen? – wiederholte Neshdanow.

– Ja, fliehen . . . Du wirst ja auch nicht bleiben wollen . . . Wir flehen zusammen.

– Wir werden zusammen arbeiten müssen. . . Willst Du mir folgen?

– Bis an’s Ende der Welt! – rief Neshdanow mit klangvoller, vor Erregung und einer fast stürmischen Dankbarkeit zitternder Stimme. – Bis ans Ende der Welt!

– In diesem Augenblicke wäre er ihr wirklich nachgegangen, ohne sich umzuwenden, wohin sie ihn auch geführt hätte!

Marianne fühlte das – und es entrang sich ihr ein kurzer, glückerfüllter Seufzer.

– Da nimm meine Hand aber küsse sie nicht, sondern drücke sie recht fest – wie einem guten Kameraden, einem Freunde . . . so!

Sie erhoben sich und schlugen den Weg nach dem Hause ein – Beide in Gedanken versunken, glücklich – unter ihren Füßen schmiegte sich das junge, weiche Gras, um sie her rauschte das frische Laub; helle Lichter und dunkle Schatten glitten flüchtig längs ihren Kleidern dahin – und sie freuten sich Beide des unruhigen Spiels derselben, der munteren Stöße des Windes, des frischen Glanzes der Blätter – freuten sich der eigenen Jugend, des eigenen Glückes, der eigenen Nähe!

Dreiundzwanzigstes Capitel

Schon erhob sich die Morgenröthe am Himmel, als Ssolomin, nachdem er in der Nacht nach dem Goluschkin’schen Diner ungefähr fünf Werst rüstig zu Fuß zurückgelegt hatte, an die Pforte des hohen Zaunes klopfte, der die Fabrik umgab. Der Wächter ließ ihn sofort ein und führte ihn im Geleite dreier zottiger Kettenhunde, die, mit ihren buschigen Schweifen wedelnd, weit ausholten, mit achtungsvoller Sorglichkeit bis zu dem Flügel des Hauses, in welchem sich seine Wohnung befand. Er freute sich offenbar über die glückliche Heimkehr seines Chefs.

– Warum kommt Ihr bei Nacht, Wassili Fedotitsch? Wir erwarteten Sie erst morgen.

– Das hat nichts zu sagen, Gawrila, bei Nacht geht sich’s besser als am Tage.

Zwischen Ssolomin und den Fabrikarbeitern herrschten gute, wenn auch nicht ganz gewöhnliche Beziehungen: sie achteten ihn als ihren Aeltermann und gingen mit ihm um wie mit Ihresgleichen, wie mit dem Ihren, doch war er in ihren Augen gar kenntnißreich. »Was Wassili Fedotow gesagt – so redeten sie – das steht fest und ist heilig, denn er ist durch jeden Grad der Weisheit durchgegangen und es giebt keinen Engländer, den er nicht in die Tasche steckte!« – In der That hatte einmal irgend ein bedeutender englischer Manufakturist die Fabrik besucht; kam es nun daher, daß Ssolomin mit ihm Englisch sprach oder war er wirklich durch seine Kenntnisse überrascht, jedenfalls klopfte er ihm wiederholt auf die Schulter, lachte und lud ihn zu sich nach Liverpool ein; den Fabrikarbeitern versicherte er aber in seiner gebrochenen Sprache: Gut – diese da – ou! – gut! worüber die Fabrikarbeiter ihrerseits viel lachten, aber nicht ohne Stolz: »Seht, hieß es, den Unseren an! – das ist unsere Art!«

Und er war wirklich ihrer Art – er war der Ihre.

Am andern Morgen früh trat Pawel, Ssolomin’s Liebling, zu ihm in’s Zimmer; er weckte ihn auf, reichte ihm Waschwasser, erzählte dies und jenes und fragte nach diesem und jenem. Darauf tranken sie Beide in aller Eile Thee und Ssolomin ging, nachdem er seinen beschmierten grauen Arbeitskittel angezogen, in die Fabrik – und sein Leben begann wieder sich zu drehen, wie ein großes Schwungrad.

Aber ihm war eine neue Störung beschieden.

