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Fünfzehntes Capitel

Litwinow schlief weder die ganze Nacht, noch kleidete er sich aus. Sehr schwer war ihm um’s Herz. Von Grund aus rechtschaffen und bieder, begriff er die Heiligkeit seines Versprechens seiner Braut gegenüber und klagte sich unbarmherzig des Treubruchs an.

»Tatiana ist meine Braut, sie hat meiner Liebe, meiner Ehrenhaftigkeit vertraut, das Band zwischen uns ist unzertrennlich; ich habe nicht das Recht, mein ihr gegebenes Wort zu brechen!«

Gegen Morgen war endlich sein Entschluß gereift: er wollte denselben Tag noch Tatiana entgegenreisen und Irina zum letzten Male sehen, ihr, wenn es nicht anders gehe, die ganze Wahrheit sagen – und auf immer von ihr scheiden.

Er brachte seine Sachen in Ordnung und machte sich an’s Einpacken, wartete bis zwölf Uhr und begab sich dann zu ihr. Als er aber ihre halb verhängten Fenster erblickte, sank ihm der Muth, die Schwelle des Hotels zu überschreiten. Er ging einige Male in der Lichtenthaler Allee auf und ab.

»Dem Herrn Litwinow meinen verbindlichsten Gruß!« vernahm er plötzlich eine spöttische Stimme von einem rasch dahinfliegenden »dog-card« herab.

Litwinow blickte auf und bemerkte den General Ratmirow, welcher neben dem Fürsten M., dem bekannten Sportsman und Verehrer englischer Equipagen, saß. Der Fürst leitete die Zügel, der General aber bog sich seitwärts herab, grinste freundlich und grüßte Litwinow, indem er den Hut hoch über den Kopf erhob.

Dieser dankte leichthin und eilte jetzt, einem geheimen Winke folgend, spornstreichs zu Irina.

Sie war zu Hause. Er ließ sich melden und wurde sogleich vorgelassen.

Als er eintrat, stand sie mitten im Zimmer. Sie war in ein Morgenpeignoir mit weiten offenen Aermeln gekleidet; ihr bleiches Gesicht drückte Müdigkeit aus, das schmachtende Lächeln, mit welchem sie ihn begrüßte, ließ diese noch mehr hervortreten.

Sie reichte ihm die Hand und blickte ihn freundlich, aber zerstreut an.

»Ich danke, daß Sie gekommen sind,« fing sie mit leidender Stimme an und ließ sich aus einen Sessel nieder. »Ich befinde mich heute nicht ganz wohl, ich habe die Nacht schlecht geschlafen. – Nun, was sagen Sie zum gestrigen Abend? Habe ich nicht Recht gehabt?«

Litwinow setzte sich.

»Ich bin zu Ihnen gekommen, Irina Pawlowna,« . . . hub er stotternd an.

Bei seinen Worten richtete sie sich plötzlich auf und wendete sich um, ihre Blicke gespannt auf ihn heftend, als ob sie etwas Unerwartetem ängstlich entgegensehe.

»Was fehlt Ihnen?« fragte sie. »Was bedeutet Ihre Blässe, sind Sie krank? Was haben Sie?«

Litwinow wurde verlegen.

»Mir ist . . .«

»Sie haben eine schlimme Nachricht erhalten? Irgend ein Unglück ist geschehen? Reden Sie . . .«

Litwinow blickte Irina an.

»Schlimme Nachrichten habe ich nicht erhalten,« brachte er mühsam hervor, »ein Unglück ist aber wirklich geschehen; ein großes Unglück – und das bringt mich eben zu Ihnen.«

»Ein Unglück? Und welches?«

»Nun, weiter nichts, als . . .«

Litwinow wollte fortfahren – und war nicht im Stande dazu.

Irina hatte sich, wie etwas Furchtbares erwartend, vorgebeugt.

»Weder nichts, als daß ich . . . Sie liebe!« sagte er endlich tief aufseufzend; dann wandte er sich ab, als ob er sich schäme.

»Wie, Gregor Michailitschs Sie . . .« Auch Irina konnte nicht weiter reden; in den Lehnsessel zurücksinkend, verhüllte sie die Augen mit beiden Händen. »Wie – Sie – Sie lieben mich?«

»Ja – ja – ja,« wiederholte er, ihr fast den Rücken zuwendend.

Tiefe Stille herrschte im Zimmer, nur ein Schmetterling, der sich hereinverirrt hatte, flatterte und beschädigte seine zarten Flügel zwischen den Vorhängen am Fenster.

