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Sechzehntes Kapitel

Lawretzky verbrachte anderthalb Tage in Wasiliewskoie und irrte fast die ganze Zeit in der Umgegend umher; er konnte nicht lange an einer und derselben Stelle bleiben, denn in ihm nagte der Gram. Er fühlte alle Qualen der nie endenden, heißen, vergeblichen Sehnsucht; er gedachte jenes Gefühles, das sein Herz den Tag nach seiner Ankunft in seinem Dorf erfüllt hatte; er gedachte seiner damaligen Pläne und zürnte sich selbst. Was konnte ihn losreißen von dem, was er für seine Pflicht, die einzige Aufgabe seiner Zukunft hielt? Durst nach Glück, – wieder Durst nach Glück! – »Wahrscheinlich hat Michalewitsch Recht,« dachte er. »Du wolltest es auf‘s Neue im Leben kosten,« sagte er zu sich selbst, – »hattest vergessen, daß auch das schon Ueberfluß, eine unverdiente Gnade sei, wenn das Glück Einen einmal im Leben besucht. Es war nicht vollkommen, es hat Dir gelogen, wirst Du sagen; beweise aber Deine Rechte auf ein vollkommenes, auf ein wahres Glück! Blicke um Dich und sage, wer da glücklich ist, wer genießt! Da geht ein Bauer Heu mähen; vielleicht ist er mit seinem Schicksal zufrieden . . . Nun? möchtest Du wohl mit ihm theilen? Denke doch an Deine Mutter: wie nichtig klein waren die Ansprüche, die sie an das Leben stellte, und welches Loos war ihr beschieden! Wahrscheinlich wolltest Du Dich vor Panschin brüsten, als Du ihm sagtest, Du seist nach Rußland gekommen, um zu ackern; nein, Du bist gekommen, um in Deinem Alter jungen Mädchen die Cour zu machen. Du hörtest kaum, Du feist frei, und gleich warfst Du Alles hin, vergaßest Alles, liefst, gleich einem Kinde, nach einem Schmetterling.« Fortwährend schwebte ihm das Bild Liesens vor; er suchte es von sich zu treiben, ebenso wie ein anderes Bild, andere listige, schöne und verhaßte Züge.

Der alte Anton bemerkte, daß sein Herr unwohl sei; nachdem er einige Male vor der Thür tief, auf der Schwelle noch tiefer geseufzt hatte, entschloß er sich, sich ihm zu nähern und rieth ihm, etwas Warmes zu trinken. Lawretzky schrie ihn an, befahl ihm, die Stube zu verlassen und entschuldigte sich gleich darauf bei ihm; Anton wurde aber noch trauriger. Lawretzky konnte nicht im Saale bleiben; ihm schien es fortwährend, sein Urgroßvater Andrei blicke verächtlich aus seinem Rahmen auf seinen schwächlichen Enkel. »Ach Du Urenkel! wie erbärmlich bist Du doch!« sagten, so schien es ihm, die sarkastisch lächelnden Lippen. – »Ist’s möglich,« dachte er,– »daß ich nicht Herr über mich selbst werde, – daß ich mich hingeben werde diesem . . . Unsinn?«

Schwer Verwundete nennen gewöhnlich ihre Wunden »Unsinn«; wenn der Mensch sich nicht selbst betrügt, ist es besser für ihn, er lebt nicht mehr auf Erden. »Bin ich wirklich ein Knabe nur? Nun, ja: ich habe das Glück in meiner Nähe gesehen, hielt fest in meinen Händen die Möglichkeit, für mein ganzes Leben glücklich zu sein, und plötzlich ist sie verschwunden; ja, so ist es auch in der Lotterie – hätte sich das Rad noch ein Wenig gedreht, wäre am Ende der Arme zum Reichen geworden. Ist es hin, so ist es hin,– und damit hat es ein Ende. Zähneknirschend werde ich mich an die Arbeit spannen und werde mir zu schweigen befehlen. Gut ist es noch, daß dies nicht das erste Mal ist, daß ich mich besiegen muß! Und warum floh ich, warum sitze ich hier, gleich einem Strauß meinen Kopf in einen Busch versteckend? Vielleicht ist es schrecklich, dem Unglück in‘s Auge zu schauen! – Unsinn! – Anton!« rief er laut, – »sage, daß man mir sogleich meinen Wagen anspanne. – Ja, dachte er wieder, »ich werde meinem Herzen zu schweigen befehlen« ich muß mich fest in die Hände nehmen! . . .«