Fünf Tage, nachdem Ssolomin in seine Heimath zurückgekehrt war, rollte ein hübscher kleiner Phaëton, mit vier ausgezeichneten Pferden bespannt, auf den Hof der Fabrik, und ein Livrée-Bedienter, ein weißlich-erbsenfarbener Lakai, händigte, von Pawel in den Flügel geführt, Ssolomin feierlich einen Brief mit adligem Siegel ein – von – »Sr. Excellenz Boris Andrejewitsch Ssipjagin.« In diesem Brief, der nicht von Parfüms durchzogen war – Fi! – sondern irgend einen außergewöhnlich anständigen, englischen Gestank an sich trug und, wenn auch in der dritten Person, so doch nicht von der Hand eines Secretärs, sondern höchsteigenhändig vom General selbst geschrieben war, nahm der aufgeklärte Beherrscher des Gutes Arshanoje nach vorhergegangener Entschuldigung, daß er sich an eine ihm persönlich unbekannte Person wende, über die er, Ssipjagin, indeß die schmeichelhaftesten Urtheile gehört habe, sich die »Freiheit,« Herrn Ssolomin, dessen Rathschläge ihm in einem gewissen bedeutenden industriellen Unternehmen sehr wichtig sein könnten, zu sich auf’s Land einzuladen; in der Hoffnung auf die liebenswürdige Einwilligung des Herrn Ssolomin schicke er, Ssipjagin, ihm seine Equipage. Falls es Herrn Ssolomin unmöglich sein sollte, sich an diesem Tage von der Fabrik zu entfernen, so bitte er, Ssipjagin, Herrn Ssolomin ganz ergebenst, einen anderen Tag, ganz nach seinem Belieben, festzusetzen und er, Ssipjagin, werde dann dieselbe Equipage Herrn Ssolomin mit Freuden zur Verfügung stellen. Dann folgten die gewöhnlichen Versicherungen und darauf eine elegante, wahrhaft ministerielle Unterschrift des Namens und Familiennamens, welche sicherlich kein Uneingeweihter jemals hätte entziffern können. Am Ende des Briefes stand ein Postscriptum, schon in der ersten Person: »Ich hoffe, daß Sie meine Bitte nicht abschlagen werden, ganz einfach, im Oberrock bei mir zu speisen.« (Das Wort »einfach« war unterstrichen.)

 

Gleichzeitig mit diesem Brief überreichte der weißlichs erbsenfarbene Lakai Ssolomin mit einer gewissen Verwirrung einen einfachen, nicht einmal versiegelten, sondern verklebten Zettel Neshdanow’s, in welchem nur einige Worte standen: »Kommen Sie, bitte, Sie sind hier sehr nöthig und können sehr nützlich sein, nur freilich nicht Herrn Ssipjagin.«

Nachdem Ssolomin Ssipjagin’s Brief durchgelesen, dachte er: »Wie soll ich denn anders fahren als ganz einfach; einen Frack besitze ich hier auf der Fabrik gar nicht . . . Ja, und was, zum Teufel, soll ich mich dahin schleppen . . . nur um Zeit zu verlieren!« Aber als er Neshdanow’s Zettel durchflogen, kratzte er sich im Nacken und trat unentschlossen an’s Fenster.

– Welche Antwort belieben Sie zu ertheilen? – fragte würdig der Weißlich-Erbsenfarben.

Ssolomin blieb noch eine Weile am Fenster stehen, dann sagte er, die Haare zurückwerfend und mit der Hand über die Stirn fahrend: – Ich fahre, lassen Sie mir Zeit, mich umzukleiden.

Der höchst anständige Lakai entfernte sich, Ssolomin ließ Pawel rufen, besprach sich mit ihm, lief noch einmal zur Fabrik hinüber, zog einen schwarzen Ueberrock mit sehr langer Taille an, den ihm der Gouvernementsschneider gemacht hatte, setzte einen etwas roth gewordenen Cylinder auf, der unverzüglich seinem Gesicht einen hölzernen Ausdruck verlieh und stieg dann in den Phaëton; plötzlich fiel ihm aber ein, daß er keine Handschuhe mitgenommen habe; er rief nach dem »allgegenwärtigen« Pawel und dieser brachte ihm ein Paar eben ausgewaschener sämischlederner Handschuhe, an denen jeder Finger, gegen das Ende ausgeweitet, einem Bisquit glich. Ssolomin steckte die Handschuhe in die Tasche und befahl dem Kutscher, fortzufahren. Dann sprang der Lakai mit einer gewissen, völlig unnöthigen Verwegenheit plötzlich auf den Bock, der wohlgeschulte Kutscher pfiff im Falsett – und die Pferde flogen dahin.

