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Zehntes Kapitel

Iwan Petrowitsch kehrte als Angloman nach Rußland zurück, trug kurz geschorene Haare, ein steifgestärktes Jabot, einen langen erbsenfarbigen Ueberrock mit einer Menge kleiner Kragen, sein Gesicht hatte einen sauren Ausdruck, sein Umgang war schneidend und zugleich gleichgültig, er sprach durch die Zähne, sein Lachen kam unerwartet und klang hohl, seine Unterhaltung drehte sich ausschließlich um Politik und politische Oeconomie; er hatte eine Leidenschaft für bluttriefende Rostbeefs und Portwein – von ihm wehte, so zu sagen, nur Großbrittannien, er war von dessen Geiste ganz durchdrungen; aber – sonderbar zu sagen, – zu derselben Zeit, als er sich in einen Angloman verwandelt hatte, war Iwan Petrowitsch Patriot geworden, wenigstens nannte er sich Patriot, obgleich er Rußland schlecht kannte, sich an keine russische Gewohnheit hielt und ein sonderbares Russisch sprach. In den gewöhnlichen Unterhaltungen strotzte seine Rede von Gallizismen; kaum aber drehte sich die Unterhaltung um ernste Gegenstände so gebrauchte Iwan Petrowitsch sofort Ausdrücke wie: »neue Beweise des Selbsteifers darbieten,« »dieses stimmt mit der Natur selbstesfalles nicht überein,« und so weiter.

Iwan Petrowitsch hatte einige Manuscripte von Entwürfen zur Regelung und Vervollkommnung der Regierung mitgebracht; er war mit Allem, was er sah unzufrieden, besonders erregte Mangel an System seine Galle. Als er mit seiner Schwester zusammentraf, waren seine ersten Worte: er wolle s gründliche Reformen einführen, Alles würde künftig bei ihm nach einem neuen Systeme gehen. Glaphira Petrowna gab keine Antwort, preßte die Zähne zusammen und murmelte vor sich hin: »wohin soll ich aber dann?« Als sie jedoch ins Dorf mit ihrem Bruder und ihrem Neffen gekommen war, beruhigte sie sich bald. – Wirklich fanden im Hause einige Veränderungen statt. Die Schmarotzer und alle nicht zum Hause Gehörigen wurden sofort verbannt; leider litten in ihrer Zahl zwei alte Frauen – eine Blinde und eine, die vom Schlage gelähmt war, und noch ein alter Major aus den Zeiten von Otschakoff, den man wegen seines in der That bemerkenswerthen Heißhungers nur mit Commisbrod und Linsen fütterte. Auch wurde der Befehl erlassen, die früheren Gäste nicht mehr zu empfangen, sie Alle ersetzte ein blonder, an Scropheln leidender Baron, ein entfernter Nachbar und sehr gebildeter und trotzdem sehr dummer Mensch.

Aus Moskau kamen neue Meubel an; Spucknäpfe, Klingeln, Waschtischchen wurden eingeführt; das Frühstück wurde anders servirt; ausländische Weine ersetzten die verschiedenen Branntweine und Ratasias; die Diener bekamen neue Livreen; zu dem Familienwappen kam noch das Motte: in recto virtus.

In der That war die Gewalt von Glaphira nicht im Geringsten vermindert worden; alle Ausgaben und Einkäufe hingen wie früher von ihr ab. Der aus dem Auslande mitgebrachte Kammerdiener, ein gebotener Elsässer, versuchte es zwar, mit ihr zu ringen, – verlor aber seinen Platz, obgleich der Herr selbst ihn begünstigte. Was die Landwirthschaft, die Verwaltung der Güter (auch in diese Sachen mischte sich Glaphira Petrowna) betrifft, so blieb Alles beim Alten, obgleich Iwan Petrowitsch oft seine Absicht aussprach: nettes Leben in dieses Chaos zu bringen. Der Pachtzins nur wurde hier und da gesteigert und die Robottarbeiten wurden schwerer, ja es wurde den Bauern sogar verboten, sich an Iwan Petrowitsch selbst zu wenden. Der Patriot hegte große Verachtung für seine Mitbürger; Iwan Petrowitsch’s System wurde in seiner ganzen Kraft nur auf Fedia angewandt: seine Erziehung, in der That, ward einer »gründlichen« Reform unterworfen, – mit ihm beschäftigte sich sein Vater ausschließlich.

