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Vierzehntes Kapitel

Maria Dmitriewna gerieth in große Unruhe, als man ihr die Ankunft von Warwara Pawlowna Lawretzky meldete; sie wußte sogar nicht, ob sie sie empfangen sollte oder nicht, sie fürchtete Feodor Iwanitsch zu beleidigen. Endlich siegte die Neugier.

»Was ist es am Ende,« dachte sie, auch sie ist ja eine Verwandte, – und sich in einen Sessel werfend, sagte sie dem Diener: »Bitte die Dame« hereinzukommen!«

Einige Augenblicke vergingen; die Thür öffnete sich; schnell, mit kaum hörbaren Schritten näherte sich Warwara Pawlowna der Hausfrau und ohne ihr Zeit zu lassen, vom Sessel aufzustehen, kniete sie fast vor ihr nieder.

»Ich danke« Tante!« begann sie mit leiser und bewegter Stimme auf Russisch, »ich danke, eine solche Herablassung hätte ich nicht zu hoffen gewagt; Sie sind so gut wie ein Engel!«

Nach diesen Worten ergriff Warwara Pawlowna unerwartet die Hand Maria Dmitriewna‘s und nachdem sie dieselbe leicht in ihren, mit blaßlilafarbenen genfer Handschuhen bekleideten Händen gedrückt hatte, brachte sie sie an ihre rothen und vollen Lippen.

Maria Dmitriewna wußte nicht, wie ihr geschah, als sie ein so hübsches, reizend gekleidetes Weib fast vor sich knien sah; sie konnte sich selbst nicht rathen, was sie thun sollte; sie wollte ihr die Hand wegnehmen und wünschte sie auf einen Stuhl zu setzen, wollte ihr etwas Schmeichelhaftes sagen und endigte endlich damit, daß sie ihr die glatte und parfürmirte Stirn küßte . . . Warwara Pawlowna schien bei diesem Kusse in Ohnmacht fallen zu wollen.

»Wie geht es, bon jour!« sagte Maria Dmitriewna; »freilich dachte ich nicht . . . Uebrigens bin ich freilich froh, Sie zu sehen, Sie verstehen mich, meine Theure, – es ist nicht meine Sache, mich zum Richter zwischen Ihnen und Ihrem Manne aufzuwerfen . . .«

»Ich allein bin schuld,« unterbrach sie Warwara Pawlowna, – »mein Mann hat in jeder Hinsicht Recht.«

»Dies sind sehr lobenswerthe Gefühle, – sehr lobenswerthe. Sind Sie schon lange hier? Haben Sie ihn gesehen? Setzen Sie sich aber doch, ich bitte.«

»Ich bin gestern angekommen,« erwiderte Warwara Pawlowna, sich bescheiden auf einen Stuhl setzend. – »Ich habe Feodor Iwanitsch gesehen, habe mit ihm gesprochen.«

»Ach! Nun, und was hat er gesagt?«

»Ich fürchtete« daß meine plötzliche Ankunft ihn erzürnen würde,« fuhr Warwara Pawlowna fort, – »er hat sich aber nicht von mir abgewendet.«

»Das heißt, er hat nicht . . . sagte Maria Dmitriewna, »sein Aeußeres ist nur etwas grob, er hat aber ein gutes Herz.«

»Feodor Iwanitsch bat mir nicht verziehen; er wollte mich sogar nicht anhören . . . er war aber so gut, mir Lawriky als Wohnsitz zu bestimmen.«

»Ach! Ein sehr schönes Gut!«

»Morgen begebe ich mich dorthin, um seinem Willen nachzukommen; ich hielt es aber für meine Pflicht, Sie erst zu besuchen.« .

»Ich bin Ihnen sehr dankbar« sehr dankbar, meine Theure! Man darf die Verwandten nicht vergessen. Wissen Sie aber, daß ich mich wundere, wie gut Sie Russisch sprechen. C‘est étonnant

Warwara Pawlowna seufzte tief.

