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Achtzehntes Capitel

Litwinow eilte rasch die Treppe des Hotel de l‘Europe hinauf. Ein Mädchen von etwa dreizehn Jahren, mit einem schlauen Kalmuckengesicht, die augenscheinlich auf ihn gewartet hatte, hielt ihn an, indem sie ihm russisch zurief:

»Kommen Sie gefälligst hier herein, Irina Pawlowna wird sogleich hier sein.«

Er blickte sie verwundert an.

»Kommen Sie nur, kommen Sie nur rasch,« wiederholte sie, schlau ihm zulächelnd und führte ihn in ein kleines Gemach, Irinens Schlafzimmer gegenüber, voll von Reisekoffern und anderen Effecten; sie selbst verschwand dann, vorsichtig die Thür zumachend.

Litwinow hatte kaum Zeit sich umzusehen, als dieselbe Thür sich öffnete und Irina, im rosafarbenen Ballkleide, Geschmeide im Haar und am Halse, hereinstürzte, auf ihn zueilte, ihn bei den Händen ergriff und einige Augenblicke lang sprachlos anblickte; ihre Augen glänzten und ihre Brust wogte hochauf, gerade als ob sie einen Berg hinaufgelaufen wäre.

»Ich konnte Sie nicht dort bei mir aufnehmen,« sagte sie hastig und leise flüsternd, »wir fahren sogleich zu einem Galadiner, aber ich mußte Sie jedenfalls heute noch einmal sehen. – — Nicht wahr, das war Ihre Braut, mit welcher Sie vorhin in der Allee spazieren gingen?«

»Das war meine Braut,« antwortete Litwinow, das Wort »war« betonend.

»Nun eben deshalb mußte ich Sie durchaus sehen, um Ihnen zu sagen, daß Sie vollkommen frei sind, daß Alles, was gestern zwischen uns vorgegangen, Sie nicht binden, in nichts Ihre Entscheidung ändern darf . . .«

»Irina!« rief Litwinow laut und leidenschaftlich »was sagst Du?!«

Unwillkürlich und ängstlich blickte Irina nach der Thür.

»Ach theuerster Freund,« fuhr sie flüsternd, aber ebenfalls durch seine Leidenschaftlichkeit hingerissen fort, »Du weißt nicht, wie ich Dich liebe, aber erst seit gestern ist meine alte Schuld bezahlt, mein Vergehen gesühnt . . . Meine erste Jugend konnte ich Dir leider nicht zurückgeben; doch darf nun keine Verpflichtung Dich fesseln, keine Last darf ich Dir auferlegen. Thue, wie Du willst, Du bist frei wie die Luft, durch nichts gebunden, – das wisse!«

»Kann ich denn aber ohne Dich leben, Irina?« unterbrach sie flüsternd Litwinow; »seit gestern bin ich auf ewig und unzertrennlich der Deinige. Nur zu Deinen Füßen kann ich athmen . . .«

Er fiel ungestüm zu ihren Füßen.

Irina blickte entzückt auf ihn herab.

»Nun, so wisse denn,« flüsterte sie, »daß auch ich zu jedem Opfer bereit bin. Es geschehe, wie Du entscheidest. – Auf ewig bin auch ich die Deine – die Deine.«

Vorsichtig wurde jetzt an die Thür geklopft.

Irina beugte sich über ihn herab, flüsterte noch einmal: »Die Deine – leb’ wohl!« und er fühlte auf seinem Haar ihren Athem, ihr Mund berührte seine Stirn.

Als er sich wieder aufrichtete, hatte sie das Zimmer verlassen, man hörte nur das Rauschen ihres Kleides im Corridor und von Weitem die Stimme Ratmirows: »Eh bien! Vous ne vebez pas?«

Litwinow setzte sich auf einen hohen Koffer und bedeckte sein Gesicht. Der feine, süße Wohlgeruch, der ihn noch umwehte, ihre Hand, die eben noch in der seinigen ruhte, ihre Hingebung hatten ihn berauscht. »Zu viel!« dachte er.