Während sie Ssolomin dem Gute Ssipjagins allmählich näher brachten, plauderte dieser Staatsmann, mit einer halbaufgeschnittenen politischen Broschüre auf den Knieen bei sich im Gastzimmer sitzend, mit seiner Frau über ihn. Er vertraute ihr, daß er ihn eigens deshalb verschrieben, um zu versuchen, ihn von der kaufmännischen Fabrik auf seine eigene zu locken, da diese über die Maßen schlecht gehe und radikale Reformen benöthige! Bei dem Gedanken, daß Ssolomin sich weigere zu kommen oder gar einen anderen Tag bestimme, mochte Ssipjagin nicht verweilen, obgleich er in seinem Brief an Ssolomin ihm selbst die Wahl des Tages frei gestellt hatte.

– Aber wir haben ja eine Schreibpapierfabrik und keine Spinnerei – bemerkte Valentine Michailowna.

– Einerlei, mein Herz: dort sind Maschinen und hier sind Maschinen: und er ist Mechaniker!

– Aber er ist vielleicht Spezialist! – Mein Herz, erstens giebt es in Rußland keine Spezialisten und zweitens – ich wiederhole es Dir – er ist Mechaniker.

Valentine Michailowna lächelte.

– Gieb Acht, mein Freund: Du hast schon ein Mal kein Glück gehabt mit jungen Leuten; wenn Du nur nicht zum zweiten Mal einen Fehlgriff thust!

– Das sagst Du in Betreff Neshdanow’s? Nun, es scheint mir, meinen Zweck habe ich erreicht; für den Kolja ist er ein guter Repetitor. Und dann weißt Du: non bis in idem! Entschuldige, ich bitte, meine Pedanterie. Es heißt das, daß sich zwei Dinge nicht hinter einander wiederholen.

– Meinst Du? Ich denke aber, daß sich Alles auf der Welt wiederholt . . . besonders alles Naturgesetze . . . und vorzugsweise bei jungen Leuten.

– Que voulez-vous dire? fragte Ssipjagin, mit einer runden Handbewegung die Broschüre auf den Tisch werfend.

– Ouvrez las yeux – et vous verrez! antwortete ihm Frau Ssipjagin; im Französischen nannten sie sich natürlich »Sie.«

– Hm! machte Ssipjagin. Das sagst Du in Bezug auf das Studentlein?

– Mit Bezug aus den Herrn Studenten.

– Hm! Hat sich bei ihm hier . . . (er berührte mit der Hand die Stirn) was eingenistet? A?

– Oeffne die Augen!

– Marianne? A? (das zweite A? wurde mehr durch die Nase gesprochen, als das erste.)

– Oeffne die Augen, sage ich Dir!

Ssipjagin runzelte die Brauen. – Nun, das werden wir Alles in der Folge ergründen. Jetzt wollte ich Dir nur Eins sagen . . . Dieser Ssolomin wird wahrscheinlich etwas verlegen sein . . . doch, das ist begreiflich, er ist’s nicht gewohnt. Es wird also nöthig sein, etwas freundlicher mit ihm umzugehen um ihn nicht einzuschüchtern. Ich sage das nicht Deinetwillen; Du bist mir ein Goldstück und wen Du willst, den kannst Du im Moment bezaubern. J’en sais quelque chose, Madame! – Ich sage das um der Anderen willen; und sei es auch nur für den da . . .

Er wies auf einen grauen, modernen Hut, der auf der Etagère stand; dieser Hut gehörte Herrn Kallomeyzew, der sich seit dem Morgen in Arshanoje befand.

– Il est très cassant, weißt Du; er verachtet das Volk gar zu sehr, . . . was ich sehr . . . sehr mißbillige. Außerdem bemerke ich seit einiger Zeit eine gewisse Reizbarkeit, eine Streitsucht an ihm . . . Oder gehen seine Sachen dort (Ssipjagin nickte in unbestimmter Richtung mit dem Kopfe, die Frau verstand ihn aber) nicht vorwärts? Ah?

– Oeffne die Augen . . . sage ich Dir wiederum. Ssipjagin richtete sich auf.

