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Das adelige Nest

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Elftes Kapitel

Den nächsten Tag ging Lawretzky gegen zwölf Uhr zu den Kalitins; unterwegs begegnete er Panschin, der an ihm vorbeigaloppirte, den Hut bis an die Augenbrauen gedrückt. Bei den Kalitins wurde Lawretzky nicht empfangen – das erste Mal, seitdem er ihre Bekanntschaft gemacht hatte. Marie Dmitriewna schlief; – »sie hat Kopfschmerzen, meldete der Diener, Martha Timotheewna und Lisawetha Michailowna »sind nicht zu Hause.« Lawretzky ging in der Gegend des Gartens hin und her, in der Hoffnung, Liese zu sehen. Er sah aber Niemanden. Er kehrte zwei Stunden später zurück und bekam dieselbe Antwort, wobei ihn der Diener scheel ansah. Es schien Lawretzky unpassend, an ein und demselben Tage zum dritten Male dasselbe Haus zu besuchen und er entschloß sich nach Wasiliewskoie zu fahren, wo er außerdem noch Geschäfte hatte. Unterwegs baute er Luftschlösser, das eine schöner als das andere, doch im Dorfe seiner Tante überfiel ihn unsäglicher Kummer; er redete Anton an, der Alte aber hatte, auch, wie mit Willen, keine fröhlichen Gedanken. Er erzählte Lawretzky, wie Glaphira Petrowna vor ihrem Tode sich in die eigene Hand gebissen, und fügte, nachdem er einige Augenblicke geschwiegen hatte, hinzu: – »ja ein Jeglicher ist sich selbst zum Fraße bestimmt.« Es war schon spät, als Lawretzky sich auf den Rückweg machte.« Die gestrigen Klänge umrauschten ihn, Liesens Bild stieg in seinem Herzen, in seiner ganzen, sanften Klarheit empor; er fühlte sich so glücklich bei dem Gedanken, daß sie ihn liebe, und kam an sein kleines Häuschen beruhigt und glücklich.

Das Erste, was ihn bei seinem Eintritt in’s Vorhaus erstaunte, war ein Patschuligeruch, der ihm sehr widerwärtig war; hier standen hohe Kisten und Koffer, das Gesicht des herauseilenden Kammerdieners schien ihm sonderbar. Ohne sich von seinen Gedanken Rechenschaft zu geben, trat er in den Saal . . . Ihm kam, vom Canapee aufstehend, eine Dame in schwarzseidenem Kleide, und ihr bleiches Gesicht mit einem Batisttuche bedeckend, entgegen, trat einige Schritte vor, beugte ihr schön gekämmtes, duftiges Haupt – und fiel ihm zu Füßen . . . hier erst erkannte er sie. Diese Dame war seine Frau.«

Sein Athem stockte . . . er lehnte sich an die Wand.

»Theodor! jagen Sie mich nicht fort!« sagte sie auf französisch und ihre Stimme durchschnitt, einem scharfen Messer gleich, sein Herz. Er starrte sie gedankenlos an, bemerkte aber doch unwillkürlich, daß sie weißer und stärker geworden war.