Das Mädchen mit dem schlauen Gesicht trat wieder ein, lächelte auf seinen unruhig fragenden Blick und sagte dann:

»Jetzt machen Sie aber rasch . . .«

Er stand auf und verließ den Gasthof.

Nach Hause zurückkehren, daran war jetzt nicht zu denken, dazu schlug ihm das Herz zu heftig..

Litwinow begab sich wieder in die Lichtenthaler Allee. Er begriff, daß der schwere Augenblick gekommen, wo er sich Tatiana entdecken müsse – sein gerader Charakter verwarf jeden Gedanken an Verheimlichung. Wie er aber der treuen, vertrauenden Seele, seiner Braut, entgegentreten solle, das wußte er selbst noch nicht; Eins nur blieb ihm klar: daß es geschehen müsse, und zwar bald.

»Gregor Michailitsch,« hörte er plötzlich seinen Namen nennen, und eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter.

Er blickte sich etwas erschreckt um, hinter ihm stand Potugin.

»Verzeihen Sie mir« Gregor Michailitsch,« hub dieser mit seinem gewöhnlichen wehmüthigen Tone an, »vielleicht incommodire ich Sie, doch . . .«

»Im Gegentheil,« brummte Litwinow, der in diesem Augenblick lieber allein gewesen wäre, zwischen den Zähnen.

»Ein herrlicher Abend, wie warm! Sie spazieren schon lange?«

»Nein, noch nicht lange.«

»Was frage ich auch, habe ich Sie doch unlängst aus dem Hotel de l’Europe kommen sehen.«

»So? Also gingen sie hinter mirs.«

»Ja.«

»Sie haben mir etwas zu sagen?«

»Ja,« antwortete Potugin kaum hörbar.

Litwinow blieb stehen und blickte seinen ungebetenen Gesellschafter an. Dessen Gesicht war bleich, seine Augen irrten unstät umher, alter, vergangener Kummer schien in seinen Zügen wieder hervorzutreten.

»Was haben Sie mir denn mitzutheilen?« fragte Litwinow langsam weitergehend.

»Gleich, erlauben Sie, gleich werde ich die Ehre haben, – wenn es Ihnen aber einerlei ist, so setzen wir uns. Es spricht sich besser.«

»Das läßt sich geheimnißvoll an,« antwortete Litwinow sich setzend. »Sie scheinen aufgeregt, Herr Potugin?«

»Nein, mir fehlt nichts, und Geheimnißvolles bringe ich auch nicht. Ich wollte Ihnen eigentlich nur – den Eindruck mittheilen, den Ihre Braut auf mich hervorgebracht hat – sie ist doch, meine ich, Ihre Braut – jene junge Dame, der Sie mich heute vorstellten? Ich fühle mich gedrungen, Ihnen zu sagen, daß ich in meinem ganzen Leben keinem mehr Sympathie einflößenden Wesen begegnet bin. Ein Herz wie Gold mit der Seele eines Engels.«

Potugin sagte diese Worte mit einem traurig bittern Ausdruck im Gesicht, der selbst Litwinow auffiel, und der wenig mit den eben ausgesprochenen Worten harmonirte.

»Sie haben vollkommen Recht mit Ihrer Bemerkung,« antwortete Litwinow, »obgleich ich mich wundern muß, woher Sie meine Beziehung zu Fräulein Tatiana kennen und wie Sie deren Charakter so rasch erkannt haben. Uebrigens – ist es das, worüber Sie mit mir reden wollten?«

»Man kann sich nicht irren,« fuhr Potugin ausweichend fort, »man braucht nur einmal in dieses klare Auge zu schauen, um die reine Seele zu erkennen. Sie verdient glücklich zu werden«,verdient« daß der, den sie sich erwählt hat, auch ihrer würdig ist.«

Litwinow runzelte die Stirn.

»Erlauben Sie,« sagte er, »ich muß gestehen, unsere Unterhaltung wird ziemlich originell. – Ich möchte wissen, ob die Anspielung in Ihren Worten auf mich gemünzt ist?«

Potugin antwortete nicht gleich; er kämpfte sichtlich mit sich selbst.

