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Zehntes Capitel

Litwinow fing an zu lesen, aber seine Gedanken wanderten anderswo herum, und er wußte nicht, was er las. Die Zeit verstrich unleidlich langsam.

Einige Landsleute kamen, ihn zu besuchen; diese Besuche waren ihm unerträglich. Einer von ihnen, ein gewisser Bindassow, für den er sich nicht allein nicht im geringsten interessirte, sondern der ihm noch besonders zuwider war, verlangte von ihm auf kurze Zeit hundert Gulden Litwinow, obgleich er wußte, daß er das Geld nie zurückbekommen würde, auch selbst durchaus keinen Ueberfluß an Geld hatte, gab sie ihm.

»Warum?« fragt der Leser. Ja, Gott weiß warum! Aber so ist einmal der russische Charakter, es liegt nicht in seiner Natur, Jemandem etwas abzuschlagen.

Bindassow bedankte sich auch gar nicht einmal, verlangte noch ein Glas Affenthaler und verließ pfeifend und ohne Umstände das Zimmer.

Gegen Abend erhielt Litwinow einen Brief von seiner Braut, in welchem sie ihm mittheilte, daß einer Unpäßlichkeit wegen, sie vor fünf oder sechs Tagen nicht in Baden sein könnte. Diese Nachricht wirkte unangenehm auf ihn, sie vermehrte seinen Aerger, und er legte sich übelgelaunt früh schlafen.

Der folgende Tag verging nicht besser, ja fast noch schlimmer; schon am frühen Morgen kamen mehrere Landsleute, unter andern zwei Heidelberger Studenten, die den ganzen Morgen dablieben und sich und ihn langweilten.

Als endlich Litwinow allein geblieben war, versuchte er sich zu beschäftigen, aber der Kopf ging ihm noch von dem Geschwätz seiner Landsleute herum, und er war nicht im Stande, das Geringste zu Wege zu bringen.

Am andern Tage, als er eben frühstücken wollte, klopfte Jemand an seine Thür.

»Mein Gott,« dachte er, »wenn nur nicht wieder einer der gestrigen Freunde kommt, mich mit seinem Besuche zu langweilen.« Halb ängstlich rief er: »Herein!«

Die Thür öffnete sich leise und Potugin trat ein.

Litwinow war sehr erfreut über diesen Besuch und nahm ihn ungemein herzlich auf.

Potugin schien etwas verlegen, und obwohl ihn gleich Litwinows Freundlichkeit angenehm zu berühren schien, so hatte doch sein Auftreten etwas Gezwungenes.

»Es ist mir immer sehr angenehm, zu ihnen zu kommen,« hub er verlegen an, »doch aber bin ich diesmal eigentlich nur zu Ihnen gesand!«

»Was so viel sagen will,« unterbrach ihn Litwinow, »daß Sie sonst nicht zu mir gekommen wären!«

»O nein, das gewiß nicht. Doch aber hätte ich es nicht so bald gewagt, Sie zu stören, – wenn nicht Jemand es von mir bestimmt verlangt hätte. Mit einem Worte – ich habe einen Auftrag an Sie.«

»Erlauben Sie mir zu fragen« von wem?«

»Von einer Ihnen bekannten Dame« von Irina Pawlowna Ratmirow. Sie haben ihr nämlich vorgestern, glaube ich, versprochen, sie zu besuchen?«

Litwinow blickte Potugin verwundert an.

»Sie sind mit der Generalin Ratmirow bekannt?«

»Wie Sie sehen.«

»Gut bekannt?«

»In mancher Hinsicht darf ich mich ihren Freund nennen.«

Litwinow schwieg.

»Erlauben Sie mir, Sie zu fragen,« hub er endlich an, »ist Ihnen bekannt, warum Irina Pawlowna mich zu sehen wünscht?«

Potugin trat an‘s Fenster.

»Gewissermaßen, ja. So viel ich urtheilen kann, war sie sehr erfreut, Sie hier getroffen zu haben und wünscht nun die früheren Verhältnisse wieder zu erneuern.«

»Erneuern?« wiederholte Litwinow. »Verzeihen Sie meine Unbescheidenheit, aber erlauben Sie mir noch zu fragen: ist Ihnen bekannt, welcher Art diese Verhältnisse waren?«

»Genau – nein, kenne ich diese nicht. Aber ich vermuthe, und dabei blickte er sich um und blickte ihn freundlich an, »ich vermuthe, daß sie freundschaftlich waren. Die Generalin hat Sie mir gelobt und nicht eher geruht, bis ich ihr das Wort gegeben habe, daß ich Sie zu ihr führen werde. Werden Sie kommen?«

»Wann?«

»Jetzt . . . gleich!«

Litwinow winkte abwehrend mit der Hand.