»Theodor,« fuhr sie fort, von Zeit zu Zeit die Augen aufschlagend und vorsichtig ihre schönen Hände, die rosafarbene Nägel hatten, faltend, – »Theodor, ich bin vor Ihnen schuldig, ich sage mehr, ich bin eine Verbrecherin; hören Sie mich aber an; mich martert die Reue; ich bin mir selbst zur Last geworden, ich konnte meine Lage nicht länger ertragen; wie oft dachte ich, mich an Sie zu wenden, ich fürchtete aber ihren Zorn; ich habe mich entschlossen, jedes Band mit der Vergangenheit zu zerreißen . . . »puis, j‘ai été si malade, – ich war so krank,« fügte sie hinzu, und fuhr mit der Hand über Stirne und Wangen, – »ich benutzte das Gerücht von meinem Tode, habe Alles verlassen; ohne mich aufzuhalten, eilte ich Tag und Nacht hierher; lange schwankte ich, ob ich vor Ihnen, meinem Richter, erscheinen sollte – paraître devant vous, mon juge; endlich habe ich mich jedoch entschlossen, zu Ihnen zu reisen, denn ich erinnerte mich Ihrer steten Güte; Ihre Adresse erfuhr ich in Moskau. Glauben Sie mir,« fuhr sie fort, sich leise von der Diele erhebend und sich auf den Rand des Stuhles setzend, »ich habe oft an den Tod gedacht und hätte Muth genug gefunden, mir ihn zu gehen! – Ach! das Leben ist jetzt für mich eine unerträgliche Last! Der Gedanke aber an meine Tochter, an meine Ada, hielt mich zurück; sie ist hier, schläft in der Nebenstube, das arme Kind! Sie ist müde – Sie werden sie sehen; sie wenigstens ist vor Ihnen unschuldig . . . und so unglücklich, so unglücklich!« rief Madame Lawretzky und brach in Thränen aus.

Lawretzky kam endlich wieder zu sich, entfernte sich von der Wand und wollte gehen.

»Sie gehen?« rief verzweifelnd seine Frau, »o, das ist grausam! Ohne mir ein Wort zu sagen, ohne sogar einen Vorwurf auszusprechen . . . Diese Verachtung tödtet mich, es ist schrecklich!«

Lawretzky hielt inne.

»Was wollen Sie von mir hören?« sagte er mit klangloser Stimme.

»Nichts, nichts,« erwiderte sie lebhaft; »ich weiß es, ich habe nicht das Recht, etwas von Ihnen zu fordern; ich bin nicht wahnsinnig, glauben Sie mir, ich hoffe nicht, daß Sie mir verzeihen werden, ich darf es nicht hoffen. Ich wage nur, Sie zu bitten, mir zu befehlen, was ich thun, wo ich leben soll? Wie eine Sklavin werde ich Ihren Befehlen mich unterwerfen, welcher Art sie auch sein werden.«

»Ich habe Ihnen Nichts zu befehlen!« erwiderte Lawretzky mit eben so klangloser Stimme, wie vorher. »Sie wissen, zwischen uns ist Alles aus . . . und jetzt noch mehr als früher. Sie können leben, wo Sie wollen und wenn Sie an Ihrer Pension nicht genug haben . . . »Ach! sprechen Sie nicht so entsetzliche Worte aus!« unterbrach ihn Warwara Pawlowna, »schonen Sie mich, sei es . . . sei es um dieses Engels willen!« Und Warwara Pawlowna eilte aus dem Zimmer, kehrte aber sofort zurück, mit einem kleinen, geschmackvoll gekleideten Mädchen auf den Armen. Dichte, braune Locken fielen auf das hübsche, frische Gesichtchen, auf die großen schlaftrunkenen Augen. Es lächelte, blinzelte vor dem Feuer und hielt sich mit den vollen Aermchen an den Nacken ihrer Mutter.

»Ada, vois, c‘est ton père;« sagte Warwara Pawlowna, ihr die Locken von den Augen wegnehmend und sie heiß küssend: »prie le avec moi . . .«

»C‘est ca papa?« lispelte das Mädchen.

»Oui, mon enfant, n‘est ce pas que tu l‘aimes?«

Länger konnte Lawretzky es nicht ertragen.

»In welchem Melodram ist eine ganz ähnliche Scene?« sagte er und ging fort.

Eine Zeit lang blieb Nastasia Pawlowna stehen, zuckte mit den Achseln, brachte das Kind in die Nebenstube, kleidete es aus und legte es schlafen; nahen dann ein Buch, setzte sich an die Lampe, wartete ungefähr eine Stunde und legte sich endlich auch zu Bette.

»Eh bien, madame,« fragte, beim Abnehmen des Corsets, sie ihr Kammermädchen, eine Französin, die sie aus Paris mitgebracht hatte.