»Gregor Michailitsch,« hub er endlich an, »ich müßte mich sehr in Ihnen getäuscht haben, oder Sie sind der Mann, der im Stande ist« die Wahrheit ungeschminkt anzuhören, wie bitter sie auch sein mag. – Ich habe Ihnen eben gesagt, daß ich gesehen habe, woher Sie kamen.«

»Nun – und weiter?«

»Sie haben Madame Ratmirow besucht.«

»Nun ja, ich war bei ihr. Was weiter?«

»Was weiter? – Sie, Tatiana Petrowna’s Bräutigam, haben Madame Ratmirow besucht, die Sie lieben – die Sie liebt!«

Litwinow erhob sich rasch von der Bank, das Blut stieg ihm zu Kopfe.

»Was!« stieß er endlich zornig, sich aber zurückhaltend hervor. »Erklären Sie sich« was soll dieses Spioniren?«

Potugin warf ihm einen traurigen Blick zu.

»Ach, ereifern Sie sich nicht über meine Worte, Gregor Michailitsch, mich können Sie nicht beleidigen. Darum auch rede ich nicht mit Ihnen, und zu scherzen bin ich nicht aufgelegt.«

»Vielleicht, vielleicht! Ich glaube an die Reinheit Ihrer Absicht; mit welchem Rechte aber mischen Sie sich in meine privaten Angelegenheiten – und dann, worauf gründen Sie diese Erfindungen, die Sie mit solcher Bestimmtheit aussprechen?«

»Erfindungen? – Wenn es wirklich Erfindungen wären« so würden Sie sich nicht beleidigt, getroffen fühlen, und was das Recht betrifft, so habe ich noch nicht gehört, daß ein Mensch nach diesem erst fragt, wenn es gilt, einem Ertrinkenden die Hand zu reichen.«

»Ich danke ergebenst für Ihre Sorge um mich,« rief Litwinow aufbrausend; »leider nur bedarf ich deren nicht, ich bin kein unerfahrener Jüngling, und Irina Pawlowna ist eine Dame von Welt; – Ihre Worte aber sind nur leeres Gewäsch ohne Sinn und Verstand, daher ersuche ich Sie, sich nicht weiter zu bemühen und mich ruhig ertrinken zu lassen.«

Potugin hob seinen Blick wieder zu Litwinow empor. Er seufzte schwer und tief, seine Lippen bebten.

»So blicken Sie mich doch nur an,« junger Mann, stieß er mühsam hervor, »sehe ich wohl aus wie ein Sittenprediger, dem es nur darum zu thun ist, Moral zu predigen. Begreifen Sie denn noch immer nicht, daß, wie groß auch immer der Antheil sein möchte, den ich an Ihnen nehme, ich doch keine Silbe in dieser Angelegenheit verschwendet haben würde, wenn nicht ganz andere Gründe mich dazu nöthigten. – Sehen Sie denn nicht, daß vor Ihnen sich ein zerschlagener, zertretener, vollkommen zu Grunde gerichteter Mensch befindet, – vernichtet und zu Grunde gerichtet durch dasselbe Gefühl, vor welchem er Sie schützen möchte, und – — durch dasselbe Weib!«

Litwinow trat einen Schritt zurück.

»Ist es möglich? – Was sagen Sie? – Sie? – Sie? – Aber Madame Belsky, – aber jenes Kind? . . .«

»Ach fragen Sie mich nicht – glauben Sie mir – das ist eine düstere, schreckliche Geschichte, die ich Ihnen nicht erzählen werde. – Madame Belsky habe ich kaum gekannt, dieses Kind ist nicht das meinige, ich habe es zu mir genommen – weil – weil »sie« es so wollte, weil es »ihr« nöthig war. Warum wäre ich wohl hier in diesem Baden, welches mich anekelt? Keinen Augenblick bliebe ich ja hier. – Und was das Mitgefühl betrifft, welches Sie bei mir für Sie voraussetzen, nie hätte es mich doch verleitet, Sie zu warnen, mich in Ihre Angelegenheit zu mischen. – Mich jammert allein jenes edle, unschuldige, junge Mädchen, – übrigens, was geht mich auch die Zukunft an, die Ihnen Beiden bevorsteht, – nur für »sie« allein, – für »sie« allein fürchte ich! . . .«

