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Das adelige Nest

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Neuntes Kapitel

Während des ganzen Streites zwischen Lawretzky und Panschin hatte Liese nicht ein einziges Wort gesagt, doch war sie demselben aufmerksam gefolgt und ganz auf Seiten Lawretzky‘s gewesen. Die Politik interessirte sie wenig, aber der dünkelhafte Ton des Weltmanns und Beamten stieß sie zurück; die Verachtung«,die er gegen Rußland zur Schau trug, beleidigte sie; Liesen war es niemals in den Sinn gekommen, eine Patriotin zu sein; sie fühlte sich aber mit Russen wohl, sie liebte die russische Geistesrichtung; ungenirt unterhielt sie sich stundenlang mit dem Schulzen des Rittergutes ihrer Mutter, wenn er in die Stadt kam, und sprach mit ihm, wie mit ihresgleichen, ohne das geringste Zeichen von Herablassung, wie sie die Adligen zur Schau zu tragen lieben.

Dies Alles fühlte Lawretzky; er hätte Panschin nicht geantwortet, er sprach einzig und allein für Liese. Sie hatten einander nichts gesagt, selbst ihre Augen begegneten sich selten; doch Beide begriffen, wie nahe sie sich diesen Abend aneinander geschlossen hatten, begriffen, wie sie dasselbe liebten und wie ihnen dasselbe zuwider sei. In Einem nur stimmten sie nicht überein; doch in ihrem Herzen hoffte Liese ihn zu Gott zurückzuführen. Sie saßen neben Martha Timotheewna und schienen ihrem Spiele zu folgen; ja, sie folgten ihm auch in der That. Inzwischen ward aber bei jedem von ihnen das Herz immer voller und für sie ging nichts verloren. Für sie sang die Nachtigall und brannten die Sterne, und lispelten leise die Bäume, eingelullt von Schlaf und Wollust und Wärme.

Lawretzky gab sich ganz, der ihn fortreißenden Welle hin und freute sich; doch Worte drücken das nicht aus, was in der reinen Seele des Mädchens vorging; dies blieb ein Geheimniß für sie selbst, so mag es denn auch für Alle ein Geheimniß bleiben. Niemand weiß, Niemand sah und wird jemals sehen, wie ein zum Leben und zum Erblühen berufener Same im Schooße der Erde aufschwillt und reift.

Es schlug zehn Uhr, Martha Timotheewna ging mit Nastasia Karpowna in das Schlafzimmer hinauf; Lawretzky und Liese gingen im Zimmer auf und ab, blieben dann vor der offenen in den Garten führenden Thüre stehen, blickten in die dunkle Ferne, dann blickten sie einander an – und lächelten: o sie hätten so gerne die Hände in einander gelegt, sich satt gesprochen. Sie kehrten zu Maria Dmitriewna und zu Panschin zurück, deren Planet sich in die Länge zog. Der letzte »König« war endlich zu Ende gespielt und die Hausfrau stand ächzend und krächzend von ihrem mit Kissen rings bepolsterten Lehnstuhle auf; Panschin nahm seinen Hut, küßte die Hand Maria Dmitriewna’s, bemerkte, daß es auf Erden Auserwählte gäbe, die nichts jetzt hindert, zu schlafen oder sich der nächtlichen Ruhe zu erfreuen; daß er aber gezwungen sei, bis zum Morgen über dumme Papiere gebückt zu sitzen, grüßte Liesen kalt (er hatte nicht erwartet, daß sie auf seinen Heirathsantrag mit der Bitte, zu warten, antworten würde, – und war deswegen böse auf sie) – und entfernte sich. Gleich nach ihm ging auch Lawretzky; an der Pforte trennten sie sich; Panschin weckte seinen Kutscher, indem er ihn mit seinem Stocke in den Nacken stieß, setzte sich in seine Equipage und fuhr fort.

Lawretzky hatte keine Lust, nach Hause zu gehen, er ging aus der Stadt aufs freie Feld. Die Nacht war still und hell, obgleich der Mond nicht am Himmel leuchtete; lange irrte Lawretzky auf dem thaubedeckten Grase hin und her, endlich gelangte er an einen engere Steg und folgte demselben. Der Steg führte ihn zu einem langen Zaun, zu einer Gartenpforte; er versuchte« selbst nicht wissend warum, sie zu öffnen. Die Pforte knarrte leise und öffnete sich, als hätte sie nur seiner Berührung geharrt. Lawretzky befand sich in einem Garten, machte einige Schritte und stand erstaunt still: er erkannte den Garten Kalitin‘s.

