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Meinen seligen Vater pflegte ein französischer Maler zu besuchen, ein vortrefflicher Maler. Und der hat mich gemalt – es war ein Geschenk für meinen Vater zu dessen Namenstag. Was es für ein prächtiger Franzose war! Er hat uns auch später besucht. – Wenn er in’s Zimmer trat, machte er einen Kratzfuß, schlenkerte dann ein, zweimal mit den Füßen und küßte die Hand; wenn er aber fortging, so küßte er immer die eigenen Fingerspitzen – wahrhaftig! Und grüßte nach rechts und nach links, nach vorn und nach hinten! Es war ein prächtiger Franzose!

Die Gäste lobten sein Bild; Paklin fand sogar, daß es ähnlich sei.

Hier mischte sich aber Thömchen ein und behauptete, daß die jetzigen Franzosen wohl sehr böse Menschen sein müßten! – Weshalb denn? – Aber ich bitte Sie! . . . Was sie jetzt für Namen haben! – Zum Beispiel? – Dieser Name zum Beispiel: Nogeant-Saint-Lorrand! – ist es nicht ein echter Räubername? – Bei dieser Gelegenheit erkundigte sich Thömchen auch, wer denn jetzt eigentlich in Paris regiere. – »Napoleon« – antwortete man ihm. Das wunderte ihn, wie es schien – und betrübte ihn. – Wie denn? . . . Ein so alter Mann . . . fing er an, blickte jedoch befangen um sich – und schwieg. Thömchen verstand fast gar kein Französisch und las Voltaire in der Uebersetzung, ein sorgsam gehüteter Kasten am Kopfende seines Bettes barg eine Abschrift des Candide – er liebte es aber, zuweilen einzelne französische Ausdrücke anzuwenden, wie z.B.: – »das ist, mein Lieber – fausse-parquet! « – in der Bedeutung: »das ist zweifelhaft! das ist falsch! – worüber sehr viel gelacht wurde, bis ein französischer Gelehrter erklärte, daß es ein alter parlamentarischer Ausdruck sei, der in Frankreich bis zum Jahre 1789 im Gebrauch gewesen.

Da gerade über Frankreich und die Franzosen gesprochen wurde, entschloß sich Thymchen, die Herren etwas zu fragen, was sie sehr interessirte. Anfangs wollte sie ihre Frage an Markelow richten, der aber sah böse aus; – Ssolomin hätte sie auch gefragt . . . aber nein! – dachte sie, – das ist ein einfacher Mensch, der wohl gar kein Französisch versteht. Und da wandte sie sich nun schließlich an Neshdanow.

– Was ich von Ihnen erfahren möchte, – begann sie; – entschuldigen Sie mich, bitte! Sehen Sie, mein lieber Verwandten Ssila Ssamssonytsch, der macht sich oft lustig über mich alte Frau und spottet meiner weiblichen Unwissenheit . . .

– Womit kann ich Ihnen dienen?

– Das will ich Ihnen gleich sagen.

Wenn Jemand im französischen Dialekt fragen will: »was ist das?« – muß er wirklich sagen: »Keßkessekessela?«

– Ja.

– Kann er aber auch sagen: »Keßkessela?«

– Er kann auch so sagen.

– Und auch einfach: »kessela?«

– Auch so.

– Und es bedeutet immer dasselbe?

– Ja.

Thymchen blickte nachdenklich zu Boden und schlug die Hände zusammen.

– Nun, lieber Ssila, – sagte sie endlich, – ich habe Unrecht – Du hast Recht.

Aber die Franzosen! . . . Ein tolles Volk!

Paklin bat die Alten, ihm etwas vorzusingen. . . Sie wunderten sich über den Einfall und lachten, erklärten sich jedoch bereit, seine Bitte zu erfüllen. Snandulia müsse sie aber am Spinett begleiten, diese wisse schon, was sie für Lieder sangen! In einer Ecke des Zimmers stand ein ganz kleines Klavier, welches Niemand bemerkt hatte. Snandulia setzte sich an das Spinett, schlug einen Akkord an. . . So hölzerne, schwächliche, marklose Töne hatte Neshdanow noch nie gehört; die Alten begannen:

 
O gaben uns die Götter —
 

sang Thömchen

 
– Ein innig liebend Herz,
Damit wir ach! Empfänden,
Der Liebe tiefen Schmerz?
cht giebt es denn hienieden —
 

antwortete Thymchen —

 
Ein thränenloses Sein
Und ungetrübte Freude?
O nein, o nein, o nein!
 

fiel Thömchen ein —

 
O nein, o nein, o nein!
 

wiederholte Thymchen —

 
Denn Lieb’ ist ohne Leiden
O nie, o nie, o nie!
 

sangen Beide zugleich —

 
O nie, o nie, o nie!
 

schloß Thömchen allein.