 

»Viel Ehre, Herr Potugin, hub Litwinow an, »viel Ehre für uns; – da wir uns aber Beide, wie Sie sagen, in gleicher Lage befinden, so scheint’s mir doch fast, als ob vielleicht ein anderes Gefühl die Ursache Ihrer Ermahnung ist . . .«

»Eifersucht, wollen Sie sagen? – Ach, junger Mann, schämen Sie sich, nicht zu verstehen, welch ein Kummer aus mir spricht. – Nein, unsere Lage ist nicht gleich! Ich bin ein alter, lächerlicher, vollkommen unschädlicher Sonderling. – Sie aber – — doch was ist da viel zu reden. – Und Eifersucht?! Der, welcher nie im Leben die geringste Hoffnung hatte, noch hat, ist nicht eifersüchtig. – Nur für »sie« fürchte ich, verstehen Sie« für »sie«. – Hätte ich doch ahnen können, was daraus entstehen würde, als sie mich zu Ihnen sendete!«

»Erlauben Sie, Sie thun, als ob Sie wüßten . . .«

»Ach was, ich weiß nichts und ich weiß Alles,« unterbrach er Litwinow, indem er sich verlegen abwendete; »ich weiß, wo sie gestern war! Aber jetzt ist für sie kein Halt, keine Rettung mehr. – Wie ein rollender Stein bis in den Abgrund! – Und Sie! Von Ihnen hoffte ich, daß meine Worte, – die Liebe eines Engels Sie zurückhalten würden! – Doch genug davon! – Auch das muß durchgemacht, muß überwunden werden. Wer weiß übrigens, vielleicht fällt doch eins meiner Worte in Ihr Herz, vielleicht wollen Sie ein edles Geschöpf, das Sie liebt, nicht unglücklich machen. – Ach, zürnen Sie nicht und stampfen Sie nicht vor Aerger mit dem Fuße. Ich fürchte dergleichen nicht. – Zu Füßen will ich Ihnen fallen, wenn – — Doch, wie Gott will, leben Sie wohl. Fürchten Sie von mir nichts, ich habe schweigen gelernt.«

Potugin stürzte aufgeregt die Allee hinunter und verschwand im Dunkel. – Litwinow hielt ihn nicht zurück.

* * *

»Eine düstere, schreckliche Geschichte,« nannte Potugin die Begebenheit« die er Litwinow nicht erzählen wollte. Wir wollen sie nur mit ein paar Worten berühren.

Vor etwa acht Jahren wurde Potugin zeitweise von dem Ministerium, in welchem er diente, dem Grafen Reisenbach zucommandirt. Es war gerade Sommerszeit. Potugin fuhr mit den Geschäftspapieren gewöhnlich zu ihm auf die Sommervilla, wo er dann den Tag über zubrachte.

Irina lebte in jener Zeit im Hause des Grafen. Sie war sehr herablassend und freundlich im Allgemeinen gegen Niedrigerstehende, worüber die Gräfin, die dergleichen übergroße Moskauer Familiarität nannte, ihr oft Strafreden hielt.

Irina hatte bald in diesem, stets im bis oben zugeknöpften Uniformrock erscheinenden bescheidenen Beamten den klugen, guten Menschen erkannt. Oft und gern unterhielt sie sich mit ihm – und er – er verliebte sich tief, sterblich, heimlich in sie. Heimlich, so meinte er!

Der Sommer verging. Der Graf bedurfte ferner keines Secretärs Potugin verlor Irina aus dem Gesicht, konnte sie aber nie vergessen.

Drei Jahre später erhielt er ganz unerwartet eine Aufforderung, eine ihm sonst nur wenig bekannte Dame aus dem Mittelstande zu besuchen.