Er trat sogleich in den schwarzen Schatten, der von einem dichten Eichengebüsch gebildet wurde, und stand lange unbeweglich, sich wundernd und mit den Achseln zuckend.

»Das ist nicht umsonst,« dachte er.

Still war Alles rings umher; von der Seite, wo das Haus stand, drang auch nicht der geringste Lärm. Vorsichtig ging er weiter. Bei einer Wendung der Allee blickte plötzlich das ganze Hans mit seiner dunklen Facade auf ihn; oben, nur in zwei Fenstern bemerkte er Licht: das eine brannte in Liesens Zimmer hinter einem weißen Vorhange, und im Zimmer Martha Timotheewna’s glühte mit rothem Feuer vor dem Gottesbild ein Lämpchen, sich als Heiligenschein auf dem goldenen Rahmen spiegelnd. Unten gähnte weit die offene, auf den Balkon führende Thür. Lawretzky setzte sich auf eine hölzerne Bank, stützte seinen Kopf auf eine Hand« und starrte bald die Thür, bald das Fenster an. In der Stadt schlug es Mitternacht; die kleine Wanduhr im Hause sang mit feinem Tone zwölfmal; der Wächter trommelte auf das Metallbrett. Lawretzky dachte an nichts,, erwartete nichts, es war ihm angenehm, sich in Liesens Nähe zu fühlen, in ihrem Garten auf einer Bank zu sitzen, auf der auch sie oft gesessen hatte . . . Das Licht in Liesens Zimmer verschwand.

»Gute Nacht, Du liebes Kind!« lispelte Lawretzky und blieb unbeweglich sitzen, ohne den Blick von dem dunkel gewordenen Fenster abzuwenden. Plötzlich erschien Licht in einem der Fenster der unteren Etage, ging in das zweite, in das dritte über. . . . Jemand ging mit einem Lichte durch die Zimmer. »Das ist doch nicht Liese? Es kann nicht sein . . .« Lawretzky stand von seiner Bank auf, es blickte ein bekanntes Profil durch’s Fenster und Liese war im Saale. In ein weißes Kleid gehüllt, mit auf die Schultern herabhängenden Zöpfen, näherte sie sich leise dem Tisch, bückte sich über ihn, stellte darauf das Licht und suchte etwas; dann mit dem Gesichte zum Garten gewandt, näherte sie sich der offenen Thür und blieb, ganz in Weiß gekleidet, leicht, schlank, auf der Schwelle stehen. Lawretzky fuhr zusammen. »Liese!« entfuhr kaum hörbar seinen Lippen. Auch sie fuhr zusammen und starrte in die Finsterniß.

»Liese!« wiederholte Lawretzky lauter und trat aus dem Schatten der Allee.

Erschreckt erhob sie ihren Kopf und wankte zurück: sie hatte ihn erkannt. Zum dritten Male nannte er ihren Namen und streckte ihr seine Hände entgegen; sie trat in den Garten.

»Sie?« sagte sie, »Sie hier?«

»Ich . . . ich . . . hören Sie mich an!« lispelte Lawretzky. Er ergriff ihre Hand und führte sie zu einer Bank.

Ohne Widerstand folgte sie ihm; ihr bleiches Gesicht, ihre unbeweglichen Augen, alle ihre Bewegungen drückten unaussprechliches Erstaunen aus. Lawretzky setzte sie auf eine Bank und stellte sich vor sie.

»Ich dachte nicht herzukommen,« begann er: – »mich führte her . . . ich . . . ich liebe Sie,« sprach er mit unwillkürlichem Entsetzen aus.

Liese blickte langsam an ihm auf; sie begriff, wie es schien, erst in diesem Augenblicke, wo sie sei und was mit ihr geschehe. Sie wollte aufstehen und konnte es nicht, und bedeckte sich das Gesicht mit ihren Händen.

»Liese!« sagte Lawretzky; – »Liese!« wiederholte er und sank vor ihr auf die Kniee hin . . .