»Eh bien, Justine,« erwiderte sie, »er ist alt geworden, doch scheint er mir immer noch denselben guten Charakter zu haben. Geben Sie mir meine Handschuhe auf die Nacht, bereiten Sie mir auf morgen ein bis oben anschließendes graues Kleid und vergessen Sie nicht Schüpsencotelettes für Ada. Freilich ist es schwer, hier welche zu finden, aber Sie müssen sich etwas Mühe geben.«

»A la guerrecomme à la guerre,« erwiderte Justine und löschte das Licht aus.

Zwölftes Kapitel

Ueber zwei Stunden irrte Lawretzky in den Straßen der Stadt umher. Er erinnerte sich der Nacht, die er in der Umgegend von Paris zugebracht hatte. Sein Herz blutete, sein Kopf war leer und wie betäubt, und es drehten sich in ihm immer dieselben dunklen, rasenden, boshaften Gedanken. »Sie lebt, sie ist hier,« murmelte er vor sich hin, mit beständig wiederkehrendem Erstaunen. Er fühlte es, daß Liese für ihn verloren sei. Er erstickte fast an Galle; dieser Schlag hatte ihn zu plötzlich getroffen. Wie hatte er so leicht dem unsinnigen Geplauder eines Feuilletons, einem kleinen Stück Papier glauben können? »Nun, gesetzt ich hätte nicht geglaubt;« sagte er, »welcher Unterschied wäre denn da gewesen? Ich hätte nicht gewußt, daß Liese mich liebt, und auch sie hätte es nicht gewußt.« Er konnte nicht von sich das Bild, die Stimme, die Blicke seiner Frau vertreiben, er verfluchte sie, er verfluchte Alles auf Erden.

Ermattet kam er gegen Tagesanbruch zu Lemm. Lange klopfte er vergebens; endlich zeigte sich am Fenster der mit einer Nachtmütze bedeckte Kopf des Alten. Das Gesicht war griesgrämig gefaltet und ganz und gar dem begeistert ernsten Gesichte unähnlich, welches vor vierundzwanzig Stunden von der Höhe seiner Künstlergröße gebieterisch Lawretzky geblickt hatte.

»Was branchen Sie?« fragte Lemm; »ich kann nicht jede Nacht spielen, ich habe Decoct getrunken.«

Wahrscheinlich war aber Lawretzky’s Gesicht sehr sonderbar; der Alte machte sich mit seinen Händen ein Schild über die Augen, betrachtete aufmerksam seinen nächtlichen Gast und ließ ihn ein.

Lawretzky trat in‘s Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl; der Alte blieb vor ihm stehen, hüllte sich fest in seinen bunten alten Schlafrock, krümmte sich und biß sich in die Lippen.

»Meine Frau ist angekommen,« sagte Lawretzky, hob den Kopf auf und brach plötzlich in ein krampfhaftes Gelächter aus.

Lemm‘s Gesicht drückte Erstaunen aus, er lächelte nicht, und hüllte sich fester in seinen Schlafrock.

»Sie wissen nicht,« fuhr Lawretzky fort, – »ich dachte . . . ich hatte in einer Zeitung gelesen, sie sei todt.«

»O – o, das hatten Sie unlängst gelesen?« fragte Lemm.

»Unlängst.«

»O, o,« meinte der Alte, und zog die Augenbrauen in die Höhe. »Und sie ist angekommen?«

»Angekommen, sie ist jetzt bei mir, und ich . . . ich bin unglücklich.« Er mußte wieder krampfhaft lächeln,

»Sie sind unglücklich, wiederholte langsam Lemm.