Die Dame war anfangs etwas verlegen, ihm ihre Mittheilung zu machen; nachdem sie ihm aber sein Ehrenwort abgenommen, über das ihm Anzuvertrauende unverbrüchlich zu schweigen, trug sie ihm die Hand eines jungen Fräuleins an, die eine hohe Stellung in der Gesellschaft bekleide, welcher aber eine Verheirathung zur unumgänglichen Nothwendigkeit geworden sei.Die Hauptperson wurde von der Dame nur im Allgemeinen erwähnt, ihm, Potugin aber ein hübsches Vermögen zugesichert, falls er seine Einwilligung gäbe.

Potugin äußerte kein Wort, wie gekränkt er sich auch fühlte; nur wies er entschieden den Vorschlag zurück.

Da übergab ihm die Dame ein Billet – von Irina.

»Sie sind ein edler, guter Mensch,« schrieb sie, »und ich weiß, meinetwegen werden Sie dieses Opfer bringen; ich bitte Sie darum. Sie werden mir ein theures Wesen retten. Wenn Sie sie retten, retten Sie auch mich. – Fragen Sie nicht wie. – An Niemanden anders als an Sie, konnte ich mich entschließen, diese Bitte zu richten, Ihnen aber strecke ich meine Hände entgegen: stoßen Sie sie nicht zurück! Willigen Sie ein, meinetwegen!« —

Potugin überlegte« dann sagte er:

»Für Irina Pawlowna bin ich bereit, jedes Opfer zu bringen, nur wünsche ich, ihren Wunsch aus ihrem eigenen Munde zu vernehmen.«

Die Zusammenkunft fand noch an demselben Abend statt; sie dauerte nicht lange, und Niemand erfuhr etwas von derselben, jene Dame ausgenommen.

Irina wohnte damals schon nicht mehr im Hause des Grafen Reisenbach.

»Warum haben Sie sich meiner gerade erinnert?« fragte sie Potugin.

Sie fing zuerst an von seinem edlen Charakter zu reden, dann aber sagte sie plötzlich:

»Nein, das ist nicht recht, Ihnen bin ich die Wahrheit schuldig. Ich wußte, ich weiß es noch, daß Sie mich lieben, – darum habe ich mich entschlossen – —« Und nun erzählte sie ihm die ganze Geschichte.

Elise Belsky war eine Waise; ihre Verwandten liebten sie nicht und rechneten darauf, sie zu beerben – ihr Untergang war unvermeidlich!

Potugin blickte Irina lange schweigend an – und willigte ein. Sie weinte und umarmte ihn, Thränen in den Augen, Auch er weinte – seine Thränen aber waren anderer Art.

Schon war Alles zur heimlichen ehelichen Verbindung angeordnet, alle Hindernisse aus dem Wege geräumt. Da kam eine Krankheit – eine Tochter wurde geboren – die Mutter vergiftete sich. – Was sollte aus dem Kinde werden? Potugin nahm es zu sich, nahm es aus Irinens Händen.

Eine düstere, schreckliche Geschichte. – Weiter, Leser, weiter!

Mehr als eine Stunde verging, ehe Litwinow sich entschloß, in seinen Gasthof zurückzukehren. Er näherte sich demselben bereits, als er Schritte hinter sich hörte. Jemand schien ihn hartnäckig zu verfolgen und die Schritte zu verdoppeln, sobald er schneller ging. Als er in die Nähe einer Laterne kam, sah er sich um und erkannte den General Ratmirow.

In weißem Halstuch, elegantem offenen Paletot, verschiedene Sternchen und Kreuze an einem goldenen Kettchen des Frack, kehrte der General vom Galadiner – allein nach Hause zurück.

Den Blick gerade und fest auf ihn gerichtet, drückte derselbe so viel Haß und Verachtung aus, daß Litwinow unwillkürlich stillstand, nichts Anderes als eine Beleidigung oder eine Herausforderung erwartend.

Kaum aber war er Litwinow nahe gekommen, so verwandelte sich sein Blick plötzlich wieder erschien jenes spöttische Lächeln, und die Hand mit dem hellvioletten Handschuh hob den glänzenden schwarzen Cylinderhut grüßend hoch empor.

Litwinow zog schweigend den seinigen – und Jeder ging seines Weges.

Tatiana spielte mit ihrer Tante Piquet, als Litwinow in ihr Zimmer trat.