Ihre Schultern zuckten leise, noch fester drückten sich die Finger der bleichen Hand an das Gesicht.

»Was ist Ihnen?« sagte Lawretzky und hörte ein stilles Schluchzen. Sein Herz schlug lauter . . . er begriff, was diese Thränen bedeuteten. – »Ist es möglich, daß Sie mich lieben?« lispelte er und berührte ihre Kniee.

»Stehen Sie auf!« war ihre Antwort« »stehen Sie auf, Feodor Iwanitsch, was machen wir da Beide!«

Er stand auf und setzte sich neben sie auf die Bank. Sie weinte nicht mehr und blickte ihn aufmerksam, mit feuchten Augen an.

»Ich fürchte mich, was machen wir da?« wiederholte sie.

»Ich liebe Sie!« sagte er auf‘s Neue: – »bin bereit, für Sie mein Leben hinzugeben.«

Liese fuhr zusammen, als hätte sie eine Schlange gebissen, und blickte gen Himmel.

»Dies Alles hängt nur von Gott allein ab.«

»Sie lieben mich aber, Liese? wir werden glücklich sein?«

Sie senkte die Augen; er zog sie an seine Brust und ihr Köpfchen fiel auf seine Schulter. Er neigte seinen Kopf etwas auf die Seite und seine Lippen fanden die ihrigen . . .

* * *

Keine halbe Stunde war vergangen, als Lawretzky schon an der Gartenpforte stand; er fand sie verschlossen und mußte über den Zaun springen. Er kehrte in die Stadt zurück und ging die verödeten Straßen entlang. Seine Brust empfand das Gefühl einer unerwarteten, großen Freude; alle Zweifel waren in seiner Brust erstorben.

»Fahre hin, Vergangenheit, du dunkles Gespenst,« – dachte er; »sie liebt mich, sie ist mein!« Mit einem Male schien es ihm, als zögen über seinem Kopfe durch die Lüfte wunderbare feierliche Klänge; er blieb stehen. Die Töne erklangen noch feierlicher; als klangvoller, mächtiger Strom wogten sie dahin – in ihnen, schien es ihm, sprach und sang sein Glück. Er sah sich um; die Klänge kamen aus den zwei oberen Fenstern eines kleinen Häuschens.

»Lemm!« rief Lawretzky« und eilte zum Hause. »Lemm!« wiederholte er laut.

Die Klänge erstarben und die Gestalt des Alten« in einen Schlafrock gehüllt, mit offener Brust und mit unordentlich herabhängenden Haaren zeigte sich am Fenster.

»Aha!« sagte er mit würdevoller Stimme, »du sind Sie?«

»Christophor Feodoritsch, was ist das für eine zauberische Musik! Um Gottes willen, lassen Sie mich herein.«

Der Alte warf, ohne ein Wort auszusprechen, mit einer majestätischen Handbewegung den Hausschlüssel zum Fenster hinaus. Lawretzky eilte die Treppe hinauf und wollte auf Lemm zustürzen; doch dieser zeigte ihm mit gebieterischer Handbewegung einen Stuhl und sagte im gebrochenen Russisch:

»Setzen Sie sich hin und hören Sie zu;« er selbst setzte sich aufs Clavier, und nachdem er einen stolzen und strengen Blick um sich geworfen, begann er zu spielen.

Lange schon hatte Lawretzky nichts Aehnliches gehört; eine süße, leidenschaftliche Melodie ergriff bei den ersten Tönen sein Herz; sie war so licht, so voll von Begeisterung, von Glück und von Schönheit. Sie wuchs und schmolz, berührte Alles, was auf Erden theuer, was geheimnißvoll und heilig ist; sie athmete einen seligen Gram und erstarb in himmlischen Sphären. Lawretzky hatte sich aufgerichtet und stand erstarrt und bleich vor Entzücken; diese Klänge drangen in seine Brust, die eben vom Glück der Liebe erschüttert worden war.

 

»O wiederholen Sie es doch noch einmal!« rief er aus, als kaum der letzte Accord verklungen war.

