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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Als Lawretzky nach Hause zurückgekehrt war, traf er auf der Schwelle des Saales einen hohen und mageren Mann in einem abgeschnitten blauen Rocke, mit einem runzlichen, aber belebten Gesichte, einem unordentlichen grauen Backenbart, langer und gerader Nase und kleinen, feurigen Augen. Das war Michalewitsch, sein früherer Universitätskamerad. Anfangs erkannte ihn Lawretzky nicht, drückte ihn aber feurig an seine Brust, als er sich nannte. Seit Moskau hatten sie sich nicht gesehen; es folgten Ausrufungen, Fragen, längst vergessene Erinnerungen sahen das Licht der Welt wieder.

Eine Pfeife nach der andern ausrauchend, dazu den Thee schluckweise trinkend und mit seinen langen Armen herumfechtend, erzählte Michalewitsch seine Irrfahrten. Viel Fröhliches war nicht in denselben, er konnte sich keiner großen Erfolge in seinen Unternehmungen rühmen, – doch lachte er fortwährend mit heiserer, nervöser Stimme. Vor einem Monat hatte er eine Stelle auf dem Comptoir eines reichen Branntweinpächters erhalten, der ungefähr dreihundert Werst von O. Wohnte, und, da er von der Rückkehr Lawretzky’s aus dem Auslande gehört, hatte er einen Umweg gemacht, um seinen alten Freund wiederzusehen. Michalewitsch sprach in denselben gebrochenen Sätzen, wie in seiner Jugend, lärmte und war derselbe Enthusiast wie früher. Lawretzky begann von seinen Verhältnissen zu sprechen, doch Michalewitsch unterbrach ihn und brummte eilig vor sich: »ich habe schon gehört, Freund; ich habe schon gehört! Wer konnte das erwarten?« und lenkte gleich das Gespräch auf allgemeine Dinge.

»Morgen muß ich weiter reisen» sagte er; »heute aber, Du mußt es mir schon vergeben, wollen wir nicht früh schlafen gehen. Ich muß durchaus wissen, was Du jetzt bist, welche Meinungen, welche Ueberzeugungen Du hast, was Du geworden bist, was Dich das Leben gelehrt hat.« (Michalewitsch hielt sich an die Phraseologie der dreißiger Jahre.) »Was mich betrifft, Freund, so habe ich mich sehr verändert; des Lebens Wellen sind auf meine Brust gefallen, – wer hat das doch gesagt? obgleich ich in Dem, was wichtig ist: was den Lebenskern betrifft, mich nicht verändert habe; wie früher glaube ich an das Schöne, an die Wahrheit, ich glaube nicht allein, ich glaube von Herzen, ja, von Herzen, von Herzen. Höre, Du weißt, ich mache Verse, Poesie ist in ihnen nicht, doch ist in ihnen Wahrheit. Ich will Dir mein letztes Gedicht vorlesen, in ihm habe ich meine innern, tiefen Ueberzeugungen ausgesprochen. Höre!« Michalewitsch las sein Gedicht vor; es war ziemlich lang und endigte mit folgenden Zeilen:

 
Ein Kind bin ich im Herzen jetzt geworden,
Gab mich Gefühlen hin, die niemals ich gekannt;
Verbrannte Alles, was ich hab’ vergöttert;
Und knie vor Dem, was früher ich verbrannt.
 

Als er die beiden letzten Verse las, waren in seiner Stimme Thränen zu hören; leichte Zuckungen, Zeugen eines tiefen Gefühles, eilten über seine dicken Lippen, sein unschönes Gesicht verklärte sich.

Lawretzky hörte ihn an, lauschte ihm zu . . . und der Geist des Widerspruches wurde in ihm rege; auf seine Nerven wirkte die stets bereite, stets aufbrausende Begeisterung des Moskauer Studenten. – Keine Viertelstunde war vergangen, als Beide schon in einen Streit verwickelt waren, in einen jener endlosen Streite, zu denen nur Russen fähig sind. Nach langer Trennung, die Beide in einer ganz verschiedenen Welt verbracht hatten, weder die eigenen noch die fremden Gedanken klar begreifend, sich an Worte klammernd, und mit Worten allein widersprechend, stritten sie über die erhabensten Gegenstände und stritten so, als gelte es Beider Leben und Tod; schrieen so laut, daß das ganze Haus in Aufregung gerieth und der arme Lemm, der seit der Ankunft Michalewitsch’s sich in seine Stube eingeschlossen hatte, ganz verwirrt wurde, und etwas – ohne eigentlich zu wissen was – fürchtete.