»Die Generalin vermuthet,« fuhr Potugin fort, »daß die Gesellschaft, oder wie sie sagt, der Kreis, in welchem Sie sie vorgestern getroffen haben, wahrscheinlich nicht besonders mit Ihren Neigungen und Meinungen sympathisirt; sie läßt Ihnen aber sagen, daß der Teufel nicht so schwarz sei, wie man ihn abbilde.«

»Hm – und dieser Ausspruch bezieht sich gerade auf jenen Kreis?«

»Auf diesen . . . und im Allgemeinen auf jeden andern.«

»Hm! – Nun, und Sie« Herr Potugin, welche Meinung haben Sie vom Teufel?«

»Ich meine, daß er jedenfalls nicht so ist, wie man denselben darstellt.«

»Besser oder schlimmer?«

»Ob besser oder schlimmer, ist schwer zu sagen; doch anders jedenfalls. – Nun aber kommen Sie.«

»Ach warten Sie noch einen Augenblick. – Aufrichtig gesagt, kommt es mir doch etwas sonderbar vor . . .«

»Was? wenn ich bitten darf.«

»Wie Sie, gerade Sie, Irina Pawlowna’s Freund haben werden können!«

Potugin warf einen Blick auf sich selbst.

»Mit meiner Figur, meiner Stellung in der Welt scheint das wirklich fast unwahrscheinlich. Vor ihnen steht ein hoher, schöner Baum, die Luft ist ruhig, kein Blättchen regt sich; ist es nun wohl möglich, daß ein Blatt, welches unten am Baume sitzt, je mit dem Blatte oben an der Krone in Berührung kommt? Nein. Doch lassen Sie nur einen Sturm kommen, der reißt Alles durcheinander – und jene beiden Blätter kommen am Boden zusammen.«

»Aha, nun begreife ich, es hat also ein Sturm stattgefunden?«

»Wie sollte das Leben ohne Stürme verlaufen! Aber wollen wir das Philosophiren bei Seite lassen. Es ist Zeit zu gehen.«

Litwinow zögerte noch immer.

»Nun, beim Styr, rief Potugin mit komischer Geberde, »unsere jungen Leute sind heutzutage merkwürdige Philister! Die schönste Dame der Welt ladet sie zu sich ein, schickt sogar Boten und Couriere nach ihnen – und sie zieren sich! Schämen Sie sich, junger Mann, schämen Sie sich! Da ist Ihr Hut, nehmen Sie ihn und – vorwärts!«

Litwinow stand noch einen Augenblick in Gedanken versunken, – dann nahm er rasch seinen Hut und verließ mit Potugin das Zimmer.

Elftes Capitel

Litwinow und Potugin traten in eines der ersten Hotels des Badeortes und fragten nach der Generalin Ratmirow.

Der Portier erkundigte sich erst nach ihren Namen, dann sagte er ihnen, daß die Frau Fürstin zu Hause sei und begleitete sie selbst die Treppe hinauf, klopfte an die Thür des Saales und meldete sie an.

»Die Frau Fürstin« ließ sie sogleich bitten einzutreten; sie war allein, ihr Mann war nach Karlsruhe gefahren, einem durchreisenden Würdenträger seine Aufwartung zu machen, – einem der augenblicklich Einflußreichsten.

Irina saß an einem kleinen Arbeitstische, mit einer Stickerei beschäftigt, als Potugin und Litwinow die Schwelle des Zimmers überschritten. Hastig warf sie die Stickerei weg, stieß das Tischchen zurück und erhob sich; der Ausdruck unverstellter Freude war in ihrem Gesichte zu lesen.

Bekleidet mit einem leichten Morgenkleide das die Gestalt bis oben verhüllte, schimmerten die wundervollen Schultern und Arme durch das leichte Gewebe; das nachlässig aufgesteckte Haar hatte sich theilweise gelöst und fiel tief über den seinen Hals herab.

Irina warf Potugin einen raschen Blick zu, flüsterte »merci« und reichte Litwinow die Hand, indem sie ihm scherzhaft Vorwürfe machte, daß er ihre Einladung vergessen habe.

»Und Sie sind noch dazu ein so alter Freund,« setzte sie hinzu.

Litwinow suchte sich zu entschuldigen.