Der Alte warf auf ihn einen Adlerblick, schlug sich mit der Hand vor die Brust und nachdem er in seiner Muttersprache gedehnt folgende Worte gesagt hatte: »das habe ich geschrieben, weil ich ein großer Musiker bin!« spielte er seine bezaubernd schöne Composition aufs Neue. Im Zimmer war es dunkel; schräg drang der Strahl des eben ausgegangenen Mondes in die Fenster; das kleine, armselige Zimmer schien ein Heiligthum zu sein, und hoch und begeistert erhob sich im Zwielicht das Haupt des Greises.

Lawretzky eilte auf ihn zu und umarmte ihn. Anfangs erwiderte Lemm seine Umarmung nicht, stieß ihn sogar mit dem Elbogen zurück; lange blickte er, ohne die geringste Bewegung zu machen, eben so streng, fast grob und brummte nur zweimal: »Aha!« Endlich ward sein verwandeltes Gesicht ruhiger, sank auf die Brust und auf die heißen Glückwünsche Lawretzky‘s lächelte er Anfangs schwach, fing dann an zu weinen und schluchzte wie ein Kind.

»Wunderbar ist’s aber,« sagte er, »daß Sie jetzt, in diesem Augenblick gekommen sind, – doch ich weiß, weiß Alles.«

»Wissen Sie Alles?« fragte Lawretzky verlegen.«

»Sie haben mich gehört, ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich Alles wisse.«

Bis zum Morgen konnte Lawretzky nicht einschlafen; die ganze Nacht hindurch saß er auf seinem Bette. Auch Liese schlief nicht; sie betete.

Zehntes Kapitel.

Der Leser weiß es, wie Lawretzky aufwuchs und sich entwickelte. Jetzt wollen wir ein Paar Worte über Liesens Erziehung sagen. Sie war zehn Jahre alt, als ihr Vater starb, doch er beschäftigte sich wenig mit ihr, Ueberhäuft von Arbeiten, immer beschäftigt, sein Vermögen zu vergrößern, gallicht, schroff, ungeduldig, gab er, ohne zu geizen, Geld für Lehrer, Gouverneurs, Kleidung und Alles, was die Kinder nöthig hatten, aus, aber er liebte nicht, wie er sich ausdrückte, die Amme bei den Schreihälsen zu spielen. Ja, – er hatte aber auch keine Zeit, die Amme bei ihnen zu spielen.

Er arbeitete, war in Geschäfte vertieft, schlief wenig, spielte von Zeit zu Zeit Karten und arbeitete wieder; er verglich sich mit einem an eine Dreschmaschine gespannten Pferde.

»Schnell ist mein Leben dahingeeilt!« meinte er auf seinem Todtenbette, mit einem bitteren, spöttischen Lächeln auf den trockenen Lippen. Die Wahrheit zusagen, beschäftigte sich Maria Dmitriewna mit der Erziehung Liesens gar nicht, obgleich sie vor Lawretzky prahlte, sie allein hätte ihre Kinder erzogen; sie kleidete sie wie eine Puppe, streichelte ihr, wenn Gäste da waren, das Köpfchen und nannte sie ein vernünftiges Kind, ihr Herzchen,« – und das war Alles. Jede beständige Sorge ermüdete die träge Edelfrau.

Bei Lebzeiten ihres Vaters war Liese der Obhut einer Gouvernante, des Fräulein Moreau aus Paris, anvertraut; nach seinem Tode beaufsichtigte sie Martha Timotheewna. Der Leser kennt Martha Timotheewna; Mlle. Moreau aber war ein kleines runzeliges Geschöpf mit Vogelgesten und Vogelgewohnheiten. In der Jugend hatte sie ein sehr zerstreutes Leben geführt, im Alter waren ihr nur zwei Leidenschaften geblieben – für Näschereien und für Karten. Wenn sie satt war, nicht plauderte und nicht Karten spielte, nahm ihr Gesicht einen todtenartigen Ausdruck an: sie sitzt, blickt vor sich hin und athmet – und kein Gedanke scheint durch ihren Kopf gehen zu wollen. Man konnte sie sogar nicht gut nennen; denn die Vögel sind am Ende niemals gut. Sei es in Folge einer leichtsinnig vergeudeten Jugend, sei es von der pariser Luft, die sie von Jugend auf eingeathmet hatte, – es sei dem, wie ihm wolle, aber in ihrem ganzen Wesen nistete ein, wenn auch nicht tiefgefühlter Scepticismus, der sich gewöhnlich in den Worten: »tout ca c‘est des bétises,« äußerte. Sie sprach ein fehlerhaftes, aber ächt pariser Jargon, liebte Klatschereien nicht und hatte niemals Capricen; was konnte man mehr von einer Gouvernante verlangen? Auf Liese hatte sie geringen Einfluß; desto größeren Einfluß hatte auf sie ihre Wärterin Agafia Wlassiewna.