Mit solchen Gedanken fuhr Lawretzky fort, sich in seinem Schmerz zu trösten, doch der Schmerz war groß und heftig; und Apraxea selbst, die nicht sowohl blödsinnig, als für alles Gefühl abgestumpft war, schüttelte den Kopf und folgte ihm mit den Augen, als er sich in den Wagen setzte, um in die Stadt zu fahren. Pfeilschnell sprengten die Pferde dahin: er saß unbeweglich und seine Augen blickten eben so unbeweglich vor sich hin auf den Weg.

Siebzehntes Kapitel

Den Tag vorher hatte Liese Lawretzky geschrieben, daß er den Abend zu ihnen kommen solle, doch fuhr er zuerst in seine Wohnung. Von seinen Leuten erfuhr er, daß weder seine Frau noch seine Tochter zu Hause sei, daß Beide bei den Kalitins wären. Diese Nachricht setzte ihn in Erstaunen und in Wuth.

»Warwara scheint entschlossen zu sein, mich zu tödten,« dachte er, und sein Herz schlug mit des Zornes Heftigkeit. Mit unruhigen Schritten ging er im Zimmer hin und her, warf fortwährend mit Händen und Füßen Kinderspielzeug, Bücher, jene Kleinigkeiten, die die Damen gern um sich haben, auf die Seite; er rief Justine und befahl ihr, diesen »Schund« auf die Seite zu schaffen.

»Oui, monsiuer!« sagte sie coquettirend und fing an die Stube in Ordnung zu bringen, indem sie sich mit Grazie niederbückte, und durch jede ihrer Bewegungen Lawretzky zu verstehen gab, daß sie ihn für einen ungeschliffenen Bären halte.

Mit Haß sah er aus ihr abgelebtes, aber noch immer »pikantes,« spöttisches, pariser Gesicht, auf ihre weißen Manschetten, ihre seidene Schürze, ihre leichte Haube. Endlich schickte er sie fort, und entschloß sich nach langem Wanken (Warwara Pawlowna kehrte immer noch nicht zurück) zu den Kalitins zu fahren. – Nicht zu Maria Dmitriewna (für Nichts aus der Welt wäre er in ihren Saal, in jenen Salon, wo sich seine Frau befand, getreten), aber zu Martha Timotheewna; er erinnerte sich, daß eine Treppe aus der Gesindestube gerade zu ihr führte. Der Zufall stand ihm bei: auf dem Hofe traf er Schurotschka, und diese führte ihn zu Martha Timotheewna. Er fand sie, gegen ihre Gewohnheit, allein; sie saß in einem Winkel, mit wallenden Haaren, gebückt, mit auf der Brust gekreuzten Armen. Als die Alte Lawretzky erblickte, fuhr sie auf, und lief eilig im Zimmer hin und her, als suche sie ihre Haube.

»Ja, da bist Du denn endlich, ja!« sagte sie, indem sie seinem Blicke auswich und geschäftig hin und her lief: – »nun« guten Abend. Was machst Du? Was ist zu thun? Wo warst Du gestern? Nun, sie ist gekommen; nun ja; nun, es mußte doch so . . . auf irgend eine Art.«

Lawretzky sank auf einen Stuhl nieder.

»Nun, setze Dich, setze Dich,« fuhr die Alte fort. »Du bist herausgekommen? Nun, ja, versteht sich! Was jetzt? Bist Du nur gekommen, mich zu sehen? Schönen Dank!«

Die Alte schwieg, Lawretzky wußte nicht, was er ihr sagen sollte; sie aber verstand ihn.