»Was bist Du eigentlich nach allem Diesem? Blasirt!« schrie Michalewitsch um ein Uhr nach Mitternacht.

»Sehen Blasirte so aus?« entgegnete Lawretzky. »Die haben ein bleiches und krankhaftes Aussehen, – und ich; willst Du es, so hebe ich Dich mit einer Hand auf!«

»Nun, wenn nicht blasirt, so bist Du ein Scyptyker (in Michalewitsch’s Aussprache war der Kleinrusse nicht zu verkennen). Und was hast Du für ein Recht, Scyptyker zu sein? Dir ist Alles im Leben geglückt, freilich; ja, aber dabei hattest Du gar kein Verdienst; Du warst mit einem leidenschaftlichen, liebenden Herzen geboren, und man trennte Dich mit Gewalt von den Frauen. Die erste Frau, die Du trafst, mußte Dich betrügen . . . «

»Und sie hat mich betrogen,« bemerkte finster Lawretzky.

»Gut, gut, und dabei war ich des Schicksals Werkzeug, – doch was lüge ich, ein Schicksal giebt es nicht; es ist meine alte Gewohnheit, mich undeutlich auszudrücken. Doch was beweist dies?«

»Es beweist, daß man mich von meiner Kindheit an verrenkt hat.«

»Da heile Dich selbst von Deiner Verwaltung, dazu bist Du ein Mann; Du brauchst nicht bei Leuten um Energie zu betteln! Es sei dem aber, wie ihm wolle, kann man, ist es erlaubt, ein vereinzelt dastehendes Factum zu einem allgemeinen Gesetz, zu einer unwiderruflichen Regel zu erheben?«

»Was ist hier für eine Regel?« unterbrach ihn Lawretzky, »ich erkenne nicht an . . . «

»Nein, das ist Deine Regel, Deine Regel.« unterbrach ihn seinerseits Michalewitsch.

»Du bist ein Egoist, das ist es!« donnerte er eine Stunde später: – »Du suchtest nur Selbstgenuß, Du wünschtest Glück im Leben zu haben, Du wolltest nur für Dich allein leben . . . «

»Was ist Selbstgenuß?«

»Und Alles hat Dich betrogen, Alles ist unter Deinen Füßen zusammengestürzt.«

»Was ist Selbstgenuß? das frage ich Dich.«

»Und es mußte zusammenstürzen, denn Du suchtest einen Haltpunkt da, wo man ihn nicht finden konnte; denn Du bautest Dein Haus auf Flugsand.«

»Sprich deutlicher, ohne Gleichnisse, denn ich verstehe Dich nicht!«

»Denn, – Du kannst meinethalben spotten, denn in Dir ist kein Glauben, ist keine Herzensgluth; Verstand, nur Groschenverstand . . . Du bist« ganz einfach, ein erbärmlicher, hinter Deiner Zeit zurückgebliebener Voltairianer – das bist Du.«

»Wer? Ich ein Voltairianer?«

»Ja, ganz solch ein Voltairianer, wie es Dein Vater gewesen ist, und Du weißt es selbst nicht.«

»Dann habe ich das Recht,« rief Lawretzky, »zu sagen, daß Du ein Fanatiker bist!«

»Ach!« sagte Michalewitsch mit Zerknirschung, »zum Unglück habe ich bis jetzt noch durch Nichts einen so erhabenen Namen verdient!«

»Jetzt habe ich gefunden, wie ich Dich nennen soll, schrie derselbe Michalewitsch um drei Uhr Nachts. – »Du bist kein Sceptiker, nicht blasirt, kein Voltairianer, Du bist – ganz einfach – ein Murmelthier, ein böswilliges Murmelthier, ein Murmelthier mit Bewußtsein, kein naives Murmelthier. Die naiven Murmelthiere liegen auf ihrem Flecke, und thun nichts, weil sie nichts zu thun verstehen; sie denken auch an nichts; Du aber, ein denkender Mensch, – auch Du liegst; Du könntest etwas thun – und thust nichts; Du liegst da mit Deinem vollen Bauche und sprichst: so muß es sein, nämlich, man müsse liegen, weil alles, was die Leute da thun und treiben, alles nur Unsinn sei, der zu nichts Vernünftigem führe.«