» – Bravo! – rief Paklin, – das ist die erste Strophe; nun die zweite.

– Sehr gern, – versetzte Thömchen, – aber wo bleibt denn der Triller, Suandulia Ssamssonowna? Ein Triller ist durchaus nothwendig.

– Gut, – antwortete Snandulia, – Sie sollen den Triller haben.

Thömchen sing wieder an:

 
Wer hat denn je geliebet
Und nicht geseufzt, geklagt,
Wer ist verliebt gewesen,
Der nicht dem Glück entsagt?
 

Darauf fiel Thymchen ein:

 
Es gleicht das Herz dem Nachen,
Der untersinkt im Meer.
Wozu denn ist’s gegeben?
»Zur Qual, zur Qual, zur Qual!«
 

– rief Thömchen – und hielt inne, um Snandulia Zeit zu einem Triller zu geben. Snandulia trillerte, worauf Thymchen einfiel:

 
Zur Qual, zur Qual, zur Qual!
 

Dann sangen sie Beide zugleich:

 
O nehmt das Herz, ihr Götter,
Zurück, zurück, zurück,
Zurück, zurück, zurück!
 

Snandulia schloß mit einem Triller.

– Bravo! bravo! – schrien Alle, außer Markelow, und klatschten mit den Händen.

»Ob sie wohl fühlen, daß man sich über sie lustig macht?« – fragte sich Neshdanow in Gedanken, nachdem man zu klatschen aufgehört. – »Und wenn sie es fühlen, so denken sie vielleicht, daß es ja nichts Böses ist, daß sie es ja nur thun, um Andere zu unterhalten. Und wenn man die Sache bedenkt, so haben sie recht, unzweifelhaft recht!«

Unter dem Einfluß dieser Gedanken fing er an, ihnen allerlei Liebenswürdigkeiten zu sagen, welche sie ziemlich ruhig hinnahmen und blos mit einer kaum merklichen Verbeugung beantworteten . . . In diesem Augenblick aber stürzten aus dem benachbarten Schlaf- oder Mägdezimmer Puffka und die alte Bonne Wassiljewna in den Saal. Puffka schrie und drehte sich im Kreise, die Bonne aber neckte sie und berief sie zugleich.

Markelow, der sich vor Ungeduld nicht mehr halten konnte – Ssolomin dagegen lächelte noch freundlicher als gewöhnlich – fuhr jetzt plötzlich auf Thömchen los.

– Ich habe es nicht von Ihnen erwartet – rief er in seiner heftigen Weise, – daß Ihnen, einem aufgeklärten Geiste – Sie sind ja ein Verehrer Voltaire’s, wie ich gehört habe – das Vergnügen bereiten könnte, was man nur bemitleiden dürfte: – körperliche Gebrechen.

Der buckligen Schwester Paklin’s gedenkend, verstummte Markelow plötzlich, Thömchen aber rückte erröthend die Kappe auf dem Kopfe zurecht und stammelte:

– Ja . . . ich bin es ja nicht . . . sie selbst.

Um, so heftiger fiel aber Puffka selbst über Markelow her.

– Was ist Dir eingefallen? – ertönte ihre laut schnarrende Stimme, – wie darfst Du meinen Herrn beleidigen? Er hat mich armes, verkrüppeltes Mädchen aufgenommen, ich esse, ich trinke, ich wohne bei ihm – und da bist Du neidisch auf mich! Das fremde Brod sticht Dir wohl in die Augen? – Und von wo bist Du gekommen, Du schwarzer, unausstehlicher Taugenichts mit Wanzen wie bei einer Küchenschabe? – Pusska versuchte mit Hilfe ihrer dicken, kurzen Finger zu veranschaulichen, was er für Wanzen habe, während die Bonne Wassiljewna lachend den zahnlosen Mund aufriß. Auch im Nebenzimmer schien Jemand zu kichern.