»Ich bin zu lange im Auslande gewesen, Maria Dmitriewna, ich weiß es: doch mein Herz blieb immer russisch; ich habe mein Vaterland nicht vergessen.«

»Recht, ganz Rechts Feodor Iwanitsch erwartete Sie aber nicht. Ja. – Glauben Sie meiner Erfahrung: la partie avant tout.. Ach, zeigen Sie mir Ihre Mantille, ich bitte, wie reizend sie ist!«

»Sie gefällt Ihnen?«

Warwara Pawlowna nahm sie eilig von den Schultern ab. »Sie ist sehr einfach. Von Madame Baudran.«

»Das sieht man gleich. Von Madame Baudran! . . . Wie reizend« und wie geschmackvoll! Ich bin versichert, Sie haben eine Menge schöner Sachen mitgebracht! Sehen möchte ich sie wenigstens.«

»Meine ganze Garderobe steht Ihnen zu Diensten, theure Tante. Wenn Sie erlauben, kann ich einiges Ihrer Kammerjungfer zeigen. Ich habe ein Dienstmädchen aus Paris mitgebracht, eine ausgezeichnete Nätherin.«

»Sie sind sehr gut, meine Theure, aber, wirklich, ich mache mir ein Gewissen . . . «

»Ein Gewissen?« wiederholte Warwara Pawlowna vorwurfsvoll; – »wollen Sie mich denn nicht glücklich machen? Betrachten Sie mich als Ihr Eigenthum.«

Maria Dmitriewna thaute auf.

»Vous êtes charmante,« sagte sie. – »Ja, warum nehmen Sie aber nicht Ihren Hut, Ihre Handschuhe ab?«

»Wie? Sie erlauben?« fragte Warwara Pawlowna und faltete andächtig die Hände.

»Versteht sich; Sie werden ja mit uns zu Mittag essen, hoffe ich. Ich . . . will Ihnen meine Tochter vorstellen.« Maria Dmitriewna wurde etwas verlegen. »Nun A gesagt ist, muß auch B gesagt werden!« dachte sie. »Dabei ist auch Liese heute nicht ganz wohl.«

»O ma tante! Wie gut Sie doch sind!« rief Warwara Pawlowna und bedeckte sich die Augen mit ihrem Schnupftuche.

Der Bediente meldete Gedeonowsky. Der alte Schwätzer trat ein, nach allen Seiten hin grüßend und süßlich lächelnd. Maria Dmitriewna stellte ihn Warwara Pawlowna vor. Im Anfang war er verlegen, Warwara Pawlowna betrug sich aber sehr kokett-ehrfurchtsvoll gegen ihn, so daß er sich bald heimisch fühlte, und Erfindungen, Klatschereien, Liebenswürdigkeiten wie Honig von seinen Lippen flossen.

Warwara Pawlowna blickte ihn an, lächelte zurückhaltend und wurde bald selbst gesprächiger. Sie erzählte mit vieler Bescheidenheit von Paris, von ihren Reisen, von Baden-Baden; brachte einige Mal Maria Dmitriewna zum Lachen und seufzte dann jedes Mal tief, als werfe sie sich selbst ihre unpassende Fröhlichkeit vor; bat nur Erlaubniß Ada mitzubringen, nahm die Handschuhe ab, und zeigte mit ihren glatten, mit savon à la guimauve gewaschenen Händen, wo und wie die volants, ruches, Spitzen, choux, getragen werden; versprach ein Fläschchen mit neuer englischer Parfümerie, Victoriai-Essenz, mitzubringen, und freute sich wie ein Kind, als Maria Dmitriewna dies als Geschenk anzunehmen versprach; weinte bei der Erinnerung dessen, was sie gefühlt hatte, als sie zum ersten Male wieder russische Glocken vernahm. »So tief war ihr Klang ihr in‘s Herz gedrungen,« sagte sie.

In diesem Augenblicke trat Liese ein. Seitdem Morgen, seit jenem Augenblicke, als sie, vor Schrecken erstarrend, den kleinen Brief Lawretzky’s gelesen hatte, bereitete sie sich auf das Zusammentreffen mit seiner Frau vor; sie ahnte, daß sie sie sehen würde. Sie hatte sich entschlossen, ihr nicht aus dem Wege zu gehen;,zur Strafe für ihre eigenen, wie sie sich ausdrückte, verbrecherischen Hoffnungen. Der plötzliche Wende-Punkt in ihrem Schicksale hatte sie bis in‘s Innerste erschüttert; in zwei Stunden war ihr Gesicht magerer geworden, doch keine einzige Thräne war ihren Augen entquollen. »Es geschieht mir Recht,« sagte sie zu sich selbst, mit Mühe in ihrem Herzen bittere, boshafte, sie selbst entsetzende Gedanken unterdrückend. – »Nun, ich muß gehen,« dachte sie, sobald sie vom Besuche der Lawretzky gehört hatte, und sie ging. Lange stand sie vor der Saalthüre, bevor sie sich entschloß, sie zu öffnen. Mit dem Gedanken: »ich bin schuldig vor ihr,« trat sie über die Schwelle, und zwang sich, Warwara Pawlowna anzublicken, zwang sich, ihr zuzulächeln. Warwara Pawlowna war ihr entgegengegangen, sobald sie sie erblickt hatte, und hatte sich, obgleich nur leicht, doch ehrfurchtsvoll vor ihr verbeugt.

