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Zwölftes Capitel

Litwinow war sehr unzufrieden mit sich selbst, gerade als ob er im Roulette verloren oder ein gegebenes Versprechen nicht gehalten habe. Eine innere Stimme sagte ihm, daß er, als Bräutigam, als gesetzter Mann, der Versuchung nicht hätte nachgeben dürfen.

»Was brauchte ich auch hinzugehen!« brummte er vor sich hin. »Was war‘s denn von ihrer Seite anders, als Koketterie, Laune, Caprice . . . Sie langweilt sich, ist blasirt, und da bin ich ihr zur rechten Zeit in den Weg gekommen. Wer immer Naschwerk hat, der sehnt sich auch zuweilen nach einem Stück Schwarzbrod. – Was brauchte ich aber auch zu ihr zu laufen? Muß ich sie nicht. . . . verachten?« Dies letzte Wort brachte er nicht ohne Anstrengung hervor. – »Natürlich,« fuhr er in seinem Raisonnement fort, »kann von Gefahr für mich nicht die Rede sein, weiß ich doch, mit wem ich es zu thun habe. Mit dem Feuer aber soll man doch nicht spielen.«

Der Tag verging ihm wieder langweilig. Bindassow gewann in Litwinows Gegenwart das Vierfache der von ihm geliehenen Stimme, ohne daran zu denken, seine Schuld abzutragen, sah ihn sogar drohend an, als ob er ihn dafür bestrafen wolle, daß er es wage, Zeuge seines Glücks zu sein.

Am folgenden Morgen langweilten ihn wieder seine lieben Landsleute, von denen es ihm nur mit Mühe gelang sich loszumachen, indem er sich in die Berge begab.

Hier begegnete ihm zuerst Irina, – er that, als ob er sie nicht sähe und eilte rasch an ihr vorbei; – dann Potugin, den er anredete, der ihm aber ausweichend antwortete. Er hatte ein sehr herausgeputztes kleines Mädchen an der Hand, mit dichten, aschblonden Locken, großen dunkeln Augen und blassem, kränklichem Gesicht, welches jenen befehlenden, ungeduldigen Ausdruck hatte, wie er verwöhnten Kindern eigen ist.

Nachdem er längere Zeit in den Bergen herumspaziert war, kehrte er durch die Lichtenthaler Allee nach Hause zurück.

Eine auf einer Bank sitzende Dame mit einem blauen Schleier erhob sich rasch bei seinem Anblick und ging ihm entgegen. Er erkannte Irina.

»Warum weichen Sie mir aus, Gregor Michailitsch?« fragte sie ihn mit der unsicheren Stimme eines Menschen, der innerlich heftig aufgereizt ist.

Litwinow gerieth in Verlegenheit.

»Ich weiche Ihnen aus, Irina Pawlowna?«

»Ja . . . Sie! . . . Sie!« rief sie fast zornig.

»Sie irren sich, ich gebe Ihnen mein Wort . . .«

»Nein, ich irre mich nicht. Habe ich heute Morgen etwa nicht bemerkt, – als Sie mir begegneten, – habe ich etwa nicht bemerkt, daß Sie mich erkannten? – Sagen Sie, haben Sie mich erkannt?«

»Gewiß . . . Irina Pawlowna . . . ich . . .«

»Gregor Michailitsch, Sie sind gerade und offen, wenigstens waren Sie es sonst immer, – sagen Sie, nicht wahr, Sie wichen mir absichtlich aus?«

Litwinow blickte Irina an. Ihre Augen funkelten unnatürlich, Wangen und Lippen aber blieben bleich. Im ganzen Ausdruck ihres Gesichts« im Ton ihrer Stimme sogar war etwas unendlich Trauriges, Bittendes. Litwinow vermochte es nicht länger, sich zu verstellen.

»Ja, . . . ich hatte Sie erkannt,« antwortete er, nicht ohne Aufregung.

Irina erbebte leise und ließ ihre Hand herabsinken.

»Und warum das? – Warum mir das?«

Litwinow nahm seine Richtung, vom großen Wege ab, in einen Seitenweg Irina folgte ihm schweigend.