»Liese . . . ja, Liese war eben hier,« fuhr Martha Timotheewna fort, indem sie die Bänder ihres Ridicils bald schürzte, bald wieder löste. »Sie ist nicht ganz wohl. Schurotschka, wo bist Du? Komm doch her, kannst Du nicht einen einzigen Augenblick auf Deinem Platze bleiben? Auch ich habe Kopfschmerzen; wahrscheinlich von diesem Sing-Sang und von der Musik.«

»Von was für einem Sing-Sang, Tante?«

»Wie denn, jetzt haben wir hier, – wie nennt Ihr das doch – Duette. Und Alles auf italienisch: tschitschi und tschatscha. Wenn sie zu singen anfangen, scheint es, sie wollen Einem das Herz aus dem Leibe reißen. Dieser Panschin und dann die Deinige. Und wie dies Alles sich schnell ausgeglichen hat, ganz wie es unter Verwandten sein soll, ohne alle Ceremonien. Uebrigens muß man auch das sagen, selbst der Hund sucht sich eine Zuflucht; warum soll er Verloren gehen, wenn ihn Leute nicht von sich treiben.«

»Uebrigens, gestehe ich, hätte ich dies nicht erwartet; dazu gehört doch eine große Dreistigkeit.«

»Nein« lieber Freund, keine Dreistigkeit, nur Berechnung. Nun« Gott mit ihr! Man sagt, Du schickst sie nach Lawriky, ist es wahr?«

»Ja, ich überlasse dieses Gut Warwara Pawlowna.«

»Hm sie bei Dir schon nach Geld gefragt?«

»Bis jetzt noch nicht!«

»Nun, das wird schon bald genug kommen. Jetzt aber habe ich Dich endlich angesehen. Bist Du gesund?« »Ja!«

»Schurotschka!« rief aus einmal Martha Timotheewna: – »gehe und sage Lisawetha Michailowna – das heißt, nein, frage sie . . . wo sie mein Buch hingethan hat? Sie weiß schon welches.«

»Gleich.«

Wieder lief die Alte geschäftig hin und her, und öffnete eine Schublade nach der andern, Lawretzky blieb unbeweglich auf seinem Stuhle sitzen.

Mit einem Male hörte man leichte Schritte auf der Treppe, – Liese trat ein.

Lawretzky stand auf und grüßte; Liese blieb an der Thüre stehen.

»Liese, Lieschen!i« sagte Martha Timotheewna geschäftig: – »wo hast Du mir mein Buch hingethan?«

»Was für ein Buch denn, Tante?«

»Ja, das Buch« mein Gott! Ich habe Dich übrigens nicht gerufen . . . nun komme, das ist einerlei. Was macht Ihr dort unten? Da ist auch Feodor Iwanitsch gekommen. – Wie geht es mit Deinen Kopfschmerzen?«

»Besser.«

»Du sagst immer: »Besser.« Was ist bei Euch dort unten? – Wieder Musik?«

»Nein, man spielt Karten.«

»Ja, sie hat ja Talent zu Allem. Schurotschka, ich sehe, Du möchtest im Garten herumlaufen. Geh nur.«

»Aber nein« Martha Timotheewna . . .«

»Ich bitte Dich, mir nicht zu widersprechen; geh’ nur. Nastasia Karpowna ist im Garten: bleibe bei ihr. Du mußt der Alten doch einen Gefallen thun.«

Schurotschka ging fort.

»Wo ist nur meine Haube? Wo ist sie denn geblieben?«

»Ich will sie suchen!« sagte Liese.

»Bleib nur sitzen. Ich selbst habe meine Beine noch nicht verloren. Wahrscheinlich ist sie in meiner Schlafstube,« und Martha Timotheewna ging fort, nachdem sie einen Seitenblick auf Lawretzky geworfen hatte. Sie hatte die Thür offen gelassen, mit einem Male kehrte sie aber zurück und warf sie zu. Liese stützte sich auf die Lehne des Stuhles und bedeckte sich das Gesicht mit ihren Händen. Lawretzky blieb auf der Stelle, wo er gestanden.

»Also so sollten wir uns wiedersehen!« sagte er endlich.

Liese nahm die Hände vom Gesichte.

 

»Ja, wir sind schnell bestraft worden,« sagte sie mit dumpfer Stimme.

»Bestraft? – Wofür aber bestraft?« fragte Lawretzky.