»Christophor Feodoritsch,« begann Lawretzky, »werden Sie es wohl auf sich nehmen, einen Brief zu bestellen?«

»Hm – kann man erfahren, an wen?«

»An Liese.«

»Ach, – ja, ja, ich verstehe. Gut. Und wann soll der Brief bestellt werden?«

»Morgen, so früh als möglich.«

»Hm. Man kann Catharina, meine Köchin schicken. Nein, ich will selbst hingehen.«

»Und werden Sie mir eine Antwort bringen?«

»Auch die Antwort werde ich Ihnen bringen.«

Lemm seufzte tief. »Sie sind in der That ein unglücklicher junger Mann; ja, das ist wirklich wahr, mein armer junger Freund.«

 

Lawretzky schrieb Liese einige Zeilen, benachrichtigte sie von der Ankunft seiner Frau« bat, ihm ein rendez-vous zu bestimmen, und warf sich mit dem Gesicht auf das schmale Canapee; der Alte legte sich auf‘s Bett, drehte sich lange von einer Seite auf die andere, hustete und trank schluckweise seinen Decoct. Der Morgen brach an; Beide standen auf, In diesem Augenblick war Lawretzky dem Selbstmord nahe. Lemm‘s Köchin brachte ihnen schlechten Kaffee; es schlug sieben Uhr, Lemm nahm seinen Hut, sagte, daß er seine Stunde bei den Kalitins erst um zehn Uhr gebe, daß er aber einen passenden Verwand finden würde, jetzt hinzugehen und machte sich auf den Weg.

Lawretzky warf sich auf das kleine Canapee, und wieder brach aus seines Herzens Tiefe ein bitteres, trampfhaftes Lachen. Er dachte daran, wie seine Frau ihn aus dem Hause vertrieben hatte, er stellte sich Liesens Lage vor, schloß die Augen und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. Endlich kehrte Lemm zurück und brachte ihm ein kleines Stückchen Papier, worauf Liese mit Bleistift folgende Worte geschrieben hatte: »Heute können wir uns nicht sehen; vielleicht morgen Abend. Leben Sie wohl!«

Lawretzky dankte Lemm trocken und zerstreut, und ging nach Hause.

Er fand seine Frau beim Frühstück; Ada, den Kopf mit Locken bedeckt, in ein weißes Kleidchen mit blauen Bändern gekleidet, aß eine Hammelscotelette. Warwara Pawlowna stand, sobald Lawretzky in‘s Zimmer getreten war, sofort auf und ging, Demuth im Gesichte, auf ihn zu. Er bat sie, ihm in sein Cabinet zu folgen, schloß hinter sich die Thür, und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab; sie setzte sich, faltete bescheiden die Hände, und folgte seinen Bewegungen mit ihren noch immer schönen Augen. Lange konnte Lawretzky sich nicht entschließen, zu reden; er fühlte, daß er sich nicht beherrschen konnte; sah klar, daß Warwara Pawlowna ihn nicht fürchtete, obgleich sie sich den Anschein gab, als würde sie sofort in Ohnmacht fallen.

»Hören Sie, Madame,« begann er endlich, tief athmend und von Zeit zu Zeit seine Lippen wund beißend; »wir brauchen einander nichts vorzuheucheln; ich glaube an Ihre Reue nicht, ja – und wäre sie auch wahr, – mit Ihnen mich wieder vereinigen, mit Ihnen zusammen leben, wäre mir unmöglich.«

Warwara Pawlowna kniff die Lippen zusammen.

»Das ist Abscheu,« dachte sie, »es ist aus, für ihn bin ich sogar kein Weib mehr.«

»Es ist unmöglich,« wiederholte Lawretzky und knüpfte seinen Rock bis oben zu. – »Ich weiß es nicht, warum Sie hergekommen sind; wahrscheinlich ging Ihnen das Geld aus.«

»Ach, Sie beleidigen mich!« lispelte Warwara Pawlowna.

»Es sei dem aber, wie ihm wolle – Sie sind einmal leider meine Frau, Sie aus dem Hause jagen, kann ich nicht . . . Ich schlage Ihnen also Folgendes vor: Sie können, meinethalben heute, wenn es Ihnen gefällig ist, nach Lawriky fahren und dort leben; ich habe daselbst, wie Sie wissen, ein schönes Hans; Sie werden Alles, was Sie brauchen, und außerdem noch Ihre Pension erhalten. Sind Sie damit zufrieden?«

Warwara Pawlowna bedeckte sich das Gesicht mit einem reichgestickten Schnupftuche.