– Ich bin nicht berufen, Ihr Richter zu sein – wandte sich Markelow wieder zu Thömchen; – Verwachsene und Verkrüppelte aufzunehmen und ihr Leben zu fristen, ist gewiß ein sehr gutes Werk. Erlauben Sie mir jedoch zu bemerken: im Ueberfluß leben, Niemandem schaden und den Finger nicht rühren, um dem Nächsten zu helfen. . . das heißt noch nicht gut sein; in meinen Augen wenigstens ist eine solche Güte und Sanftmuth, aufrichtig gesagt, ganz werthlos!

Als Markelow geendigt, erhob Puffka ein furchtbares Geschrei; sie hatte nichts davon verstanden, was Markelow gesagt, aber sie hatte gemerkt, daß der »Schwarze« ihren Herrn gescholten wie durfte er es wagen! – Die Bonne murmelte auch ein paar unverständliche Worte, Thömchen aber faltete die kleinen Hände auf der Brust und wandte sich fast schluchzend zu Thymchen, – Thymchen, liebes Herzchen, hast Du gehört, was der Herr Gast mir gesagt? Wir sind Sünder, wir Beide, wir sind Bösewichter, Pharisäer . . . wir leben im Ueberfluß, oh! oh! Oh! . . . Auf die Straße sollen wir hinaus, und einen Besen muß man uns in die Hand geben, damit wir arbeiten lernen – oh! Oh! . . .

Als Puffka diese traurigen Worte vernahm, schrie sie von Neuem auf, Thymchen aber kniff die Augen zusammen, zuckte mit den Lippen und hatte schon recht tief Athem geschöpft, um laut aufzujammern . . .

Wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn sich nicht Paklin eingemischt hätte.

– Was ist das? Ich bitte Sie! – rief er lachend, mit den Händen eifrig gestikulirend, – es ist ja eine Schande. – Herr Markelow hatte ja nur gescherzt – da er aber von Natur sehr ernst ist, so schien es, als ob er wirklich zornig sei . . . Und Sie haben es auch gleich geglaubt – Kommen Sie! – Liebe, gute Euthymia Pawlowna, wir müssen jetzt fort – wissen Sie was? nehmen Sie die Karten – und lassen Sie uns hören, was uns in unserem Leben noch bevorsteht! Sie verstehen ja meisterhaft Karten zu legen! – Schwester, hole die Karten.

Thymchen blickte auf ihren Mann, der sich bereits beruhigt hatte; da wurde auch sie plötzlich ruhig.

– Karten, Karten – versetzte sie, – ich verstehe es nicht mehr, mein Väterchen – habe schon lange, lange keine Karten in Händen gehabt . . .

Trotzdem griff sie nach dem alten Spiel L’hombre-Karten in Snandulia’s Hand und fragte:

 

– Wem soll ich denn die Karten legen?

– Allen! – rief Paklin und dachte: »Wie sie doch leicht um den Finger zu wickeln ist . . . eine wahre Pracht!« – Alles, Alles! wiederholte er laut. – Sagt uns, was wir für Menschen sind, was uns bevorsteht, Alles, Alles!

Thymchen begann die Karten zu legen – warf jedoch plötzlich Alles zusammen.

– Ich brauche keine Karten! – rief sie. – Ich kann Euch auch ohne Karten sagen, was Ihr für Menschen seid. Und wie der Charakter, so auch das Schicksal. – Dieser – sie wies auf Ssolomin – ist ein kühler, beständiger Mensch; dieser – sie drohte Markelow mit dem Finger – ist ein warmblütiger, verderblicher Charakter . . . Puffka zeigte Markelow die Zunge; Dir – sie blickte auf Paklin – Dir habe ich nichts zu sagen, Du weißt selbst, was Du bist: ein Windbeutel! Dieser aber . . .

Sie wies auf Neshdanow – und hielt zögernd inne.

– Nun! – drängte er, – bitte, sagen Sie rasch, was ich für ein Mensch bin . . .

– Was Du für ein Mensch bist? versetzte sie gedankenvoll, – ein beklagenswerther Mensch bist Du!

Neshdanow fuhr zusammen.

– Beklagenswerth? Weshalb?

– So! . . . Ich beklage Dich – das ist Alles!

– Warum denn?

– Warum? Weil es mein Auge sieht! – Du glaubst, daß ich eine Thörin bin? Und bin doch klüger als Du – trotz Deiner rothen Haare. – Beklagenswerth bist Du – das ist Alles, was ich Dir sagen kann!

Alle schwiegen blickten sich gegenseitig an und konnten kein Wort hervorbringen.