»C‘est bien, c‘est bien,« unterbrach sie ihn hastig, nahm ihm halb scherzend den Hut ab und nöthigte ihn, sich zu setzen.

Potugin setzte sich ebenfalls, blieb aber nicht lange, schätzte ein unaufschiebbares Geschäft vor und fügte hinzu, daß er am Nachmittag wieder versprechen werde, dann nahm er Abschied.

Irina warf ihm wieder einen raschen Blick zu, nickte freundschaftlich mit dem Kopfe, hielt ihn jedoch nicht zurück.

Kaum war er hinter der Portiere verschwunden, als sie sich lebhaft an Litwinow wendete.

»Gregor Michailitsch,« redete sie ihn jetzt russisch und im weichsten Tone ihrer metallreichem vollen Stimme an, »endlich sind wir allein, und ich kann Ihnen sagen, daß ich mich unendlich freue, Sie bei mir zu sehen., weil es mich drängt,« – (sie blickte ihm voll in’s Gesicht) – »seit lange drängt – Sie um Verzeihung zu bitten.«

Litwinow zuckte unwillkürlich zusammen. Eine so plötzliche Erklärung kam ihm unerwartet. Er hatte nicht geglaubt, daß sie selbst die Rede auf jene alten, vergangenen Zeiten lenken werde.

»Verzeihung? . . . wofür?« stammelte er.

Irina erröthete.

»Wofür? . . . Sie wissen wofür,« flüsterte sie, sich leicht abwendend. »Ich habe mich schwer gegen Sie vergangen, Gregor Michailitsch; – wenn gleich der Himmel es so gewollt zu haben scheint und es wohl Bestimmung des Schicksals gewesen ist . . . (Litwinow erinnerte sich hierbei ihres Briefes). Auch bereue ich nicht und darf meine Handlungsweise nicht bereuen . . . Als ich Ihnen aber hier so unerwartet begegnete, habe ich mir gesagt, daß wir wieder Freunde, durchaus wieder Freunde werden müssen, – darum eben bedurfte es einer raschen Erklärung, um ein- für allemal unserem Zusammentreffen jede Gène zu nehmen. Gregor Michailitsch, Sie müssen mir vergeben, aufrichtig meine Schuld vergeben! – Vielleicht scheine ich Ihnen zudringlich mit meiner Bitte, denn wahrscheinlich haben Sie mich längst vergessen, aber gleichviel, sagen Sie mir, daß Sie mir vergeben!«

Irina stieß diese Worte hastig hervor, und Litwinow bemerkte Thränen in ihren Augen – ja wirklich Thränen.

»Wozu entschuldigen Sie sich, Irina Pawlowna,« antwortete er eifrig. »Wie kommt Ihnen nur der Gedanke, bei mir um Vergebung zu bitten. . . .Jene Sache ist eine alte, längst vergessene; mich wundert nur, wie Sie, von Glanz und Luxus umgeben, sich noch des geringen Gefährten Ihrer ersten Jugend erinnern.«

 

»Das wundert Sie?« fragte Irina leise.

»Es rührt mich,« verbesserte Litwinow, »um so mehr, da ich es nie erwartete.«

»Aber noch immer sagen Sie mir nicht, daß Sie mir vergeben haben,« unterbrach ihn Irina.

»Ich freue mich aufrichtig, daß Sie zufrieden sind, Irina Pawlowna, und wünsche Ihnen von Herzen alles Beste. . .«

»Und gedenken des zugefügten Bösen nicht?«

»Ich gedenke allein jener schönen, seligen Augenblicke, die ich einst bei Ihnen verlebte!«

Irina reichte ihm ihre beiden Hände. Litwinow ergriff sie, drückte sie und ließ sie nicht sogleich wieder aus den seinigen. . . Etwas längst Vergessenes stieg bei dieser Berührung in Beider Herzen empor.

Irina blickte ihm wieder, dieses Mal aber lächelnd, gerade in die Augen. . . Auch er erwiderte diesen Blick jetzt ungezwungen und frei. Er erkannte wieder jene ihm einst so theueren Züge, jene tiefen Augen mit ihren ungewöhnlich langen Wimpern, das Muttermal auf der Wange, die antike Form der Nase und des Mundes, die eigenthümliche Form der Stirn selbst und jene alte Gewohnheit, die schönen, vollen Lippen auszuwerfen und die Brauen zusammenzuziehen, Alles, Alles erkannte er . . . Und um wie viel schöner sie geworden war! Welch eine Elasticität und Grazie in dem Körper dieser jungen Frau! Und weder Puder, noch Schminke, irgend welches kosmetische Mittel in diesem blendend reinen Gesichte. Sie war in der That ein ideal schönes Weib.

