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Siebzentes Kapitel

Am Morgen, nach dem von uns beschriebenen Tage, gegen neun Uhr, ging Lawretzky die Treppe des Kalitin’schen Hauses hinauf. Liese kam ihm in Hut und in Handschuhen entgegen.

»Wohin wollen Sie?« fragte er sie.

»Zur Messe. Heute ist Sonntag.«

»Besuchen Sie denn die Messe?«

Liese blickte ihn schweigend und erstaunt an.

»Verzeihen Sie mir, ich bitte,« sagte Lawretzky »ich . . . ich wollte nicht das sagen, ich kam, um von Ihnen Abschied zu nehmen, ich reife in einer Stunde auf mein Dorf.«

»Das ist ja aber nicht weit von hier! « sagte Liese.

»An fünfundzwanzig Werst.«

Auf der Schwelle stand Lenchen, in Begleitung eines Stubenmädchens.

»Vergessen Sie uns nicht!« sagte Liese und ging die Treppe hinunter.

»Und auch Sie, vergessen Sie mich nicht. Hören Sie aber,« fügte er hinzu, »Sie gehen in die Kirche; beten Sie bei dieser Gelegenheit für mich.«

»Wenn Sie es wollen,« sagte sie, ihm gerade in’s Gesicht blickend, »werde ich für Sie beten.«

Im Salon fand Lawretzky Maria Dmitriewna allein; sie roch nach Eau de Cologne und Pfefferminze. Sie hatte, wie sie sagte, Kopfschmerzen und hatte die Nacht äußerst unruhig zugebracht. Sie empfing ihn mit ihrer gewöhnlichen schmachtenden Freundlichkeit und wurde nach und nach gesprächiger.

»Nicht wahr,« fragte sie ihn, »Wladimir Nikolaitsch ist ein äußerst angenehmer junger Mann?«

»Was für ein Wladimir Nikolaitsch?«

»Nun Panschin, den Sie gestern hier gesehen haben. Sie haben ihm sehr gefallen; unter uns sei es gesagt, mon cher cousin, er ist sterblich in meine Liese verliebt. Nun, meinethalben. Er ist von guter Familie, macht eine schöne Carrière, ist Kammerjunker und klug, und ist es Gottes Wille, so werde ich meinerseits als Mutter froh sein. – Die Verantwortlichkeit freilich ist groß; das Glück der Kinder hängt zwar von den Eltern ab, aber das muß man auch sagen: bis jetzt, nun sei es gut oder schlecht, habe ich Alles, ich allein Alles, ja, rein Alles gethan; habe meine Kinder erzogen, sie unterrichtet; Alles ich . . . und auch jetzt habe ich eine Gouvernante von Mme. Bulus verschrieben . . . «

Maria Dmitriewna ließ sich in eine lange Beschreibung ihrer Sorgen, Leiden, winterlichen Gefühle ein, Lawretzky hörte sie schweigend an und drehte den Hut in seinen Händen. Sein kalter schwerer Blick verwirrte die gesprächige Dame.

»Und wie gefällt Ihnen Liese?« fragte sie.

»Lisawetha Michailowna ist eine äußerst liebenswürdige Demoiselle,« antwortete Lawretzky, stand auf, nahm Abschied von Maria Dmitriewna und ging zu Martha Timotheewna. Unwillig blickte ihm Maria Dmitriewna nach und dachte: Was für ein Bär, ein wahrer Bauer! Nun jetzt begreife ich es, warum ihm seine Frau nicht treu bleiben konnte.