»Warum?« wiederholte er. Sein Gesicht entflammte wie im Zorn, und das bisher im Innern zurückgehaltene Gefühl der früheren Kränkung machte sich jetzt in Worten Luft. »Und Sie, Sie fragen darnach? . . . Nach Allem, was zwischen uns vorgegangen? Nicht jetzt, natürlich nicht jetzt, aber dort . . . dort in Moskau.

»Aber haben Sie mir nicht versprochen, waren wir denn nicht einig . . .« wollte Irina anfangen.

»Nichts, nichts habe ich versprochen! – Entschuldigen Sie die Schärfe meiner Worte, aber Sie verlangen Wahrheit, so urtheilen Sie denn selbst: was Anderem als der Koketterie, – ich gestehe, mir unbegreiflicher Koketterie – was Anderem, als dem Wunsche, zu versuchen, wie groß noch Ihre Gewalt über mich ist, kann ich Ihre . . . verzeihen Sie, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll . . . Ihre Beharrlichkeit, mich aufzusuchen, zuschreiben? . . . Unsere Wege gingen weit aus einander. Ich hatte gesucht Alles zu vergessen, und es war mir gelungen, die Wunde geheilt, der Schmerz überwunden; ein ganz anderer Mensch war ich geworden. Sie selbst sind verheirathet, glücklich, wenigstens dem Aeußern nach, nehmen eine beneidenswerthe Stellung in der Gesellschaft ein: wozu also, frage ich Sie, wozu diese Annäherung? Was kann ich Ihnen, was können Sie mir sein? Wir können ja einander nicht mehr verstehen, nichts mit einander gemein haben, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart! Besonders aber – besonders in der Vergangenheit!«

Litwinow stieß alles dies hastig in abgebrochenen Sätzen hervor, ohne den Kopf umzuwenden. Irina schwieg und streckte nur von Zeit zu Zeit ihm die Hand entgegen. Sie schien ihn bitten zu wollen, inne zu halten und sie anzuhören; allein bei den letzten Worten biß sie sich aus die Lippen, als ob sie den Schmerz einer heftigen bittern Beleidigung verbeiße.

»Gregor Michailitsch,« hub Irina endlich mit schon ruhigerer Stimme an und entfernte sich noch mehr vom Hauptwege, dahin, wo weniger Leute ihnen begegneten; Litwinow folgte jetzt seinerseits ihr. »Gregor Michailitsch, glauben Sie mir, wenn ich mir eingebildet hätte, daß ich noch die geringste Gewalt über Sie habe, ich wäre die Erste gewesen, die vor Ihnen geflohen wäre. Wenn ich das nicht gethan habe, wenn ich mich entschlossen habe, trotz – trotz meiner früheren Schuld, wieder Ihre Bekanntschaft zu suchen, so geschah dies – weil – weil . . .«

»Nun? – weil?« fragte Litwinow heftig« fast grob.

»Weil,« fuhr Irina plötzlich und energisch entschlossen fort, »weil diese Gesellschaft, diese beneidenswerthe Stellung, wie Sie sie nennen, mir widerlich, unerträglich, drückend geworden, – so drückend, daß ich nicht mehr Kraft genug in mir fand, sie länger zu ertragen und ich mich freute, wie ein Kind freute, als ich Sie traf – einen fühlenden Menschen nach jenen hölzernen, todten Puppen, von denen Sie ja verschiedene Modelle im vieux château zu sehen vor einigen Tagen Gelegenheit hatten. Ich freute mich wie ein verschmachtender Wanderer auf eine Quelle in der Wüste, und Sie nennen mich eine Kokette! Ich mit Ihnen kokettiren! – was Sie da sagen, hat weder Sinn noch Verstand. – Als ich Sie wiedersah, trat mir nur jene theure Zeit meiner Jugend vor die Seele – jene Zeit, als ich noch mein düsteres Loos nicht erwählt hatte; Alles, was wie ein heller Lichtstreif hinter den letzten zehn Jahren meines Lebens liegt . . .«

»So viel ich weiß, Irina Pawlowna, fing jener helle Lichtstreif Ihres Lebens ja erst dann an, als wir von einander schieden.«

Irina führte ihr Taschentuch an den Mund.