»Ich habe Ihnen schon gesagt,« antwortete sie mit einem nervösen Zacken der Lippen, »daß ich mit Allem einverstanden sein werde, was Sie über mich verhängen wollen. Für jetzt bleibt mir nur Eins übrig, Sie zu fragen, ob Sie mir erlauben, Ihnen für Ihre Großmuth zu danken?«

»Lassen wir das Dunkeln ich bitte Sie – so ist es besser,« beeilte sich Lawretzky zu sagen, »Also,« fuhr er fort, sich der Thür nähernd, »also kann ich darauf rechnen . . . «

»Morgen werde ich in Lawriky sein,« sagte Warwara Pawlowna, ehrfurchtsvoll aufstehend. »Aber Feodor Iwanitsch,« (sie nannte ihn nicht mehr Theodor) . . .

»Was wünschen Sie noch?«

»Ich weiß es, daß ich nichts gethan habe, um eine Vergebung zu verdienen; darf ich aber hoffen, daß mit der Zeit . . . «

»Ach, Warwara Pawlowna,« unterbrach sie Lawretzky, »Sie sind eine kluge Frau, ich bin aber auch nicht auf den Kopf gefallen; ich weiß es, daß Ihnen an der Vergebung nicht im Geringsten gelegen ist. Uebrigens habe ich es Ihnen auch längst vergeben; zwischen uns aber gähnt ein Abgrund.«

»Ich werde mich in mein Schicksal zu fügen wissen,« erwiderte Warwara Pawlowna, und neigte den Kopf auf die Brust. »Ich habe meine Schuld nicht vergessen; ich würde mich auch nicht gewundert haben, wenn ich erfahren, daß Sie sich über die Nachricht meines Todes gefreut hätten,« – fügte sie sanft hinzu, mit einer leichten Handbewegung auf die auf dem Tische liegende, und von Lawretzky unbeachtet gelassene Zeitungsnummer weisend.

Lawretzky fuhr zusammen: das FeuilIeton war mit Bleistift unterstrichen. Warwara Pawlowna blickte mit noch größerer Demuth auf ihn. – In diesem Augenblicke war sie reizend schön. Das graue, in Paris gefertigte Kleid zeichnete die Umrisse ihrer schlankem fast siebzehnjährigen Gestalt; ihr feiner, zarter Nacken, umgeben von einem, weißen Kragen, die gleichmäßig athmende Brust, die Hände ohne Bracelets und Ringe, Alles an ihrer Gestalt, von den glänzenden Haaren bis zur Spitze des verschämt unter dem Kleide hervorblickenden Stiefelchens, war so aristokratisch. Lawretzky einen boshaften Blick auf sie werfend, hätte bald gerufen: bravo! hätte sie bald mit der Faust auf die Schläfe geschlagen – doch entfernte er sich schweigend.

Eine Stunde später war er schon auf dem Wege nach Wasiliewskoie; zwei Stunden später ließ Warwara Pawlowna den besten Wagen in der Stadt miethen, setzte einen einfachen Strohhut mit einem schwarzen Schleier auf, warf eine bescheidene Mantille um, vertraute Ada Justinen an und fuhr zu den Kalitins. Aus den Fragen, die sie an das Gesinde gerichtet, hatte sie erfahren, daß ihr Mann dieses Haus täglich besuche.

Dreizehntes Kapitel

Der Tag, als Lawretzky‘s Frau in der Stadt O. Ankam, war für ihn ein trauriger Tag; ebenso traurig war er auch für Liese. Kaum war sie hinunter gegangen und hatte ihrer Mutter einen guten Morgen gewünscht, als sie am Fenster stehend Pferdegetrappel vernahm und mit geheimen Schrecken Panschin erblickte, der in den Hof hereinritt.

»Er ist so früh gekommen, um eine entscheidende Antwort zu erhalten,« dachte sie, und irrte sich nicht.