Litwinow blickte sie immer noch an, seine Gedanken waren aber bereits an einem andern Orte.

Irina bemerkte dieses.

»Nun, das ist herrlich,« hub sie laut an, »mein Gewissen ist jetzt beruhigt, und ich kann meine Neugier befriedigen . . .«

»Neugier?« wiederholte Litwinow, als begriffe er den Sinn dieser Worte nicht.

»Ja, ja . . . Ich will durchaus wissen, was Sie während dieser langen Zeit gethan, was für Pläne Sie für die Zukunft haben; Alles, Alles will ich wissen. Aber die Wahrheit müssen Sie mir berichten, denn ich mache Sie im Voraus darauf aufmerksam, daß ich, so viel wir möglich war, Sie nicht aus den Augen verloren habe.«

»Sie haben mich nicht aus den Augen verloren? Sie . . . dort in Petersburg?«

»Mitten in Glanz und Luxus, der mich umgiebt, wie Sie soeben bemerkten. Eben da habe ich Sie nicht aus den Augen verloren. Was aber diesen Glanz betrifft, so werden wir noch später von ihm reden; jetzt aber müssen Sie mir viel und lange erzählen, Niemand wird uns unterbrechen. – Ach, das wird herrlich sein!« rief sie, vergnügt in die Hände klatschend und sich im Sessel zurücklehnend.

Nach einer kleinen Pause hub Irina an:

»Ach wie freundlich es doch von unserem Potugin war, Sie mitzubringen.«

Litwinow horchte auf.

»Sind Sie denn schon lange mit diesem Potugin bekannt?« fragte er.

»Lange schon . . . Doch erzählen Sie.«

»Und kennen Sie ihn genau?«

»O gewiß!« Irina seufzte. »Damit hat es eine eigene Bewandtniß. Sie haben gewiß von Elise Belsky gehört? . . . Nun, dieselbe, die eines so schrecklichen Todes starb! . . . Ach ja, ich vergaß, daß Ihnen ja unsere chronique scandaleuse der großen Welt nicht bekannt ist – zum Glück nicht bekannt ist. Endlich, endlich doch einmal ein Mensch, ein lebender, athmender Mensch, der »die Unsrigen« nicht kennt, und mit dem man ordentlich russisch reden kann und nicht in dem süßlichen widerlichen Petersburger Französisch!«

»Und Potugin, sagen Sie, steht in Verbindung mit . . .«

»Es macht mich jedesmal traurig, wenn ich davon rede oder nur daran denke,« unterbrach ihn Irina. »Elise war meine beste Freundin im Institut, und später, in Petersburg, sahen wir uns oft. Sie vertraute mir alle ihre Geheimnisse, sie war sehr unglücklich und hat viel gelitten. Potugin hat sich in dieser Sache sehr edel bewiesen, wie ein wahrer Ritter, mit höchster Selbstaufopferung. Von der Zeit an kenne und schätze ich ihn! – Aber da sind wir wieder auf einen Seitenweg gerathen. – Ich warte auf Ihre Erzählung, Gregor Michailitsch.«

»Dieselbe enthält durchaus nichts, was Sie interessiren dürfte.«

»Das zu beurtheilen erlauben Sie mir

»Ueberdies weiß ich wirklich nicht, wo ich anfangen soll.«

»Nun natürlich von Anfang, von dem Augenblicke an, als wir – — als ich nach Petersburg reisen mußte. Sie blieben damals in Moskau zurück. – — Wissen Sie, daß ich seit der Zeit nicht mehr in Moskau gewesen bin.«

»Ist möglich?«

»Ja, gewiß. Zuerst war’s nicht möglich, später aber, als ich verheirathet war . . .«

»Und wie lange sind Sie schon verheirathet?«

»Seit vier Jahren.«

»Und Kinder haben Sie nicht?«

»Nein,« antwortete sie kurz.

Litwinow schwieg, dann fragte er weiter:

»Und bis zu Ihrer Heirath haben Sie immer bei jenem . . . wie hieß er doch noch . . . ja, richtig, bei jenem Grafen Reisenbach gelebt?«

Irina blickte ihn starr an, als ob sie zu errathen wünsche, warum er so frage.

»Nein!« antwortete sie endlich.