– Ah? (Dieses Ah? war schon ganz anderen Charakters und anderen Tones, weit tiefer.) Also so?! Wenn ich sie dann nur nicht allzu weit öffnet – Das ist deine Sache; aber in Betreff Deines neuen Jungen – wenn er heute nur kommt, – beunruhige Dich nicht; es werden alle Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden.«

Und was geschah ’s Es erwies sich, daß gar keine Vorsichtsmaßregeln nöthig waren. Ssolomin war gar nicht verlegen und nichts weniger als erschreckt. Als der Diener ihn meldete, stand Ssipjagin sofort auf und sagte laut, damit es im Vorzimmer zu hören sei: »Bitte, versteht sich, bitte!i« wandte sich zur Thür des Gastzimmers und blieb dicht vor ihr stehen. Sobald Ssolomin die Schwelle überschritten hatte, streckte ihm Ssipjagin, aus welchen er fast gestoßen wäre, beide Hände entgegen und führte ihn liebenswürdig lächelnd und den Kopf neigend und beugend mit den herzlich gesprochenen Worten – »Ah, wie das freundlich ist . . von Ihrer Seite . . . wie bin ich Ihnen dankbar . . . « zu Valentine Michailowna.

– Das ist mein Frauchen, sagte er, seine Handfläche weich auf Ssolomin’s Rücken drückend, indem er ihn gleichsam Valentine Michailowna näher schob, – und hier, meine Liebe, unser erster hiesiger Mechaniker und Fabrikant Wassili . . . Fedossejitsch Ssolomin.

Frau Ssipjagin erhob sich, schlug ihre wundervollen Wimpern in reizender Weise auf, lächelte ihm zuerst wie einem Bekannten gutherzig zu; dann streckte sie ihm ihr Händchen, die Fläche nach oben, entgegen, indem sie den Ellenbogen an die Taille drückte und das Haupt auf die Seite des Händchens neigte, ganz wie eine Bittstellerin. Ssolomin gab dem Mann wie der Frau Gelegenheit, alle ihre Stückchen vor ihm auszuführen, drückte ihm und ihr die Hand – und setzte sich auf die erste Aufforderung. Ssipjagin fing an sich zu beunruhigen, ob er nicht irgend etwas brauche. Ssolomin erwiderte jedoch, daß er nichts nöthig habe, daß er nicht im Geringsten durch den Weg ermüdet sei und ganz zu seiner Disposition stehe.

– So, daß ich Sie bitten dürfte, sich auf die Fabrik zu bemühen? rief Ssipjagin aus, als ob er sich genire und an eine so große Herablassung seitens des Gastes nicht zu glauben wage.

– Meinetwegen sogleich – antwortete Ssolomin.

– Ach, was für ein liebenswürdiger Mensch Sie sind! Befehlen Sie die Droschke anzuspannen? oder wünschen Sie vielleicht zu Fuß . . .

– Ja, sie ist doch nicht weit von hier, Ihre Fabrik?

– Eine halbe Werst etwa, – nicht mehr!

– Wozu denn da die Equipage anspannen?

– Nun, vortrefflich. He, Diener, meinen Hut, meinen Stock! Schnell! – Du aber, liebe Hausfrau, nimm Dich der Wirthschaft an, richte uns den Mittag zu!

– Den Hut! Ssipjagin regte sich viel mehr auf, als sein Gast. Nachdem er nochmals gesagt: »Ja, wird’s bald – den Hut!« sprang er, der Würdenträger! davon, ganz wie ein muthwilliger Schuljunge. Während er mit Ssolomin sprach, betrachtete Valentine Michailowna diesen »neuen Jungen« verstohlen, aber aufmerksam. – Er saß ruhig auf dem Stahl, die beiden nackten Hände (die Handschuhe hatte er doch nicht angezogen) auf die Kniee gestützt und sah sich ruhig, wenn auch mit Neugier die Möbel, die Bilder an. – Was ist das nur wieder? dachte sie. Ein Plebejer, ein offenbarer Plebejer . . . und wie einfach hält er sich! – Ssolomin hielt sich in der That sehr einfach; nicht so wie Mancher, welcher sich auch so »ganz einfach« hält, immer aber stillschweigend die Aufforderung ergehen läßt: »Guck’ mich an und begreife, was ich für Einer bin!l« sondern wie ein Mensch, dessen Gefühle sowohl, als auch Gedanken aus einem Stück, wenn auch stark sind. Frau Ssipjagin wollte mit ihm zu sprechen anfangen, vermochte sich aber zu ihrem Erstaunen nicht gleich in die Lage zu finden.