Nachdem er sich einige Zeit in dem Saal herumgedreht hatte, schlug er vor in den Garten zu gehen, und forderte sie dort auf, ihm die Entscheidung seines Schicksals zu verkünden.

Liese faßte Muth und sagte ihm, sie könne nicht seine Frau werden. Er hörte sie bis zu Ende an, an ihrer Seite stehend – seinen Hut hatte er tief auf die Stirn gedrückt; artig, aber mit veränderter Stimme, fragte er, ob das ihr letztes Wort sei, und ob nichts sie in ihrem Entschlusse würde wankend machen können? Dann drückte er seine Hand an die Augen, athmete tief auf und riß die Hand wieder vom Gesichte.

»Ich wollte nicht den glattgetretenen Pfad geben,« sagte er mit dumpfer Stimme: – »ich wollte mir eine Gefährtin finden, die mir mein Herz erwählen sollte; doch will es das Schicksal nicht, wie es mir scheint. Lebe wohl, du Traum!« Er grüßte Liese tief und ging in‘s Haus zurück. Sie hoffte, daß er sofort das Haus verlassen würde; er ging aber in‘s Cabinet zu Maria Dmitriewna und blieb ungefähr eine Stunde bei ihr. – »Votre mère vous appelle – adieu à jmais« . . . sagte er, sprang in den Sattel und sprengte von der Treppe an im gestreckten Galopp davon. Liese ging zu Maria Dmitriewna, und fand sie in Thränen schwimmend; Panschin hatte ihr sein Unglück mitgetheilt.

»Warum giebst Du mir den Todesstoß? warum giebst Du mir den Todesstoß?« so begann die betrübte Wittwe ihr Wehklagen.– »Was hast Du noch nöthig? Inwiefern ist er für Dich kein Mann? Kammerjunker! nicht geldgierig! Auch in Petersburg hätte er das erste beste Hoffräulein heirathen können! Und ich hatte gehofft! Und ist es lange her, daß Deine Gesinnungen sich gegen ihn verändert haben? Diese Wolke kommt von irgend einer Seite her, nicht Du selbst hast sie geschaffen. Ist es nicht jener Dummkopf? Einen schönen Rath hast Du gefunden!

»Und er, der Gute,« fuhr Maria Dmitriewna fort, – »wie ehrfurchtsvoll er ist, in seinem Grame selbst, wie aufmerksam! Er hat mir versprochen, mich nicht allein zu lassen. Acht ich ertrage es nicht! Ach, ich sterbe vor Kopfschmerzen! Schicke Palaschka zu mir. Du wirst mich tödten, wenn Du Dich nicht besinnst, —,hörst Du?« Und nachdem sie sie zweimal undankbar genannt hatte, schickte sie Liese fort.

Liese ging in ihr Zimmer. Noch hatte sie keine Zeit gehabt, nach ihren qualvollen Unterredungen mit ihrer Mutter und mit Panuschin, wieder zu sich zu kommen, als sich ein nettes Gewitter über ihrem Haupte entlud, und von einer Seite, wo sie dies am wenigsten erwartet hätte. Martha Timotheewna kam zu ihr in‘s Zimmer und schlug sofort hinter sich die Thier zu. Das Gesicht der Alten war bleich, die Haube saß schief, die Augen glänzten, Hände und Lippen zitterten. Liese stutzte. Noch niemals hatte sie ihre kluge und verständige Tante in einem solchen Zustande gesehen.

»Wunderschön, wunderschön, Mademoiselle!« begann Martha Timotheewna mit zitternder, gebrochener, und doch leiser Stimme: – wunderschön! Bei wem hast Du das nur gelernt, meine Theure? Gieb mir Wasser, es ist mir unmöglich zu sprechen.«

»Beruhigen Sie sich Tante, was haben Sie?« sagte Liese, indem sie ihr ein Glas Wasser brachte; »Sie waren, wenn ich mich nicht irre, selbst keine große Freundin von Herrn Panschin.«

Martha Timotheewna stieß das Glas von sich.