Elftes Kapitel

Bis zur Rückkehr von Iwan Petrowitsch aus dem Auslande befand sich, wie wir schon gesagt haben, Fedia unter der Obhut von Glaphira Petrowna. Er war noch nicht acht Jahre, als seine Mutter starb; er sah sie nicht jeden Tag und liebte sie leidenschaftlich. Das Andenken an sie, an ihr sanftes und bleiches Antlitz, an ihre traurigen Blicke und schüchternen Liebkosungen grub sich auf ewig in sein Herz; dunkel ahnte er ihre Lage im Hause; er fühlte, zwischen ihm und ihr sei eine Grenze, die sie nicht zu überschreiten wage, die sie nicht, vernichten könne. Es zog ihn nicht zu seinem Vater, auch liebkoste ihn Iwan Petrowitsch selten; sein Großvater streichelte ihm von Zeit zu Zeit den Kopf und erlaubte ihm, seine Hand zu küssen, nannte ihn aber einen kleinen Bären und hielt ihn für dumm. Nach dem Tode von Melanie Sergeiewna nahm ihn seine Tante völlig in ihre Hände. Fedia fürchtete sie, fürchtete ihre hellen, scharfen Augen, ihre schneidende Stimme; in ihrer Gegenwart wagte er keinen Laut von sich zu geben; wenn er zuweilen sich kaum auf seinem Stuhle rührte, hörte er sie schon zischen: »wohin? Sitz ruhig.« – Sonntags, nach der Messe, war es ihm erlaubt, zu spielen, das heißt matt gab ihm ein dickes Buch, ein geheimnißvolles Buch, das Werk eines gewissen Maximowitsch-Ambodyk, unter dem Titel; »Symbole und Embleme.« In diesem Buche befanden sich an tausend räthselhafte Bilder, mit noch räthselhafteren Erklärungen in fünf Sprachen. In diesen Bildern spielte Cupido mit einem nackten dicken Körper eine große Rolle. Zu einem derselben unter dem Titel: »Safran und Regenbogen,« war die Erklärung: »Ihre Wirkung ist groß;« unter einem andern Bilde, welches einen fliegenden Reiher mit einem Veilchen im Schnabel darstellte, stand das Motiv: »Dir sind sie Alle bekannt.« – »Cupido und ein Bär, der seine Kleinen leckt,« bedeuteten »nach und nach.«

Fedia betrachtete diese Zeichnungen, alle waren ihm bis ins Kleinste bekannt: einige, immer ein und dieselben, machten ihn nachdenken und weckten seine Einbildungskraft; eine andere Zerstreuung kannte er nicht. Als die Zeit kam, ihm Sprachen zu lehren, miethete Glaphira Petrowna für einen Spottpreis eine alte Demoiselle, eine Schwedin mit rothen Kaninchenaugen, die sehr fehlerhaft französisch und deutsch sprach, kaum Clavier spielen konnte, aber vortrefflich Gurken einzusalzen verstand. In der Gesellschaft dieser Lehrerin, seiner Tante und noch einer alten Dienstmagd, Wassiljewna, verbrachte Fedia vier lange Jahre.

Zuweilen sitzt er in einem Winkel mit seinen »Emblemen,« – er sitzt; . . . in der niedrigen Stube riecht es nach Geranium, trübe brennt ein einziges Talglicht, ein Heimchen zirpt einförmig, als langweile es sich, die kleine Wanduhr pickt eilig an der Wand, verstohlen kratzt und nagt eine Maus hinter der Tapete und die drei alten Jungfern bewegen schweigend und eilig, den Parzen gleich, ihre Stricknadeln, die Schatten ihrer Hände laufen bald hin und her, bald zittern sie sonderbar im Halbdunkel, und sonderbare, sogar düstere Gedanken drängen sich im Kopfe des Knaben auf. Niemand hätte Fedia ein interessantes Kind genannt; er war ziemlich bleich aber dick, ungeschickt gebaut und ungelenk, – ein wahrer Bauer, wie Glaphira Petrowna sich, ausdrückte; die Blässe wäre bald von seinem Gesichte verschwunden, wenn man ihn öfter in freier Luft hätte herumlaufen lassen. Er lernte ziemlich gut, obgleich er oft faul war; niemals weinte er; doch zuweilen überkam ihn ein wilder Eigensinn; in solchen Augenblicken vermochte Niemand etwas über ihn, Fedia liebte Niemanden von denen, die ihn umgaben . . . weh’ dem Herzen, daß in der Jugend nicht geliebt hat.