»Was Sie da sagen, Gregor Michailitsch, ist sehr grausam, aber ich kann Ihnen nicht zürnen. – Ach nein, keine lichte Zeit war es, die ich durchlebte, seit ich Moskau verlassen, keinen Augenblick wahren Glückes kannte ich seit jener Zeit! – Wäre ich wirklich glücklich, wie Sie sich einreden wollen, könnte ich da jetzt wohl mit Ihnen reden, wie ich es thue? – Ich wiederhole es, Sie kennen die Leute nicht, unter denen ich mich bewege, – kein Mitgefühl ist bei ihnen, selbst kein wahrer Verstand, – nichts als Schlauheit, Arglist und Dressur. Haben sie doch so gar kein Gefühl, weder für Musik, noch Poesie, noch Kunst. – Zwar, meinen Sie vielleicht, besitze ich ja selbst wenig Empfänglichkeit für alles dies, – doch aber fühle und begreife ich besser und anders als jene – ich bin kein Automat wie sie. Neben Ihnen befindet sich jetzt nicht die Dame der vornehmen Welt, nicht die Löwin, – so glaube ich, nennt man uns ja wohl – nein, nur ein armes, elendes Geschöpf, welches des höchsten Mitleids, des Erbarmens bedarf. Wie eine Bettlerin streckt sie Ihnen die Hand entgegen und bittet um Almosen, – während Sie . . .«

Ihre Stimme bebte. Litwinow hob den Kopf empor und blickte sie an; sie athmete schwer, ihre Lippen bebten wie im Fieberfrost. Sein Herz fing an, heftig zu schlagen, sein ganzer Zorn war verraucht.

»Sie sagen, unsere Wege gehen auseinander,« fuhr sie leise fort, »ich weiß, Sie heirathen aus Neigung, Ihr ganzer Lebensplan liegt fertig vor Ihnen – warum aber wollen Sie mir feind sein und mich in diesen Sumpf der Alltäglichkeit versinken lassen, wo ein Wort von Ihnen mich retten kann. – Ich verstehe nicht zu reden, wie ich fühle, doch aber müssen Sie mich verstehen; ich verlange ja so wenig . . . nur ein wenig Theilnahme . . . nur nicht zurückgestoßen zu werden. . . die Rettung meines besseren Ichs, meiner Seele.«

Irina schwieg. Thränen erglänzten in ihren Augen. Sie reichte Litwinow ihre Hand. Langsam und zögernd nahm er sie.

»Sind wir also wieder Freunde?« flüsterte sie.

»Ich will‘s versuchen,« antwortete er nachdenklich.

»Seien Sie wie ich, Gregor Michailitsch, erinnern Sie sich nur des Guten – Sie hatten mir es ja schon einmal versprochen! und – geben Sie mir jetzt Ihr Wort – Ihr Ehrenwort . . .«

»Worauf?«

»Daß Sie mir nicht wieder ausweichen – mich nicht wieder kränken wollen. – Versprechen Sie mir das? Sagen Sie!«

»Ich verspreche es.«

»Und daß Sie alle bösen Gedanken aus Ihrem Kopfe verbannen wollen?«

»Auch das – wenn ich Sie auch wirklich nicht begreife.«

»Das brauchen Sie auch nicht – übrigens wird die Zeit kommen, wo Sie begreifen werden. – Also, Ihr Wort?«

»Ich habe es Ihnen gegeben.«

»Nun Dank, herzlichen Dank! – Ich weiß, ich darf Ihnen trauen. Ich werde Sie heute, morgen, wann Sie wollen, erwarten, ich werde zu Hause sein. – Jetzt aber muß ich Sie verlassen.Da kommt soeben die Herzogin die Allee herab. Sie hat mich bereits gesehen und ich muß sie begrüßen. – Auf Wiedersehen! – — Geben Sie mir doch Ihre Hand, schnell – — Auf Wiedersehen!«

 

Und kräftig seine Hand drückend, ging Irina einer Dame in mittleren Jahren und von stattlicher Figur entgegen, »welche in Begleitung zweier jüngeren Damen und von einem Livreediener gefolgt daher kam.