»Du machst es aber hübsch, Freundchen,« rief die Tante und warf die Karten auf den Tisch, »am ersten Tage gleich den ganzen Abend zu verschwinden! Haben wir auf Dich gewartet und gewartet und Dich tüchtig gescholten!«

»Ach, Tantchen, ich habe nichts gesagt,« bemerkte Tatiana.

»Nun, Du bist ja immer ein geduldiges Lamm. – Schämen Sie sich, mein Herr! – Und noch dazu ein Bräutigam!«

Litwinow suchte sich, so gut es ging, zu entschuldigen, und man setzte sich an den Tisch.

»Warum aber hören Sie auf zu spielen? fragte er nach längerem Schweigen.

»Weil wir nur aus langer Weile angefangen haben – jetzt sind Sie ja aber gekommen.«

»Wenn Sie Lust haben, die Abendmusik zu hören,« fuhr Litwinow fort, »so werde ich mir ein besonderes Vergnügen daraus machen, Sie hinzuführen.«

Die Tante sah ihre Nichte an.

»Kommen Sie, Tantchen,« sagte diese, »ich bin bereit; – wäre es aber nicht besser, zu Hause zu bleiben?«

»Mir auch recht. Wir wollen zusammen Thee trinken, aber auf unsere russische Weise beim Samovar (Theemaschine), und dabei vernünftig plaudern. Haben wir doch eigentlich gar nicht Zeit gehabt, ordentlich mit einander zu reden.«

Litwinow bestellte Thee, das Plaudern wollte aber gar nicht recht gehen. Er fühlte sich unbehaglich, und was er auch vorbrachte, immer schien es ihm, daß er lüge und Tatiana es errathe. Unterdessen war an ihr keine besondere Veränderung zu bemerken, ihr Betragen blieb sich gleich – nur schien ihr Blick ihn zuweilen zwar prüfend, aber nachsichtig zu beobachten, auch bleicher als gewöhnlich kam sie ihm vor.

Die Tante fragte sie, ob sie vielleicht Kopfschmerzen habe? Tatiana wollte anfangs »Nein« antworten« nach kurzem Bedenken aber antwortete sie: »Ja, ein wenig, Tantchen.«

»Von der Reise wohl,« meinte Litwinow, wobei er vor Scham fast erröthete.

»Wohl möglich, daß es von der Reise herrührt,« antwortete sie, ihn von der Seite anblickend.

»Da mußt Du Dich ausruhen, Kindchen.«

»Ja, Tantchen« ich werde mich bald zu Bett legen.«

Auf dem Tische lag der Guide da voyageurs; Litwinow blätterte in demselben, und fing an von Baden‘s Umgegend vorzulesen.

»Das ist Alles recht schön.« unterbrach ihn die Tante, »aber daß wir’s nicht vergessen, hier soll ja die Leinwand billig sein, da könnte man wohl an Deine Ausstattung denken, Tatiana.«

Tatiana schlug die Augen nieder.

»Damit hat’s Zeit« Tantchen, Sie denken immer nur an mich, nie an sich selbst, Sie haben doch gesehen, wie man sich hier herausputzt.«

»Ach, Kindchen, was geht das mich an! Wozu brauche ich mich noch zu putzen. Ja, wenn ich eine so schöne elegante Dame wäre, wie Ihre Bekannte, Gregor Michailitsch, – wie heißt sie doch gleich? . . .«

»Welche Bekannte?«

»Nun die, welche uns heute begegnet ist.«

»Ah, die!« sagte Litwinow, scheinbar gleichgültig, während er sich selbst wieder seiner schlechten Rolle schämte. – »Nein,« dachte er, »das geht so nicht länger.«

Er saß neben seiner Braut« und nur einige Zoll von ihr, in seiner Seitentasche, befand sich Irinens Taschentuch.

Die Tante ging auf einen Augenblick in’s Nebenzimmer.

»Tatiana . . .« sagte Litwinow, und es kostete ihn große Anstrengung, sie so zu nennen.

Sie wendete sich zu ihm.