Das Schicksal dieser Frau war bemerkenswerth, Sie stammte aus einer Bauernfamilie; sechzehn Jahre alt heirathete sie einen Bauer, doch war ein schroffer Unterschied zwischen ihr und den anderen Bäuerinnen. Ihr Vater war fast zwanzig Jahre Schulze gewesen, hatte sich ein bedeutendes Vermögen erworben und verwöhnte sie. Sie war ungewöhnlich schön, trug sich am Geschmackvollsten, war klug, beredt, unerschrocken; ihr Herr Dmitri Pestoff, Maria Dmitriewna’s Vater, ein schlichter und sanfter Mann, hatte sie einst beim Dreschen erblickt, redete sie an, und verliebte sich leidenschaftlich in sie. Sie wurde bald Wittwe; Pestoff nahm sie, obgleich er verheirathet war, in sein Haus. Agafia gewöhnte sich sofort an ihre neue Lage, als ob sie ihr Lebenlang in derselben gewesen sei. Sie wurde weiß , voll; ihre mit Nesseltuchärmeln bekleideten Arme, waren schneefarben und rund, wie bei einer Kaufmannsfrau; den ganzen Tag trank sie Thee, sie wollte keine anderen, als samtene und seidene Kleider tragen, schlief auf Eiderdaunen. Fünf Jahre dauerte dieses selige Leben. Dmitri Pestoff starb; seine Wittwe, eine gute Frau« wollte, sein Andenken ehrend, nicht schlecht an ihrer Nebenbuhlerin handeln, besonders da Agafia sich niemals gegen sie vergaß; doch verheirathete sie sie mit dem Oberhirten und schickte sie aus dem Hause fort.

So vergingen drei Jahre. Einst, an einem heißen Sommertage, besuchte die Edeldame ihre Meierei; Agafia brachte ihr so schöne und kalte Sahne, hielt sich so bescheiden, war so reinlich, so fröhlich, mit Allem zufrieden, daß die Edelfrau ihr die Verzeihung verkündigte und ihr erlaubte, das Schloß zu besuchen. In einem halben Jahre gewann sie Agafia so lieb, daß sie sie zur Haushälterin ernannte und ihr die ganze Wirthschaft übergab. Die Macht war wieder in Agafia‘s Händen, wieder wurde sie dick und weiß; ihre Herrin hatte ihr das ganze Vertrauen geschenkt. So verflossen fünf Jahr. Zum zweiten Male brach das Unglück über Agafia herein; ihr Mann, den sie zum Diener hatte ernennen lassen, fing an zu trinken, verschwand oft aus dem Hause, und endigte damit, daß er seiner Herrschaft sechs silberne Löffel stahl und selbige, bis er Gelegenheit fände, sie zu verkaufen, in den Koffer seiner Frau versteckte. Dies wurde entdeckt. Wieder wurde er in die Meierei verbannt und auch Agafia fiel in Ungnade. Aus dem Hause wurde sie nicht verjagt, doch ward sie zur Näherin degradirt und mußte statt einer Haube, ein Tuch auf dem Kopfe tragen. Zum Erstaunen Aller ertrug Agafia den Schlag, der sie getroffen, mit demüthiger Ergebenheit. Sie war damals über dreißig Jahre, alle Kinder waren ihr gestorben und auch ihr Mann lebte nicht lange mehr. Es war Zeit, sich zu besinnen: sie besann sich. Sie redete von jetzt an sehr wenig und ward sehr gottesfürchtig; versäumte keine einzige Messe und verschenkte alle ihre besten Kleider. Fünfzehn Jahre verbrachte sie still, ergeben und ernst, ohne sich mit Jemandem zu veruneinigen, und Allen nachgebend, Antwortete ihr Jemand grob, dankte sie ihm nur, ihn tief grüßend. Ihre Herrin hatte ihr längst verziehen, sie wieder in ihre Gnade aufgenommen und ihr eine Haube von ihrem eigenen Kopfe geschenkt; doch sie selbst wollte sich nicht von ihrem Tuche trennen und trug stets ein schwarzes Kleid. Nach dem Tode ihrer Herrin wurde sie noch stiller und demüthiger. Die Russen werden leicht eingeschüchtert und schließen sich leicht an; schwer ist es aber sich ihre Achtung zu erwerben; sie wird nicht leicht, und nicht Jedermann geschenkt; Agafia wurde aber von Allen geachtet. An ihre früheren Sünden dachte Niemand, als wären dieselben mit dem alten Herrn zu Grabe getragen worden.