»Eh boujour, chère Madame,«. rief die ältliche Dame, während Irina ihr eine ehrfurchtsvolle Verbeugung machte. »Coment allez-vous aujourd‘hui? Venez un peu avec moi.«

»Votre Altesse a trop de bonté,« antwortete Irina mit einschmeichelndem Tone.

Dreizehntes Capitel

Litwinow wartete, bis die Herzogin und ihr Gefolge sich entfernt hatten, und verließ dann selbst die Allee.

Er war nicht im Stande, sich über seine Empfindungen klar Rechenschaft abzulegen; sich zwar in seiner Eigenliebe geschmeichelt fühlend, hatte er doch ein innerliches Gefühl der Scham, ja selbst der Angst. Diese unerwartete Erklärung war ihm zu überraschend gekommen, ohne daß er erst vorher sein Verhalten ihr gegenüber hätte überdenken können.

»Ganz absonderliche Geschöpfe sind doch diese vornehmen Damen.« dachte er, »ohne die geringste Consequenz in Allem, was sie thun und denken – und wie verderblich die Atmosphäre, die sie einathmen, und unnatürlich die Zustände, in denen sie leben!«

Eigentlich wiederholte er nur mechanisch diese allgemeinen Phrasen, um ernsthaftere, quälendere Gedanken damit niederzudrücken und sich zu beschwichtigen..

So kam er, das soeben Erlebte überdenkend, in die Nähe einer Bank und sah Potugin mit finsterem Gesichte auf derselben sitzen.

»Ist’s erlaubt, mich neben Sie zu setzen?«

»Bitte, setzen Sie sich; nur sage ich Ihnen im Voraus, Sie finden heute an mir einen höchst unzufriedenen Menschen, einen Hypochonder, der auf sich und die ganze Welt schimpft.«

»Nun, das schadet nichts, antwortete Litwinow, »im Gegentheil, es kommt mir ganz recht.«

»Eigentlich sollte ich nicht schimpfen, denn soeben habe ich in den Zeitungen unsere Gerichtsreformen in Rußland gelesen und mit Vergnügen vernommen, wie man das Gerichtsverfahren ganz nach europäischem Muster einrichtet, ohne einheimische Zuthat. So läßt sich doch erwarten, daß endlich etwas Vernünftiges zu Stande kommt.«

Litwinow hatte nicht gehört, was Potugin zu ihm sagte. Unaufhörlich beschäftigte ihn der Gedanke an Irina, an ihr Zusammentreffen vorhin.

Verzeihen Sie, lieber Potugin, aber ich falle Ihnen wieder mit meiner früheren Frage beschwerlich, hinsichtlich . . .«

»Hinsichtlich?«

»Hinsichtlich der Generalin Ratmirow.«

Potugin legte seine Zeitung zusammen und steckte dieselbe in die Tasche.

»Sie wollen wissen« wie ich eigentlich mit ihr bekannt geworden bin?«

»Nein, ich wollte nur Ihre Meinung über die Rolle erfahren, die sie in Petersburg gespielt hat. Was war das eigentlich für eine Rolle?«

»Ich weiß in der That nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll. Ich war mit der Generalin ziemlich nahe befreundet, durch einen Zufall und nicht lange. In ihre Welt komme ich nicht – die ist mir unbekannt. Was man da aber bei uns in Petersburg klatscht, interessirt mich wenig. – Indessen, wie ich sehe, scheint sie Sie ja sehr zu interessiren?«

»Ja, wir haben uns ziemlich lange über alte Zeiten unterhalten. – Um Eins aber muß ich Sie doch noch bitten: Sagen Sie mir, meint sie’s aufrichtig, kann man ihr trauen?«

Potugin schlug die Augen nieder.

»Wenn sie sich von ihrem Gefühl hinreißen läßt – ist sie aufrichtig, wie jedes leidenschaftliche Weib. Auch der Stolz hält sie zuweilen vor Lüge und Falschheit zurück. – Nun aber sagen Sie mir, bei wem wohl von allen diesen vornehmen Damen finden Sie Wahrheit? Die beste von-ihnen ist doch bis in’s Mark der Knochen verdorben.«.