So fand ihn Iwan Petrowitsch und wandte, ohne Zeit zu verlieren, sein System auf ihn an. – »Vor Allem will ich aus ihm einen Menschen machen, un homme,« sagte er zu Glaphira Petrowna, »und nicht allein einen Menschen, sondern auch einen Spartaner.« Um sein Ziel zu erreichen, begann Iwan Petrowitsch damit, daß er seinem Sohne ein schottisches Costume gab; der zwölfjährige Knabe ging mit nackten Waden und einer Hahnenfeder an seiner Mütze herum, die Schwedin ersetzte ein junger Schweizer, der alle Feinheiten der Gymnastik kannte; die Musik wurde als eine des Mannes unwürdige Kunst auf ewig verbannt; mit Naturgeschichte, allgemeinem Rechte, Mathematik, Tischlerei, nach- dem Rathe Jean Jacques Rousseau’s, und mit Heraldik, zur Stärkung der ritterlichen Gefühle, – mußte sich der zukünftige »Mensch« beschäftigen; man weckte ihn um vier Uhr Morgens, begoß ihn sofort mit eiskaltem Wasser, und er mußte an einem Stricke um eine hohe Säule herum laufen; er aß nur einmal am Tage, bekam ein einziges Gericht, ritt, schoß mit der Armbrust; bei jeder passenden Gelegenheit mußte er sich, nach dem Beispiele seines Vaters, in der Kraft des Willens üben, und jeden Abend mußte er sich in einem besonderen Hefte Rechenschaft über den vergangenen Tag und über seine Eindrücke geben; Iwan Petrowitsch seiner Seits schrieb ihm seine Verhaltungsregeln auf Französisch und nannte ihn in denselben mon fils und sagte zu ihm vous. Auf Russisch sprach Fedia zu seinem Vater, vous; durfte sich aber nicht in seiner Gegenwart setzen. Das »System« machte den Knaben ganz irre, brachte allerhand tolles Zeug in seinen Kopf und drückte denselben zusammen; auf seine Gesundheit dagegen wirkte die neue Lebensart ganz segensreich, Anfangs freilich bekam er das hitzige Fieber, bald aber wurde er wieder gesund und ward kräftig und rüstig. Der Vater war stolz auf ihn und nannte ihn in seiner sonderbaren Sprache: Sohn der Natur, meiner Schöpfung. Als Fedia sechzehn Jahre alt war, hielt es Iwan Petrowitsch für seine Pflicht, ihn sobald als möglich Verachtung des weiblichen Geschlechtes einzuflößen, und der junge Spartaner mit zaghaftem Herzen, mit dem ersten Flaum auf der Lippe, voll von Saft, Kraft und Blut, suchte schon gleichgültig, kalt und grob zu scheinen.