Als Kalitin Marie Dmitriewna geheirathet hatte, wollte er die Wirthschaft Agafia anvertrauen; sie weigerte sich aber die Stelle anzunehmen, die Versuchung fürchtend. Er schrie sie an, sie grüßte tief und entfernte sich. Der kluge Kalitin hatte Menschenkenntniß: er verstand Agafia und vergaß sie nicht. Als er in die Stadt übergesiedelt war, machte er Agafia, mit ihrer Einwilligung, zu Liesens Wärterin.

Anfangs fürchtete Liese das ernste und strenge Gesicht ihrer neuen Wärterin; doch bald gewöhnte sie sich an dieselbe und liebte sie herzlich. Sie selbst war ein ernstes Kind; ihre Züge erinnerten an das scharf ausgeprägte und regelmäßige Profil Kalitin‘s; nur ihre Augen waren nicht denen ihres Vaters ähnlich, in ihnen war Sanftmuth, Aufmerksamkeit und Güte zu lesen, was bei Kindern selten ist. Mit Puppen liebte sie nicht zu spielen, lachte nicht laut und nicht lange, und hielt sich ernst. Nicht oft versank sie in Gedanken, that sie es aber, so war es nicht umsonst. Nach einigem Schweigen endigte sie gewöhnlich damit, daß sie sich mit einer Frage an Jemanden Aelteres wandte, was dafür zeugte, daß ihr Kopf an dem neuen Eindruck gearbeitet hatte. Schon in ihrem vierten Jahre sprach sie vollkommen rein. Ihren Vater fürchtete sie, das Gefühl, das sie für ihre Mutter hegte, war unbestimmt; sie fürchtete sie nicht, liebkoste sie aber auch nicht; übrigens liebkoste sie auch Agafia nicht, obgleich sie nur Agafia liebte. Sie waren immer zusammen, und sonderbar war es. Beide dann zu betrachten, Agafia, in einem schwarzen Kleide, den Kopf mit einem schwarzen Tuch umwunden, mit einem mageren, wie Wachs durchsichtigen, aber immer noch schönen und ausdrucksvollen Gesichte sitzt kerzengerade da und strickt an einem Strumpfe, zu ihren Füßen sitzt Liese auf einem kleinen Sessel, auch mit irgend einer Arbeit beschäftigt, oder ernst ihre hellen Aeuglein erhebend, hört sie an, was ihr Agafia erzählt; und Agafia erzählt ihr keine Mährchen. Mit ernster und eintöniger Stimme erzählt sie ihr das Leben der heiligen Jungfrau, das Leben der Heiligen, der Einsiedler, der heiligen Märtyrerinnen; sie erzählt Liese, wie die Heiligen in den Wüsteneien lebten, wie sie beteten, Hunger und Armuth ertrugen, – nicht die Herrscher fürchteten, den Heiland lobten; wie ihnen Gottes Vöglein Nahrung brachten und wilde Thiere gehorchten; wie an den Stellen, auf welche ihr Blut träufelte, Blumen emporsproßten. – »Goldlack?« fragte einst Liese, die Blumen sehr lieb hatte . . . Agafia sprach mit Liesen ernst und bescheiden, als fühle sie selbst, daß es eigentlich nicht für sie passe, solche heilige und erhabene Worte zu sprechen.