»Aber erinnern Sie sich doch, sagten Sie mir nicht selbst, daß Sie ihr Freund wären? Haben Sie mich nicht selbst fast mit Gewalt zu ihr gebracht?—

»Was beweist das? Sie hatte mich gebeten, Sie mitzubringen, und ich habe ihren Wunsch erfüllt. Und ihr Freund bin ich in der That. Es fehlt ihr keineswegs an vortrefflichen Eigenschaften; sie ist zum Beispiel sehr gutherzig, eigentlich sollte ich sagen freigebig, mildthätig, das heißt, sie giebt gern das weg, was sie selbst nicht braucht. Uebrigens müssen Sie sie ja eben so gut kennen als ich.«

»Ich kannte Irina Pawlowna vor etwa zehn Jahren, seit jener Zeit aber . . .«

»Ei, lieber Gregor Michailitsch, was sprechen Sie da! Als ob der angeborene menschliche Charakter sich je verändere? Wie man in der Wiege war, so ist man bis zum Grabe. Oder fürchten Sie vielleicht« – Potugin senkte bei diesen Worten seinen Kopf noch tiefer hinab – »in ihre Netze zu gerathen? Freilich, freilich, – hier oder dort, denen entgeht doch Keiner!«

Litwinow lächelte gezwungen.

»Sie glauben?« sagte er.

»Keiner« sage ich Ihnen! Der Mann ist schwach, das Weib stark, stärker noch der Zufall; schwer ist’s, das farblose Leben ruhig zu durchwandern, immer ganz seiner selbst Herr zu sein – da tritt Schönheit und Theilnahme, Licht und Wärme uns entgegen, – widerstehe wer kann! – Das Ende vom Liede ist gewöhnlich:: Kälte, Enttäuschung, Leere! – Natürlich! Zuerst begreift man nicht, wie man lieben, dann – wie man noch leben kann!«

Litwinow betrachtete ihn aufmerksam, und nie schien ihm ein Mensch trostloser, einsamer, verlassener vorgekommen zu sein. Mit tiefstem Bedauern blickte er auf die zusammengesunkene Figur des verbissenen und doch gutmüthigen Sonderlings, die trübselig neben ihm saß.

»Irina Pawlowna hat mir unter Anderem noch von einer lieben Freundin, einer Madame Belsky, glaube ich, gesprochen,« hub er halblaut an.

Potugin blickte Litwinow wehmüthig an.

»Ah!« sagte er leise, »sie hat Ihnen erzählt? Nun meinetwegen, – Uebrigens, verzeihen Sie, ich eile nach Hause – es ist Zeit, zu Tische zu gehen. Leben Sie wohl!«

Er stand rasch auf und eilte, ehe Litwinow noch Zeit hatte, weiter zu fragen, fort.

Mit sich selbst unzufrieden, machte sich nun auch dieser auf den Weg in sein Hotel. »Verdorben bis in’s Mark,« klang es ihm noch immer in den Ohren – »aber stolz. Sie, dieses Weib, welches fast auf den Knieen vor mir lag, stolz?«

Vergebens versuchte Litwinow ihr Bild aus seinem Kopfe zu verbannen; immer stand sie vor seinen Blicken, wie sie flehend und Thränen in den Augen neben ihm ging. An seine Braut wagte er heute nicht zu denken; er fühlte, ihr Bild werde das andere nicht verdrängen. Er nahm sich vor, ruhig die Lösung dieses »sonderbaren Räthsels« abzuwarten, und suchte sich einzureden, daß Alles natürlich und zu aller Zufriedenheit enden werde. .

Der Kellner trat in’s Zimmer und brachte ihm ein Billet, es war von Irina..

»Wenn Sie heute Abend nichts Besonderes vorhaben, so kommen Sie zu mir: ich werde nicht allein sein, es kommen Gäste – und Sie werden noch besser Gelegenheit haben, unsere Gesellschaft kennen zu lernen. Ich wünsche sehr, daß Sie sie sehen, ich hoffe, daß sie sich in ihrem vollen Glanze zeigen wird. – Sie müssen doch einmal sehen, in welcher Atmosphäre ich athme. Kommen Sie? Ich werde mich unendlich freuen, Sie zu sehen, und ich hoffe, Sie werden sich nicht langweilen. Beweisen Sie mir, daß unsere heutige Erklärung auf immer jedes Mißverständniß zwischen uns unmöglich gemacht hat.