Liese schlug die Augen auf; diese drückten weder Gram noch Unruhe ans: doch schienen sie kleiner und trüber geworden zu sein. Ihr Gesicht war bleich; auch die nicht ganz geschlossenen Lippen waren blaß geworden.

Mitleid und Liebe durchdrangen Lawretzky‘s Herz.

»Sie haben mir geschrieben: Alles ist aus; – Ja Alles ist aus, bevor noch Etwas begonnen hatte.«

»Dies Alles muß vergessen werden,« – sagte Liese: – »ich bin froh, daß Sie gekommen sind; ich wollte Ihnen schreiben, so ist es jedoch besser. Diese Augenblicke müssen aber benutzt werden; wir Beide müssen unsere Pflicht erfüllen. Sie müssen sich mit Ihrer Frau versöhnen.«

»Liese!«

»Ich bitte Sie darum; dadurch allein kann man die Vergangenheit verwischen. Bedenken Sie sich, – und Sie werden es mir nicht abschlagen.«

»Liese! um Gotteswillen! Fordern Sie von mir nicht das Unmögliche! Ich will Alles thun, was sie mir befehlen; doch kann ich mich jetzt nicht mit ihr versöhnen! . . .Ich bin mit Allem einverstanden, ich habe Alles vergessen; aber ich kann doch nicht mein Herz zwingen . . . Allmächtiger Gott! Das ist zu grausam!«

»Ich fordere das auch nicht von Ihnen . . . das, was Sie meinen . . . leben Sie nicht mit ihr, wenn Sie es nicht können; schließen Sie aber Frieden!« antwortete Liese und bedeckte wieder ihre Augen mit der Hand. – »Denkens Sie an Ihre Tochter; thun Sie das für mich.«

»Gut,« sagte Lawretzky zwischen den Zähnen: – »damit wäre also meine Pflicht erfüllt. Nun, und Sie – was ist Ihre Pflicht?«

»Das weiß ich nicht!«

Lawretzky fuhr wieder auf.

»Wollen Sie vielleicht Panschin heirathen?« fragte er.

Ein kaum merkliches Lächeln eilte über Liesens Lippen.

»O nein!« sagte sie.

»Liese! Liese!« rief Lawretzky: »wie glücklich hätten wir sein können!«

Liese blickte wieder auf ihn.

»Jetzt sehen Sie selbst, Feodor Iwanitsch, daß das Glück nicht von uns, daß es nur von Gott abhängt.«

Ja, weil Sie . . . «

Die Thür der Nachbarstube ward plötzlich geöffnet und Martha Timotheewna trat, die Haube in der Hand, herein.

»Endlich habe ich sie gefunden,« sagte sie, sich zwischen Liese und Lawretzky stellend. – »Ich selbst habe sie verlegt. Das kommt, wenn man alt wird; es ist ein wahres Unglück. Uebrigens taugt auch die Jugend nichts mehr. Wirst Du Deine Frau nach Lawriky selbst begleiten?« fügte sie hinzu, sich zu Feodor Iwanitsch wendend.

»Mit ihr nach Lawriky? Ich! Ich weiß es nicht,« sagte er nach einigen Augenblicken.

»Wirst Du nicht hinunter gehen?«

»Heute – nein!«

»Nun« gut. Du weißt es besser, was Du zu thun hast; Du aber, Liese, würdest gut thun, hinunter zu gehen. Ach, Du großer Gott, ich habe vergessen, dem Dompfaffen sein Futter zu geben! Warte ein wenig, ich werde gleich« und . . . Martha Timotheewna lief fort, ohne ihre Haube aufzusetzen.

Lawretzky ging eilig ans Liese zu.

»Liese, sagte er mit flehender Stimme: »wir trennen uns jetzt ans ewig, mein Herz ist gebrochen, – geben Sie mir Ihre Hand zum Abschiede.«

Liese erhob den Kopf und heftete auf ihn ihren müden, fast verloschenen Blick.

»Nein,« sagte sie und nahm die schon ausgestreckte Hand nicht: – »nein, Lawretzky, (sie nannte ihn so zum ersten Male) – ich werde Ihnen meine Hand nicht geben. Wozu? Entfernen Sie sich von mir, ich bitte Sie. Sie wissen, daß ich Sie liebe . . . ja, ich liebe Sie; doch nein . . . nein.« Sie bedeckte ihre Lippen mit dem Schnupftuche.