Litwinow unterbrach zuerst dieses Schweigen.

»Das, Irina Pawlowna, das ist das Unglück, welches mich niedergeschmettert hat, – welches ich hätte ahnen, vermeiden sollen – wenn ich nicht, wie damals in Moskau, in einen Wasserfall hineingerathen wäre. Wieder, wie damals, läßt das Schicksal mich alle Qualen erdulden, die ich für immer überwunden zu haben glaubte. – Doch ich sehe, der Mensch entgeht seinem Schicksale nicht! – Ich sage Ihnen das, um rascher diese Trägikkomödie zu endigen,« fügte er erbittert hinzu.

Wieder schwieg er, und wieder war nur das ängstliche Flattern des gefangenen Schmetterlings hinter den Vorhängen hörbar.

Irina saß noch immer da, das Gesicht hinter den Händen versteckt.

»Täuschen Sie sich nicht vielleicht?« flüsterte es hinter jenen weißen, blutleer scheinenden Händen.

»Nein, da ist keine Täuschung möglich,« erwiderte mit klangloser Stimme Litwinow. »Ich liebe Sie, wie ich Niemanden außer Ihnen je geliebt habe, noch lieben werde. Ich mache Ihnen auch keine Vorwürfe, das wäre lächerlich; noch wiederhole ich, daß es vielleicht anders gekommen wäre, wenn Sie anders gegen mich gewesen wären. – Ich allein bin schuld, mein allzu großes Selbstvertrauen hat mich in’s Verderben gestürzt – doch Geschehenes ist nicht zu ändern! Ich wollte, Ihnen nur meine Lage mittheilen . . . ein Mißverständniß, wie Sie sich ausdrückten, wird nun nicht mehr zwischen uns sein, und meine Aufrichtigkeit meine Schuld, Ihnen gegenüber, mildern.«

Litwinow redete noch immer mit abgewendetem Gesicht; aber wenn er auch Irina angeblickt hätte, er hätte doch nicht entdecken können, was auf ihrem Gesicht vorging, welches sie noch immer hinter ihren Händen verbarg. Und doch, wenn er es hätte sehen können, so würde es ihn wahrscheinlich überrascht haben: Furcht und Seligkeit wechselten auf demselben mit Erschöpfung und Aufregung; ihre Augen leuchteten unter den sie bedeckenden Wimpern, während ihre Lippen, halbgeöffnet, zu dürften schienen.

Litwinow schwieg, eine Antwort erwartend – kein Laut aus ihrem Munde unterbrach ihn.

»Mir bleibt nur noch Eins zu thun übrig,« hub er wieder an, »nämlich zu scheiden. Ich bin gekommen, von Ihnen Abschied zu nehmen.«

Irina ließ die Hände langsam in den Schooß sinken.

»Wie ist mir, Gregor Michailitsch – jene – jene Person, von welcher Sie mir sagten, sollte ja hierherkommen? Sie erwarten sie, meine ich, hier?«

»Ja, doch ich werde ihr schreiben – sie wird irgendwo unterwegs – in Heidelberg meinetwegen, bleiben.«

»Ah! in Heidelberg! – Ja – dort ist es schön. – — Das Alles muß ja aber Ihre Pläne zerstören. Sind Sie auch gewiß, Gregor Michailitsch, daß Sie sich nicht über sich selbst täuschen?«

Irina sprach langsam, fast kalt, in abgebrochenen Sätzen, indem sie zum Fenster hinausblickte.

Litwinow ließ ihre Frage unbeantwortet.

»Nun,« fuhr sie fort, »warum reden Sie von Ihrer Schuld gegen mich? Mich haben Sie nicht beleidigt . . . o nein! Wenn Jemand von uns schuldig ist, so bin ich’s, nicht Sie – jedenfalls nicht Sie allein.«

»Ich habe nie an Ihrer Großmuth gezweifelt, eins nur möchte ich wissen: billigen Sie meinen Entschluß?«

»Welchen?«

»Abzureisen!«

»Ja.«

Irina fuhr fort zum Fenster hinauszublicken.

»Im ersten Augenblicke schien mir derselbe verfrüht, – jetzt aber, nachdem ich das, was Sie mir da sagten, überdacht habe – und wenn Sie wirklich nicht im Zweifel sind, – so glaube ich, daß Sie sich entfernen müssen. Es wird besser so sein – besser für uns Beide!«

Irinens Stimme wurde leiser und leiser und wehmüthiger.

»Der General Ratmirow könnte in der That bemerken . . .« warf Litwinow ein.