Ihre Ihnen zugethane I.«

Den Frack und eine weiße Halsbinde anlegend, dachte Litwinow, als er sich zu Irina begab:

»Alles das hat keine Gefahr; warum soll ich »sie« mir nicht einmal ansehen? Einmal diese »Automaten« studiren, das lohnt der Mühe!«

Einige Tage zuvor erweckten dieselben Menschen in ihm ein ganz anderes Gefühl: Unwillen« Verachtung.

Vierzehntes Capitel

Litwinow fand bei Irina eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft, In einer Ecke des Zimmers saßen drei Generale am Kartentische: ein wohlbeleibter, ein reizbarer und ein herablassender. Sie spielten Whist mit dem Strohmann, und schwer ist’s, die Wichtigkeit wiederzugeben, mit welcher sie ausspielten, gaben, stachen – man hätte glauben sollen, sie seien mit Staatsangelegenheiten beschäftigt. Unter den Damen waren einige, welche auf dem Picknick zugegen gewesen waren; doch waren noch andere da, die er nicht kannte»Eine alte Mumie besonders, bei der man jeden Augenblick befürchten mußte, daß sie in Asche zusammenfalle, saß décoltée da, ihre knöchernen, pergament-grauen Schultern hin und her bewegend und ihren mit falschem Gebiß versehenen Mund mit dem Fächer bedeckend, während sie schmachtend ihre todten Augen auf Ratmirow heftete. Da sie in hohem Ansehen bei Hofe stand, machte dieser ihr sehr den Hof. – Die »Königin der Wespen« saß, von einem Schwarm junger Leute umgeben, unter welchen Einer besonders sich durch seinen platten Schädel und den thierisch-dummen Ausdruck seines ebenfalls platten Gesichts, würdig des bucharischen Changs oder des römischen Heliogabals auszeichnete.

Irina hatte Platz auf dem Divan genommen, neben dem Fürsten Koka und der Gräfin X., einer vormals als sehr gelehrt verschrieenen Dame, die aber jetzt einer verschrumpften Morchel glich und Lampenöl-Geruch und giftige Bosheit aushauchte.

Als Irina Litwinow erblickte, erröthete sie, erhob sich und drückte ihm fest die Hund. In einem golddurchwirkten schwarzen Kreppkleide glänzten ihre marmorweißen Schultern verführerischer als je, während ihr ebenfalls bleiches Gesicht ihn freundlich anlächelte und ihr tiefes, strahlendes Auge sich in das seinige versenkte.

Auch Ratmirow näherte sich ihm jetzt und begrüßte ihn auf seine gewöhnlich ausgesucht zuvorkommende Weise; dann stellte er ihn einigen Damen vor, die, nachdem sie ihn von oben bis unten herablassend gemustert und gnädig in ihre Unterhaltung gezogen, ihn bald wieder stehen ließen.

Die ausdrucksvollen Züge des hübschen jungen Plebejers hätten vielleicht Gnade vor ihren Augen gefunden; er verstand es aber nicht, ihre gute Meinung von ihm zu befestigen, fühlte sich verlegen und noch unbehaglicher, da gerade in diesem Augenblicke der wohlbeleibte General zu ihm herübersah, als ob er sagen wollte: »Aha, Eindringling, Freigeist, schleichst Dich ein, wohin Du nicht gehörst; drückst die Hände, welche Frechheit!«

Irina kam Litwinow zu Hilfe; sie manöverirte so geschickt, daß er bald in einem Winkel neben der Thür, in ihrer unmittelbaren Nähe und hinter ihr saß. Wenn sie mit ihm sprach, mußte sie sich immer umwenden, und jedesmal bewunderte er die classisch-schöne Biegung ihres mattglänzenden Halses, gierig sog er den feinen Wohlgeruch ihres Haares ein. Der Ausdruck tiefer Dankbarkeit lag beständig noch auf ihrem Gesichte, in jedem Lächeln, und wohl und weh zugleich ward ihm zu Muthe, wenn sie ihn anredete.