»Woher kommst Du nur aber auf den Gedanken, daß ich liege?« wiederholte Lawretzky; »was giebt Dir Grund und Ursache, in mir solche Gedanken vorauszusetzen?«

»Und überdies seid ihr Alle,« fuhr der unermüdliche Michalewitsch fort, »Du und Deinesgleichen, vielbelesene Murmelthiere. Ihr wißt, aus welchem Fuß der Deutsche hinkt, wißt, was bei den Franzosen und Engländern schlecht ist, und Euer erbärmliches Wissen kommt Euch zu Hilfe, rechtfertigt Eure schmähliche Trägheit, Euer schmachvolles Nichtsthun. So Mancher ist sogar darauf stolz, – und denkt sich in seinen Sinnen – ich liege und die Narren da, die drängen sich geschäftig herum. Ja! – Auch bei uns giebt es solche Herren, – übrigens sei das nicht auf Deine Rechnung gesagt, – die ihr ganzes Leben in einem Starrkrampf der Langweile verbringen, sich in dieselbe hineinnisten, – wie . . . nun, wie ein Pilz in die Butter . . . « meinte Michalewitsch und lachte selbst über seinen Vergleich. »Ach dieser Starrkrampf der Langweile, das ist das Verderben der Russen; das ekelhafte Murmelthier nimmt sich sein Lebenlang vor, zu arbeiten.«

»Was schimpfst Du mich aber?« schrie seinestheils Lawretzky. »Handeln . . . arbeiten . . . sage mir lieber, was ich thun soll? Du Demosthenes aus Poltawa!«.

»Sieh einmal, was Du da von mir verlangst! – Nein, das werde ich Dir nicht sagen, Freund; das muß ein jeder selbst wissen!« erwiderte Demosthenes mit Ironie. »Ein Rittergutsbesitzer! – Ein Edelmann! und weiß nicht, was er thun soll! Er hat keinen Glauben, sonst wüßte er, was er thun soll; keinen Glauben hat er, und keine Offenherzigkeit.«

»Laß mich doch wenigstens verschnaufen, Du Teufel! Gieb mir doch einen Augenblick Ruhe,« bat Lawretzky.

»Keine Minute, keine Secunde Ruhe,« erwiderte Michalewitsch mit einer befehlenden Handbewegung. »Keine einzige Secunde! – Der Tod wartet nicht und das Leben darf auch nicht warten.«

»Und wann und wo fiel es den Leuten ein, zu Murmelthieren zu werden,« schrie er um vier Uhr Morgens mit schon etwas heiserer Stimme. »Bei uns! Jetzt! In Rußland! Während auf jeder Persönlichkeit eine große Pflicht, eine große Verantwortlichkeit vor Gott, vor dem Volke, vor sich selbst liegt! Wir schlafen, und die Zeit enteilt; wir schlafen . . . «

»Erlaube mir, Dir zu bemerken,« sagte Lawretzky, »daß wir jetzt ganz und gar nicht schlafen, sondern eher die Andern in ihrem Schlafe stören. Wir krähen wie die Hähne. Horch! sie scheinen zum dritten Male zu krähen.«

Dieser Spaß machte Michalewitsch lächeln und beruhigte ihn. »Auf Morgen,« sagte er und legte seine Pfeife in den Tabaksbeutel. »Auf Morgen,« wiederholte Lawretzky; doch über eine Stunde noch unterhielten sich die Freunde. Uebrigens wurden ihre Stimmen nicht mehr laut, denn ihre Reden waren sanft und traurig, – es waren gute Reden.

 

So viel ihn auch Lawretzky zu bleiben beredete, reiste Michalewitsch dennoch am folgenden Morgen ab. Feodor Iwanitsch konnte ihn nicht bei sich behalten, doch sprach er sich mit ihm zur Genüge aus. Es erwies sich, daß Michalewitsch auch nicht einen Pfennig in der Tasche hatte. Schon am Tage vorher hatte Lawretzky an ihm alle Anzeichen und Gewohnheiten einer chronischen Armuth bemerkt. Seine Stiefel waren zerrissen, auf dem Rücken fehlte an seinem Rocke ein Knopf, seine Hände kannten keine Handschuhe und in seinen Haaren waren Bettfedern. Bei seiner Ankunft hatte er nicht daran gedacht, sich zu waschen. Beim Abendbrode aß er wie ein Haifisch, zerriß mit den Händen das Fleisch und zerbiß lärmend die Kochen mit seinen festen schwarzen Zähnen.