Irinens Augen senkten sich auf‘s Neue, ein sonderbares Lächeln spielte um ihre Lippen – und verschwand.

»Nein, Sie haben mich nicht verstanden,« unterbrach sie ihn. »An ihn denke ich nicht. Wozu auch? Was hätte er wohl zu bemerken? Nein ich wiederhole nur: die Trennung ist nothwendig für uns Beide!«

Litwinow hob seinen Hut auf, den er hatte fallen lassen. Alles ist aus, dachte er, es ist Zeit, daß ich gehe. – »So leben Sie also wohl, Irina Pawlowna,« fügte er laut hinzu, und ihm war, als ob er mit diesen Worten den Stab über sich selbst breche. »Eins lassen Sie mich noch hoffen, daß Sie mir nicht zürnen – und daß, wenn wir uns je einmal wiedersehen . . .« Irina unterbrach ihn.

»Warten Sie, Gregor Michailitsch – nehmen Sie nicht so Abschied von mir. Das wäre zu rasch . . .«

Eine Saite erbebte in seinem Herzen, traurig und süß; unendlich schwer ward ihm zu Muthe.

»Darf ich doch nicht bleiben!« rief er. »Und wozu? Wozu diese Qual verlängern?«

»Sagen Sie mir jetzt noch nicht Lebewohl,« wiederholte Irina. »Ich muß Sie noch einmal sehen. – Nicht wieder dieses plötzliche Scheiden wie damals in Moskau. – Versprechen Sie mir, mich noch einmal zu sehen, ehe Sie abreisen.«

»Sie wünschen es?«

»Ich verlange es! – — Sonderbar,« fuhr sie, wie zu sich selbst redend, fort, »ich kann mir gar nicht vorstellen, daß ich in Baden bin, – mir ist immer, als ob ich in Moskau wäre. – — Gehen Sie jetzt.«

Litwinow stand aus.

»Irina Pawlowna,« sagte er leise, »geben Sie mir Ihre Hand!«

Irina schüttelte den Kopf.

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich noch nicht von Ihnen Abschied nehme; nicht um Abschied zu nehmen, bitte ich um Ihre Hand.«

Irina war im Begriff, ihm die Hand zu reichen; als sie aber Litwinow zum ersten Male nach seinem Geständniß anblickte, zog sie dieselbe rasch zurück.

»Nein, nein!« flüsterte sie, »nicht jetzt; – gehen Sie – gehen Sie!«

Litwinow grüßte und eilte hinaus. Freilich konnte er nicht wissen, warum Irina ihm seine letzte Bitte versagte; er konnte nicht wissen, was sie fürchtete.

Als die Thür sich hinter ihm schloß, sank Irina wieder in ihren Sessel zurück, – wieder bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden Händen.

Sechzehntes Capitel

Litwinow kehrte nicht in sein Haus zurück; er eilte in die Berge und warf sich im Waldesdickicht, das Gesicht zur Erde, nieder. Lange lag er so. Er weinte nicht, noch brach er in Verzweiflung aus; schwer wie Blei nur lag es in seinen Gliedern, wüst und öde schien ihm Alles ringsum, sein ganzes künftiges Leben. Der Schlag war gefallen, sein Leben zerschnitten; – Eins nur stand fest in seiner Seele: der Entschluß, Baden zu verlassen. In Gedanken saß er schon im Waggon, hörte das Pfeifen und Schnauben der Locomotive, die ihn in jene traurige trostlose Ferne führen sollte, aus der keine Wiederkehr . . . Da hörte er herannahende Schritte; er erhob sich.

 

Zwei Köhler, schwere Säcke auf den Schultern, gingen ihrem mühevollen Tagewerte nach.

»Es ist Zeit,« flüsterte er, stieg den steilen Weg zur Eisenbahn hinab und fertigte ein Telegramm an Tatianens Tante ab, in welchem er den beiden Damen Schrieders Hotel in Heidelberg als den Ort bezeichnete, wo er sie erwarten würde und wohin er sogleich abzureisen gedenke.

Darauf trat er in den Spielsaal, blickte mit stumpfem Gleichmuth auf einige Spieler, bemerkte von Weitem seinen widerlichen Schuldner, der ihm unartig den Rücken zukehrte, obgleich er ihn doch bemerkt hatte, ging noch einige Male in der Colonnade auf und ab, und begab sich dann langsam zu Irina.

Er trat in’s Hotel, ohne vom Portier bemerkt zu werden, ging die Treppe hinauf, öffnete mechanisch, ohne anzuklopfen, die Thür und trat in’s Zimmer.