»Geben Sie mir wenigstens dieses Tuch.«

Die Thür knarrte.

»Nehmen Sie,« sagte Liese eilig.

Das Schnupftuch gleitete an ihren Knieen hinab; Lawretzky ergriff es im Fallen, steckte es schnell in die Seitentasche und begegnete, indem er sich umdrehte, den Augen Martha Timotheewna’s.

»Liese! mir scheint es, Deine Mutter ruft Dich.«

Liese stand auf und ging.

Wieder setzte sich Martha Timotheewna in ihren Winkel.

Lawretzky nahm von ihr Abschied.

»Fedia!« sagte sie mit einem Male.

»Was wollen Sie Tante.«

»Bist Du ein ehrlicher Mann?«

»Wie das?«

»Ich frage Dich, ob Du ehrlich bist?«

»Ich hoffe, daß ich es bin.«

»Hm, gieb mir aber Dein Ehrenwort, daß Du ehrlich bist.«

»Da haben Sie es. – Warum aber?«

»Ich weiß warum. Und auch Du, mein Lieber, wenn Du nachdenkst, wirst wissen warum – denn dumm bist Du nicht. Jetzt gute Nacht. Meinen Dank, daß Du mich besucht hast; erinnere Dich aber dessen, was Du mir gesagt hast, Fedia, und gieb mir einen Kuß. Ach, ich weiß, Dir ist‘s schwer um’s Herz; ist dies aber auch nicht mit Allen von uns der Fall? Ich zum Beispiel beneidete früher die Fliegen: die, dachte ich, haben ein schönes Leben; eine Nacht aber hörte ich, wie eine Fliege, in einem Spinnengewebe gefangen, summte, – nein, dachte ich damals, auch die Fliegen leben nicht so glücklich. Was ist zu thun, Fedia? Erinnere Dich aber dessen, was Du mir gesagt hast. – Jetzt gehe, – gehe.«

Lawretzky ging die Gesindetreppe hinunter und war schon der Thür nahe . . . als ihn ein Diener einholte.

»Maria Dmitriewna bittet Sie, zu ihr zu kommen,« sagte er zu Lawretzky.

»Sage ihr, daß ich jetzt nicht kann, . . . « antwortete Lawretzky.

»Es ist befehlen, Sie recht sehr zu bitten, fuhr der Diener fort; – Maria Dmitriewna läßt Ihnen sagen, daß sie allein sei.«

»Sind denn die Gäste fort?« fragte Lawretzky.

»Ja,« antwortete der Diener mit einem dummen Lächeln.

Lawretzky zuckte die Achseln und folgte ihm.

Achtzehntes Kapitel

Maria Dmitriewna saß in ihrem Cabinet allein auf einem Voltaire-Sessel und brachte alle Augenblicke ein Fläschchen mit eau de Cologne an ihre Nase; neben ihr stand auf einem Tischchen ein Glas mit fleur d‘orange. Sie war in großer Aufregung und sogar scheinbar in Furcht.

Lawretzky trat ein. »Sie wünschten mich zu sehen?« sagte er, sie kalt grüßend.

»Ja,« antwortete Maria Dmitriewna, und trank einige Schluck Wasser. – »Ich habe erfahren, daß sie zur Tante gegangen wären, und habe befohlen, Sie zu bitten, zu mir zu kommen, ich muß mit Ihnen reden. Setzen Sie sich, ich bitte.«

Maria Dmitriewna athmete tief. – »Sie wissen,« fuhr sie fort, – »daß Ihre Frau angekommen ist.«

»Ich weiß es,« sagte Lawretzky.