»Mein Gott,« dachte sie, »dieser Fabrikarbeiter imponirt mir doch nicht gar?«

– Boris Andrejewitsch muß Ihnen sehr dankbar sein, hub sie endlich an, daß Sie eingewilligt haben, ihm einen Theil Ihrer kostbaren Zeit zu opfern . . .

– So gar theuer ist sie doch nicht, gnädige Frau, – antwortete Ssolomin; ich bin ja auch nicht auf lange zu Ihnen gekommen.

»Voilà où l’ours a montré sa patte,« dachte sie französisch.

Doch in diesem Moment erschien ihr Mann an der Schwelle der geöffneten Thür, den Hut auf dem Kopf und die Reitgerte in der Hand. Halb abgewandt rief er ungezwungen: – Wassili Fedossejitsch! Ist es ihnen gefällig zu kommen?

Ssolomin stand auf, verbeugte sich gegen Valentine Michailowna und folgte Ssipjagin.

– Mir nach, hierher, hierher, Wassili Fedossejitsch! wiederholte Ssipjagin, ganz als ob er sich durch irgend welche Waldschluchten durcharbeitete und Ssolomin einen Führer nöthig habe. – Hierher, hier sind Stufen, Wassili Fedossejitsch.

– Wenn Sie mir schon die Ehre anthun wollen, mich beim Vaternamen zu nennen, sprach Ssolomin ohne sich zu beeilen – ich heiße nicht Fedossejitsch, sondern Fedotitsch.

Ssipjagin sah sich rückwärts, über die Schulter, fast erschreckt nach ihm um.

– Ach entschuldigen Sie, bitte, Wassili Fedotitsch! – Bitte, bitte; es hat nichts zu sagen.

Sie gingen auf den Hof hinaus. – Kallomeyzew kam ihnen in den Weg.

– Wohin geht’s denn? – fragte er mit einem Seitenblicke auf Ssolomin. – Auf die Fabrik? C’est là l’individu en question? Ssipjagin riß die Augen auf und schüttelte zum Zeichen der Warnung leicht mit dem Kopf.

– Ja, auf die Fabrik meine Sünden und Schanden . . . hier dem Herrn Mechaniker zu zeigen. Erlauben Sie, daß ich Sie bekannt mache! Herr Kallomeyzew, hiesiger Gutsbesitzer; Herr Ssolomin . . . Kallomeyzew nickte zwei Mal, kaum merklich, gar nicht aus die Seite Ssolomin’s hin und ohne ihn anzusehen – mit dem Kopf. Jener aber fixirte Kallomeyzew scharf, und in seinen halbgeöffneten Augen leuchtete etwas. . . .

– Darf ich mich Ihnen anschließen? fragte Kallomeyzew. – Sie wissen, ich liebe es, mich belehren zu lassen.

– Gewiß!

Sie gingen vom Hof auf die Straße hinaus, und hatten noch nicht zwanzig Schritte zurückgelegt, als sie den Pfarrgeistlichen sahen, der mit aufgeschürztem Priesterrock heimwärts wandelte, in die sogenannte »Popenslobodka.« Kallomeyzew trennte sich sofort von seinen beiden Gefährten, ging mit großen, festen Schritten auf den Priester zu, der das durchaus nicht erwartet hatte und etwas verlegen wurde, bat um seinen Segen, küßte schallend seine schweißige, rothe Hand und warf zurückgewandt Ssolomin einen herausfordernden Blick zu. Er wußte offenbar »irgend was« von ihm – und wollte sich zeigen und dem gelehrten Strolch eine Nase drehen.

 

– C’est une manifestation, mon cher? – zischte Ssipjagin durch die Zähne.

Kallomeyzew schnaufte.

– Uui, mon cher, une manifestation nécossaire par le temps, qui court!