Die Unterhaltung wurde bald mehr bald weniger allgemein, Jeder brachte seine Meinung, sein Steckenpferd aufs Tapet. Fürst Koko suchte Alle zu überschreien. »C’est absurde, cela n‘s pas le sens common,« waren seine Lieblingserwiderungen. Es entstand ein solcher Wirrwarr, daß Niemand den Andern verstand, gerade wie bei Gubarow, nur mit dem Unterschiede, daß hier weder Bier noch Tabaksdampf und die Anzüge sauberer waren. Ratmirow suchte besänftigend zuzureden, drang aber nicht durch, bis ein anwesender Würdenträger es Übernahm: le résume de la question en peu de mots auseinanderzusetzen, aber auch mit seinem Resume nicht zu Stande kommen konnte.

Irina winkte oft heimlich Litwinow zu und belustigte sich mit ihm im Stillen über die Albernheiten dieser crême de la société.

Litwinow blieb bis Mitternacht und ging später als Alle fort.

Die Staatsmänner« nachdem sie ihr Spiel beendet hatten, nahmen Theil an der Unterhaltung, und das Gespräch wendete sich sogleich auf Pariser Berühmtheiten der Demi-Monde; es zeigte sich, daß diese Allen bekannt waren; dann auf Sardou‘s letztes Stück, auf Abouts neuesten Roman, auf die Patti und Traviata.

Wenn auch Litwinow wirklich aufmerksamer auf die Unterhaltung um ihn gewesen wäre, nicht einen einzigen vernünftigen Gedanken, nicht ein einziges aufrichtig gemeintes Wort, nicht ein einziges neues Factum aus all diesem Geschwätz hätte er mit nach Hause gebracht. Und dabei welche Unwissenheit, welche veralteten Ideen, welche Unkenntniß der Welt und alles dessen, was das Leben ziert und verschönert!

Als Irina von Litwinow Abschied nahm, drückte sie ihm wieder fest die Hand und flüsterte ihm bedeutsam zu:

»Nun, sind Sie zufrieden? Haben Sie sich satt gesehen und beobachtet? Hübsch, nicht wahr?«

Er antwortete ihr nichts, sondern verbeugte sich nur tief und verbindlich.

Als Irina endlich mit ihrem Manne allein geblieben war, wollte sie sich in ihr Schlafgemach begeben. Er hielt sie zurück.

 

»Je vous ai beaucoup admiré ce soir, madame,« sagte er, sich ein Papyros anzündend und sich an’s Kamin lehnend, »vous vous êtes parfaitement moquée de nous tous.«

»Pas plus cette fois que les autres,« antwortete sie gleichgültig.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Wie Sie wollen.«

»Hm, c‘est clair.« Vorsichtig und leise, katzenartig strich er mit dem langen Nagel seines Zeigefingers die Asche seines Papyros ab. »Doch, à propos, Ihr neuer Bekannter da – wie heißt er doch noch – richtig, der Herr Litwinow – genießt wahrscheinlich den Ruf eines sehr klugen Mannes.«

Bei Litwinows Namen wendete sich Irina rasch um.

»Was wollen Sie damit sagen?«

Der General lächelte.

»Weil er immer schweigt – er fürchtet wahrscheinlich, sich zu compromittiren.«

Irina lächelte ebenfalls, aber nicht in dem Sinne ihres Mannes.

»Besser schweigen, als so sprechen – wie Mancher spricht.«

»Attrapé,« antwortete Ratmirow mit verstellter Demuth. »Uebrigens, Scherz bei Seite, er hat ein recht interessantes Gesicht. Einen gewissen festen Ausdruck – und den Anstand – ich glaube, er muß Republikaner sein, in der Art Ihres andern Freundes, des Herrn Potugin; das ist auch so ein Gelehrter, nur gehört er zu der Zahl der Schweigsamen.«

Irinens Augenbrauen hoben sich plötzlich über den weit sich öffnenden hellen Augen, ihre Lippen zogen sich fest zusammen.

»Zu welchem Zweck sagen Sie das, Valerian Wladimiritsch?« fragte sie halb mitleidig. »Wozu unnütz Pulver verschießen? – Wir sind ja nicht in Rußland, und Niemand hört Sie.«

Ratmirow zuckte zusammen.