»Ihre Eltern also – — Ach, verzeihen Sie, ich habe mich noch nicht einmal nach ihnen erkundigt. Wie geht es ihnen?«

»Beide sind gesund.«

»Und leben wie sonst in Moskau?«

»Ja wohl, sie sind einmal an Moskau gewöhnt.«

»Und Ihre Brüder und Schwestern?«

»Es geht Ihnen gut, ich habe sie alle versorgt.«

»Ah!« sagte Litwinow, Irina mißtrauisch anblickend. »Eigentlich aber, Irina Pawlowna, sollten Sie mir mit gutem Beispiel vorangehen.«

»Warum nicht.« antwortete sie, den Trauring an ihrem Finger drehend; »meinetwegen, – den Anfang aber müssen Sie machen, denn wenn ich Sie auch nicht aus den Augen verloren habe, so ist mir doch so Vieles, Sie betreffend, unbekannt geblieben, während Sie von mir gewiß auch so schon genug gehört haben. Nicht wahr, Sie haben Vieles von mir gehört?«

»Sie nahmen einen so hohen Rang in der Gesellschaft ein, Irina Pawlowna, als daß über Sie nicht Mancherlei gesprochen worden wäre . . . besonders in der Provinz, wo ich mich befand, und wo man jedem Gerüchte Glauben schenkt.«

»Und Sie glaubten diesen Gerüchten. – Welcher Art waren sie denn?«

»Was mich betrifft, so muß ich Ihnen gestehen, daß dergleichen selten genug bis zu mir gelangte. Ich führte ein solches Einsiedlerleben . . .«

»Sie waren ja doch in der Krim bei der Volkswehr?«

»Auch das ist Ihnen bekannt?«

»Wie Sie sehen. Jetzt glauben Sie doch, daß ich mich nach Ihnen erkundigt habe?«

»Warum soll ich Ihnen denn erzählen, was Sie auch so schon wissen?«

»Um meine Bitte zu erfüllen und – ich bitte Sie darum, Gregor Michailitsch.

« Litwinow gab ihrem Wunsche nach und erzählte etwas verwirrt, in allgemeinen Zügen seinen einfachen Lebenslauf. Oft hielt er inne und blickte sie fragend an, ob es nicht genug sei.

Beharrlich jedoch bestand sie auf der Fortsetzung seiner Erzählung und schien, die Locken hinter die Ohren zurückwerfend, im Sessel zurückgelehnt, aufmerksam jedem seiner Worte zu folgen.

Wenn aber ein erfahrener Beobachter sie heimlich betrachtet hätte, so würde er vielleicht gefunden haben, daß sie oft nichts von dem hörte, was Litwinow ihr mittheilte, sondern in Selbstbetrachtungen versunken zu sein schien. – Und in der That: vor ihrem Geiste ging ihr ganzes vergangenes Leben vorüber, während sie ihn so starr anblickte, daß er oft verwirrt wurde und erröthete.

Litwinow schwieg endlich, und dieses Mal bat ihn Irina nicht mehr, fortzufahren, sondern blieb unbeweglich, mit der Hand die Augen bedeckend, in Nachdenken versunken sitzen.

Litwinow wartete einen Augenblick, und bedenkend, daß sein Besuch schon länger als zwei Stunden dauere, griff er eben nach seinem Hute, als mit einem Male im Nebenzimmer ein Knarren leichter Lackstiefeln hörbar wurde und der General Ratmirow, den eigenthümlichen, feinen Gardeparfüm um sich verbreitend, in das Zimmer trat.

Litwinow erhob sich und begrüßte den höflich antwortenden General.

Irina nahm langsam die Hand von den Augen, blickte ihren Gemahl kalt an und fragte ihn französisch: »Ah, Sie sind schon zurück? Wie viel Uhr ist es denn?«

»Bald vier Uhr, ma chère amie, und Du bist noch nicht angekleidet, – die Fürstin wird ja auf uns warten,« antwortete der General, und sich zierlich zu Litwinow wendend, fügte er mit jenem ihm eigenthümlichen verbindlichen Tone hinzu: »Ueber unsern liebenswürdigen Gast scheinst Du die Zeit vergessen zu haben.«

Wir müssen den Leser ersuchen, uns hier zu erlauben, ihm einige Auskunft über den General Ratmirow zu geben.