»Erlauben Sie, mich Ihnen vorzustellen,« begann sie mit einschmeichelnder Stimme; »Ihre Mama ist so herablassend gegen mich, daß ich hoffe, auch Sie werden gut sein.«

Der Ausdruck des Gesichtes Warwara Pawlowna‘s, als sie die letzten Worte sprach, ihr kalter und zugleich weicher Blick, ihr schlaues Lächeln, die Bewegungen ihrer Schultern und ihrer Hände, selbst ihr Kleid, ihr ganzes Wesen erweckten in Liese ein Gefühl des Widerwillens, so daß sie ihr nichts antworten konnte, und kaum die Kraft hatte, ihr die Hand zu reichen.

»Diesem Fräulein gefalle ich nicht sehr,« dachte Warwara Pawlowna, indem sie fest die kalten Finger Liesens drückte, und sich zu Maria Dmitriewna wendend, sagte sie halblaut: »Mais elle est délicieuse!« Eine leichte Röthe erglühte ans Liesens Wangen; in diesen Worten hörte sie Spott, Beleidigung. Doch war sie entschlossen, ihren Eindrücken nicht zu trauen, und setzte sich an’s Fenster an ihren Stickrahmen.

Auch hier ließ sie Warwara Pawlowna nicht in Ruhe, ging zu ihr, lobte ihren Geschmack, ihre Kunstfertigkeit. Schnell und krampfhaft schlug Liesens Herz; sie hatte kaum die Kraft, sich selbst zu beherrschen, kaum die Kraft, an ihrem Platze zu bleiben. Ihr schien’s, Warwara Pawlowna wisse Alles und verspotte sie, im Geheimen triumphierend. Zu ihrem Glücke begann Gedeonowsky mit Warwara Pawlowna zu sprechen und zog ihre Aufmerksamkeit ab. Liese beugte sich über ihren Stickrahmen und beobachtete sie im Geheimen. »Und dieses Weib,« dachte sie, »hat er geliebt!« Aber sofort verbannte sie jeden Gedanken an Lawretzky; sie fürchtete, ihre Selbstbeherrschung zu verlieren, sie fühlte, daß ihr der Kopf zu schwindeln anfange. Maria Dmitriewna lenkte die Unterhaltung auf Musik.

»Ich habe gehört, meine Theure,« begann sie, »sie seien eine große Künstlerin.«

»Es ist schon lange her, daß ich nicht gespielt habe,« erwiderte Warwara Pawlowna und setzte sich sofort an’s Clavier. Ihre Finger eilten über die Tasten. »Befehlen Sie.«

»Ich bitte.«

Warwara Pawlowna spielte meisterhaft eine brillante und schwierige Etude von Herz; sie hatte viel Fingerkraft und Fertigkeit.

»Eine Sylphide!« rief Gedeonowsky.

»Wunderbar!« bekräftigte Maria Dmitriewna. »Nun, Warwara Pawlowna, ich gestehe,« sagte sie, diese zum ersten Male beim Namen nennend: »Sie haben mich in Erstaunen gesetzt; Sie könnten Concerte geben. Hier haben wir einen Musiker, einen alten Deutschen, der ein Sonderling, aber dabei sehr gelehrt ist; er giebt Liese Stunden. Dem werden Sie einfach den Kopf verdrehen.«

 

»Ist Lisawetha Michailowna auch eine Musikerin?« fragte Warwara Pawlowna, indem sie den Kopf Ieicht zu ihr wandte.

»Ja, sie spielt nicht übel und liebt die Musik; wie kann sie sich aber mit Ihnen messen! Hier haben wir einen jungen Mann, dessen Bekanntschaft Sie machen müssen; dieser ist Künstler in seiner Seele und componirt recht hübsch. Er allein kann Sie verstehen.«

»Ein junger Mann?« sagte Warwara Pawlowna. »Wer ist’s? Irgend ein armer Schlucker?«

»Im Gegentheil, der erste Cavalier bei uns, und nicht allein bei uns – et à Pètersbourg. Ein Kammerjunker, besucht die beste Gesellschaft; Sie haben wahrscheinlich von ihm schon reden hören: Panschin Wladimir Nikolaitsch. Er ist hier, mit Aufträgen der Regierung, . . . ein künftiger Minister!«

»Und Künstler?«

»Ein Künstler in seiner Seele, und so liebenswürdig. Sie werden ihn sehen, er war diese ganze Zeit über sehr oft bei uns; ich habe ihn eingeladen, heute Abend zu uns zu kommen; ich hoffe, daß er kommen wird,« fügte Maria Dmitriewna mit einem kurzen Seufzer und bitterem Lächeln hinzu.