»Das ist nicht meine Meinung allein, Irina Pawlowna, fuhr er mit einem gewissen schnarrenden Tone fort, »auch Andere finden, daß dieser Herr ganz aussieht, wie ein Carbonari.«

»In der That! Und wer sind diese Anderen?«

»Nun Boris zum Beispiel.«

»Wie, der hat auch eine Meinung?«

Irina zuckte die Achseln verächtlich.

»Ja der – eben der. Ihnen scheint es übrigens unangenehm zu sein, daß ich Ihnen gesagt habe, was man von ihm denkt. Da ist also wohl kein Zweifel, daß er Sie sehr interessirt . . .«

Irina hob die Hand in die Höhe, in welcher sie den Leuchter hielt, – die Flamme kam in gleiche Höhe mit dem Gesicht des Generals – aufmerksam, fast neugierig blickte sie ihm in die Augen und brach dann plötzlich in ein lautes Lachen aus.

»Was kommt Ihnen an?« fragte Ratmirow, verdrießlich die Stirne runzelnd.

Irina fuhr zu lachen fort.

»Was haben Sie denn?« fuhr er fort, mit dem Fuße stampfend.

Er fühlte sich beleidigt, auf‘s heftigste beleidigt, während zugleich die Schönheit dieses Weibes, welches so leicht und dreist vor ihm stand, ihn unwillkürlich fesselte . . . sie quälte ihn muthwillig. Er sah alle ihre Reize, selbst den rosigen Glanz der zierlichen Nägel an den zarten Fingern, welche den schweren Bronceleuchter umfaßten – sah Alles – und die Beleidigung drang ihm noch tiefer in’s Herz.

Irina lachte noch immer.

»Wie? – Sie – Sie sind eifersüchtig?« sagte sie endlich; und ihrem Mann den Rücken kehrend, verließ sie das Zimmer.

Finster blickte Ratmirow ihr nach, – wieder bemerkte er ihre schlanke Gestalt, die Grazie ihrer Bewegungen – — mit einem heftigen Stoß seine Cigarette auf dem Marmor des Kamins zerstampfend, warf er sie weit von sich. Seine Wangen erbleichten plötzlich, ein krampfhaftes Zucken durchfuhr seinen Körper, und seine Augen erglänzten wild. Sein ganzer Charakter schien verändert, – einen ähnlichen Ausdruck mochte er wohl angenommen haben, als er in Weißrußland die aufrührerischen Bauern peitschen ließ. – —

Als Litwinow in sein Zimmer gekommen war, setzte er sich, den Kopf auf beide Hände gestützt, und blieb lange unbeweglich und in Gedanken versunken. Endlich erhob er sich, öffnete ein Kästchen, nahm ein Portefeuille heraus und aus demselben ein photographisches Bild – das Bild Tatianens.

Traurig blickte ihn diese, vor längerer Zeit in der Provinz gemachte, schlecht gelungene Photographie an.

Tatiana war der Typus eines echt großrussischen jungen Mädchens; brünett, ziemlich voll von Gesicht, mit einem Ausdruck unendlicher Güte und Bescheidenheit, klaren, klugen, braunen Augen und zarter, weißer Stirn, auf welcher beständig die Sonne zu scheinen schien.

Lange betrachtete Litwinow das Kärtchen, dann schob er es leise von sich und ergriff wieder seinen Kopf mit beiden Händen.

»Alles ist zu Ende!« flüsterte er traurig, »Irina! Irina!«

Nur jetzt, in diesem Augenblick nur war es ihm klar geworden, daß er sie unwiderruflich, wahnsinnig liebe, sie liebe vorn ersten Zusammentreffen auf dem alten Schlosse an, ja daß er nie aufgehört habe, sie zu lieben.

Und doch, wie würde er sich gesträubt haben, es zu glauben, wenn Jemand ihm dieses noch vor wenig Stunden gesagt hätte.

»Aber Tatiana, mein Gott, Tatiana!« wiederholte er, und der Kopf schwindelte ihm, während Irina’s Bild im schwarzen Kreppkleide, Triumph in ihrem marmorweißen Gesichte, ohne Unterlaß vor seiner Seele schwebte.