– Nun, lebt wohl! – platzte Paklin endlich heraus. – Wir haben schon zu lange bei Euch gesessen – und Ihr seid unser wohl überdrüssig. – Es ist auch für die Herren Zeit . . . auch ich werde mich verabschieden.

– Lebt wohl, habt Dank für Eure Güte und Freundlichkeit!

– Lebt wohl, lebt wohl, besucht uns doch wieder – riefen Thömchen und Thymchen zu gleicher Zeit, worauf Thömchen plötzlich den Kirchengesang intonirte:

– Viele, viele, viele Jahre, viele . . .

– Viele, viele – fiel Kalliopytsch ganz unerwartet im tiefen Baß ein, indem er die Thür öffnete. . .

Und die vier jungen Leute standen da aus der Straße vor dem kleinen dickbäuchigen Hause, aus welchem Pusska’s gellende Stimme zu ihnen herüberschallte.

– Narren! – schrie sie, – Narren!

Paklin lachte laut auf; aber Niemand stimmte in sein Lachen ein. . . Markelow ließ in finsterem Ernst die Augen im Kreise der Freunde umhergehen, als ob er eine Aeußerung des Unwillens zu hören erwarte . . .

Ssolomin schmunzelte in seiner gewöhnlichen, ruhigen Weise.

Zwanzigstes Capitel

– Nun meine Herren, – begann Paklin, – machen wir setzt einen kühnen Sprung aus dem XVIII. Jahrhundert direkt in das XX! – Goluschkin ist seiner Zeit so weit vorausgeeilt, daß es unziemlich wäre, ihn noch zum XlX. Jahrhundert zu rechnen.

– Kennst Du ihn denn? – fragte Neshdanow.

– Wo geläutet wird, sind Glocken! – versetzte Paklin.

– Im Uebrigen aber habe ich die Absicht mit Euch zu gehen.

– Aber Du kennst ihn ja gar nicht!

– Bah! Habt Ihr denn meine Inséparables gekannt?

– Du hast uns aber vorgestellt!

– So kannst Du mich auch vorstellen! Zu verheimlichen habt Ihr nichts – und was Goluschkin betrifft, so wird er mich mit offenen Armen empfangen und wird sich freuen, ein neues Gesicht zu sehen! Hier in S. geht es einfach her!

– Ja, brummte Markelow, – man ist hier sehr ungenirt!

Paklin schüttelte den Kopf.

– Das war wohl auf mich gemünzt. . . Ja! Ja! Ich habe diesen Vorwurf verdient. Wissen Sie aber, was ich Ihnen sagen werde, mein lieber neuer Bekannter: bannen Sie für eine kurze Zeit die finsteren Gedanken aus Ihrem Kopf, welche Ihnen Ihr cholerisches Temperament eingiebt. . . Namentlich aber. . .

– Geehrter neuer Bekannter, – brauste Markelow auf, – ich will Ihnen meinerseits . . . in Form einer freundlichen Warnung mittheilen, daß ich kein Freund von heiteren Schwanken bin; am allerwenigsten kann ich aber heute daran Gefallen finden! – Was wissen Sie denn überhaupt von meinem Temperament? – Ich meine, daß wir uns erst seit heute kennen!

– Nun, warten Sie, warten Sie, ärgern Sie sich nicht! – rief Paklin und wandte sich zu Ssolomin: – Sagen Sie mir, Sie, den Thymchen selbst mit dem scharfen Blick einen kühlen Menschen genannt hat – es liegt in der That etwas in Ihnen, was beruhigend wirkt – sagen Sie mir, ob ich denn wirklich die Absicht gehabt, Jemand zu beleidigen – oder durch einen unzeitigen Scherz zu verletzen? – Ich habe ja nur gebeten, mich zu Goluschkin mitzunehmen – und bin ja sonst ein harmloses Männlein. – Bin ich denn schuld, daß Herr Markelow ein gelbes Gesicht hat!

Ssolomin zuckte mit den Schultern, erst mit der einen, dann mit der Andern; das that er gewöhnlich, wenn er nicht gleich antworten wollte.

– Gewiß, gewiß, Herr Paklin, – versetzte er endlich, – Sie können Niemand beleidigen und wünschen es auch nicht; und warum sollten Sie denn nicht mit uns kommen zu Goluschkin? Ich denke, wir werden dort die Zeit nicht weniger angenehm verbringen, als bei Ihren Verwandten – und werden wohl auch eben so viel Nutzen davon haben.

Paklin drohte mit dem Finger.