In demselben Zimmer, aus demselben Sessel, in derselben Kleidung und ganz in derselben Stellung, wie vor drei Stunden, saß Irina . . . Sie hatte sich während der ganzen Zeit nicht vom Platze bewegt.

Langsam erhob sie das Haupt und erbebte, als sie Litwinow vor sich sah. Krampfhaft ergriff sie die Lehne des Sessels.

»Wie Sie mich erschreckt haben!« sagte sie leise.

Litwinow blickte sie stumm und erstaunt an. Der eigenthümliche Ausdruck ihrer, wie mit einem Schleier bedeckten, schmachtenden Augen fiel ihm auf.

Irina lächelte gezwungen und brachte ihr entfesseltes Haar in Ordnung.

»Es wird vergehen.« sagte sie, »es scheint . . . ich habe geschlafen.«

»Verzeihen Sie, wenn ich unangemeldet eintrat, – ich wollte nur Ihren Wunsch erfüllen – da ich heute reise.«

»Heute? Sie sagten mir doch, Sie wollten erst schreiben?«

»Ich habe ein Telegramm abgefertigt.«

»Ah, Sie hielten Eile für nothwendig. – Und reisen Sie? Um welche Zeit?«

»Um sieben Uhr.«

»Ah! um Sieben! Und Sie sind gekommen, um Abschied zu nehmen?«

»Ja, Irina Parole-much um Abschied zu nehmen.«

Irina schwieg.

»Ich bin Ihnen großen Dank schuldig, Gregor Michailitsch, denn wahrscheinlich ist es Ihnen nicht leicht geworden, hierher zu kommen.«

»Wahrlich, Irina Pawlowna, durchaus nicht leicht.«

»Das Leben ist überhaupt nicht leicht, meinen Sie nicht auch?«

»Dem Einen leicht, dem Andern schwer, Irina Pawlowna.«

Irina schwieg, als ob sie über etwas nachdenke.

»Sie haben mir Ihre Freundschaft bewiesen, indem Sie noch einmal zu mir gekommen sind,« hub sie endlich an. »Ich danke Ihnen dafür, wie ich Ihren Entschluß, abzureisen, überhaupt billige – weil jede Zögerung – weil – weil ich selbst – ja dieselbe, der Sie Koketterie vorwarfen, – die Sie, ich glaube, sogar Schauspielerin nannten . . .«

Irina stand rasch auf, setzte sich auf einen andern Lehnstuhl, neigte ihren Kopf bis aus den Tisch hinab und verbarg ihn in ihren Händen.

». . . Weil ich Sie selbst liebe!« flüsterte sie.

Litwinow schwankte und hielt sich krampfhaft an der Lehne des Stuhles.

»Ja, ich liebe, liebe Sie – und Sie wissen es!«

»Ich? ich – weiß es?« stotterte er endlich. »Ich?«

»Nun, jetzt sehen Sie doch, daß Sie durchaus abreisen müssen! – daß Sie keinen Augenblick zögern dürfen! – Das ist gefährlich, gefährlich! – Leben Sie wohl!« sagte sie rasch aufstehend. »Leben Sie wohl!«

Sie that einige Schritte zur Nebenthür, die in ihr Cabinet führte, und eine Bewegung mit der Hand machend, als ob sie noch einmal zum Abschiede grüßen wolle, wankte sie hinaus, wiederholt rufend:

»Leben Sie wohl, vergessen Sie mich nicht.«

Litwinow blieb wie eingewurzelt stehen, immer noch nicht im Stande sich zu fassen.

Mit einem Male stürzte er auf die Thür des Cabinets zu, rief ein, zwei, dreimal ihren Namen, – aber er erhielt keine Antwort. Schon wollte er die Hand auf den Griff der Thür legen, als er auf der Treppe zum Gastzimmer die gellende Stimme des Generals hörte.

Den Hut tief über die Augen herabziehend, eilte er die Treppe hinab.

Der elegante General stand vor dem Zimmer des Portiers, dem er in gebrochenem Deutsch sagte, daß man ihm eine Equipage auf den ganzen folgenden Tag bestellen möge.

Als er Litwinow erkannte, hob er seinen Hut, grüßend, unnatürlich hoch empor, seinen »verbindlichsten Gruß« dem Herrn Litwinow an den Kopf werfend; augenscheinlich machte er sich über ihn lustig.

Litwinow antwortete kaum; auf dergleichen zu achten war ihm jetzt unmöglich.