Nachdem derselbe schon früh in die Militärschule eingetreten war, lenkte er bald die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten auf sich, nicht sowohl seiner Fortschritte in den Wissenschaften, als vielmehr seiner Geschicklichkeit im Frontedienst und seiner feinen Manieren wegen, weshalb er auch auf sein Gesuch in die Garde eintreten durfte. Seine Carriere war hier eine glänzende, Dank der einschmeichlerischen Munterkeit und der Höflichkeit seines Charakters, seiner ausgezeichneten Fähigkeit im Reiten als Ordonnanzoffizier auf Paraden, seiner Gewandtheit im Tanzen und seiner Pünktlichkeit in der Erfüllung der Befehle seiner Vorgesetzten, wobei er sich übrigens einen leichten Anstrich von Liberalismus zu geben verstand. Dieser Liberalismus hinderte ihn jedoch nicht, als man ihn einst zur Unterdrückung eines Bauernaufstandes in ein Dorf von Weißrußland geschickt hatte, fünfzig dieser Bauern recht väterlich durchpeitschen zu lassen. Sein Aeußeres war einnehmend und jugendlich frisch. Gewandt, einschmeichlerisch, geschniegelt und gebügelt, machte er großes Glück bei den Damen; manche vornehme Dame war rein in ihn vernarrt. Vorsichtig aus Gewohnheit, schweigsam aus Berechnung, kannte General Ratmirow seinen Werth und richtete seine Augen hoch hinauf. —

Litwinow lächelte gezwungen auf Ratmirow’s Bemerkung, während Irina nur leicht die Achseln zuckte.

»Nun, wie ist’s?« fragte sie mit demselben kalten abgemessenen Tone, »haben Sie Ihren Grafen gesehen?«

»Gewiß. Er läßt Dich grüßen.«

»Ah! Ist er noch immer so dumm als früher, dieser Dein liebenswürdiger Protector?«

General Ratmirow antwortete nichts, sondern lächelte nur leicht, wie nachsichtig, über die unvorsichtige Uebereilung weiblichen Urtheils. Wohlwollende erwachsene Leute antworten mit solchem Lächeln auf die unschicklichen Einfälle eines Kindes.

»Ja,« fügte Irina hinzu, »die Dummheit Ihres Grafen überschreitet beinahe die Gränze des Erlaubten; obgleich ich wahrlich schon Gelegenheit genug hatte, mich an Nachsicht zu gewöhnen.«

»Und doch sind Sie‘s, die mich zu ihm geschickt haben,« bemerkte Ratmirow halblaut zu seiner Frau. Sich dann an Litwinow wendend, fragte er diesen russisch: »Ob er die Badenschen Wasser gebrauche?«

»Ich bin Gott sei Dank gesund,« antwortete dieser.

»Das ist am allerbesten,« fuhr der General höflich lächelnd fort; »übrigens kommen auch die Wenigsten hierher, um sich zu kuriren; was aber die Wasser betrifft, so sind sie sehr wirksam, und wer, wie ich zum Beispiel an nervösem Husten leidet . . .«

Irina stand rasch auf.

»Wir werden uns noch sehen, Gregor Michailitsch, und recht bald hoffe ich,« sagte sie französisch, kurz ihres Mannes Rede unterbrechend, – »jetzt aber muß ich gehen und mich ankleiden. Diese alte Fürstin ist unausstehlich mit ihren parties de plaisir, auf welchen man nichts fühlt als Langeweile.«

»Sie sind heute aber merkwürdig streng gegen alle Welt,« brummte ihr Gemahl und schlüpfte in’s Nebenzimmer.

Auch Litwinow wollte sich wegbegeben, Irina hielt ihn jedoch noch zurück.

»Sie haben mir Alles erzählt, – die Hauptsache aber vergessen,« sagte sie.

»Und die wäre?«

»Daß Sie, wie man sagt, heirathen wollen!«

Litwinow erröthete heftig über und über. Er hatte absichtlich nichts von Tatiana erwähnt; deshalb ärgerte es ihn, daß erstens Irina von dieser beabsichtigten Heirath wisse, und daß es zweitens das Ansehen habe, als ob er dieselbe ihr absichtlich habe verheimlichen wollen.

Er wußte wirklich nicht, was er sagen sollte, während Irina kein Auge von ihm wandte.

»Ja . . . ich heirathe!« stieß er endlich hervor und empfahl sich kurz.

Ratmirow kehrte in’s Zimmer zurück.

»Nun, kleidest Du Dich nicht an?« fragte er.

»Sie können allein gehen; ich habe Kopfschmerzen.«

»Aber die Fürstin . . .«

Irina maß ihren Mann mit stolzem Blick von Kopf bis zu den Füßen, wendete ihm dann, ohne ein Wort weiter zu sagen, den Rücken und ging in ihr Cabinet.