Im Staatsdienste hatte er keinen großen Erfolg gehabt, jetzt hatte er seine ganze Hoffnung auf den Branntweinpächter gesetzt, der ihn ganz einfach aus dem Grunde zu sich genommen hatte, weil er in seinem Comptoir einen »gebildeten Mann« haben wollte. Trotzdem verzagte Michalewitsch nicht und lebte als Cyniker, Idealist, Dichter, aufrichtig besorgt um das Schicksal der Menschheit und seine eigene Bestimmung, und-sich wenig darum bekümmernd, ob er nicht morgen vor Hunger sterben würde. Er war nicht verheirathet, verliebte sich aber zahllose Male und schrieb Gedichte auf alle seine Heißgeliebten. Mit besonderer Begeisterung besang er eine mysteriöse, schwarzlockige »Panua«. . . Freilich gingen Gerüchte um, daß diese Panua ganz einfach eine Jüdin sei, die vielen Cavallerieoffizieren sehr wohl bekannt war . . . wenn man es aber bedenkt, ist denn das nicht ganz einerlei?

Mit Lemm befreundete sich Michalewitsch nicht: aus Ungewohnheit erschreckten den Deutschen seine überlauten Reden, seine schroffen Manieren . . . von Weitem erkennt ein armer Schlucker den Andern, nähert sich ihm aber in seinen alten Tagen nicht. Und was ist da Wunderbares, was hat er denn mit ihm zu theilen? Nicht einmal eine Hoffnung!

Michalewitsch unterhielt sich vor seiner Abreise lange mit Lawretzky; weissagte ihm Verderben, wenn er sich nicht aufrütteln würde, flehte ihn an, sich ernstlich um das Schicksal seiner Leibeigenen zu bekümmern, stellte sich selbst als Beispiel hin und sagte: er wäre im Schmelzofen des Unglücks gereinigt worden, – und gleich daraus nannte er sich einige Male einen glücklichen Menschen, verglich sich mit einem Vogel in den blauen Lüften, mit einer Lilie des Thales.

»Mit einer schwarzen Lilie, auf jeden Fall,» bemerkte Lawretzky.

»Ach, Freund« spiele doch nicht den Aristokraten,» erwiderte gutmüthig Michalewitsch; »danke lieber Gott, daß in Deinen Adern Plebejerblut fließt. Ich sehe aber, daß Du jetzt eines reinen, überirdischen Wesens bedarfst, das Dich aus Deiner Apathie herausreißen könnte.«

»Ich danke Dir, Freund,» murmelte Lawretzky, »ich habe an diesen überirdischen Wesen genug.«

»Schweige, Du Cynyker!« rief Michalewitsch.

»Cyniker,« verbesserte ihn Lawretzky.

»Ja eben, Cynyker,« wiederholte Michalewitsch, ohne die geringste Verwirrung. Selbst im Tarantas6 sitzend, – wohin man seinen flachen, gelben und sonderbar leichten Koffer herausgebracht hatte, – sprach er noch immer fort; in eine Art von spanischen Mantel, mit verblichenem Kragen, und Löwenklauen statt Hacken, gehüllt, entwickelte er noch immer seine Ansichten über das künftige Schicksal Rußland’s und focht mit der braunen Hand in der Luft herum, als säe er die Samen des künftigen Wohlstandes. Endlich setzten sich die Pferde in Bewegung . . . »Gedenke meiner drei letztere Worte«, schrie er, sich mit dem ganzen Körper aus dem Tarantas beugend, und wie ein Seiltänzer dastehend: »Glaube, Fortschritt, Menschheit! Lebe wohl!« Sein Kopf mit der bis an die Augen gedrückten Mütze verschwand.

Lawretzky blieb allein auf der Treppe und folgte mit den Augen dem Tarantas auf der Landstraße, bis er aus dem Gesichtskreise verschwand.

»Er kann Recht haben,« dachte er, »vielleicht bin ich wirklich ein Murmelthier.« Viele von den Worten Michalewitsch’s waren tief in sein Herz gedrungen, obgleich er mit ihm gestritten hatte und mit ihm nicht einverstanden war. Ist ein Mensch gut, – so trägt er von selbst eine unwiderstehliche Kraft in sich.