– Ah! auch Sie haben eine scharfe Zunge, wie ich sehe! – Sie speisen doch auch bei Goluschkin?

– Natürlich! Der heutige Tag ist ja doch verloren!

– Vorwärts dann! »Du avant, marchons!« —! in’s XX. Jahrhundert! in’s XX. Jahrhundert! – Neshdanow, Du Held der Zeit, führe uns!

– Gut, gut! geh’ nur! aber laß Deine Witze, sonst glaubt man, daß Dein Vorrath zu Ende geht.

– Für Euresgleichen hab’ ich noch viel im Sack! – entgegnete Paklin heiter und hüpfte tänzelnd, oder wie er sich ausdrückte »humpelnd« voraus.

– Ein possierlicher Kauz! – bemerkte der Arm in Arm mit Neshdanow hinter ihm herschreitende Ssolomin.

– Sollte man uns nach Sibirien verbannen, – was Gott verhüten möge! – so haben wir wenigstens Jemand, der uns zerstreuen wird!

Markelow folgte ihnen, in tiefes Schweigen versunken.

In Goluschkin’s Hause hatte man unterdessen nach Kräften dafür gesorgt, daß der Mittag so glänzend ausfalle, als nur möglich. Es war unter Anderem eine Fischsuppe gekocht worden, die sehr fettig – und sehr schlecht war; dann waren da verschiedene Fricassses und Pasteten, – Goluschkin hielt sich, trotzdem, daß er ein Altgläubiger war, als ein auf der Höhe europäischer Bildung stehender Mann, an die französische Küche und hatte einen Koch, der aus dem Klub seiner Unreinlichkeit wegen entlassen worden war – vor Allem aber hatte er mehrere Flaschen Champagner kalt steilen lassen.

Goluschkin empfing seine Gäste kurz und laut auflachend, mit den Händen herum fuchtelnd, in der ihm eigenen hastig-plumpen Weise; wie es Paklin richtig vorausgesagt, war Goluschkin hoch erfreut, ihn bei sich zu sehen, erkundigte sich, ob er zu ihrer Partei gehöre und rief ohne eine Antwort abzuwarten: »Versteht sich! Natürlich!« – Darauf erzählte er, daß er eben bei dem »wunderlichen Kauz,« dem Gouverneur, gewesen, der sich, wie eine Klette an ihn hänge und Geld von ihm verlange für einige Wohlthätigkeitsanstalten! Hol’ ihn der Teufel! Es blieb zweifelhaft, was Goluschkin hierbei mehr Freude machte: zu erzählen, daß ihn der Gouverneur empfangen oder sich über denselben in Gegenwart der jungen Leute in heftig grober Weise zu äußern.

Darauf stellte er seinen Gästen den versprochenen Proselyten vor; es ergab sich, daß dieser Proselyt dasselbe schwindsüchtige Männlein war, welches die Freunde schon am Morgen bei Goluschkin gesehen: – Wassja, der Kommis Goluschkin’s.

– Er ist gerade nicht sehr gesprächig, versicherte Goluschkin, indem er mit allen Fingern seiner Hand auf ihn wies, – dafür ist er aber unserer Sache mit ganzer Seele zugethan.

Wasska nickte, verbeugte sich erröthend, schlug die Augen nieder und fletschte verlegen die Zähne, – in einer Weise, daß man vollkommen im Unklaren blieb, ob man einen blöden Thoren vor sich hatte, oder einen durchtriebenen Schelm und Erzschurken.

– Nun, meine Herren, zu Tisch, zu Tisch! – rief endlich Goluschkin und führte seine Gäste in’s Eßzimmer. Gleich nach der Fischsuppe ließ Goluschkin Champagner reichen. In schweren Klumpen talgartigen Eises fiel der gefrorene Wein aus dem Halse der Flasche in die vorgestreckten Pokale. —

– Auf das Gelingen unseres . . . unseres Vorhabens! – rief er, mit den Augen und dem Kopf auf den Diener weisend, als ob er zur Vorsicht mahnen wollte. Der neue Proselyt fuhr konsequent zu schweigen fort; wenn er es auch nicht wagte, sich in der Gegenwart seines Prinzipals gemächlich auf seinen Stuhl niederzulassen und denselben in kriechender Weise stets im Auge behielt – ein Benehmen, welches den Ansichten, denen er nach den Worten des Hausherrn huldigen sollte, stracks zuwiderlief – so trank er doch nach Herzenslust! . . . Um so mehr sprachen die Anderen, d. h. eigentlich nur Goluschkin selbst – und Paklin – namentlich Paklin! Neshdanow ärgerte sich, Markelow schien aufs Tiefste erbittert zu sein, wenn auch in anderer Weise, als bei Thömchen und Thymchen, Ssolomin – schwieg und beobachtete.