Liese verstand die Bedeutung dieses Lächelns, doch jetzt hatte sie andere Gedanken.

»Und jung?« wiederholte Warwara Pawlowna, leicht aus einer Tonart in die andere modulirend.

»Achtundzwanzig Jahr und das glücklichste Aeußere. Un jeune homme accompli.«

»Mit einem Wort: ein musterhafter Jüngling, kann man sagen,« bemerkte Gedeonowsky.

Warwara Pawlowna begann plötzlich einen geräuschvollen Walzer von Strauß zu spielen, der mit einem so starken und schnellen Triller anfing, daß Gedeonowsky zusammenfuhr. Mitten im Walzer ging sie in ein trauriges Motiv über und endigte mit der Arie aus Lucia: fra poco; sie hatte sich erinnert, daß fröhliche Musik nicht zu ihrer Lage passe. Die Arie aus Lucia, mit besonderer Betonung der sentimentalen Noten, rührte Maria Dmitriewna sehr.

»Welch eine Seele!« sagte sie halblaut.

»Eine Sylphide!« wiederholte Gedeonowsky und hob die Augen zur Decke.

Die Mittagsstunde kam; Martha Timotheewna kam herunter, als schon die Suppe auf dem Tisch stand. Ihr Betragen gegen Warwara Pawlowna war sehr trocken; mit halben Worten nur antwortete sie auf ihre Liebenswürdigkeiten, – sah sie nicht an. Warwara Pawlowna begriff recht bald, daß sie mit dieser alten Frau keine große Freundschaft schließen würde, und redete sie nicht mehr an. Maria Dmitriewna ward noch freundlicher gegen Warwara Pawlowna; sie ärgerte sich über die Unartigkeit ihrer Tante. Doch nicht Warwara Pawlowna allein sah Martha Timotheewna nicht an, auch auf Liese blickte sie kein einziges Mal, obgleich ihre Augen glühten. Sie saß da, als wäre sie von Stein, gelb, bleich, mit zusammengepreßten Lippen und aß keinen Bissen. Liese schien ruhig; sie war in eine Apathie, – die Apathie, welche zum Tode Verurtheilte fühlen, – versunken.

Beim Mittagessen sprach Warwara Pawlowna wenig; sie schien wieder schüchtern geworden zu sein, und auf ihrem Gesichte malte sich der Ausdruck bescheidener Melancholie. Gedeonowsky allein belebte die Unterhaltung durch seine Erzählungen, obgleich er alle Augenblicke furchtsam auf Martha Timotheewna blickte; ihn überkam immer ein Hüsteln, wenn er in ihrer Gegenwart lügen wollte; doch sie störte ihn nicht, sie unterbrach ihn nicht. Nach Tisch erwies es sich, daß Warwara Pawlowna sehr gern Preference spiele; das gefiel Maria Dmitriewna so sehr, daß sie ganz gerührt wurde und bei sich dachte: »was muß aber Feodor Iwanitsch für ein Esel sein! Solch eine Frau hat er nicht verstehen können!« Sie setzte sich mit ihr und Gedeonowsky an den Kartentisch, Martha Timotheewna aber führte Liese zu sich hinauf, indem sie sagte, sie sähe so blaß aus, daß sie wahrscheinlich Kopfschmerzen hätte.

»Ja, sie hat furchtbare Kopfschmerzen,« sagte Maria Dmitriewna, die Augen verdrehend und sich zu Warwara Pawlowna wendend, »ich selbst habe solche Migräne . . .«

»Wirklich!« entgegnete Warwara Pawlowna.