Zweiter Theil

Erstes Kapitel

Zwei Tage später kam Maria Dmitriewna, wie sie es versprochen hatte, mit den übrigen Eingeladenen nach Wasilieroskoie. Die kleinen Mädchen liefen sogleich in den Garten, Maria Dmitriewna aber ging mit schmachtender Miene durch alle Zimmer, lobte mit schmachtender Stimme Alles. Ihren Besuch bei Lawretzky hielt sie für ein Zeichen großer Herablassung, fast für eine Wohlthat. Sie lächelte freundlich, als Anton und Apraxea nach alter Dienstbotengewohnheit ihr die Hand küßten, – und mit schwacher Stimme und näselnd bat sie, man solle ihr Thee bringen. Zum großen Aerger Antons, der gestreifte weiße Handschuhe angezogen hatte, brachte Madame Kalitin den Thee nicht er, sondern ein gemietheter Kammerdiener Lawretzky’s, der, wie der Alte sich ausdrückte, gar nicht an Ordnung gewöhnt sei. Bei Mittag aber behauptete Anton seine Rechte, festen Schrittes stellte er sich hinter den Sessel Marie Dmitriewna’s und trat seine Stelle Niemandem ab. Die lange nicht dagewesene Gegenwart von Gästen in Wasiliewstoie – regte den Alten auf und freute ihn: es war ihm angenehm zu sehen, daß sein Herr mit guten Leuten Bekanntschaft habe.

Uebrigens war nicht er allein diesen Tag in großer Aufregung; auch Lemm war sehr aufgeregt. Er hatte einen kurzen, tabaksfarbenen Frack mit spitzen Schößen angezogen, hatte sein Halstuch fest zugebunden – hustete fortwährend; angenehm und freundlich lächelnd, machte er Jedermann Platz.

Lawretzky bemerkte mit Vergnügen, daß die Annäherung zwischen ihm und Liese fortdauerte; sie war kaum eingetreten, als sie ihm von selbst mit einem freundlichen Blicke die Hand reichte. Nach Mittag zog Lemm aus seiner Tasche, in welche er jeden Augenblick seine Hand steckte, eine Rolle Notenpapier hervor und legte dieselbe, seine Lippen auf eine sonderbar angenehme Weise spitzend, schweigend auf das Clavier.

Es war eine von ihm den Tag vorher auf einen altmodischen deutschen Text componirte Romanze, in der von Sternen die Rede war, Liese setzte sich sofort an das Piano und sang die Romanze . . . Ach! die Musik erwies sich als sehr verwirrt und sehr gesucht; sichtbar wollte der Componist etwas Leidenschaftliches, Tiefgefühltes ausdrücken, aber es war nichts herausgekommen; sein Streben war ein Streben geblieben. Lawretzky und Liese fühlten dies – auch Lemm begriff es; ohne ein Wort zu sprechen, steckte er seine Romanze wieder in die Tasche und als Liese sich erbot, dieselbe noch einmal zu singen, – schüttelte er nur mit dem Kopfe und sagte: »Jetzt – basta!« bückte sich noch tiefer und ging fort.

Gegen Abend ging die ganze Gesellschaft Fische angeln; in dem, den Garten schließenden Teiche gab es viele Karauschen und Sälblinge. Für Maria Dmitriewna wurde ein Sessel an’s Ufer, in den Schatten gebracht, ihr wurde unter die Füße ein Teppich gebreitet, man gab ihr die beste Angelruthe; Anton bot ihr, als alter erfahrener Fischer, seine Dienste an, fleißig hakte er Würmer an, schlug dieselben mit der Hand platt, spuckte auf die Würmer, und warf selbst den Angelhaken aus, sich graziös mit dem ganzen Körper vorwärts beugend. Denselben Tag äußerte sich Maria Dmitriewna gegen Lawretzky in folgender schülerhaft-französischer Redensart: »Il n‘y plus maintenant de ces gens comme ca comme autrefois

Mit den beiden kleinen Mädchen ging Lemm weiter, bis an den Damm; Lawretzky setzte sich neben Liese. Die Fische bissen fortwährend an, ununterbrochen glitzerten in der Luft die aus dem Wasser gezogenen Karauschen mit ihren, bald goldigen, bald silberfarbenen Schuppen. Das Wonnerufen der kleinen Mädchen hörte nicht auf; Maria Dmitriewna selbst kreischte ein paarmal sehr zärtlich auf.