Zu Hause angekommen, blieb er vor seinem bereits gepackten Koffer stehen.

Der Kopf schwirrte ihm, wie ein Donnerschlag hatte ihn ihr Geständniß getroffen – obgleich er es erwartet hatte. Er wußte es, wagte aber nicht, es sich zu gestehen. Dann fiel ihm Moskau ein, wie es auch damals, gleichsam wie im Sturmwinde, ihn überrascht habe.

Er athmete hoch auf, Entzücken, aber kein reines, ungetrübtes Entzücken erfüllte und drückte ihm die Brust.« – Was aber sollte jetzt aus ihm werden?

Die ausgesprochenen Worte konnten, nein, sie durften ihn in seinem Entschluß nicht wankend machen. Wie vordem, schwankte er auch jetzt nicht.

Litwinow klingelte dem Kellner, ließ sich seine Rechnung geben, bestellte seinen Platz im Omnibus: er brannte gewissermaßen seine Schiffe hinter sich ab, »und ging es auch in den Tod!« Diese Phrase war ihm bereits mehrere Male in den Sinn und auf die Lippen gekommen, er gefiel sich in ihr.

Sein Ziel lag jetzt bestimmt vor ihm: sich zu seiner Braut zu begeben, oder eigentlich nicht zu ihr (er suchte nicht an sie zu denken), sondern nur für‘s erste nach Heidelberg. Was dann weiter aus ihm werden würde, daran dachte er nicht. Eins nur war zweifellos: seine Abreise, zurück niemals! »Und ging’s auch in den Tod!« wiederholte er zum zehnten Male.

Ein Viertel aus Sieben. Wie langsam die Zeit verging. Er ging wieder im Zimmer auf und ab.

Die Sonne ging unter, der Himmel erglänzte rosenroth und violett über den grünen Bäumen, ein röthlicher Schimmer drang durch das kleine Fenster seines Zimmers, beleuchtete es auf einen kurzen Augenblick, und Dämmerung verbreitete sich nach und nach in demselben.

Plötzlich schien es Litwinow, als ob die Thür seines Zimmers sich öffne und wieder schließe. Rasch wendete er sich um: hart an der Thür stand verschleiert, in eine schwarze Mantille eingehüllt, eine Frauengestalt . . .

»Irina!« rief er und breitete die Arme aus . . .

Zwei Stunden später saß Litwinow auf seinem Divan. Der Koffer stand leer und offen in einem Winkel; auf den unordentlich umherliegenden Sachen lag ein Brief von Tatiana, den er soeben erhalten hatte.

Sie schrieb ihm, daß sie sich entschlossen hätten, ihre Abreise von Dresden zu beschleunigen, da ihrer Tante Gesundheit sich bedeutend gebessert habe, und daß, wenn sonst kein Hinderniß einträte, sie am folgenden Tage in Baden sein würden, wo sie ihn um zwölf Uhr am Bahnhofe zu sehen erwarteten.

Eine Wohnung hatte Litwinow bereits früher für sie, in demselben Hotel, wo auch er wohnte, gemiethet.

Denselben Abend noch schickte er ein Billet an Irina und erhielt am folgenden Morgen die Antwort:

»Einen Tag früher, einen Tag später, das bleibt sich gleich. War die Sache an und für sich doch unvermeidlich. Ich wiederhole nur, was ich Dir bereits gestern gesagt habe: mein Leben gehört Dir, verfüge über dasselbe, wie Du willst. Ich will Deiner Freiheit nicht im Wege stehen, wisse aber, daß, wenn es nöthig ist, ich Alles verlasse und von mir werfe, und Dir bis an’s Ende der Welt folge. Nicht wahr, wir sehen – uns doch morgen?

Deine Irina.«

Die letzten beiden Worte waren mit großer Schrift und besonders festen, entschiedenen Zügen geschrieben- .

Siebzehntes Capitel

Ueber der Zahl der am 18. August um zwölf Uhr auf dem Perron der Badenschen Eisenbahn Wartenden befand sich auch Litwinow.

Kurz vorher erst war er Irinen begegnet; sie saß neben ihrem Manne in einem offenen Wagen. Sie hatte Litwinow wohl bemerkt, doch versteckte sie sich verlegen hinter ihren geöffneten Sonnenschim.