Inzwischen schwand die Zeit dahin, Iwan Petrowitsch verbrachte die größte Zeit des Jahres in Lawriky, so hieß das größte seiner Rittergüter, das zugleich auch das Stammgut seiner Familie war. Im Winter reiste er nach Moskau allein, wohnte im Gasthause, besuchte fleißig den Club, spielte den Redner, erklärte seine Pläne in den Salons, spielte mehr als je den Anglomanem den Difficilen, den Staatsmann. Doch da brach das Jahr 1825 an; nahe Bekannte und Freunde von Iwan Petrowitsch mußten schwere Prüfungen ertragen, Iwan Petrowitsch zog sich eilig in sein Dorf zurück und verschloß sich in seinem Hause. Es schwand noch ein Jahr dahin und die Gesundheit Iwan Petrowitsch’s brach plötzlich zusammen, er wurde schwach, er siechte hin. Der Freigeist besuchte jetzt fleißig die Kirchen, ließ Messen lesen; der Europäer nahm russische Schwitzbäder, aß um zwei Uhr zu Mittag, legte sich um neun Uhr schlafen, schlummerte beim Geschwätz eines alten Haushofmeisters ein; der Staatsmann verbrannte alle seine Pläne, seine Correspondenz, zitterte vor dem Gouverneur, schwänzelte vor dem Isprawnik; der Mann mit eisernem Willen schluchzte und klagte, wenn er ein kleines Geschwür bekam, wenn man ihm einen Teller kalte Sappe brachte. Wieder ward Glaphira Petrowna die Alleinherrscherin im Hause; wieder gingen die Verwalter, die Schulzen und einfache Bauern auf der Hintertreppe zum »alten Geizhals«, wie sie das Gesinde nannte.

 

Die Veränderung Iwan Petrowitsch’s setzte seinen Sohn höchlichst in Erstaunen, er war neunzehn Jahre, begann zu denken und die Last der auf ihm ruhenden Hand abzuschütteln; schon früher hatte er den Widerspruch zwischen den Thaten und den Worten seines Vaters, zwischen seinen freisinnigen Ideen und zwischen seinem engherzigen, kleinlichen Despotismus bemerkt; der alte Egoist sprach sich selbst offen aus. Der junge Lawretzky wollte eben nach Moskau reisen, um sich zur Universität vorzubereiten, als sich ein nettes, unerwartetes Unglück über dem Haupte Iwan Petrowitsch’s entlud: er erblindete, erblindete hoffnungslos und an einem einzigen Tage.

Der Geschicklichkeit der russischen Aerzte nicht trauend, suchte er um die Erlaubniß nach, in’s Ausland reisen zu dürfen; dies wurde ihm verweigert. Da nahm er seinen Sohn mit sich und wanderte drei Jahre in ganz Rußland von einem Arzte zum andern, fortwährend aus einer Stadt in die andere reisend und die Aerzte, den Sohn und seine Bedienung durch seine Kleinmüthigkeit und seine Ungeduld zur Verzweiflung bringend.

Vollkommen kraftlos, als stets weinendes, capriciöses Kind, kehrte er nach Lawriky zurück; für seine Umgebung begannen schwere Tage, Alle, die ihn umgaben, hatten viel von ihm zu leiden. Er war nur ruhig, wenn er zu Mittag aß; niemals hatte er so viel und mit solcher Gier gegessen; die übrige Zeit war er sich selbst und Allen zur Last. Er betete, murrte über die Vorsehung, schimpfte sich selbst, die Politik, sein System, schimpfte Alles, womit er geprahlt hatte und worauf er stolz gewesen war, Alles was er früher seinem Sohne als Beispiel zeigte; er wiederholte: er glaube an Nichts – und war den nächsten Augenblick in Gebet versunken; konnte keinen Augenblick allein bleiben und forderte von seiner Umgebung, daß sie beständig, Tag und Nacht, neben seinem Sessel sitzen und ihn mit Erzählungen, die er fortwährend durch die Ausrufungen: »Ihr lügt Alles, welch, ein Unsinn!« unterbrach, zerstreuen sollte.

Besonders hatte Glaphira Petrowna von ihm zu leiden; er konnte keinen Augenblick ohne sie sein, und bis zum letzten Augenblicke willfahrtete sie allen Launen des Kranken, obgleich sie zuweilen sich nicht entschloß, ihm sofort zu antworten, um nicht die sie erdrückende Wuth zu verrathen. So vegetierte er zwei Jahre hindurch und starb in den ersten Tagen des Mais, sich auf dem Balkon sonnend. »Glaphira, Glaphira! gieb mir Boullion, Du alte He . . . lispelte seine erstarrende Zunge, und schwieg ohne das letzte Wort aussprechen zu können, auf ewig. Glaphira Petrowna, welche eben eine Tasse Boullion aus den Händen des Haushofmeisters gerissen hatte, blieb stehen, blickte ihrem Bruder in’s Gesicht, schlug langsam ein großes Kreuz und entfernte sich schweigend. Der gleichfalls anwesende Sohn sprach ebenfalls kein Wort, er lehnte sich auf das Geländer des Balkons’s und blickte lange hinab in den Garten, der voll von Wohlgeruch und jungem Grün war, und in den Strahlen der goldenen Frühlingssonne glühte. Er war jetzt dreiundzwanzig Jahre; wie schrecklich, wie unbemerkt waren diese dreiundzwanzig Jahre entschwunden. Ihm erschloß sich jetzt das Leben.