Liese ging in das Zimmer ihrer Tante und sank ermattet auf einen Stuhl. Martha Timotheewna betrachtete sie lange schweigend, sank leise vor ihr auf die Kniee hin – und begann, immer ohne ein Wort zu sagen, ihr bald die eine, bald die andere Hand zu küssen. Liese beugte sich vor, wurde purpurroth und brach in Thränen aus, hob aber Martha Timotheewna nicht auf, entzog ihr nicht ihre Hände; sie fühlte, sie habe kein Recht, die Alte in dem Ausdrucke ihrer Reue, ihrer Theilnahme zu stören, sie zu hindern, um Verzeihung für das, was gestern geschehen war, zu bitten, und Martha Timotheewna konnte nicht genug diese armen, bleichen, kraftlosen Hände küssen – wortlose Thränen rannen aus ihren Augen und aus den Augen Liesens. Nur der Kater Matrose knurrte auf dem breiten Sessel neben dem Knäuel und dem Strickstrumpfe; die längliche Flamme bewegte sieh kaum in der Lampe vor dem Gottesbilde. In der Nebenstube stand hinter der Thür Nastasia Karpowna und trocknete sich auch heimlich die Augen mit einem, zu einem Knäuel zusammen gerollten, bunten Schnupftuche.

Fünfzehntes Kapitel

Inzwischen ging unten die Preference ihren Gang, Marie Dmitriewna gewann und war deswegen in sehr guter Stimmung. Der Diener meldete die Ankunft Panschin‘s.

Marie Dmitriewna ließ die Karten fallen und wurde auf ihrem Stuhle unruhig; Warwara Pawlowna blickte auf sie mit einem kaum merklichen Lächeln, und wandte dann ihre Blicke zur Thür. Panschin trat ein, in einem schwarzen, bis oben zugeknöpften Frack und mit hohen englischen Vatermördern.

»Mir war es schwer zu gehorchen; doch sehen Sie, ich bin gekommen;« das drückte sein melancholisches, eben erst rasirtes Gesicht aus.

»Aber, Woldemar,« rief Marie Dmitriewna, »früher kamen Sie ja, ohne sich anmelden zu lassen!«

Panschin antwortete nur durch einen Blick, grüßte sie tief, küßte ihr aber nicht die Hand. Sie stellte ihm Warwara Pawlowna vor; er trat einen Schritt zurück und grüßte sie ebenso artig, aber mit einem Ausdruck von Eleganz und Achtung und setzte sich an den Kartentisch. Die Preference war bald zu Ende, Panschin erkundigte sieh nach Lisawetha Michailowna, erfuhr, sie sei nicht ganz wohl, drückte sein Bedauern aus, unterhielt sich dann mit Warwara Pawlowna, auf diplomatische Art jedes seiner Worte abwägend und abrundend, und jede ihrer Antworten bis zu Ende anhörend. Doch der Ernst seiner diplomatischen Stimme hatte keinen Einfluß auf Warwara Pawlowna, theilte sich ihr nicht mit, im Gegentheil, sie blickte ihm mit fröhlicher Aufmerksamkeit in‘s Gesicht, sprach sehr frei und ihre feinen Lippen zitterten, gleichsam von unterdrücktem Lachen. Marie Dmitriewna ergoß sich in Lobsprüchen über ihr Talent; Panschin neigte sehr artig, so viel es ihm seine englischen Vatermörder erlaubten, den Kopf und sagte: »er sei davon im Voraus überzeugt,« lenkte dann die Unterhaltung, ich glaube, selbst auf Metternich. Warwara Pawlowna hlinzelte mit ihren samtenen Augenlidern, und« nachdem sie halblaut: »Sie sind ja auch ein Künstler, un confrére,« gesagt hatte, fügte sie noch leiser hinzu: »Venez!« – mit dem Kopfe nach dem Claviere hinweisend. Dieses einzige hingeworfene Wort: »Venez!« veränderte gleichsam wie auf den Wink eines Zauberstabes die Haltung Panschin’s, sein bekümmertes Aeußere verschwand; er lächelte, belebte sich, knüpfte seinen Frack auf, und indem er wiederholte, »was bin ich für ein Künstler, ach!« Sie, habe ich gehört, sind eine ächte Künstlerin,« folgte er Warwara Pawlowna zum Clavier.

»Sagen Sie ihm, daß er die Romanze vom schwimmenden Monde singen solle,« rief Marie Dmitriewna.

»Sie singen?« fragte Warwara Pawlowna, auf ihn einen hellen und flüchtigen Blick werfend: »Setzen Sie sich.«

Panschin suchte sich loszureden.

»Setzen Sie sich,« wiederholte sie, ungeduldig auf der Lehne des Stuhles trommelnd.

Er setzte sich hin, hustete, schlug seine Vatermörder zurück und sang seine Romanze.