»Ich – ich habe Ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen.«

»Ah! – Wann wünschen Sie? Gleich?«

»Nein, morgen.«

Unendlich leid that sie ihm in diesem Augenblick; er ergriff ihre Hand und küßte sie, wie ein Schuldbewußter, der um Verzeihung fleht. Auch ihr war das Herz schwer, und keinen Trost brachte ihr dieser Handkuß.

* * *

Mitten in der Nacht, etwa gegen zwei Uhr, horchte die Tante, die mit ihrer Nichte in einem Zimmer schlief, mit einem Male hoch auf und hob den Kopf in die Höhe.

»Tatiana, Tatiana!« rief sie, »weinst Du?«

Tatiana antwortete nicht sogleich.

»Nein, Tantchen,« flüsterte dann ihre sanfte, feine Stimme, »ich habe den Schnupfen.«

»Warum habe ich ihr auch das gesagt?« dachte am folgenden Morgen Litwinow, in seinem Zimmer am Fenster sitzend. Aergerlich zuckte er die Achseln. Um sich jede Möglichkeit der Rückkehr abzuschneiden, gerade deswegen hatte er es ihr gesagt.

Auf dem Fenster lag wieder ein Billet von Irina; sie bat ihn um zwölf Uhr zu sich, Potugins Worte kamen ihm jeden Augenblick wieder in den Sinn, er zürnte, und doch konnte er sich nicht von ihnen losmachen.

Litwinow trank ein Glas kaltes Wasser und begab sich dann zu Tatiana.

Er fand sie allein. Die Tante war in die Stadt gegangen, einige Einkäufe in den Magazinen zu machen.

Tatiana saß auf dem Divan, ein Buch in der Hund. Sie hatte gelesen, schwer wäre es ihr aber gewesen, zu sagen, was, so wenig waren ihre Gedanken bei ihrer Lectüre.

Litwinow fühlte, daß ein Gespräch über geringfügige Gegenstände anzufangen eine unnütze Quälerei, eine Beleidigung für Tatiana gewesen wäre. Obgleich er fast die ganze Nacht an nichts Anderes gedacht hatte, klebte ihm doch die Zunge am Gaumen, die Worte wollten nicht hervor.

»Tatiana,« hub er endlich nach langem peinlichem Schweigen mühsam an, »ich sagte Ihnen gestern (in Dresden hatte er sie in der letzten Zeit ihres Zusammenseins, wenn sie allein waren, bereits »Du« genannt); ich hätte Ihnen etwas Wichtiges mitzutheilen; doch bitte ich Sie im Voraus, mir nicht zu zürnen und versichert zu sein, daß meine Gefühle . . .«

Litwinow stockte.

Tatiana saß bewegungslos, ohne ihn anzublicken, nur preßte sie das Buch in ihren Händen fester zusammen.

»Zwischen uns,« fuhr er fort, ohne den angefangenen Satz zu beendigen – »zwischen uns hat immer die vollkommenste Aufrichtigkeit stattgefunden; ich achte Sie zu sehr, um auch jetzt heucheln zu wollen – obgleich – obgleich freilich . . .

 

»Gregor Michailitsch,« sagte Tatiana langsam und leise, während Todtenblässe ihr liebliches, jetzt wehmüthig blickendes Gesicht überzog, »ich will Ihnen zu Hilfe kommen: Sie lieben mich nicht mehr und wissen nicht, wie Sie mir’s sagen sollen.«

Litwinow erbebte, ein heftiger Stich fuhr ihm durch’s Herz bei diesen einfachen rührenden Worten.

»Woher können Sie vermuthen . . .« antwortete er mit unsicherer Stimme kaum hörbar, »ich verstehe wahrlich nicht . . .«

»Ist es nicht wahr? – Sagen Sie, ist es nicht wahr?« Tatiana wendete sich bei diesen Worten um und blickte ihn starr und ängstlich an, wie ein Verurtheilter seinen Richter.«

»Ist es nicht wahr?« wiederholte sie mechanisch.

Er antwortete nichts, kein Laut kam aus seinem Munde. Was bedurfte es auch einer Antwort, las sie doch ihre Verurtheilung in seinem Gesichte.