Martha Timotheewna saß in ihrem Zimmer, umgehen von ihrem Hofstaat. Dieser bestand aus fünf, ihrem Herzen gleich nahen Wesen: aus einem dickkröpfigen gelehrten Dompfaffen, den sie deshalb lieb gewonnen hatte, weil er nicht mehr pfiff, aus einem kleinen, sehr scheuen und stillen Hündchen, Roska genannt, aus einem bösen Kater, Makrose, aus einem brünetten, muthwilligen Mädchen von neun Jahren, mit großen Augen und spitzer Nase, Namens Schurotschka4 und aus einer ältlichen Frau von fünfzig Jahren, – in einer weißen Haube und kurzen Kasaweika, über einem dunklen Kleide, – Namens Rastasia Karpowna Ogarkowa. Schurotschka war eine Waise aus niedrigem Bürgerstande. Martha Timotheewna hatte sie aus Mitleid zu sich genommen, wie sie es mit Roska gethan hatte; den Hund und das Mädchen fand sie auf der Straße; Beide waren hungrig und mager, Beide vom Herbstregen durchnäßt; Niemand frag nach Roska, Schurotschka aber ward an Martha Timotheewna mit dem größten Vergnügen von deren Onkel, einem betrunkenen Schuhmacher, der sich selbst nicht satt aß und seine Nichte nicht fütterte, aber sie fleißig mit dem Leisten auf den Kopf schlug, abgetreten. Nastasia Karpowna lernte Martha Timotheewna auf einer Wallfahrt in ein Kloster kennen. Sie selbst ging in der Kirche auf sie zu, (sie hatte Martha Timotheewna deswegen gefallen, weil sie, wie diese sich ausdrückte, mit vielem Geschmack betete), redete sie an und lud sie ein, mit ihr eine Tasse Thee zu trinken. Seit diesem Tage trennte sie sich nicht mehr von ihr.

Nastasia Karpowna hatte einen fröhlichen und sanften Character, war Wittwe, hatte keine Kinder und stammte aus einer armen adligen Familie. Sie hatte einen runden, mit grauen Haaren bedeckten Kopf, weiche, weiße Hände, ein Gesicht, das trotz seiner scharf ausgeprägten Züge einen sanften Ausdruck hatte, und eine etwas komische Stumpfnase; sie vergötterte Martha Timotheewna und diese liebte sie sehr, obgleich sie oft über ihr zartes Herz spaßte; sie hatte alle jungen Leute gern und erröthete unwillkürlich wie ein junges Mädchen bei einem unschuldigen Spaße. Ihr ganzes Capital bestand aus eintausendzweihundert Rubel Assignation; sie lebte auf Kosten Martha Timotheewna’s, doch auf gleichem Fuße mit ihr. Martha Timotheewna hätte keine Unterwürfigkeit gelitten.

»Ach Fedia,« begann sie, als sie ihn erblickte, »gestern hast Du meine Familie nicht gesehen; wir sind alle jetzt zum Thee versammelt; das ist unser zweiter Thee, den wir nur an Festtagen haben. Alle kannst Du liebkosen, nur wird Schurotschka sich nicht liebkosen lassen und der Kater Dir die Augen auskratzen. Verlässest Du uns heute?«

»Heute.« – Lawretzky setzte sich auf einen niedrigen Stuhl. »Ich habe von Maria Dmitriewna schon Abschied genommen, auch Lisawetha Michailowna habe ich gesehen.«

»Nenne sie Liese, guter Freund. Was ist sie für eine Michailowna für Dich? Und sitze ruhig, sonst zerbrichst Du Schurotschka’s Stuhl.

»Sie ging zur Messe,« fuhr Lawretzky fort. »Ist sie denn fromm?«

»Ja, sehr fromm, frömmer als Du und ich!«

»Sind Sie denn nicht fromm?« bemerkte lispelnd Nastasia Karpowna. Zur Frühmesse sind Sie freilich heute nicht gegangen. Sie werden aber zum Hochamt gehn.«

»Nein, Du kannst allein gehen, ich bin zu faul,« antwortete Maria Timotheewna. »Ich verwöhne mich zu sehr mit Thee.« – Sie duzte Maria Karpowna, trotzdem, daß sie auf gleichem Fuße mit ihr lebte; – denn sie selbst war ja eine Pestoff. Drei Pestoffs sind im Synodik Johann Wassiliewitsch des Schrecklichen erwähnt; Martha Timotheewna wußte das sehr gut.

»Sagen Sie mir, ich bitte,« begann wieder Lawretzky, »oben erzählte mir Maria Dmitriewna von diesem – wie heißt er doch? – Panschin. Was ist das für ein Herrchen?«

»Ist sie doch eine Plaudertasche, Gott steh’ mir bei, sie hat Dir wahrscheinlich unter dein Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, es fände sich ein Bräutigam,« brummte Martha Timotheewna. »Sie sollte genug haben, mit ihrem Popensohn zu lispeln; nein, das scheint ihr zu wenig zu sein. Es ist noch nichts an der Sache, Gott sei Dank, und schon plaudert sie dieselbe aus.«

»Und warum denn: Gott sei Dank?« fragte Lawretzky.