»Charmant!«, sagte Warwara Pawlowna, »Sie singen vortrefflich. Vous avez du style, – noch einmal.« Sie ging um das Clavier herum und setzte sich Panschin gegenüber. Er wiederholte seine Romanze, indem er seiner Stimme ein melodramatisches Zittern gab. Warwara Pawlowna sah ihn fest an, indem sie sich auf das Clavier lehnte und ihre weißen Hände in einer Linie mit ihren Lippen hielt. Panschin endigte.

»Charmante, charmante idée,« sagte sie mit dem Aplomb einer Kennerin. »Sagen Sie; haben Sie etwas für eine Frauenstimme, für mezzo soprano geschrieben?«

»Ich schreibe fast nichts,« antwortete Panuschin, »das thue ich nur so in freien Augenblicken . . . Singen Sie denn?«

»Ich singe.«

»O! singen Sie uns doch etwas,« sagte Marie Dmitriewna.

Warwara Pawlowna warf mit der Hand die Haare von den rothgewordenen Wangen zurück und schüttelte den Kopf.

»Unsere Stimmen müssen zu einander passen,« sagte Sie, sich zu Panschin wendend, »singen wir ein Duett. Kennen Sie Son geloso, oder La ci darem, oder Mira la bianca luna

»Ich habe einst Mira la bianca luna. Gesungen, aber ich habe es schon lange vergessen,« antwortete Panschin.

»Das schadet nichts, wir werden leise repetiren. Kommen Sie nur!«

Warwara Pawlowna setzte sich an‘s Clavier, Panschin stellte sich neben sie. Sie sangen halblaut das Duett, wobei ihn Warwara Pawlowna ein paar Mal verbesserte, dann sangen sie es laut, und wiederholten zweimal: Mira la bianca lu . . . u . . . una. Die Stimme Warwara Pawlowna’s hatte ihre Frische verloren, doch sie wußte vortrefflich die ihr gebliebenen Stimmkräfte zu benutzen. Panschin war im Anfang verlegen und machte einige Schnitzer, indem er etwas falsch sang. Endlich faßte er Muth, und obgleich er nicht tadellos sang, so bewegte er seine Schultern, seinen ganzen Körper, und hob von Zeit zu Zeit, wie ein ächter Sänger, seinen Arm auf.

Warwara Pawlowna spielte zwei, drei Compositionen von Thalberg und sang koquettirend eine kleine französische Arie. Marie Dmitriewna wußte nicht, wie sie ihre Freude ausdrücken sollte; einige Mal war sie auf dem Punkte, Liese holen zu lassen. Auch Gedeonowsky fand keine Worte und schüttelte nur mit dem Kopfe. Mit einem Male gähnte er aber unerwartet. und hatte kaum Zeit. sich den Mund mit der Hand zu bedecken. Dieses Gähnen blieb von Warwara Pawlowna nicht unbemerkt. Mit einem Male wandte sie sich mit dem Rücken zum Clavier, und sagte: »assez de musique, comme ca; wir wollen lieber plaudern,« und kreuzte die Arme. »Oui, assez de musique,« wiederholte fröhlich Panschin und knüpfte mit ihr eine Unterhaltung an, – leicht, witzig, auf französisch.

»Ganz wie in dem besten pariser Salon,« dachte Marie Dmitriewna, indem sie die von Calembours und doppelsinnigen Redensarten strotzende Unterhaltung mit anhörte. Panschin war äußerst gut gestimmt; seine Augen glänzten, er lächelte. Anfangs strich er mit der Hand über sein Gesicht, runzelte die Stirn, seufzte, wenn er den Augen Marie Dmitriewna’s begegnete; bald vergaß er sie aber und gab sich ganz dem halb weltlichen, halb künstlerischen Geplauder hin.

Warwara Pawlowna bewies sich als große Philosophin: aus Alles hatte sie sogleich eine Antwort; sie schwankte nie, sie zweifelte an Nichts; man sah, daß sie sich oft und viel mit klugen Leuten aller Art unterhalten hatte. Alle ihre Gedanken, alle ihre Gefühle drehten sich um Paris, Panschin sprach von Literatur: es erwies sich, daß sie, ganz wie er, nur französische Bücher gelesen hatte: Georges Sand erregte ihren Unwillen, Balzac achtete sie, obgleich er sie ermüdete, in Eugène Sue und Scribe sah sie große Kenner der menschlichen Seele, Dumas und Feval vergötterte sie. In ihres Herzens Grunde zog sie vor Allen Paul de Kock vor, doch nannte sie, wie selbstverständlich, seinen Namen nicht.