Zwölftes Kapitel

Nach dem Begräbniß seines Vaters vertraute der junge Lawretzky die Verwaltung seiner Güter derselben unvermeidlichen Glaphira Petrowna an, und reiste nach Moskau, wohin ihn ein dunkles Gefühl, unwiderstehlich trieb. Er fühlte die Mängel seiner Erziehung und hatte die Absicht, das Verlorene nach Möglichkeit wieder gut zu machen. Die letzten fünf Jahre hatte er viel gelesen und so Manches gesehen, viele Gedanken hatten seinen Kopf durchkreuzt, so mancher Professor hätte ihn um viele seiner Kenntnisse beneidet, dagegen entging ihm aber auch so Manches, was jedem Gymnasiasten längst bekannt ist.

Lawretzky fühlte, daß er frei sei, fühlte sich aber auch im Stillen als Sonderling.

Einen schlechten Spaß hatte der Angloman seinem Sohne gespielt; die eigenwillige Erziehung hatte ihre Früchte getragen. Lange hatte er sich vor seinem Vater gebeugt; und als er ihn endlich durchschaut hatte, war das Unheil schon geschehen, die Gewohnheiten hatten Wurzel gefaßt. Er verstand es nicht, mit Leuten umzugehen; dreiundzwanzig Jahre alt, im beschämten Herzen nach Liebe dürstend, hatte er bisher nicht gewagt, einem Weibe in’s Auge zu schauen. Bei seinem hellen und gesunden, obgleich etwas schwerfälligen Verstande, bei seinem Hange zum Eigensinn, zur Selbstbetrachtung und Trägheit hätte er früh in den Strudel des Lebens gerathen sollen; man hatte ihn aber in einer erkünstelten Einsamkeit gehalten. Jetzt war der Zauberkreis zerrissen und doch blieb er auf derselben Stelle stehen, in sich selbst verschlossen.

Lächerlich war es, in seinen Jahren die Studentenuniform anzuziehen, er fürchtete aber den Spott nicht, das war ein Nutzen seiner spartanischen Erziehung, denn sie hatte in ihm Verachtung fremden Geredes entwickelt. Er trat in die physicomathematische Fakultät; gesund, rothbäckig, bärtig, schweigsam, machte er einen sonderbaren Eindruck auf seine Comilitonen; sie ahnten nicht, daß in diesem finsteren Manne, der zu den Vorlesungen regelmäßig in einem breiten, zweispännigen Bauernschlitten gefahren kam, sich fast ein Kind barg; erschien ihnen ein sonderbarer Pedant zu sein, sie brauchten ihn nicht und suchten seine Gesellschaft nicht, er seinerseits ging ihnen aus dem Wege. In den zwei ersten Jahren, die er auf der Universität verbrachte, schloß er sich nur einem einzigen Studenten, bei dem er lateinische Stunden nahm, näher an. Dieser Student, Namens Michalewitsch, ein Enthusiast und Dichter, gewann Lawretzky aufrichtig lieb und ward zufällig Ursache einer wichtigen Veränderung in seinem Leben.