»Weil dieses Herrchen mir nicht gefällt; was ist sich auch darüber zu freuen?«

»Er gefällt Ihnen nicht?«

»Ja, er kann ja nicht Alle fesseln. Ihm kann es genügen, daß Nastasia Karpowna hier in ihn verliebt ist.«

Die arme Wittwe wußte vor Verlegenheit nicht, was sie thun sollte.

»Was reden Sie aber da, Martha Timotheewna, fürchten Sie doch Gott!« rief sie aus und eine plötzliche Röthe bedeckte ihr Gesicht und Nacken.

»Und er weiß es, der Spitzbube,« unterbrach sie Martha Timotheewna, »womit er sie bezaubern kann. Er hat ihr eine Tabaksdose geschenkt. Bitte sie um eine Prise, Fedia; Du wirst sehen, was es für eine wunderschöne Dose ist; auf dem Deckel ist ein Husar dargestellt; es ist besser, meine Theure, nicht zu leugnen.«

Nastasia Karpowna wehrte sich nur mit ihren Händen.

»Nun, und Liesen,« fragte Lawretzky, »ist er nicht gleichgültig?«

»Es scheint, er gefällt ihr, – aber übrigens, Gott weiß es, die menschliche Seele ist, wie Du weißt, ein dunkler Wald und um so mehr die eines Mädchens. Auch Schurotschka’s Herz soll man verstehen! Warum hat sie sich versteckt, als Du gekommen bist, und ist nicht fortgegangen?«

Schurotschka platzte mit einem lange verhaltenen Gelächter heraus und lief fort.

Auch Lawretzky stand von seinem Platze auf.

»Ja,« sagte er gedehnt, »wer mag eines Mädchens Herz verstehen!«

Er nahm Abschied.

»Nun? Und sehen wir uns bald wieder?» fragte Martha Timotheewna.

»Wie Gott will, Taute; ich werde ja nicht weit von hier wohnen.«

»Ja, Du lässest Dich ja in Wassiliewskoie nieder. Du willst Lawriky nicht bewohnen: nun, das ist Deine Sache; das Grab Deiner Mutter mußt Du aber besuchen und bei der Gelegenheit auch Deiner Großmutter Grab. Du hast dort im Auslande Deinen Kopf mit allerhand Dingen vollgestopft und wer weiß, vielleicht werden sie in ihren Gräbern fühlen, daß Du zu ihnen gekommen bist. Vergiß auch nicht. Fedia, eine Totenmesse für Glaphira Petrowna lesen zu lassen. Da hast Du auch einen Rubel. Nimm, nimm, ich bin es, die für sie eine Totenmesse lesen lassen will. Bei ihren Lebzeiten liebte ich sie nicht, dagegen läßt sich aber auch nicht streiten, daß es ein Mädchen mit nicht sehr angenehmem Character war. Doch dumm war sie nicht; nun auch Dich hat sie nicht beleidigt. Jetzt aber geh mit Gott, sonst langweile ich Dich.«

Und Martha Timotheewna umarmte ihren Neffen.

»Panschin heirathet aber Liese doch nicht, sei ruhig darüber. Sie ist einen besseren Mann werth.«

 

»Ich beunruhige mich auch nicht im Geringsten,« erwiderte Lawretzky und entfernte sich.

Achtzehntes Kapitel

Vier Stunden später fuhr er nach Hause. Schnell flog sein Tarantas5 auf dem weichen Feldwege dahin. Zwei Wochen war kein Regen gefallen; wie Milch schwamm ein leichter Nebel in der Luft und verbarg die, den Horizont begrenzenden Wälder, er roch nach Höhenrauch. Eine Menge dunkler Wölkchen mit undeutlich gezeichneten Rändern breiteten sich über den weißlichblauen Himmel; ein ziemlich heftiger Wind eilte als trockener, ununterbrochener Streifen dahin, ohne die schwüle Hitze zu vertreiben.