Eigentlich gesagt, beschäftigte sie die Literatur wenig; Warwara Pawlowna wich geschickt Allem aus, was im Geringsten an ihre Lage erinnern konnte; in keinem ihrer Worte war die geringste Anspielung auf Liebe: im Gegentheil, sie äußerte sich eher streng gegen die Stürme der Leidenschaften, schien enttäuscht, in ihr Schicksal ergeben zu sein. Panschin antwortete ihr; doch sie war mit ihm nicht einverstanden . . . und sonderbar! . . . im selben Augenblicke, als ihren Lippen Worte der oft allzustrengen Verdammung entströmten, – war der Klang ihrer Stimme so einschmeichelnd und ihre Augen sprachen . . . Was aber diese schönen Augen sprachen, – war schwer zu sagen; doch waren es nicht strenge, es waren undeutliche und süße Reden.

Panschin wollte ihren geheimen Sinn verstehen, suchte selbst mit den Augen zu sprechen, doch er fühlte, daß er nichts hervorbrachte; er gestand es sich, daß Warwara Pawlowna als wahre, als französische Löwin unvergleichlich höher stand, als er, deswegen war er auch nicht ganz seiner selbst mächtig.

 

Warwara Pawlowna hatte die Gewohnheit, wenn sie sich mit Jemandem unterhielt, ihn von Zeit zu Zeit leise am Aermel zu zupfen. Diese kaum seinen Moment dauernden Berührungen regten Wladimir Nikolaitsch sehr auf. Warwara Pawlowna kannte die Kunst, leicht mit Jedem Bekanntschaft zu schließen; keine zwei Stunden waren vergangen, als es schon Panuschin schien, er kenne sie sein Leben lang, und Liese, dieselbe Liese, die er doch liebte, der er den Tag vorher seine Hand angeboten hatte, verschwand gleich einem Nebelbilde.

Man brachte den Thee; die Unterhaltung wurde noch ungezwungener. Marie Dmitriewna klingelte und ließ Liese durch den Diener sagen, sie solle herunter kommen, wenn sie nicht mehr solche Kopfschmerzen hätte. Als Panschin den Namen Liesens nennen hörte, sprach er von Aufopferung und davon, wer fähiger zu Opfern sei, Männer oder Frauen. Marie Dmitriewna kam gleich in Aufregung, begann zu behaupten, eine Frau sei zu Opfern fähiger, sagte, sie könne es in zwei Worten beweisen, kam in Verwirrung und endigte mit einem ziemlich ungeschickten Gleichnisse.

Warwara Pawlowna nahm ein Notenheft, bedeckte ihr Gesicht zur Hälfte damit, und sich auf die Seite Panschin‘s neigend, an einem Biscuit nagend, sagte sie mit einem ruhigen Lächeln auf den Lippen und mit Blicke: »Elle n‘a pas invente la poudre, la bonne dame.« Panschin erschrak ein wenig und war über die Kühnheit Warwara Pawlowna‘s erstaunt; doch er begriff nicht, wie viel Verachtung zu ihm selbst in diesem unerwarteten Ergusse verborgen war, und alle Freundlichkeit und Zuneigung Marie Dmitriewna‘s, die Mittage, die er bei ihr gegessen, das Geld, das sie ihm so oft geborgt hatte, vergessend, sagte er (der Unglückliche!) mit demselben Lächeln und derselben Stimme: »je crois bien« – und sogar nicht: »je crois bien« – sondern »J‘crois ben

Warwara Pawlowna warf ihm einen freundlichen Blick zu und stand auf. Liese kam herein; vergebens beredete sie Martha Timotheewna zu bleiben; sie wollte die Folter bis zu Ende ertragen. Warwara Pawlowna und Panschin gingen ihr entgegen; auf dem Gesichte des Letzteren zeigte sich der frühere Diplomaten-Ausdruck.

»Wie befinden Sie sich?« fragte er Liesen.

»Mir ist jetzt wohler, ich danke!« antwortete sie.

»Wir haben uns hier etwas mit Musik beschäftigt; schade, daß Sie Warwara Pawlowna nicht gehört haben. Sie singt ausgezeichnet, en artiste consommée

»Kommen Sie doch her zu mir!« erklang die Stimme Marie Dmitriewna’s.