»Ich kann nicht trinken; meine letzten Zähne schlage ich mir aus am Glase. Was hat hier Panschin zu thun; wozu ist hier Panschin nöthig? Sage Du mir lieber, wer es Dir gelehrt hat, des Nachts Rendez-vous zu geben! – Was? mein Kind!«

Liese erblaßte.

»Aber ich bitte Dich um Gotteswillen, leugne es doch nicht,« fuhr Martha Timotheewna fort, »Schurotschka selbst hat Alles gesehen und hat es mir erzählt. Ich habe ihr verboten, ein Wort darüber fallen zu lassen; Schurotschka aber wird nicht lügen.«

»Ich leugne aber auch nicht, Tante!« lispelte Liese kaum hörbar.

»Ach« ach! so stehen also die Sachen? Du hast also ihm, dem alten Sünder, dem Scheinheiligen, ein Rendez-vous bestimmt.«

»Nein.«

»Wie das?«

»Ich ging in den Salon, mir ein Buch zu holen: er war im Garten – und rief mich.«

»Und Du gingst zu ihm? Wunderschön! Also liebst Du ihn?«

»Ich liebe ihn, erwiderte Liese kaum hörbar.

»Du großer Himmel! Sie liebt ihn, sie liebt ihn!«

Martha Timotheewna riß sich die Haube vom Kopfe.

»Einen verheiratheten Mann! Sie liebt ihn? Was?«

»Er hat mir gesagt . . . « begann Liese.

»Was hat er Dir gesagt, der Hochedele, was?!«

»Er hat mir gesagt, seine Frau sei gestorben.«

Martha Timotheewna schlug das Zeichen des Kreuzes. – »Gott habe sie selig,« sagte sie leise: – »ein kopfloses Weib war sie – nicht zum Vorwurf sei es ihr gesagt. So stehen also die Sachen! Die eine Frau hat er in‘s Grab gelegt und will gleich eine andere haben. Ein Tausendsasa! Eins nur will ich Dir, Nichte, sagen: zu meiner Zeit, als ich jung war, gingen solche Sachen den Mädchen nicht leicht von der Hand. Du mußt Dich nicht über mich ärgern, meine Theure; über Wahrheit ärgern sich nur Narren allein. Ich habe heute befohlen, ihn nicht zu empfangen. Ich liebe ihn, dies aber werde ich ihm niemals verzeihen. Seht einmal! Also Wittwer! Gieb mir Wasser. Daß Du aber Panschin mit langer Nase hast abziehen lassen, dafür lobe ich Dich; sitze nur nicht des Nachts mit diesem Ziegebart, mit Männern im Allgemeinen; mach mir alten Frau keinen Gram! denn nicht immer liebkose ich; – ich verstehe auch zu beißen. Also Wittwer!«

Martha Timotheewna ging fort, Liese aber setzte sich in einen Winkel und weinte bitterlich. Schwer war es ihr um’s Herz, sie hatte solch eine Erniedrigung nicht verdient. Ihre Liebe weissagte ihr keine Freude; seit gestern Abend weinte sie das zweite Mal. Kaum hatte in ihrem Herzen ein neues, unerwartetes Gefühl Wurzel gefaßt, und schon mußte sie schwer für dieses Gefühl büßen. Mit so roher Hand berührten Fremde ihr heiliges Geheimniß! Schaam und Schmerz und Bitterkeit füllten ihr Herz: doch sie fühlte weder Zweifel noch Furcht, – sie liebte Lawretzky noch heißer. Sie hatte gewankt, so lange sie sich selbst noch nicht verstand; nach jenem Zusammentreffen aber, nach jenem Kusse, – da konnte sie nicht mehr wanken. Sie wußte, daß sie liebe, – sie liebte ehrlich, nicht zum Spaße hatte sie sich für ihr ganzes Leben gefesselt. – Sie fürchtete keine Drohungen, sie fühlte: dies Band könne nicht gewaltsam zerrissen werden.