Mit dem Kopf aus das Kissen gelehnt, und die Arme auf der Brust kreuzend, betrachtete Lawretzky die als Fächer vorübereilenden Kornfelder, die hier und da vorüberblinkenden Gebüsche, die dummen Raben und Krähen, welche mit stumpfem Mißtrauen von der Seite auf den vorbeifahrenden Wagen blickten, die langen Feldgrenzen, auf welchen Beifuß, Wermuth und Schierling im bunten Durcheinander wuchsen. Er blickte starr vor sich hin in diese frische, fette Steppenwüstenei und Einsamkeit, dieses Grün, diese langgedehnten Hügel, die Bergspalten mit niedrigem Eichengesträuch, die grauen Dörfchen, die mageren Birken – dieses ganze, von ihm seit langer Zeit nicht gesehene, Bild russischen Lebens drückte seine Brust mit angenehmer Last, wehte auf seine Seele süße und zugleich fast traurige Gefühle.

Langsam irrten seine Gedanken umher; ihre Abrisse waren undeutlich und dunkel, wie die Abrisse jener hohen, auch scheinbar umherirrenden Wolken. Er gedachte seiner Jugend, seiner Mutter, erinnerte sich, wie sie starb, wie man ihn zu ihr brachte, wie sie, seinen Kopf an ihre Brust drückend, laut in Klagen ausbrach, aber, nachdem sie einen Blick auf Glaphira Petrowna geworfen, gleich wieder verstummte. Er gedachte seines Vaters, wie dieser im Anfang kräftig, mit Allen unzufrieden, mit Kupferklang in der Stimme, gewesen – wie er nachher blind war, wie ein Kind stets wimmerte und einen unordentlichen grauen Bart trug; er erinnerte sich, wie sein Vater, als er einst bei Tische ein Glas Wein zu viel getrunken, die ganze Brühe auf seine Serviette schüttete, dann plötzlich in Lachen ausbrach und mit den nichtssehenden Augen blinzelnd und erröthend, von seinen früheren Eroberungen zu erzählen begann. Er gedachte Warwara Pawlowna’s und kniff unwillkürlich die Augen zusammen, wie man sie bei einem plötzlichen Schmerze zusammenkneift, und schüttelte mit dem Kopfe. Dann blieben seine Gedanken auf Liese stehen.

Da ist, dachte er, ein nettes Wesen, das eben nur in die Welt tritt. Ein herrliches Mädchen; doch was wird aus ihr werden? Sie ist hübsch. Ihr bleiches Gesicht ist frisch. die Augen und die Lippen so ernst, der Blick ehrlich und unschuldig. Schade nur, sie scheint eine Enthusiastin zu sein. Ihr Wuchs ist schön, ihr Gang leicht, ihre Stimme sanft. Mir gefällt es sehr, wie sie auf einmal stehen bleibt, aufmerksam zuhört, nicht lächelt, dann in Gedanken versinkt und die Locken zurückwirft. Mir scheint es in der That auch, daß Panschin ihrer nicht würdig sei. Was fehlt ihm aber? Uebrigens, wozu diese Gedanken; sie wird denselben Weg durchlaufen, auf welchem Alle rennen! Lieber will ich etwas schlafen. Und Lawretzky schloß die Augen.

Er konnte jedoch nicht einschlafen, sondern versank in eine schläfrige Erstarrung, wie man sie zuweilen auf Reisen fühlt. Bilder der Vergangenheit stiegen, wie früher, langsam in seiner Seele auf, mischten und verschlungen sich mit anderen Bildern. Lawretzky gedachte, Gott weiß warum, Robert Peel’s . . . der französischen Revolution, . . . dessen, wie er wohl eine Schlacht gewinnen würde, wenn er General wäre . . . er hörte Schüsse, hörte Rufen. Sein Kopf rutschte vom Kissen herab und eröffnete die Augen, . . . dieselben Felder, dieselbe Steppenlandschaft; die abgenutzten Hufeisen der Seitenpferde blitzen durch die Staubwogen, der Wind bläht das rothe Hemd des Postillons auf . . .