Mit dem Gehorsam eines Kindes gehorchte ihr sofort Warwara Pawlowna und setzte sich auf einen kleinen Schemel zu ihren Füßen. Marie Dmitriewna hatte sie gerufen, um, wenn auch nur auf einen Augenblick, ihre Tochter mit Panschin allein zu lassen; noch immer hoffte sie im Geheimen«,daß Liese sich besinnen würde. Außerdem war ihr ein Gedanke gekommen in den Kopf, den sie durchaus sofort in Ausführung bringen wollte.

»Wissen Sie was,« rannte sie Warwara Pawlowna in’s Ohr; »ich will versuchen, Frieden zwischen Ihnen und Ihrem Manne zu schließen; für den Erfolg bürge ich nicht, versuchen will ich’s aber doch. Ich habe, wie Sie wissen, vielen Einfluß auf ihn.«

Warwara Pawlowna erhob langsam ihre Augen, blickte Marie Dmitriewna an und faltete die Hände auf eine reizende Weise.

»Sie würden meine Retterin sein, ma tante,« sagte sie mit trauriger Stimme; »ich weiß nicht, wie ich Ihnen für Ihre Freundlichkeit danken soll. Doch meine Schuld gegen Feodor Iwanitsch ist zu groß, er kann mir nicht verzeihen«

»Haben Sie denn . . . in der That?« . . .« begann Marie Dmitriewna neugierig.

»Fragen Sie mich nicht!« unterbrach sie Warwara Pawlowna und senkte die Augen. »Ich war jung, leichtsinnig übrigens will ich mich nicht rechtfertigen.«

»Nun, . . . aber doch, . . . warum es nicht versuchen? Verzweifeln Sie nicht!« antwortete Marie Dmitriewna und wollte sie in die Wange kneifen; doch sie blickte ihr in’s Gesicht und wagte es nicht. »Bescheiden ist sie, ja, sehr bescheiden,« dachte sie, »aber doch eine wahre Löwin.«

»Sind Sie krank?« fragte inzwischen Panschin Liese.

»Ja, ich bin unwohl.«

»Ich verstehe Sie,« sagte er nach einem ziemlich langen Schweigen, »ja, ich verstehe Sie.«

»Wie?«

»Ich verstehe Sie,« wiederholte bedeutungsvoll Panschin, der ganz einfach nicht wußte, was er sagen sollte.

Liese ward verlegen, dachte aber dann: »meinethalben!«

Panschin nahm ein geheimnißvolles Wesen an und schwieg, streng seitwärts blickend.

»Es hat aber, wenn ich mich nicht irre, schon elf geschlagen,« bemerkte Marie Dmitriewna.

Die Gäste verstanden den Wink und nahmen Abschied. Warwara Pawlowna mußte versprechen, den folgenden Tag zu Mittag zu kommen und Ada mit zu bringen; Gedeonowsky, der, in seinem Winkel sitzend, beinahe eingeschlafen wäre, erbot sich, sie nach Hause zu begleiten. Panschin nahm feierlich von Allen Abschied, auf der Treppe aber drückte er Warwara die Hand, und sie in den Wagen hebend, rief er ihr nach: »à revoir!«

Gedeonowsky setzte sich an ihre Seite; den ganzen Weg über amüsirte sie sich damit, daß sie, als wäre es von ungefähr, ihre Fußspitze auf seinen Fuß stellte. Er war in großer Verlegenheit, machte ihr Complimente; sie kicherte, liebäugelte mit ihm, wenn das Licht der Straßenlaterne in den Wagen schien. Der von ihr gespielte Walzer hatte sie aufgeregt; wo sie war, brauchte sie nur Licht, einen Ballsaal, das schnelle Drehen bei den Klängen der Musik sich vorzustellen und ihr Herz entzündete sich, ihre Augen bekamen eine sonderbare dunkle Gluth, ein Lächeln irrte auf ihren Lippen, etwas graziös-Bacchantisches ergoß sich über ihren ganzen Körper.

An ihrem Hause angelangt, sprang Warwara Pawlowna leicht aus ihrem Wagen – nur Löwinnen können so springen – wandte sich zu Gedeonowsky und lachte ihm plötzlich laut in’s Gesicht.

»Ein liebenswürdiges Geschöpf,« dachte der Staatsrath, indem er nach Hause schlich, wo ihn sein Diener mit einem Fläschchen Opodeldoc erwartete, »gut ist‘s noch, daß ich ein solider Mann bin . . .Worüber lachte sie aber nur?«

Die ganze Nacht saß Martha Timotheewna an Liesens Bette.