»Nun, ja, das heißt, ich wollte sagen: sie ist zu mir gekommen und ich habe sie empfangen; übrigens wollte ich mit Ihnen über Folgendes reden, Feodor Iwanitsch. Ich habe, Gott sei Dank, ich kann es sagen, mir allgemeine Achtung erworben, um Nichts auf der Welt würde ich etwas Unschickliches thun. Obgleich ich es im Voraus sah, daß es Ihnen unangenehm ist, habe ich mich nicht entschließen können, ihr es abzuschlagen, Feodor Iwanitsch, sie ist meine Verwandte – durch Sie; stellen Sie sich meine Lage vor: was für ein Recht hatte ich, sie nicht zu empfangen, – nicht wahr?«

»Sie regen sich ganz ohne Grund auf, Maria Dmitriewna,« antwortete Lawretzky: – »Sie haben ganz recht gehandelt, ich ärgere mich nicht im geringsten über Sie. Ich habe ganz und gar nicht die Absicht, Warwara Pawlowna nicht zu gestatten, ihre Bekannten zu sehen. Ich bin nur deswegen nicht herein gekommen, weil ich sie nicht sehen wollte, – das ist Alles.«

»Ach, wie bin ich froh, das von Ihnen zu hören, Feodor Iwanitsch!« rief Maria Dmitriewna aus: – »übrigens habe ich dies immer von Ihren edlen Gefühlen erwartet. Daß ich aber aufgeregt bin – ist nicht wunderbar: ich bin ja Weib und Mutter. Ihre Gemahlin aber . . . freilich kann ich mich nicht als Richterin zwischen Ihnen und ihr aufwerfen; sie ist aber eine so liebenswürdige Dame, daß sie einem nur Vergnügen bereiten kann.«

Lawretzky lächelte und spielte mit seinem Hute.

»Und ich wollte Ihnen noch das sagen, Feodor Iwanitsch,« fuhr Maria Dmitriewna fort, ihren Stuhl langsam zu ihm rückend: »hätten Sie gesehen, wie bescheiden, wie ehrerbietig sie ist! Wirklich, das war rührend! Und hätten Sie gehört, wie sie von Ihnen spricht! Ich, sagte sie, trage alle Schuld; ich habe ihn nicht zu würdigen gewußt; er ist ein Engel und kein Mensch. Wirklich sie sagte so, ein Engel; sie fühlt eine so lebhafte Reue wie sie mir «. . . bei Gott! noch nicht vorgekommen ist.«

»Erlauben Sie mir, Maria Dmitriewna, Sie zu fragen,« sagte Lawretzky, »man sagt, sie hätte bei Ihnen gesungen: sang sie vielleicht in einem Anfalle von Reue, – wie? . . .

»Ach, schämen Sie sich nicht, so etwas zu sagen? Sie sang und spielte nur, um mir einen Gefallen zu erweisen, und weil ich sie dringend darum bat, ihr es fast befahl. Ich sehe, wie schwer es ihr um‘s Herz ist, und da möchte ich sie zerstreuen, – ich hatte auch gehört, daß sie ein so schönes Talent besitze. Aber, um Gottes willen, Feodor Iwanitsch, sie ist ganz niedergeschlagen, fragen Sie meinethalben Sergei Petrowisch; ein halbtodtes Weib tout-à-fait, was denken Sie.«

Lawretzky zuckte nur mit den Achseln.

»Und dann. was ist diese Ada für ein Engel, welch’ ein reizendes Kind! – Sie ist so hübsch, so klug, und wie spricht sie französisch! Versteht auch russisch – mich hat sie Tante genannt. Und wissen Sie. sie ist nicht scheu, wie fast alle Kinder in ihren Jahren, – ganz und gar nicht; und wie ähnlich ist sie Ihnen! Augen, Augenbrauen . . . » nun – Sie, ganz Sie, Ich bin keine besondere Freundin von kleinen Kindern, das muß ich gestehen; in Ihre Tochter aber bin ich verliebt.«

»Maria Dmitriewna,« sagte auf einmal Lawretzky, »erlauben Sie mir zu fragen, warum Sie dies alles erzählen?«

»Warum?« Maria Dmitriewna roch wieder an ihrer eau de Cologne und trank einen Schluck Wasser. »Ich sage dies, Feodor Iwanitsch, deswegen . . . weil . . . ich bin ja Ihre Verwandte und nehme den größten Antheil an Ihnen . . . ich weiß, Sie haben das beste Herz. Hören Sie, mon cousin, – ich habt doch Erfahrung, und werde niemals in‘s Gelage hinein reden; verzeihen Sie, verzeihen Sie Ihrer Frau.« Die Augen Maria Dmitriewna‘s füllten sich plötzlich mit Thränen. »Hören Sie: Jugend, Unerfahrenheit . . . nun sie hatte auch keine Mutter, die sie zurechtweisen konnte. Verzeihen Sie ihr, Feodor Iwanitsch; sie ist genug bestraft worden!«