Er stürzte vor ihr auf die Kniee.

»Tatiana!« rief Litwinow- »wenn Du wüßtest, wie schrecklich mir zu Muthe ist bei dem Gedanken, Dir ein solches Leid zuzufügen, Dein unschuldiges Herz so zu zerreißen, Mitleid würdest Du mit mir haben! – Alles ist dahin, Alles! – Ich, ich bin es, der meiner theuersten Freundin, meinem Schutzengel ein solches Leid anthut! – Ich kenne mich selbst nicht mehr, ich bin ein verlorener Mensch!«

Tatiana wollte aufstehen und sich entfernen. Er hielt sie leicht am Gewande zurück.

»Ich bitte Dich, höre mich noch einen Augenblick an,« rief Litwinow; »ich liege vor Dir, nicht um Deine Vergebung zu erflehen – Du kannst, Du darfst mir nicht vergeben —; ich bin gekommen, Dir zu sagen, daß Dein Freund einem Abgrunde entgegengeht, daß er selbst verloren ist und Dich nicht in’s Verderben ziehen will! Das ist’s, warum er Dir entsagt. Mich retten, nein, mich retten kannst auch Du nicht mehr! Ich bin verloren, Tatiana, unrettbar verloren!«

Tatiana blickte ihn erschreckt an.

»Sie sind verloren?« wiederholte sie, als ob sie ihn nicht verstehe. »Sie – verloren?«

»Ja, Tatiana, verloren! Alles Gute, alles Edle in mir ist untergegangen; was meiner wartet, weiß ich nicht. Du sagtest mir soeben, daß ich Dich nicht mehr liebe. . . . Nein, Tatiana, ich liebe Dich noch, wie man die Engel, wie man Heilige liebt . . . mich aber verzehrt ein anderes unheiliges Gefühl, das mich überwältigt hat, und dem ich nicht widerstehen konnte, wie ich mich auch gesträubt . . .«

»Sie lieben eine Andere, – und – ich errathe« wen! Wir sind ihr gestern begegnet, nicht wahr?« fragte Tatiana hastig. Sie hielt einen Augenblick inne, vielleicht konnte ihr diese letzte Frist noch Hoffnung bringen, – aber er schwieg mit gesenktem Haupte. »Ich weiß nun, was mir zu thun übrig bleibt, Gregor Michailitsch; ich gebe Ihnen Ihr Wort zurück.«

»Sie haben ein Recht, mir zu zürnen,« sagte er leise, »wir meinen Kleinmuth, meinen Betrug vorzuwerfen.«

Tatiana sah ihn traurig an.

»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, ich klage Sie nicht an. Ich danke Ihnen, daß Sie wahr gegen mich gewesen sind. Die bitterste Wahrheit ist besser, als ein Tag wie der gestrige!«

Tatiana näherte sich dem Schlafzimmer.

»Ich bitte Sie« lassen Sie mich jetzt allein, Gregor Michailitsch. Der Schlag kam zu unerwartet; wir werden uns noch sehen.«

Nach diesen Worten entfernte sie sich rasch und schloß das Zimmer hinter sich ab.

Wie Litwinow die Treppe herab und auf die Straße hinausgekommen war, wußte er selbst nicht. Tatianens Großmuth hatte ihn vernichtet; lebhaft fühlte er, was er aufgegeben und verloren. Doch so sonderbar ist des Menschen Herz beschaffen: in seine Reue mischte sich Aerger; rasch eilte er zu Irina. Trost und Rettung bei ihr, der er Alles geopfert, zu suchen.

Der General war zu Hause, so sagte ihm der Portier; er kehrte um, denn er fühlte, daß er jetzt nicht im Stande wäre, sich zu verstellen. Er ging in’s Conversationshaus. Seine Unfähigkeit, sich zu verstellen, erfuhren auch heute seine »lieben Landsleute»die sich verwundert ansahen und nicht wußten, was sie aus solch einer Laune machen sollten. Einer von ihnen fragte sich sogar, ob er ihn nicht fordern müsse, die anderen beruhigten ihn jedoch deswegen.