Paklin amüsirte sich! Seine kecke Rede gefiel Goluschkin, der es gar nicht ahnte, daß dieses »hinkende Männlein« dem neben ihm sitzenden Neshdanow allerlei beißende Bemerkungen auf seine Kosten zuflüsterte! – Er hielt ihn für ein ganz unbedeutendes Persönchen, das man von oben herab behandeln könne . . . Deshalb gefiel ihm Paklin. Hätte dieser neben ihm gesessen, er würde ihm gewiß in familiärer Weise auf die Schulter geklopft haben, oder ihm mit dem Finger in die Rippen gefahren sein; ja auch so nickte er ihm ununterbrochen über den Tisch; aber es saßen zwischen ihm und Paklin auf der einen Seite Neshdanow und Markelow – diese »finstere Wolke« – auf der anderen – Ssolomin. Um so mehr lachte Goluschkin über jedes Wort, das Paklin über die Lippen kam, spitzte schon vorher in Erwartung des Kommenden den Mund, und schlug mit der Hand auf den Leib, während hinter den halbgeöffneten Lippen das bläuliche Zahnfleisch sichtbar wurde.

Paklin hatte bald begriffen, daß er hier, an diesem Tische, in Goluschkin’s Gesellschaft, nichts besseres thun könne; als über Jeden und Alles zu schimpfen – was er sehr gut verstand – und fiel nun über die Konservativen und über die Liberalen her, über die Beamten und über die Advokaten, über die Gutsbesitzer, über die Männer der Semstwo, des Stadtraths, über Moskau, über St. Petersburg . . .

– Ja, ja, ja, ja! – fiel Goluschkin ein. So ist s es! So! – Unser Stadthaupt zum Beispiel ist – ein kolossaler Esel! Prügeldumm! Ich spreche mit ihm, erkläre ihm Dies und Jenes – und er kann nichts begreifen! Genau wie unser Gouverneur!

– Ist Ihr Gouverneur denn dumm? – fragte Paklin.

– Ich sage Ihnen: ein ganzer Esel!

– Haben Sie nicht bemerkt: wie spricht er gewöhnlich? Mit heiserer Stimme oder durch die Nase?

– Wie meinen Sie? – fragte Goluschkin, der Paklin’s Frage nicht recht zu begreifen vermochte.

– Wissen Sie denn nicht, daß in Russland alle Civilisten von Rang und Ansehen heisere Stimmen haben, während hochgestellte Militärs immer durch die Nase sprechen, und daß nur die höchsten Würdenträger Beides in sich vereinigen?

Goluschkin lachte so heftig, daß ihm die Thränen aus den Augen flossen.

– Ja, ja – stammelte er – durch die Nase . . . durch die Nase . . . er ist ein General!

»Du Tölpel!« – dachte Paklin.

– Alles ist hier faul, Alles, Alles! – rief Goluschkin nach einer kleinen Pause.

– Geehrtester Kapiton Andreitsch – begann darauf Paklin mit lauter Stimme, indem er Neshdanow zugleich leise zuflüsterte: »was haut er denn mit den Armen um sich, als ob ihm der Rock in den Aermeln zu eng wäre!« – geehrtester Kapiton Andreitsch, glauben Sie mir: halbe Maßregeln helfen hier nichts!

– Was für halbe Maßregeln! – schrie Goluschkin, und hörte plötzlich auf zu lachen – mit der Wurzel heraus, anders geht’s nicht mehr! – Wassjka, Du Hund, so trinke doch!

– Ich trinke, Kapiton Andreitsch – antwortete der Kommis, ein Glas Champagner hinunterstürzend.

Goluschkin that desgleichen.

– Viel, daß er nicht platzt! – flüsterte Paklin Neshdanow zu.

– Gewohnheit! – versetzte dieser.

Aber nicht blos der Kommis, auch die Andern tranken Champagner, der auch auf sie seine Wirkung nicht verfehlte, so daß sich auch Neshdanow, Markelow und sogar Ssolomin allmählich in das Gespräch mischten.