Seltener als bei den Andern bissen bei Lawretzky und Liese die Fische an; wahrscheinlich kam das davon, daß sie weniger als die Andern dem Fischfang Aufmerksamkeit zuwandten und den Schwimmpfropfen zu oft ans Ufer schwimmen ließen. Leise rauschte das hohe und röthliche Schilfrohr rings umher; sanft schillerte vor ihnen das regungslose Wasser und auch ihre Unterhaltung klang sanft und leise. Liese stand auf dem kleinen Damme; Lawretzky saß auf einem zum Wasser sich neigenden Stamme einer Cytise, Liese hatte ein weißes Kleid an, und ihre Taille war von einem breiten, ebenfalls weißen Gürtel umschlungen; an einem Arme hing ihr Strohhut, – mit dem andern hielt sie, sich etwas anstrengend, die zum Wasser gebeugte Angelruthe. Lawretzky blickte auf ihr reines, etwas strenges Profit, auf ihre, hinter die Ohren geworfenen Haare, auf die zarten Wangen, die bei ihr, wie bei einem Kinde, glühten, und dachte: »o, wie reizend stehst Du da vor meinem Teich!« Liese blickte ihn nicht an, sah aber fest ins Wasser, und, – wie soll ich es eigentlich ausdrücken? – auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, der zwischen Stirnrunzeln und Lächeln war. Einer nahen Birke Schatten fiel aus Beide.

»Wissen Sie aber was?« begann Lawretzky: – »ich habe viel über unsere letzte Unterhaltung nachgedacht und ich bin zu dem Schlusse gekommen, daß Sie ein vortreffliches Herz haben.«

»Ich habe es ganz und gar nicht in der Absicht gesagt, fing Liese an und schwieg erröthend.

»Sie haben ein gutes Herz,« wiederholte Lawretzky. »Ich bin ein einfacher Mann, fühle aber, daß Alle Sie lieben müssen. Sehen Sie, zum Beispiel, Lemm an; er ist, mit einem Worte gesagt, in Sie verliebt.«

Liese‘s Augenbrauen – nein, sie runzelten sich nicht, – sie fuhren aber krampfhaft zusammen; das geschah ihr immer, wenn sie etwas ihr Unangenehmes hörte.

»Er that mir heute sehr leid,« fuhr Lawretzky fort, »mir seiner mißlungenen Romanze. Jung zu sein und Nichts zu wissen, – ist noch erträglich; aber alt zu werden und keine Kraft mehr zu haben – oh! das ist schlimm. Und was noch das Unerträglichste ist, daß man nicht fühlt, wenn man die Kraft verliert. Solche Schläge knicken einen alten Mann zusammen! . . . Sehen Sie sich vor, – ein Fisch beißt bei Ihnen an! . . . Man hat mir gesagt,« fügte Lawretzky hinzu, nachdem er einige Augenblicke geschwiegen hatte, – »Wladimir Nikolaitsch hätte eine sehr hübsche Romanze geschrieben?«

»Ja, eine Kleinigkeit,« erwiderte Liese, »aber sie ist nicht übel. Mir scheint es, er hat großes Talent für Musik; aber er hat sich bis jetzt nicht mit ihr, wie es eigentlich sein sollte, beschäftigt.«

»Mag sein. Aber ist er ein guter Mann?«

Liese lachte auf und warf einen flüchtigen Blick auf Lawretzky.

»Eine sonderbare Frage!« rief sie aus, zog die Angel aus dem Wasser und warf sie wieder weit von sich.

»Warum denn sonderbar? Ich frage Sie nach ihm, als ein vor Kurzem Angekommener, als Verwandter.«

»Als Verwandter?«

»Ja, denn ich bin, wenn ich mich nicht irre, Ihr Onkel in irgend einem Grade.«

»Wladimir Nikolaitsch hat ein gutes Herz,« sagte Liese; »er ist klug, maman liebt ihn sehr.«

»Und auch Sie, Sie lieben ihn?«

»Er scheint ein guter Mann zu sein, warum soll ich ihn nicht lieben?«

»So! . . . sagte Lawretzky und schwieg; ein halb trauriger, halb spöttischer Ausdruck eilte über sein Gesicht. Sein fester Blick verwirrte Liese, – doch ihr Lächeln verlor sich nicht.

»Nun so gebe Ihnen Gott Glück,« – sprach er endlich leise vor sich hin, als spräche er nur mit sich selbst, und wandte den Kopf ab.