Schön, kehre ich in meine Heimath zurück – dieser Gedanke fuhr durch Lawretzky’s Kopf, und er schrie: »Fahr’ zu, Schwager, fahr’ zu!« wickelte sich fester in seinen Mantel und drückte den Kopf auf das Kissen. Plötzlich fühlte er einen Ruck, richtete sich auf und öffnete weit die Augen. Vor ihm zog sich auf einem Hügel ein kleines Dörfchen hin, etwas rechts auf der Seite stand ein altes Herrenhaus, mit verschlossenen Fensterläden und einer in die Erde eingesunkenen hölzernen Treppe auf dem breiten Hofe. Selbst an der Pforte wuchsen Nesseln, dicht und grün, wie Hanf; das war Wassiliewskoie.

Der Postillon lenkte zur Pforte und hielt die Pferde an; Lawretzky’s Diener stand vom Kutschbocke auf und rief, als wolle er gleich herunterspringen: »halloh!«

Ein heiseres dumpfes Bellen erklang, doch der Hund selbst zeigte sich nicht. Nochmals rief der Diener: »halloh! Das altersschwache Gebell erklang auf’s Neue und, Gott weiß, woher kommend, erschien auf dem Hofe ein Mann in einem Nanking-Ueberrock und mit schneeweißem Haar; er starrte die Augen mit der Hand vor der Sonne schützend, den Tarantas an, schlug sich dann mit beiden Händen die Schenkel, wußte einige Augenblicke in seiner Verwirrung nicht, was er thun sollte, und eilte dann, die Pforte zu öffnen. Der Tarantas fuhr in den Hof hinein, mit den Rädern die Nesseln knickend, und blieb vor der Treppe stehen. Der weißköpfige Mann, der sehr flink zu sein schien, stand schon, die Beine weit und schief spreizend, auf der lehren Stufe der Treppe, knöpfte das Wagenleder auf, zog es krampfhaft in die Höhe und küßte, dem Herrn aussteigen helfend, dessen Hand.

»Wie geht es, wie geht es, Freund?« sagte Lawretzky; »Du heißest Anton, wenn ich mich nicht irre. Lebst Du noch?«

Der Alte grüßte schweigend und eilte, die Schlüssel zu holen; während er hinlief, saß der Postillon unbeweglich, etwas sich auf die Seite biegend und auf die verschlossene Thür blickend; der Diener Lawretzky’s aber blieb, wie er herabgesprungen war, unbeweglich in einer malerischen Positur stehen, mit einer Hand den Kutschbock haltend.

Der Alte brachte die Schlüssel und sich ohne jeden sichtbaren Grund, wie eine Schlange krümmend und hoch seine Ellbogen erhebend, öffnete er die Thür und neigte sich seinem Herrn Platz machend, wieder fast bis an die Erde.

»Da bin ich auch nach Hause, in meine Heimath zurückgekehrt,« dachte Lawretzky, indem er in das Vorhaus eintrat. Indeß erschlossen sich die Fensterläden mit Lärm und auf den verrosteten Angeln pfeifend und das Tageslicht drang in die leeren Gemächer.

Neunzehntes Kapitel

Das kleine Haus, in welches Lawretzky gekommen, und wo vor zwei Jahren Glaphira Petrowna verschied, war im vorigen Jahrhundert erbaut, und das aus so gutem und dauerhaftem Fichtenholz, daß es noch an fünfzig Jahre und länger hätte stehen können. Lawretzky ging durch alle Zimmer und befahl, zum großen Unwillen der alten schläfrigen Fliegen, deren Rücken mit weißem Staub bedeckt waren, und die unbeweglich auf dem Gesimse saßen, überall die Fenster zu öffnen; seit dem Tode Glaphira Petrowna’s hatte dies Niemand gethan.

Im Hause war Alles, wie es war, geblieben; die auf dünnen Füßen stehenden weißen Divans im Saale, die mit einem glänzenden Stoff beschlagen, durchgerieben und durchgesessen waren, erinnerten lebhaft an die Zeiten Catharina’s der Großen; im Saale stand der Lieblingssessel Glaphira Petrowna’s, mit einer hohen und geraden Lehne, auf welche sie sich aber selbst in ihrem Alter nicht zu lehnen wagte. An der Wand hing ein altes Portrait des Urgroßvaters Feodor’s, Andrei Lawretzky’s. Finster blickten die kleinen und boshaften Augen unter den buschigen und gleichsam aufgeschwollenen Augenbrauen hervor. Ueber der gewölbten, von Runzeln gefurchten Stirn erhoben sich ungepuderte schwarze Haare gleich einer Bürste. Am Rahmen hing ein Kranz aus staubbedeckten Immortellen; »Glaphira Petrowna hat ihn eigenhändig gewunden,« sagte Anton.