Liese hörte ihr zu – und das Bild des allgegenwärtigen, allwissenden Gottes drängte sich mit süßer Kraft in ihr Herz, erfüllte sie mit reiner, heiliger Furcht, und der Heiland wurde ihr etwas Nahes, Bekanntes, fast Verwandtes; auch beten lehrte sie Agafia. Zuweilen weckte sie Liese früh am Morgen auf, kleidete sie eilig an und führte sie heimlich in die Frühmesse; Liese folgte ihr auf den Fußspitzen, kaum athmend; die Kälte und das Zwielicht des Morgens, die Kühle und die Leere in der Kirche, selbst das Geheimnißvolle dieser unerwarteten Ausflüge, das vorsichtige Zurückkommen nach Hause, in‘s kleine Bettchen, – diese Verbindung von Verbotenem, Sonderbarem, Heiligem, erschütterte das Mädchen und drang in die tiefste Tiefe ihres Wesens. Niemals sprach Agafia ein Wort des Tadels über Jemanden aus, schalt auch Liese nicht, wenn sie unartig war. Wenn sie mit irgend etwas unzufrieden war, schwieg sie nur und Liese verstand dieses Schweigen. Mit dem, den Kindern eigenen Scharfsinn verstand sie es auch sehr gut, wenn Agafia mit Anderen unzufrieden war, – sei es mit Marie Dmitriewna oder mit Kalitin. Drei Jahre war Agafia die Wärterin Liesens; Mlle. Moreau ersetzte sie. Die leichtsinnige Französin aber, mit ihren trockenen Manieren und ihrem gewöhnlichen Ausrufe: »tout ca c‘est des bétises« – konnte aus dem Herzen Liesens nicht die ihr so theure Wärterin vertreiben; der Same hatte zu tiefe Wurzeln gefaßt. Auch blieb Agafia, obgleich sie nicht mehr die Wärterin Liesens war, im Hause; traf oft mit ihrem gewesenen Zögling zusammen, und Liese vertraute ihr wie früher. Mit Martha Timotheewna aber, als diese in das Haus der Kalitins zog, fand sich Agafia nicht zurecht. Der strenge Ernst Agafia’s. wollte der ungeduldigen und eigenwilligen Alten nicht gefallen; Agafia bat um die Erlaubniß, ein Kloster zu besuchen und kehrte nicht zurück. Es gingen dunkle Gerüchte, sie hätte sich in ein Kloster der Altgläubigen zurückgezogen.

Der Eindruck, den Agafia auf Liese gemacht hatte, vermischte sich nicht in ihrem Herzen. Wie früher ging sie in die Messe, als wäre es ein Fest für sie, betete mit Wonne, mit einem zurückhaltenden und schamhaften Gefühle, worüber sich Marie Dmitriewna und selbst Martha Timotheewna nicht wenig wunderten, obgleich Letztere Liese freien Willen ließ und nur ihren Eifer zu zügeln suchte, ihr auch nicht erlaubte, zu oft niederzuknieen: dies sei keine adlige Gewohnheit. Liese lernte gut, obgleich nicht leicht; Gott hatte ihr keine besonders glänzenden Fähigkeiten, keinen großen Geist verliehen, sie lernte nichts ohne Mühe.

 

Sie spielte gut Clavier, Lemm allein aber wußte, was ihr das kostete. Sie las nicht viel; sie hatte keine »eigenen Worte« doch hatte sie eigene Gedanken, – und ging ihren eigenen Weg. Nicht umsonst war sie ihrem Vater ähnlich: auch er fragte Andere nicht, was er zu thun habe. So wuchs sie auf – ruhig, ohne Eile; so erreichte sie ihr neunzehntes Jahr.

Sie war reizend, ohne es selbst zu wissen. Aus jeder ihrer Bewegungen sprach eine unwillkürliche, ungekünstelte Anmuth; in ihrer Stimme klang das Silber einer reinen Jugend, das kleinste Gefühl der Freude lockte ein reizendes Lächeln auf ihre Lippen, gab einen tiefen Glanz und eine geheimnißvolle Freundlichkeit ihren glühenden Augen. Von dem Gefühle der Pflicht durchdrungen, obgleich Andere zu beleidigen fürchtend, mit einem guten und sanften Herzen begabt, liebte sie Alle und Keinen besonders; sie liebte Gott allein mit Begeisterung, schüchtern und zärtlich. Lawretzky war der Erste, der sie in ihrem stillen, inneren Leben gestört hatte.

So war Liese.