Eine merkwürdige Veränderung war auch mit ihm seit gestern vorgegangen; er fühlte selbst, daß er ein ganz anderer, nicht besserer Mensch geworden war. Seine Sicherheit, sein Selbstvertrauen waren dahin. Die Scham über sich selbst war verschwunden, er fürchtete und schien zu gleicher Zeit keck und verlegen – der junge Dieb hat ein ähnliches Gefühl nach dem ersten Diebstahl, der Besiegte ebenfalls – und Litwinow war besiegt.

Der Zug verspätete sich einige Augenblicke, ihm wurde die Qual unerträglich, er hatte keine Ruhe.

»Wenn er doch nur erst morgen käme!« dachte er. – Der erste Blick Tatiana’s in sein Auge – »wenn nur der erst vorüber wäre!« – Was später kommen würde, daran dachte er vor der Hand nicht.

Da tönte ein gellender, gedehnter Pfiff durch die Luft, schwer rasselte die dampfende Maschine heran, die wartende Menge eilte dem kommenden Zuge entgegen.

Gesichter, Damenhüte fingen an sich in den Waggons zu zeigen, aus einem Fenster machte man ein Zeichen mit einem weißen Tuche, Kapitolina Markowna Schestow war es, sie hatte Litwinow sogleich gesehen und erkannt.

Der Zug hielt an.

Litwinow eilte zur Thür und öffnete sie: Tatiana, frisch wie ein heiterer Frühlingsmorgen, stand neben ihrer Tante und reichte ihm lächelnd die Hand.

Er war ihnen behilflich beim Aussteigen, stammelte einige begrüßende Worte, machte sich rasch mit ihren Reise-Effekten zu thun und rief einen Kutscher herbei; andere Reisende waren gleich ihm mit der Empfangnahme ihrer Sachen beschäftigt. Der Lärm um ihn her that ihm wohl, da er ihm half, seine Verlegenheit zu verbergen.

Tatiana trat ruhig auf die Seite; ihre Tante aber suchte geschäftig nach diesem und jenem, ihr schien es wunderbar, endlich doch in Baden-Baden zu sein; dann nahm sie laut von einer andern Dame Abschied, mit welcher sie unterwegs Bekanntschaft gemacht hatte.

Tatiana‘s Tante war in eine ziemlich sonderbare bunte Mantille gehüllt; Ihr runder Reisehut hatte des Aussehen eines Pilzes, unter Welchem die rund bis zum Halse abgeschnittenen grauen Haare in Strähnen herabhingen. Klein und mager, war ihr Gesicht von der Reise hochgeröthet, und sie erregte Aussehen durch ihre laute, näselnde Stimme.

Endlich setzte Litwinow seine Damen in den Wagen. Man fuhr ab.

Jetzt ging ein Fragen, Händedrücken, Lächeln, Begrüßen an, bei dem die Tante die Hauptrolle spielte, und Litwinow athmete hoch auf, als der erste schwierige Moment so glücklich überstanden war.

Tatiana schien an ihm nichts Auffallendes zu finden, sie blickte ihn gleich vertrauensvoll an, erröthete eben so unschuldig und naiv, und lachte ganz so gutmüthig wie sonst. Der ungetrübte Ausdruck ihres lieblichen Gesichts war ihm ein bitterer Vorwurf; er ließ den Kopf sinken, die Tante aber ließ ihm nicht lange Zeit, seinen schwermüthigen Gedanken nachzuhängen, sie überhäufte ihn ohne Ende mit Fragen.

»Was ist das da für ein Gebäude mit den Säulen? Wo ist hier der Speisesaal? – Wer ist das, der da kommt? Tatiana, sieh’ mal, wie breit hier die Crinolinen getragen werden. Hier sind gewiß viele Französinnen aus Paris? Mein Gott, ist das ein Hut! Hier kann man wohl Alles eben so gut wie in Paris haben? Aber theuer, glaube ich, mag’s hier wohl sein. – Was für eine kluge Frau meine Reisegefährtin war, sie sagte mir, daß sie auch Sie hier in einer Gesellschaft bei einem unserer großen Gelehrten gesehen hat. – Na, und wie die die Aristokraten heruntermachte! – Wer ist der alte Herr da mit dem grauen Schnurrbart? Der preußische König? Tatiana, sieh mal, der preußische König! – Wer? Der holländische Gesandte? – Ach man hört nichts, die Räder rasseln so auf dem Pflaster. – Ach, was für herrliche Bäume in der Allee! – Sieh’ einmal, Tatiana!«

»Herrlich, Tante, herrlich,« bekräftigte Tatiana, »und wie schön grün und lustig hier Alles ist. Nicht wahr, Gregor Michailitsch?«

»Ja wohl, lustig,« antwortete er verlegen.