Im Schlafzimmer stand ein enges Bett mit einem Himmel aus altmodischem aber wertvollem, gestreiftem Stoffe; ein Hügel von verblichenen Kissen und eine dünne gesteppte Decke lagen auf dem Bette; zu Häupten des Bettes hing ein Gottesbild, die Einführung der heiligen Jungfrau in den Tempel darstellend, dasselbe Gottesbild, das die alte Jungfer, von Allen verlassen und einsam sterbend an die schon erkaltenden Lippen gedrückt hatte. Ein Toilettentischchen aus verschiedenen Hölzern zusammengesetzt, mit kupfernen Zierrathen, einem schiefen Spiegel, und schwarzgewordener Vergoldung geschmückt, stand am Fenster, Neben dem Schlafzimmer befand sich die Hauskapelle, ein kleines Zimmer, mit nackten Wänden und einem schweren Hausaltar im Winkel. Auf der Diele lag ein alter Teppich, auf den viel Wachs von Kerzen herabgetröpfelt war; auf ihm betete Glaphira Petrowna und machte ihre Fußfälle.

Anton ging mit Lawretzky’s Diener, um den Stall und die Wagenremise öffnen; an seiner Statt erschien ein altes Mütterchen, die in seinem Alter zu stehen schien; sie hatte bis an die Augenbrauen den Kopf verbunden, ihr Kopf zitterte, ihre Augen blickten stumpf vor sich hin, drückten aber Eifer und eine langjährige Gewohnheit, ohne Widerspruch zu dienen, und zugleich – ein stummes Bedauern aus. Sie küßte Lawretzky’s Hand und blieb an der Thür stehen, seine Befehle erwartend. Er erinnerte sich nicht ihres Namens, erinnerte sich nicht, sie jemals gesehen zu haben; doch es erwies sich, daß sie Apraxea hieß, daß vor vierzig Jahren Glaphira Petrowna aus einem Kammermädchen sie zur Geflügelmagd degradirt hatte; übrigens sprach sie wenig, und hatte ein fast blödsinniges, aber dabei dienstfertiges Außere. Außer diesen beiden Alten und zwei dicken, in lange Hemden gekleideten Kindern, den Urenkeln Anton’s, lebte im herrschaftlichen Hause noch ein einarmiger, besitzloser Bauer; er balzte – wie ein Birkhahn und war rein zu Nichts zu gebrauchen; nicht viel mehr Nutzen als er brachte der alte schwache Hund, der durch Bellen die Ankunft Lawretzky’s begrüßt hatte. Zehn Jahre schon war er an eine schwere Kette gebunden, welche Glaphira Petrowna hatte kaufen lassen, und war kaum im Stande, sich zu bewegen und die Last seiner Kette zu tragen.

Lawretzky besichtigte das Haus, ging dann in den Garten und war mit demselben zufrieden. In wildem und buntem Durcheinander wuchsen in demselben hohen Steppengras, Hundsblumen, Stachelbeeren und Himbeeren; doch war in demselben viel Schatten, waren viele alte Linden, die durch ihre Riesengröße und durch die sonderbaren Formen ihrer Zweige sich auszeichneten; sie waren eng aneinander gepflanzt und einst, vielleicht vor hundert Jahren, beschnitten worden. Der Garten endigte mit einem kleinen, aber durchsichtig reinen, Teich, der von hohem, röthlichem Schilfe umgeben war. Die Spuren des menschlichen Lebens verwischen sich bald: Glaphira Petrowna’s Garten hatte noch nicht Zeit gehabt, sich in eine Wildniß umzuwandeln und schien schon in einen sanften Schlummer versunken zu sein, in jenen Schlummer, welchen Alles auf Erden schlummert, wohin nicht das unruhige, fieberhafte Treiben der Menschen dringt.