Sie kamen auf die Fabrik. Ein Kleinrusse mit ungeheurem Bart und falschen Zähnen, der an die Stelle des früheren Verwalters, eines Deutschen, getreten war, welchen Ssipjagin endgültig fortgejagt hatte, kam ihnen entgegen. Dieser Kleinrusse war nur zeitweilig da: er hatte offenbar von nichts einen Begriff und sagte beständig: »ei! ei!«! ’ und »schwatzt der« und seufzte immer

Die Besichtigung des Etablissements begann. Einige Fabrikarbeiter kannten Ssolomin persönlich und begrüßten ihn. Einem sagte er sogar: »Ah, guten Tag, Grigorij, bist Du hier?« Er überzeugte sich bald, daß die Sache schlecht geführt war. Geld war in Masse verausgabt worden, aber ohne Verständniß. Die Maschinen erwiesen sich als schlechter Qualität; viel Ueberflüssiges und Unnützes war vorhanden, viel Nöthiges fehlte. Ssipjagin schaute beständig Ssolomin in die Augen, um seine Meinung zu errathen, that schüchterne Fragen, und wünschte zu erfahren, ob er wenigstens mit der Ordnung zufrieden sei.

– Ordnung ist vorhanden – antwortete Ssolomin – aber ist eine Einnahme möglich? Ich bezweifle es.

Nicht nur Ssipjagin, sogar Kallomeyzew fühlte, daß Ssolomin auf der Fabrik zu Hause, daß ihm alles, bis auf die letzte Kleinigkeit bekannt und vertraut, daß er hier Hausherr sei. Er legte die Hand auf die Maschine, wie der Reiter auf den Hals des Pferdes; er stieß ein Rad mit dem Finger und es blieb stehen oder fing an sich zu drehen; er nahm etwas von dem Gemisch, aus dem Papier gemacht wird, auf die Handfläche – und es zeigte sofort alle seine Mängel. Ssolomin sprach wenig, den bärtigen Kleinrussen sah er nicht einmal an; schweigend auch verließ er die Fabrik. Ssipjagin und Kallomeyzew machten sich zugleich mit ihm auf. Ssipjagin befahl, daß Niemand ihn begleite . . . er stampfte sogar mit dem Fuß und knirschte mit den Zähnen! Er war sehr aufgeregt.

– Ich sehe schon aus Ihrem Gesicht, wandte er sich an Ssolomin, daß Sie mit meiner Fabrik unzufrieden sind und ich weiß selbst, daß sie in einem unbefriedigenden Zustande ist und mir nichts eintrügt; indessen speziell . . . bitte, geniren Sie sich nicht . . . welches sind ihre hauptsächlichsten Fehler? Und was wäre zu thun, um sie zu verbessern?

– Papierfabrikation ist nicht mein Fach, – antwortete Ssolomin; eins kann ich Ihnen aber sagen: industrielle Anstalten sind nicht Edelmanns-Sache.

– Halten Sie diese Beschäftigungen für erniedrigend für den Adel? – mischte sich Kallomeyzew ein.

Ssolomin lächelte mit seinem breiten Lächeln.

– O nein, ich bitte Sie! Was ist daran Erniedrigendes? Und wenn auch etwas Derartiges wäre – der Adel ekelt sich ja nicht davor.

– Wie so? Was heißt das?

– Ich will nur sagen, fuhr Ssolomin ruhig fort – daß die Edelleute an eine solche Art Thätigkeit nicht gewöhnt sind; hier ist kommerzielle Berechnung nöthig; hier muß Alles auf einen anderen Fuß gestellt werden; aushalten muß man. Die Edelleute sehen das nicht ein. Ueberall errichten sie Tuch-, Papier- und andere Fabriken; und wem fallen zu guter Letzt alle diese Fabriken in die Hände? Den Kaufleuten. Schade; denn der Kaufmann ist eben solch’ ein Blutegel; aber es ist nichts dabei zu machen.

– Wenn man Sie hört – schrie Kallomeyzew – so sind unsere Edelleute finanziellen Fragen unzugänglich!

– O im Gegentheil! Die Edelleute sind Meister darin. Die Konzession zum Bau einer Eisenbahn zu erhalten, eine Bank zu gründen, sich irgend ein Privilegium zu verschaffen – oder irgend etwas in der Art – Niemand versteht das so, wie die Edelleute! Sie machen große Kapitalien. Ich spielte gerade darauf an, als sie sich zu ärgern beliebten. Ich hatte aber richtige industrielle Unternehmungen im Sinn; ich sage: richtige, weil eigene Schenken anzulegen und kleine Wechselkrambuden, den Bauern Korn und Geld für hundert und hundert und fünfzig Prozent zu leihen, wie das jetzt viele der adligen Gutsbesitzer thun – weil ich solche Operationen nicht für ein richtiges Finanzgeschäft halten kann.