Der Wagen hielt endlich vor dem Gasthofe.

Litwinow begleitete die beiden Damen in ihre Zimmer, und versprach nach einer Stunde wieder nachzufragen.

In seinem Zimmer angekommen, überwältigte ihn wieder der auf kurze Zeit vergessene Zauber. Hier in diesem bescheidenen Gemache erzählte Alles von Irina, die Luft selbst schien die geheimen Spuren ihrer Gegenwart bewahrt zu haben.

 

Gierig zog er ein von ihr zurückgelassenes Taschentuch, welches er auf der Brust trug, hervor und führte es an seine lechzenden Lippen.

Eine Stunde war noch nicht verflossen, als die Damen ihn schon rufen ließen.

Er fand sie bereits umgekleidet und in Hüten. Sie baten ihn, sie gleich etwas in Baden herumzuführen, um die Stadt zu besehen, da das Wetter so schön sei. Die Tante besonders brannte vor Begierde; sie war unzufrieden, als Litwinow ihr sagte, daß die Stunde, wo die fashionable Welt sich vor dem Conversationshause zu versammeln pflege, noch nicht gekommen sei.

Litwinow führte sie am Arm, während Tatiana neben dieser ging. Beim Anblick des Roulette-Spiels und der stattlich aussehenden Croupiers, die sie, wenn sie sie an einem andern Orte getroffen hätte, für Minister oder Diplomaten gehalten haben würde, verstummte sie vor Erstaunen, besonders wenn sie sah, mit welcher Grazie und Gewandtheit die raschen Schaufelchen Haufen Gold und Silber zusammenraffte, oder wie höflich dem Glücklichen sein Gewinn eiligst ausgezahlt wurde und das »rien ne va plus« dem unerquicklichen Durcheinander der Spieler auf kurze Zeit ein Ende machte. Ganz verdutzt aber machten sie die eleganten Camellia-Damen aller Länder. Das Rollen der elfenbeinernen Kügelchen in der Vertiefung der Roulette drang ihr bis in’s Mark der Knochen – und erst, nachdem sie wieder in die frische Luft getreten war, stieß sie einen tiefen Seufzer der Entrüstung aus und nannte das Spiel eine unmoralische aristokratische Erfindung.

Auf Litwinow? Lippen schwebte ein unheimliches Lächeln, er wurde einsilbig und schweigsam, – wenn er mit Tatiana zu reden genöthigt war, erröthete er sogar und wurde verlegen. —

Mit wachsender Aufmerksamkeit betrachtete ihn diese, als ob sie sich selbst frage, was ihm an ihr vielleicht mißfalle. Auch sie schien zu fühlen, daß etwas zwischen ihnen sei, was nicht sein sollte.

Litwinow führte nun die Damen nach der Lichtenthaler Allee. Kaum hatten sie dieselbe betreten, als er Irina von Weitem erblickte. Sie kam ihm entgegen, begleitet von ihrem Manne und Potugin.

Litwinow wurde bleich wie Wachs, indessen verminderte oder beschleunigte er seinen Gang nicht und wechselte nur einen stummen Gruß mit ihr. Sie antwortete ihm sehr freundlich, während sie einen raschen kalten Blick auf Tatiana warf. Ratmirow hob wieder seinen Hut hoch in die Luft. Potugin brummte etwas Unverständliches vor sich hin.

»Wer ist diese Dame?« rief plötzlich Tatiana, welche bis zu diesem Augenblicke kaum ein paar Worte gesprochen hatte.

»Die Dame,« wiederholte Litwinow, »diese Dame ist eine gewisse Madame Ratmirow.«

»Ist sie eine Russin?«

»Ja.«

»Haben Sie hier ihre Bekanntschaft gemacht?«

»Nein, ich kenne sie schon lange.«

»Wie schön sie ist!«

»Hast Du ihre Toilette gesehen?« mischte sich die Tante in’s Gespräch. »Mit dem, was nur ihre Spitzen kosten, könnte man zehn Familien das ganze Jahr hindurch ernähren. War das ihr Mann, der neben ihr ging?« wandte sie sich fragend an Litwinow.

»Ja, ihr Mann.«

»Der muß gewiß sehr reich sein?«

»Ich weiß es nicht, glaube aber kaum.«

»Welchen Rang bekleidet er?«

»Er ist General.«

»Was sie für Augen hat!« sagte Tatiana; und welch ein sonderbarer Ausdruck in ihnen, melancholisch und bis tief in‘s Innerste dringend – nie in meinem Leben habe ich solche Augen gesehen.«

Litwinow antwortete nichts, ihm schien es, als ob auf seinem Gesichte wieder Tatianens fragender Blick ruhe. Aufmerksam betrachtete er den Sand zu seinen Füßen.