Einst, im Theater, (Motschaloff 1 stand damals auf dem Gipfel seines Ruhmes und Lawretzky versäumte keine der Vorstellungen) sah er in einer Lage des ersten Ranges ein Mädchen, – und obgleich, kein Mädchen seinem finstern Gesichte vorbeiging, ohne daß sein Herz erzitterte, so hatte es doch niemals so laut geschlagen. Auf den Sammt der Loge gelehnt, bewegte sich das Mädchen nicht; reizbares, junges Leben spielte in jedem Zuge ihres dunklen, runden, schönen Gesichtes; ihre schönen Augen, die aufmerksam und sanft unter den seinen Augenbrauen hervorblickten, der flüchtige Spott ihrer ausdrucksvollen Lippen, selbst die Haltung ihres Kopfes, ihrer Hände, ihres Nackens, Alles zeugte von Scharfsinn und Geist; sie war reizend gekleidet. Neben ihr saß eine gelbe und runzlige Frau von fünfundvierzig Jahren mit ausgeschnittenem Kleide, in einem schwarzen Barett, mit einem zahnlosen Lächeln aus dem gespannt-bekümmerten und leeren Gesichte, und in der Tiefe der Lage saß ein ältlicher Mann in einem weiten Ueberrock und hohen Halstuche, mit dem Ausdrucke stumpfsinnigen Hochmuths und einschmeichelnden Argwohns in den kleinen Augen, mit gefärbtem Schnurr- und Backenbart, einer bedeutungslosen ungeheuren Stirn und hängenden Wangen, allein Anschein nach ein verabschiedeter General.

Lawretzky wandte seine Augen nicht von dem Mädchen ab, die solch einen Eindruck auf ihn gemacht, als sich plötzlich die Loge öffnete und Michalewitsch hereintrat. Das Erscheinen dieses Mannes, fast seines einzigen Bekannten in ganz Moskau, sein Erscheinen in der Gesellschaft des einzigen Mädchens, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte, schien für Lawretzky bedeutungsvoll und sonderbar. Er fuhr fort, in die Loge zu blicken und bemerkte, daß Alle die sich in derselben befanden, mit Michalewitsch wie mit einem alten Bekannten umgingen. Die Vorstellung interessirte Lawretzky nicht mehr, Motschaloff selbst, obgleich er eine seiner Forcerollen spielte, machte auf ihn nicht mehr den gewohnten Eindruck. Bei einer sehr pathetischen Stelle blickte Lawretzky unwillkürlich auf seine Schöne; sie hatte sich ganz aus der Loge gelehnt; ihre Augen glühten; unter dem Einflusse seines festen Blickes wandten sich ihre auf die Scene gehefteten Blicke langsam aus das Publicum und blieben auf ihm haften. . . . Die ganze Nacht träumte er nur von diesen Augen. Endlich war der künstlich aufgeworfene Damm durchbrochen; Lawretzky zitterte und brannte und glühte und fuhr am folgenden Tage zu Michalewitsch.

Er erfuhr von ihm, daß die Schone Warwara Pawlowna Korobiin hieß, daß der alte Herr und die alte Dame, die mit ihr in der Loge saßen, ihr Vater und ihre Mutter seien, daß er, Michalewitsch, ihre Bekanntschaft vor einem Jahre gemacht habe, als er Hauslehrer bei dem Grafen N. war. Der Enthusiast sprach mit großen Lobsprüchen von Warwara Pawlowna.

»Dies Wesen,« rief er mit der ihm eigenen Staccato-Gesangsweise in der Stimme, – »dieses Mädchen – ist ein wunderbares, geniales Geschöpf, eine Künstlerin im ächten Sinne des Wortes und dabei äußerst gut.«

Da er aus den Fragen Lawretzky’s sah, weichen Eindruck Warwara Pawlowna auf ihn gemacht hatte, so trug er es ihm von selbst an, ihn ihr vorzustellen, indem er hinzufügte, daß er in ihrem Hause wie ein Verwandter aufgenommen wäre, daß der General nicht im Geringsten stolz sei und daß die Mutter so dumm wäre, wie es kaum erlaubt wäre zu sein.

Lawretzky erröthete, murmelte ein paar undeutliche Worte und lief fort. Fünf ganze Tage kämpfte er mit seiner Schüchternheit; am sechsten zog der junge Spartaner eine neue Uniform an und gab sich in die Hände von Michalewitsch, welche, da er ein naher Bekannter Korobiins war, sich begnügten, seine Haare etwas in Ordnung zu bringen und beide fuhren zu Korobiins.

1Berühmter russischer Tragiker.