Thränen rannen über die Wangen Maria Dmitriewna’s; sie trocknete dieselben nicht, denn Weinen war ihre Leidenschaft. Lawretzky saß wie auf Kohlen. »Du großer Gott!« dachte er, – »was ist das für eine Marter, was habe ich doch heute für einen Unglückstag!«

»Sie antworten nicht,« sagte aufs neue Maria Dmitriewna: – »wie soll ich Sie verstehen? Können Sie wirklich so grausam sein? Nein, ich will es nicht glauben; eine geheime Stimme sagt mir, daß meine Worte Sie überzeugt haben, Feodor Iwanitsch, Gott wird Sie für Ihre Güte segnen; empfangen Sie denn aus meinen Händen Ihre Frau . . .«

Unwillkürlich sprang Lawretzky von seinem Stuhle auf; auch Maria Dmitriewna stand auf und führte, schnell hinter eine spanische Wand gehend, von dort Warwara Pawlowna hervor. Bleich, halbtodt, mit gesenkten Augen, schien sie jedem eigenen Gedanken, jedem eigenen Willen zu entsagen, – sich ganz in die Hände Maria Dmitriewna‘s gegeben zu haben. Lawretzky trat einen Schritt zurück.

»Sie waren hier?« rief er.

»Klagen Sie sie nicht an,« beeilte sich Maria Dmitriewna zu sagen; – »um nichts auf der Welt wollte sie hier bleiben, ich befahl ihr aber, da zu bleiben; ich habe sie hinter der spanischen Wand versteckt. Ihre Frau versicherte auch, daß dies Sie noch mehr ärgern würde; ich wollte sie aber nicht hören. Ihre Frau kennt Sie nicht so gut wie ich.

Empfangen Sie Ihre Frau aus meinen Armen: gehen Sie, Warwara, fürchten Sie sich nicht, umarmen Sie Ihren Mann – (sie zupfte Warwara Pawlowna am Arme) und empfangen Sie meinen Segen.«

»Warten Sie, Maria Dmitriewna,« unterbrach sie Lawretzky mit dumpfer, aber erschütternder Stimme« – »Sie lieben wahrscheinlich sentimentale Scenen (Lawretzky irrte sich nicht; von der Schule her hatte Maria Dmitriewna eine kleine Leidenschaft für das Theatralische bewahrt); solche Scenen machen Ihnen Vergnügen, Andere aber haben darunter zu leiden, Uebrigens werde ich mit Ihnen nicht reden; in dieser Scene spielen Sie nicht die erste Rolle. Was wollen Sie von mir, Madam?« fügte er hinzu, sich zu seiner Frau wendend. »Habe ich nicht für Sie gethan, was ich nur konnte? Antworten Sie mir nicht, daß nicht Sie dieses Rendez-vous erfunden haben; ich werde Ihnen nicht glauben, und Sie wissen, daß ich Ihnen nicht glauben kann. Was beabsichtigen Sie? Sie sind klug und thun nichts ohne Ziel; Sie müssen begreifen, daß ich nicht mehr mit Ihnen so leben kann, wie ich gelebt habe, – ich bin dies nicht im Stande, nicht weil ich Ihnen zürne, nein, aber weil ich ein anderer Mensch geworden bin. Ich habe es Ihnen den Tag nach Ihrer Rückkunft, gesagt, und in jenem Augenblicke waren Sie mit mir in Ihrer Seele einverstanden. Sie wünschen sich aber in der öffentlichen Meinung zu rehabilitiren; es ist Ihnen nicht genug in meinem Hause zu leben, Sie wünschen unter einem Dache mit mir zu leben, nicht wahr?«

 

»Ich wünsche, daß Sie mir Verzeihen,« sagte Warwara Pawlowna, ohne die Augen aufzuschlagen.