Mit einer gewissen Verachtung, mit einer gewissen Erbitterung gegen sich selbst, daß auch er sich dazu hergebe, leeres Stroh zu dreschen, begann Neshdanow davon zu sprechen, daß es Zeit sei, von Worten abzusehen, daß man endlich »handeln« müsse, daß man auch schon den Grund und Boden gefunden, auf dem man zu wirken habe! Gleich darauf verlangte er jedoch – ohne zu bemerken, daß er sich selbst widersprach – daß man ihm die wirklich existirenden, realen Elemente vorführe, auf welche man sich stützen könne, denn er selbst, er sähe sie nicht! »Die Gesellschaft bringt uns keine Sympathie entgegen, das Volk hat kein Verständniß für unsere Bestrebungen . . . da ist jede Arbeit vergebens!« Man widersprach ihm nicht denn es war bereits so weit gekommen, daß Jeder nur für sich selbst sprach, ohne auf den Andern zu achten. – Markelow sprach mit dumpfer, zornerfüllter Stimme, eben so eindringlich wie einförmig – (»als ob er Kohl hacke « bemerkte Paklin), – über alles Mögliche, obgleich man nicht recht verstehen konnte, was er denn eigentlich meinte. In einem ruhigen Augenblick kam ihm plötzlich das Wort »Artillerie« über die Lippen . . . er gedachte wahrscheinlich der Mängel, welche er einst darin entdeckt hatte. Die Deutschen und die Adjutanten bekamen natürlich auch etwas ab. . . . Ssolomin aber bemerkte, daß man auf zweierlei Weise zuschauen könnte: zuschauen – und gar nichts thun, und zweitens: zuschauen – und die Sache langsam fördern.

 

– Eine solche Förderung brauchen wir nicht! – rief Markelow mit finsterer Miene.

– Die Sache der Bildung ist bis setzt nur von oben gefördert worden, – versetzte Ssolomin, – versuchen wir es setzt von unten.

– Wir brauchen es nicht, zum Teufel damit! – fiel Goluschkin wüthend ein – es muß Alles auf ein Mal gemacht werden! Auf ein Mal!

– Sie wollen somit durch’s Fenster springen?

– Und ich werde auch springen! – schrie Goluschkin. – Ich werde springen! – Und Wassjka wird ebenfalls springen! – Wenn ich’s befehle, springt er sofort! Wassjka! Springst Du? Ja?

Der Kommis leerte sein Glas.

– Wie Sie befehlen, Kapiton Andreitsch. Was Sie thun – thun wir auch!

– So, so! Sonst würde ich Euch auch kurz und klein schlagen! Bald waren Alle in jenem Zustande, den man in der Sprache der Trinker die Periode der »babylonischen Sprachverwirrung« zu nennen pflegt. Alle sprachen durcheinander und Keiner verstand den Andern. Wie im Herbst die ersten Schneeflocken in der noch warmen Lust umherwirbeln und vergehen, so drängte auch in der erhitzten Atmosphäre von Goluschkin’s Eßzimmer ein Wort das andere: Progreß, Regierung, Literatur, Steuerfrage, religiöse Frage, Frauenfrage, Gerichtsfrage; Klassizismus, Realismus, Nihilismus, Kommunismus; Internationale, Klerikale, Liberale, Kapitale; Administration, Organisation, Assoziation und sogar Krystallisation! – Goluschkin schien über das laute Geschrei in Entzücken zu gerathen; das war ihm ja das Wesentliche an der Sache . . . Er triumphirte! – »Achtung! Platz da, wem das Leben lieb ist! Kapiton Goluschkin kommt gefahren!« – Wassjka, der Kommis, war so berauscht, daß er anfing, mit seinem eigenen Teller zu reden und zu lachen – dann aber plötzlich wie ein Wahnsinniger auffuhr und mit laut schallender Stimme dazwischenschrie: »Was ist das, zum Teufel – Progymnasium?!?«