Liese erröthete.

»Sie irren sich, Feodor Iwanitsch! sagte sie, – »wie können Sie so etwas denken? . . . Gefällt Ihnen aber Wladimir Nikolaitsch nicht?« fragte sie mit einem Male.

»Er gefällt mir nicht!«

»Und warum denn das?«

»Mir scheint es, ihm fehlt ein Herz.«

Von Liese’s Lippen schwand das Lächeln.

»Sie sind gewohnt, streng über die Menschen zu richten, sagte sie nach einem langen Schweigen.

 

»Ich glaube es nicht. Welches Recht hätte ich aber auch, streng zu richten? – Ich, der selbst so viel der Nachsicht der Menschen bedarf? Oder haben Sie vergessen, daß nur der Faulenzer allein über mich nicht spottet? – Aber« – fügte er hinzu – »haben Sie auch Ihr Versprechen gehalten?«

»Welches?«

»Haben Sie für mich gebetet?«

»Ich habe für Sie gebetet und bete jeden Tag. Aber ich bitte, sprechen wir doch von solchen Dingen nicht so leichtsinnig.«

Lawretzky suchte Liese zu versichern, daß ihm dergleichen nicht in den Kopf gekommen sei, daß er jede Ueberzeugung hoch achte. Dann begann er von Religion zu sprechen, von ihrer Bedeutung in der Geschichte der Menschheit, von der Bedeutung des Christenthums.

»Ein Christ muß man sein,« sagte nicht ohne Anstrengung Liese. »Nicht um das Himmlische zu begreifen . . . ja, auch nicht das Irdische, aber deswegen, weil jedermann sterben muß.«

Mit unwillkürlichem Erstaunen blickte Lawretzky auf Liese und seine Augen begegneten den Ihrigen.

»Was haben Sie da für ein Wort ausgesprochen!« sagte er.

»Das sind nicht meine Worte,« antwortete sie.

»Nicht die Ihrigen? Warum sprechen Sie aber vom Tode?«

»Ich weiß es nicht. Oft denk ich aber an ihn.«

»Oft?«

»Das könnte man nicht behaupten, wenn man jetzt auf sie blickt, Sie haben ein so fröhliches, lichtes Gesicht, Sie lächeln.«

»Ja, ich fühle mich jetzt fröhlich gestimmt,« erwiderte Liese ganz naiv.

Lawretzky hätte gern ihre beiden Hände erfaßt und sie kräftig zusammengedrückt.

»Liese, Liese! komm doch her zu mir und sieh was ich für eine Karausche gefangen habe.«

»Gleich, gleich, maman,« erwiderte Liese und ging zu ihr und Lawretzky blieb allein auf seiner Cytise. »Ich spreche mit ihr, als ob ich nicht mein Leben beschlossen hätte,« dachte er.

Beim Weggehen hatte Liese ihren Hut auf einen Zweig gehängt. Mit einem sonderbaren« fast zärtlichen Gefühle blickte Lawretzky auf diesen Hut, auf dessen lange, etwas zerknitterte Bänder. Bald kehrte Liese zu ihm zurück.

»Warum scheint es Ihnen aber, daß Wladimir Nikolaitsch kein Herz habe?« fragte sie ihn nach einigen Augenblicken.

»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich mich irren kann; übrigens wird es die Zeit beweisen.«

Liese versank in Gedanken. Lawretzky begann von seinem Leben in Wasiliewskoie, von Michalewitsch, von Anton zu reden. Er fühlte den Drang, mit Liese zu sprechen, ihr Alles mitzutheilen, was in seinem Herzen geschah, so reizend, so aufmerksam hörte sie ihn an, ihre seltenen Bemerkungen und Entgegnungen schienen ihm so einfach, so klug zu sein. Er sagte es ihr sogar.

Liese schien ganz verwundert.

»Wirklich?« sagte sie: »Ich dachte bis jetzt, daß ich ebenso wenig eigene Worte habe, wie mein Kammermädchen Nastia; sie sagte einmal ihrem Bräutigame Du mußt Dich doch bei mir sehr langweilen; Du erzählst mir immer so schöne Sachen und ich – habe keine Worte.«

»Und Gott sei Dank!« dachte Lawretzky.

6Russischer, auf langen Stangen ruhender Reisewagen ohne Schwungfedern. Anmerkung des Übersetzers.