In diesem Augenblicke näherten sich hastige Schritte, und Potugin trat zu ihnen.

»Guten Tag, Gregor Michailitsch,« rief er lachend und mit dem Kopfe nickend.

Litwinow ergriff rasch seine Hand.

»Guten Tag, guten Tag, lieber Herr Potugin; erlauben Sie mir, Sie meinen guten Bekannten und Verwandten, die soeben erst in Baden angekommen sind, vorzustellen. Unser Landsmann, Herr Potugin, auch ein Badener Gast.«

Potugin verbeugte sich tief vor den Damen, diese antworteten höflich.

Potugin grüßte noch einmal und unterhielt sich eine Zeit lang mit der Tante, die recht froh war, Jemanden zu finden, der in alle ihre Ideen über die Sittenverderbniß, besonders unter der Aristokratie, einging, während Tatiana ihre großen, klaren Augen auf Potugin richtete und nicht begriff, warum Litwinow ihr gleich am ersten Tage ihrer Ankunft einen fremden Menschen vorstellte, der übrigens ein kluges, gutmüthiges Gesicht hatte und zuvorkommend und freundlich gegen sie war.

»Sie müssen das alte Schloß besuchen,« sagte ihr Potugin, »vor Allem aber rathe ich Ihnen, nicht zu versäumen, nach dem Ebersteinschloß zu fahren.«

»Die Sächsische Schweiz,« wollte die Tante ihn hier unterbrechen, als mit einem Male das militärische Orchester aus Rastadt sein wöchentliches Concert im Papillon anfing. Alle standen aus und gingen hin.

»Sie erlauben mir, Sie zu begleiten?« fragte Potugin, zu Litwinow’s nicht geringem Erstaunen, dem es nicht in den Kopf kam, daß ihn vielleicht Irina abgesendet haben könnte.

Litwinow ging unterdessen neben Tatiana, deren Arm er genommen hatte und leise drückte, ohne daß sie solches erwidert hätte. Dieser Druck war eine Lüge, und Tatiana schien es zu errathen.

Vor dem Conversationshause setzte man sich, und Potugin wendete sich nun zu Tatiana, mit der er ein Gespräch anfing. Seine weiche Stimme, der wohlwollende, gutherzige Ausdruck seines Gesichts erleichterten ihr die Unterhaltung mit diesem fremdem unbekannten Menschen, während sie oft ängstlich auf Litwinow blickte, der, wieder jenes unheimliche Lächeln auf den Lippen, schweigsam dasaß.

Die Zeit des Mittagsessens nahte so heran.

Potugin nahm von der Gesellschaft Abschied, ebenso die Tante von ihrer Reisegefährtin, die sie ebenfalls bei der Musik getroffen hatte.

Beim Hineingehen in den Gasthof wurde Litwinow ein Billet übergeben. Er trat etwas auf die Seite und riß hastig das Couvert auf. Auf einem kleinen Blättchen feinen Papieres las er folgende mit Bleistift geschriebenen Worte:

»Kommen Sie heute Abend um sieben Uhr auf einen Augenblick zu mir. Es fleht inständig

darum Irina.«

Litwinow steckte das Billet in die Tasche und wendete sich lächelnd um. Warum? Tatiana hatte ihm den Rücken zugewendet, sie konnte nichts gesehen haben.

Das Mittagsessen an der table d‘hôte verging ziemlich lebhaft. Litwinow saß zwischen den Damen, war überaus gesprächig, erzählte sogar Anecdoten und schenkte sich und ihnen Wein ein.

Nach Tische begleitete er sie auf ihr Zimmer, entschuldigte sich, daß er sich eines Geschäfts wegen einen Augenblick entfernen müsse, aber bald zurückkehren werde, und eilte hinaus.

Tatiana sagte kein Wort, erbleichte nur heftig und schlug die Augen nieder.

Die Tante hatte die Gewohnheit, nach Tische zu schlafen; daß Litwinow dieses wußte, war ihr bekannt, und sie hatte gehofft, er werde diese Stunde benutzen, um sich mit ihr auszusprechen, da sie seit ihrer Ankunft noch keine Gelegenheit gehabt hatten, sich allein mit einander zu unterhalten. – Und nun ging er weg! – Was sollte sie davon denken? was überhaupt von seinem Benehmen denken? —