Auch Goluschkin erhob sich; neben der rohen Selbstgefälligkeit, die aus seinem stark gerötheten Gesicht sprach, kam jetzt noch ein anderes Gefühl auf demselben zum Ausdruck: das Gefühl einer geheimen Furcht, ja eines, geheimen Bebens; den Kopf zurückwerfend, rief er mit » kreischender Stimme: »Ich opfere noch tausend Rubel! – Wasska, schaff’ das Geld her!« worauf Dieser still vor sich hinmurmelte: – »Nur zu!« Paklin aber sprang leichenblaß und in Schweiß gebadet von seinem Platze auf (er hatte während der letzten Viertelstunde nicht weniger getrunken, als der Kommis) und rief, die Hände erhebend und die Worte langsam hervorstoßend: – Ich opfere! . . . Ich opfere! hat er gesagt! – Oh über die Entweihung des heiligen Wortes! – Das Opfer! Niemand wagt sich bis zur Idee des Opfers zu erheben, Niemand vermag die Pflichten zu erfüllen, welche das Opfer auferlegt, wenigstens Keiner von Denen, die im gegenwärtigen Augenblick hier versammelt sind; – dieser selbstgefällige Tölpel aber, dieser elende Sack, schüttelt seinen aufgedunsenen Wanst, daß eine Handvoll Rubel herausfällt, und schreit: ich opfere! verlangt, daß man ihm die Hände küsse und erwartet einen Lorbeerkranz! O Schurke!!

Goluschkin hatte entweder nicht recht gehört oder nicht recht verstanden, was Paklin gesagt, oder vielleicht auch gedacht, daß er nur im Scherz geredet, kurz – er wiederholte noch ein Mal: – »Ja! tausend Rubel! Was Kapiton Goluschkin gesagt, das thut er!« Er griff in die Seitentasche. »Da ist das Geld, da! Nehmt es, freßt, schlingt herunter – und gedenkt Goluschkin’s!« Wenn er einigermaßen aufgeregt war, sprach er von sich, wie kleine Kinder thun: immer nur in der dritten Person. Markelow sammelte schweigend die auf das übergossene Tischtuch geworfenen Kassenscheine, worauf sich Alle erhoben, nach ihren Mützen griffen und sich verabschiedeten.

Als sie an die Luft kamen, überfiel sie ein leichter Schwindel – Paklin namentlich war es zu Muthe, als ob sich Alles im Kreise um ihn drehe.

– Nun? – wohin denn jetzt? – brachte er nicht ohne Anstrengung heraus.

– Das weiß ich nicht – antwortete Ssolomin. – Ich für meine Person, ich gehe nach Hause.

– Auf die Fabrik?

– Auf die Fabrik.

– Jetzt, in der Nacht und zu Fuß?

– Was ist denn dabei? – Hier giebt’s weder Wölfe noch Räuber, und zu gehen verstehe ich!

– In der Nacht ist’s noch kühler!

– Es sind ja vier Werst bis zur Fabrik!

– Und wenn es auch fünf wären – auf Wiedersehen, meine Herren!

Ssolomin knöpfte seinen Rock zu, drückte die Mühe in«s Gesicht, tauchte eine Cigarre an und ging mit großen Schritten die Straße hinauf.

– Und Du? – wandte sich Paklin zu Neshdanow.

– Ich gehe zu ihm. – Er wies auf Markelow, der mit auf der Brust gekreuzten Armen unbeweglich dastand. – Unsere Equipage steht hier in der Herberge. . .

– Nun gut . . . ich aber, Freund, ich kehre in meine Oase zurück, zu Thömchen und Thymchen! Und weißt Du, was ich Dir sagen werde? Was wir dort gesehen, war unsinnig – und was wir hier gesehen, war auch unsinnig. . . Aber jene Unsinnigkeit, die Unsinnigkeit des 18. Jahrhunderts, liegt dem Wesen des russischen Charakters näher, als dies 20 Jahrhundert. – Lebt wohl, meine Herren, und nehmt mir nicht übel . . . ich bin berauscht! . . . was ich Euch noch sagen werde! Es giebt in der ganzen Welt kein weibliches Wesen, das so gut wäre, wie meine Schwester. . . Snandulia und doch ist sie bucklig . . . und heißt Snandulia! So geht’s ja immer in der Welt! – Uebrigens . . . trägt sie ihren Namen: mit Recht. – Wißt Ihr, wer die heilige Snandulia war? – Eine barmherzige, tugendhafte Frau, weiche in den Gefängnissen umherging und die Eingekerkerten und Kranken pflegte! – Lebt wohl, es ist Zeit! – Leb’ wohl, Neshdanow – beklagenswerther Mensch! Und auch Du, Offizier . . . huh, wie schrecklich! leb’ wohl!

Wackelnd und hinkend schleppte er sich in seine Oase. – Markelow und Neshdanow aber suchten die Herberge auf, in welcher sie den Tarantaß gelassen; – eine halbe Stunde darauf rollte ihre Equipage auf der Landstraße dahin.