Feodor Iwanitsch ging auch durch’s Dorf; die Weiber blickten auf ihn von der Schwelle ihrer Hütten, die Wange auf ihre Hand gestützt; die Bauern grüßten von fern, die Kinder liefen ihm furchtsam aus dem Wege, die Hunde bellten gleichgültig. Endlich fühlte er Hunger, doch er erwartete seine Dienerschaft und seinen Koch erst gegen Abend; aus Lawriky waren seine Provisionen noch nicht angekommen, – nothgedrungen mußte er sich an Anton wenden. Anton fand gleich Rath: er fing ein altes Huhn, schlachtete und rupfte es; Apraxea wusch und rieb es, bevor sie es in die Casserole that, als wäre das Huhn ein Waschlappen; als es endlich gar war, deckte Anton den Tisch, stellte vor das einzige Gedeck ein schwarzgewordenes, auf drei Füßen ruhendes Salzfaß aus Neusilber und ein geschliffenes Fläschchen mit rundem gläsernen Pfropfen und einem langen Halse und kündigte dann Lawretzky mit singender Stimme an, das Essen sei fertig, – er selbst stellte sich hinter Lawretzky’s Stuhl und wickelte um die rechte Hand eine Serviette. Von ihm wehte ein scharfer Altersgeruch, ähnlich dem des Cypressenbaums. Lawretzky aß ein Paar Löffel von der Suppe und machte sich dann an das Huhn; die Haut desselben war mit großen Blasen bedeckt, eine dicke Flechse zog sich auf jedem Beine hin, das Fleisch schmeckte hölzern und nach Lauge. Nach dem Mittagessen sagte Lawretzky, er wolle Thee trinken, wenn . . . »Sie sollen den Augenblick Thee haben,« unterbrach ihn der Alte, – und er hielt Wort. Es fand sich eine kleine Hand voll Thee, in rothes Papier eingewickelt; es fand sich ein kleiner, aber äußerst geräuschvoller Samowar, es fand sich auch Zucker in sehr kleinen Stückchen, die aussehen, als wären sie im Wasser gewesen. Lawretzky trank seinen Thee aus einer großen Tasse; von Jugend auf erinnerte er sich dieser Tasse; Engel waren darauf abgebildet und nur Gäste tranken aus derselben; und auch er trank aus ihr, als wäre er hier nur ein Gast.

 

Gegen Abend kam sein Gesinde; – Lawretzky wollte nicht in dem Bette seiner Tante schlafen und ließ sich das seine in der Speisestube machen. Er löschte das Licht aus und schaute lange um sich, in keine fröhlichen Gedanken versunken; ihn überkam dasselbe Gefühl, das Alle überkommt, die in einem, seit langer Zeit unbewohnten Zimmer schlafen; ihm schien es, daß die von allen Seiten ihn umdrängende Finsterniß sich an den neuen Bewohner nicht gewöhnen könne, daß die Wände des Zimmers selbst ihn erstaunt anblickten. Endlich seufzte er tief, zog die Decke über den Kopf und schlief ein. Am längsten blieb Anton wach, sprach lange und leise mit Apraxea, seufzte und stöhnte, und schlug zweimal das Zeichen des Kreuzes; Beide hatten es nicht erwartet, daß Lawretzky noch zu ihnen nach Wassiliewskoie ziehen würde, indem er ganz in der Nähe ein so schönes Gut, mit prächtigem herrschaftlichen Hause hatte. Ihnen konnte es nicht in den Kopf kommen, daß eben dieses Haus Lawretzky verhaßt war, daß es in ihm schmerzliche Erinnerungen erweckte. Nachdem sie sich satt geplaudert hatten, nahm Anton einen Stock, schlug an das, am Vorrathshause hängende, lange Zeit stumm gewesene Metallbrett und schlief hier auf dem Hofe ein, mit Nichts seinen weißen Kopf bedeckend. Still und wonnig war die Mainacht und lange schlief der Alte.

4Verkleinerungswort vom Namen Alexandrina, Diminutiv Sascha, kosend Saschura. Schurotschka. Anmerkung des Übersetzers.
5Der Tarantas ist ein russischer Reisewagen ohne Ressorts. Anmerkung des Übersetzers.