Kallomeyzew erwiderte nichts. Er gehörte nämlich gerade zu dieser neuen Gattung gutsherrschaftlicher Wucherer, deren Markelow in seinem letzten Gespräch mit Neshdanow gedacht hatte, – und er war um so unmenschlicher in seinen Forderungen, als er niemals persönlich mit den Bauern zu thun hatte – er ließ sie gar nicht in sein parfümirtes europäisches Kabinet hinein, sondern verkehrte mit ihnen durch den Kommis. Die nicht eilige, gleichsam theilnahmlose Rede Ssolomin’s anhörend, kochte er innerlich . . . aber er blieb für dieses Mal still und blos das Spiel der Muskeln auf den Wangen, hervorgerufen durch das Aneinanderpressen der Kinnbacken, verrieth, was in ihm vorging.

– Indeß, erlauben Sie, erlauben Sie, Wassili Fedotitsch – fing Ssipjagin an: – Alles, was Sie uns darlegen, wäre in früheren Zeiten vollkommen gerecht gewesen, als die Edelleute . . . ganz andere Rechte genossen und sich überhaupt in einer anderen Stellung befanden. Warum können die Edelleute setzt aber, nach all den wohlthätigen Reformen in unserer industriellen Zeit nicht ihre Aufmerksamkeit, ihre Fähigkeiten endlich auf solche Unternehmungen richten? Warum sollen sie nicht das begreifen können, was der einfache, häufig sogar ungebildete Kaufmann begreift? An Mangel an Bildung leiden sie nicht und man kann sogar mit Ueberzeugung versichern, daß sie gewissermaßen Repräsentanten der Aufklärung und des Fortschritts sind!

Boris Andrejewitsch sprach sehr gut; seine Beredtsamkeit hätte in St. Petersburg – im Departement – oder sogar noch höher – großen Erfolg gehabt; aber auf Ssolomin machte sie gar keinen Eindruck.

– Es können die Edelleute solche Dinge nicht handhaben – wiederholte er.

– Ja, warum denn nicht? Warum? – schrie Kallomeyzew fast.

– Darum, weil sie eben dieselben Beamten sind.

– Beamte? – lachte Kallomeyzew giftig auf. Sie geben sich, Herr Ssolomin, wahrscheinlich keine Rechenschaft darüber, was Sie zu sagen belieben?

Ssolomin hörte nicht auf zu lächeln.

– Warum meinen Sie so, Herr Kallomeyzew? (Kallomeyzew erzitterte sogar, als er eine solche »Verunstaltung« seines Familiennamens hörte) – Nein, ich gebe mir immer von meinen Worten Rechenschaft.

– So erklären Sie, was Sie mit Ihrer Phrase sagen wollten!

– Gerne; meiner Meinung nach ist jeder Beamte ein Fremdling und war immer ein solcher; und der Edelmann ist jetzt ein Fremdling geworden.

Kallomeyzew lachte noch ärger.

– Entschuldigen Sie, geehrter Herr; das begreife ich durchaus nicht!

– Um so schlimmer für Sie. Strengen Sie sich an . . . vielleicht werden Sie es noch begreifen.

– Geehrter Herr! – Meine Herren, meine Herren – fiel Ssipjagin rasch ein, indem er dabei gleichsam irgend etwas von Oben herab mit den Augen suchte. – Ich bitte, ich bitte . . . Kallomeyzew, ja vous prie de vous calmer. Auch muß ja das Mittagsessen bald fertig sein. Ich bitte meine Herren; mir nach!

– Valentine Michailowna! – jammerte Kallomeyzew fünf Minuten später, in ihr Kabinet stürzend. – Es ist ganz schauderhaft was Ihr Mann angiebt! Ein Nihilist hat sich schon bei uns eingenistet; jetzt hat er den zweiten gebracht! Und dieser ist noch schlimmer.

– Warum denn?

– Ich bitte Sie, er predigt, weiß der Teufel, was; und bemerken Sie dabei eines: eine ganze Stunde hat er mit Ihrem Manne gesprochen und nicht Ein Mal, nicht Ein Mal »Ew. Excellenz« zu ihm gesagt! – Le vagabond!