»Sie wünscht, daß Sie ihr verzeihen möchten,« sagte Maria Dmitriewna.

»Und nicht für mich, sondern für Ihre Ada,« wiederholte Warwara Pawlowna.

»Vortrefflich. Das wünschen Sie?« sagte Lawretzky mit Anstrengung. »Meinethalben.«

Warwara Pawlowna warf einen schnellen Blick auf ihn, Maria Dmitriewna aber rief: »Nun, Gott sei Dank!« und zog Warwara wieder am Arme. – »Nehmen Sie denn von mir . . .

»Halt!« unterbrach sie Lawretzky« – »ich willige ein mit Ihnen Warwara Pawlowna zu leben,« – fuhr er fort: »das heißt; ich werde Sie nach Lawriky bringen und mit Ihnen dort, so lange ich die Kraft dazu habe, leben, – dann werde ich verreisen, – und werde Sie von Zeit zu Zeit besuchen. Sie sehen, ich will Sie nicht betrügen; fordern Sie aber nichts weiter von mir. Sie selbst würden laut auflachen, sollte ich den Wunsch unserer geehrten Verwandten erfüllen und Sie an mein Herz drücken, wenn ich Ihnen versicherte wollte, daß . . . die Vergangenheit nicht mehr existire, daß ein gefällter Baum wieder grünen könnte. Ich sehe aber, man muß sich in sein Schicksal ergeben. Dieses Wort werden Sie nicht so verstehen, wie ich . . . das ist aber einerlei. Ich wiederhole es: ich werde mit Ihnen leben, oder nein, ich kann Ihnen dies nicht Versprechen; ich werde mich Ihnen wieder nähern, werde Sie aufs Neue meine Frau nennen . . .«

»Geben Sie ihr wenigstens die Hand darauf,« sagte Maria Dmitriewna, deren Thränen längst versiegt waren.

»Bis jetzt habe ich Warwara Pawlowna noch niemals betrogen, sie wird mir auch ohne Handschlag glauben,« erwiderte Lawretzky. »Ich werde Sie nach Lawriky bringen, – erinnern Sie sich aber, Warwara Pawlowna: unser Vertrag ist gebrochen, sobald Sie Lawriky verlassen. Jetzt erlauben Sie mir, mich zu entfernen.«

Er grüßte die beiden Damen und eilte hinaus..

»Sie nehmen Sie nicht mit sich?« rief ihm Maria Dmitriewna nach . . .

»Lassen Sie ihn,« raunte ihr Warwara Pawlowna zu, und umarmte sie sofort, küßte ihr die Hände, nannte sie ihre Retterin.

Herablassend nahm Maria Dmitriewna ihre Liebkosungen an, im Geheimen aber war sie weder mit Lawretzky, noch mit Warwara Pawlowna, noch mit der ganzen von ihr vorbereiteten Scene zufrieden. Sie war ihr nicht sentimental genug. Warwara Pawlowna hatte ihrer Meinung nach sich zu den Füßen ihres Mannes werfen sollen.

»Wie haben Sie mich aber nicht verstanden?« sagte sie; – »ich sagte Ihnen ja: fallen Sie . . .«

»So ist es besser, Tante; Alles ist wunderschön!« wiederholte Warwara Pawlowna.

»Nun, freilich, er ist kalt, wie ein Stück Eis,« bemerkte Maria Dmitriewna. »Gesetzt, Sie haben nicht geweint, dafür schwamm ich aber in Thränen. Er will Sie in Lawriky einsperren? Was? – Auch mich können Sie nicht besuchen? Alle Männer sind gefühllos,« schloß sie und schüttelte gedankenvoll den Kopf.

»Dafür wissen die Frauen Güte und Großmuth zu würdigen,« sagte Warwara Pawlowna und sank langsam vor ihr auf die Kniee. Sie umfing mit ihren Armen den vollen Körper Maria Dmitriewna’s und drückte ihr Gesicht an denselben. Dieses Gesicht lächelte, aus den Augen Maria Dmitriewna’s aber rannen wieder Thränen.

Lawretzky ging nach Hause, schloß sich in das Stübchen seines Kammerdieners ein, warf sich aufs Kanapee und lag so bis zum Morgen.